Jürgen Link
Als Betreuungskraft in der Altenpflege Individuell betreuen – prüfungssicher dokumentieren – teamorientiert arbeiten
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Die Pflegestärkungsgesetze I und II – Betreuung für alle
Lernen Sie die Zukunft kennen – ein paar Fakten zur wohl größten Pflegereform seit Beginn der Pflegeversicherung dürfen nicht fehlen. Durch das Pflegestärkungsgesetz I wurden seit dem 1. Januar 2015 die Leistungen für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen spürbar ausgeweitet und die Zahl der zusätzlichen Betreuungskräfte in stationären Pflegeeinrichtungen erhöht. Hilfen für Demenzkranke wurden verbessert, niederschwellige Betreuungs- und Entlastungsangebote gestärkt. Zudem wurde ein Pflegevorsorgefonds eingerichtet. Mit dem Pflegestärkungsgesetz II, das am 1. Januar 2016 in Kraft trat, kommen der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff und ein neues Begutachtungsverfahren. Die bisherige Unterscheidung zwischen Pflegebedürftigen mit körperlichen Einschränkungen und Demenzkranken entfällt. Im Zentrum steht künftig der individuelle Unterstützungsbedarf jedes Einzelnen. Dadurch wird die Pflegeversicherung auf eine neue Grundlage gestellt und die bisherigen drei Pflegestufen werden durch fünf passgenauere Pflegegrade ersetzt. Die Vorteile der Reform sieht das Bundesministerium für Gesundheit in • einer stärkeren Berücksichtigung der Bedürfnisse von Demenzkranken; • höheren Leistungen, gemessen an allen Pflegebedürftigen; • neuen Begutachtungskriterien, die die Gesamtsituation pflegebedürftiger Menschen besser erfassen; • der Angleichung der Leistungen an die Preisentwicklung. Laut Bundesministerium für Gesundheit wird die finanzielle Lage vieler Pflegebedürftigen künftig verbessert. Auf jeden Fall soll niemand schlechter gestellt als zuvor. Bei der Beurteilung der Pflegebedürftigkeit wird nicht mehr zwischen körperlichen, geistigen und psychischen Erkrankungen unterschieden. Die Pflegebedürftigkeit wird ausschließlich nach dem Grad der Selbstständigkeit beurteilt. So kann auch das Krankheitsbild »Demenz« besser als bisher einbezogen werden. Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff und die fünf Pflegegrade werden allerdings erst ab 2017 Anwendung finden,
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weil das neue Begutachtungsverfahren zunächst noch auf seine Praxistauglichkeit getestet wird. Die Beteiligten, nämlich der Medizinische Dienst der Krankenversicherung, die Pflegedienste und die Pflegeheime benötigen mindestens ein Jahr Vorbereitungszeit, um die neuen Regelungen umsetzen zu können.
2.1
Aus Pflegestufen werden Pflegegrade
Beim neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff werden geistige und körperliche Faktoren der Pflegebedürftigkeit gleichermaßen berücksichtigt. Die Zuordnung von Pflegebedürftigen in die einzelnen Pflegegrade erfolgt nach neuen Kriterien, um den Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz gerecht zu werden. Was wird aus jenen Menschen, die schon eine Pflegestufe haben? Tabelle 1 zeigt es Ihnen. Tabelle 1: Aus Pflegestufen werden Pflegegrade Bisherige Pflegestufe
Eingeschränkte Alltagskompetenz vorhanden?
Pflegegrad
0
Ja
2
1
Nein
2
1
Ja
3
2
Nein
3
2
Ja
4
3
Nein
4
3
Ja
5
3 Härtefall
6
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Aus Pflegestufen werden Pflegegrade
Stichwort »Eingeschränkte Alltagskompetenz« »Aufgrund von demenzbedingten Fähigkeitsstörungen, geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen können Menschen in ihrer Alltagskompetenz auf Dauer erheblich eingeschränkt sein. Sie sind dann in erheblichem Maße auf Betreuung und – insbesondere zur Verhütung von Gefahren – oft auch auf allgemeine Beaufsichtigung angewiesen.«* * http://www.bmg.bund.de/glossarbegriffe/e/eingeschraenkte-alltagskompetenz.html
Selbstverständlich gibt es klar definierte Voraussetzungen, die je nach Pflegegrad erfüllt werden müssen. Diese richten sich generell an der Selbstständigkeit der Betroffenen aus. Deshalb gibt es auch einige Anhaltspunkte, welche Voraussetzungen für welchen Pflegegrad vorliegen müssen. Tabelle 2 zeigt, welche Voraussetzungen an welche Pflegegrade geknüpft werden. Es handelt sich dabei bisher um grobe Richtwerte, die sich aufgrund einer ersten Analyse des Testverfahrens des Bundesministeriums ergeben haben. Tabelle 2: Pflegegrad und Zeitbedarf15 Pflegegrad
Zeitbedarf für die Grundpflege
Häufigkeit der Häufigkeit der Notwendige psychosozialen Hilfen in der Präsenz wähUnterstützung Nacht rend des Tages
1
27–60 Minuten
Max. 1x täglich Nicht erforder- Nicht erforderlich lich
2
30–127 Minuten
Max. 1x täglich 0 bis 1x
2 Mit eingeschränkter Alltags kompetenz
8–58 Minuten
2–12x täglich
15
Nicht erforderlich
Nicht erforder- Weniger als lich 6 Stunden
Wingenfeld, K. & Gansweid, B. (2013). Analysen für die Entwicklung von Empfehlungen zur leistungsgerechten Ausgestaltung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Bielefeld/Münster
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Pflegegrad
Zeitbedarf für die Grundpflege
Häufigkeit der Häufigkeit der Notwendige psychosozialen Hilfen in der Präsenz wähUnterstützung Nacht rend des Tages
3
131–278 Minuten
2–6x täglich
0–2x
Weniger als 6 Stunden
3 Mit eingeschränkter Alltags kompetenz
8–74 Minuten
6x täglich bis ständig
0–2x
6–12 Stunden
4
184–300 Minuten
2–6x täglich
2–3 x
6–12 Stunden
4 Mit eingeschränkter Alltags kompetenz
128–250 Minuten
7x täglich bis ständig
1–6x
Rund um die Uhr
5 Mit eingeschränkter Alltags kompetenz
24–279 Minuten
Mindestens 12x täglich
Mindestens 3x
Rund um die Uhr
2.2
Das neue Begutachtungsassessment (NBA)
Die Einführung des neuen Begutachtungsassessments (NBA) klingt nach einer grundlegenden Revolution bei der Beurteilung von Pflegebedürftigkeit. Die Pflege soll individueller werden, Menschen mit kognitiven Defiziten sollen nicht länger benachteiligt werden. Eine bessere Beratung für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen wird angestrebt. Die Gutachter des MDK (Medizinischer Dienst der Krankenversicherung) werden die Fähigkeiten von Antragstellern in 77 Kategorien bewerten. Es wird bewertet, in welchem Maß ein Pflegebedürftiger in der Lage ist, seinen Alltag selbstständig zu gestalten. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf der Selbstständigkeit, körperlich und geistig.
Das neue Begutachtungsassessment (NBA)
Die neue Philosophie der Begutachtung •• »Umfassende Berücksichtigung von Pflegebedürftigkeit aufgrund körperlicher und psychisch/kognitiver Beeinträchtigungen •• Einbeziehung des Bedarfs an allgemeiner Beaufsichtigung und Be treuung •• Einbeziehung der Teilnahme an sozialen, kulturellen und anderen außerhäuslichen Aktivitäten •• Einbeziehung der krankheits- und therapiebedingten Anforderungen und Belastungen •• Neuer Maßstab ist der Grad der Selbstständigkeit bei der Durchführung von Aktivitäten oder Gestaltung von Lebensbereichen«* * Gansweid, B. (2014). Das Neue Begutachtungsassessment (NBA) macht vieles einfacher, gerechter und besser. Im Internet: http://www.mdk.de/media/pdf/Veranstaltung_3_-_Gansweid.pdf [Zugriff am 6.1.2016]
Beim NBA gibt es Begutachtungskriterien in sechs Bereichen, die Richtwerte enthalten, an denen sich die Begutachter bei der Bewertung des Pflegegrades orientieren können. Hilfe bei Alltags verrichtungen Psychosoziale Unterstützung Nächtlicher Hilfebedarf Präsenz am Tag
•• Wie viel Zeit wird für die alltäglichen Verrichtungen aufgewendet? •• Welcher Hilfebedarf besteht im Hinblick auf die psychosoziale Unterstützung? •• Wie viel Unterstützung ist während der Nacht notwendig? •• Über welche Zeitspanne kann der Pflege bedürftige tagsüber alleine gelassen werden?
Umgang mit krankheits •• Wie viel Unterstützung bei der Behandlungspflege ist erforderlich? bedingten Anforderungen Organisation der Hilfen
•• Übernehmen Angehörige oder professionelle Pflegedienste die Hilfeleistungen?
Abb. 1: Die sechs Bereiche der Begutachtungskriterien.
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