Reflexion Tagung: Schule – der Zukunft voraus

Am Ende bleibt nur: Kunst! Ein Essay über die Kunst des Lehrens. Oder: Fragen einer jüngeren Generation an einen elder statesman

vorgelegt von Hannah Denker Veerßer Str. 20 29525 Uelzen

E-Mail: [email protected] Tel.: 0581-2118660 Fax.: 0581-2118661 Matrikelnr.: 3006898

Inhalt

1. Einleitung .............................................................................................................................. 1

2. Modelldarstellung................................................................................................................. 2

2.1 Pädagogische Theorie ...................................................................................................... 2 2.2 Anforderungen an Lehrkräfte........................................................................................... 4 2.3 Empirie-Erkenntnisse-Konsequenzen .............................................................................. 7

3. Einige Anmerkungen ........................................................................................................... 9

Literatur.................................................................................................................................. 10

1. Einleitung

„So ließe sich der Möglichkeitssinn geradezu als die Fähigkeit definieren, alles, was ebenso gut sein könnte, zu denken und das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist. (…) [U]nd bedauerlicherweise lassen sie nicht selten das, was die Menschen bewundern, falsch erscheinen und das, was sie verbieten, als erlaubt oder wohl beides als gleichgültig“ (Musil 1999: 16).

Wenn man an den Begriff Möglichkeit – oder gar an die Wortschöpfung ‚Möglichkeitssinn’ denkt - dann nimmt man, vermutlich, automatisch an, es müsse sich um progressive Menschen handeln, die sozusagen der Zukunft voraus sind. Der vorliegende Essay teilt diese Auffassung nicht. Vielmehr geht dieser Essay davon aus, dass ein Mensch mit einem ausgeprägten Möglichkeitssinn Dinge in Frage stellt. Oder noch kürzer: Fragen stellt. Und damit möglicherweise auch die friedhöfliche Gemeinsamkeit der Mehrheit in Frage stellt. Dies muss durchaus nicht progressiv sein, es kann und darf auch unzeitgemäß, der Mode widersprechend sein.

Ein Essay beginnt wie jeder Text mit Worten – doch er folgt nicht denselben Gesetzen wie ein wissenschaftlicher Text. Ein Essay ist ein mutiger Text, der wagt auszusprechen, was er denkt und fühlt. Der keine Angst vor einer wertenden Entscheidung hat. Der nicht unbedingt einen Anfang und im Grunde auch kein wirkliches Ende hat. Eine Reflexion über eine Tagung mit dem performativen Titel: ‚Schule – der Zukunft voraus’ scheint eine solch mutige Textform zu verlangen, wenn sie einerseits

die Vorläufigkeit der eigenen Gedankensplitter

verdeutlichen will, sich aber andererseits bereits wertender Entscheidungen zu bedienen erlaubt.

Dubs (2009) wiederholt ein geläufiges Zitat von Klafki (1995), wenn er mehrfach darauf hinweist, dass Didaktik – oder genauer Lehren - eine Kunst sei. So erklärt sich der essayistische Titel: Am Ende bleibt nur: Kunst. Ausrufezeichen. Ausrufezeichen? Ist es wirklich so, dass am Ende die Interaktion mit SchülerInnen bzw. die Zusammenarbeit mit KollegInnen und die Durchführung des Unterrichts sowie die demokratischen Entwicklung von Schule einem sagenumwobenen Begriff wie Kunst überlassen bleiben darf? Betrachten wir diese Frage als Leitfrage des vorliegenden Essays, welches sich mit dem Vortrag und der 1

Stimmung der Tagung: ‚Schule – der Zukunft voraus’ befasst. Wie bewertet der Essay den Vortrag, die Stimmung und die Annahmen der Plenumsmehrheit? Wagt der Essay den Sprung vom Wirklichkeitssinn, der von Musil mit der Metapher des festen Rahmens belegt wird, hin zum oben beschriebenen Möglichkeitssinn? Wir werden sehen.

2. Modelldarstellung Dubs (2009) beginnt seine schwungvolle Rede mit drei Thesen zum Bildungssystem – rein rhetorisch betrachtet - schließt er sich hierin der Tradition von Klafki an, der in nahezu allen seinen Texten vorzugsweise Thesen vorstellt und sie dann systematisch zu begründen versucht. Dubs (2009) behauptet also:

1. Die Rede von einem ungenügenden Bildungssystem bestehe so lange, wie das Bildungssystem selbst. 2. Die Rede von den Restriktionen durch und mit Bologna sei blind gegenüber den Freiheiten, die mit den Systemveränderungen einhergehen könnten. 3. Die zweiphasige Lehrkraftausbildung wird die Probleme des Bildungssystems niemals lösen.

Der Tagungssprecher Dubs (2009) begründet seine erste Thesen zum Bildungssystem in Deutschland allerdings nicht im Sinne einer systematischen Abhandlung über berechtigte und unberechtigte Kritik am Bildungssystem oder mit Überlegungen zu den Verursachern dieser chronischen Klagekommunikation (vgl. Uhle 2006: 40ff), sondern sieht diese in seinem Bücherschrank begründet, der historische und aktuelle Klagegesänge über das Bildungssystem archiviert. Inwiefern Bologna den Möglichkeitssinn entfachen soll, darauf geht er im Detail nicht ein, sondern überlässt es der ‚Phantasie der Universitäten und Schulen’ diesen zu konkretisieren. Seine dritte These wird jedoch der Ausgangspunkt für seine bildungs- und politiktheoretischen Überlegungen zur Rolle der Pädagogik und des Lehren und Lernens von, mit und durch die Anregungen von Lehrenden.

2.1 Pädagogische Theorie Dreh- und Angelpunkt pädagogischen Lehren und Lernens sind für ihn pädagogisches Inhaltswissen und pädagogisches Handlungswissen, die er als Einheit verstanden wissen will. Diese Kernelemente produktiver pädagogischer Arbeit sollen ihm zufolge die Grundfrage jedes ethisch-moralisch engagierten Lehrenden aufschlüsseln helfen: Wie kann guter 2

Unterricht gelingen? Pädagogisches Inhaltswissen impliziert für Dubs (2009) das Wissen um Abhängigkeiten sowohl von Rahmenbedingungen, als auch von der SchülerInnensituation sowie pädagogisches Wissen und – last but not least – von Fachwissen bzw. aus, mit und durch die Fachwissenschaften. Pädagogisches Inhaltswissen sowie pädagogische Handlungskompetenz stehen Dubs (2009) zufolge in wechselseitiger Abhängigkeit zum ‚Steuerungswissen’ (Wie kann ich – in Kenntnis bestehender Restriktionen – mein Handeln zielführend ausrichten?) sowie dem – von ihm als ebenso bedeutsam erachteten ‚Routinen’ (Wie kann ich wiederholt auftretende Unterrichtsroutinen so automatisieren, dass ich mehr Zeit und Raum für Beobachtungs- und inhaltliche Optimierungsprozesse erlange?). Für Dubs (2009) enthalten (Unterrichts-)Routinen die Kenntnis über Verstärkermechanismen, die Fähigkeit förderliche Unterrichtsfragen stellen und Arbeitsmaterialien strukturierend-helfend einsetzen zu können. Zur pädagogischen Handlungsebene gehört für den elder statesman aber auch die Fähigkeit zur Kooperation: zur Kooperation mit SchülerInnen, mit KollegInnen und mit anderen Organisationen und Institutionen (siehe Abb. 2)

Erkenntnisquelle n

Erkenntnisfelder

Theoriebildende Perspektive Normativkritische Perspektive

Pädagogisches Inhaltswissen

Steuerungswissen

und

und

Pädagogisches Handlungswissen

Routinen

Empirische Perspektive Abb. 2: Pädagogische Theorie des Lehrens und Lernens (frei nach Dubs 2009)

Dubs (2009) sieht die Basis pädagogischen Handlungswissens im Steuerungswissen, betont jedoch gleichzeitig, dass hier die Elemente der ‚Kunst des Unterrichtens’ zum Tragen kommen würden. „Letztlich bleibt es eine Kunst“ (Dubs 2009).

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2.2 Anforderungen an Lehrkräfte Mit einem historisierenden Lächeln leitet der weise Mann schließlich über zu den Anforderungen an Lehrkräfte. Seine Forderungen bettet er unter dem Gesichtspunkt einer normativ-kritischen Perspektive in seinen Vortrag ein, die er zwar verbal hervorhebt, andererseits aber offenkundig nicht mehr (wirklich) in der Tradition eines Blankertz (1975) oder Klafkis (1979) verankert, da in seinen Ausführungen der aufklärerische Ausdruck ‚Mündigkeit’ oder der kritisch-konstruktive Ausdruck ‚Kritikfähigkeit’ für Lehrende offenkundig keine Rolle zu spielen scheint. Stattdessen fordert er u.a. eine sachkompetente Persönlichkeit. Er rekurriert hierbei auf eine Studie, in der nachgewiesen werden konnte, dass Lehrkräfte in ihrem erlernten Fach von SchülerInnen besser bewertet wurden als in Unterrichtskontexten, in denen sie keine Fachausbildung erhalten hatten. Eine höchst interessante Studie, die sich anzuschauen wohl lohnen würde – widerspricht sie doch populärwissenschaftlichen Alltagstheorien davon, dass Lehrkräfte alles unterrichten können müssten oder gar dass die Fachgrenzen am besten gleich vollständig durchbrochen werden sollten (vgl. Kahl o.J.). Diese Alltagstheorien werden in privaten Diskussionen schließlich immer auch gern mit geheimnisvollen Verweisen auf das schwedische oder finnische Schulsystem untermauert. Außerdem könnte die genauere Kenntnis des Studiendesigns und der Ergebnisse denjenigen den Wind aus den Segeln nehmen, die konstruktivistische Theorien zur ‚Entthematisierung der Inhaltfrage’ (vgl. Meyer/ Meyer 2009) auszubeuten versuchen. Dennoch stellt sich die Frage, warum der elder statesman Sachkompetenz mit Persönlichkeit verknüpft. Ist es denn so, dass Sachkompetenz ein Persönlichkeitsmerkmal ist? Oder ist es nicht vielleicht vielmehr so, dass Sachkompetenz das Ergebnis harter, kontinuierlicher Arbeit und der kritischen Auseinandersetzung mit Bildungsinhalten – hier tatsächlich im Sinne der gesellschaftkritischen Konnotationen gesprochen – ist?

Darüber hinaus fordert Dubs (2009) von den Lehrkräften der Zukunft – und vermutlich auch denen der Gegenwart – eine unterrichtende und moderierende Persönlichkeit. Er verweist hierbei darauf, dass Selbstständigkeit allein nicht ausreichen würde. Vielmehr beinhaltet eine moderierende Persönlichkeit für Dubs (2009) Strategien, Methoden und Techniken der Unterrichtsgestaltung. Auch hier stellt die jüngere Generation die stumme Frage an die ältere: Sind denn Strategien, Methoden und Techniken Persönlichkeitsvariablen oder doch vielmehr das Ergebnis von theoretischen Auseinandersetzungen über Sach- und Fachliteratur und die Erprobung im praktischen Kontext einer Universität, d.h. beispielsweise in Seminaren mit einem wohlwollend-kritisch-konstruktiven Blick der Kommilitonen – hier nicht mehr in ganz so gesellschaftskritischer Konnotation verwendet, die bereits ein Sammelsurium an 4

theoretischen, persönlichen und praktischen Lernerfahrungen und didaktischen Versuchen mitbringen?

Dubs (2009) verkauft sich in seinem Vortrag als Humanist, wenn er zukünftigen Lehrkräften zudem eine humanistische Persönlichkeit abverlangt, die sowohl Bildungs- als auch erzieherische Aufgaben zu übernehmen bereit sind. Hier ist er immerhin noch sehr auf der Linie humanistisch-psychologischer Theorien im Sinne von Tausch und Tausch (1979: 118ff), die als notwendige – wenn auch nicht hinreichende – Bedingung gelingender Therapie Echtheit, Kongruenz und unbedingte Wertschätzung verlangen. Da ein Schulkontext zumindest in erster Linie kein Therapiekontext ist, scheinen Dubs (2009) nicht originär psychologisch-humanistische Ergänzungen legitim. Er fasst unter einer weiter gefassten humanistischen Perspektive auch die Berechenbarkeit, den Respekt und die Sorge (caring) unter seinen Begriff einer humanistischen Persönlichkeit. Da historisch betrachtet Humanismus eine abendländische Weltanschauung darstellt, darf Dubs hier wohl noch am ehesten von einem Persönlichkeitsmerkmal sprechen, so man den Weltanschauungen als Persönlichkeitsmerkmal auffassen möchte. Ob man es jedoch als eine bedingende Voraussetzung für gelingenden Unterricht nennen darf, bleibt offen. Schließlich lässt sich mit einiger Berechtigung doch fragen, ob das, was sich als bildend in schulischen Kontexten – nachdem man das Gelernte vergessen hat, wie Kerstensteiner gesagt haben soll – nicht immer durch die humanistischen Lehrpersönlichkeiten entstanden ist. So stellt Uhle (2007/ 2008) in seiner Vorlesung u.a. einen Lehrer vor, der ketterauchend mit Schlüsselbunden um sich wirft und die SchülerInnen in Angst und Schrecken versetzt. Trotz seiner cholerischen – und damit weder berechenbaren noch humanistischen Persönlichkeit - bleibt er dem Schreiberling eines Zeitartikels als geliebter Lehrer in Erinnerung. Und warum? Weil er ein leidenschaftlicher Lehrender war. Vielleicht ist es aber auch das, was Dubs (2009) mit einem sorgenden Lehrenden meint. (Der dort dargestellte Lehrer hat sich aber nicht um die SchülerInnen gesorgt, sondern um den Untergang der Mathematik. Dies sei hier bloß am Rande hinzugefügt.) Um die Frage noch einmal auf den Punkt zu bringen: Ist es wirklich so, dass Lehrkräfte über eine humanistische Persönlichkeit verfügen müssen bzw. – wenn man sich an dem Begriff Persönlichkeitsmerkmal stößt – eine humanistische Grundorientierung in dem von Dubs (2009) skizzierten Sinne haben müssen, um ‚guten Unterricht’ leisten zu können?

Im Kontext der Forderung nach einer schöpferischen, gestaltenden – man darf hier vielleicht ganz im Sinne das Tagungstitels den Begriff ‚performativen’ hinzufügen – Persönlichkeit 5

verlangt Dubs (2009) von Lehrkräften Kooperationsfähigkeit, Neugierde und eigenes Lernen wollen sowie praktischen Forschergeist und die Mitwirkung an der Schulgestaltung. Wenn man bedenkt, dass dies – letztenendes - Forderungen sind, die größtenteils jede Unternehmerin und jeder Unternehmer unterschreiben würde, dann lässt sich diesem Anforderungskatalog schwerlich widersprechen. Dies ist mit Sicherheit ein Tugendenkatalog, der jedem Menschen recht gut stünde. Man sollte allerdings auch hier bedenken, dass es sich bei all diesen Punkten letztendlich um Kooperationsaufgaben handelt, die, wie der Begriff schließlich nahe legt, auch von den InteraktionspartnerInnen abhängig sind. Es kann schwerlich davon ausgegangen werden, dass irgendwer von sich laut und deutlich behaupten würde: Ich bin nicht kooperationsfähig. Und schon sind wir in einer watzlawikanischen Abwärtsspirale und bei dem berühmt-berüchtigten Interpunktionsstreit.

Schließlich

fordert

Dubs

(2009)



vollkommen

zu

Recht



von

Lehrkräften

Diagnosefähigkeiten. (Auch hier leider wieder als beurteilende und fördernde Persönlichkeit betitelt.) Bleiben wir also besser bei der Diagnosefähigkeit. Was setzt diese Voraus? Hier darf man sich erlauben von Leerstellen beim Vortrag von Herrn Dubs (2009) zu sprechen – nun kann in einem kurzen Vortrag ja auch nicht alles gesagt werden, was gesagt werden sollte und es sei ihm an dieser Stelle verziehen. Dennoch: Was setzt denn Diagnosefähigkeit voraus? Doch zumindest Kenntnisse über typische, systematische und Performanzfehler. Einen geschulten BeobachterInnenblick, d.h. theoretisches Fachwissen über mögliche Fallstricke von SchülerInnen (oder auch bei der didaktischen Hinführung). Aber auch über den Umgang mit Fehlern, usw. usf. Allein über diese Frage ließe sich eine mehrseitige Habilitationsschrift schreiben. Der entscheidende Punkt ist jedoch, dass dies Prozesse sind, die auch Lehrkräfte erlernen müssen, d.h. tatsächlich über die Auseinandersetzung mit Sach- und Fachtexten, in diskursivem Austausch mit Kommilitonen und – um größeren Schaden zu vermeiden – vielleicht eben doch eine Zeitlang im ‚Elfenbeinturm’ einer Universität, um eben nicht der irrigen Annahme anheimzufallen, dass sie schon vor dem Antritt ihres LehrerInnenbildungsprozesses alles könnten. Die hier vorgestellte immanente Kritik bezieht sich nur in Teilen direkt auf den Vortrag von Herrn Dubs (2009). Sie bezieht auch die Art der Fragestellung des Plenums und der Diskussionen in den Workshops sowie der offenkundigen Haltung einiger extrovertierter Lehrkräfte mit ein. Man kommt nicht umhin zu fragen, ob die Berufsschullehrkräfte ein universitäres Studium zugunsten einer Lehrer-Ausbildung aufgeben möchten, wenn sie permanent die mangelnde Praxiserfahrung der AnwärterInnen in den Vordergrund rücken. (Womit sich im Übrigen der Kreis zur ersten Forderung von Dubs 6

(2009) wieder schließt: die Frage nach der Erarbeitung von Sachkompetenz und dem rechten Ort für selbiges.). 2.3 Empirie-Erkenntnisse-Konsequenzen Als elder statesman darf Dubs (2009) es sich erlauben, seine eigenen Idealvorstellungen von vor über 20 Jahren kritisch zu belächeln und seine pädagogischen Überlegungen von früher zu revidieren. So zeigen ihm aktuelle empirische Befunde, dass eine Überführung von Inhaltsund Handlungswissen in empirisch nachweisbare Handlungskompetenz ohne intensive praktische Übungen nicht möglich ist. Ernüchtert stellt er darüber hinaus fest, dass Erwartungen, Alltagsbeobachtungen und biographisch erworbene Erfahrungen eine weit größere Wirkung auf die Lehrpersönlichkeit ausüben, als es Studienprozesse zu leisten vermögen. Ein klein wenig ketzerisch lässt sich hier äußern: Schön, dass Herr Dubs (2009) diese Erfahrung sozusagen ‚am eigenen Leibe’ erlebt hat. Man könnte aber auch sagen, hätte er sich grundlegend mit Theorien zur Einstellungsänderung und Verhaltensänderung auseinandergesetzt, dann hätte er diese Erkenntnis bereits ungefähr vor eben diesen 20 Jahren bereits haben können (vgl. Stroebe 2002: 265ff).

Seine Konsequenz aus seinen Erfahrungen ist eine Revision seines Ursprungsmodells. Auch wenn in der didaktischen Literatur die Begriffe deduktives und induktives Lernen vielfach kritisiert werden, lässt sich sein Revisionsmodell mit diesen Worten umschreiben: In früheren Modellen hat er sich Lehrkraftbildung als theoretische Erarbeitung von Modellen, der Überführung dieser Modelle in Unterrichtskontexte und schließlich einer reflexiven Verarbeitung dieser Makro- und Mikrostruktur des Unterrichts gedacht. Folglich also ein deduktives Lernmodell. Es hat den Anschein, als sei er dem wiederkehrenden Ruf nach ‚mehr Praxis’ ein klein wenig erlegen, wenn er nun sein konstruktivistisches Revisionsmodell vorstellt: Zunächst wird unterrichtet, dann gemeinsam reflektiert und Alternativen erarbeitet sowie schließlich ein Abgleich mit bestehenden Modellen vollzogen. Mit einem wissenden Lächeln erinnert sich Dubs (2009) in diesem Zusammenhang an die Durchführung dieser Variante eines Theorie-Praxis-Bezuges bzw. ehrlicher: eines Praxis-Theorie-Bezuges im Kontext der DozentInnenfortbildung im Rahmen eines hochschuldidaktischen Seminars, wo er nachzuweisen glaubte, dass seine Durchführungen ein stichhaltiges Argument für seine Methode und gegen seine kritischen WidersacherInnen sei. Eine höchst interessante Schlussfolgerung dieses Herrn. Insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass er vordem darauf verwiesen hat, dass insbesondere die Lehrpersönlichkeit starken Einfluss auf die 7

Prozessqualität von Unterricht nimmt. Seiner Erzählung nach hat er diese ‚Experimente’ selbst durchgeführt, nicht wahr? Liegt es hier nicht nahe, sich zu fragen, inwieweit seine Persönlichkeit für das Gelingen eines solchen Experimentes von Relevanz ist? Oder hat er einen Doppel-Blind-Versuch unternommen? Man darf dies bezweifeln.

Im

Zusammenhang mit seiner Revision von deduktiven Lernvorgängen in der

LehrerInnenbildung hin zur induktiven LehrerInnenbildungen kommt er zurück zu seiner dritten These, dass die zweiphasige LehrerInnenbildung kausal-ursächlich (?) verantwortlich für die Bildungsmisere ist – die es offenkundig, ihm nach, zweifelsohne wirklich gibt. Er sieht die Lösung eben in dieser Form der Praxis-Theorie-Verzahnung und des permanenten Versuchshandeln bereits während des Studiums. Hier lässt sich die in der Podiumsdiskussion rhetorisch aufgeworfen – und unbeantwortet gebliebene - Frage aufwerfen: Von welcher Praxis reden wir dabei? Und: Ist nicht auch die Universität – allem Elfenbeingerede zum Trotz – eine universitäre Praxis? Und – abgesehen von dieser weiterhin offenen Frage: Wo bleiben in diesen Lehr-Lernarrangements von Herrn Dubs (2009) diejenigen, die besser deduktiv lernen können?

Der elder statesman beendet seinen Vortrag mit einer persönlichen Bewertung der empirischen Befunde. Seiner Ansicht nach steht fachwissenschaftliche Kompetenz – und hier besonders die Fachdidaktik – im Vordergrund der Herausbildung von pädagogischen Handlungswissen. (Hierfür gäbe es doch einen sehr guten Ort: die Universität, oder?) Er fordert darüber hinaus theoretische Kompetenzen aus den Erziehungswissenschaften heraus, als wissenschaftliche Basis der Kunst des Lehrens. (Wäre hier nicht auch so etwas wie eine humboldtsche Universität ein geeigneter Ort?) An dritter Stelle kommt für ihn die Verknüpfung von Theorie und Praxis. Hier erscheint der richtige Ort wohl die Schulpraxis zu sein, d.h. aber auch, dass die dort tätigen erfahrenen Lehrkräfte sich ihrer bildenden Aufgabe bewusst werden müssen und nicht nach begleitenden DozentInnen und ProfessorInnen rufen sollten. Dies erscheint mir tatsächlich als eine Aufgabe der erfahrenen PraktikerInnen und nicht der Universität. Dubs (2009) sieht dies offenkundig anders: Ganz im Sinne seiner einphasigen Lehrer-Ausbildung fordert er Lehrkräftebildungszentren an den Universitäten. Meine Frage an dieser Stelle ist dieselbe, die die Lehrkräfte gegenüber einer fordernden Gesellschaftsmeute häufig stellen: Welche Aufgaben soll eine Universität denn noch übernehmen? Oder anders: Warum sind diejenigen, die davon sprechen, dass DozentInnen und ProfessorInnen ‚in einer anderen Welt leben’ nicht (mehr) daran interessiert, die 8

AnwärterInnen eben in ‚ihre Welt’ einzuführen? Wie sollten das Universitäten, also die ‚anderen Welten’, denn leisten? Und: Mit welcher Berechtigung?

Dubs (2009) stellt sich darüber hinaus noch den gegenwärtigen Herausforderungen, wenn er im Rahmen einer Beibehaltung des zweiphasigen Systems genaue Aufgabenabsprachen und wechselseitige Befruchtung einfordert und die gegenwärtigen Universitäten dazu auffordert mehr Innovationsbereitschaft zu zeigen. Zudem klagt er eine theoretischere Orientierung der Studienseminare ein. (Ein interessanter Aspekt, wenn man bedenkt, dass er seine Veranstaltungen zunehmend stärker praktisch auszurichten sucht.) Und abschließend beantragt er einen systematischen Ausbau von Weiterbildungskonzepten, um lebenslängliches – oh, Verzeihung, freudscher Versprecher – lebenslanges Lernen sinnvoll zu ermöglichen.

3. Einige Anmerkungen Dubs (2009) strahlt selbst eine sichere und – wenn man es denn so nennen will – humanistische Persönlichkeit aus. Authentizität scheint bei ihm kein Modewort zu sein. Und er darf es sich auch mit Recht erlauben von anderen gute Moderationstechniken zu verlangen, da er selbst diese eindeutig vorzuweisen hat. Mit geringen Hilfsmitteln (Folien) trägt er seine Inhalte locker-flüssig und mit scheinbarer Mühelosigkeit vor. Doch die repetierte Zauberformel von der Kunst der Didaktik erscheint mir fragwürdig. Selbstverständlich hat Mozart über seine kontinuierliche Übung seit seinem fünften Lebensjahr hinaus eine Begabung, d.h. allein durch Übung hätte er seine Kunstwerke nicht vollbringen können. Selbstverständlich hat Einsteins Persönlichkeit auf seinen Lebenslauf und seinen Genius Einfluss gehabt. Selbstverständlich hat van Gogh sich von Standards seiner Zeit als autonomer Geist gelöst. Selbstverständlich hat Musil eine Schreibbegabung, sonst könnte er wohl kaum 1041 Seiten mit brillanten Worten und Bildern füllen. Und dennoch: Alle diese Personen – auch der Schulversager Einstein – haben hart und kontinuierlich gearbeitet. Sie haben ihre verschiedenen Meisterwerke weder an einem Tag erbaut, noch mit dem ersten Feder-, Kulioder Pinselstrich erstellt.

Die Frage lautet also ausnahmsweise nicht: Hätte es einen Mozart, van Gogh, Einstein oder Musil geben können, wenn sie ihre entsprechenden Werkzeuge nicht zur Hand gehabt hätten, sondern: Hätte es diese Persönlichkeiten geben können, wenn sie sich von vornherein auf den Standpunkt gestellt hätten Musik, Malkunst oder Schreibkunst ergeben sich allein über den zauberhaften Genius? Für die Lehrkräfte der Zukunft – also die KünstlerInnen des 9

Klassenzimmers – übersetzt, könnte die Frage also lauten: Glaubt Ihr, dass die Kunst des Unterrichtens mit dem Unterricht – oder doch vielleicht mit der intensiven und zugegebenermaßen beschwerlichen theoretischen Auseinandersetzung im Rahmen eines Studiums beginnt? Vielleicht also doch wieder Gandhis Weg als Ziel.

Literatur Blankertz, Herwig (1975):

Theorien und Modelle der Didaktik. Grundfragen der Erziehungswissenschaft. 9. überarb. Aufl. München: Juventa

Dubs, Rolf (2009):

Vortrag. Tagung: Schule – der Zukunft voraus. 16.-17.10 2009

Kahl, Reinhard (o.J):

Treibhäuser der Zukunft. Wie Schulen in Deutschland gelingen. Verlagsgruppe Beltz. DVDs

Klafki, Wolfgang (1976):

Erziehungswissenschaft als kritisch-konstruktive Theorie: Hermeneutik-Empirie-Ideologiektitik. In: Klafki, Wolfgang: Aspekte kritisch-konstruktiver Erziehungswissenschaft. Gesammelte Beiträge zur Theorie-Praxis-Diskussion. Weinheim u.a.: Beltz Verlag, S. 13-49

Klafki, Wolfgang (1995):

Zum Problem des Lehrens und Lernens in der Schule aus der Sicht kritisch-konstruktiver Didaktik. In: Zeitschrift für Pädagogik. 33/1995, S. 91-102

Musil, Robert (1999):

Der Mann ohne Eigenschaften. Reinbek: rororo

Stroebe, Wolfgang/ Jonas, Klaus (2002):

Sozialpsychologie. Berlin u.a.: Springer

Tausch, Reinhard/ Tausch, Anne-Marie (1979):

Erziehungspsychologie. Begegnung von Person zu Person. Göttingen: Hogrefe

Uhle, Reinhard (2006):

Wie viel Bildung braucht der Lehrer? In: Fischer, Andreas/ Hahn, Gabriele/ Karsten, Maria-Eleonora (Hrsg.): Lehrerbildung – ein universitäres Kaleidoskop. Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag, S. 40-52

Uhle, Reinhard (2007/2008):

Grundkurs Bildung und Erziehung (Vorlesung). Leuphana Universität Lüneburg/ SS 2008

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