Analytische Psychologie und Naturphilosophie

*Jung-heute-7.12.08 17.12.2008 12:04 Uhr Seite 14 Analytische Psychologie und Naturphilosophie Thomas Arzt Mehr und mehr sehe ich im psycho-physi...
Author: Martin Lorentz
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Analytische Psychologie und Naturphilosophie Thomas Arzt

Mehr und mehr sehe ich im psycho-physischen Problem den Schlüssel zur geistigen Gesamtsituation unserer Zeit, und die allmähliche Auffindung einer neuen („neutralen“) psychophysischen Einheitssprache, die symbolisch eine unsichtbare, potentielle, nur indirekt durch ihre Wirkungen erschließbare Realität zu beschreiben hat, erscheint mir auch als eine unerläßliche Voraussetzung für das Eintreten des neuen (...) hieros gamos.1 Wolfgang Pauli

Aufgrund von medialen Schlagworten wie der „ökologischen Krise“ oder der „Klimakatastrophe“ gehört es heute zum kollektiven Konsens, auf die Notwendigkeit einer kritischen Revision des gegenwärtigen Verhältnisses von Mensch und Natur hinzuweisen. Abgesehen vom „ökologischen Umbau“ der Industriegesellschaft mit dem Fokus einer nachhaltigen Wirtschaft und anderen sicherlich wichtigen und richtigen Schritten im Rahmen einer solchen Revision regt sich aber auch schon der noch zaghafte Hinweis auf die Notwendigkeit einer grundsätzlichen Wandlung des modernen Bewußtseins in seinem Verhältnis zur Natur, soll dieser Revision nicht nur ein substanzloser Pragmatismus und eine technisierte Ökologie folgen.2 Das Spannungsverhältnis Mensch – Natur muss in diesem Sinne primär vom „psycho-physischen Problem“ – dem Problem der Wechselwirkung von Geist und Materie – her bedacht werden, einem der zentralen Probleme der europäischen Geistesgeschichte überhaupt und deswegen schon von Schopenhauer sehr treffend als „Weltknoten“3 bezeichnet. Dass die moderne Wissenschaft eine derartig tiefgreifende Revision alleine nicht zu leisten vermag, läßt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr ernsthaft anzweifeln, geht doch mit dieser Wissenschaft als Erbin des Cartesianismus und Baconismus ein Naturund Weltverständnis einher, das Henri Corbin als metaphysische Katastrophe bezeichnete und das letztendlich mitverantwortlich ist für die verheerenden Übergriffe des Menschen auf die Natur.4 Bezieht sich die moderne Naturwissenschaft von ihrer Konzeption her gesehen auf die natura naturata, auf die Natur als Produkt, so verweisen die Fragen, die durch die „ökologische Krise“ aufgeworfen werden, vielmehr auf ein Denken, das im 20. Jahrhundert zwar eine grobe Vernachlässigung erfahren hat, das aber traditionell zuständig ist für das „psycho-physische Problem“ und die natura naturans – die schaffende Natur –, nämlich auf das Denken der Naturphilosophie.

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Die hierdurch gesetzte Aktualität von Naturphilosophie mag für viele befremdlich klingen, führt doch die Naturphilosophie seit dem Niedergang des Deutschen Idealismus gerade im akademischen Bereich nur noch ein Schattendasein. Naturphilosophie ist seit der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht mehr präsent, wobei die spekulativen Verirrungen der Romantik einerseits und der mit dem technologischen Fortschritt gekoppelte Siegeszug der Naturwissenschaften andererseits verantwortlich sind für den schlechten Leumund, den die Naturphilosophie seit dieser Zeit besitzt.5 Mögen auch die Naturwissenschaften und die Wissenschaftstheorie als die legitimierten Nachfolger der traditionellen Naturphilosophie im 20. Jahrhundert gewisse naturphilosophische Fragestellungen erfolgreich beantwortet haben, so bleiben jedoch bis zum heutigen Tage grundsätzliche Problemkreise offen, denen sich eine zeitgemäße Naturphilosophie unter primärem Bezug auf das „psycho-physische Problem“ erneut zu stellen hat. Selbst angesichts der Feststellung von Carl Friedrich von Weizsäcker, dass „vielleicht der wichtigste geistige Beitrag der Physik unserer Zeit der Hinweis auf die Notwendigkeit (ist), den Zusammenhang von Materie und Bewußtsein, von Objekt und Subjekt anders zu denken, als es die neuzeitliche Tradition getan hat“6, erstaunt immer noch die stoische Ignoranz und political correctness ausgewiesener akademischer Naturphilosophen in Deutschland, die sich nach wie vor zum Beispiel den gemeinsamen Arbeiten und dem Briefwechsel von Wolfgang Pauli und Carl Gustav Jung verweigern. Ideengeschichtlich gesehen stellt die Naturphilosophie des Deutschen Idealismus die letzte große schöpferische Epoche naturphilosophischen Bemühens innerhalb einer Denktradition dar, die insgesamt einen Zeitraum von mehr als zwei Jahrtausenden europäischer Geistesgeschichte umfasst. Dabei wird – modellartig vereinfacht – die Entwicklungslinie der naturphilosophischen Tradition in drei klassische Zeitalter eingeteilt: die Epoche der Vorsokratiker, der Renaissance und der Romantik. Wie Karl Joël in seiner Studie Der Ursprung der Naturphilosophie aus dem Geiste der Mystik eindrucksvoll nachgewiesen hat, rekurrieren die naturphilosophischen Ansätze dieser drei klassischen Zeitalter auf ein zugrunde liegendes Zentralthema, nämlich auf die mystische Lehre von der Einheit der Dinge und der Allbeseelung, d. h. auf die Lehre von der Wesenseinheit von Gott, Seele und Natur.7 Das erste klassische Zeitalter der Naturphilosophie, das Zeitalter der vorsokratischen Naturphilosophie, wirft im 6. und 5. Jahrhundert v. Chr. erstmals die Frage nach dem

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Urgrund oder Ursprung der Dinge, der arche, auf. Eng damit verknüpft wird in dieser Geburtsstunde griechischen Philosophierens die zentrale Frage nach Werden und Vergehen. Die Reihe der bedeutenden Naturphilosophen durchschreitend, entwirft Joël ein großartiges Bild der vorsokratischen Naturspekulation, indem er – bei aller Verschiedenheit, ja Gegensätzlichkeit der Denk- und Schulrichtungen dieses Zeitalters – zwei konstituierende Elemente identifiziert: die griechische Lyrik und die orphische Mystik.8 Wird die Vorsokratik zwar als diejenige Epoche betrachtet, in der das griechische Denken den Umschlag vom Mythos zum Logos vollzieht und damit einer rationalen Wissenschaft den Boden bereitet, so übersieht die gängige Rezeption Joëls Interpretation zufolge den bisweilen versteckten mystischen Grundton dieser Epoche. Die Vorstellung einer Wesenseinheit von Gott, Seele und Natur in der vorsokratischen Naturphilosophie resultiert aus einer lyrischen, schließlich mystischen Betonung des Selbstgefühls und der Innerlichkeit, aus einer echt mystischen Erhebung alles Seelischen und Lebendigen überhaupt, einer Erhebung des Menschen zur Weltbedeutung, zum Mikrokosmos, kurz einer Vermenschlichung und damit Beseelung der Natur, und endlich aus einer stark zum Pantheismus bzw. Panentheismus neigenden Religiosität.9 Deutlicher als bei den Vorsokratikern tritt im zweiten klassischen Zeitalter der Naturphilosophie, in der Renaissance, das genetische Band von Mystik und Naturphilosophie hervor. Wie in der Vorsokratik liegen in der RenaissancePhilosophie unübersehbar rationales Denken und mystische Einheitsschau nahe beieinander, berühren sich wissenschaftliches und religiöses Denken noch unmittelbar. Was das Weltverständnis des Renaissancedenkens betrifft, so hat Michel Foucault in seinem Hauptwerk Die Ordnung der Dinge gezeigt, dass der Begriff der „Ähnlichkeit“ in der Konstitution des Wissens eine grundlegende Rolle gespielt hat.10 Die Sympathie aller Dinge, dieser Schlüsselbegriff der Renaissance-Philosophie, beruht freilich genau auf jener Lehre, die in der Vorsokratik bereits bei Xenophanes vorgeformt war und die später durch die Stoiker zu der Vorstellung einer organischen Einheit des Kosmos, zu einer mit sich in allen Teilen sympathetischen Gesamtnatur weiterentwickelt wurde. Auch die von Anaximander, Heraklit, Empedokles, den Pythagoreern und den Atomisten formulierte Lehre, dass der Mensch ein Mikrokosmos im Makrokosmos sei, stellt zusätzlich einen prägenden ideengeschichtlichen Vorläufer des Sympathiegedankens dar, mit dessen Hilfe das Hauptproblem für die Naturphilosophie der Renaissance, die Frage nach der Stellung des Menschen in der Natur, umkreist wurde.11 Es kann insgesamt daher auch nicht verwundern, dass die Lehre von der Wesenseinheit von Gott, Seele und Natur in der Naturmystik der Renaissance vorrangig von der Vorsokratik geprägt wurde bzw. von dort her auch ihre Anleihen bezog.12 Im dritten klassischen Zeitalter der Naturphilosophie schließlich, in der Romantik, treten erneut jene naturphilo-

sophischen Fragestellungen auf, die eine Wiedergewinnung der einstmaligen Einheit von Mensch und Natur, allerdings auf einer höheren Ebene, zum Ziel haben. In einer Gegenbewegung zur bürgerlichen Lebenswelt, zur neuzeitlichen Naturwissenschaft mit ihrer eingeschränkten Form der Naturerkenntnis und zur Entzauberung der Natur tritt anstelle einer mechanistischen eine organische Weltbetrachtung. „Die schöpferische Natur wird zum Organismus und zum Künstler (...). In dem organischen Weltbild, aber auch in der Art, wie der Mensch in den Mittelpunkt der von Gott zu Gott führenden Weltentwicklung gestellt wird, liegen Gedanken, die die Denker der Romantik mit denen der Renaissance verknüpfen und ihren gemeinsamen Gegensatz zur Aufklärung, allgemeiner zur Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts, bezeichnen.“13 Im Gegensatz zu einem „Entwurf“ von Natur, der auf eine allseitige Verfügbarkeit von Natur und ihre technische Bemächtigung durch den Menschen hinzielt, gründet das Naturverständnis der Romantik auf dem Glauben „an ein Verhältnis des Menschen zur Natur, das ebenso sehr vom Interesse des Menschen wie vom Interesse der Natur bestimmt wird, das weder abstrakte Naturerkenntnis noch praktische Ausbeutung der Natur ist, sondern eine Wechselbeziehung zwischen Mensch und Natur, in der ihr destruktiver Gegensatz überwunden wird, Mensch und Natur zu ihrer Identität finden wie ihre Gemeinsamkeit und beiderseitige Abhängigkeit begreifen – der Geist naturalisiert und die Natur vergeistigt wird.“14 Wie schon in der Renaissance bilden auch hier, bei Novalis, Goethe, Schelling und Carus, wissenschaftliches und religiöses Denken, die Naturwissenschaft und die mystische Lehre von der Einheit der Dinge und der Allbeseelung noch eine untrennbare Einheit. Es entspricht auch der inneren Logik von Joëls Argumentation, dass sich im sympathetischen Weltbild der Romantiker – als Antwort auf die drängenden Zeitfragen des frühen 19. Jahrhunderts – ebenfalls ein Rekurs auf die Naturphilosophie der Renaissance und der Vorsokratik spiegelt.15 Das „innere Triebwerk“ der Natur, der „gebärende Urgrund“ der Schellingschen Naturphilosophie sind dabei romantische Metaphern für das göttliche Eine, das als schöpferischer Wesensgrund in allen Dingen lebt, zugleich aber die All-Einheit ist, in der alle Dinge enthalten sind.16 Das hierdurch bezeugte panentheistische Naturverständnis sollte durch den rasanten Aufstieg der Naturwissenschaften, den diese durch einen Verzicht auf die genuine Fragestellung nach der natura naturans erkauft hatte, im Verlauf des 19. Jahrhunderts allerdings verdrängt werden und wanderte – abgesehen von einigen Rudimenten, die sich nachher in der Wissenschaftshistorie ansiedelten – an den geistesgeschichtlichen Rand ab. Es gibt nun gute Gründe anzunehmen, dass die Traditionslinie des Panentheismus im 20. Jahrhundert erneut an Einfluß gewonnen hat, und das vorwiegend im außerakademischen Bereich. Das hiermit einhergehende Naturverständnis vermag uns daher heute bei der Etablierung eines vierten Zeitalters hilfreich zur Seite stehen und gestattet bei der Frage nach einer Aktualität von Naturphilosophie

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eine historische Rückbindung insbesondere an neuplatonisches All-Einheits-Denken und an die mystische Formel des hen kai pan, ein Rückgriff, der ohne Zweifel den Ergebnissen der heutigen Wissenschaften gerecht werden wie auch generell dem modernen Bewusstsein einsichtig sein muß. Die bedeutendste und auch wirkmächtigste geistige Strömung, die das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat und die bislang einen entscheidenden Beitrag zur Formulierung einer zeitgemäßen Naturphilosophie geleistet hat, ist die Analytische Psychologie von Carl Gustav Jung. In einer fast als tragisch zu bezeichnenden Verkennung des geistesgeschichtlichen Ortes der Tiefenpsychologie und daher ohne nennenswerte Rezeption sind ihre naturphilosophischen Aspekte bislang einer breiteren Öffentlichkeit vorenthalten geblieben. Es bedurfte der Weitsicht eines Wolfgang Pauli, um diesen Ort – das „psycho-physische Problem“ – zu kennzeichnen, den Jung z. B. mit seinen Arbeiten zur Synchronizitätshypothese zu umkreisen suchte. In einem Brief vom 3. Juni 1952 an Markus Fierz schreibt Pauli über Jungs Aufsatz Synchronizität als ein Prinzip akausaler Zusammenhänge: „So scheint mir das Kap. IV der Arbeit von Jung noch etwas anderes zu sein als eine ,Zusammenfassung‘: Es erscheint mir als C. G. Jungs geistiges Testament, das von der speziellen ,Analytischen Psychologie‘ wegdrängt in die Naturphilosophie im allgemeinen und das psycho-physische Problem im Besonderen.“17 Und in einem Brief an Marie-Louise von Franz formuliert Pauli: „Ich vertrete die These, daß die Zukunft der Psychologie C. G. Jungs überhaupt nicht bei der Therapie und den Ärzten liegt, sondern in die Naturphilosophie, d. h. jedenfalls in die philosophische Fakultät führt.“18 Was Wolfgang Pauli hier als die „Zukunft“ der Tiefenpsychologie ausweist, ist bei genauer Betrachtung jedoch schon inhärenter Bestandteil der Jung’schen Psychologie. Um aber gleich einem zähen Mißverständnis vorzubeugen: Jung war kein Philosoph im akademischen Sinne, kein Theoriebildner, sondern ein Empiriker der Seele, der die Wirklichkeit und Autonomie der Seele durch Rückgriffe auf Philosophie- und Religionsgeschichte, auf Kunst und auf Mythologien zu deuten und zu verstehen versuchte. So gibt es im Werk von Jung die vielfältigsten Rekurse (im Sinne von direkten Einflüssen) und Bezüge auf alle drei klassischen Zeitalter der Naturphilosophie. Schon auf den Begründer der ionischen Naturphilosophie, Thales von Milet, ergeben sich bei Jung indirekte Bezüge durch sein Studium alchemistischer Quellentexte, die nicht nur im Magnetismus eine Beseelung der Materie erblicken und sich dabei auf den Hylozoismus des Milesiers beziehen.19 Auch auf das Wasser, das nach Thales die arche aller Dinge ist, beziehen sich diese Quellentexte, die Jung beim Studium von gnostischen Symbolen des Selbst bemüht.20 So steht der Doktrin der Naassener zufolge die Schlange als Symbol für die zentrale göttliche Instanz, die allen Dingen zugrunde liegt und die alles enthält, und deren Charakteristikum sich in ihrer „feuchten Substanz“ verdeutlicht. Damit fällt die gnostische Definition der Schlange

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auch zusammen mit der alchemistischen Anschauung des mercurius, welcher ebenfalls ein Wasser, nämlich die aqua permanens, „das Feuchte, das ,humidum radicale‘ (wurzelhafte Feuchte) und der Lebensgeist (spiritus vitae) ist, der nicht nur allem Lebendigen, sondern auch als Weltseele (anima mundi) allem Seienden innewohnt.“21 Auch auf die Philosophie des Anaximenes, der die arche aller Dinge in der Luft – im pneuma – suchte, gibt es in Jungs Werk indirekte Bezüge, zumal die monistische Pneuma-Lehre der Vorläufer einer bis tief in die Stoa tradierten Auffassung vom alles durchwaltenden pneuma war, das sich später in der christlichen Terminologie zum Heiligen Geist wandelte. Indem Jung den langen Weg der Geistsymbolik durch die abendländische Kulturgeschichte verfolgt, tauchen in seinem Werk der Pneuma-Begriff und dessen diverse historische Ausprägungen insbesondere dann auf, wenn Jung dem Gegensatzpaar Geist – Natur und den jeweiligen Versuchen der Gegensatzvereinigung innerhalb der Entwicklung des menschlichen Bewußtseins nachspürt.22 Für Pythagoras von Samos und seine Schule, auf die die Pneuma-Lehre großen Einfluß hatte, ist die mathematische Zahl die arche aller Dinge, sodass der Kosmos und seine Ordnung in der Ordnung der Zahlen wiederzufinden ist, was letztlich in der Auffassung der Sphärenmusik und -harmonie gipfelte. Es ist vor allem die pythagoräische Zahlensymbolik, auf die sich Jung bezieht, und speziell die symbolische Bedeutung der Drei und der Vier, der Tetraktys. Die Tetraktys enthält in der pythagoräischen Philosophie die Quelle und Wurzel der ewig sprudelnden Natur und ist die Grundlage allen Seins.23 In der Jung’schen Tiefenpsychologie ist durch den universell vorkommenden Archetypus der Quaternität, wie er sich auch häufig in der Ganzheitssymbolik der Träume von Jungs Patienten oder in der Mandalasymbolik manifestiert, jede Symbolik der Vierheit – als Ausdruck von „Ganzheit“ – sowie deren Verhältnis zur Dreiheit, zur Trinität, von zentraler Bedeutung. In Bezug auf die Phänomenologie des Individuationsprozesses galt Jungs Interesse daher vorrangig der Wirkungsgeschichte quaternären Denkens, das sich von Pythagoras über die gnostische Philosophie und christliche Ikonologie bis hin zur Alchemie und der berühmten Kontroverse zwischen Johannes Kepler und Robert Fludd entfaltet hat und besonders für unser Jahrhundert aufgrund des „psycho-physischen Problems“ wieder von größter Tragweite ist.24 Sehr deutliche Rekurse gibt es in Jungs Werk auf Heraklit. Hier ist es vor allem dessen Begriff der enantiodromia, den Jung zur Beschreibung der Struktur der Psyche und der selbstregulierenden Funktion der Gegensätze übernimmt. Enantiodromie bedeutet, dass jedes Extrem seinen Gegensatz im Keim enthält, d.h. die Verkehrung zum Beispiel eines extremen seelischen Zustandes in sein Gegenteil ein inhärentes Gesetz darstellt, so wie Heraklit es in Fragment 88 beschrieb: „Es ist immer ein und dasselbe,

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was in uns wohnt: Lebendes und Totes und das Wache und das Schlafende und Jung und Alt. Wenn es umschlägt, ist dieses jenes und jenes wiederum, wenn es umschlägt, dieses.“25 Jung schreibt diesbezüglich: „Der alte Heraklit (...) hat das wunderbarste aller psychologischen Gesetze entdeckt: nämlich die regulierende Funktion der Gegensätze. Er nannte dies die Enantiodromia, das Entgegenlaufen, worunter er verstand, daß alles einmal in sein Gegenteil hineinlaufe.“26 So lässt sich die Idee einer polaren Anordnung des Seins – die Welt als „ein Gegensatzgemälde“27 – als die ontologische Basis der Jung’schen Tiefenpsychologie bezeichnen. Daran anknüpfend definierte Jung zur Beschreibung der empirischen Ablauf- und Wirkungsgesetze psychischen Lebens seinen Begriff der Libido, die als psychische Energie, als Lebensenergie, das psychische System durchpulst und ihre Dynamik aus dem inhärenten Gesetz der Gegensätze bezieht. Aber nicht nur hier bei seinem Modell zur Energetik der Seele, sondern auch generell ist das Prinzip der Gegensätze und ihrer Vereinigung, das mysterium coniunctionis, in fast allen Werken Jungs das zentrale Thema überhaupt. Auch zwei andere Kernbegriffe der herakliteischen Philosophie, das Feuer und der logos, erfahren in Jungs Schriften immer wieder eine ganz besondere Hervorhebung. Nach Fragment 30 ist die Welt für den Epheser ein „ewig lebendiges Feuer“28, wobei Feuer hier zu verstehen ist als ein Symbol der sich stetig erneuernden Lebenskraft. Das Feuer ist die arche aller Dinge, hier aber nicht etwa in einem stofflichen Sinne zu verstehen, sondern als Verwandlungsmetapher für das ewige Werden und Vergehen, genauer, „ein in sich zurücklaufender Kreisprozeß, an dessen Anfang und Ende (...) das alles verzehrende und neu aus sich gebärende Feuer steht.“29 Auf eine ähnliche Symbolik stößt Jung bei seinen Studien der Alchemie; sie findet sich – wie schon angedeutet – auch beim alchemistischen mercurius, der zugleich Wasser, aqua permanens, und Feuer, ignis, versinnbildlicht sowie den spiritus vegetativus, der die ganze Natur belebend durchdringt, aber vermöge seiner feurigen Natur auch zerstört.30 Auch die Feuerzungen bei den – im Vergleich zum mercurius – eher pneumatischen Darstellungen des Heiligen Geistes sind in diesem Kontext zu verstehen, ähnlich wie das apokryphe Christuslogion „Wer mir nahe ist, ist nahe dem Feuer“.31

Das herakliteische Feuer, das sich stetige Verwandeln der Welt, geschieht nach einem gesetzmäßigen Rhythmus – das Dauernde im Wechsel –, den der Epheser als die Vernunft der Welt, als Weltgesetz und Weltsinn, als logos, bezeichnet hat.32 In Jungs Werk taucht dieser Begriff mit einer doppelten Bedeutung auf, und zwar zunächst in der von Heraklit ursprünglich gemeinten Bedeutung von Weltmaß, von Weltvernunft, die sich in einer schillernden und komplizierten Wirkungsgeschichte z.B. zum christlichen LogosBegriff des Johannes-Evangeliums entwickelt hat. Zusätzlich zu seiner ursprünglichen Bedeutung erfährt der LogosBegriff jedoch bei Jung noch eine begriffliche Modifikation, deren Legitimation er in der psychologischen Praxis begründet sieht. Im Rahmen des seelischen Reifeprozesses, den Jung als Individuationsprozeß bezeichnet hat, stellt sich dem einzelnen nämlich auch die Aufgabe, dem gegengeschlechtlichen Anteil seiner eigenen Psyche zu begegnen und diesen bewußt zu machen. Als terminus technicus verwendet Jung hier für den gegengeschlechtlichen Anteil in der weiblichen Psyche den Begriff des Animus, für den gegengeschlechtlichen Anteil in der männlichen Psyche den Begriff der Anima. Synonym mit den Begriffen Animus und Anima gebraucht Jung auch oft die Begriffe Logos und Eros, wobei beim Mann der Eros, die Beziehungsfunktion, in der Regel weniger entwickelt ist als der Logos, bei der Frau das Bewußtsein mehr durch das Verbindende des Eros charakterisiert ist als durch das Unterscheidende des Logos.33 Genaugenommen handelt es sich bei der Beschreibung dieses Gegensatzpaares nicht mehr um philosophische Termini im strengen Sinn des Wortes, sondern um begriffliche Hilfsmittel, deren mythologische Ausdrucksweisen durch die Empirie psychischer Prozesse bestätigt werden, worauf Jung auch immer wieder hinweist. Was z.B. die Begriffsbildung des Eros betrifft, so bemerkt er, dass er diesen „mehr im Sinn eines empirischen Begriffs verwende(t), der beobachtbare psychische Tatsachen umschreibt. Natürlich habe ich den Ausdruck Eros nicht erfunden. Ich fand ihn bei Plato. Doch hätte ich ihn nie aufgegriffen, wenn die Beobachtung psychischer Vorgänge mir nicht gezeigt hätte, in welchem Sinn die platonische Vorstellung angewendet werden müsse (...) Als ausgesprochener Empiriker gebrauche ich einen philosophischen Begriff nie um seiner selbst willen. Eros war für mich ein Wort, das etwas Reales und Beobachtbares bedeutet, aber sonst nichts. Als ich versuchte, den Grundzug männlicher Einstellung zu formulieren, fiel mir der Begriff Logos als passende Bezeichnung für die beobachteten Fakten ein. Und bei dem Versuch, die Grundeinstellung der Frau zu umschreiben, kam ich auf das Wort Eros. Natürlich besitzt Logos als geistiges Element die Eigenschaft des Diskriminierens, wichtigste Grundlage jedes verstandesmäßigen Urteils. Eros ist seinerseits ein Beziehungsprinzip, und da ich einen Ausdruck für Bezogenheit suchte, bot sich natürlicherweise das Wort Eros an. Diesen Ausdruck habe ich von niemandem übernommen. Er entstammt meinem Vokabular und ich erklärte in unendlich vielen Worten, was ich darunter verstand, nämlich ein Prinzip der Bezogenheit.“34

Ouroboros (Codex Marcianus, Venedig, 11. Jahrhundert)

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Jungs großes Verdienst war es, das Urphänomen der Gegensätze, dessen geistesgeschichtliche Linie sich über Meister Eckhart, Cusanus, Jakob Böhme bis hin zu Hegel, Goethe und Schelling entfaltet hat, von der Philosophie in die Psychologie übernommen zu haben. Neben den von ihm selbst dargelegten Rekursen sind inzwischen bereits eine ganze Reihe weiterer möglicher Entsprechungen und Beziehungen zwischen Heraklit und der Analytischen Psychologie beleuchtet worden. Garfield Tourney hat noch zu Lebzeiten Jungs argumentiert, dass der herakliteische Logos-Begriff gewisse Ähnlichkeiten zum Jung’schen Begriff des kollektiven Unbewussten besitzt.35 So ist Fragment 2 zu entnehmen, dass der Logos als überpersönliches Prinzip das Weltgeschehen lenkt und regiert, also auch der Natur und dem Menschen immanent ist. Auch das kollektive Unbewusste zeichnet sich durch eine überpersönliche und universelle Charakteristik aus. Vom Standpunkt der Jung’schen Psychologie aus gesehen, ist es sowohl im Naturgeschehen wie auch im Menschen am Werke. Zudem hat Tourney Heraklits Urfeuer mit Jungs Begriff der Libido verglichen.36 Unter Bezug auf Fragment 45 hat auch James Hillman, einer der führenden amerikanischen Jungianer, Heraklit als den ältesten Ahnherrn der Tiefenpsychologie gesehen. Und schließlich identifizierte Rudolf Bodlander ein Problem, an dem Heraklit und Jung ein gemeinsames Interesse teilen: das Phänomen des Bewusstseins und seine Beziehung zum Unbewussten.37 Auf die Philosophie des Empedokles gibt es bei Jung nur einige wenige indirekte Bezüge. Im Gegensatz zu Sigmund Freud, der seine Konzeption vom Lebens- und Todestrieb, von Eros und Thanatos, direkt mit den zwei Grundprinzipien des Empedokles, mit Liebe (philia) und Streit (neikos), in Verbindung setzt, erscheinen in der Jung’schen Psychologie nur sporadisch theoretische Hinweise auf die empedokleische Philosophie. Hier ist es vor allem immer wieder die Thematik der Vierheit, auf die Jung beim Studium alchemistischer Quellentexte trifft und die sich auf die VierElementen-Lehre des Empedokles zurückführen lässt. So wie Empedokles von den vier Grundelementen Feuer, Wasser, Erde und Luft als die „vierfache Wurzel aller Dinge“38 spricht, so beschreibt die Alchemie die vier Elemente als radices, worin sie auch die Konstituentien ihres wichtigsten Symbols, des lapis philosophorum, erblickt.39 Und in Anlehnung an das empedokleische Symbol der Vollkommenheit der Welt, an den sphairos, veranschaulicht die Alchemie den lapis durch ein vollkommenes, lebendiges Wesen von hermaphroditischer Natur oder durch die Rundheit des piscis rotundus im Meer.40 Immer wieder findet sich im Jung’schen Werk eine zentrale Argumentationslinie, die einen deutlichen Rekurs auf die Philosophie des Anaxagoras aufweist. Das die Stoffe bewegende und gestaltende Prinzip ist bei Anaxagoras der Geist, nous, der als Weltbildner und -lenker für die Schönheit und Harmonie des Kosmos verantwortlich zeichnet. Anaxagoras‘ Nous-Begriff ist die vierte Urform griechischen Geistes nach dem pneuma des Anaximenes, der

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Geist-Zahl der Pythagoreer und dem logos des Heraklit. Als die mächtigste Konzeption der abendländischen Weltgeistspekulation überhaupt wirkte die Nous-Lehre nachhaltig auf Platon und Aristoteles wie auch auf die Gnosis. Durchdrungen mit Denkfiguren stoischer Provenienz und jüdischen bzw. christlichen Elementen erzählt das Grundmotiv der Gnosis vom Abstieg des göttlichen nous in die Physis und seiner Gefangenschaft in der äußersten Finsternis. Symbolisiert wird der nous bei gnostischen Sekten wie den Ophiten durch die Schlange, die sich in den Schwanz beißt. Die Weisheit des in der Materie gebundenen und verborgenen nous findet ihre geistesgeschichtliche Fortschreibung im mercurius der Alchemie, der als serpens mercurialis ebenso durch die Schlange symbolisiert wird. Jung beschreibt das Verhältnis des gnostischen nous zum alchemistischen mercurius wie folgt: „Die ,kalte‘ Seite der Natur ist nicht ohne Geist, aber es ist ein Geist besonderer Art, welcher der christlichen Ära als dämonisch galt und darum nirgends Anerkennung fand als im Gebiete nächtlicher Wissenschaften und Künste. Dieser Geist ist der schlangengestaltige Nous oder Agathodämon, der mit Hermes im hellenistischen Synkretismus zusammenfließt. Auch die christliche Allegorik und Ikonologie hat sich seiner bemächtigt, begründet durch Johannes 3,14: ,Und (…) wie Moses in der Wüste die Schlange erhöhte, so muß der Sohn des Menschen erhöht (...) werden.‘ Der serpens mercurialis, der ,Geist Mercurius‘, ist die Personifizierung und Fortsetzung jenes Geistes, der in dem (...) Gebet des Großen Pariser Zauberpapyrus (...) angerufen wird.“41 Indem Jung die Begriffs- bzw. Wirkungsgeschichte des göttlichen nous von der Antike über die spätantike Gnosis bis hin zur mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Alchemie verfolgt, legt er in seinen Arbeiten die innere Verwandtschaft dieser Perioden des abendländischen Geistes dar. Von einem Rekurs Jungs auf den Nous-Begriff eines Anaxagoras kann in diesem Zusammenhang schon deshalb gesprochen werden, weil Jung die Linie dieser Begriffsgeschichte bis in unser Jahrhundert verlängert und sie vom psychologischen Standpunkt her neu fasst. Umgekehrt entspringt der Kontinuität dieser Linie die eigentliche geistesgeschichtliche Legitimierung der Analytischen Psychologie: „ohne Geschichte (...) keine Psychologie des Unbewußten.“42 Jungs Identifikation des alchemistischen mercurius mit dem kollektiven Unbewussten bedeutet daher eine dem modernen Bewusstsein verständliche Entsprechung bzw. Übersetzung des antiken Nous-Begriffes in die Sprache der Tiefenpsychologie.43 Das alles lenkende und alles durchdringende Wesen des nous und mercurius, sein weltschöpferischer Aspekt, findet sich schließlich auch genau dort, wo Jung vom psychoiden Charakter des kollektiven Unbewussten spricht, was bedeutet, „daß die Archetypen entsprechend der kosmischen Funktion des nous einen nichtpsychischen (psychoiden) Aspekt besitzen müssen, der sie sogar als anordnende Faktoren im physikalischen ZeitRaum-Kontinuum erscheinen läßt.“44

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Als ein eminent wichtiger Kronzeuge sympathetischen Denkens in der Renaissance wäre in diesem Zusammenhang zunächst einmal Agrippa von Nettesheim zu nennen, auf dessen Korrespondenzidee sich Jung als Vorläuferin seiner Synchronizitätshypothese bezieht.46 In Agrippas Werk, das insgesamt den Versuch einer Synthese von magischem und christlichem Denken auf der Grundlage neuplatonischer Mystik unternimmt, entfaltet sich diese Idee in der Vorstellung vom Menschen als Mikrokosmos, dem das „große Prinzip“ des mundus archetypus eingeschrieben ist. Agrippa von Nettesheim „teilt mit den Platonikern die Ansicht, daß den Dingen der unteren Welt eine gewisse Kraft (vis) innewohne, vermöge welcher sie zu einem großen Teil mit denen der oberen Welt übereinstimmten, und daß daher die Tiere mit den ,göttlichen Körpern‘ (das heißt den Himmelskörpern) zusammenhingen und mit ihren Kräften diese affizierten.“47 Vermittelt durch die „Erleuchtung“ der luminositas sensus naturae besitzen bei Agrippa alle lebenden Wesen und somit auch die Tiere ein „Vorauswissen“, dem Jung – inspiriert durch die Arbeiten des Biologen Hans Driesch – ein „absolutes Wissen“ im kollektiven Unbewussten zur Seite stellt, das das mikrokosmische Vorhandensein von makrokosmischen Ereignissen innerhalb von Synchronizitäten zu erklären vermag.

Thematisch sehr nahe am psychoiden Aspekt der Archetypen sind auch Jungs Rekurse und Bezüge auf das zweite klassische Zeitalter der Naturphilosophie, auf die Renaissance. Der Schlüsselbegriff der Renaissance-Philosophie, die Sympathie aller Dinge, eröffnet hierbei ein weites Feld ideengeschichtlicher Vorläufer Jung’scher Vorstellungen. Es ist hier vor allem die Arbeit Jungs an der Synchronizitätshypothese, die eine Erweiterung der Archetypenlehre in dem Sinne nahelegt, dass die Archetypen als anordnende Operatoren sowohl in der Psyche als auch der Physis vorauszusetzen sind. Zur Beschreibung einer akausalen Verbindung von psychischen und physischen Phänomenen, die durch einen gemeinsamen Sinn verknüpft sind, führte Jung den Begriff „Synchronizität“ ein und erweitert damit seinen – ursprünglich auf den psychischen Bereich bezogenen – Archetypusbegriff um einen nicht psychischen, d. h. psychoiden Aspekt. Die Ausdehnung des Archetypus in die Materie eröffnet freilich einen modernen Weg zur Beseeltheit der Materie und steht in engstem Kontakt zu der Idee der Allbeseelung. Erst vor der Folie des Renaissance-Denkens wird eigentlich deutlich, wie sehr der späte Jung um den Versuch einer Neuformulierung der Idee der Allbeseelung gerungen und diesen der mechanistischen Zergliederung der Welt durch das moderne Bewusstsein entgegengehalten hat; er selbst beschreibt die Synchronizität als eine „moderne Differenzierung des obsoleten Begriffes der Korrespondenz, Sympathie und Harmonie.“45

Unmittelbar von Agrippa von Nettesheim beeinflußt ist Paracelsus, auf dessen Weltbild es unübersehbare Rekurse bei Jung gibt. Allein die Tatsache, dass Jung dieser bedeutenden und wortgewaltigen Renaissancegestalt, deren Wirkkraft sich noch in Goethes Faust findet, mehrere ausführliche Studien und Vorträge gewidmet hat, deutet auf eine besondere Würdigung dessen geistesgeschichtlichen Ranges durch Jung wie auch auf eine gewisse geistige Verwandtschaft hin.48 Natürlich ist Jungs Interesse am paracelsischen Weltbild zuallererst angeregt durch seine Studien zur Symbolik der Alchemie, aber es finden sich in den Lehren des Hohenheimer Meisters auch wirksame neuplatonische und gnostische Elemente, und überall dort, wo von der Korrespondenz zwischen Makrokosmos und Mikrokosmos die Rede ist, tritt auch hermetisches Gedankengut zutage.49 Zusammen mit der Philosophie und der Ethik werden von Paracelsus die Alchemie und die Astronomie, die zu dieser Zeit noch nicht von der Astrologie geschieden ist, als die vier Säulen einer Theorie der Medizin ausgewiesen; letztere erlaubt dem Arzt eine universelle Schau des Menschen und dessen Beziehung zu Gott und Schöpfung, wobei als Schlüssel dieser Schau die Vorstellung einer genauen Entsprechung von menschlichem Mikrokosmos und Makrokosmos, der Gesamtschöpfung, dient: „Das ,innere Gestirn‘ des Menschen ist in seiner Eigenschaft, Art und Natur, in seinem Lauf und Stand gleich dem ,äußeren Gestirn‘, verschieden allein in seiner Form und in seinem Stoff (...). In ihm (dem Menschen; T. A.) liegt der ,junge Himmel‘, d. h. alle Planeten sind dem Menschen eingebildet und sind Kinder des ,großen Himmels‘, der ihr

Sophia, Mutter des Kosmos, und der Kosmosmensch (Hildegard von Bingen, Liber Divinorum Operum, Lucca-Codex, um 1240)

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Vater ist (...). Bedenket, wie groß und wie edel der Mensch geschaffen ist und in welcher Größe seine Struktur erfaßt werden muß! Es ist keinem Kopfe möglich, den Bau seines Leibes und das Maß seiner Tugenden auszudenken; nur als Abbild des Makrokosmos, der ,Großen Creatur‘, ist er zu begreifen. Erst dann wird offenbar, was in ihm ist. Denn so wie außen, so auch innen; was nicht außen ist, das ist auch nicht im Menschen. Das Äußere und das Innere sind ein Ding, eine Konstellation, eine Influenz, eine Konkordanz, eine Dauer (...) eine Frucht.“50 In seinem Vortrag Paracelsus als Arzt kommentiert Jung den geistigen Überbau des paracelsischen Weltbildes daher wie folgt: „Aber nicht nur Alchemist soll der Arzt sein, sondern auch Astrolog. Denn eine zweite Erkenntnisquelle für ihn ist das Firmament oder der Himmel. Im ,Labyrinthus medicorum‘ sagt Paracelsus, daß die Sterne im Himmel müssen ,zusammen kuppelt werden‘ und der Arzt müsse ,den Firmamentischen Sententz daraus nemmen‘. Ohne diese Kunst der astrologischen Konstellationsdeutung sei der Arzt ein ,Pseudomedicus‘. Das Firmament ist nämlich nicht bloß der kosmische Sternhimmel, sondern ein corpus, welches seinerseits ein Teil oder Inhalt des sichtbaren, menschlichen Körpers ist. (...) Das firmamentische ,Corpus‘ ist eine körperhafte Entsprechung des astrologischen Himmels. Und insofern die astrologische Konstellation die Diagnose ermöglicht, gibt sie zugleich den Hinweis auf die Therapie. In diesem Sinne liegt im Firmament auch die ,artzney‘. Die Ärzte ,sammeln sich‘ um das firmamentische ,Corpus‘ wie die Adler um das Aas, weil, wie Paracelsus mit nicht gerade schmackhaftem Vergleich sagt, das ,ass des natürlichen liechts‘ im Firmament liege. Das ,Corpus sydereum‘ ist mit andern Worten die Quelle der Erleuchtung durch das ,lumen naturae‘, das ,natürliche liecht‘, welches nicht nur in den Schriften unseres Autors, sondern auch in seiner ganzen Auffassungsweise die denkbar größte Rolle spielt. Die intuitive Formulierung dieser Anschauung ist (...) die bedeutendste geistesgeschichtliche Tat, um derentwillen niemand des Paracelsus unsterblichen Nachruhm neiden möge. Diese Anschauung wirkte zwar auf die Zeitgenossen und noch mehr auf die folgenden Generationen sogenannter mystischer Denker. Aber die in ihr schlummernde allgemein-philosophische und spezielle gnoseologische Bedeutung hat ihre höchste Entwicklungsmöglichkeit noch nicht erfüllt. Die Zukunft wird davon noch zu reden haben.“51 Das lumen naturae ist der zentrale Begriff überhaupt im paracelsischen Weltbild. Es entspricht dem in der Dunkelheit der Natur verborgenen Gottesfunken und stellt die zweite, mystische Erkenntnisquelle dar, neben der heiligen Offenbarung in der Schrift. Für Jung besteht insofern ein Zusammenhang zwischen dem lumen naturae und dem mercurius, dass beide als historische Vorstufen des kollektiven Unbewußten zu betrachten sind.52 Er schreibt diesbezüglich:

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„Die Natur ist nicht nur Materie; sie ist auch Geist. (...) Das lumen naturae ist der natürliche Geist, dessen seltsames und bedeutendes Wirken wir in den Äußerungen des Unbewußten beobachten können, seitdem die psychologische Forschung zu der Einsicht gekommen ist, daß das Unbewußte nicht bloß ein ,unterbewußtes‘ Anhängsel oder gar eine bloße Abfallgrube des Bewußtseins, sondern vielmehr ein weitgehend autonomes psychisches System ist, das die Irrgänge und Einseitigkeiten des Bewußtseins zum einen Teil funktionell kompensiert, zum anderen Teil, und gegebenenfalls gewaltsam, korrigiert. Das Bewußtsein kann sich bekanntlich ebensowohl in die Natürlichkeit wie in die Geistigkeit verirren, was eine logische Folge der relativen Freiheit desselben ist. Das Unbewußte beschränkt sich nicht nur auf die Instinkt- und Reflexvorgänge der subkortikalen Zentren, sondern reicht auch über das Bewußtsein hinaus und antizipiert in seinen Symbolen zukünftige Bewußtseinsvorgänge. Es ist daher ebensosehr auch ein Überbewußtes.“53 Für Paracelsus ist – wie für jeden Alchemisten – die Schöpfung noch nicht zu Ende. Der Mensch steht im permanenten Schöpfungsprozess einer creatio continua und im Gegensatz zur christlichen Tradition, die den Menschen als den zu Erlösenden sieht, zu dem sich Gott im opus divinum hinabbeugt, begreift die Alchemie den Menschen als einen Erlöser, der in einem Auftrag zur Fortsetzung des göttlichen Erlösungswerkes, zur Entfaltung und zur Vollendung der Welt steht. Der wesentliche Grundsatz des opus alchymicum lautet demgemäß: „Was die Natur unvollkommen ließ, vollendet die Kunst.“54 Auch im Kontext

Der Grüne Mann, Archetyp der Einheit von Natur und Mensch (Dijon, 13. Jahrhundert)

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der Analytischen Psychologie steht der Mensch in einem ähnlichen Erlösungswerk, indem die Mitwirkung des Menschen an der Wandlung Gottes und an der Vollendung der Schöpfung hier auf das engste zusammenhängt mit dem zentralen Archetypus, dem Archetypus des Selbst. Das Selbst manifestiert und entfaltet sich im Individuationsprozeß des Einzelnen wie auch in einem kollektiven Prozess der Entwicklung und Differenzierung des Bewusstseins, der sich als „Individuation der Menschheit“ bezeichnen lässt.55 Begleitet ist dieser sich über Jahrtausende hinziehende Prozeß von einer Wandlung des Gottesbildes: „Zuerst lebten die Götter in übermenschlicher Macht und Schönheit auf der Spitze schneebedeckter Berge oder in der Dunkelheit von Höhlen, Wäldern und Meeren. Später wuchsen sie zu einem Gott zusammen, und dann wurde dieser Gott Mensch.“56 Dem modernen Menschen fällt, so das Fazit von Jungs Analyse biblischer Schriften und Dogmen, im Drama der Bewusstwerdung die Aufgabe zu, das in seiner Psyche konstellierte Selbst, das heute dem Gottesbild des Heiligen Geistes entspricht, auszudifferenzieren. Die Beziehung zwischen Gott und Mensch – psychologisch gesprochen, zwischen Selbst und Bewusstsein – erfährt durch die Einwohnung des Heiligen Geistes im alltäglichen Menschen eine neue Qualität und sichert die Neubelebung des christlichen Mythus: „Die Weiterentwicklung des Mythus sollte wohl dort anknüpfen, wo der Hl. Geist sich an die Apostel austeilte und sie zu Gottessöhnen machte, und nicht nur sie, sondern alle anderen, die durch sie und nach ihnen die filiatio, die Gotteskindschaft, empfingen und damit auch der Gewißheit teilhaftig wurden, dass sie nicht nur autochthone, erdentsprossene animalia waren, sondern als zweimal Geborene in der Gottheit selber wurzelten.“57 Psychologisch entspricht die Einwohnung des Heiligen Geistes im Menschen der Verwirklichung des Selbst im Individuum. Dass dabei die Synthese der Antinomie des Selbst, d.h. eine Versöhnung seiner Gegensätze, heute eine gewaltige Aufgabe darstellt, ist ohne weiteres für jeden verständlich, der die Dynamis und ungeheuerliche Gegensatzspannung dieses Archetypus erfahren hat: „In der Erfahrung des Selbst wird nicht mehr, wie früher, der Gegensatz ,Gott und Mensch‘ überbrückt, sondern der Gegensatz im Gottesbild.“58 Um aus dem Unbewussten hervorzutreten und sich in der Individuation zu verwirklichen, bedarf das Selbst aber des menschlichen Bewusstseins, welches überhaupt erst den Akt des Erkennens setzt. Die Überbrückung der dem Selbst immanenten Gegensätze und die damit einhergehende erneute Wandlung zu einem quaternarischen Gottesbild ist also ohne das Bewusstsein nicht möglich. Das hiermit gestellte Problem ist nach Jung die eigentliche kulturelle Aufgabe unserer Zeit. Die Mitwirkung an der Vollendung der Schöpfung, an der das Bewusstein, wenn auch mit infinitesimalem Beitrag, teilhat, entspricht einem – für viele Kritiker Jungs, insbesondere für die Theologen, anstößigen – Gottesbild, in dem Gott den Menschen sucht, um in diesem seiner selbst und der Schöpfung bewusst zu werden.59 „Aber wo Gott am nächsten, ist die Gefahr am größten. Gott will werden in der immer höher

steigenden Flamme des menschlichen Bewußtseins (...) Deus et homo. Gott braucht den Menschen zur Bewußtwerdung, wie Er die Beschränkung in Zeit und Raum braucht. Seien wir Ihm darum Beschränkung in Zeit und Raum, irdische Umhüllung.“60 Ein früher geistesgeschichtlicher Zeuge für den Versuch der Formulierung eines quaternarischen Gottesbildes ist für Jung der schlesische Schuster und philosophus teutonicus Jakob Böhme. Unter den zahlreichen Bezügen auf den Görlitzer, die sich in Jungs Werk finden lassen, tritt vornehmlich derjenige der Antinomie Gottes und ihrer Darstellung in Mandalastruktur hervor. Eher als ein Erleuchteter denn ein Philosoph hatte Böhme in einer mystischen Vision das centrum naturae geschaut. Das gesamte Werk Böhmes ist durchzogen von der Frage nach der Bedeutung von Gut und Böse als den Strukturelementen alles Seienden und nach der Gegensatznatur des Gottesbildes: „Darinnen ich dann in allen Dingen Böses und Gutes fand, Liebe und Zorn, in den unvernünftigen Kreaturen als in Holz, Steinen, Erden und Elementen sowohl als in Menschen und Tieren. Dazu betrachte ich das kleine Fünklein des Menschen, was er doch gegen diesem großen Werke Himmels und Erden vor Gott möchte geachtet werden. Weil ich aber befand, daß in allen Dingen Böses und Gutes war, in den Elementen sowohl als in den Kreaturen, und daß es in dieser Welt dem Gottlosen so wohl ginge als den Frommen, auch daß die barbarischen Völker die besten Länder innehätten, und daß ihnen das Glücke noch mehr beistünde als den Frommen, ward ich derowegen ganz melancholisch und hoch betrübt und konnte mich keine Schrift trösten, welche mir doch fast wohl bekannt war.“61 Der Gegensatz von Gut und Böse ist nicht nur ein Grundzug des Menschen, sondern der ganzen Natur, ja der ganzen Welt. „Derselbe Gegensatz erfüllt die ganze Welt: er herrscht im Himmel wie auf Erden, und da alles nur in Gott seine Ursache haben kann, so muß er auch in diesem aufgesucht werden.“ Böhme dehnt die coincidentia oppositorum bis auf die äußerste Grenze aus, und er findet mit wohl kaum bewußtem Anschluß an Meister Eckhart den Grund der Dualität in der Notwendigkeit der Selbstoffenbarung des göttlichen Urgrundes. „Wie das Licht nur an der Finsternis, so kann Gottes Güte nur an seinem Zorn offenbar werden.“62 Der Görlitzer rang sich durch zu einer Auffassung Gottes als Einheit des Lichts und des Dunkels, des Zornes und der Liebe, des Guten und des Bösen. Eine ähnliche Auffassung vom deus absconditus klingt bei Jung in Antwort auf Hiob an, wenn er schreibt: „Gott hat einen furchtbaren Doppelaspekt: ein Meer der Gnade stößt an einen glühenden Feuersee (...). Das ist das ewige Evangelium (im Gegensatz zum zeitlichen): man kann Gott lieben und muß ihn fürchten.“63 Die letzten, die großen Geheimnisse des Seins sind antinomisch, und bei Böhme wird das Urphänomen der Gegensätze ontologisch verankert. Bei Jung erfährt dieses Urphänomen eine psychologische Ausformung, in der letztlich auch ein Gottesbild zum Aus-

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druck kommt, das nichts mit dem „Gott der Philosophen“ bzw. dem „Gott der Theologen“ gemein hat, sondern mit dem lebendigen Gott der inneren Erfahrung, mit der Erfahrung des Selbst. Genau hier liegt heute der entscheidende Unterschied zwischen den quaternarischen Gottesbildern von Böhme und von Jung – obwohl beide Bilder einem religiösen Erlebnis entspringen, obwohl beide näher an der Gottesvorstellung des Alten Testaments stehen als am summum bonum des christlichen Denkens, wird erst der moderne psychologische Standpunkt ein wissenschaftliches Instrumentarium bereitstellen, das mit Blick auf die Empirie des Individuationsprozesses eine Neuorientierung und damit ein tieferes, fundiertes Verständnis der Weiterentwicklung des christlichen Mythus ermöglichen kann. Diese Weiterentwicklung ist – so Jung – Jakob

Böhme nämlich nur zum Teil gelungen.64 Was schließlich das dritte klassische Zeitalter, die Romantik, betrifft, so kann es keinen Zweifel daran geben, dass Jungs Werk von hier die stärksten Impulse erfahren hat. Natürlich muss bei einer Untersuchung der Rekurse und Bezüge Jungs auf die Romantik auch immer an den Umstand erinnert werden, dass sich die romantische Naturphilosophie zwar selbst durch Rückgriffe auf die beiden vorangegangenen Zeitalter der Naturphilosophie konstituiert, dabei aber die spezifischen historischen, sozio-ökonomischen und wissenschaftlichen Rahmenbedingungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts in die Traditionslinie naturphilosophischen Bemühens mit einbringt. Mit anderen Worten, die Romantik versucht die Frage nach der Wesenseinheit von Gott, Seele und Natur unter Berücksichtigung des Erkenntnis- und Problemstandes ihrer Zeit zu einer umfassenden und – erstmalig bei Schelling auch – syste-

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matischen Naturphilosophie auszuarbeiten. Sie zeichnet sich aus durch eine stark gefühlsmäßige, an Verehrung grenzende Bindung an die Natur, aus der die lyrische Dichtung und die naturphilosophische Spekulation erwachsen, sowie durch die Suche nach dem geheimnisvollen „Grund“ der Natur, den der Romantiker zugleich für das Fundament seiner eigenen Seele hält – die schaffende Natur ist auch im Künstler tätig. Hieraus resultiert das Interesse der Romantiker an allen Manifestationen des Unbewussten, an Träumen und deren Symbolik, am Genie, an Geisteskrankheiten und Parapsychologie, zudem an Mythen und Märchen. Des weiteren betonen sie das Gefühl für das „Werden“, darin sich das Individuum, die Gesellschaft, ja ganze Nationen und Kulturen, in einem Prozess von Metamorphosen aus den Urprinzipien entwickeln und entfalten. Schließlich zeichnen sie sich aus sowohl durch ein höchst kultiviertes Einfühlungsvermögen gegenüber anderen Kulturen und Geschichtsperioden als auch durch einen stark ausgeprägten Individualismus.65 Es gibt – angesichts der romantischen Betonung des Gefühls, des Gemüts und des Irrationalen – daher bei Jung, und auch bei Freud, kaum ein tiefenpsychologisches Konzept, das nicht schon vom Programm der Romantik vorweggenommen worden wäre. Natürlich muß hier zuallererst der Rekurs auf Johann Wolfgang von Goethe genannt werden, der von Jung als der Pate des eigenen geistigen Koordinatensystems bezeichnet wird.66 Was das Denken Goethes betrifft, so besitzt es, wie Ernst Bloch herausgearbeitet hat, selbst eine maßgebliche Renaissance-Dimension. Sehr früh, um 1769, hatte sich Goethe, ausgelöst durch einen schweren physischen Zusammenbruch, intensiv u. a. in die Schriften von Paracelsus vertieft wie auch selbst alchemistische Versuche unternommen, was sein späteres Verständnis von Naturgeschehen nachhaltig inspirieren sollte. Zudem ist sein Werk unübersehbar von Giordano Bruno und Jakob Böhme, aber auch durch Rekurse auf die Vorsokratik, auf Heraklit, geprägt. Neben der Vorstellung eines sympathetischen Weltzusammenhangs begegnet man deshalb gerade in Goethes Spätwerk, das freilich auch durch die Naturphilosophie von Schelling beeinflußt ist, dem Prinzip des Widerstreits der Gegensätze, dem Prinzip der Polarität, das zusammen mit dem Prinzip der Steigerung dem Naturgeschehen in einem dynamischen Werdeprozess eine quantitative und qualitative Aufwärts- und Höherentwicklung verleiht. Polarität und Steigerung sind ihm die zwei großen Triebräder aller Natur. Im Werdeprozeß – hier wird der „statische“ Spinozismus durch Goethe „dynamisiert“ – ergießt das göttliche All-Leben den unendlichen Inhalt seines Wesens in die Fülle individueller Gestaltungen und entfaltet sich in der anorganischen und organischen Welt. Nicht einem außerweltlichen, personal zu denkenden Gott, einem Gott, „der nur von außen stieße“, gilt Goethes Interesse, vielmehr sucht er das Göttliche in den mannigfaltigen Gestaltungen der Natur, also in herbis et lapidibus, und eine ähnliche Vorstellung von der Entfaltung eines schöpferischen Prinzips klingt auch bei Jung an, wenn er

Die von Gott geleitete anima mundi, die ihrerseits den Menschen führt

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in einem Brief schreibt: „Das innerste Selbst jedes Menschen und Tieres, der Pflanzen und Kristalle ist Gott, aber unendlich vermindert und seiner schließlichen individuellen Gestalt angeglichen.“67 Obwohl der zentrale Begriff der Analytischen Psychologie, der Archetypus-Begriff, eine Geschichte besitzt, die sich bis zum platonischen eidos zurückverfolgen lässt, hat natürlich auch Goethes Konzeption des „Urphänomens“, z. B. der Urpflanze, direkt auf die Genesis von Jungs Archetypus-Begriff gewirkt. Zwar ist – und darauf muss zur Vermeidung von Missverständnissen immer wieder hingewiesen werden – der Archetypus-Begriff als psychologische Entsprechung des philosophischen Eidos-Begriffs zu verstehen, aber erst mit Blick auf Goethes morphologische Methodik in der Biologie und seiner Suche nach der Urpflanze bzw. dem Urtier erklärt sich auch der morphologische Ansatz Jungs bei der Erforschung von Träumen und anderen Manifestationen des kollektiven Unbewussten, ein Ansatz, der eine tragende Rolle bei der Formulierung der Archetypenlehre innehatte. Auch wenn sich Jung in seinem Werk als profunder Kenner des gesamten Goetheschen Universums ausweist, so kristallisiert sich doch immer wieder der unmittelbare Einfluss des Faust heraus; außer Nietzsches Zarathustra hat kein Werk der Weltliteratur einen größeren Einfluß auf das Jung’sche Denken gehabt als Goethes Faust. Schon in seiner Jugend war Jung dem Faust begegnet und in jedem wichtigen Werk von Jung schlägt sich auch die Auseinandersetzung mit diesem Buch nieder.68 Angesichts der Vielfalt der Jung’schen Beziehungen zum Faust würde es den Rahmen der vorliegenden Studie jedoch weit überschreiten, auf alle Querverweise Jungs en détail einzugehen. In summa aber besteht der geistesgeschichtliche Rang des Faust für Jung darin, dass dieser ein „alchemistisches Drama von Anfang bis Ende“69 darstellt, wobei dieses Drama schlussendlich seinen „Gipfel in der Gestaltung von Goethes religiöser Weltanschauung, wie sie uns im ,Faust‘ erscheint“70, erreicht. Die Alchemie erklimmt „noch eine letzte Höhe und damit den historischen Wendepunkt in Goethes ,Faust‘, der von Anfang bis Ende mit alchemistischen Gedankengängen durchtränkt ist. Was im ,Faust‘ geschieht, drückt sich wohl am deutlichsten in der Paris-Helena-Szene aus. Für den mittelalterlichen Alchemisten hätte diese Szene die geheimnisvolle ,coniunctio‘ von Sol und Luna in der Retorte bedeutet; der Mensch der neueren Zeit aber, verkleidet in der Figur des Faust, erkennt die Projektion und setzt sich an Stelle des Paris oder Sol und bemächtigt sich der Helena oder Luna, seines inneren weiblichen Gegenstückes (...). Dadurch, daß sich Faust mit Paris identifiziert, zieht er die ,coniunctio‘ aus der Projektion in die Sphäre persönlich-psychologischen Erlebens und damit in das Bewußtsein. Dieser entscheidende Schritt bedeutet nichts weniger als die Auflösung des alchemistischen Rätsels und damit auch die Erlösung eines bis dahin unbewußten Persönlichkeitsteiles. Jeder Zuwachs an Bewußtheit aber birgt die Gefahr

der Inflation in sich. Im Übermenschentum Fausts tritt sie uns deutlich entgegen. Faustens Tod ist eine zeitgeschichtlich bedingte Notwendigkeit, aber keine genügende Antwort. Die Geburt und die Wandlung, welche auf die ,coniunctio‘ folgen, sind im Jenseits, das heißt im Unbewußten verlaufen.“71 Das Problem wird – so Jung – wieder in Nietzsches Zarathustra aufgenommen. Die Wandlung zum Übermenschen, „welchen er (Nietzsche; T. A.) aber in gefährlichste Nähe des diesseitigen Menschen rückte“72, kommt dabei einer Hybris des individuellen Bewusstseins gleich. Auf den Individualismus des Übermenschen antwortet die nachfolgende Zeit aber mit einem Kollektivismus und der Tendenz der Vermassung: „Erstickung der Persönlichkeit einerseits, ein ohnmächtiges, vielleicht tödlich verwundetes Christentum anderseits: das ist die ungeschminkte Bilanz unserer Zeit.“73 Polarität und Steigerung – der Einfluß von Friedrich Wilhelm Schelling, dem Feuerkopf der romantischen Naturphilosophie – auf Goethes Naturverständnis kann nur schwerlich überschätzt werden, er garantiert den Naturstudien Goethes sozusagen den philosophischen Unterbau. Gemeinsam sind darum beiden, dem Philosophen und dem Poeten, Begriffe wie Gott-Natur, Weltseele, Allbeseelung oder der Organismus-Gedanke. Natürlich ist auch Schelling stark vom Neuplatonismus, von Plotin und von Jakob Böhmes Naturphilosophie und Theosophie inspiriert; des weiteren spielt das Weltbild des Nolaners eine einflußreiche Rolle in Schellings Denken. Obwohl in Jungs Werk nur sporadisch auf Schellings Werk Bezug genommen wird, und dies vorwiegend im Kontext der historischen Entwicklung des Begriffs des Unbewussten, hat Rolf Fetscher eine Reihe von Übereinstimmungen zwischen den tiefenpsychologischen Konzeptionen und den Gedankengängen in der Philosophie Schellings untersucht und herausgestellt.74 Zuerst ist natürlich die Vorstellung einer polaren Anordnung des Seins zu nennen, die das Grundprinzip von Schellings Naturphilosophie darstellt: „Es ist erstes Princip einer philosophischen Naturlehre, in der ganzen Natur auf Polarität und Dualismus auszugehen.“75 „Ein solcher Dualismus aber muß angenommen werden, weil ohne entgegengesetzte Kräfte keine lebendige Bewegung möglich ist. Reelle Entgegensetzung aber ist nur da denkbar, wo die Entgegengesetzten dennoch zugleich in einem und demselben Subjekt gesetzt sind.“76 Sein psychologisches Äquivalent findet diese Aussage Schellings in der Jung’schen Vorstellung der Welt als „Gegensatzgemälde“, derzufolge alles Seiende sich durch Gegensätze konstituiert und nur aus der Gegensatzspannung die Energie alles Lebendigen, die Libido, entspringt, ohne die der Begriff der Entwicklung nicht denkbar ist. Das Grundprinzip der Polarität trägt Schelling – hier wird der Einfluss von Jakob Böhme evident – auch in seinen Gottesbegriff hinein, der, auf einer philosophischen Ebene, Zornes-Kraft und Liebe, Niederes und Höheres zugleich enthält und somit als coincidentia oppositorum gedacht

(Robert Fludd, Utriusque cosmi maioris scilicet et minoris metaphysica, physica atque technica historica, Oppenheim, 1617)

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werden muss. „Aber eben weil sie (die Gottheit; T. A.) die ganze und ungetheilte, das ewige Ja und das ewige Nein ist, ist sie auch wieder weder das eine noch das andere und die Einheit beider. Es ist hier keine eigentliche Dreiheit außereinander befindlicher Principien, sondern die Gottheit ist, als das Eins, und eben weil sie das Eins ist, sowohl das Nein, als das Ja und die Einheit von beiden.“77 Es darf aber bei aller Ähnlichkeit der Aussagen von Schelling und Jung nicht übersehen werden, dass es sich bei Jungs antinomischem Gottesbild nicht um eine Beschreibung des „Wesens“ Gottes handelt, „sondern um die Beschreibung von Entsprechungen, auf die man stößt, wenn man sich vom Bereich des Psychologischen her auf den Gottesbegriff zubewegt.“78 Für Fetscher besteht auch ein enger Zusammenhang zwischen Schellings Vorstellungen vom göttlichen Schöpfungsprozess, von der menschlichen Selbstbewusstwerdung und Jungs Konzeption des Individuationsprozesses als einem bewusstseinserweiternden Prozess der Integration des Unbewussten. Die Idee, von der Schelling geleitet wird, besteht darin, „daß der Lebenslauf des Menschen, der Gottes Ebenbild ist und der von sich nur soweit wissen kann als Gott von ihm weiß, der Selbstentwicklung Gottes parallel sein müsse. Da nun des Menschen Leben durch den Sündenfall als Anfang und die Erlösung als Ziel bestimmt ist, so muß die ewige Selbstgebärung Gottes darin bestehen, daß auch Gott aus dunklem, vernunftlosem Urwesen sich durch Selbstoffenbarung und Selbsterkenntnis zur absoluten Vernunft entfaltet.“79 Schöpfung wird somit zum Bewusstwerdungsprozess des Göttlichen und es mutet geradezu als eine Vorwegnahme von Jungs Begriff des Individuationsprozesses an, wenn Fetscher in diesem Sinne Schelling zitiert: „Aber wie der Mensch im Proceß seiner Selbstbildung oder Selbstbewußtwerdung das Dunkle, Bewußtlose in sich von sich ausschließt, sich entgegensetzt, nicht um es ewig in dieser Ausschließung, in diesem Dunkel zu lassen, sondern um dieses Ausgeschlossene, dieses Dunkle selbst allmählich zur Klarheit zu erheben, es hinaufzubilden zu seinem Bewußten, so schließt auch Gott das Niedere seines Wesens zwar von dem Höheren aus und drängt es gleichsam von sich selbst hinweg, aber nicht um es in diesem Nichtseyn zu lassen, sondern um es aus ihm zu erheben, um aus dem von sich ausgeschlossenen Nichtgöttlichen – aus dem, was nicht Er selber ist, und was er eben darum von sich geschieden, das ihm Aehnliche und Gleiche zu erziehen, heraufzubilden, zu schaffen. Schöpfung besteht daher in dem Hervorrufen des Höheren, eigentlich Göttlichen in dem Ausgeschlossenen (...) dieses untergeordnete Wesen, dieses Dunkle, Bewußtlose, was Gott beständig von sich, als Wesen, von seinem eigentlichen Inneren hinwegzudrängen, auszuschließen sucht, ist die Materie (freilich nicht die schon gebildete), und die Materie also nichts anderes als der bewußtlose Theil von Gott.“80 Gott ist nicht „fertig“: Hier schimmert, alchemistisch

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gesehen, die Idee des in der Materie verborgenen mercurius durch, der seiner Erlösung durch den Menschen harrt. In der Materie offenbart sich, um mit Jung zu sprechen, der psychoide Aspekt der Archetypen. Die Lösung des erkenntnistheoretischen Problems, also die Frage nach der Möglichkeit von Erkenntnis der äußeren Welt durch den Menschen, ergibt sich bei Schelling durch die Identität von Natur und erkennendem Geist: „Die Natur soll der sichtbare Geist, der Geist die unsichtbare Natur seyn. Hier also, in der absoluten Identität des Geistes in uns und der Natur außer uns, muß sich das Problem, wie eine Natur außer uns möglich sey, auflösen.“81 Obwohl Schelling den äußeren Dingen in gewissem Sinne eine objektive Realität zuerkennt, ist die Möglichkeit zur Erkenntnis in das Innen des erkennenden Subjekts verlagert. Schellings Aussage: „Wir kennen unmittelbar nur unser eigen Wesen, und nur wir selbst sind uns verständlich“, wird von Fetscher in direkten Zusammenhang mit Jungs Auffassung gebracht, wonach die Psyche und ihre Inhalte die einzige Wirklichkeit darstellen, die uns unmittelbar gegeben ist.82 Der Organismus-Gedanke Schellings ist für Fetscher ein weiterer gemeinsamer Berührungspunkt zwischen dem Romantiker und Jung. Wenngleich Schelling die Ergebnisse der experimentellen Naturwissenschaften keineswegs ignoriert, spiegelt sich sein Protest gegen das mechanistisch-materialistische Naturverständnis, mit dem ja die europäische Moderne angetreten ist, in einem Gegenentwurf, der die organische Einheit der Natur propagiert.83 Der Organismus-Gedanke setzt aber eine produktive Kraft, einen organisierenden – und das heißt auch selbstregulierenden – Geist voraus. Auf das System „Psyche“ übertragen, wird – so Fetscher – die Parallele der tiefenpsychologischen Vorstellung zu Schellings OrganismusGedanken durch folgende Feststellung Jungs deutlich erkennbar: „Eine psychologische Theorie, die mehr sein soll als bloß technisches Hilfsmittel, muß sich auf das Gegensatzprinzip gründen; (...) Es gibt kein Gleichgewicht und kein System mit Selbstregulierung ohne Gegensatz. Die Psyche aber ist ein System mit Selbstregulierung.“84 Schließlich stellt Schellings Auffassung der Mythologie für Fetscher eine philosophische Vorwegnahme des Begriffs des kollektiven Unbewussten dar. Weder erklärt sich für Schelling die Mythologie durch einen Standpunkt der überhöhten Erzählung aus der Vorgeschichte des Menschen, noch ist für ihn die Mythologie ein bloßes Fantasiegebilde. Die Mythologie findet nach Schelling ihre Wurzeln im menschlichen Bewusstsein – Bewusstsein im Sinne von Schelling, also ohne, wie Fetscher hervorhebt, tiefenpsychologische Trennung in Bewusstsein und Unbewusstes im Sinne Jungs –, so „daß ihre Entstehung (die der Mythologie; T. A.) in das Innere der ursprünglichen Menschheit versetzt wurde, daß nicht mehr Dichter oder kosmogonische Philosophen oder Anhänger einer geschichtlich vorausgegangenen religiösen Lehre als Urheber galten, son-

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dern das menschliche Bewußtsein selbst als der wahre Sitz und das eigentliche erzeugende Princip der mythologischen Vorstellungen erkannt wurden.“85 Die Menschen zu allen Zeiten der Menschheitsgeschichte unterliegen einem „mythologischen Prozess“, welcher von überindividuellen Mächten in Gang gesetzt ist: „Es sind überhaupt nicht die Dinge, mit denen der Mensch im mythologischen Proceß verkehrt, es sind im Innern des Bewußtseyns selbst aufstehende Mächte, von denen es bewegt wird.“86 Die Welt des Mythos aber ist eine urbildliche Welt: „Nur als Typus – gleichsam als die urbildliche Welt selbst – hat die Mythologie allgemeine Realität für alle Zeiten.“87 Ruft man sich angesichts Schellings Auffassung vom Mythos noch einmal die Grundprinzipien von Jungs Archetypenlehre, die u. a. auch auf einem ausgedehnten Studium von Mythen und Märchen gründet, ins Gedächtnis, so wird die Nähe beider Auffassungen sehr deutlich: Die Welt des Mythos ist eine archetypische Welt, deren Inhalte keine Erfindungen der Fantasie sind, sondern als Bildungen eines universellen menschlichen „Bewusstseins“ mit den beobachtbaren Strukturen des kollektiven Teils der Psyche, den Archetypen, koinzidieren. Allerdings – so hebt Fetscher hervor – besitzen für Schelling die mythologischen Götter, die symbolisch vom Mythos dargestellt werden, eine eigenständige Realität, sie sind Brücken zum Absoluten, zum einen, nicht mehr erkennbaren Gott, während bei Jung die Archetypen – zumindest in der frühen Formulierung seiner Archetypenlehre – eine Betonung als innerpsychische Realität erfahren.88 Obwohl sich bei Jung nur zwei Bezüge auf die romantische Seelenkunde von Gotthilf Heinrich von Schubert, ein Schelling-Schüler aus der Jenaer Zeit, finden lassen, identifiziert Henry Ellenberger eine Reihe auffallender Ähnlichkeiten zwischen von Schuberts Weltanschauung und Konzepten, die der Analytischen Psychologie, aber auch der Psychologie Freuds, zugrunde liegen.89 In seinem Frühwerk Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft entwirft von Schubert ein Bild des Menschen, der ursprünglich eins war mit der Natur und mit dieser in einem Zustand der Harmonie gelebt, sich aber dann durch seine Ich-Sucht und seine Selbstständigkeit von der Natur entfernt hat und diese nun als Gegenstand, als Äußeres, erfaßt.90 An einem zukünftigen Punkt seiner Entwicklung wird der Mensch sich in einer vervollkommneten Form der Natur wieder zuwenden. Das Leben des Menschen, dessen drei Bestandteile Leib, Seele und Geist sind, durchläuft dabei eine Reihe von Metamorphosen; diese Vorstellung vom Wandlungsgeschehen ähnelt Ellenberger zufolge dem Prozess der Individuation bei Jung. Des weiteren besitzt der Mensch bei von Schubert einen zweiten Mittelpunkt der Seele, dem Ellenberger den Archetypus des Selbst gegenüberstellt. In seiner Auffassung vom Traum, wie sie von Schubert in seinem Werk Die Symbolik des Traumes niederlegt, sind Träume (und der Somnambulismus) diejenigen Organe, in denen die Wahlverwandtschaft des menschlichen Wesens mit einem höheren göttlichen Urgrund erscheint: Das höchste Prinzip ist im Menschen

tätig, wenn er schläft.91 Im Gegensatz zur Wortsprache des Wachbewusstseins sprechen die Träume im Schlaf eine Bildersprache, eine Hieroglyphensprache – sie ist die eigentliche Sprache des Schicksals, die Sprache Gottes. Die Bildersprache der Träume ist eine dem menschlichen Geist angeborene Sprache, die nicht wie die Wortsprache erlernt werden muss, sie ist daher Ursprache, eine Sprache mit universalen Symbolen, deren Bedeutung bei allen Völkern und Individuen gleich ist. Diese Vorstellung von universalen Symbolen lässt sich zwanglos mit Jungs Archetypenlehre vergleichen. Auch bei Ignaz Paul Troxler identifiziert Ellenberger Gedankengänge, die seiner Meinung nach deutliche Ähnlichkeit zu Konzepten der Analytischen Psychologie aufweisen, wobei allerdings festzuhalten bleibt, dass der Schweizer Naturphilosoph in Jungs Werk selbst keine Erwähnung findet. Nach Troxler, der wie von Schubert ein Schüler Schellings war, setzt sich der Mensch aus vier Prinzipien zusammen, wobei er zwischen Leib und Körper unterscheidet: Der Leib ist ihm ein beseeltes und empfindendes System, soma, der Körper jedoch das, was dem Anatom oder Chirurg erscheint. Ellenberger beschreibt diese vier Prinzipien Troxlers wie folgt: „Die ,Vierheit‘ (Tetraktis) besteht aus zwei Polaritäten: Soma und Seele, die auf gleicher Stufe stehen und einander ergänzen, und Geist und Körper, wobei der letztere dem ersteren untergeordnet ist. Diese vier Prinzipien werden zusammengehalten durch das Gemüt, das der lebendige Mittelpunkt der ,Vierheit‘ (Tetraktis) ist.“92 Das „Gemüt“ ist nach Troxler die wahre Individualität des Menschen, des Daseins lebhaftester Mittelpunkt. Der menschliche Lebenslauf in der Troxlerschen Anschauung, so Ellenberger weiter, ist eine „Abfolge immer höherer Grade des Bewußtseins. Das kleine Kind lernt zunächst zwischen Ich und Nicht-Ich zu unterscheiden, dann zwischen Seele und Soma. Wenn die Seele sich vom Soma freigemacht hat, kann sich der Mensch mit rein intellektuellem Wissen zufriedengeben, er hat auch die Freiheit, eine dritte Entwicklungsebene zu wählen, nämlich die des Geistes (...). Es ist das wahre Ziel der Philosophie, den Geist zu einem Organ der Erkenntnis zu machen, durch das dem Menschen höhere geistige Wirklichkeiten aufgeschlossen werden.“93 In dieser Stufenfolge der seelischen Entwicklung, wie sie in der Troxlerschen Anschauung dargelegt ist, sieht Ellenberger deutliche Ähnlichkeiten zu Jungs Prozess der Individuation. Auch stellt Ellenberger Troxlers „Gemüt“ den Archetypus des Selbst gegenüber. Der Arzt und Philosoph Carl Gustav Carus spielt vor allem bei Jungs Darlegungen der Geschichte des Unbewussten eine immer wieder zentrale Rolle. Carus, der in Goethe seinen spiritus rector sah, aber umgekehrt auch von Goethe auf das Höchste geschätzt wurde, hatte den Begriff des Unbewussten erstmalig zu einer systematischen Theorie ausgebaut. Die geistesgeschichtliche Bedeutung von Carus‘ Werk würdigt Jung im Rückblick auf die Philosophiegeschichte der Neuzeit: „Die Entgeis-

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tung der Natur war der modernen Naturwissenschaft mit ihrer sogenannten objektiven Erkenntnis des Stoffes vorbehalten. Alle anthropomorphen Projektionen wurden eine um die andere aus dem Objekt zurückgezogen, wodurch einerseits die mystische Identität des Menschen mit der Natur in bisher unerhörtem Maße beschränkt wurde, andererseits aber erfolgte, durch die Zurückziehung der Projektionen in die Seele, eine solche Belebung des Unbewußten, daß die neuere Zeit nicht mehr umhin konnte, die Existenz einer unbewußten Psyche zu postulieren. Hierzu zeigen sich die ersten Ansätze schon bei Leibniz und Kant und dann in rasch ansteigendem Maße bei Schelling, Carus und von Hartmann, bis die moderne Psychologie auch noch die letzten metaphysischen Ansprüche der philosophischen Psychologen abstreifte und die Idee der psychischen Existenz auf die psychologische Aussage, das heißt auf die psychologische Phänomenologie beschränkte.“94

Psyche hingewiesen hat.96 Zum Beispiel spiegelt sich Jungs Vorstellung vom kollektiven Unbewussten in der Ansicht von Carus wider, die eine Verbindung zwischen dem Unbewussten des einzelnen mit dem Unbewussten aller Menschen, ja mit dem Weltganzen behauptet. Auch wird das Unbewusste sowohl von Jung als auch von Carus als ein weltschöpferisches Prinzip verstanden, das einem Bewusstsein, welches seiner eigenen Voraussetzung gegenüber geöffnet ist, zur Erweiterung bzw. Vertiefung verhilft.97 Aber beide wissen auch um die Gefahren, die das Unbewusste bereithält, und um die Bedeutung, die dem Bewusstsein in diesem Zusammenhang zukommt.98 Der Organismus- und Entwicklungsgedanke der Analytischen Psychologie findet schließlich auch seine Legitimation im platonisch-romantischen Holismus eines Carus.

„Wie die Alchemie, sozusagen im Dunkeln tappend, durch unzählige Variationen ihrer theoretischen Voraussetzungen und ihrer praktischen Versuche hindurch im Laufe vieler Jahrhunderte ihren Weg ertastete, so hat die mit Carl Gustav Carus anhebende Psychologie des Unbewußten die von der Alchemie verlorene Fährte wieder aufgenommen. Dies geschah merkwürdigerweise in jenem Augenblick der Geschichte, wo das Streben der Alchemisten seinen höchsten dichterischen Ausdruck in Goethes ,Faust‘ erreichte. Als Carus schrieb, hatte er allerdings nicht geahnt, daß er die philosophische Brücke zu einer zukünftigen empirischen Psychologie baute, welche sozusagen wortwörtlich das alte Rezept der Alchemie wieder aufnehmen sollte: ,(...) in stercore invenitur‘; diesmal allerdings nicht in die billige, unansehnliche Substanz projiziert, welche, von allen verworfen, überall auf der Straße gefunden werden konnte, sondern in die peinliche Dunkelheit der menschlichen Seele, die mittlerweile klinisch erfahrbar geworden war. Dort nur fanden sich alle jene Gegensätzlichkeiten, jene grotesken Phantasmata und skurrilen Symbole, welche den Geist der Alchemisten fasziniert und ebenso verwirrt wie erleuchtet hatten. Und es stellte sich dem Psychologen das gleiche Problem, welches schon durch siebzehnhundert Jahre die Alchemie in Atem gehalten hatte: Was soll er mit diesen Gegensätzlichkeiten? Kann man sie verwerfen und sich ihrer entledigen? Oder muß man ihr Vorhandensein anerkennen, und ist es unsere Aufgabe, sie zum Einklang zu bringen und aus dem Vielfältigen und Widerspruchsvollen eine Einheit, die sich natürlicherweise nicht von selbst ergibt, mit menschlicher Bemühung – Deo concedente – herzustellen?“95

Zum Abschluß soll noch von Friedrich Creuzer die Rede sein, dessen Symbolik und Mythologie der alten Völker Jung mit höchstem Interesse studiert hat.99 Hier findet Jung eine Fülle von Mythen und Symbolen sowie eine neuplatonisch grundierte Deutung. Creuzer, ein in Heidelberg lebender Schiller-Schüler, hatte die Schriften von Plotin und Proklos ediert und einen neuen, und zwar symbolischen Ansatz zur Interpretation der Mythen entwickelt. Im unmittelbaren Anschluss an eine Reise nach Amerika, die Jung mit Freud zusammen unternommen hatte und in deren Verlauf sich aufgrund von Jungs Haus-Traum die ersten Anzeichen des späteren Zerwürfnisses zeigten, hatte Jung die Arbeit von Creuzer zur Hand genommen und sich in ein Studium der Mythologie und Archäologie vertieft.100 Zusammen mit dem mythologieträchtigen Fantasiematerial von Miss Miller sollte dieses Studium schließlich seinen Niederschlag in Wandlungen und Symbole der Libido finden. In diesem Zusammenhang hat James Hillman nochmals die Bedeutung Creuzers hervorgehoben, indem er die psychologische Quelle der Archetypenlehre in Jungs Haus-Traum, die historische Quelle jedoch in Creuzers Werk sieht.101 Die Ursache dafür, dass Jung so stark von Creuzers Arbeit inspiriert wurde, sieht Hillman in einer geistigen Affinität zwischen Jung und Creuzer, deren Grundlage letztlich im Neuplatonismus zu suchen ist. Die von Hillman in diesem Zusammenhang dargestellten Parallelen zwischen Plotins All-Einheits-Denken und Jungs Archetypenlehre sind zudem äußerst erhellend im Hinblick auf die panentheistischen Aspekte der Analytischen Psychologie. Es muß aber, trotz aller Affinität zum Neuplatonismus, hervorgehoben werden, dass Jungs (und auch Paulis) kritische Revision der abendländischen Geistesgeschichte letztlich eine symmetrische Behandlung des Gegensatzpaares Geist – Materie einfordert, das heißt eine Rangerhöhung der Materie, die bei Plotin und in der christlichen Tradition als das Böse und als eine privatio der Ideen, als privatio boni, behandelt wird.

Jung war dem Werk von Carus in seinen ersten Studienjahren begegnet; der Rekurs von Jung verdeutlicht sich in einer ganzen Reihe von Ähnlichkeiten, auf die James Hillman in einem Vorwort zur englischen Ausgabe von Carus‘

Es versteht sich von selbst, dass die obige Darstellung der Rekurse und Bezüge des Jung’schen Werkes auf alle drei klassischen Zeitalter der Naturphilosophie allenfalls einen kursorischen Charakter besitzt. Dies liegt zum Teil an dem

Die historische Bedeutung, die Jung dem Werk von Carus zuschreibt, erscheint freilich nochmals in einem besonderen Licht angesichts des geistesgeschichtlichen Ranges, den Goethes Faust für Jung innehatte:

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Rekurse und Bezüge der Jung’schen Tiefenpsychologie auf alle drei klassischen Zeitalter der Naturphilosophie. (Bild S. 27, links oben)

großen Umfang und der fehlenden Systematik des Jung’schen Werkes, wie auch an der höchst komplexen Wirkungsgeschichte philosophischer Begriffsbildungen. Dass aus der fehlenden Systematik ein Synkretismus abgeleitet werden kann, wie dies Jung oft zum Vorwurf gemacht wurde, geht an der eigentlichen Intention der Jung’schen Tiefenpsychologie allerdings vorbei. Jung war Empiriker, der sich als Arzt primär für die Lebensprozesse, seien sie in der Psyche oder in der Natur angesiedelt, interessiert hat. Zudem war er interessiert an allen psychologischen Aspekten religions- und geistesgeschichtlicher Symbolik. Seine Rekurse und Bezüge stellen insgesamt ein Vehikel dar, die Komplexität dieser Prozesse überhaupt zu erfassen und vom Standpunkt der Psychologie zu verstehen. Seinen Kritikern gegenüber hat er immer wieder auf diese Komplexität hingewiesen, die sich letztendlich – legt man eine gewisse intellektuelle Bescheidenheit als Maßstab an – den Einordnungsversuchen des menschlichen Verstandes und selbst den ausgefeiltesten philosophischen Systemen doch immer wieder entzieht. Wem die Arbeit an der Wirklichkeit und Autonomie der Seele zum existentiellen Bedürfnis wird, wem Segen und Fluch des eigenen Individuationsprozesses auferlegt ist, der wird auch eher an das mühsame Gestammel der Mystiker und deren cognitio dei quasi experimentalis erinnert als an die Versuche rationaler Gottesbeweise und philosophischer Begriffsakrobatik:

öffnen sich heute mit Blick auf die Möglichkeit eines vierten Zeitalters der Naturphilosophie plötzlich Perspektiven, die weit über den akademischen Diskurs, der sich nur noch auf Big-Bang-Theorien oder Probleme der Quantenlogik beschränkt, hinausgehen. Denn in der Psyche des Individuums läßt sich wieder die Wesenseinheit von Idee und Materie, von mundus archetypus und Physis, erleben und erkennen.103 Jungs Grundeinstellung spiegelt letztlich die des Panentheismus oder, philosophisch gesprochen, die eines psycho-physischen Monismus, allerdings mit einer Besonderheit: hen kai pan wird Prozess, ein zu lebender und lebbarer Prozess – von hier, und nur von hier, wird dem gegenwärtig wieder anstehenden „psycho-physischen Problem“ der Ansatz einer Lösung zuwachsen können, zumal Jung und Pauli beide der Ansicht waren, dass unser Zeitalter durch den Archetyp der coniunctio geprägt sei, was auch eine Rangerhöhung der Materie und des Weiblichen als Aufgabe impliziert, eine Inkarnation des Prinzips des Eros.104 Omnia coniungo, „Ich verbinde Alles“, ist dabei das Motto der Sophia, der Weltseele, der anima mundi, die es zu erkennen, zu erlösen und zu leben gilt. Die Dimension der Problemstellung, über die man sich freilich keine Illusionen machen darf, verdeutlicht sich dabei, so Jung, am „2000-jährigen Problem“ der abendländischen Geistesgeschichte: „Wie gelangt man von Drei zu Vier?“105 – oder auch: Wie wird der Mensch wieder zum Hüter der Erde? Zum Abschluß sei noch ein Rundblick gestattet: Birgt die Analytische Psychologie heute das größte Potential zur

„Es ist mir dabei bewußt, (...) daß ein bloß intellektuelles Verstehen hier nicht ausreicht. Wir gewinnen damit nämlich nur gewisse Wortbegriffe, vermissen aber deren eigentlichen Gehalt, welcher in der lebendigen und eindrücklichen Erfahrung des Prozesses an uns selber besteht. Man wird gut daran tun, sich in dieser Hinsicht keinen Illusionen hinzugeben: man kann mit keinem Verstehen von Wörtern und kein Anempfinden wirkliche Erfahrung ersetzen.“102 Weil Jung aber mit seiner psychologisch orientierten Suche nach der Wesenseinheit von Gott, Seele und Natur ganz in der Linie naturphilosophischer Tradition steht, er-

Anima mit Lichtkrone, Peter Birkhäuser, 1964

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Formulierung einer zeitgemäßen Naturphilosophie, so hat es doch in anderen Bereichen ebenfalls große Anstrengungen gegeben, angesichts des wissenschaftlichen Erkenntnis- und Problemstandes der Moderne naturphilosophisches Gedankengut in die aktuellen Forschungsergebnisse miteinzubringen. In der Physik zu Beginn des 19. Jahrhunderts werden z. B. Bezüge zur Zahlensymbolik der Pythagoreer bei Arnold Sommerfeld ersichtlich, wenn er mit Blick auf die Gesetze der Spektrallinien schreibt: „Was wir heute in der Sprache der Spektren heraushören, ist eine wirkliche Sphärenmusik des Atoms, ein Zusammenklingen ganzzahliger Verhältnisse, eine bei aller Mannigfaltigkeit zunehmende Ordnung und Harmonie. Für alle Zeiten wird die Theorie der Spektrallinien den Namen Bohrs tragen. Aber noch ein Name wird dauernd mit ihr verknüpft sein, der Name Plancks. Alle ganzzahligen Gesetze der Spektrallinien und der Atomistik fließen letzten Endes aus der Quantentheorie. Sie ist das geheimnisvolle Organon, auf dem die Natur die Spektralmusik spielt und nach dessen Rhythmus sie den Bau der Atome und Kerne regelt.“106 Einsteins Spinozismus und Heisenbergs Platonismus-Studien sind weitere Beispiele für die Einordnung aktueller Forschungsergebnisse in abendländische Denktraditionen.107 In diesen Kontext rücken auch die Bemühungen von Carl Friedrich von Weizsäcker und Wolfgang Pauli. Außerhalb der Physik läßt sich ebenso eine deutliche Wiederbelebung platonischen Gedankengutes feststellen, sei es in der Mathematik, Biologie, Philosophie, aber auch in der Literatur, in der Malerei und in der Musik.108 Deutliche platonisch-neuplatonische Züge trägt zudem die AllEinheits-Lehre von Karlfried Graf Dürckheim mit seiner dem Panentheismus zugeneigten Metaphysischen Anthropologie; in der Theologie gehören Rudolf Otto und Paul Tillich ebenfalls in die Linie panentheistischen Weltverständnisses.109 Was eine Wiederverzauberung der Welt betrifft, so verweist Marie-Louise von Franz auf Henri Corbin und dessen mundus imaginalis, wobei auch eine Brücke zur islamischen Mystik gangbar wird, eine Option, die in Zeiten des „Clashes of Civilization“ heilend wirkend könnte.110 Die Reihe derjenigen, die im 20. Jahrhundert, auf welchem Feld auch immer, wieder an genuin naturphilosophische Gedankengänge angeknüpft haben, verdeutlicht, dass die Naturphilosophie – aktuell durchaus in Form der Tiefenökologie – auch heute noch eine starke Unterströmung zum herrschenden kollektiven Weltbild darstellt. Hieraus ist Hoffnung zu schöpfen angesichts der Frage nach einem vierten Zeitalter der Naturphilosophie. Und vielleicht mag dabei Wolfgang Paulis Bemerkung eine Orientierung darstellen, dass nämlich eine durch die Archetypenlehre untermauerte Naturphilosophie, die die heutigen Wissenschaften komplementär ergänzt, über die archetypischen Quellen der Wissenschaften in eine neue Form von Religion vorzudringen könne.111

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Vgl. Paulis Brief vom 17. 5. 1952 an C. G. Jung. In: C. A. Meier: Wolfgang Pauli und C. G. Jung. Ein Briefwechsel. Berlin/Heidelberg, 1992, 84. Siehe dazu z. B. die Ansätze des Schweizer Industriellen Stephan Schmidheiny in dem Interview „Ökologische Revolution der Wirtschaft“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21. 3. 1992, Nr. 69. Schopenhauer, A.: Ueber die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde. In: Hübscher, A. (Hrsg.): Arthur Schopenhauer. Sämtliche Werke. Bd. 1, Wiesbaden, 21948, 143. Im Allgemeinen besteht heute ein Konsens darüber, wie mit den Ansätzen von Francis Bacon (1561–1626) und René Descartes (1596–1650) im 16. und 17. Jahrhundert das zu dieser Zeit konstellierte „psycho-physische Problem“ gelöst und in der Folge die Mathematisierung der Wissenschaft deren Siegeszug eingeleitet wurde. Siehe dazu: Hösle, V.: Philosophie der ökologischen Krise. München, 1991. Zur Notwendigkeit des cartesischen Schnitts für die Entwicklung der Wissenschaft, aber auch zu Aspekten der Überwindung dieser Entwicklungsstufe siehe: Primas, H.: Über dunkle Aspekte der Naturwissenschaft. In: Atmanspacher, H.; Primas, H.; Wertenschlag-Birkhäuser, E. (Hrsg.): Der Pauli-Jung-Dialog und seine Bedeutung für die moderne Wissenschaft. Berlin/Heidelberg, 1995, 205–238, hier 213. Eine ausführliche Darstellung zum Niedergang der Naturphilosophie im 19. Jahrhundert findet sich bei: Böhme, G.: Natürlich Natur. Über Natur im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit. Frankfurt/Main, 21992. Siehe hierzu: Krohn, W.; Meyer-Abich, K. M.: Einheit der Natur – Entwurf der Geschichte. Begegnungen mit Carl Friedrich von Weizsäcker. München/Wien, 1997. Seit der ersten Publikation von Kalervo Laurikainen im Jahre 1988 ist eine Vielzahl von Werken veröffentlicht worden, die die umfangreiche wissenschaftliche Korrespondenz von Pauli, darunter auch die Korrespondenz mit Jung und seinem Schülerkreis, zum Ziel haben. Im Gegensatz zum angloamerikanischen Sprachraum hat es in Deutschland bis heute keine nennenswerte universitäre Rezeption gegeben. Zu Pauli und Jung siehe z. B.: Laurikainen, K.: Beyond the Atom. Berlin/Heidelberg, 1988. Auch: von Meyenn, K.: Wolfgang Pauli. Wissenschaftlicher Briefwechsel mit Bohr, Einstein, Heisenberg u. a. Band IV, Teil I 1950–1952) und Teil II (1953–1954). Berlin/Heidelberg, 1996 bzw. 1999. Joël, K.: Der Ursprung der Naturphilosophie aus dem Geiste der Mystik. Jena, 1926, 27. Ebd., 29–119. Siehe auch: Von Aster, E.: Geschichte der Philosophie. Stuttgart, 151975, 42: „Die Dichtung um die Wende des sechsten und fünften vorchristlichen Jahrhunderts, die Dichtung eines Pindar und Aischylos, zeigt einen hohen, pathetischen, hieratischen Stil, und dieser selbe Stil ist auch den Philosophen der Zeit, den Aphorismen des Herakleitos, (...) der poetischen Einkleidung und feierlichen Verkündungen des parmenideischen Lehrgedichts nicht fremd. Wir dürfen diese Eigenart des Denk- und Schreibstils auch in Verbindung bringen mit der religiösen Bewegung, die seit der Mitte des 6. Jahrhunderts über Griechenland und die griechischen Kolonien in Unteritalien geht, der orphischen Bewegung, die den orgiastischen Kult des thrakischen Dionysos nach Griechenland bringt. Weder die Ekstasen und Rauschzustände, die mit dem Kult verbunden waren, noch der Seelenwanderungs-, Wiedergeburts- und Erlösungsgedanke, der im Mittelpunkt seiner Lehre steht, mutet uns griechisch an, insonderheit wenn wir von Homer und dem von Homer erzogenen und an ihm gebildeten Hellenentum herkommen; es bedurfte einer besonderen Arbeit, um den Barbarengott und die mit ihm verknüpften Lehren und Riten zu gräzisieren, und diese Gräzisierung wird z. T. eben von den Philosophen vollzogen. Andererseits ist es eben dieser Kult und seine Lehre, der zu einer vertieften Erkenntnis und zu einem von religiösem Gefühl und religiöser Ehrfurcht getragenen Sinn für die Seele und das Seelische führt.“ – Trotz einer zum Teil widersprüchlichen Rezeptionslage wird die von Karl Joël ausgearbeitete Argumentationslinie von der überwiegenden Mehrheit der modernen Interpreten bestätigt. Zum Einfluß orphischer Mystik z. B. auf Anaximander, Heraklit und Pythagoras siehe auch: Wili, W.: Die Geschichte des Geistes in der Antike. In: Eranos-Jahrbuch XIII. Zürich, 1946, 56–58 bzw. 64. Zum Einfluß orphischer Mystik auf Anaximander, Pythagoras und Empedokles siehe: Wili, W.: Die orphischen Mysterien und der griechische Geist. In: Eranos-Jahrbuch XI. Zürich, 1945, 91ff. Zu Pythagoras, Xenophanes und Empedokles siehe auch: Wilhelm Capelle: Die Vorsokratiker. Die Fragmente und Quellenberichte. Stuttgart, 1968, 113 bzw. 182 und 188. Zum mystisch-religiösen Grundzug bei Parmenides und Xenophanes vgl.

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auch Rudolph Otto: Das Gefühl des Überweltlichen. (Sensus Numinis). München, 1932, 287. Joël, K.: Der Ursprung der Naturphilosophie aus dem Geiste der Mystik, 94ff. Foucault, M.: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Frankfurt/Main, 1971. – „Ähnlichkeit“ bedeutet Gleiches und einen Unterschied zwischen den Dingen. Für diesen Zusammenhang führt Foucault die vier wichtigsten Strukturmerkmale auf: die convenientia: die Ähnlichkeit der Dinge zeigt sich in ihrer nachbarlichen Stellung zueinander, die jedoch nicht bloß äußerlich, sondern Zeichen einer dunklen Verwandtschaft ist; die aemulatio: vom einen Ende des Universums zum anderen ahmen sich die Dinge nach, erzeugen einen fernen, flüchtigen Reflex anderer Dinge, auch wenn sie nicht direkt miteinander verkettet sind; die analogia: die subtilsten Ordnungsverhältnisse in einem Seinsbereich können den Ordnungsverhältnissen anderer Bereiche auf das genaueste entsprechen; und schließlich rufen die Gesetze der Sympathien und Antipathien, die die weitesten Räume durchlaufen können, die Bewegung der Dinge hervor und bewirken ihre Annäherung und den notwendigen Abstand voneinander. Siehe hierzu: Allers, R.: Microcosmus. From Anaximandros to Paracelsus. In: Traditio 2, 1944, 319, 407. Zur Affinität zwischen Heraklit bzw. Empedokles und Jakob Böhmes Naturmystik siehe: Joël, K.: Der Ursprung der Naturphilosophie aus dem Geiste der Mystik, 62ff. und 108 bzw. 87. Zum Einfluß der Pythagoreer auf Johannes Kepler siehe: ebd., 75–82. Zum Einfluß des Eleatismus auf Giordano Bruno siehe: ebd., 29 und 83. Zum Einfluß anderer Vorsokratiker auf den Nolaner siehe: Böhme, H.: Giordano Bruno. In: Böhme, G. (Hrsg.): Klassiker der Naturphilosophie. München, 1989, 131f. Von Aster, E.: Geschichte der Philosophie, 315. Von Engelhardt, D.: Einführendes Refererat. In: Brinkmann, R. (Hrsg.): Romantik in Deutschland. Ein interdisziplinäres Symposion. Stuttgart, 1978, 173. Zur Affinität z. B. zwischen den Vorsokratikern und Goethe siehe: Schmidt, A.: Goethes herrlich leuchtende Natur. Philosophische Studien zur Deutschen Spätaufklärung. München, 1984, 51. Zum Einfluß von Jakob Böhme, Giordano Bruno, Paracelsus und van Helmont auf Goethe siehe: Ebd., 51, 88 und 183. Zum Einfluß von Giordano Bruno und Jakob Böhme auf Schelling siehe: Ebd., 102 bzw. 113, 132 und 182. Zum Einfluß von Giordano Bruno auf Goethe und Schelling siehe auch: Böhme, H.: Giordano Bruno. In: Böhme, G. (Hrsg.): Klassiker der Naturphilosophie, 134. Zur geistigen Verwandtschaft zwischen Jakob Böhme bzw. Paracelsus und Novalis siehe: Roder, F.: Novalis. Die Verwandlung des Menschen. Stuttgart, 1992, 258ff., 270 bzw. 381–391. Zur Affinität zwischen den Pythagoreern und Novalis siehe: Florian Roder: Novalis. Die Verwandlung des Menschen, 512. Zu dem bedeutenden Einfluß von Plotin und Spinoza auf die Romantik sei hier auf die oben erwähnten Arbeiten von Florian Roder und Alfred Schmidt verwiesen. Zum Panentheismus Goethes vgl. auch: Otto, R.: Sünde und Urschuld. München, 1932, 213. Dieses Verständnis vom Göttlichen, das nicht in der philosophischen Abstraktion, sondern in den Gestaltungen der Natur, in rebus singularibus, zu suchen ist, findet sich bei Goethe paradigmatisch auch in Gott, Gemüt und Welt: „Was wär ein Gott, der nur von außen stieße,/Im Kreis das All am Finger laufen ließe!/Ihm ziemt’s, die Welt im Innern zu bewegen,/Natur in sich, sich in Natur zu hegen,/So daß, was in ihm lebt und webt und ist,/Nie seine Kraft, nie seinen Geist vermißt.“ In: Goethe. Das Göttliche. Gedichte. Potsdam, o. J., 58. Brief von Wolfgang Pauli an Markus Fierz. In: Laurikainen, K.: Beyond the Atom, 142. Brief von Wolfgang Pauli an Marie-Louise von Franz vom 18. April 1951. In: van Erkelens, H.: Wolfgang Paulis Begegnung mit dem Geist der Materie. In: JUNGIANA. Beiträge zur Psychologie von C. G. Jung. Verlag Stiftung für Jung’sche Psychologie, Küsnacht, 1992, Reihe A, Bd. 4, 40. In seinem Aufsatz ,Naturwissenschaftliche und erkenntnistheoretische Aspekte der Ideen vom Unbewussten‘ schreibt Pauli bzgl. einer generellen Erweiterung der Tiefenpsychologie: „Das ,Unbewußte‘ selbst hat eine gewisse Analogie zu ,Feld‘ in der Physik und beide werden durch ein Beobachtungsproblem wesentlich ins Unanschauliche und Paradoxe gerückt. In der Physik ist zwar nicht die Rede von sich reproduzierenden ,Archetypen‘, sondern von ,statistischen Naturgesetzen mit primären Wahrscheinlichkeiten‘, aber beide Formulierungen treffen sich in der Tendenz, die alte engere Idee von ,Kausalität (Determinismus)‘ zu einer allgemeineren Form von ,Zusammenhängen‘ in der Natur zu erweitern, worauf auch das psychophysische Problem hinweist. Diese Betrachtungsweise läßt mich erwarten, dass sich die Ideen vom Unbewußten nicht im engeren Rahmen ihrer therapeutischen Anwendungen weiterentwickeln werden, sondern dass ihr Anschluß an den allgemeinen Strom der Naturwissenschaft der

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Lebenserscheinungen für sie entscheidend ist.“ Zitiert nach: von Meyenn, K. (Hrsg.): Wolfgang Pauli: Physik und Erkenntnistheorie. Braunschweig, 1984, 125. Jung, C. G.: Aion. GW 9/II, Olten, 71989, § 243ff. Zu Thales siehe: Capelle, W.: Die Vorsokratiker. Die Fragmente und Quellenberichte, 70f. Ebd., § 311. Siehe auch: Jung, C. G.: Psychologie und Alchemie. GW 12, Olten, 51987, § 527. Jung, C. G.: Psychologie und Alchemie. GW 12, § 528. Über die symbolische Bedeutung der Schlange bei der gnostischen Sekte der Naassener schreibt Hans Leisegang: „Die Schlange, die sich in den Schwanz beißt, trafen wir (...) als Symbol des Kreislaufs alles Werdens, das sich als die Entfaltung des Einen zu Allem und Rückkehr des Alls in das Eine darstellt.“ Nach Hippolytos ist die Schlange die feuchte Substanz, und „nichts in der Welt, Unsterbliches oder Sterbliches, Lebendiges oder Lebloses, kann ohne sie bestehen.“ Siehe: Leisegang, H.: Die Gnosis. Stuttgart, 51985, 111 bzw. 141. Jung, C. G.: Gesamtregister. GW 20, Olten, 1994. Siehe hierzu den Begriff Pneuma, 331. Capelle, W.: Die Vorsokratiker. Die Fragmente und Quellenberichte, 475. Siehe hierzu auch: Jung, C. G.: Psychologie und Religion. GW 11, Olten, 51988, § 61f. Zur Bedeutung der Zahlen insgesamt siehe: von Franz, M.-L.: Zahl und Zeit. Psychologische Überlegungen zu einer Annäherung von Tiefenpsychologie und Physik. Stuttgart, 21990. Zur Zahl Vier siehe: Ebd., 108ff. Diels, H.: Die Fragmente der Vorsokratiker. Berlin, 1903, 78. Jung, C. G.: Über die Psychologie des Unbewußten. GW 7, Olten, 41989, § 111. Siehe auch den Begriff Enantiodromie in: Carl Gustav Jung: Gesamtregister. GW 20, 108. Jung, C. G.: Freud und die Psychoanalyse. GW 4, Olten, 21985, § 779. Diels, H.: Fragmente der Vorsokratiker, 71. von Aster, E.: Geschichte der Philosophie, 44. Siehe auch: Windelband, W.; Heimsoeth, H. (Hrsg.): Lehrbuch der Geschichte der Philosophie. Tübingen, 1935, 31. Siehe hierzu: Jung, C. G.: Der philosophische Baum. GW 13, Olten, 21982, § 408. Jung, C. G.: Psychologie und Alchemie. GW 12, § 157 und § 297. Diels, H.: Fragmente der Vorsokratiker, 66, Fragment 1 und 2. Siehe auch den Begriff Logos in: Jung, C. G.: Gesamtregister. GW 20, 254. Jung, C. G.: Aion. GW 9/II, § 29. Jung, C. G.: Briefe. Bd. 2, Walter, Olten, 31989, 81f. Tourney, G.: Empedocles and Freud, Heraklitus and Jung. In: Bull. Hist. Med., 1956, 109–123, hier 122. Ebd., 122. Bodlander, R.: Heraklit und Jung. In: Analytische Psychologie 21, 1990, 142–149. Diels, H.: Fragmente der Vorsokratiker, 184. Jung, C. G.: Der Geist Mercurius. GW 13, § 242. Siehe auch den Begriff ,vier Elemente‘ in Jung, C. G.: Gesamtregister. GW 20, 105. Siehe hierzu: Jung, C. G.: Psychologie und Religion. GW 11, § 93. Ebenso: Jung, C. G.: Psychologie und Alchemie. GW 12, § 433. Jung, C. G.: Mysterium Coniunctionis. GW 14/I, Olten, 51990, § 245. Jaffé, A. (Hrsg.): Erinnerungen, Träume, Gedanken von C. G. Jung. Olten, 51987, 209. Zur Identifikation des göttlichen nous mit dem alchemistischen mercurius siehe z. B.: Jung, C. G.: Das Wandlungssymbol in der Messe. GW 11, § 355. Zur Identifikation des mercurius mit dem kollektiven Unbewußten siehe z.B.: Ders.: Psychologie und Alchemie. GW 12, § 265. Ebenso in: Ders.: Mysterium Coniunctionis. GW 14/II, Olten, 51990, § 25. Zur Identifikation der gnostischen Seelenfunken, der scintillae, mit den Archetypen siehe: Ders.: Theoretische Überlegungen zum Wesen des Psychischen. GW 8, Olten, 151987, § 388f. Jung, C. G.: Mysterium Coniunctionis. GW 14/III, Olten, 41990, § 79. Jung, C. G.: Über Synchronizität. GW 8, § 985. Jung, C. G.: Synchronizität als ein Prinzip akausaler Zusammenhänge. GW 8, § 920f. Ebd., § 920. Siehe zu den Arbeiten Jungs über Paracelsus: Jung, C. G. : Paracelsus als geistige Erscheinung. GW 13, § 145–238. Auch: Ders.: Paracelsus. GW 15, Olten, 51990. Des weiteren: Ders.: Paracelsus als Arzt. Ebd. Vgl. z.B. Pagel, W.: Das medizinische Weltbild des Paracelsus. Seine Zusammenhänge mit Neuplatonismus und Gnosis. Wiesbaden, 1962. Jacobi, J. (Hrsg.): Paracelsus. Olten, 21991, 73ff. Jung, C. G.: Paracelsus als Arzt. GW 15, § 29. Die Fußnoten in Jungs Aufsatz sind in diesem Zitat nicht aufgeführt. Jung, C. G.: Der Geist Mercurius. GW 13, § 256. Jung, C. G.: Paracelsus als geistige Erscheinung. GW 13, § 229.

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„Quod natura relinquit imperfectum, ars perficit.“ Zitiert nach: Ebd., § 195. Jaffé, A.: Der Mythus vom Sinn im Werk von C. G. Jung. Zürich, 31983, 128. Jung, C. G.: Psychologie und Religion. GW 11, § 141. Jaffé, A. (Hrsg.): Erinnerungen, Träume, Gedanken von C. G. Jung, 335. Ebd., 341. Jaffé, A.: Der Mythus vom Sinn im Werk von C. G. Jung, 138. Jung, C. G.: Briefe. Bd. 1, Olten, 41990, 92. Zitiert nach: Wehr, G.: Jakob Böhme. Reinbek, 1985, 48. Windelband, W.; Heimsoeth, H. (Hrsg.): Lehrbuch der Geschichte der Philosophie, 314. Jung, C. G.: Antwort auf Hiob. GW 11, § 733. Zwar versuchte sich Jakob Böhme an der Quaternität, scheiterte aber letztendlich mit seinem Versuch, dieses Bild der Ganzheit in die Einheit eines Mandala zusammenzusetzen. Siehe hierzu: Jung, C. G.: Über die Archetypen des kollektiven Unbewußten. GW 9/I, Olten, 71989, § 20. Siehe auch: Ders.: Zur Empirie des Individuationsprozesses. GW 9/I, § 603f. Vgl. Ellenberger, H. F.: Die Entdeckung des Unbewußten. Bd. 1, Bern, 1973, 282ff. Jaffé, A. (Hrsg.): Erinnerungen, Träume, Gedanken von C. G. Jung, 92. Jung, C. G.: Briefe. Bd. 2, 338. Vgl. Jung, C. G.: Symbole der Wandlung. GW 5, Olten, 51988. Siehe auch: Ders.: Psychologische Typen. GW 6, Olten, 31986. Des weiteren: Ders.: Psychologie und Alchemie. GW 12. Siehe auch Faust in: Jung, C. G.: Gesamtregister. GW 20, 130. Jung, C. G.: Psychologie und Alchemie, § 85. Ebd., § 554. Ebd., § 558f. Ebd. Ebd. Fetscher, R.: Grundlinien der Tiefenpsychologie von S. Freud + C. G. Jung in vergleichender Darstellung. Stuttgart, 1978, 148ff. Siehe auch: von Koenig-Fachsenfeld, O.: Wandlungen des Traumproblems von der Romantik bis zur Gegenwart. Stuttgart, 1935, 97: „Es finden sich eine Reihe von Parallelen zu der Jung’schen Psychologie bei Schelling, hierher gehören das Gesetz der Polarität, das sich in Expansion, Repulsion und Kontraktion, Attraktion (extravertiert–introvertiert), in einer akzelerierenden, verallgemeinernden und einer retardierenden, individualisierenden Kraft (Progression – Regression) manifestiert (Naturphilosophie). Auch der Gedanke der Entwicklung von der Indifferenz durch eine Phase der Spaltung zur Identität (das Ziel der Jung’schen Individuation) kann als Parallele angesprochen werden. Schelling als einer der hauptsächlichsten Verlautbarer deutsch-romantischer Weltanschauung war von bedeutendem Einfluß auf Männer wie C. G. Carus, Schubert u. a. Daher kann der Hinweis, dass bei Jung Entsprechungen zu der Auffassung Schellings zu finden seien, auch bezüglich anderer Autoren jener Zeit gelten. So nimmt Jung selbst immer wieder die Gelegenheit wahr, auf C. G. Carus hinzuweisen.“ Zu Schellings heutiger Relevanz siehe auch: von Uslar, D.: Die Aktualität Schellings für Tiefenpsychologie und Psychotherapie. In: Hasler, L. (Hrsg.): Schelling. Seine Bedeutung für eine Philosophie der Natur und Geschichte. Stuttgart/Bad Cannstatt, 1981, 163–166. Es sei hier bemerkt, dass Jungs Bibliothek u. a. die Werke von Schelling, Goethe und Carus umfasste. Schelling, F. W. J.: Von der Weltseele, eine Hypothese der höheren Physik zur Erklärung des allgemeinen Organismus. In: Schröter, M. (Hrsg.): Schellings Werke. Bd. 1, München, 1958, II 459 bzw. 527. Ebd., II 390 bzw. 458. Schelling, F. W. J.: Das Weltalter. In: Schröter, M. (Hrsg.): Schellings Werke. Bd. 4, München, 1965, VIII 299 bzw. 675. Fetscher, R.: Grundlinien der Tiefenpsychologie von S. Freud + C. G. Jung in vergleichender Darstellung, 141. Windelband, W.; Heimsoeth, H. (Hrsg.): Lehrbuch der Geschichte der Philosophie, 521. Schelling, F. W. J.: Stuttgarter Privatvorlesungen. In: Frank, M. (Hrsg.): F. W. J. Schelling. Ausgewählte Schriften. Bd. 4, Frankfurt/Main, 1985, 46f. Schelling, F. W. J.: Ideen zu einer Philosophie der Natur als Einleitung in das Studium dieser Wissenschaft. In: Schröter, M. (Hrsg.): Schellings Werke. Bd. 1, II 56 bzw. 706. Fetscher, R.: Grundlinien der Tiefenpsychologie von S. Freud + C. G. Jung in vergleichender Darstellung, 150. Vgl. Kirchhoff, J.: Schelling, Reinbek, 1982, 87ff. Jung, C. G.: Über die Psychologie des Unbewußten. GW 7, § 92. Schelling, F. W. J.: Historisch-kritische Einleitung in die Philosophie der Mythologie. In: Frank, M. (Hrsg.): F. W. J. Schelling. Ausgewählte Schriften. Bd. 5, 209. Ebd., 217.

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Schelling, F. W. J.: Philosophie der Kunst. In: Schröter, M. (Hrsg.): Schellings Werke. Bd. 3, München, 1965, V 412f. bzw. 432f. Fetscher, R.: Grundlinien der Tiefenpsychologie von S. Freud + C. G. Jung in vergleichender Darstellung, 154. Ellenberger, H. F.: Die Entdeckung des Unbewußten. Bd. 1, 290. Gotthilf Heinrich von Schubert: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden & Leipzig, 1808. Gotthilf Heinrich von Schubert: Die Symbolik des Traumes. Leipzig, 1837 (1814). Vgl. Ellenberger, H. F.: Die Entdeckung des Unbewußten. Bd. 1, 292. Ebd. Jung, C. G.: Das Wandlungssymbol in der Messe. GW 11, § 375. Es sei in diesem Zusammenhang hervorgehoben, dass Jungs Begriff des Unbewußten bei genauer Betrachtung eine inhärente Feinstruktur aufweist. Siehe hierzu: Brinkmann, D.: Probleme des Unbewussten. Zürich, 1963, S. 59: „So erweist sich auch der einzelwissenschaftlich-psychologische Begriff des Unbewußten bei Jung in geistesgeschichtlich-philosophischer Beziehung als eine hochkomplizierte Legierung der verschiedenen Stammbegriffe des Unbewußten, wie man sie seit der älteren Neuzeit im abendländischen Geistesleben aus ganz verschiedenen Wurzeln hervorwachsen sieht.“ Als die vier Stammbegriffe des Unbewussten zählt Brinkmann hier auf: ein räumlich-materielles, ein perzeptives, ein apperzeptives und ein vitales Unbewusstsein. Jung, C. G.: Mysterium Coniunctionis. GW 14/II, § 446. Hillman, J.: An Introductory Note. C. G. Carus – C. G. Jung. In: Carus, C. G.: Psyche. On the Development of the Soul. Part 1, New York, 1970. Siehe hierzu: von Koenig-Fachsenfeld, O.: Wandlungen des Traumproblems von der Romantik bis zur Gegenwart, 115. Vgl. ebd., 38. Creuzer, F.: Symbolik und Mythologie der alten Völker, besonders der Griechen. 4 Bde., Leipzig und Darmstadt, 1810–1812. Zu Jungs Erwähnung von Creuzers Arbeit siehe: Jaffé, A. (Hrsg.): Erinnerungen, Träume, Gedanken von C. G. Jung, 166. Siehe auch: Ellenberger, H. F.: Die Entdeckung des Unbewußten. Bd. 2, Bern, 1973, 982. Jaffé, A. (Hrsg.): Erinnerungen, Träume, Gedanken von C. G. Jung, 162–166. Hillman, J.: Plotino, Ficino, and Vico as Precursors of Archetypal Psychology. In: Ders.: Loose Ends. Texas, 1978, 146–169. Zur Affinität von Neuplatonismus und Analytischer Psychologie siehe auch: MacLennan, B.: Individual Soul and World Soul: The Process of Individuation in Neoplatonism and C. G. Jung. In: Arzt, Th.; Holm, A.: Wegmarken der Individuation. Würzburg, 2006, 83–116. Jung, C. G.: Der philosophische Baum. GW 13, § 482. Vgl. Meier, C. A.: Wolfgang Pauli und C. G. Jung. Ein Briefwechsel, 102 und 108. Vgl. ebd., 88f. Siehe auch: Kurthen, M.: Über Fische, die das Meer in sich enthalten. C. G. Jung und die Natur der psychologischen Erklärung. In: Analytische Psychologie 22, 1991, 100–119. Meier, C. A.: Wolfgang Pauli und C. G. Jung. Ein Briefwechsel, 129. Zitiert nach: von Franz, M.-L.: Zahl und Zeit, 49. Siehe auch: Liesenfeld, C.: Philosophische Weltbilder des 20. Jahrhunderts. Eine interdisziplinäre Studie zu Max Planck und Werner Heisenberg. Würzburg, 1992, 156. Siehe hierzu: Liesenfeld, C.: Philosophische Weltbilder des 20. Jahrhunderts. Eine interdisziplinäre Studie zu Max Planck und Werner Heisenberg, 126–145 bzw. 153–278. Vgl. ebd., 146ff. Zur Wiederbelebung platonisch-aristotelischer Grundgedanken in der Biologie siehe auch: Meyer-Abich, K.-M.: Der Holismus im 20. Jahrhundert. In: Gernot Böhme (Hrsg.): Klassiker der Naturphilosophie, 313–329. Zum platonisch-neuplatonischen Wirklichkeitsverständnis von C. G. Jung und Wolfgang Pauli siehe: Arzt, Th.; Hippius-Gräfin Dürckheim, M.; Dollinger, R. (Hrsg.): Unus Mundus. Kosmos und Sympathie. Frankfurt/Main, 1992. Zum platonisch-neuplatonischen Welt- und Naturbegriff bei Ernst Jünger siehe: Arzt, Th.; Müller, K. A.; Hippius-Gräfin Dürckheim, M.: Jung und Jünger. Gemeinsamkeiten und Gegensätzliches in den Werken von C. G. Jung und Ernst Jünger. Würzburg, 1999. Vgl. Ottemann, C.: Initiatisches Christentum. Karlfried Graf Dürckheims Lehre vom „initiatischen Weg“ als Herausforderung an die evangelische Theologie. Frankfurt/Main, 1990, 173 bzw. 182. Siehe hierzu: Monzo, R.: I had the Privilege.... In: Kennedy-Xypolitas, E.: The Fountain of the Love of Wisdom. An Homage to Marie-Louise von Franz. 2006, 405-435. Auch: von Franz, M.-L.: Muhammad Ibn Umail´s Hall Ar-Rumuz: Clearing of Enigmas – Historical Introduction and Psychological Comment. Zürich, 1999. Vgl. Paulis Brief vom 23. 10. 1956 an Carl Gustav Jung. In: Meier, C. A.: Wolfgang Pauli und C. G. Jung. Ein Briefwechsel, 149. Interessante Ansätze und Diskussionen finden sich hier vorwiegend bei amerikanischen Jungianer. Siehe hierzu zum Beispiel: van

Eenwyk, J.: Archetypes & Strange Attractors. The Chaotic World of Symbols.Toronto, 1997. Ebenso die jährlich in Assisi und Vermont stattfindenden Assisi Conferences von Michael Conforti (www.assisi conferences.com). Zu einer Zusammenstellung von Forschungsaktivitäten, die die Jung’sche Archetypenlehre und moderne Wissenschaften zu integrieren versuchen, siehe: Card, Ch.: Die Archetypenlehre in den heutigen Wissenschaften und ihre Relevanz für eine moderne Naturphilosophie. In: Arzt, Th.; Dollinger, R.; Hippius-Gräfin Dürckheim, M. (Hrsg.): Philosophia Naturalis. Beiträge zu einer zeitgemäßen Naturphilosophie. Würzburg, 1996, 46–89. Die Reproduktion des Bildes „Anima mit Lichtkrone“ (Peter Birkhäuser, 1964) erfolgte mit freundlicher Genehmigung von Eva Wertenschlag-Birkhäuser.

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