Georg-August-Universität Göttingen Wirtschaftspolitik und Mittelstandsforschung
Ansatzpunkte zur Verbesserung der wissenschaftlichen Politikberatung Öffentliche Ringvorlesung zur wissenschaftlichen Politikberatung, 12. Mai 2009
© Prof. Dr. Kilian Bizer
Aufbau 1. Das Problem des regulatory choice und der Politikberatung 2. Anforderungsprofil an die Politikberatung 3. Institutionenanalyse als GFA 4. Politikberatung aus Sicht der Politik, der Wissenschaft und der Bürger 5. Fazit in fünf Thesen
© Prof. Dr. Kilian Bizer
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Das Problem des regulatory choice • Verfehlung eines bestimmten, politisch formulierten Ziels z.B. „Steuern vollständig zahlen“ • Wahl eines verhaltenssteuernden Instrumentes zur Zielerreichung z.B. Steuermoral, Strafmaß, Entdeckungswahrscheinlichkeit, Komplexität,… • Lösung des regulatory choice Problems steigert das Gemeinwohl © Prof. Dr. Kilian Bizer
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Die Dependenz der Politikempfehlungen von Verhaltensannahmen – ein Beispiel • Flächenverbrauch von ca. 100 ha/Tag auf 30 ha/Tag reduzieren • Zielverfehlung begründet Steuerungsbedarf • „Oma Schneider“ wohnt allein im freistehenden Einfamilienhaus auf 150 qm Wohnfläche • Unterstellt man ein Verhalten „als ob“ sie homo oec. wäre, dann wären relative Preise für EFH zu erhöhen. • Unterstellt man informiertes altruistisches Verhalten, passt sie ihr Verhalten von alleine an – keine Intervention. 4 © Prof. Dr. Kilian Bizer
… - noch ein Beispiel: REACh • Risiken von (Alt-)Stoffen erkennen und verringern durch Kooperation entlang der Wertschöpfungsketten • Anwender der Chemikalien weiß nicht, welche Risiken der Stoff beinhaltet – Informationsdefizit reduzieren • Anwender kennt die Risiken, nutzt aber gleichwertige, kostspieligere Alternativen nicht • Hersteller hat Alternativstoffe, die weniger Risiken haben, vermarktet sie aber nicht © Prof. Dr. Kilian Bizer
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Ausgangspunkt … ist die Suche nach einem disziplinenübergreifenden Verhaltensmodell, das für die sozial- und rechtswissenschaftliche Politikberatung geeignet ist. Geeignet ist ein Verhaltensmodell, wenn es beim Problem des regulatory choice hilfreich ist und interdisziplinär Konsens erzeugen kann. © Prof. Dr. Kilian Bizer
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Aufbau 1. Das Problem des regulatory choice und Politikberatung 2. Anforderungsprofil an die Politikberatung 3. Institutionenanalyse als GFA 4. Politikberatung aus Sicht der Politik, der Wissenschaft und der Bürger 5. Fazit in fünf Thesen
© Prof. Dr. Kilian Bizer
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GFA: Verankerung • Mandelkern-Bericht: Aktion zur „Vereinfachung und Verbesserung des Regelungsumfeldes“ • Seit 2000: § 44 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) sieht eine Folgenabschätzung für alle Gesetzgebungsvorhaben vor
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Vorgehen der europäischen GFA 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Problembestimmung Bestimmung der Ziele Entwicklung der relevanten Alternativen Folgenabschätzung für relevante Alternativen Vergleich der relevanten Alternativen Monitoring und Evaluierung der gewählten Alternative
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Anforderungen an die Politikberatung • Akzeptanz des Normativen durch Wissenschaft • Bereitschaft zur zeitnahen Analyse • Reduzierung auf das für die Politik Wesentliche • Prognose über Zielerreichungsgrade • mögliche Neben-, Fern- und Folgewirkungen verschiedener Regelungsalternativen, häufig auch nur einer Option © Prof. Dr. Kilian Bizer
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Anforderungen an die Politikberatung Notwendigkeit eines erklärungs- und prognosefähigen Verhaltensmodells von – … Normadressaten – … Verwaltung … – … Politikern – … Wissenschaftlern
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Aufbau der heutigen Vorlesung 1. Das Problem des regulatory choice und der Politikberatung 2. Anforderungsprofil an die Politikberatung 3. Institutionenanalyse als GFA 4. Optimierung der Politikberatung 5. Fazit in fünf Thesen
© Prof. Dr. Kilian Bizer
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Ausgangspunkt der Institutionenanalyse als GFA • Basis für die Prognose von Instrumenten ist das Verhaltensmodell • Normadressaten müssen so modelliert werden, dass Verhaltensweisen und Motive abzubilden sind • Entwicklung des ökon. Verhaltensmodells
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Verhaltensmodell 1: Homo oeconomicus Eigenschaften: • exogen gegebene Präferenzen (Eigennutz) • Nutzenmaximierung • Rationalität im Sinne der Ziel-Mittel-Wahl und des ökonomischen Prinzips • Restriktionen als Nebenbedingungen des Maximierungskalküls • vollständige Information = keine Transaktionskosten
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Verhaltensmodell 1: Homo oeconomicus
Restriktionen
Restriktionen
PRÄFERENZEN
situativnutzenmaximierendes
Verhalten © Prof. Dr. Kilian Bizer
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Verhaltensmodell 2: homo oec. inst. Eigenschaften: • Institutionen sind Spielregeln • Endogene Präferenzen • Einfluss der Institutionen auf kognitive Grenzen • Einfluss der Institutionen auf Verhalten • Ausdifferenzierung von Verhaltensformen • Konnex zum akteurszentrierten Institutionalismus (Spieltheorie plus Akteurmodell mit kognitiven, motivationalen - Interessen und Normen - und relationalen Orientierungen) © Prof. Dr. Kilian Bizer
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Verhaltensmodell 2: homo oec. inst. Institutionen
Gr en ze n ko
n ze
gn .
en Gr
Institutionen Restriktionen
PRÄFERENZEN
. gn
situativnutzenmaximier. (satisfiz.) © Prof. Dr. Kilian Bizer
Soziale ko
Institutionen Restriktionen
Eigennützige
situativemotionalrational-regelhabituelles gebundenes instinktives nutzenmaximierendes
Verhalten 17
Flächennutzungsentscheidungen von Hausbesitzern Ausbildung, Erziehung, Information, beratende und diskursive Politik Bodenpreise
gn . ko „Kalkül von Wohn- und Arbeitswegekosten
rational-regelhabituelles situativgebundenes
„meine Eltern „Pendeln lohnt nutzenmaximierendes sich vorerst“ hatten schon ein eigenes Haus“
Verhalten
Restriktionen
situativnutzenmaximier.
n ze
Kreditvergünstigungen
en Gr
Direkte Subventionen
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PRÄFERENZEN des Hausbesitzers
. gn
Grundsteuer
Soziale ko
Gr en ze n
Eigennützige
Ge- und Verbote
Vorschriften
emotionalinstinktives „das eigene Haus im Grünen“ 18
Institutionenanalyse zur Lösung des Regulatory Choice Problems (A bis C) A. Relevante Akteure und ihre Verhaltensbeiträge zur Erreichung des Steuerungszieles identifizieren B. Interessen/Präferenzen und Anreize der Akteure analysieren -
homo oeconomicus homo oeconomicus institutionalis
C. Identifiziere effektive und effiziente Intervention: Responsive Regulierung © Prof. Dr. Kilian Bizer
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Aufbau der heutigen Vorlesung 1. Das Problem des regulatory choice und Politikberatung 2. Anforderungsprofil an die Politikberatung 3. Institutionenanalyse als GFA 4. Optimierung der Politikberatung 5. Fazit in fünf Thesen
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(Auf welche Weise) Kann man die Politikberatung optimieren? 1. … aus Sicht der Politik? 2. … aus Sicht der Wissenschaft? 3. … aus Sicht der Bürger?
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Die Wissenschaft aus Sicht der Politik • • • • • •
Behäbige Forschungsprogramme Institutionenkenntnis häufig gering Reichweite der Theorie häufig noch geringer Unübersichtlichkeit der theoretischen Grundlagen … und der Empfehlungen … … so dass die wiss. Politikberatung häufig das Problem ist, das sie lösen soll!
© Prof. Dr. Kilian Bizer
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Optimierung der Politikberatung - aus Sicht der Politik Politik muss fordern, dass • institutionenbasierte, • anwendungsorientierte • und zeitnahe, • den politischen Prozess begleitende Beratung • die normativen Vorgaben desselben akzeptiert. Wie? - Akzeptanz politiknaher Beratung als Teil der Sozial- und Rechtswissenschaft © Prof. Dr. Kilian Bizer
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Die Wissenschaft aus Sicht der Wissenschaft Wissenschaftler sind • Reputationsmaximierer oder… • …Einkommensmaximierer! • Jedenfalls nicht: „Wahrheitsmaximierer“! • D.h. nutzen System zum eigenen Vorteil • Leviathan der Politikberatung (McDeutschland, Bertelsdeutsche Rüruplik Deutschland) • „Wissenschaftsversagen“? (Achim Truger 2000) © Prof. Dr. Kilian Bizer
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Heilung des Wissenschaftsversagens: konstitutionelle Regeln • Transparenz (Zitierweise, Publikation) • Rationalität und Konsistenzprüfung • Denkbar sind auch: Empfehlungskataster, Honoraroffenlegungspflicht, Haftungsregeln • Aber notwendig ist: Verhaltensannahmen offen legen und empirisch testen, wegen Dependenz zwischen Politikempfehlung und Verhaltensannahmen © Prof. Dr. Kilian Bizer
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Optimierung der Politikberatung - aus Sicht der Wissenschaft • Qualitätssicherung der Politikberatung auf Basis der interdisziplinären Politikberatung • … Offenlegung der Verhaltensannahmen • … empirische Unterfütterung • … diskursive Kontrolle der Wissenschaft… – durch Kollegen der eigenen Disziplin? – durch Kollegen anderer Disziplinen? – durch den Bürger? © Prof. Dr. Kilian Bizer
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Das Problem der Politikberatung • •
•
Bürgerpräferenzen und Wiederwahlinteresse der Politiker stehen im Konflikt! Dabei ist unvollständige Information der Bürger durch Politiker intendiert, weil es diskretionäre Spielräume erhöht. Politikberatung durch „Geheime Räte“ vergrößert diesen Spielraum – transparente Politikberatung verringert diese!
© Prof. Dr. Kilian Bizer
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Optimierung der Politikberatung - aus Sicht der Bürger • Transparenz hilft Bürgern… • … aber noch besser sind Übersetzungen von Bürgern für Bürger: „Bürgergutachten“ • In der asymmetrischen Informationsverteilung zwischen Bürger und Politiker dient der Wissenschaftler als Element der „checks and balances“ • Breite Partizipation erhöht Druck zur Transparenz © Prof. Dr. Kilian Bizer
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Fazit in fünf Thesen 1. Politikberatung kommt häufig zu widersprüchlichen Ergebnissen ohne Verhaltensmodell offen zu legen. Teil der Widersprüche ist aufzulösen durch Diskussion des impliziten Verhaltensmodells. 2. Homo oeconomicus institutionalis: Herleitung der Politikempfehlungen aus expliziten Verhaltensmodellen und systematische empirische Validierung. © Prof. Dr. Kilian Bizer
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Fazit in fünf Thesen 3. Politikberatung ist zentrale Rechtfertigung für Sozialwissenschaften. Sie müssen das „regulatory choice“-Problem lösen. 4. Wissenschaftspolitik muss politiknahe Beratung als Teil der Sozialwissenschaften begreifen und wertschätzen. 5. Wissenschaft und Öffentlichkeit haben die Funktion von checks and balances aufgrund asymmetrisch verteilter Information zwischen Bürger und Politikern. 30 © Prof. Dr. Kilian Bizer
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
© Prof. Dr. Kilian Bizer