Am 27. November 2001 hat der Bundesminister

Energiebericht des BMWi: Nachhaltige Energiepolitik für eine zukunftsfähige Energieversorgung Szenarien und energiepolitische Konsequenzen Dr.rer.pol....
Author: Lucas Kalb
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Energiebericht des BMWi: Nachhaltige Energiepolitik für eine zukunftsfähige Energieversorgung Szenarien und energiepolitische Konsequenzen Dr.rer.pol. Peter Hufschmied und Dr.rer.oec. Kai van de Loo, Gesamtverband des deutschen Steinkohlenbergbaus, Essen

A

m 27. November 2001 hat der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie seinen Energiebericht vorgelegt. Darin wird – neben einem komprimierten Überblick über die deutschen Energiemärkte – eine Bestandsaufnahme der Energiepolitik der Bundesregierung seit dem Jahr 1998 vorgelegt. Der Bericht zeigt weiter auf, wie sich eine am Leitbild der Nachhaltigkeit orientierte Energiepolitik – abhängig von unterschiedlichen Vorgaben zum Klimaschutz – längerfristig entwickeln könnte. Die Bundesregierung will dabei eine Balance der energiepolitischen Ziele – Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit – aufrechterhalten. Der Energiebericht beleuchtet, wie dies vor dem Hintergrund des von der Bundesregierung beschlossenen Ausstiegs aus der Kernenergie einerseits und den von ihr eingegangenen beziehungsweise künftigen Klimazielen andererseits erreicht werden kann und wo sich Probleme ergeben – von denen auch und gerade der Kohlensektor in Deutschland betroffen wäre. Dabei geht der Energiebericht davon aus, daß energiepolitisches Handeln den Erwartungen von Verbrauchern und Wirtschaft gerecht werden muß, die neben einer umweltverträglichen eine sichere und preisgünstige Energieversorgung erwarten. Zugleich stelle sich die Herausforderung, die Energiemärkte in Europa zu integrieren und die steigende Importabhängigkeit von Energieressourcen aus dritten Ländern zu bewältigen. Im Analyseteil knüpft der Energiebericht dabei an die von der Prognos AG und dem Energiewirtschaftlichen Institut der Universität Köln (EWI) im Auftrag des BMWi erstellte und bereits im November 1999 vorgelegte Studie „Die langfristige Entwicklung der Energiemärkte im Zeichen von Wettbewerb und Umwelt“ an (1). Diese Studie enthält eine gründliche und – unter den Bedingungen des damaligen Prognose-Rahmens – schlüssige Prognose der wahrscheinlichen energiewirtschaftlichen Entwicklung bis zum Jahr 2020. Das Prognos-EWI-Gutachten führte zu dem Ergebnis, daß unter den Prognoseprämissen zwar die CO2-Emissionen erheblich zurückgehen, mit prognostizierten 16 % im Zeitraum 1990 bis 2005 aber nicht ausreichend, um das von der Bundesregierung gesetzte Minderungsziel (–25 %) zu erreichen. Auch die Realisierung des deutschen Beitrags im Rahmen des EU-Burdensharings zur Erfüllung der Kyoto-Verpflichtungen (Verringerung der Emissionen von sechs Spurengasen um

Der im November 2001 vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie vorgelegte Energiebericht hat eine Debatte über die künftige Ausrichtung der Energiepoltik in Deutschland eröffnet. Der Bericht macht anhand von zwei Szenarien deutlich, daß sehr ehrgeizige Klimaschutzziele in erheblichem Widerspruch zu den Zielen einer sicheren und wirtschaftlichen Energieversorgung stehen können. Der Bericht zeigt die gesamtund energiewirtschaftlichen Risiken einer Dekarbonisierung des Energieangebots auf und weist zugleich erfolgverspechende Wege, wie die Balance zwischen den energiepolitischen Zielen auch künftig gewahrt werden kann. Die Nutzung der heimischen Steinund Braunkohle in Verbindung mit einer konsequenten Modernisierung des kohlenbasierten Kraftwerksparks ist unverzichtbares Element einer energiepolitischen Strategie, die gleichzeitig die Importabhängigkeit begrenzt und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutchen Industrie stützt.

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21 % im Zeitraum 1990 bis 2008/2012) schien nach den Ergebnissen des Gutachtens eher fraglich. Das Prognos/EWI-Gutachten ist daher auf erhebliche Kritik insbesondere der Umweltverbände gestoßen. Aus deren Sicht gingen die Gutachter von zu wenig ambitionierten Umwelt- und Klimazielen aus. Insbesondere wurde bemängelt, daß die Studie keine Szenarien untersucht und herausgestellt habe, die längerfristigen klimapolitischen Zielen Rechnung trügen. Vor diesem Hintergrund hat das BMWi der Prognos AG, dem EWI sowie dem Bremer Energieinstitut den Auftrag erteilt, die Auswirkungen einer Reduktion der CO2-Emissionen im Zeitraum 1990 bis 2020 um 40 % zu untersuchen (2). Bei dem neuen Gutachten liegt der Schwerpunkt nicht – wie bei anderen Studien zu diesem Thema – auf der „Machbarkeit” einer solchen Reduktionsvorgabe, sondern bei den energie- und gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen auf liberalisierten Energiemärkten. Letztendlich geht es dabei – so der Energiebericht – um die Frage, „wieviel Klimaschutz und wieviel Versorgungssicherheit die deutsche Energiepolitik für das Jahr 2020 einplanen soll”. Der Energiebericht spricht sich dabei keineswegs gegen den Klimaschutz aus, sondern will einen Beitrag zur Weiterentwicklung Glückauf 138 (2002) Nr. 4

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raten, vor allem beim Erdgas, werden nur im Rahmen von Sonderrechnungen analysiert. Im Hinblick auf die internationale Einbindung der Klimapolitik geht das Reduktionsszenario davon aus, daß Deutschland weiterhin eine Vorreiterrolle einnimmt, daß die anderen Industriestaaten, insbesondere auch in der EU, aber ebenfalls anspruchsvolle CO2-Ziele verfolgen. Mögliche Konsequenzen eines deutschen Alleingangs beim Klimaschutz („Autarkielösung“) werden bei ergebniskritischen Teilaspekten (zum Beispiel Stromerzeugung, Industrie) berücksichtigt. Der Vergleich der beiden Szenarien führt zu den im folgenden geschilderten Ergebnissen.

Primärenergieverbrauch

Bild 1. Primärenergieverbrauch 1990 bis 2020 (Quelle: Energiebericht, 2001).

der energiepolitischen Diskussion leisten. Dazu gehöre auch, daß die Kosten unterschiedlicher energiepolitischer Strategien transparent gemacht werden.

Prognoserahmen und -methodik Die Auswirkungen alternativer Klimaschutzstrategien werden im Energiebericht anhand von zwei Szenarien untersucht: Als Referenzszenario dient die Energieprognose von Prognos/EWI aus dem Jahr 1999. Es beschreibt die aus Sicht der Gutachter wahrscheinliche Entwicklung der Energieversorgung bis zum Jahr 2020. In diesem Szenario wird unterstellt, daß die Liberalisierung der europäischen Energiemärkte fortgesetzt wird. Die 1999 bestehenden Maßnahmen zur Energieeinsparung und CO2Reduktion sowie die ökologische Steuerreform werden weiterentwickelt (zum Beispiel wird ein realer Anstieg der Stromsteuer von 1 Cent/kWh in 1999 auf 3,1 Cent/kWh in 2020 unterstellt). Bezüglich des Kernenergieausstiegs geht das Referenzszenario – entsprechend der politischen Beschlußlage im Jahr 1999 – von einer Nutzungsdauer von 35 Jahren aus. Im zweiten Szenario wird eine Verringerung der CO2-Emissionen bis 2020 um 40 % gegenüber 1990 als Ziel vorgegeben (Reduktionsszenario). Die Annahmen zur ökologischen Steuerreform entsprechen denen des ersten Szenarios. Die Annahmen zum Kernenergieausstieg wurden an die Vereinbarung zum Kernenergieausstieg vom 14. Juli 2000 angepaßt. Beide Szenarien gehen von einer gemäßigten Entwicklung der Energiepreise aus (zum Beispiel liegt der reale Rohölpreis 2020 etwa auf dem Niveau Mitte der 80er Jahre), höhere Preisanstiegs-

Tabelle 1. Jahresdurchschnittliche Verbesserung der Energieproduktivität. 1998 bis 2010 Referenzszenario ......... % Reduktionsszenario ..... %

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2,0 2,9

2010 bis 2020 2,3 3,9

Die Vorgabe einer 40 %igen CO2-Reduktion führt bis zum Jahr 2020 zu einem gegenüber dem Referenzszenario um fast 75 Mill. t SKE beziehungsweise rund 15 % niedrigeren Primärenergieverbrauch (Bild 1). Bei einem in beiden Szenarien unterstellten realen Wirtschaftswachstum von jahresdurchschnittlich 2 % im Zeitraum 1998 bis 2010 beziehungsweise 1,7 % im Zeitraum 2010 bis 2020 erfordert das Reduktionsszenario eine deutlich stärkere Steigerung der Energieproduktivität (Verhältnis zwischen realem Bruttoinlandsprodukt und Primärenergieverbrauch (Tabelle 1)). Gemessen an den in der Vergangenheit erzielten Werten (zum Beispiel 1970 bis 1991: 1,7 %/a) hält der Energiebericht bereits die Steigerung der Energieproduktivität im Referenzszenario für sehr anspruchsvoll. Das Reduktionsszenario impliziert im Vergleich dazu – so die Gutachter – „eine strukturell völlig andere Entwicklung der Energieproduktivität als in der Vergangenheit”. Eine derartige Absenkung der Energieintensität, wie sie im Referenzszenario notwenig ist, setzt eine schnelle Modernisierung und damit finanzielle Spielräume der Unternehmen voraus, die nur bei hohem Wachstum zu erwarten sind, was aber in der Regel mit absolut höherem Energieverbrauch und CO2-Emissionen verbunden wäre. Ob die deutsche Volkswirtschaft die erforderliche Anpassungsdynamik aufbringt, bleibt dabei letztlich offen. Oder aber es kommt zu einem Strukturwandel, der am Standort Deutschland zu einer beschleunigten Deindustrialisierung und anhaltender Wachstumsschwäche führt. Auch in der Struktur des Primärenergieverbrauchs ergeben sich gravierende Änderungen. Der rückläufige Kernenergieanteil wird im Referenzszenario vor allem durch Kohle und Gas ersetzt, die Energieträgerstruktur bleibt insgesamt relativ ausgewogen. Im Reduktionsszenario erfolgt der Kernenergieersatz noch stärker durch Gas und erneuerbare Energien bei einem deutlich geringeren Mineralölverbrauch und einem weitgehenden Verzicht auf die Nutzung der Kohle. Der Anteil des Gases am Primärenergieverbrauch würde im Jahr 2020 im Reduktionsszenario 41 % erreichen (gegenüber 28 % im Referenzszenario), die erneuerbaren Energien erreichen – trotz dieser für sie günstigen Wettbewerbsbedingungen – einen Anteil von nicht mehr als etwa 10 % (gegenüber knapp 5 % im Referenzfall).

Der Verbrauch an Mineralöl fällt im Reduktionsszenario deutlich geringer aus als im Referenzfall. Maßgeblich für den Verbrauchsrückgang sind der Verkehrssektor (der Verbrauch von Ottokraftstoffen läge um fast 50 % unter dem des Referenzszenarios, zugleich nimmt die Bedeutung des Erdgases zu) sowie die weitere Substitution von Mineralöl durch Erdgas im Wärmemarkt. Mineralöl bleibt aber auch im Jahr 2020 mit einem Anteil von 36 % am Gesamtenergieverbrauch (gegenüber rund 40 % im Referenzszenario) weiterhin der dominierende Energieträger in der deutschen Energieversorgung. Der Verbrauch von Kohle, die nach dem Referenzszenario im Jahr 2020 noch reichlich ein Fünftel des Energiebedarfs decken würde, müßte im Reduktionsszenario drastisch eingeschränkt werden. Der gemeinsame Anteil der Stein- und Braunkohle am Energieverbrauch würde auf 10 % zurückgehen. Der Einsatz von Steinkohle würde im Jahr 2020 nur noch rund 14,5 Mill. t SKE (davon etwa 8,5 Mill. t in der Stromerzeugung und 6 Mill. t in der Stahlindustrie) betragen – gegenüber etwa 58 Mill. t SKE im Referenzszenario (–75 %) und 69 Mill. t SKE heute. Eine heimische Steinkohlenförderung – und damit der Zugriff auf die entsprechenden Lagerstätten – wäre unter den Bedingungen des Reduktionsszenarios kaum noch aufrechtzuerhalten.

Stromerzeugung und -verbrauch Der Stromverbrauch steigt in beiden Szenarien bis 2020 weiter an, im Referenzszenario um rund 14 %, im Reduktionsszenario um 11 %. Diese geringe Differenz ist dadurch bedingt, daß viele Energieeinsparmaßnahmen auf zusätzlichem Stromverbrauch basieren, zum Beispiel der Einsatz von Wärmepumpen. Das Wachstum der Stromerzeugung ist mit 8 % im Referenzszenario beziehungsweise 7 % im Reduktionsszenario etwas geringer als beim Stromverbrauch, wobei der Unterschied vor allem auf einen Rückgang des Eigenverbrauchs der Kraftwerke und der Netzverluste zurückzuführen ist (Bild 2). Im Hinblick auf die Kernenergie kommen die Gutachter zu dem Ergebnis, daß ein allmählicher Ausstieg trotz des leicht steigenden Stromverbrauchs unter den Bedingungen einer 40 %igen CO2-Reduktion technisch möglich ist. Bei nahezu identischer Stromerzeugung ergeben sich in den beiden Szenarien allerdings gravierende Unterschiede in der Struktur des dann notwendigen Brennstoffeinsatzes. Der Steinkohleneinsatz zur Stromerzeugung würde sich im Reduktionsszenario bis 2020 auf etwa 8,5 Mill. t SKE gegenüber 43 Mill. t SKE im Jahr 2000 verringern. Im Referenzszenario würde er dagegen im Jahr 2020 etwa wieder das heutige Niveau erreichen. Mit einem Anteil von 29 % wäre die Steinkohle in diesem Szenario im Jahr 2020 Energieträger Nr. 1 in der Stromerzeugung. Der Braunkohleneinsatz würde nach dem Reduktionsszenario in 2020 noch 84,5 Mill. t betragen gegenüber 150 Mill. t im Referenzszenario. Der im Vergleich zur Steinkohle relativ geringere

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Rückgang des Braunkohleneinsatzes im Reduktionsszenario ist dabei auf den – annahmegemäß unterstellten – Weiterbetrieb der neuen Braunkohlenkraftwerke in den neuen Bundesländern zurückzuführen. Der Zubau neuer Braunkohlenkapazitäten im rheinischen Revier wäre allerdings ebenso gefährdet wie der Aufschluß neuer Tagebaue. Während die Kohle insgesamt heute etwa 50 % der Stromerzeugung in Deutschland deckt, würde sie nach dem Reduktionsszenario im Jahr 2020 noch knapp 20 % zur Stromerzeugung beitragen – im Referenzszenario würde sich dagegen ein Anstieg auf 56 % ergeben. Im Gegenzug stiege der Erdgaseinsatz in der Stromerzeugung gegenüber heute auf das Sechsfache an, gegenüber dem Referenzszenario ergibt sich im Jahr 2020 mehr als eine Verdoppelung. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Erdgasanteil an der Stromerzeugung im Reduktionsszenario aus Gründen der Energieträgerdiversifizierung und Versorgungssicherheit schon bei 50 % der Stromerzeugung begrenzt wurde. Ohne diese Restriktion würde der Erdgaseinsatz noch weiter zunehmen. Erneuerbare Energien würden im Jahr 2020 nach dem Reduktionsszenario mit 21 % zur Stromerzeugung beitragen (gegenüber 6 % im Jahr

Bild 2. Stromerzeugung 1990 bis 2020 (Quelle: Energiebericht, 2001).

Dams in Germany Herausgegeben von Peter Franke und dem Deutschen TalsperrenKomitee (DTK)

2001. 496 Seiten DIN A4 mit rd. 275 mehrfarbigen Abbildungen, rd. 60 Karten und rd. 60 Tabellen Preis 98 EUR ISBN 3-7739-5957-5

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2000). Besonders die Stromerzeugung aus Biomasse (Verzwölffachung) und Windenergie (Verfünffachung) müßten drastisch gesteigert werden. Bei der Windenergie setzt dies einen massiven Ausbau von Offshore-Windanlagen in der Nord- und Ostsee voraus. Die dargestellten Konsequenzen des Reduktionsszenarios auf die Stromerzeugung in Deutschland wurden unter der Prämisse ermittelt, daß die erforderliche CO2-Reduktion vollständig im deutschen Kraftwerkspark erbracht wird. Der Stromaußenhandel wurde dazu auf den Werten des Referenzszenarios eingefroren. Gibt man diese Prämisse auf und unterstellt eine europaweit einheitliche Klimaschutzpolitik, erschließen sich kostengünstigere Minderungsmaßnahmen, als sie im deutschen Kraftwerkspark möglich sind. Die Gutachter erwarten für diesen Fall, daß anstelle des teuren Ersatzes von Stein- und Braunkohlenkapazitäten in Deutschland europaweit vorhandene kostengünstigere Alternativen genutzt würden.

Energieverbrauch und CO2Emissionen nach Sektoren

Bild 3. CO2-Emissionen 1990 bis 2020 (Quelle: Energiebericht, 2001).

Nach dem im Referenzszenario beschriebenen Handlungspfad werden die CO2-Emissionen aufgrund verstärkter Maßnahmen zum Klimaschutz bis zum Jahr 2020 um 16 % reduziert (Bild 3). Den größten Beitrag leistet die Industrie mit einer CO2Reduktion um 35 %. Es folgen der Wärmemarkt (–18 %) und die Stromerzeugung (–12 %). Dabei ist allerdings das von der Bundesregierung im November 2000 im Rahmen des nationalen Klimaschutzprogramms beschlossene Maßnahmenpaket noch nicht berücksichtigt, zum Beispiel die Modernisierung und der Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung, das Energieeinsparprogramm und die Verstärkung der Förderung erneuerbarer Energien. Im Reduktionsszenario werden die CO2-Emissionen insgesamt entsprechend der Vorgabe um 40 % gegenüber 1990 reduziert. Dabei ist unterstellt, daß auch im Verkehrssektor Emissionsminderungen erbracht werden. Während im Referenz-

szenario der Verkehrssektor bis 2020 noch einen Emissionszuwachs von 6 % aufweist, nehmen die verkehrsbedingten Emissionen im Reduktionsszenario in diesem Zeitraum um etwa 12 % ab. Dazu trägt vor allem der Straßenverkehr bei, dessen Energieverbrauch im Jahr 2020 nach dem Reduktionsszenario um 18 % niedriger wäre als im Referenzszenario. Die anderen Verkehrsbereiche weisen dagegen bis 2020 noch einen steigenden Energieverbrauch und steigende CO2-Emissionen auf. Die Emissionsminderung im Verkehrssektor bedingt erhebliche Effizienzverbesserungen in allen energierelevanten Bereichen. Zum Beispiel wird ein Rückgang des durchschnittlichen Kraftstoffverbrauchs auf 5 l/100 km unterstellt (Referenzszenario: 6,1 l/100 km), ein Wert, der – so der Energiebericht – deutlich unter den Werten liegt, welche die europäische Automobilindustrie für möglich hält. Die Substitution von kohlenstoffreicheren durch -ärmere Energien, zum Beispiel Biodiesel statt Dieselkraftstoff, Brennstoffzelle statt Vergaserkraftstoff, spielt im Verkehrssektor voraussichtlich bis 2020 nur eine untergeordnete Rolle. Die höchste CO2-Minderung gegenüber 1990 wird im Reduktionsszenario mit –50 % in der Industrie erzielt, im Referenzszenario sind es 35 %. Dabei ist zu berücksichtigen, daß bereits im Referenzszenario die CO2-Minderungspotentiale der Industrie weitgehend ausgereizt werden und von der Industrie im Vergleich zu anderen Verbrauchssektoren und den politischen Reduktionszielen eine überproportionale Reduktionsleistung erbracht wird. Im Wärmemarkt und in der Stromerzeugung ergibt sich von 1990 bis 2020 im Referenzszenario eine CO2-Minderung von 44 beziehungsweise 43 % gegenüber 18 beziehungsweise 12 % im Referenzszenario. In beiden Sektoren resultiert die CO2-Minderung vor allem aus dem verstärkten Einsatz von Erdgas und erneuerbaren Energien. Im Wärmemarkt steigt der Erdgaseinsatz (zu Lasten des Heizöls) von 43 auf 50 % an, die erneuerbaren Energien verzeichnen einen Zuwachs von 5 auf 19 %. Die Minderung der CO2-Emissionen bei der Strom- und Fernwärmeerzeugung im Reduktionsszenario geht zu drei Viertel auf die Substitution von Kohle durch Erdgas zurück (Ersatz von Steinund Braunkohle in Kondensationskraftwerken, Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung in der Industrie und verstärkte Nutzung von Fernwärmepotentialen auf Gasbasis). Ein Viertel der CO2-Minderung entfällt auf die Ausweitung der erneuerbaren Energien in der Stromerzeugung.

Gesamtwirtschaftliche Kosten der CO2-Reduktion Ein Schwerpunkt des Energieberichts ist die Analyse der gesamtwirtschaftlichen Kosten der CO2Reduktion. Die sogenannten „direkten gesamtwirtschaftlichen Kosten” umfassen dabei die in der Gesamtwirtschaft entstehenden Zusatzkosten der CO2-Reduktionsmaßnahmen, zum Beispiel die Ausgaben für Investitionen in energiesparende Geräte und Anlagen. Von diesen wer-

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den die Kosten der eingesparten Energie abgezogen. Kosten und Preise sind dabei ohne Steuern und Subventionen gerechnet. Die direkten gesamtwirtschaftlichen Nettokosten zeigen an, welche zusätzlichen finanziellen Belastungen der Volkswirtschaft durch die CO2-Reduktionsziele entstehen. Sie sind jedoch insofern unvollständig, als die Folgekosten von Anpassungsfriktionen (zum Beispiel temporäre Arbeitslosigkeit, Produktivitätseinbußen) nicht berücksichtigt sind. Im Reduktionsszenario fallen gegenüber dem im Referenzszenario beschriebenen Handlungspfad jährlich steigende Zusatzkosten der CO2Reduktion an, die – selbst bei den unterstellten günstigen Weltmarktpreisen für Energie – im Jahr 2020 rund 32 Mrd. EUR betragen. Dies entspricht ungefähr dem heutigen Gesamtbetrag für die Bereitstellung von Energie. Kumuliert ergeben sich daraus bis zum Jahr 2020 direkte gesamtwirtschaftliche Zusatzkosten von mehr als 250 Mrd. EUR. Für einen Durchschnittshaushalt würde der jährliche Mehraufwand für die Deckung seines Energiebedarfs etwa 1 500 EUR betragen, gegenüber 1998 wäre dies ein Anstieg um 60 %. Die Mehraufwendungen entfielen zu zwei Dritteln auf den Bereich Mobilität (der Liter Benzin würde dann nominal zum Beispiel 3,6 EUR kosten) und ein Drittel auf die Deckung des Wärmebedarfs (Tabelle 2). Die gegenüber dem Referenzszenario höchsten Zusatzkosten weist mit 20,7 Mrd. EUR im Jahr 2020 der Verkehr auf. Die wesentliche Ursache hierfür ist, daß die Emissionsminderung in diesem Sektor vor allem durch den Einsatz effizienterer Fahrzeuge erbracht werden muß. Ein privater Haushalt wäre bei der Deckung seines Mobilitätsbedarfs jährlich im Schnitt mit etwa 790 EUR betroffen. Die gesamtwirtschaftlichen Zusatzkosten im Industriesektor fallen mit 920 Mill. EUR im Jahr 2020 vergleichsweise niedrig aus. Der Grund dafür liegt in der Modellprämisse, daß sich die in der Industrie getätigten Investitionen zur Verbesserung der Energieeffizienz „rechnen”, es werden also nur Maßnahmen berücksichtigt, die unter den gesetzten Prämissen nach dem Prinzip der „anlegbaren Kosten” einzelwirtschaftlich rentabel sind. Die im Reduktionsszenario erforderliche Umstrukturierung des deutschen Kraftwerksparks würde im Jahr 2020 mit etwa 3,9 Mrd. EUR zu Buche schlagen. Diese Mehrkosten entfallen fast ausschließlich auf den Ausbau der regenerativen Energien. Die CO2-Minderungskosten bei der Nutzung erneuerbarer Energien reichen dabei von 50 bis 250 EUR/t CO2, und betragen damit ein Vielfaches des CO2-Minderungskosten im fossilen Kraftwerkspark (12,5 EUR/t CO2 in 2020). Bei letzterem ist allerdings unterstellt, daß die Kosten der Stein- und Braunkohlenverstromung in dem Maß sinken, wie deren Mengeneinsatz verringert wird. Dabei bleiben die wegen der verringerten Braunkohlenförderung entstehenden Altlasten unberücksichtigt. Rechnet man diese ein, ergeben sich CO2-Minderungskosten im fossilen Kraftwerksbereich in einer Größenordnung von 50 EUR/t CO2. Weitere Altlastenkosten ergäben sich ebenso aus

Tabelle 2. Direkte gesamtwirtschaftliche Kosten der CO2-Reduktion in Mrd. EUR. Verbrauchssektor

Private Haushalte ........ GHD ............................. Industrie ...................... Verkehr ........................ Strom- und Fernwärmeerzeugung ....... Summe .........................

Jahreskosten 2010

2020

2 213,4 755,2 376,3 5 828,7

4 692,6 1 848,8 923,9 20 692,0

1 738,4 10 912,0

3 936,9 32 094,3

einer verringerten heimischen Steinkohlenförderung. Nicht berücksichtigt sind ferner die Auswirkungen höherer Erdgasimportpreise bei der notwendigen Erhöhung des Erdgaseinsatzes in Kraftwerken. Bei den gegenwärtigen Preisrelationen wäre eine CO2-Minderung mittels Ersatzes von Kohle durch Erdgas in der Stromerzeugung – anders als durch die noch viel teureren erneuerbaren Energien1 – auf den ersten Blick eine kostengünstige Möglichkeit, was die volkswirtschaftlichen Mehrkosten einer verschärften Klimapolitik begrenzen würde. Bei einer nachfragebedingten Verdoppelung des Gaspreises – ein Preisanstieg, der in dieser Dimension zum Beispiel auf dem Rohölmarkt in jüngerer Zeit noch deutlich übertroffen worden ist – stiegen die Mehrkosten allein in der Stromerzeugung von 3,9 auf 8,7 Mrd. EUR, was in etwa der Größenordnung der gesamten Brennstoffkosten der gegenwärtigen Stromerzeugung entspräche. Der Kostenvorteil gegenüber der Kohle wäre verschwunden, die Kohle allerdings auch – und damit zugleich sowohl ihr Beitrag zur Liefersicherheit als auch ihre preisstabilisierende Funktion.

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Risiken einer Dekarbonisierungsstrategie im Energiebereich Der Energiebericht zeigt – neben den hohen direkten gesamtwirtschaftlichen Zusatzkosten – weiter die gesamtwirtschaftlichen Risiken der Dekarbonisierung des Energieangebots auf, die zur Erreichung der Zielsetzung einer 40 %igen CO2-Reduktion notwendig wäre.

Zusätzlich steigende Importabhängigkeit, Liefer- und Preisrisiken Bereits heute weist Deutschland im europäischen Vergleich eine hohe Abhängigkeit von Energieimporten aus dritten Ländern auf (Deutschland etwa 60 %, EU rund 50 %). EU-weit wird diese Abhängigkeit steigen, in Deutschland bei Umsetzung des Reduktionsszenarios – bei aufgrund des niedrigeren Energieverbrauchs absolut geringeren Einfuhren – bis 2020 auf etwa 76 %. Die in diesem Szenario angelegte Verdrängung der Kohle (heimische wie importierte) könnte nach den Prognosen durch den Zuwachs erneuerbarer Energien nicht aufgefangen werden. Zu der schon 1

Bereits heute werden die Erneuerbaren Enegien in Deutschland mit rund 2,4 Mrd. EUR subventioniert, dies bei einem Beitrag zum Primärenergieverbrauch von nur 2,3 % und zur Stromerzeugung von 7 % (3).

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derzeit sehr hohen Abhängigkeit des Wärmemarkts (77 %) und des Verkehrssektors (98 %) von Importöl und -gas käme eine zusätzliche Abhängigkeit des Stromsektors von Energieimporten (hier vor allem Erdgas). Der starke Zuwachs des Erdgasverbrauchs zu Lasten der Kohle (bei planmäßigem Kernenergieausstieg) würde die vorhandene Abhängigkeit beim Öl durch eine ähnlich hohe bei einem weiteren Energieträger verschärfen. Die nationale Energieträgerbasis würde weitgehend auf nur zwei Energieträger verengt. Erdgas muß aufgrund der relativ geringen heimischen Vorkommen ebenso wie heute das Erdöl in absehbarer Zeit fast vollständig importiert werden. Zusätzliche Erdgasmengen sind nur aus wenigen Regionen importierbar, in einigen von ihnen beeinträchtigen politische Konflikte das Wirtschaftsgeschehen und damit auch die Liefersicherheit. Zwar wird in Anbetracht der Vorräte bis 2020 kein physisches Lieferproblem erwartet – politische Stabilität in den Erdgasförder- und -transitregionen vorausgesetzt –, doch ist allein schon wegen des europaweit erwarteten Nachfrageschubs mit erheblichen Preisrisiken zu rechnen. Ergänzend zum Energiebericht ist anzumerken, daß sich auf der Angebotsseite des internationalen Erdgasmarkts, der sich immer mehr in eine Verkäufermarktsituation hinein entwickelt, nach Einschätzung einiger Beobachter zudem ein der OPEC ähnliches Erdgaskartell formiert. Die daraus resultierenden Liefer- und Preisrisiken der Erdgasabhängigkeit würden in Deutschland dann allerdings nicht nur für den Wärmemarkt virulent werden, sondern sich auch auf die Stromerzeugung übertragen.

Ansteigende Stromkosten und Standortnachteile Strom gilt als „industrielle Wachstumsenergie”. Deshalb wächst der Stromverbrauch in beiden untersuchten Szenarien weiter an, und die Stromkosten bleiben (ebenso wie die Sicherheit der Stromversorgung) ein sensibler Faktor für die gesamte Wirtschaftsentwicklung, insbesondere natürlich für die stromintensiven Industrien wie NE-Metalle, Eisen/Stahl, Papier und Chemie. Die Stromerzeugung auf preissensible Energieträger wie das Erdgas abzustützen (und partiell auch noch die hohen Mehrkosten erneuerbarer Energien in Kauf zu nehmen), kann deshalb den Erzeugungsstandort Deutschland und die Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Industrien sehr gefährden. Standortverlagerungen oder hohe Stromimporte wären die Konsequenz. Letzteres wäre allerdings mit den Klimazielen kaum zu vereinbaren, denn in den anderen europäischen Ländern liegt die Erneuerung beziehungsweise Entwicklung der Kraftwerke und die damit verbundene CO2-Einsparung weit hinter dem, was in den letzten Jahren in Deutschland erreicht worden ist. Ausgerechnet in Deutschland Kohlenkraftwerke zu verdrängen, wäre darum im EU-Vergleich auch unter reinen Klimagesichtspunkten eine sehr teure Variante. Der Energiebericht sieht die gesamtwirtschaftliche Verträglichkeit einer solchen überehrgeizigen

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Klimaschutzstrategie selbst dann bedroht, wenn die anderen EU-Mitgliedsstaaten und weitere wichtige deutsche Handelspartner eine vergleichbare Klimapolitik praktizieren würden – was sehr unwahrscheinlich ist und im Fall der USA, wie bereits klar ist, nicht erwartet werden kann, obgleich viele dieser Länder aufgrund zum Beispiel ihrer klimatischen Bedingungen, ihrer einheimischen Gas- und Wasserressourcen und ihres geringeren Industriebesatzes günstigere strukturelle Voraussetzungen für eine forcierte CO2Reduktion haben als ausgerechnet Deutschland. Demzufolge wären gravierende Standortnachteile für die deutsche Wirtschaft zu befürchten. Die exportorientierte, auf internationale Wettbewerbsfähigkeit angewiesene Industrie – bisher die Stütze der deutschen Konjunktur – würde zur Abwanderung gedrängt. In der deutschen Binnenwirtschaft würde sich neben dem unmittelbar gefährdeten Kohlensektor auch für Wirtschaftsbereiche mit hoher Energieintensität sowie deren Zulieferindustrien zumindest für Teile der Produktion sogar die „Existenzfrage” stellen. Zum Beispiel müßte in der Stahlindustrie die Oxygenstahlerzeugung möglicherweise ganz eingestellt werden – mit entsprechenden Folgen auch für die Beschäftigung in diesem Sektor. Solche Strukturbrüche würden das in den Modellrechnungen als unverändert unterstellte Wirtschaftswachstum – eine Annahme, die schon in Anbetracht der konjunkturellen Risiken, wie sich gerade gegenwärtig wieder zeigt, recht gewagt ist – nicht unbeeinträchtigt lassen. Nicht nur in einzelnen Sektoren, sondern auch gesamtwirtschaftlich wären deshalb erhebliche Wachstumsund Beschäftigungsrisiken wahrscheinlich.

Energiepolitische Konsequenzen Der Energiebericht macht deutlich, daß – so der Bundeswirtschaftsminister – „sehr ehrgeizige Klimaschutzziele für das Jahr 2020”, erst recht, wenn sie im nationalen Alleingang angestrebt werden und die globalen Zusammenhänge nicht berücksichtigen, „in erheblichem Widerspruch zu den Zielen der Versorgungssicherheit und der Wirtschaftlichkeit stehen”. Sie würden zum Beispiel auch bedeuten, „daß Deutschland sich weitgehend von der Nutzung der heimischen Kohlenquellen zu verabschieden hätte, was diametral dem Ziel der Versorgungssicherheit widerspräche”. Die deutsche Energiepolitik stehe daher jetzt an einem „Scheideweg”. Während die Leitlinien des Energieberichts, die auf Ausgewogenheit und Augenmaß in der Energiepolitik zielen, in großen Teilen der Politik, der Wirtschaft und auch bei den Gewerkschaften viel Zustimmung gefunden haben, wird von grüner Seite und verschiedenen umweltorientierten Instanzen, wie etwa dem Rat von Sachverständigen für Umweltfragen oder dem Nachhaltigkeitsrat der Bundesregierung, weiter eine Verschärfung des Klimaschutzziels sowie die einseitige Ausrichtung der deutschen Energiepolitik auf das 40-%CO2-Reduktionsziel bis 2020 propagiert. Auch in einem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen zur Ratifikation des Kyoto-Protokolls wird

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Tabelle 3. No-Regret-Maßnahmen im Energiebereich. Der Energiebericht kommt zu dem Schluß, „daß ein isoliertes nationales Klimaschutzziel von 40 % CO2-Reduktion im Jahr 2020 gegenüber 1990 die Wirtschaftlichkeit und Sicherheit der Energieversorgung beeinträchtigen würde. Damit wäre die Gleichrangigkeit der energiepolitischen Ziele in Frage gestellt. Eine No-Regret-Strategie in der Energiepolitik verlangt statt dessen, daß im Rahmen eines ausgewogenen Ansatzes gleichzeitig die Risiken der Importabhängigkeit begrenzt, Umweltschutz in hohem Maß verwirklicht sowie wirtschaftliches Wachstum und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen unterstützt werden”. ➭ Rationelle Energieverwendung hat Vorrang. Deshalb müssen wir alle sinnvollen Instrumente einschließlich Energiesteuern nutzen und im europäischen Gleichklang vorantreiben. ➭ Energiepolitik darf sich nicht nur auf die Angebotsseite konzentrieren. Deshalb müssen wir den Energiebedarf von Gebäuden weiter senken und Innovationen im Verkehrsbereich vorantreiben. ➭ Technologische Innovationen sind Zukunftsvorsorge. Deshalb müssen wir Forschung und Entwicklung sowie Markteinführung stärker auch auf die Wettbewerbsfähigkeit sich wandelnder Märkte ausrichten. ➭ Marktkräfte sind zukunftsorientiert zu nutzen. Deshalb müssen wir die Liberalisierung konsequent fortsetzen und dabei die Qualität der Infrastruktur erhalten. ➭ Der Energiestandort Deutschland braucht verläßliche Rahmenbedingungen. Deshalb müssen wir günstige Investitionsbedingungen in Deutschland schaffen und die internationale Chancengleichheit für deutsche Unternehmen gewährleisten. ➭ Braun- und Steinkohle in der Stromerzeugung sind unverzichtbar, denn sie mindern die Risiken der Importabhängigkeit. Deshalb müssen wir die Kraftwerkseffizienz weiter steigern, die deutsche Steinkohle sichern und dürfen die Braunkohle nicht dem Klimaschutz opfern. ➭ Für die Energiepolitik der Zukunft ist eine intensive bilaterale und multilaterale internationale Zusammenarbeit unerläßlich. Deshalb müssen wir die internationalen Foren stärker nutzen und Auslandsengagements deutscher Unternehmen verstärkt flankieren. ➭ CO2-Minderungsziele lassen sich nur gemeinsam erreichen. Deshalb müssen wir die Vorreiterrolle Deutschlands im Klimaschutz „exportieren” und die flexiblen Instrumente des Kyoto-Protokolls nutzen. ➭ Investitionszyklen dürfen wir bei allen energiepolitischen Entscheidungen nicht aus dem Auge verlieren. Deshalb müssen wir den Faktor Zeit bei Einführung und Ausgestaltung politischer Maßnahmen angemessen berücksichtigen.

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auf diese Empfehlung verwiesen. Das Bündnis 90/ Die Grünen fordern in ihrem neuen Grundsatzprogramm (4) sogar schon noch weitergehende langfristige CO2-Reduktionsziele, nämlich –80 % bis zum Jahr 2050, ohne daß allerdings die gangbaren Wege auch nur geprüft werden. Der Energiebericht hat demgegenüber deutlich gemacht, welche enormen Risiken mit einer einseitigen, auf eine drastische CO2-Reduktion im nationalen Alleingang gerichteten „Dekarbonisierungsstrategie” verbunden wären. Der Energiebericht setzt daher auf ein Bündel von „NoRegret”-Maßnahmen, die alle energiepolitischen Ziele gleichermaßen verfolgen (Tabelle 3) . Statt auf Brennstoffsubstitution setzt der Energiebericht auf den weiteren technischen Fortschritt sowie die Senkung des Energieverbrauchs durch rationellere Energieverwendung und auch ökonomisch sinnvolle Energieeinsparung. Neben der technologischen Innovation und Modernisierung gehört zu einer No-Regret-Strategie zur Klimavorsorge auch die Nutzung der heimischen Stein- und Braunkohle im Rahmen eines zukunftsfähigen Energiemixes. Die Bundesregierung wird sich deshalb auch auf EU-Ebene für eine längerfristige Absicherung des deutschen Steinkohlenbergbaus einsetzen, das den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit bietet, einen Teil seines Primärenergiebedarfs durch Unterstützung derzeit nicht wettbewerbsfähiger heimischer Energien zu decken. Der Energiebericht betont außerdem: Ein Kernbestand heimischer Steinkohlenförderung, durch den der Zugang zu der größten heimischen Energieressource erhalten bleibt, ist auch struktur- und beschäftigungspolitisch bedeutsam. Insbesondere im Stromsektor – so die Schlußfolgerungen des Energieberichts aus den Szenariorechnungen – kann auch künftig auf die Kohlennutzung nicht verzichtet werden. Eine Dekarbonisierungsstrategie in diesem Sektor würde die Liefer- und Preisrisiken verstärken. Eine Politik „hin zum Gas” berge mit der Konzentration der Stromerzeugung auf nur einen Energieträger die Gefahr, daß die Erfahrungen der Ölkrisen der 70er Jahre wiederholt würden. Neben einem wachsenden Anteil erneuerbarer Energien sind zum Risikoausgleich die heimischen Energien Steinkohle und Braunkohle auch in Zukunft unverzichtbar. Eine Beendigung der Kohlenutzung in Deutschland wäre, so der Energiebericht, auch umweltpolitisch kontraproduktiv. Damit würde lediglich die nationale CO2-Bilanz bereinigt, während für den globalen Klimaschutz praktisch nichts erreicht würde: Eine Senkung der CO2-Emissionen in Deutschland um 40 % würde bis 2020 rechnerisch kumulierte CO2-Einsparungen von 400 Mill. t erbringen; diese hierzulande dramatische Minderung, die aber nur weniger als 2 % der weltweiten Emissionen ausmachte, würde durch den globalen CO2-Anstieg nur eines einzigen Jahrs überkompensiert. Insbesondere die konsequente Modernisierung des kohlenbasierten Kraftwerksparks kann erhebliche Potentiale zur CO2-Einsparung mobilisieren und der deutschen Industrie große Exportchancen eröffnen. Die durchschnittlichen Gesamtwirkungsgrade deutscher Steinkohlenkraftwerke liegen

heute bei 37 %, die der Braunkohlenkraftwerke bei 34 % (und damit bereits deutlich über den internationalen Durchschnittswerten). Moderne Kraftwerkstechnologien erlauben zur Zeit Wirkungsgrade von 46 % (Steinkohle) beziehungsweise 43 % (Braunkohle). Forschung und Entwicklung lassen bis 2020 voraussichtlich Wirkungsgrade von bis zu 55 % (Steinkohle) beziehungsweise über 50 % (Braunkohle) erwarten (Bild 4). Wenn allein der heute verfügbare Stand der Technik im gesamten deutschen Kraftwerkspark zum Einsatz käme, könnte bei unveränderter Stromproduktion der CO2-Ausstoß um 23 % oder 61 Mill. t CO2 reduziert werden. Der Energiebericht fordert daher, daß die technologischen Potentiale zur Bild 4. Wirkungsgrade von Steinkohlenkraftwerken.

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ENERGIEVERSORGUNG

Hufschmied und van de Loo: Energiebericht des BMWi: Nachhaltige Energiepolitik für eine zukunftsfähige Energieversorgung

Verbesserung der Wirkungsgrade der Kraftwerke durch zielgerichtete Forschung erschlossen und konsequent genutzt werden müssen. Die deutschen Unternehmen sollen ihre Rolle als weltweite Technologieführer mit den entsprechenden Exportchancen ausbauen. Weitere CO2-Minderungen sind auch ohne die Verdrängung von Kohle durch Erdgas zu erreichen, wenn die Tendenz zur Senkung der Energienachfrage durch Energieeinsparungen in allen relevanten Bereichen fortgeführt werden kann. Nachhaltige Energieeinsparungen begrenzen zugleich die Abhängigkeit von Importenergien wie das Risiko von Preisschwankungen. Die größten Energieeinsparpotentiale werden künftig im Wärmemarkt (insbesondere Absenkung des Wärmebedarfs bei Wohngebäuden) und im Verkehrsbereich (insbesondere Absenkung des durchschnittlichen Kraftstoffverbrauchs) gesehen. Hier ist die Energieeffizienz bisher wesentlich weniger gesteigert worden als in der Industrie. Innovationen und Investitionen zur Energieeinsparung in diesen Bereichen könnten auch das wirtschaftliche Wachstum stützen, ohne daß die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Energiewirtschaft und der energieintensiven Industrien geschmälert wird. Besonders der private Energieverbrauch bietet wichtige Ansatzpunkte für eine CO2-Minderung, was allerdings auch hier zusätzliche Belastungen impliziert. Diese lassen sich jedoch verringern, wenn die Zeitachse angemessen einbezogen und die Zeitdimension zum Strategiebestandteil gemacht wird. Das gilt insbesondere, wenn die Reinvestitionszyklen beachtet werden, also ohnehin anstehende Ersatz- oder Erweiterungsinvestitionen zur Erneuerung genutzt werden. So beträgt etwa im Pkw-Sektor die „Flottenumschlagsgeschwindigkeit” rund zwölf Jahre, die Sanierung des Gebäudebestands braucht 30 bis 40 Jahre. Aus der gezielten Nutzung dieser Reinvestitionszyklen können sich jeweils Effizienzschübe ergeben, die nachhaltige Energieeinsparungen und Effizienzsteigerungen auch ohne unvertretbare volkswirtschaftliche Kosten und Beeinträchtigungen anderer zentraler energiepolitischer Ziele ermöglichen. Die konstruktive Verknüpfung von Ökonomie und Ökologie ist gerade im Energiesektor eine Frage des Timings und langfristiger Planungssicherheiten.

Ein erstes Fazit Der Energiebericht hat eine für die künftige Ausrichtung der deutschen Energiepolitik grundlegende und notwendige Debatte eröffnet. Diese Debatte scheint erst allmählich öffentlich wahrgenommen beziehungsweise von einer breiteren Öffentlichkeit geführt zu werden. Als besonders problematisch erweist sich dabei, daß die Richtungsfrage auch innerhalb der Koalition einer Antwort harrt. Bezeichnenderweise stammt die sogleich nach dem Erscheinen einsetzende Kritik am Energiebericht in erster Linie nicht etwa von der Opposition, sondern von Koalitionsvertretern, vor allem von der grünen Seite und den ihr nahestehenden umwelt-

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orientierten Energieforschern und Instituten. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ihrerseits hat bereits 14 Tage nach Erscheinen des Energieberichts eine „Große Anfrage” mit 63 Einzelfragen zum Energiebericht und seiner „Bedeutung für ein Energiekonzept der Bundesregierung” gestellt (5), die auf mutmaßliche Widersprüche in der Energiepolitik der Koalition zielen und an anderen Stellen auch die künftige Rolle und Bedeutung der Kohle berühren. Damit verbunden wird auch die Kardinalfrage, welche Folgerungen die Bundesregierung aus dem Energiebericht zu ziehen gedenkt. Worum es in dieser politischen Kontroverse geht, hat der Energiebericht dabei selbst hinreichend deutlich gemacht. Im Vorwort stellt Bundeswirtschaftsminister Müller klar, daß eine wirklich „nachhaltige” Energiepolitik drei Ziele gleichrangig verfolgen muß: Umweltverträglichkeit, Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit. Ein Mehr bei einem Ziel bewirkt ein Weniger bei den anderen Zielen: Die Ziele stehen untereinander in Konkurrenz. Energiepolitik muß also den optimalen Bereich in diesem magischen Zieldreieck definieren und anstreben. Für den Bundeswirtschaftsminister folgt daraus: „Bevor ein detailliertes langfristiges deutsches Energieprogramm bis 2020 zu Papier gebracht wird, muß ein vernünftiges, allseits akzeptiertes Gleichgewicht im energiepolitischen Dreieck ... vereinbart werden.“ Ein Fazit läßt sich aus dem Energiebericht bereits jetzt ziehen: Einseitige Gewichtungen und nationale Alleingänge richten auf Dauer mehr Schaden an als Nutzen. Oder, wie es der Bundeswirtschaftsminister im Vorwort des Energieberichts ausgedrückt hat: „Um international zu mehr Klimaschutz zu kommen, bedarf es einzelner nationaler Vorreiter. Auf Dauer jedoch muß es auch zu internationalen Fortschritten kommen, damit nicht die Gefahr entsteht, daß Vorreiter zu Einzelgängern werden.” Dann nämlich wären alle nationalen Anstrengungen, und seien sie noch so ehrgeizig, nicht nur vergeblich, sondern auch gesamtwirtschaftlich gefährlich. Daß es auch einen gesamtwirtschaftlich weniger riskanten und energie- wie klimapolitisch langfristig dennoch erfolgversprechenden Weg gibt, zeigt die im Energiebericht formulierte No-Regret-Strategie. Quellennachweis 1. Semrau, Gerhard ; Hufschmied, Peter: Die langfristige Entwicklung der Energiemärkte im Zeichen von Wettbewerb und Umwelt. In: Glückauf 136 (2000), Nr. 5, S. 272279. 2. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie: Energiepolitische und gesamtwirtschaftliche Bewertung eines 40 %-Reduktionsszenarios. Dokumentation Nr. 492, Juli 2001. 3. Bundesministerium für Umwelt: Entwicklung der Erneuerbaren Energien – aktueller Sachstand. Januar 2002. 4. Beschluß Grundsatzprogramm von Bündnis 90/Die Grünen am 17. März 2002. Kapitel: Aufbruch ins ökologische Zeitalter. S. 7. 5. Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU vom 11. Dezember 2001: Der Energiebericht des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie und seine Bedeutung für ein Energiekonzept der Bundesregierung. Bundestagsdrucksache 14/7854.