Anerkennungschancen und -probleme der Dienstleistungsarbeit

Stephan Voswinkel Anerkennungschancen und -probleme der Dienstleistungsarbeit (Vortrag auf der Tagung „Stolz pflegen“ der Fachhochschule der Diakonie ...
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Stephan Voswinkel Anerkennungschancen und -probleme der Dienstleistungsarbeit (Vortrag auf der Tagung „Stolz pflegen“ der Fachhochschule der Diakonie Bielefeld und der Technischen Universität Dortmund am 19. September 2011 in Bielefeld) Das Thema dieser Tagung heißt: „Stolz pflegen“. Das ist mehrdeutig: „Mit Stolz pflegen“ - dies ist die naheliegendste Bedeutung -, aber man kann auch denken: „Den Stolz pflegen“, seinen eigenen Stolz pflegen, den Stolz der Gepflegten pflegen oder: Die Pflegeeinrichtung oder die Gesellschaft sollen den Stolz der Pflegekräfte pflegen. Den eigenen Stolz pflegen - das scheint eine eher unchristliche Maxime zu sein, gilt doch die Demut dem Christen als Tugend und der Stolz als Laster. Aber auf der andern Seite wissen wir doch oder vermuten zumindest, dass Stolz auch ein gutes Gefühl ist, eines, das es fördert, mit Engagement zu arbeiten, weil man sich zufrieden und erfolgreich fühlt. Produzentenstolz - eine Kategorie aus der Facharbeiterbewegung - hat geholfen, die Arbeiterschaft in die moderne Gesellschaft zu integrieren, ihr dort einen Status zu vermitteln. Von „Dienstleisterstolz“ zu reden, ist demgegenüber ungewöhnlich - und wenn, dann denken wir hier an qualifizierte Berater, an Wissensberufe oder hochangesehene Professionen - den Arzt, den Rechtsanwalt usw.. „Pflegestolz“ - diese Wortschöpfung irritiert vorerst, und gerade diese Irritation ist es ja, die den Anlass dazu bietet, über die Möglichkeiten und die Hemmnisse nachzudenken, die sich der sozialen Aufwertung der Pflegetätigkeit stellen, einer Arbeit, die in Sonntagsreden heutzutage als extrem wichtig und als eine Zukunftsanforderung ersten Ranges beschworen wird, während man gleichzeitig Nachwuchsprobleme, hohe Fluktuation, aber auch Personal- und Ressourceneinsparungen beklagen muss. Ich möchte Ihnen hier zunächst einen etwas allgemeineren Einstieg in die Thematik vermitteln, indem ich einige grundsätzliche Überlegungen zur Anerkennung und in der Arbeit generell und speziell in der Dienstleistungsarbeit vortrage. 1.

Anerkennung

Warum Anerkennung? „Stolz“ ist kaum denkbar ohne gleichzeitigen Bezug auf „Anerkennung“. Denn er ist gebunden an die Zustimmung der Umwelt dazu, dass der oder die Stolze etwas Positives hervorgebracht hat. Insofern ist Anerkennung gewissermaßen die Voraussetzung für Stolz. Aber es gibt auch den Fall, dass Menschen gegen die Missachtung ihrer Umwelt stolz, oftmals sogar auf die Missachtung ihrer Umwelt stolz sind. Und das ist nicht unbedingt ein pathologischer Fall. Lassen Sie mich etwas ausholen, um das Verhältnis von Anerkennung und Stolz zu erläutern, eine Beziehung, die ohne den Begriff der „Identität“ nicht auskommt. Grundlegende Erfahrungen von Anerkennung sind Voraussetzung für die Entwicklung eines Selbstwertgefühls und einer Identität. Menschen entwickeln ihre Identität – dies ist eine alte Erkenntnis zumindest seit G.H. Mead (1995/1934) – im Spiegel der Wahrnehmung und Bewertung – der Anerkennung oder Missbilligung – anderer. Identität ist somit immer intersubjektiv begründet und bedarf der Anerkennung der besonderen oder des generalisierten Anderen. Besonders in einer Gesellschaft, in der der Einzelne sich in einer Vielfalt sozialer Kreise bewegt, in denen unterschiedliche Anerkennungskriterien herrschen können, ist er gezwungen, seine Identität auch in Auseinandersetzung mit diesen unterschiedlichen Anerkennungswelten zu entwickeln, sich also zu ihnen in ein reflexives Verhältnis zu setzen. Hinzu kommen seine spontanen eigensinnigen Impulse, die von Mead in Unterscheidung zum sozialen Selbst – dem Me – als I bezeichnet werden. Die Identität ist also eine dynamische Auseinandersetzung und Kombination von Me und I und deshalb steht die

2 Identität nicht nur in einem abhängigen und bedürftigen, sondern auch in einem konflikthaften Verhältnis zu den normativen Erwartungen, deren Erfüllung Voraussetzung von Anerkennung ist. Identität ist also nicht nur eine Folge von Anerkennung, sondern zugleich eine Voraussetzung. Niemand sollte „everybody’s darling“ sein, um ein Sprichwort anzutippen, Individuen müssen auch lernen, sich abzugrenzen. Wenn Menschen nun ihrerseits Anerkennung einfordern, dann tun sie dies unter Bezug auf die normative Ordnung in der Gesellschaft oder in ihrer Subkultur. Der individuelle „Kampf um Anerkennung“ (Honneth 1994) ist also stets verbunden mit einem normativ-gesellschaftlichen Kampf um Anerkennung. Ein Beispiel möge verdeutlichen, was ich mit dem normativ-gesellschaftlichen Kampf um Anerkennung meine: Menschen reklamieren Anerkennung im Hinblick auf die Leistungen, die sie in einer Gemeinschaft erbringen. Sie rekurrieren dabei auf eine zentrale Norm der Moderne, das Leistungsprinzip, und sie setzen sich mit den konkreten Leistungsbewertungen auseinander, in deren Licht sie sich anerkannt oder nicht anerkannt fühlen. Zumeist bringen sie ihre eigenen Anerkennungsforderungen ins Spiel unter Rekurs auf die generelle Norm der Leistung, aber indem sie diese zugleich in ihrem Bedeutungsgehalt modifizieren. Wenn also, um ein hier naheliegendes Beispiel zu bringen, eine Krankenschwester kritisiert, dass sie im Verhältnis zum Arzt zu wenig anerkannt wird, dann wird sie sich ihrerseits auf das Leistungsprinzip beziehen, aber darauf bestehen, dass ihre Leistung Dimensionen enthalte, die zu wenig gewichtet werden, und dass sie bei angemessenem Verständnis von Leistung in stärkerem Maße anerkannt werden müsste. Die Auseinandersetzung findet also auf dem Boden des Leistungsprinzips um die Auslegung des Leistungsprinzips statt. Wie dieses Beispiel zeigt, ist „Anerkennung“ nicht nur ein intersubjektiver Vorgang, sondern eine zumindest im soziologischen Sinne - komplexe Kategorie, die auf drei Ebenen zu betrachten ist: -

Auf einer Mikroebene - derjenigen der Interaktion und Kommunikation von Anerkennung zwischen Subjekten -, auf einer Mesoebene - auf der es um die Institutionalisierung von Anerkennung in Organisationen und Communities geht (Leistungsbewertungssysteme, Karriereparcours, Senioritätsregeln z.B.) - und auf einer Makroebene - hier sind die gesellschaftliche Prestigeordnung (etwa von Berufen) und die normativen Legitimationsverhältnisse angesprochen, nach denen sich die Gewährung von Anerkennung richtet, also die Normen, für die Menschen Anerkennung beanspruchen (z.B. das Leistungsprinzip).

Die drei Ebenen sind zwar nicht unabhängig voneinander, aber sie fallen hinsichtlich der Chancen und Probleme, Anerkennung zu erhalten, nicht zusammen. So kann jemand einen Beruf mit geringem Prestige ausüben, aber gleichwohl Anerkennung in seinen Interaktionen mit anderen Personen erfahren. Und auch jemand, der wenig beliebt bei seinen Kollegen ist, kann von Karriereregeln in Organisationen profitieren. Ich möchte drei Modi der Anerkennung unterscheiden: -

Erstens die Achtung bzw. rechtliche Anerkennung. Hier handelt es sich um die basale Anerkennung jedes Gesellschaftsmitglieds als autonomes und gleichwertiges Subjekt, unabhängig von der Sympathie, die es erfährt, oder der Leistung, die es erbringt.

-

Zweitens die emotionale Zuwendung (von Honneth „Liebe“ genannt). Hier handelt es sich um eine Art der Anerkennung in partikularen, persönlichen Beziehungen, vor allem Freundschaft, Partnerschaft und Eltern-Kind-Beziehungen.

-

Drittens die Wertschätzung. Sie bezieht sich auf besondere Eigenschaften und auf Leistungen und Beiträge zum Gemeinwohl. Dieser Modus der Anerkennung ist besonders bedeutsam in der Arbeitswelt.

3 Bevor ich mich mit der Anerkennung in der Dienstleistungsarbeit beschäftige, möchte ich noch zwei weitere wesentliche Aspekte einer soziologischen Anerkennungstheorie ansprechen: -

Erstens ist Anerkennung meist nur sinnvoll zu betrachten, wenn die Figur des Dritten berücksichtigt wird. Denn die Anerkennungsbeziehung von A und B wird in der Regel von C beobachtet und beide beziehen sich zumindest implizit auf diese Beobachtung. Wenn B zum Beispiel jemand ist, der beim Publikum hoch angesehen ist, so profitiert A in seinem Ansehen davon, wenn B ihn schätzt und das Publikum das wahrnimmt. Umgekehrt könnte es für A ein Hinderungsgrund sein, B anzuerkennen, wenn das Publikum B missachtet. Mit C ist natürlich nicht nur eine Person, sondern hiermit sind auch gesellschaftliche Organisationen, Akteure, Medien oder „die Gesellschaft“ insgesamt gemeint. Und auch A und B sind natürlich nicht unbedingt Personen, sondern können z.B. für die Ärzteschaft und die Pflegekräfte stehen.

-

Zweitens muss man zwischen einer externen und einer internen Anerkennung unterscheiden. Man differenziert dann zwischen verschiedenen Umwelten. Ein Beispiel: Wer sich in der weiteren Umwelt missachtet fühlt, kann versuchen, in einer speziellen Umwelt - seiner Bezugsgruppe, seiner Profession oder einer Subkultur - Anerkennung zu erfahren. Wer sich z.B. in der deutschen Gesellschaft als Türke nicht genügend anerkannt fühlt, wird Anerkennung in der türkischen Community suchen. Und wenn dies ein verbreitetes Schicksal ist, dann werden türkische - oder moslemische - Werte zu Referenzen gesuchter Anerkennung. Dieses werden wir schnell - vorschnell - als negatives Beispiel ansehen. Aber Abgrenzung kann auch der erste Schritt zu einer Anerkennung sein, wenn sie eine Etappe der Identitätsbildung ist. Denn in einer Arena interner Anerkennung kann der Selbstwert entstehen, mit dem dann gegenüber der weiteren Umwelt Anerkennung eingefordert und somit ein Schritt zur Integration getan werden kann.

2.

Anerkennung der Dienstleistungsarbeit

Nach diesen Bemerkungen zur Anerkennungstheorie im Allgemeinen nun zum Thema: Anerkennung (in) der Dienstleistungsarbeit. Die Spezifik der Dienstleistungsarbeit - oder genauer: der Dienstleistungsarbeit im Kundenkontakt, zu der die Pflege zählt - besteht in ihrer triangulären Beziehung. Die drei Seiten sind -

die Organisation der Dienstleistung, die Kunden der Dienstleistung und die beruflichen Selbstansprüche der Dienstleistung.

Eine interaktive Dienstleistungsarbeit hat sich also mit unterschiedlichen Erwartungen auseinander zu setzen: denjenigen der beschäftigenden Organisation, denjenigen der Kunden und den beruflichen und professionellen Normen und Werten der Dienstleistung, die auch in Organisationen wie Kammern, in Ehrencodices usw. institutionalisiert sein können und u.U. von Kollegen artikuliert werden. Organisation, Kunden und berufliche Selbstansprüche sind drei unterschiedliche Quellen von Anerkennung und Missachtung, die im Konflikt zueinander stehen können: Erwartet die Organisation effiziente und ökonomische Arbeit, so der Kunde Orientierung an der Lösung seiner Probleme bzw. an seiner subjektiven Zufriedenheit. Berufliche Maßstäbe wiederum bestehen in der Sinnhaftigkeit der Arbeit und der qualitätsgerechten Ausführung. Zu diesen Anforderungen kommen weitere hinzu: -

Die Reproduktionsbedürfnisse von Beschäftigten (die Arbeit darf nicht zu sehr belasten, es muss ein angemessenes Entgelt gezahlt werden, die Arbeit sollte man dauerhaft ausführen können usw.),

-

Anforderungen Vierter, z.B. des Staates, der Kranken- und Pflegeversicherungen usw.. Im Bereich der Pflege kommt diesen Vierten eine große und wachsende Bedeutung zu.

-

Schließlich muss oftmals zwischen verschiedenen Kategorien von Kunden unterschieden werden: Den Kunden, an denen die Dienstleistung ausgeführt wird, den Kunden, die sie in Auftrag

4 geben und denen, die sie bezahlen. In der Pflege sind diese Kundenkategorien tendenziell ausdifferenziert: Die Patienten und die Pflegebedürftige auf der einen, die Angehörigen der Pflegebedürftigen auf der anderen und die Krankenversicherung oder das Sozialamt usw. auf der dritten Seite. Es überrascht Sie nicht, wenn ich sage, dass es nahezu unmöglich ist, in der Pflege bei all diesen Kundenkategorien gleichermaßen Anerkennung zu erwerben. Man muss diese Pluralität der Anerkennungsquellen aber nicht nur als Problem, sondern man kann sie auch als Anerkennungsressource sehen. Denn sie macht es möglich, dass fehlende Anerkennung etwa seitens der Organisation durch Anerkennung im Kontakt mit den Patienten kompensiert werden kann. Missachtungserfahrungen durch Angehörige Pflegebedürftiger können durch die Wertschätzung in der Organisation oder durch den Bezug auf anerkannte professionelle Standards gekontert und den bürokratischen Vorgaben des Dokumentations- und Evaluationswesens kann man durch Reklamierung beruflicher Qualitätsstandards entgegentreten. Die Anerkennungsbeziehungen der Dienstleistungsarbeit - und mir scheint, das gilt für die Pflege noch einmal in stärkerem Maße - sind also ein komplexes Gewebe unterschiedlicher Anerkennungsquellen und -kriterien. Und Überlegungen zur Gestaltung und Verbesserung der Anerkennungsverhältnisse in der Pflege müssen diese Komplexität im Blick behalten. In der Dienstleistungsarbeit und in der Pflegearbeit sind alle Modi der Anerkennung von Bedeutung. So gibt es erstens Anerkennungs- und Missachtungserfahrungen im Modus der emotionalen Zuwendung, vor allem im Kontakt mit den Kunden bzw. den Patienten und Pflegebedürftigen, aber auch unter den KollegInnen. Auch die rechtliche Anerkennung ist von Bedeutung, was mit dem ersten Blick schnell übersehen wird: Gerade in der Pflege wissen wir doch, wie viele Pflegekräfte mit Problemen des Aufenthaltsstatus und damit ihrer rechtlichen Anerkennung zu kämpfen haben. Und wenn Pflege als „Liebesdienst“ verstanden wurde, so wurde damit oftmals ausgeblendet, dass es sich bei ihr um eine Arbeitsbeziehung mit allgemein üblichen Rechten handelt, und die emotionale Zuwendung zum Patienten wurde zu einer vorrangigen normativen Pflicht gemacht (Rieder 1999). Im Zentrum der Pflege als Beruf steht natürlich drittens der Modus der Wertschätzung für die Arbeit und die Leistung - und gerade hier ist die Pflege ein Musterbeispiel für einen gesellschaftlichen Aushandlungsprozess um das Verständnis des Leistungsprinzips und damit um die Wertschätzungs- und Prestigerelationen der Berufe und Professionen wie auch der unterschiedlichen Aspekte der Dienst-Leistung. Aber nicht nur wenn es um die Anerkennung der Pflegekraft geht, sind die verschiedenen Modi der Anerkennung von Bedeutung, sondern auch in der Anerkennungsbeziehung der Pflegekräfte zu den Pflegebedürftigen. Auch hier geht es um die Achtung - für die Menschenwürde und die Autonomie der Pflegebedürftigen als menschliche Subjekte, die nicht zu reinen Objekten und Gegenständen der Pflegearbeit gemacht werden dürfen. Die emotionale Zuwendung spielt ebenfalls eine große Rolle im Sinne von Empathie und Fürsorge. Schließlich sollte auch die verbliebene Leistungsfähigkeit der Pflegebedürftigen wertgeschätzt werden, weil auch dies ein Beitrag zur Wahrung ihrer Selbstständigkeit und ihres Selbstwertgefühls ist. Die Anerkennungsbeziehung zwischen Pflegenden und Gepflegten ist also als eine wechselseitige zu betrachten. In diesem Sinne kann die Anerkennung der Pflegenden durch die Pflegebedürftigen gefördert werden, wenn die Pflegekräfte ihrerseits den Pflegebedürftigen Anerkennung in den verschiedenen Modi entgegen bringen. Betrachten wir noch die drei Ebenen einer Anerkennungsanalyse: die Mikro-, die Meso- und die Makroebene, so sehen wir, dass die in der Interaktion mit Kollegen, Vorgesetzten, Kunden und Patienten erfahrenen Anerkennungs- oder Missachtungserweise (Mikroebene) nicht losgelöst betrachtet werden können von den Institutionen der Anerkennung in der Organisation (Leistungsbewertung, Beschäftigungsregeln usw.) (Mesoebene). Und sie können auch nicht getrennt werden vom Prestige des Berufs in der Gesellschaft generell, der wiederum mit dem gesellschaftlich dominanten Verständnis dessen zusammenhängt, was als zentrale Leistung oder als produktive Arbeit gilt. Und man kann dabei nicht schweigen über die Beziehungen der Geschlechter und die

5 geschlechtlichen Konnotationen von Arbeiten oder die mangelnde Wertschätzung von Alter und Krankheit. 3.

Probleme der Anerkennung

Anerkennung ist ebenso wichtig wie schwierig. Sie ist positiv für Identität und Selbstwert, aber sie kann auch Konflikte und Missverständnissee auslösen. Deshalb möchte ich hier noch auf einige Schwierigkeiten und Gefahren der Anerkennung allgemein und im Besonderen in der Dienstleistungsarbeit hinweisen: 1.

Das Anerkennungsmismatch

Zwischen Anerkennungsbezeigung und Anerkennungserwartung kann ein Mismatch bestehen. Denn die Kommunikation von Anerkennung, Nicht-Anerkennung und Missachtung ist ein komplexer sozialer Vorgang, weil sie wie jede Kommunikation die Beziehung zwischen Kommunikator, Kommunikationsadressat, Drittem und Sinnkontext der Situation betrifft. Die Gefahr ist daher groß, dass Anerkennungskommunikationen misslingen und dann evtl. sogar zur Missachtungskommunikation werden. Nehmen wir das Beispiel des Lobs (Paris 1998): Wer einen Anderen loben will, bringt damit zum einen seine Anerkennung zum Ausdruck. Zugleich aber präsentiert er sich selbst als jemand, der berechtigt ist zu loben. Er zeigt sich damit in der Regel als überlegen oder doch als kompetent in der Sache, derentwegen gelobt wird. Damit stellen sich für den Empfänger des Lobs verschiedene Probleme: Versteht er das Lob richtig und hält es für aufrichtig? Anerkennt er selbst den Lobenden als einen, der berechtigt ist, ihn zu loben? Ist ihm das Lob des Lobenden angenehm oder fühlt er sich diskreditiert, wenn er von dieser Person gelobt wird? Wie verhält er sich zu der im Lob in der Regel enthaltenen Aufforderung, sein Verhalten fortzusetzen? Wie werden die Zuhörenden reagieren? Definiert das Lob für sie eine besondere Beziehung zwischen Lobendem und Gelobtem? Fühlen sich andere zurückgesetzt? Wird sein Ansehen bei Dritten durch dieses Lob vielleicht sogar geschädigt? Passt das Lob in die Situation? 2.

Inkongruenz von Kommunikation und Struktur

Verbreitet ist die Vorstellung, Anerkennung und Wertschätzung in der Arbeit seien vor allem eine Sache der Kommunikation des Vorgesetzten oder der Philosophie der Organisation. Das ist zwar nicht falsch, aber unzureichend. Denn Anerkennung ist in der Struktur und der Praxis der Organisation institutionalisiert. Wenn Beschäftigte erfahren, dass sie nicht angemessen bezahlt werden, dass sie keine transparenten Aufstiegschancen haben, dass Hire and Fire die Politik des Unternehmens ist, dann werden sie auch die gut gemeinte wertschätzende Kommunikation ihres Chefs eher als Zynismus empfinden denn als Anerkennung. 3.

Verengung von Anerkennung auf Beurteilung

Organisationen liegt es nahe, Anerkennung mit organisationstypischen Mitteln zu formalisieren. Hierzu zählen Bezahlung, Leistungsbeurteilung und persönliche Entwicklungsförderung. Auch das ist nicht falsch - und man kann sogar sagen, dass eine Anerkennung, die sich nicht auch in dieser Weise ausdrückt, ein Glaubwürdigkeitsdefizit hat. Aber problematisch ist etwas, was wir in unserer Forschung häufiger finden konnten, nämlich dass Anerkennung leicht mit Beurteilung identifiziert wird, die dann formalisierten Verfahren unterliegt und damit ihren persönlichen Charakter einbüßt. 4.

Kompetitive Wertschätzung

Hiermit verbunden ist das Problem, dass Wertschätzung verteilt werden muss, und zwar - wenn es sich nicht um Nasenprämien handeln soll - nach nachvollziehbaren Kriterien. Da Wertschätzung, zumal wenn sie an unterschiedliche Leistungen gebunden ist, differenziert vergeben wird, drückt sie auch Ungleichheit aus und wird tendenziell zu einem Nullsummenspiel: Die besondere Wertschätzung, ja Bewunderung des einen ist die mangelnde Wertschätzung des anderen. Damit geht die

6 Gefahr einher, dass die Motivation der einen die Demotivation und schlimmstenfalls sogar die interne Kündigung der anderen zur Folge hat. Deshalb ist es wichtig, differenzierende Wertschätzung für die „Leistungsträger“ mit Formen kollektiver Wertschätzung und der Würdigung auch normaler Leistungen und von Bemühungen zu verbinden. 5.

Die Ambivalenz der Anerkennung unsichtbarer Arbeit

Viele Arbeiten sind unsichtbar: Arbeiten, die im Schatten ausgeübt werden: illegale Arbeit, aber auch Arbeiten in der Nacht, etwa Reinigungstätigkeiten. Vor allem aber gibt es in arbeitsteiligen Prozessen immer Arbeiten, die im Backoffice stattfinden, und Routinearbeiten ohne Aufmerksamkeitswert, die kein sichtbares Resultat erbringen. Schließlich gibt es Arbeitsbestandteile, die im Arbeitsergebnis nicht sichtbar sind: Zum Beispiel Emotionsarbeiten, die für den Kunden gerade nicht sichtbar werden dürfen, aber auch erfahrungsgeleitetes Arbeitshandeln, das nicht messbar und als Kompetenz nicht formalisierbar ist. Unsichtbare Arbeiten sind zudem oftmals Gewährleistungsarbeiten für sichtbare Arbeiten: z.B. die Arbeit der Sekretärin und der Arzthelferin, aber auch von Pflegekräften im Verhältnis etwa zur Tätigkeit des Arztes, der die sichtbare Arbeit leistet. Unsichtbare Arbeiten haben meist ein Anerkennungsdefizit, da sie spontan nicht beachtet werden. Ihre Sichtbarkeit muss hergestellt werden. Auf der andern Seite aber gibt es auch ein Interesse von Beschäftigten, dass ihre Arbeit nicht sichtbar wird, weil Sichtbarkeit nämlich auch die Voraussetzung für Kontrolle und Messung ist. Hieraus ergibt sich eine Ambivalenz der Sichtbarkeit von Arbeit: Sie ist oftmals Voraussetzung dafür, dass Menschen Wirksamkeitserfahrungen in ihrer Arbeit machen können, sie kann aber auch die Autonomie in der Arbeit gefährden. Ein Weg, die Ambivalenz von Sichtbarkeit zu bearbeiten, ist die Institutionalisierung von Arbeitsweisen und die Überführung von Bewertung in Status, etwa durch Professionalisierung. Kontrolle wird dann durch Vertrauen relativiert und eine stabilere Anerkennung tritt an die Stelle regelmäßiger Neubewertungen. 6.

Definition der „eigentlichen“ Arbeit

Das Problem der unsichtbaren Arbeit steht im Zusammenhang mit der Frage, was in einem Arbeitsfeld als die „eigentliche“ Arbeit, als zentraler Gegenstand, als wesentlicher Sinn der Arbeit gilt. Hier erinnere ich an die Triangularität (oder Mehrangularität) zwischen Organisationsanforderungen, Kundenzufriedenheit und beruflichen Selbstansprüchen, in der oftmals unterschiedliche Vorstellungen darüber bestehen, was der „eigentliche“ Gehalt der Arbeit ist. Die Pflege ist für diese Problematik ein klassisches Beispiel: Denn hier klaffen tiefe Gräben zwischen dem Verständnis einer guten Pflege in staatlichen Regulierungen, in Erwartungen der Organisation und der Angehörigen als Kunden sowie in der Zufriedenheit der Patienten und Pflegebedürftigen und nicht zuletzt im Verständnis der Pflegekräfte. Wenn sie ihre „eigentliche“ Arbeit vernachlässigen müssen, empfinden Pflegekräfte dies oftmals als mangelnde Wertschätzung ihrer Arbeit. In diesem Sinne ist der Aufwand für bürokratische Dokumentierungszwänge nicht nur lästig, sondern wird als Ausdruck der Missachtung ihrer „eigentlichen Arbeit“ und ihres professionellen Selbstverständnisses empfunden. Wichtig für die Erfahrung der angemessenen Anerkennung ist also, dass die Pflegenden befähigt werden, ihr Verständnis einer guten und in diesem Sinne „eigentlichen“ Pflege zu definieren und zu stärken und hierfür in der Gesellschaft Anerkennung einzufordern. 4.

Anerkennung und Stolz

Anerkennung ist also auf der einen Seite förderlich für Stolz. Deshalb muss das Prestige der Pflege gehoben, die Wertschätzung in der Organisation erhöht, die Anerkennung und emotionale Zuwendung zwischen Patienten und Pflegenden gesteigert werden. Aber vor allem müssen das berufliche und professionelle Selbstverständnis und die angemessene Definition der Inhalte der „eigentlichen“ Pflege verbessert werden. Das ist nicht nur Voraussetzung dafür, die gesellschaftliche Anerkennung der Pflege zu steigern, sondern auch die Basis dafür, dass Pflegende Stolz auf ihre Arbeit auch schon dann entwickeln können, wenn ihr Beruf noch nicht das Prestige erworben hat, was ihr

7 zukommt. In diesem Sinne geht es um externe, aber auch um interne Anerkennung, wenn es gilt: Stolz pflegen. Literatur Mead, George Herbert (1995/1934): Geist, Identität und Gesellschaft. Frankfurt a.M. 10.Aufl.: Suhrkamp. Holtgrewe, Ursula / Voswinkel, Stephan / Wagner, Gabriele (Hg) (2000): Anerkennung und Arbeit. Konstanz: UVK. Honneth, Axel (1994): Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Paris, Rainer (1998): Stachel und Speer. Machtstudien. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Rieder, Kerstin (1999): Zwischen Lohnarbeit und Liebesdienst. Weinheim, München: Juventa. Voswinkel, Stephan (2005): Welche Kundenorientierung? Anerkennung in der Dienstleistungsarbeit. Berlin: edition sigma. Voswinkel, Stephan (2005): Reziprozität und Anerkennung in Arbeitsbeziehungen; in: Adloff, Frank/Mau, Steffen (Hg): Vom Geben und Nehmen. Zur Soziologie der Reziprozität. Frankfurt/M-New York; Campus; S. 237-256. Voswinkel, Stephan (2010): Von neuen Freiheiten und Zwängen. Zum Ambivalenz der Sichtbarkeit von Arbeit; in: Forschung Frankfurt H.2; S. 51-53.

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