Anatomie und Kinematik des Schultergelenkes

Anatomie und Kinematik des Schultergelenkes 2 A. Halder Die Schulter hat das größte Bewegungsausmaß aller Gelenke des menschlichen Körpers. Einerse...
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Anatomie und Kinematik des Schultergelenkes

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A. Halder

Die Schulter hat das größte Bewegungsausmaß aller Gelenke des menschlichen Körpers. Einerseits ist diese Beweglichkeit auf die geringe knöcherne Kongruenz der GelenkÀächen zurückzuführen. Die Stabilität der Gelenke des Schulterkomplexes hängt mehr von den umgebenden Bändern, Sehnen und Muskeln ab. Folglich sind die Gelenke anfällig für Verletzung und Degeneration (Blasier et al. 1992). Andererseits besteht der Schulterkomplex aus zwei Gelenkstrukturen, die sich die Gesamtbewegung teilen und so das Bewegungsausmaß vergrößern: der skapulothorakalen Artikulation und dem Glenohumeralgelenk. Diese Zusammensetzung erlaubt den beteiligten Muskeln, im wirkungsvollsten Teil ihrer Längen-SpannungsKurve zu arbeiten (Perry 1988) und lässt zu, dass die Skapula in der Bewegung unter dem Humeruskopf platziert wird, um einen Teil des Armgewichtes zu tragen (Jobe 1998).

2.1 Glenohumeralgelenk 2.1.1 Knöcherne Strukturen 2.1.1.1 Humeruskopf Die GelenkoberÀäche des Humeruskopfes hat eine ovaläre Form, die nach medial, kranial und dorsal zeigt. Der Humeruskopf ist etwa 130 Grad nach kranial relativ zum Schaft gewinkelt und 30 Grad nach dorsal relativ zu den distalen Kondylen des Humerus (Iannotti

et al. 1992). Die GelenkoberÀäche des Humeruskopfes stellt nahezu eine Halbkreisform dar. Die Ränder sind etwa 45 Grad relativ zum Humerusschaft gekippt (Abb. 2.3). Im Gegensatz zum Glenoid ist der Knorpel im Zentrum des Humeruskopfes am dicksten. Die ventrale Grenze der GelenkoberÀäche ist das Tuberculum minus und seine laterale Begrenzung ist das Tuberculum majus mit dem Sulcus intertubercularis dazwischen. Zusammen mit der medialen OberÀäche des chirurgischen Halses stellt der Rand der GelenkoberÀäche das Ansatzareal für den Ring aus Sehnen und Bändern um das Glenohumeralgelenk herum dar. Dieser Ring stabilisiert das Gelenk, indem er den Humeruskopf durch Anspannung der Sehnen und Bänder auf dem Glenoid zentriert. Der Sulcus intertubercularis liegt 30 Grad medial (O’Brien et al. 1998) oder 9 mm ventral von der zentralen Achse der GelenkoberÀäche. Er ist ventral vom Tuberculum minus und dorsal vom Tuberculum majus begrenzt. Das Ligamentum transversum humeri überbrückt den Sulcus intertubercularis proximal und dient als Retinakulum für die lange Bizepssehne. Distal inseriert die Subskapularissehne am Tuberculum minus und bildet den Boden des Sulcus bicipitalis. Die Supraspinatussehne inseriert am Tuberculum majus und bildet das Dach des Sulcus bicipitalis. Die Tiefe des Sulcus intertubercularis scheint eine Rolle in der Pathogenese der Tendinitis der langen Bizepssehne zu spielen, indem diese mehr oder weniger einer subakromialen Einklemmung ausgesetzt ist. Das Tuberculum majus hat eine kraniale, eine mittlere und eine kaudale Facette (Soslowsky et al. 1992). Die Supraspinatussehne setzt an der kranialen Facette und an der kranialen Hälfte der mittleren Facette an.

M. Loew (Hrsg.), AE-Manual der Endoprothetik, DOI 10.1007/978-3-642-02854-0_2, © Arbeitsgemeinschaft Endoprothetik 2010

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Die ventralen Fasern der Supraspinatussehne sind mit den Fasern der Subskapularissehne vernetzt. Dorsal setzt die Infraspinatussehne an der mittleren Facette des Tuberculum majus an und bedeckt den dorsalen Rand der Supraspinatussehne. Der M. teres minor setzt an der kaudalen Facette an. 2.1.1.2 Glenoid Unterhalb des Akromions verdickt sich die Àache Skapula, um das Glenoid zu bilden (Abb. 2.1). Die Incisura spinoglenoidalis trennt die Basis des Akromions vom Glenoid. Seine leicht konkave OberÀäche ist wie ein umgekehrtes Komma geformt mit einer ventralen Inzisur und sein Krümmungsradius ist geringfügig größer als der des Humeruskopfes (Iannotti et al. 1992). Die GesamtoberÀäche des Glenoids ist drei- bis viermal kleiner als die des Humeruskopfes. Zentral auf dem Glenoid be¿ndet sich eine Region dünnen Knorpels. Die OberÀäche des Glenoids steht nahezu rechtwinklig zur Ebene der Skapula. Sie zeigt nach lateral und 10–15 Grad nach kranial relativ zum medialen Rand der Skapula. Saha (1971) beschrieb eine Retroversion des Glenoids von durchschnittlich 7,4 Grad in 75% der Fälle und eine Anteversion von durchschnittlich 2– 10 Grad in 25% der Fälle. An seiner kranialen Spitze ist das Tuberculum supraglenoidale, der Ursprung der langen Bizepssehne. An seinem kaudalen Pol ist das Tuberberculum infraglenoidale, der Ursprung der langen Trizepssehne.

3–5°



2.1.2 Kapsel und Bänder 2.1.2.1 Gelenkkapsel Die Kapsel des Glenohumeralgelenkes hat ein Volumen von normalerweise 10–15 ml und die doppelte OberÀäche des Humeruskopfes (O’Brien et al. 1998). Sie ist innenseitig von Synovialis bedeckt. Auf der Außenseite überdecken und schützen die Sehnen der Rotatorenmanschette die Kapsel mit Ausnahme eines kaudalen Intervalls von allen Seiten. Die Sehnen des M. subscapularis und des M. supraspinatus sind ansatznah mit der Gelenkkapsel verwachsen. Die Kapsel geht vom Rand des Labrum glenoidale aus, mit dessen peripherem Rand sie verwachsen ist, und ist im Knochen des Glenoidhalses verankert. Sie reicht kranial bis zum Processus coracoideus und in unterschiedlicher Länge entlang der Bizepssehne in den Sulcus bicipitalis hinein. Sie setzt am anatomischen Hals des Humeruskopfes nahe am Knorpelknochenübergang an und bildet kaudal den Recessus axillaris. Abgesehen vom Ausgang der langen Bizepssehne hat die Gelenkkapsel eine Lücke ventral für den Recessus subscapularis. Histologisch ist die Kapsel aus drei Schichten aufgebaut: Eine äußere und eine innere Schicht aus Fasern, die direkt vom Glenoid zum Humuskopf laufen, und eine mittlere Schicht aus Fasern, die zirkulär in der Sagittalebene um das Glenohumeralgelenk herum verlaufen. Die glenohumeralen Bänder verstärken die Gelenkkapsel. Sie stellen eine Verdickung der inneren Schicht mit geordneten Kollagenfaserbündeln in der Frontalebene dar. Eine Verdickung der mittleren Schicht der Gelenkkapsel verstärkt den Recessus axillaris. Im Gegensatz zur ventralen Gelenkkapsel ist die dorsale Gelenkkapsel dünn.

2.1.2.2 Labrum glenoidale

Abb. 2.1. Die dreidimensionale Orientierung des Glenoids relativ zum medialen Rand und zur Ebene der Scapula. (Aus Morrey et al. 1998, S. 244)

Das Labrum glenoidale ist eine ringförmige Struktur mit einem dreieckigen Querschnitt, der die Peripherie der Fossa glenoidalis mit seinem freien Rand überdeckt. Es besteht aus dichten Kollagenfasern und ist vaskularisiert. Seine Basis ist mit dem Rand der Fossa glenoidalis durch Faserknorpel und Faserknochen verbunden.

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Es ist mit den glenohumeralen Bändern verwachsen und geht kranial am Tuberculum supraglenoidale in die lange Bizepssehne über. Das Labrum glenoidale bildet zusammen mit den glenohumeralen Bändern einen periartikulären Faserring, der das Glenoid umschließt. Er ist kaudal fest mit dem Hals der Skapula verwachsen und unmittelbar mit der GelenkoberÀäche verbunden, während kranial ein Spalt zwischen GelenkoberÀäche und periartikulärem Faserring besteht.

2.1.2.3 Ligamente Das Lig. coracohumerale (Abb. 2.2) geht von der Basis und dem lateralen Rand des Processus coracoideus aus und zieht schräg zum Tuberculum majus. Sein ventraler Rand ist medial abgrenzbar und lateral verwachsen, während sein dorsaler Rand nicht abgrenzbar ist. Es

Tendo capitis longi mi. bicipitis hintere Kapsel

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bildet das Dach des Rotatorenmanschettenintervalls und verbindet sich ansatznah mit der Supraspinatusund Subskapularissehne. Es begrenzt lateral die lange Bizepssehne im Sulcus bicipitalis. Das Lig. humeri transversum bildet das Dach des proximalen Endes des Sulcus bicipitalis. Es besteht aus transversalen Fasern der Gelenkkapsel. Es wirkt als Retinaculum für die lange Bizepssehne. Obwohl stets vorhanden, ist das Lig. glenohumerale superius unterschiedlich in der Ausprägung und im Ursprung. Es geht vom ventralen Labrum aus, kranial nahe dem Ursprung der langen Bizepssehne oder kaudal nahe dem Lig. glenohumerale medius. Es zieht schräg über das Rotatorenmanschettenintervall, um kranial des Tuberculum minus anzusetzen. Das Lig. glenohumerale medius zeigt die größte Variabilität in der QuerschnittsÀäche. Es kann so dünn sein wie die Gelenkkapsel oder so dick wie die Subskapularissehne. Es geht vom ventralen Labrum oder vom Glenoidhals aus und setzt am Tuberculum minus unter der Subskapularissehne an, mit der es verwachsen ist. Das Lig. glenohumerale inferius ist stärker als die Gelenkkapsel, wobei es in Größe und Ursprung variabel ist. Seine Struktur ähnelt einer Hängematte, da es aus einem prominenten ventralen und dorsalen Band besteht mit dem Recessus axillaris dazwischen. Teilt man die OberÀäche des Glenoids wie eine Uhr ein, so entspringt das ventrale Band des Lig. glenohumerale

30–40°

45°

Lig. glenohumerale medium vorderes Band Lig. glenohumerale caudale

hinteres Band

Abb. 2.2. Bänder des Glenohumeralgelenkes. B lange Bizepssehne; SGHL Lig. glenohumerale superius; MGHL Lig. glenohumerale medius; IGHLC Lig.-glenohumerale-inferius-Komplex; AB anteriores Band; PB posteriores Band; AP Recessus axillaris; A ventral; P dorsal. (Aus O’Brien et al. 1998, S. 26)

Abb. 2.3. Die dreidimensionale Orientierung der GelenkoberÀäche des Humeruskopfes relativ zur Achse der Ellenbogenkondylen. (Aus Morrey et al. 1998, S. 244)

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inferius vom Glenoid oder Labrum glenoidale von der 2- bis 4-Uhr-Position und das dorsale Band von der 7bis 9-Uhr-Position. Es setzt am anatomischen Hals des Humerus unterhalb des Knorpelknochenüberganges u- oder v-förmig an (O’Brien et al. 1990, 1998).

2.1.3 Muskulatur 2.1.3.1 Musculus supraspinatus Der M. supraspinatus entspringt in der Fossa supraspinata und hat seinen sehnigen Ansatz am Tuberculum majus. Der Muskelbauch ist spindelförmig mit einem dicken sehnigen Kern, der intramuskulären Sehne, die im ventralen Drittel lokalisiert ist. Etwa 70% der Muskelfasern setzen an der intramuskulären Sehne an, während nur 30% direkt in die extramuskuläre Sehne übergehen. Dieser Muskel ist als ein mehrschichtiger Muskel charakterisiert. Während die oberÀächlichen Fasern in Sehnenrichtung längs verlaufen, ziehen die tiefen Fasern schräg ventral zum Rotatorenmanschettenintervall und dorsal zur Infraspinatussehne und formen somit einen sehnigen Ring (Jobe 1998). Der M. supraspinatus ist Teil eines Kräftepaares, durch das das Glenohumeralgelenk durch Kompression stabilisiert wird. Er startet die Abduktion (Howell et al. 1988). Im Falle einer Parese des M. supraspinatus wird zur Abduktion mehr Kraft des M. deltoideus notwendig, aber die anderen Rotatoren sind noch immer in der Lage, den Humeruskopf ausreichend im Glenoid zu zentrieren und zu stabilisieren, um eine freie Bewegung zu ermöglichen (Perry 1988). Der N. suprascapularis (C4–C6) innerviert den M. supraspinatus. 2.1.3.2 Musculus infraspinatus Der M. infraspinatus hat seinen Ursprung in der Fossa infraspinata und an der Spina scapulae, um mit einer Àachen Sehne an der mittleren Facette des Tuberculum majus zu inserieren. Er ist ebenfalls ein mehrschichtiger Muskel mit einer intramuskulären Sehne, die im Zentrum des Muskels liegt und diesen in eine kraniale und kaudale Hälfte teilt. Die Infraspinatussehne geht kranial ansatznah in die Supraspinatussehne und kaudal in die Sehne des M. teres minor über. Der M.

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infraspinatus stabilisiert das Glenohumeralgelenk, indem er dorsaler und kranialer Translation des Humeruskopfes widersteht und er erzeugt 60% der gesamten Außenrotationskraft. Der N. suprascapularis (C4–C6) innerviert den M. infraspinatus. 2.1.3.3 Musculus teres minor Ursprung des M. teres minor ist die laterale Kante der Skapula und die Faszie des M. infraspinatus. Sein Àeischiger Ansatz ist unterhalb der Infraspinatussehne an der kaudalen Facette des Tuberculum majus und bis zu 2 cm weiter kaudal am chirurgischen Hals. Ähnlich wie der M. infraspinatus ist er ein mehrschichtiger Muskel mit einer einzigen intramuskulären Sehne im Zentrum des Muskelbauches. Der M. teres minor wirkt als ein Stabilisator des Glenohumeralgelenkes, indem er der dorsalen und kranialen Verschiebung des Humeruskopfes widersteht. Er erzeugt 40% der gesamten Außenrotationskraft. Der Ramus dorsalis des N. axillaris (C5–C6) innerviert den M.teres minor. 2.1.3.4 Musculus subscapularis Der M. subscapularis hat seinen Ursprung in der Fossa subscapularis und setzt am Tuberculum minus an. Seine sehnigen Bänder sind gleichmäßig im medialen Anteil des Muskels verteilt und verdichten sich lateral zu einer Àachen Sehne in den kranialen zwei Dritteln, während das kaudale Drittel muskulär bleibt. Kranial ist die Subskapularissehne über das Rotatorenmanschettenintervall mit der Supraspinatussehne verbunden und geht ansatznah in sie über. Der Muskel hat mehrere intramuskuläre Sehnen und wird ebenfalls als mehrschichtiger Muskel charakterisiert. Fasern der Subskapularissehne kreuzen den Sulcus intertubercularis, um den Boden des Sulcus bicipitalis zu bilden. Als einzige Komponente der ventralen Rotatorenmanschette stabilisiert er aktiv das Glenohumeralgelenk, indem er der ventralen und kaudalen Translation des Humeruskopfes widersteht (Inman et al. 1944) und wirkt als starker Innenrotator. Er wird ebenfalls als passiver Stabilisator des Glenohumeralgelenkes angesehen (Tillett et al. 1993; Urayama et al. 1998) aufgrund der dichten Kollagenstruktur seiner Sehne und ihrer engen Verbindung mit dem mittleren und inferioren glenohumeralen Band. Zwei Äste des N.

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subscapularis innervieren den kranialen und kaudalen Anteil des M. subscapularis. 2.1.3.5 Musculus deltoideus Der M. deltoideus besteht aus einem klavikulären Anteil, der seinen Ursprung an der lateralen Klavikula hat, einem akromialen Anteil, der seinen Ursprung am Akromion hat und einem spinalen Anteil, der seinen Ursprung an der Spina scapulae hat. Der gemeinsame Ansatz ist das Tuberculum deltoideum am Humerus. Der M. deltoideus ist der wichtigste Abduktor des Glenohumeralgelenkes. Obwohl der akromiale Anteil der stärkste ist und die Bewegung beginnt, nehmen der klavikuläre und spinale Anteil in höheren Abduktionsgraden teil. Umgekehrt nehmen der klavikuläre und spinale Anteil des M. deltoideus bei geringgradiger Abduktion an der Adduktion des Armes teil (Kapandji 1982). Zusätzlich führt der ventrale Anteil die Flexion und der dorsale Anteil die Extension aus. Eine Lähmung des M. deltoideus führt zu einem Verlust von 50% der Abduktionskraft. Der N. axillaris (C4–C5) innerviert den M. deltoideus.

2.1.3.6 Musculus teres major Der M. teres major entspringt von der dorsalen OberÀäche des kaudalen Anteils der Skapula, um am medialen Rand des Sulcus intertubercularis sehnig anzusetzen. In seinem Verlauf rotiert er um 180 Grad, wodurch die dorsalen Fasern ventral ansetzen (Tillett et al. 1993). Seine Funktion ist die Innenrotation, Adduktion und Extension des Humerus. Der N. subscapularis (C5–C7) innerviert den M. teres major.

2.1.3.7 Musculus biceps brachii Der lange Kopf des M. biceps entspringt mit seiner Sehne am Tuberculum supraglenoidale. Von der Synovialmembran umhüllt, verläuft sie intraartikulär auf dem Humeruskopf, um die Gelenkkapsel durch den Sulcus bicipitalis zu verlassen. Der kurze Kopf des M. biceps entspringt vom Processus coracoideus. Beide Köpfe haben einen gemeinsamen Ansatz an der Tuberositas radii und an der ulnaren Unterarm-

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faszie. Obwohl er als Stabilisator des Humeruskopfes wirkt (Perry 1988), ist seine wesentliche Funktion die Flexion des Ellenbogengelenkes und die Supination des Unterarmes. Der M. biceps ist innerviert vom N. musculocutaneus (C5–C6). 2.1.3.8 Musculus triceps brachii Der lange Kopf des M. triceps entspringt vom Tuberculum infraglenoidale und vom kaudalen Labrum, um gemeinsam mit den beiden anderen Köpfen am Olekranon anzusetzen. Der lange Kopf nimmt an der Extension und an der Adduktion im Glenohumeralgelenk teil. Die Hauptfunktion des gesamten Muskels ist aber die Extension im Ellenbogengelenk. Der M. triceps (C6–C8) wird durch den N. radialis innerviert. 2.1.3.9 Musculus coracobrachialis Der M. coracobrachialis entspringt zusammen mit dem kurzen Kopf des M. biceps vom Processus coracoideus, um ventromedial am Humerus anzusetzen. Er nimmt an der Flexion und Adduktion im Glenohumeralgelenk teil. Der N. musculocutaneus tritt in den M. coracobrachialis 2–5 cm kaudal des Processus coracoideus ein, um ihn zu innervieren.

2.1.4 Bewegung Der Humeruskopf und das Glenoid sind weitgehend kongruent. Der Humeruskopf hat in ventrodorsaler Richtung einen kleineren Radius als in kraniokaudaler (Iannotti et al. 1992; McPherson et al. 1997). Soslowsky hat die Sphärizität des Humeruskopfes mittels Stereophotometrie gemessen und festgestellt, dass die GelenkoberÀäche des Humeruskopfes eine Halbkugelform hat mit Abweichungen von unter einem Prozent des Radius (Soslowsky et al. 1992). Nach Boileau u. Walch (1997) beträgt die Differenz der Durchmesser des Humeruskopfes in 88,2% der Fälle weniger als einen Millimeter. Das Glenohumeralgelenk zeigt im Wesentlichen die Kinematik eines Kugelgelenkes. Während der aktiven und passiven Abduktion beträgt die kraniokaudale Translation des Humeruskopfes in gesunden Schultergelenken nur 0,3–0,35 mm

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(Chen et al. 1999; Harryman et al. 1990). Die ventrodorsale Translation ist wesentlich größer. Während der Flexion verschiebt sich der Humeruskopf durchschnittlich 3,8 mm nach ventral, während der Extension durchschnittlich 4,9 mm nach dorsal und während der horizontalen Extension durchschnittlich 4 mm nach ventral. In ventrodorsaler Richtung treten größere Translationen des Humeruskopfes als in kraniokaudaler Richtung auf, da das Glenoid einen kleineren Radius in kraniokaudaler Richtung (32,2 ± 7,6 mm) als in ventrodorsaler Richtung hat (40,6 ± 14 mm). Erkrankungen des Schultergelenkes verändern die Kinematik des Glenohumeralgelenkes. Inkomplette oder komplette Rotatorenmanschettenrupturen führten typischerweise zu einer kranialen Migration des Humeruskopfes während der Abduktion. Diese Migration wird durch das Ungleichgewicht zwischen dem M. deltoideus und den insuf¿zienten Rotatoren hervorgerufen (Abb. 2.4; Poppen u. Walker 1976). Auch bei intakter Rotatorenmanschette kann Muskelermüdung zu einer kranialen Migration des Humeruskopfes führen. Bei ventraler Instabilität des Glenohumeralgelenkes verschiebt sich der Humeruskopf bei horizontaler Extension und Außenrotation weiter nach ventral. Bei Schultersteife verschiebt sich der Humeruskopf schon zu Beginn der Abduktion nach kranial. Harryman zeigte, dass die Translation des Humeruskopfes auch passive Bewegungen des Glenohumeralgelenkes begleitet (Harryman et al. 1990). Der

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Humeruskopf verschiebt sich nach ventral bei Flexion und nach dorsal bei Extension des Armes. Diese Verschiebung wird durch die Anspannung der Kapselbandbandstrukturen während der Bewegung bewirkt (Abb. 2.5). Eine übermäßige Anspannung der ventralen Kapsel nach ventraler Kapselplastik führt zur dorsalen Subluxation des Humeruskopfes. Browne stellte in der Bewegungsanalyse fest, dass die maximale glenohumerale Abduktion in einer Ebene 23 Grad ventral der Skapulaebene bei 35 Grad Außenrotation des Armes erreicht wird. Die maximale humerothorakale Abduktion wird in einer Ebene 4 Grad dorsal der Skapulaebene erreicht (Pearl et al. 1992). Dieser Widerspruch ergibt sich aus dem Unterschied zwischen der isolierten Bewegung des Glenohumeralgelenkes und der kombinierten Bewegung des Glenohumeral- und Skapulothorakalgelenkes. Die Außenrotation des Glenohumeralgelenkes während der Abduktion ist notwendig, um das Tuberculum majus

straffe vordere Kapsel

P

straffe vordere Kapsel

P

Außenrotation

Abb. 2.4. Inkomplette oder komplette Rotatorenmanschettenrupturen sind typischerweise mit einer kranialen Translation des Humeruskopfes bei Abduktion verbunden. (Aus Matsen et al. 1994)

Abb. 2.5. Die Translation des Humerus auf dem Glenoid begleitet aktive und passive Bewegungen des Glenohumeralgelenkes bedingt durch die Anspannung des Kapselbandapparates. (Aus Matsen et al. 1994)

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Abb. 2.6 a–d Das Lig. glenohumerale inferius wirkt bei Abduktion wie eine Hängematte (a, b) Bei Abduktion und Außenrotation (c) spannt sich das ventrale Band des aus, um den Humeruskopf zu unterstützen, während sich das dorsale Band strangförmig verdickt. Das Gegenteil geschieht bei Innenrotation (d). (Aus O’Brien et al. 1998, S. 20)

a

c

vom korakoakromialen Bogen wegzudrehen und die retrovertierte GelenkÀäche am Humeruskopf in eine optimale Position zur GelenkÀäche des Glenoids zu bringen. Bei Außenrotation des Armes ist ein größerer Anteil der GelenkÀächen in Kontakt (Jobe 1998).

2.1.5 Stabilität Zur Stabilität des Glenohumeralgelenkes tragen neben dem knöchernen Formschluss der Labrum-KapselBand-Komplex und die skapulohumerale Muskulatur bei.

b

d

2.1.5.1 Knöcherne Strukturen Glenoid. Die Fossa glenoidalis hat eine Konkavität, die den Humeruskopf auf dem Glenoid zentriert. Sie ist in kraniokaudaler Richtung tiefer als in ventrodorsaler (McPherson et al. 1997). Der Humeruskopf ist deshalb in kraniokaudaler Richtung stabiler als in ventrodorsaler (Abb. 2.7). Wird der konvexe Humeruskopf auf das konkave Glenoid gepresst, ist 60% der Kompressionskraft nötig, um den Humeruskopf in kraniokaudaler Richtung zu luxieren und 35% der Kompressionskraft, um ihn in ventrodorsaler Richtung zu luxieren (Lippitt et al. 1993; Zobitz et al. 2001). Während die Knochen-

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Abb. 2.7. Der konvexe Humeruskopf ist auf der konkaven Fossa glenoidalis zentriert und verlässt bei der Luxation diese Position. In superoinferiorer Richtung ist die Konkavität des Glenoids tiefer und der Humeruskopf ist stabiler zentriert als in ventrodorsaler Richtung. (Aus Matsen et al. 1994)

effektive Glenoidweite

laterale Dislokation (mm) 8 7 effektive 6 Glenoidtiefe 5 4

inferior

superior

posterior

anterior

3 2 1 0 20

a

b

10

10 0 Translation (mm)

20

dichte bei jüngeren Individuen ein Maximum ventral und dorsalseitig zeigt, liegt es bei älteren Individuen zentral (Müller-Gerbl et al. 1993). Das deutet darauf hin, dass die Kongruenz der Gelenkpartner im Alter zunimmt, wodurch sich die Kinematik des Glenohumeralgelenkes weiter einem Kugelgelenk nähert.

pula weniger abduziert bei Abduktion des Armes als bei Gesunden. Die kaudale Instabilität als Teil der multidirektionalen Instabilität kann deshalb mit der mangelnden Stabilisierung durch die Inklination der Skapula erklärt werden.

Inklination der Skapula. Basmajian u. Bazant (1959) berichtete, dass das Glenohumeralgelenk in Abduktion kaudal instabil und in Adduktion kaudal stabil wäre. In Adduktion würden sich die kranialen Kapselbandstrukturen anspannen aufgrund der Krümmung der Fossa glenoidalis, die die Kaudalverschiebung des Humeruskopfes verhindern würde (Abb. 2.8). Dies wurde durch Itoi et al. (1992) bestätigt. Er zeigte, dass das Glenohumeralgelenk durch die Inklination der Skapula bei hängendem Arm kaudal stabilisiert wird. Bei multidirektionaler Instabilität wird die Ska-

2.1.5.2 Labrum-Kapsel-Band-Komplex

a

b

Abb. 2.8 . Bei Adduktion spannen die kranialen Kapselbandstrukturen aufgrund der Krümmung der Fossa glenoidalis an und verhindern so die kaudale Translation des Humeruskopfes. (Aus Basmajian u. Banzat 1959)

Labrum glenoidale. Das Labrum glenoidale vergrößert die Stabilität des Glenohumeralgelenkes, indem es die Tiefe des Glenoid und Labrum gebildeten Sockels vergrößert und die Kongruenz des Gelenkes erhöht, wodurch ein Saugeffekt erzeugt wird. Nach Entfernung des Labrum glenoidale verringert sich der Stabilitätsquotient im Durchschnitt um 20% (Lippitt et al. 1993). Kapsel. Das Glenohumeralgelenk wird durch die Gelenkkapsel verschlossen und der intraartikuläre Druck ist bei hängendem Arm negativ. Bei Zug am Arm nimmt der negative intraartikuläre Druck weiter ab und verhindert die Kaudalverschiebung des Humeruskopfes (Itoi et al. 1993). Der negative intraartikuläre Druck gewährleistet kaudale Stabilität bei Abduktion des Armes. Bänder. Das Lig. glenohumerale superius ist ein ventraler Stabilisator bei abduziertem und ein kaudaler Stabilisator bei hängendem Arm (Warner et al. 1999). Die entscheidende Funktion des Lig. glenohumerale medius ist die ventrale Stabilisierung bei adduziertem Arm bis zu 30–35 Grad Abduktion. Diese Funktion wird bei 90 Grad Abduktion und Neutralrotation offensichtlich, jedoch nicht bei Außenrotation. Es ist ebenfalls ein kaudaler Stabilisator bei Adduktion des Armes. Das Lig. glenohumerale inferius ist der wichtigste vent-

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rale Stabilisator bei Abduktion und Außenrotation des Armes, der Position der ventralen Luxation (Blasier et al. 1992). Diese Funktion wird durch sein ventrales Band und den Recessus axillaris, jedoch nicht durch sein dorsales Band ausgeübt (Warner et al. 1998). Das dorsale Band ist ein dorsaler Stabilisator bei Flexion und Innenrotation des Armes (Naggar et al. 1995) oder bei 90 Grad Abduktion (O’Brien et al. 1990). Bei Abduktion und Außenrotation spannt sich das ventrale Band aus, um den Humeruskopf zu unterstützen, während sich das dorsale Band strangförmig verdickt. Das Gegenteil geschieht bei Innenrotation (s. Abb. 2.6a-d; O’Brien et al. 1990, 1998). Das Lig. coracohumerale ist als kaudaler Stabilisator bei Adduktion des Armes bekannt und spannt sich bei Außenrotation an. Das Lig. coracohumerale stabilisiert den Humeruskopf auch in kranialer Richtung, jedoch in geringerem Ausmaß. Eine Läsion des Rotatorenmanschettenintervalls stellt sich klinisch als kaudale Instabilität bei Innenrotation des Armes, aber nicht bei Außenrotation, dar. Das Rotatorenintervall stabilisiert indirekt das Glenohumeralgelenk, indem es den negativen intraartikulären Druck aufrecht erhält (Itoi et al. 1993). Bei Außenrotation verhindert das Lig. coracohumerale die kaudale Instabilität auch bei Eröffnung des Rotatorenmanschettenintervalls. Das Rotatorenmanschettenintervall trägt auch zur dorsalen Stabilität bei. 2.1.5.3 Muskeln Muskeln stabilisieren das Glenohumeralgelenk durch die nachfolgenden fünf Mechanismen: Ɣ passive Spannung durch den Muskel selbst, Ɣ Kompression der GelenkÀächen durch Kontraktion, Ɣ Gelenkbewegung, die zur Anspannung des Kapselbandapparates führt (Dempster 1965), Ɣ Barriereneffekt des kontrahierten Muskels, Ɣ Umlenkung der Gelenkreaktionskraft in das Zentrum des Glenoid durch Koordination der Muskelaktivität (Lippitt et al. 1993). Musculus deltoideus. Der M. deltoideus ist ein großer, kräftiger Muskel und es wird angenommen, dass er ein effektiver Stabilisator sein kann. Bei hängendem Arm trägt der M. deltoideus allerdings wenig zur kaudalen Stabilität bei und bei Flexion des Armes nur wenig zur dorsalen Stabilität. Die Bedeutung des M. deltoideus für die ventrale und kaudale Gelenkstabilität wurde nicht abschließend untersucht.

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Rotatoren. Der M. subscapularis wird als wichtigster aktiver und passiver ventraler Stabilisator angesehen. Blasier zeigte, dass die Mm. subscapularis, supraspinatus, infraspinatus und teres minor gleichmäßig zur ventralen Stabilität beitragen bei Abduktion und Neutral- oder Außenrotation. Bei 90 Grad Flexion ist der M. subscapularis der wichtigste dorsale Stabilisator (Blasier et al. 1992). Die Rotatoren arbeiten normalerweise zusammen. Inman führte das Konzept des Kräftepaares in der Frontalebene ein, das aus dem M. deltoideus und M. supraspinatus als Elevatoren und den kaudalen Rotatoren als Depressoren besteht (Inman et al. 1944). Zusätzlich können der M. teres major und der M. latissimus dorsi eine Depression des Humeruskopfes bewirken (Halder 2001). Saha (1971, 1983) beschrieb das Kräftepaar in der Horizontalebene, das aus dem M. subscapularis ventral und den Mm. infraspinatus und teres minor dorsal besteht. Sind die Rotatoren gleichzeitig gespannt, ist der Humeruskopf in kraniokaudaler Richtung wie auch in ventrodorsaler Richtung stabil (Abb. 2.9). Musculus biceps. Klinischen Beobachtungen zufolge wird der M. biceps als Stabilisator des Glenohumeralgelenks angesehen. Bei Patienten mit einer Ruptur der langen Bizepssehne verschiebt sich der Humeruskopf nach kranial bei Abduktion des Armes (Pagnani et al. 1995). Bei ventraler Instabilität ist die Aktivität im M. biceps bei der Wurfbewegung vermehrt. In Kadaverstudien wurde die stabilisierende Wirkung des M. biceps in kranialer, kaudaler, ventraler und dorsaler Richtung nachgewiesen (Pagnani et al. 1995). Die stabilisierende Wirkung der langen Bizepssehne hängt von der Unversehrtheit des kranialen Labrum glenoidale ab. Bei einer Läsion des kranialen Labrum glenoidale ist die stabilisierende Wirkung der langen Bizepssehne als Folge des erschlafften Labrum glenoidale und der so verlängerten Sehne abgeschwächt.

2.1.6 Kraft 2.1.6.1 Physiologische Querschnittsfläche Die maximale Muskelkraft ist proportional zur physiologischen QuerschnittsÀäche des Muskels, die errechnet wird, indem man das Muskelvolumen durch

20

A. Halder

2

mediale Kraft inferiore Kraft resultierende Kraft M. deltoideus M. supraspinatus

ausgeglichene resultierende Kraft

M. infraspinatus

M. subscapularis

Abb. 2.9. Das Kräftepaar in der Vertikalebene besteht aus dem M. deltoideus als Elevator und den kaudalen Rotatoren als Depressoren. Das Kräftepaar in der Horizontalebene besteht aus dem M. subscapularis ventral und dem M. infraspinatus

und M. teres minor dorsal. Bei gleichzeitiger Anspannung der Rotatoren ist die Gelenkreaktionskraft zentriert. (Aus Matsen et al. 1994)

die Muskelfaserlänge teilt. Die absolute Maximalkraft des Muskels wird errechnet, indem man die physiologische QuerschnittsÀäche mit einem Umrechnungsfaktor multipliziert, der von der Muskelvorspannung abhängt, die von 4,7 kg/m 2 bei gebeugtem Ellenbogen über 6,3 kg/m2 bei gestrecktem Ellenbogen bis zu 9,2 kg/m2 reicht (Morrey et al. 1998; Morris 1948).

richtung des Muskels ist als Hebelarm de¿niert, der geometrisch berechnet werden kann über die Sehnenauslenkung und Rotation des Gelenkes oder über eine direkte Kraftmessung. Biomechanischen Studien zufolge ist der M. supraspinatus der effektivste Elevator und der M. teres minor der effektivste Depressor der Rotatoren während des gesamten Bewegungsumfanges. Der M. infraspinatus ist zunächst ein Elevator und dann ein Depressor. Der M. subscapularis ist zunächst ein Depressor und dann ein Elevator mit zunehmender Abduktion (Abb. 2.10). Kuechle (1993) beschrieb die Hebelarme von 10 Schultermuskeln. Er zeigte, dass der M. pectoralis major und der ventrale Anteil des M. deltoideus die ef¿zientesten

2.1.6.2 Hebelarm Der Wirkungsgrad eines Muskels hängt von seiner Wirkungsrichtung relativ zum Rotationszentrum ab. Die Entfernung vom Rotationszentrum zur Wirkungs-

2

Anatomie und Kinematik des Schultergelenkes

Abb. 2.10. Die Hebelarme der Schultermuskeln bei Abduktion. (Aus Kuechle et al. 1993)

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Moment Arm (cm) 6

Subscapularis Teres minor

5

Infraspinatus

4 3

Supraspinatus

2

Latissimus dorsi

1

vorderer Deltoideus

0

mittlerer Deltoideus

-1

Teres major

-2

Pectoralis major

-3 0

10

20

30

40

horizontalen Flexoren sind, während der dorsale Anteil des M. deltoideus zusammen mit den dorsalen Rotatoren die effektivsten horizontalen Extensoren sind. Bei hängendem Arm sind der M. infraspinatus und der M. teres minor die ef¿zientesten Außenrotatoren. Der M. subscapularis war der ef¿zienteste Innenrotator gefolgt vom M. pectoralis major, M. latissimus dorsi, M. teres major und vom ventralen Anteil des M. deltoideus. Bei Rotation mit hängendem Arm war der M. teres minor der ef¿zienteste Außenrotator, gefolgt vom M. infraspinatus, während der M. subscapularis der ef¿zienteste Innenrotator war, gefolgt vom M. pectoralis major, M. latissimus dorsi und M. teres major. 2.1.6.3 Muskelaktivität Die elektromyographische Studie von Inman et al. (1944) zeigte, dass der M. deltoideus, M. pectoralis major und M. supraspinatus Abduktoren sind, während der M. infraspinatus, M. teres minor und M. subscapularis Depressoren sind. Die Abduktoren und Depressoren wirken bei Abduktion zusammen. Die elektromyographische Aktivität des M. biceps ist bei einem Drittel der Patienten mit Rotatorenmanschettenruptur vermehrt. Da diese Patienten eine verminderte Kraft bei Abduktion und Außenrotation zeigen, ist es wahrscheinlich, dass der M. biceps als sekundär bewegender Muskel wirkt. 2.1.6.4 Drehmoment Das Drehmoment wird theoretisch aus der physiologischen QuerschnittsÀäche und einer Konstante,

50

60

90 80 70 Abduktion (Grad)

hinterer Deltoideus

einem Prozentsatz der maximalen willkürlichen Anspannung und dem Hebelarm, berechnet. Die größten Kräfte der Rotatoren treten während maximaler Innenrotation (M. subscapularis) und Außenrotation (M. infraspinatus, M. teres minor und M. supraspinatus) auf (Hughes u. An 1996). Dies führt dazu, dass die größte Spannung in der Supraspinatussehne nicht bei Abduktion des Armes auftritt. Klinisch werden die Drehmomente verschiedener Bewegungen der Schulter mit einem Dynamometer gemessen. Ivey legte Normwerte der isokinetischen Drehmomente der Schulter fest. Das Drehmoment der Innenrotation ist höher als das der Außenrotation (3:2), das der Extension größer als das der Flexion (5:4) und das Adduktions- ist größer als das Abduktionsdrehmoment (2:1). Insgesamt ist die Adduktionskraft am größten, gefolgt von der Extension, Flexion, Abduktion, Innenrotation und Außenrotation. Die Gesamtkraft der Schulter ist messbar, aber die Wirkung einzelner Schultermuskeln kann mit dieser Methode nicht isoliert untersucht werden. Um die Funktion des M. supraspinatus isoliert zu untersuchen, haben Itoi et al. (1997) die isokinetische Kraft von Schulterpatienten mit isolierten Rupturen der Supraspinatussehne gemessen. Die Abnahme des Drehmomentes um 19–33% bei Abduktion und 22–33% in Außenrotation scheint den Anteil des M. supraspinatus an der Gesamtkraft der Schulter darzustellen. Selektive Nervenblockaden werden benutzt, um einzelne Muskelfunktionen zu untersuchen, obwohl die Isolierung nur unvollständig möglich ist. Howell (Howell et al. 1988) hat die Reduktion des Drehmomentes durch eine Lähmung des N. suprascapularis und des N. axillaris gemessen. Jede dieser Nerven-

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A. Halder

lähmungen hat einen Rückgang des Drehmomentes um 55% bewirkt. Da der N. suprascapularis den M. supraspinatus und infraspinatus und der N. axillaris den M. deltoideus und den M. teres minor innervieren, ist es wahrscheinlich, dass die Einheit aus M. supraspinatus und M. infraspinatus sowie M. deltoideus und M. teres minor gleichermaßen verantwortlich sind für die Erzeugung des Drehmomentes im Schultergelenk.

Die Spina scapulae entspringt vom medialen Rand der Skapula mit einer dreieckigen Verdickung und verläuft auf der dorsalen Fläche der Skapula nach kraniolateral, um das trapezförmige Akromion zu bilden. Sie versteift den Körper der Skapula und trägt das Akromion als Hebelarm für den M. deltoideus.

2.1.6.5 Gelenkreaktionskraft

2.2.1.3 Acromion

Inman et al. (1944) haben die Reaktionskraft im Glenohumeralgelenk berechnet, wobei er lediglich den M. deltoideus und die Rotatoren berücksichtigt hat. Poppen u. Walker (1976) berechneten die Gelenkreaktionskraft mit der gleichen Methode, berücksichtigten aber alle während der Bewegung aktiven Muskeln. Dabei erreichte die Gelenkreaktionskraft ein Maximum vom 0,89fachen des Körpergewichtes bei 90 Grad Abduktion in der Skapulaebene, während die Scherkraftkomponente am Glenoid ein Maximum vom 0,42fachen des Körpergewichtes bei 60 Grad Abduktion erreichte. In einem dreidimensionalen biomechanischen Modell zur Analyse der Kraftverteilung zwischen den Muskeln, Knochen und Bändern erreicht die Gelenkreaktionskraft einen Spitzenwert 650 N bei 60 Grad Abduktion.

Das sich das Akromion ventrolateral in Verlängerung der Spina scapulae ausdehnt, um den Ursprung für den M. deltoideus zu bilden, ist es kranial der Rotatorenmanschette lokalisiert. Es begrenzt den Raum für die Supraspinatussehne, die dem Humeruskopf auÀiegt. Deshalb wird angenommen, dass die Form des Akromions eine wichtige Rolle in der Entstehung der Degeneration der Rotatorenmanschette spielt. Bigliani de¿nierte drei Akromiontypen: Àach, gekrümmt und hakenförmig. Eine gekrümmte UnterÀäche des Akromions sowie eine vermehrte kaudale Neigung scheinen mit Rotatorenmanschettenrupturen assoziiert zu sein. Ein Os acromiale führt zu funktioneller Deformierung und zu einem eingeengten subakromialen Raum. Abhängig von der Größe des Os acromiale und der Topographie der Apophysenfuge wird ein Präakromion, Mesoakromion, Metaakromion und Basisakromion de¿niert, von denen das Meso- und Metaakromion die höchste Inzidenz haben.

2.2 Skapulothorakalgelenk 2.2.1 Knöcherne Strukturen 2.2.1.1 Scapula Die Scapula (s. Abb. 2.1) dient zahlreichen Muskeln als Ursprung. Sie ist ein Àacher dreieckiger Knochen, der an seiner kranialen und kaudalen Spitze und an seiner lateralen Seite verdickt ist, um kräftigen Muskeln als Ursprung zu dienen. Die ventrale Fossa subscapularis ist Àach und leicht konkav, während die dorsale Fossa infraspinata leicht konvex ist und durch die Spina scapulae von der Fossa supraspinata getrennt wird.

2.2.1.2 Spina scapulae

2. 2.1.4 Processus coracoideus Ventral der Basis des Akromion entspringt der Processus coracoideus vom Hals den Glenoids. Der runde Processus ist hakenförmig nach ventrolateral gebogen und am Ende abgeÀacht. Bei einem Prozent der Bevölkerung besteht eine abnormale Verbindung wie eine knöcherne Brücke oder ein Gelenk zur Klavikula. Der Processus coracoideus ist Ursprung von Muskeln, und zwar dem M. pectoralis minor, dem kurzen Kopf des M. biceps und dem M. coracobrachialis. Zusätzlich entspringen von ihm das Lig. coracoclaviculare, coracoacromiale und coracohumerale. Die Incisura suprascapularis trennt ihn vom Àachen Körper der Skapula.

2

Anatomie und Kinematik des Schultergelenkes

23

2.2.1.5 Glenoid Das Glenoid ist unter dem Punkt Glenohumeralgelenk beschrieben.

2.2.2 Kapsel und Bänder

M. levator scapulae M. rhomboideus major

M. trapezius

M. infraspinatus

Neben den Bändern, die die Skapula mit der Klavikula und dem Humerus verbinden, gibt es Bänder, die die Processus scapulae verbinden. Das Lig. coracoacromiale hat eine breite Basis am Processus coracoideus und wird zum Akromion hin schmaler, um an dessen UnterÀäche anzusetzen. Zusammen mit dem Processus coracoideus und dem Akromion bildet es das Schulterdach. Das Lig. transversum scapulae superius verschließt die Incisura suprascapularis medial des Processus coracoideus. Das Lig. transversum scapulae inferius verbindet die Basis des Akromions mit dem kranialen Rand des Glenoid und überbrückt die Incisura spinoglenoidalis.

2.2.3 Muskulatur 2.2.3.1 Musculus latissimus dorsi Der breite M. latissimus dorsi (Abb. 2.11) entspringt von den Processus spinosi von Th7 bis Th12 mit seinem vertebralen Anteil, von der thorakolumbalen Faszie und dem Ilium mit seinem iliakalen Anteil und von der zehnten bis zwölften Rippe mit seinem kostalen Anteil. Häu¿g entspringt ein zusätzlicher skapulärer Anteil vom kaudalen Anteil der Skapula. Er ist der kräftigste Adduktor, ein Innenrotator und ein Extensor des Schultergelenkes. Er wird vom N. thoracodorsalis innerviert (C7–C8). 2.2.3.2 Musculus pectoralis major Der klavikuläre Anteil des M. pectoralis major entspringt von der ventromedialen Klavikula, der sternokostale Anteil vom Sternum und der zweiten bis vierten Rippe, und der abdominale Anteil von der

M. deltoideus

M. latissimus dorsi

Teil des M. latissimus dorsi, der am unteren Winkel der Scapula ansetzt

Abb. 2.11. Dorsale skapulothorakale Muskeln, der M. infraspinatus und der M. deltoideus. (Aus Butters 1998, S. 393)

fünften und sechsten Rippe und der Faszie des M. obliquus externus. Das gemeinsame Ansatzareal ist der laterale Rand des Sulcus intertubercularis. Die Muskelfasern sind um 180 Grad verdreht, so dass die kaudalen Fasern kranial ansetzen, um die Axillarfalte zu bilden. Der M. pectoralis ist ein starker Adduktor und Innenrotator und der klavikuläre Anteil ist aktiv bei Flexion im Schultergelenk. Der N. pectoralis lateralis innerviert den klavikulären Anteil (C5–C7), während der N. pectoralis medialis die übrigen Anteile innerviert (C8–Th1). 2.2.3.3 Musculus trapezius Der M. trapezius ist geformt wie ein Zelt und besteht aus einem deszendierenden, einem transversen und einem aszendierenden Anteil. Der deszendierende

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2

Anteil entspringt von der Protuberantia occipitalis und dem Lig. nuchale, um an der lateralen Klavikula anzusetzen. Der transverse Anteil entspringt von den Processus spinosi von C7 bis Th3 und setzt am medialen Akromion und an der lateralen Spina scapulae an. Der aszendierende Anteil entspringt von den Processus spinosi von Th3 bis Th12, um an der medialen Spina scapulae anzusetzen. Die wesentliche passive Aufgabe des M. trapezius ist, die Skapula zu ¿xieren. Seine aktiven Funktionen sind die Retraktion der Skapula und die Elevation ihres lateralen Anteils. Deshalb führt eine Lähmung des M. trapezius zur Protraktion und zur Depression des lateralen Anteiles der Skapula, wobei die Abduktion in der Ebene der Skapula auf 90 Grad begrenzt ist. Er ist vom N. accessorius, dem 11. Hirnnerven, innerviert. 2.2.3.4 Musculi rhomboidei Der M. rhomboideus minor entspringt von den Processus spinosi von C6 und C7 und der M. rhomboideus major von den Processus spinosi Th1–Th4. Das gemeinsame Ansatzareal ist der mediale Rand der Skapula kranial und kaudal der Spina. Ihre Funktion ist die Retraktion und Elevation der Skapula. Der N. dorsalis scapulae innerviert sie (C4–C5). 2.2.3.5 Musculus levator scapulae Der M. levator scapulae entspringt von den Processus transversi von C1–C4, um am kranialen Anteil der Skapula anzusetzen. Er eleviert und außenrotiert die Skapula. Der N. dorsalis scapulae innerviert ihn (C4–C5). 2.2.3.6 Musculus serratus anterior Der M. serratus anterior besteht aus einem kranialen, mittleren und kaudalen Anteil. Seine Ursprünge sind die ventralen Anteile der 1.–9. Rippe, wobei zwei Köpfe an der zweiten Rippe ansetzen. Das gemeinsame Ansatzareal ist der ventrale mediale Rand der Skapula von kranial nach kaudal. Seine Funktion ist die Fixation der Skapula am Thorax sowie deren Protraktion und Innenrotation. Eine Lähmung des M. serratus anterior

A. Halder

führt zum Abstehen der Skapula und begrenzt die Flexion des Armes auf 90 Grad. Der N. thoracicus longus innerviert den M. serratus anterior (C5–C7). 2.2.3.7 Musculus pectoralis minor Der M. pectoralis minor entspringt vom ventralen Anteil der 3.–5. Rippe, um am medialen Rand des Processus coracoideus anzusetzen. Er dient als Depressor des lateralen Teiles der Skapula und bewirkt deren Außenrotation und Protraktion. Er wird innerviert von den Nn. pectorales (C5–Th1).

2.2.3.8 Musculus subclavius Der Ursprung des M. subclavius ist der mediale Anteil der 1. Rippe und sein Ansatzareal ist die Fossa subclavia an der UnterÀäche der Klavikula. In dem er die Klavikula deprimiert, stabilisiert der das sternoklavikuläre Gelenk. Der N. subclavius innerviert ihn (C5–C6).

2.2.4 Bewegung Die Skapula ist auf dem Thorax in der Horizontalebene in 30 Grad Innenrotation positioniert, in der Frontalebene in 3 Grad Abduktion und ist in der Sagittalebene um 20 Grad nach ventral gekippt. Laumann (1987) hat die dreidimensionale Bewegung der Skapula stereometrisch gemessen und herausgefunden, dass sie in der ersten Hälfte der Abduktion um 60 Grad abduziert, 20 Grad dorsal kippt und 6 Grad innenrotiert und in der zweiten Hälfte um 16 Grad außenrotiert. Insgesamt wird die Skapula um 10 Grad außenrotiert. Zusätzlich zu diesen drei Drehbewegungen werden zwei Verschiebungen ausgeführt, die kraniokaudale Verschiebung und die Vor- und Zurückbewegung der Skapula. Diese Bewegungen sind gekoppelt. Als Protraktion wird die Kombinationsbewegung der Vorschiebung weg von der Wirbelsäule, der Rotation um das Akromioklavikulargelenk und der Innenrotation bezeichnet. Retraktion ist die Kombination der entgegengesetzten Bewegungen. Die Abduktion der Skapula ist vom biomechanischen Standpunkt aus ver-

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Anatomie und Kinematik des Schultergelenkes

schiedenen Gründen vorteilhaft. Sie vergrößert den Umfang der humerothorakalen Bewegung, erhält die Ef¿zienz der Muskeln, indem sie ihnen ermöglicht, im optimalen Anteil der Längen-Spannungs-Kurve zu arbeiten und sie ermöglicht außerdem, dass das Glenoid in der Bewegung unter den Arm geführt wird, um einen Teil seines Gewichtes zu tragen. Bei einer Fusion des skapulothorakalen Gelenkes ist die Extension und Außenrotation des Armes deutlich vermindert, während die Innenrotation unverändert ist (Harryman et al. 1993). Das ist darauf zurückzuführen, dass die Innenrotation im Wesentlichen im Glenohumeralgelenk abläuft. Gesunde Personen benötigen 15 Grad skapulothorakaler Innenrotation, um die KörperpÀege durchzuführen. Im Gegensatz dazu werden durchschnittlich 51 Grad skapulothorakaler Innenrotation benötigt, um diese Aktivitäten nach glenohumeraler Fusion durchzuführen. Im Gegensatz zur skapulothorakalen Fusion limitiert die glenohumerale Fusion die Fähigkeiten des Patienten, die KörperpÀege durchzuführen, da diese einer maximalen Innenrotation bedarf, die durch skapulothorakale Innenrotation nicht ausgeglichen werden kann. Skapulohumeraler Rhythmus. Die koordinierten Bewegungen des Glenohumeral- und Skapulothorakalgelenkes bei der Abduktion werden als skapulohumeraler Rhythmus bezeichnet. Inman hat das Verhältnis zwischen glenohumeraler und skapulothorakaler Bewegung auf 2:1 geschätzt (Abb. 2.12). Das Verhältnis ist in den ersten 30 Grad der Abduktion (Doody et al. 1970; Freedman u. Munro 1966) variabel, beträgt aber insgesamt etwa 2:1. Harryman hat das Verhältnis der Gelenkbewegungen in anderen als der Skapulaebene bestimmt und gefolgert, dass das Verhältnis einheitlich 2:1 ist. Paletta et al. (1997) haben berichtet, dass das Verhältnis in den ersten 45 Grad Abduktion 2:1 und anschließend während der übrigen Bewegung 3:2 beträgt. Obwohl das Verhältnis nicht linear ist, ist es durchschnittlich 2:1. Poppen u. Walker (1976) analysierten, dass der skapulothorakale Rhythmus bei Patienten mit Schulterschmerzen abnormal ist, brachten dies aber nicht mit einer klinischen Diagnose in Verbindung. Das Verhältnis von glenohumeraler zu skapulothorakaler Bewegung nimmt bei Patienten mit multidirektionaler Schulterinstabilität zu (Poppen u. Walker 1976) und nimmt bei Patienten mit Impingement und Rotatorenmanschettenrupturen ab. Paletta et al. (1997) führten

25 135°

3 6 2 4 1

90°

5 60°





60°

120°

180°

Abb. 2.12 . Die koordinierten Bewegungen des Glenohumeral- und Skapulothorakalgelenkes bei der Abduktion sind als skapulohumeraler Rhythmus bekannt. Die Winkeländerungen im glenohumeralen Gelenk im Verhältnis zu Abduktion des Armes wurden von verschiedenen Untersuchern gemessen: ( 1) Nobuhara 1977, ( 2) Poppen u. Walker 1976, ( 3) Inman et al. 1944, ( 4) Freedman u. Munro 1966, ( 5) Wallace 1982, ( 6 ) Reeves 1972. (Aus Bergmann 1987)

aus, dass bei ventral instabilen Schultern das Verhältnis während der ersten Hälfte der Abduktion zu- und in der zweiten Hälfte der Abduktion abnimmt. Eine relative Zunahme der Bewegung im Glenohumeralgelenk kann durch das Ungleichgewicht der die Skapula bewegenden Muskeln bedingt sein. Eine verminderte Bewegung im Glenohumeralgelenk kann Ergebnis einer schmerzbedingten Bewegungseinschränkung im Subakromialraum sein.

2.2.5 Stabilität Die Stabilität zwischen Thorax und Skapula hängt von den Muskeln und der Faszie des Schulterblattes ab. Die tiefe Halsfaszie umscheidet den M. trapezius und den M. sternocleidomastoideus und verbindet den Kopf mit der Klavikula und der Spina scapulae und bietet so passiven Halt. Die tiefe Rückenfaszie bietet ebenfalls statische Stabilität. Obwohl die vertikalen Muskeln, wie der M. trapezius, der M. levator scapulae und der M. serratus anterior wichtige dynamisch unterstützende Muskeln sind, werden sie darüber hinaus auch als passiv unterstützende Muskeln charakterisiert (Inman et al. 1944). Im Stand wurde keine elektromyographische Aktivität in diesen Muskeln

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registriert, während im M. trapezius beim Laufen kontinuierlich Aktivität festzustellen ist. Diese Aktivität zeigt die aktiv unterstützende Wirkung des M. trapezius beim Schwingen des Armes an. Die aktive Abduktion des Armes führt zur Kontraktion der vertikalen Muskeln sowie der paraskapulären Muskeln. Die Kontraktion des M. trapezius, des M. serratus anterior und der Mm. rhomboidei stabilisieren die Skapula und stellen einen stabilen und doch mobilen Sockel für die obere Extremität dar. Ein Verlust dieser Muskeln führt dazu, dass die Skapula das Gewicht des Armes während der Abduktion nicht mehr ausgleichen kann, was zum Abstehen der Skapula führt.

2.2.6 Kraft Die Abduktion der Skapula wird durch den M. trapezius und den M. serratus anterior bewirkt. Der M. serratus anterior und der M. pectoralis minor führen die Protraktion aus, während der M. trapezius und die Mm. rhomboidei die Retraktion bewirken. Inman et al. (1944) hat das Konzept der Kräftepaare um die Skapula entwickelt. Er beschrieb Innenrotation, mediale Kontraktion und Außenrotation als die drei Kraftrichtungen. Der kraniale Anteil des M. trapezius, der kraniale Anteil des M. serratus anterior und der M. levator scapulae bilden den kranialen Teil des Kräftepaares. Der kaudale Anteil des M. trapezius und der kaudale Anteil des M. serratus anterior bilden den kaudalen Teil des Kräftepaares. Diese Beobachtungen wurden durch eine elektromyographische Studie von Moseley et al. bestätigt (1992). Der M. pectoralis minor, der als wichtigster Muskel für die Protraktion beschrieben worden war, war bei Liegestützübungen weniger aktiv als der M. serratus anterior (Protraktion), aber bei Barrenstützübungen deutlich aktiver als andere Muskeln (Depression). Dieser Unterschied zeigt, dass der M. pectoralis minor wichtiger für die Depression als für die Protraktion der Skapula ist. Aufgrund seiner geringen Größe ist eine feinmotorische Kontrolle wahrscheinlicher als eine Kraftwirkung (Perry 1988).

A. Halder

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Anatomie und Kinematik des Schultergelenkes

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