Alptraum Arbeitsplatz oder Mobbing hoch zwei

Alptraum Arbeitsplatz oder Mobbing hoch zwei 1 2 Johannes Becker Ulrich Becker Alptraum Arbeitsplatz oder Mobbing hoch zwei Mit einem Beitrag v...
Author: Jesko Wolf
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Alptraum Arbeitsplatz oder Mobbing hoch zwei

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Johannes Becker Ulrich Becker

Alptraum Arbeitsplatz oder Mobbing hoch zwei

Mit einem Beitrag von Wolfgang Goedart Palm

Pahl-Rugenstein 3

Pahl-Rugenstein Verlag Nf. GmbH Breite Str. 47 53111 Bonn Tel. 0228/632306 Fax 0228/634968 email: [email protected] www.pahl-rugenstein.de ISBN 978-3-89144-457-3 Copyright © Pahl-Rugenstein Verlag 2012 1. Auflage Dezember 2012 Alle Rechte vorbehalten Druck: SOWA

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Inhalt

Johannes Becker Der Fisch stinkt vom Kopf her Ulrich Becker Alptraum Arbeitsplatz oder Mobbing hoch zwei Wolfgang Goedart Palm Mobbing – eine Reise in die Schattenwelt der Unternehmen

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Johannes Becker

Der Fisch stinkt vom Kopf her

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WIESO – WESHALB – WARUM Dies ist keine Abrechnung eines unzufriedenen Mitarbeiters eines Unternehmens, der aus Rache für eine verdorbene Karriere die Vorgesetzten und Kollegen anprangert und sie überzogen karikiert beschreibt. Es spielt keine Rolle, ob die betroffene Stadt an der Donau, an Rhein, Neckar, Main, Oder, an Mosel, Ahr, Sieg, Weser, Werra, Ems, Alster, Elbe, Wupper gelegen, oder an keinem Fluss liegt. Leider geschehen die beschriebenen, oder ähnlich Vorfälle überall, in jeder Stadt. Die Tragik besteht darin, dass es um reale Vorgänge, um immer noch stattfindende Machenschaften, um Mobbing, um Bossing, um üble Nachrede, um Schweigen von Betriebsräten, die sich zudem mit Eintrittskarten und so genannten Dienstreisen, erinnert sei hier nur an die Dienstreisen von Betriebsräten eines Automobilherstellers in brasilianische Bordelle, bestechen ließen, und anderen, auch hochrangigen schweigenden Zeugen, und um Korruption geht. Niemand der Verantwortlichen hat Interesse daran, diese unhaltbaren, menschenverachtenden Zustände anzuprangern oder zu verfolgen. Ich ärgere mich natürlich auch darüber, selbst Opfer dieses Unternehmens geworden zu sein Noch mehr jedoch ärgert es mich jedoch als Bürger dieser Stadt, da ich mit meinen Gebühren diese Misswirtschaft, das Unvermögen von Führungskräften und deren Vasallen mitfinanziere. Man stelle sich vor: 1985 hatte dieses Unternehmen 2.500 Beschäftigte und zwei geschäftsführende Direktoren, die jeweils ca. 200.000 DM pro Jahr erhielten. 2010 waren es nur noch 2.000 Bedienstete, aber neun Direktoren, die durchschnittlich deutlich mehr als 200.000 pro Jahr erhalten – allerdings Euro – keine Deutsche Mark. Zum Vergleich: Der Bundeskanzler dieser Republik erhält ein Jahresgehalt von 248.000 Euro Einer dieser Oberfürsten, der seine Unfähigkeit immer wieder durch stammelnde, sinnfreie Reden unterstreicht, der zu Fachfragen aus Unwissenheit schweigt, hat im Tiefbau gelernt, tiefe Gruben zu buddeln, in die er gerne selbst purzelt, bedient sich an des Bürgers Geldbörse jährlich mit 265.000 Euro. Dafür schikaniert er, der durch seinen Freund, den Landrat, auf seinen Posten gehievt wurde, fleißige, fähige Mitarbeiter, um sie mundtot zu machen und sie dazu zu bringen von sich aus zu kündigen, wie in einigen Fällen bereits geschehen. Andere Kollegen wurden willkürlich versetzt oder in Bereichen beschäftigt, die mit ihrer Fachausbildung gar nichts zu tun haben. Dadurch wird Unzufriedenheit geschürt und der Neid derer, die eigentlich die Befähigung hätten, aber nicht berücksichtigt werden. Als Folge leidet das Betriebsklima immer mehr. 9

Die Direktorenriege lebt in einer anderen Welt, jenseits fachlicher Kompetenz. Sie kochen ihr eigenes Süppchen, welches Bürger und Bedienstete auszulöffeln haben und kassieren kräftig ab. Sie »erhalten« das Geld – verdienen tun sie es nicht! Direktoren, deren einzige Befähigung darin besteht, das richtige Parteibuch zu haben sind dabei keine Einzelfälle. Und wir Bürger fragen uns, warum Strom, Gas und Wasser, warum der öffentliche Nahverkehr so teuer ist, die Preise ständig steigen. Dieses Buch gibt eine Antwort auf diese Frage. Etwaige Ähnlichkeiten oder Übereinstimmungen mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und ungewollt. Die Namen der Personen sind frei erfunden. Die Geschehnisse, von denen berichtet wird, sind es leider nicht. Da es keine Einzelfälle sind, könnten sich die Geschehnisse tagtäglich auch in Deiner Stadt zutragen. Der Autor hat die geschilderten, manchmal recht skurril anmutenden Begebenheiten und Menschen tatsächlich erlebt. Vor fast 25 Jahren wurden erste Fassungen seiner Erinnerungen von einem namhaften Verlag als »Fantasien eines Spinners« bezeichnet, der »total überzogen und realitätsfremd« den öffentlichen Dienst karikiert. Der Verlag irrte Gewidmet ist dieses Buch all jenen, die teilweise sogar schlimmere Erfahrungen machen mussten als der Verfasser, die teilweise in den geschlossenen Abteilung der Nervenklinik landeten, denen, die durch das Betriebsklima seelisch und körperlich erkrankten, denen, die es nicht mehr aushielten, die wirtschaftliche und berufliche Ungewissheit auf sich genommen haben, um diesem mafiösen Treiben zu entfliehen, denen, die trotz teilweise massiver Bedrohung und Repressalien an meiner Seite standen, oder zumindest ihr Verständnis bekundet haben, die selbst, aus Angst um ihre Existenz, nicht den Mut aufbringen zu sprechen, die sich schweigend in ihr Schicksal fügen. Ob die »schweigende Armee« motivierte Arbeit abliefert darf angezweifelt werden. Man arbeitet soviel wie nötig, mehr nicht. Man möchte nicht auffallen.

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1. WIE ES BEGANN Wieso eigentlich nicht, dachte sich Joe, als er Ende 1985 vom Direktor eines Versorgungsunternehmens einer deutschen Stadt, der gleichzeitig sein Nachbar war, das Angebot bekam, für dieses Unternehmen zu arbeiten. In seinem damaligen Job hatte er ein großes Problem, was darin bestand, dass er freitags bis 15:30 Uhr arbeiten musste. Ganz schlecht für einen Musiker, dessen gefragte Band normalerweise freitags um diese Zeit auf dem Weg zum Auftritt war. Diese Musik-Jobs konnte er leider nie annehmen. So freute sich jeweils sein musikalischer Vertreter, diese Jobs zu spielen und das Geld zu verdienen, was Joe sich gerne selbst verdient hätte. Bei »der Stadt« konnte man freitags schon um 13:00 Uhr Feierabend machen. Somit hätte Joe die Freitagsengagements der Band selbst übernehmen können. Dass sich jemand im kommunalen Betrieb je überarbeitet hätte, wurde bis dato nicht überliefert. Dieser Job schien für Joe genau richtig zu ein. Öffentlicher Dienst – wieso eigentlich nicht? Den öffentlichen Dienst kannte Joe nur von den Witzseiten einschlägiger Frauenfachzeitschriften, die beim Friseur ausliegen. Einige seiner Freunde waren öffentlich Bedienstete. Deren Schilderungen des Arbeitsalltages hatten jedoch nichts mit den Witzseiten gemein. Gut, er hatte auch nicht die Vorstellung, dass es bei der Polizei oder der Finanzbehörde gemütlich zuging. Ganz abgesehen von den Arbeitszeiten. Nacht- oder Wochenenddienste sind da keine Seltenheit. Im Innendienst des Energieversorgers sollte es diese Probleme sicherlich nicht geben. Joe zählte Polizei und Finanzamt nicht zu den in den vorgenannten Zeitschriften abgehandelten Arbeitsplätzen, auf die das Prinzip »Was du heute kannst besorgen, das verschieb` getrost auf morgen« zutraf. Er wollte sich auf das Abenteuer »Stadt« einlassen. Zur Not hatte er noch eine Option bei einer ortsansässigen Bank, die nicht abgeneigt war ihn einzustellen, allerdings erst in einem Jahr. Joe gab seine Bewerbungsunterlagen bei seinem Nachbarn ab. Er hatte schon gehört, dass es in dem Fall nur von Vorteil sein könne, seine Beziehungen zu nutzen. Nach wenigen Wochen wurde er telefonisch zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Zirka 15 Minuten vor seinem Termin parkte Joe sein Auto vor dem Mutterhaus des Unternehmens. Im Rückspiegel kontrollierte er den Sitz seiner Krawatte, ob er, seine Frisur und die Kleidung vorzeigbar war. Er war mit sich zufrieden und schaute dem Treiben vor dem Gebäude zu. Dass so viele Bürger das Unternehmen aufsuchten, hätte er nicht gedacht. Seine Stromkosten wurden direkt vom Konto abgebucht, die Rechnungen waren korrekt, am Strompreis konnte man ohnehin 11

nichts ändern, zu dieser Zeit hatte der Strom noch keine Farbe. Ökostrom und Fremdanbieter waren Fremdworte. Strom, Gas und Wasser lieferte der örtliche Versorger. Fertig. Was wollten all diese Menschen also von ihrem Versorgungsunternehmen? Joe versuchte abzuschätzen, ob er den Menschen ansehen konnte, ob sie Kunden waren, dann mussten sie ja zwangsläufig das Haus wieder verlassen, oder ob es Bedienstete waren, die, warum auch immer, wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehrten. Die ersten 10 Menschen, die er zu den Kunden zählte, kamen tatsächlich nach kurzer Zeit zurück auf die Straße. Dann kam ein dürres Männlein über den Gehweg und steuerte auf den Haupteingang zu. Es, das Männlein, erinnerte Joe an Don Quichotte, den Ritter von der traurigen Gestalt aus dem Roman von Miguel de Cervantes. Das Männlein sah aus, als hätte Mutti es fein gemacht. Der graue, leicht gemusterte Anzug war offenbar ein Erbstück, welches in Heimarbeit auf die Jammergestalt umgearbeitet wurde. Das rosafarbene Hemd, mit einem Kragen, der in der Flowerpower-Zeit modern war, saß am Hals recht locker und war um mindestens vier Konfektionsgrößen zu groß. Der Vorfahre und Nachlassgeber muss ein normal gewachsener Mann gewesen sein. Die Krawatte war eine Beleidigung für jedes Auge. Diese Farbkombinationen sind heute, meines Wissens, verboten. Zuwiderhandlungen werden empfindlich bestraft. (sollten es wenigstens) Orange, hellgrün, dunkelgrün, mittelgrün, grasgrün, kuhfladengrün, blau, violett, sämtliche Nuancen von rot und selbstverständlich auch von gelb – diese Krawatte ließ farbtechnisch keine Wünsche offen. Dazu trug das Männlein weiße Tennissocken, die in braunen Sandalen steckten. Das musste ein Versorgungsbeamter sein! Jedenfalls betrat die knöcherne Jammergestalt das Haus, verließ es jedoch während Joes Wartezeit nicht wieder. Was könnte das Männlein beruflich machen? fragte sich Joe. Er kam zu dem Schluss, dass solche Typen gerne in Archiven versteckt werden, oder in der Hausrevision arbeiten. Solche Typen haben keine Freunde. Sie schwärzen gerne Kollegen, Nachbarn, Falschparker und spielende Kinder an. Wenn im Sportunterricht Mannschaften gewählt wurden, blieben solche Typen bis zum Schluss stehen und wurden vom Lehrer zugeteilt. Mit solchen Typen wollte, zu Joes Zeiten, und bestimmt auch heute noch, niemand etwas zu tun haben. In Kreisen von normalen Kindern und Erwachsenen wurden diese Typen als AKs (Arschloch-Kinder) bezeichnet. Zu Recht! AKs blieben AKs, auch als Erwachsene. AK`s leben gerne bis ins hohe Alter mit Mutti zusammen. Es sei denn, man musste eine derbe Schönheit, gerne vom Lande, oder aus der entfernten Verwandtschaft, an den Mann bringen. Diese Frauen tragen Kittelschürzen und Voreifeleinheitshaarschnitte. Am Hinterkopf und an den Seiten ganz kurz. Gerne tragen 12

sie Stützstrümpfe, die nur bis zum Knie reichen Dazu Gesundheitsschlappen. Die erotische Ausstrahlung dieser Damen? Ein Alligator ist geiler! Das stört die Gatten dieser Frauen jedoch nicht, da das Thema Erotik in ihrer Beziehung keine Rolle spielt. Nun wurde es Zeit für Joe zu seinem Vorstellungsgespräch zu gehen. Er betrat die Vorhalle und ging zu dem dort sitzenden Pförtner, der teilnahmslos auf einen Bildschirm starrte, auf dem Videos einer lokalen Nachrichtenagentur zu sehen waren. Joe teilte ihm sein Anliegen mit. Der Portier wusste Bescheid. Er begrüßte Joe mit den Worten: »Ah, der Nachbar vom Direktor. Da geht er diese Treppe hoch, zweite Türe links, dort wartet er bis er vom Kollegen abgeholt wird.« Joe wunderte sich über die Form der Anrede, es störte ihn jedoch nicht. Er führte es auf den Bildungsstand des Menschen am Entree zurück. Wie geheißen, ging er zu dem beschriebenen Raum und wartete dort. Nach wenigen Minuten wurde die Tür von außen geöffnet und ein Mittfünfziger betrat den Raum. Er reichte Joe die Hand. Joe verstand den Namen nicht. Er verstand nur Personalratsvorsitzender und: «Ah, der Nachbar vom Direktor.« Der Personalratsvorsitzende fragte Joe direkt: »Ist er in der Gewerkschaft?« Schon wieder: Persönliche Anrede erfolgte hier in der dritten Person Singular. Folglich war die Form der Anrede nicht auf mangelnde Bildung des Pförtner zurückzuführen. Man spricht hier offenbar so. Der Artenforscher Charles Darwin hätte seine helle Freude daran gehabt, diese linguale Enklave näher zu erkunden. Als nächstes betrat ein Mann den Raum der sich als Vertreter der Personalabteilung outete, dessen Name Joe allerdings ebenfalls nicht verstand. Auch dieser Herr konnte es sich nicht verkneifen darauf hinzuweisen, dass er darüber informiert sei, wer in Joes Nachbarschaft zu Hause ist. Da niemand etwas sagte, ergriff Joe die Gelegenheit sich für die Einladung zu diesem Vorstellungsgespräch zu bedanken. In zivilisierten Kulturen macht man das so. Hier stießen Joes Worte jedoch auf Unverständnis. »Wir warten noch auf den Chef, bei dem er arbeiten soll«, teilte der Mensch aus der Personalabteilung mit. Nach einigen Minuten absoluter Stille warf der Personalrat das Wort Partei in den Raum und fügte einige stumme Fragezeichen hinzu. Die Antwort gab er sich selbst: »Ist ja wohl klar, dass er in der Partei ist, bei dem Nachbarn. Muss er selbst wissen«, fügte er verächtlich hinzu. Bevor Joe die Situation bereinigen oder erklären konnte, betrat DER CHEF den Raum. Joe verschlug es den Atem. Der Chef war, man ahnt es, die knöcherne Jammergestalt, die er vor dem Haus bereits gesehen hatte. Die Krawatte sah, aus der Nähe betrachtet, noch grässlicher aus, als der flüchtige Eindruck auf der Straße es hatte vermuten lassen. 13

Der Chef reichte Joe seine mit dicken, grauen Warzen bewachsene Hand und stellte sich vor. »Schwarz – angenehm. Sein Nachbar hat mir bereits berichtet, was er vorher gemacht hat. Ich sage es, wie es ist. Ich kann ihn nicht gebrauchen. Was soll ich mit einem Bankbeamten?« Dass Bedienstete eines privaten Geldinstitutes Beamte sind, war Joe neu. Beamte waren für ihn Staatsdiener. Das Männlein, Joe hatte beschlossen es Knöchlein zu nennen, lachte Joe an, wobei es sein Zähne zeigte. Zähne ist jetzt übertrieben. Schwarz war die vorherrschende Farbe dieses Gebisses, welches offenbar längst den Kampf gegen die Karies hoffnungslos verloren hatte. Dieses Lachen erinnerte Joe an Bilder vom bösen Wolf aus dem Märchen, der sich im Bett liegend, für Rotkäppchens Großmutter ausgab und die Frage nach dem großen Mund beantwortete: Damit ich dich besser fressen kann! Der Vergleich mit dem Wolf mag hinken und das Raubtier beleidigen. Joe ersetzte ihn durch einen räudigen Fuchs, dazu fiel ihm allerdings kein Märchen ein. Knöchleins Kopf wurde puterrot als Joe ihm fest in die Augen blickte und ihn fragte, was dann die Einladung solle, da aus seinen Bewerbungsunterlagen die Ausbildung und der berufliche Werdegang klar ersichtlich sei. Hinzu kam, dass der Direktor des Hauses ihn angesprochen und den Job angeboten hatte, und nicht umgekehrt. Joe fragte Knöchlein direkt, wie es komme, dass der Direktor ihn für kompetent und befähigt halte, da er ihn zudem persönlich kenne, der Chef der Fachabteilung hingegen eine negative Meinung über ihn habe, allerdings ohne ihn zu kennen. Knöchelleins Kopf schien zu platzen. Aus seinem viel zu weiten Hemdkragen lugte ein dünner, langer Hals, im Volksmund Truthahnhals genannt, auf dem ein überdimensionaler Adamsapfel auf und ab tanzte. »Ich sage ja nur«, stotterte Knöchlein. Der Betriebsrat meldete sich zu Wort und warf ein: »Kollege, so geht es nicht. Wenn der Direktor sagt, dass er der richtige Mann ist, kann er nicht sagen, dass er es nicht ist. Ich schlage vor, dass wir es mit ihm versuchen, oder hat er noch andere Bewerber?« Dabei zwinkerte er Joe zu. Knöchlein nuschelte nur: »Er hört dann von uns. Wir sagen ihm Bescheid.« Stand auf und verließ grußlos den Raum. »Na dann, auf Wiedersehen«, verabschiedete sich der Schweiger der Personalabteilung. Um so gesprächiger wurde der Personalratsvorsitzende. »Mach Dir nichts daraus Kollege« – wir waren also schon beim vertrauten Du und bereits Kollegen ... –, der Kollege ist, wie Du vielleicht gemerkt hast, etwas seltsam. In den letzten zwei Jahren hat er vier oder fünf Menschen aus seinem Umfeld für den Job eingestellt, die sämtlich nicht in der Lage waren, die geforderten Aufgaben zu erfüllen. Jetzt ist er beleidigt, weil die Geschäftsführung seinen nächsten Kandidaten abgelehnt und angegeben hat, sich selbst um einen geeigneten Kollegen 14

zu kümmern. Und das bist Du! Ungeachtet der Tatsache, dass der Onkel von Schwarz, wir nennen ihn übrigens Knöchlein, warum wohl? Hahaha! (Joe biss sich auf die Lippen) der Personalchef des Unternehmens ist. Ich sage es direkt, die Vertreterin von Knöchlein, also der zweite Mann der Abteilung (Mann?), ist seit Jahren Mieterin des Onkels von Schwarz. Aber glaube nicht, dass gemauschelt wurde. Hat alles seine Ordnung. Zumindest auf dem Papier. Du kommst ja auch quasi über den Gartenzaun, hahaha!« Joe schoss es durch den Kopf, dass die Witzseiten der Frauenfachzeitschriften beim Frisör stark untertreiben. Die Realität ist schlimmer. Viel schlimmer! Er bedankte sich für die offenen Worte, verabschiedete sich und sagte, dass er auf die schriftliche Mitteilung warten werde. »Du machst das schon Kollege«, verabschiedete ihn der Personalrat. Der Pförtner formulierte seine Verabschiedung mit zwei Worten: »Und – Kollege?« Vor der Türe atmete Joe tief durch und ertappe sich dabei, wie er sich selbst in den Arm kniff um festzustellen, ob er wach sei oder ob er einen seltsamen Traum habe. Er spürte jedoch den Schmerz, was ihn jetzt nicht unbedingt glücklicher machte. Wäre er nicht mit dem Auto dort gewesen, er war sich sicher, dass er die nächste Gaststätte aufgesucht und Alkohol zu sich genommen hätte. Wahrscheinlich zu viel Alkohol. Und dass, obwohl er der Alkoholsucht nicht frönte. Es gibt halt Momente im Leben eines Mannes, da braucht er die Flucht in den Alkohol oder sonstiger Betäubungsmittel. Dies war gewiss ein solcher Moment. Joe war, wie gesagt mit dem Auto da und musste die Situation unbetäubt überstehen, was ihm schließlich gelang.

2. ARBEITSBEGINN (nur noch 29 Jahre bis zum Ruhestand) Wenige Wochen nach dem seltsamen Vorstellungsgespräch erhielt Joe Post von der Personalabteilung des Unternehmens. Darin eine Einladung zur Unterzeichnung eines Arbeitsvertrages. Er sollte sich bei Herrn Meier-Schön melden, der die Position eines Hauptabteilungsleiters bekleidete. Meier-Schön war kein Freund großer Worte. Zögernd erhob er sich knapp aus seiner halb liegenden Position hinter seinem überfüllten Schreibtisch. Joe bemerkte, dass der Hauptabteilungsleiter nicht nur hemdsärmelig und sein Hemd aus der Hose gerutscht war, Meier-Schön saß offenbar gerne bequem. Gürtel auf, der 15

oberste Hosenknopf ebenfalls. Er begrüßte Joe knapp mit den Worten: »Ich weiß Bescheid – und? Parteimitglied? Am 15. fangen sie an, den Vertrag unterschreiben sie bei den Idioten im Personalbüro. Alles Gute.« Die Frage, in welchem Zimmer das Personalbüro sei, konnte er nicht beantworten. Am 15. meldete sich Joe, wie gewünscht im Personalbüro und erhielt dort einen so genannten Laufzettel, der ihn zu mehreren Stationen im Haus führte. Er bekam Formulare und Informationsmaterial zu den einzelnen Sparten der Betriebssportgemeinschaft, sowie Aufklärung über die betriebsinterne Sterbenotgemeinschaft, die sich, nach den Darstellungen des Informierenden richtig lohnen solle, da man bei einem Monatsbeitrag von DM 1,50 im eigenen Sterbefall einen Zuschuss von 1.100 DM erhalte. (Interne Bezeichnung: Kistengeld) Ein Sonderangebot, an dem man posthum sicherlich viel Freude haben wird. Nach etwa 2 Stunden Lauf mit dem Zettel stand Joe vor Knöchlein, der sich wenig erfreut zeigte. Er führte Joe zu seinem künftigen Arbeitsplatz. Einem Glaskasten, in dem drei ältere Herren saßen und rauchten. Schwarz stellte Joe vor: »Kollegen, das ist der neue Kollege« und zu Joe »Der Kollege zeigt ihm wie der Ablauf der Kasse ist, nach der Mittagspause übernimmt er.« Knöchlein verschwand grußlos. Joe holte das nach, was Knöchlein versäumt hatte. Er stellte sich seinen neuen Kollegen namentlich vor. Der Kollege, der die Kasse führte und dessen Nachfolge Joe antreten sollte, war ein 1,90 Meter Mann mit einer Frisur, die man früher Pudeln verpasst hat, die heute nur noch Atze Schröder trägt. »Bock – angenehm. Er als Bankbeamter weiß ja, wie alles funktioniert.« Die beiden Herren, die sich am Schreibtisch gegenüber saßen, waren Herr Friesland, tatsächlich ein Ostfriese, ehemaliger Busfahrer und Herr Möller, ein freundlicher gut situierter Herr, der erste Mensch in diesem Haus, der sich normaler deutscher Sprache und normalen Umgangsformen bediente. Die Herren Friesland und Möller rechneten die Konteneingänge bei der Sparkasse und der Post ab. Bock die Bargeldeingänge. Nach der Mittagspause war dies Joes Aufgabe. Friesland und Möller saßen an ihren Schreibtischen, Bock stand, an die Wand angelehnt, daneben. Man rauchte und unterhielt sich. Das Gesprächsthema erschloss sich Joe nicht. Auch nach einer halben Stunde war ihm nicht klar, worüber die Herren redeten. Es schien sich um geheimes Insiderwissen zu handeln, über das die neuen Kollegen sprachen. Nach einiger Zeit fragte Bock den Neuen, dessen Name er bereits vergessen hatte: »Spielt er auch?« Nein, Joe spielte nicht, gut er spielte mehrere Instrumente, hatte allerdings nicht den Eindruck, dass dies hier gefragt war. Er fand durch geschicktes Hinterfragen heraus, dass die Frage auf die Teilnahme am Samstagslotto zielte. Wer hätte das ahnen können. 16

Stutzig wurde Joe, als Bock erwähnte, dass er früher, das muss in den 50 er Jahren gewesen sein, selbst Halbrechts war. »Ein gefürchteter Halbrechts«, fügte Bock hinzu. Doch kein Lotto, sondern Fußball, dachte Joe. Um es aufzulösen, die Herren sprachen über Lotto und Fußball. Und das zur gleichen Zeit. Respekt! Bock machte keine Anstalten die Vorkriegs-Kassenmaschine und den technischen Ablauf des Tagesgeschäftes zu erklären. Da es bereits 12 Uhr war und er nach der Mittagspause die Tätigkeit und die damit verbundene Verantwortung für die Kasse, übernehmen sollte, bat er Bock erneut, ihn einzuarbeiten. In seiner Lehrfirma, Joe hatte den Beruf des Kaufmanns richtig erlernt, mit Kauf­mannsgehilfenbrief und bestandener Prüfung, stand das Nachfolgemodell der schweren Anker-Kassenmaschine in der Eingangshalle als Anschauungsmodell. Ein Relikt aus alten Zeiten, um den Kunden zu zeigen, wie lange das Unternehmen schon auf dem Markt ist. Hier, bei Joes neuem Arbeitgeber, war das Vorgängermodell noch voll im Einsatz und offenbar brandaktuell. Zur Mittagspause rechnete Bock die Kasse ab und übergab die Schlüssel an Joe. Falls er Fragen habe, Bock sitze ja da. Das war dann auch Bocks einzige Beschäftigung. Zu sitzen und auf Fragen zu warten. Gut, er rauchte dabei. Joe sah sich seinen neuen Arbeitsplatz genauer an, um zu sehen, was wo lag. Dabei stieß er in einer Schublade auf einen Brotkorb aus türkisfarbenem Plastik, der voll mit Geldmünzen war. Dieses Geld erschien jedoch nicht in der Kassenaufnahme. Immerhin fast 40,- DM. »Das ist Schmutzgeld« versuchte Bock zu erklären. Joes Einwand, dass sämtliches in der Kasse befindliche Geld in die Tagesabrechnung aufzunehmen sei, konnte Bock nicht nachvollziehen. Sein Argument: »Haben wir immer so gemacht.« Der Nachmittag verlief ohne Zwischenfälle und ohne Höhepunkte. Joe fragte sich, ob er diese Tätigkeit, in diesem Unternehmen, in den verbleibenden mindestens neunundzwanzig Berufsjahren, wirklich machen wollte. Er hatte seine Zweifel. Um Punkt 16.00 Uhr wurde die Türe zur Schalterhalle geschlossen. Knöchlein erschien vor der Kassenbox um die Abrechnung zu kontrollieren. »Dann wollen wir mal.« Bei der Kassenaufnahme sprach Joe das Schmutzgeld an und bat, es entweder aus dem Kassenbereich zu entfernen oder es ordnungsgemäß in den Kassenbestand aufzunehmen. »Dann hat er am ersten Tag bereits eine Differenz«, lachte Schwarz. Das war sein voller Ernst. »Wie er will. Typisch Bankbeamter, immer 200 Prozent Wir sind hier aber nicht bei der Bank. Sollte ihm sonst noch etwas auffallen, was wir hier falsch machen oder einfacher handhaben könnten, kann er es mir in, sagen wir drei Wochen, ja mitteilen. Dann können wir in Ruhe darüber reden.« 17

Joe hatte nicht den Eindruck, dass man anerkannte, dass er auf diesem Gebiet fachliche Kompetenz vorweisen konnte und er sich bereits mit den geltenden Vorschriften vertraut gemacht hatte. Im Gegenteil. Sein Gefühl war, dass er nicht willkommen war und den alt eingefahrenen Ablauf störte. Keinesfalls hatte Joe vor, alles auf den Kopf zu stellen und das Rad neu zu erfinden. Sein Bestreben war es lediglich, Arbeitsabläufe, die seit Generationen so gehandhabt wurden, der Neuzeit, also der Mitte der 80er Jahre (des letzten Jahrhunderts) anzupassen. Voller Stolz präsentierte man ihm eine »elektrische« Rechenmaschine, die er ganz alleine benutzen durfte! Joes Freude darüber fiel eher verhalten aus. Zu dieser Zeit gab es bereits Computer und elektronische Datenverarbeitung. Hier schien man jedoch noch nicht den Tod Bismarcks verwunden zu haben. Alle Erneuerungsversuche sind offenbar an der Kasse dieses Unternehmens spurlos vorüber gegangen. Die Erklärung Bocks erschien immer wieder vor seinem geistigen Auge: Haben wir immer so gemacht! So vergingen die ersten Tage und Wochen ohne besondere Vorkommnisse. Joes Kasse stimmte, Tag für Tag. Wer jetzt denkt, dass sich Schwarz, über den in der Abteilung alle nur als »der Chef« sprachen, ein paar anerkennende Worte für Joes korrekte Arbeitsweise gefunden hätte, sieht sich getäuscht. Aus den Abrechnungsprotokollen der Vergangenheit war ersichtlich, dass Kassendifferenzen häufig vorkamen. Wobei Bock noch hinzufügte, dass Differenzen erst ab 2,- DM im Protokoll erschienen. Differenzen unter diesem Betrag, egal ob plus oder minus, wurden durch die »Gummikasse« (Schmutzgeld im Brotkorb) ausgeglichen. Joes Einwand, dass Differenzen, so besagt es nicht nur die Vorschrift, sondern auch der gesunde Menschenverstand, der Betrag ist, der vom errechneten Sollbetrag ab 1 Pfennig abweicht, ließ Bock nicht gelten. Haben wir immer so gemacht! Joes Einwand: Eine Kasse muss auf den Pfennig stimmen und nicht ungefähr, löste lediglich verständnislose Blicke aus. Möller fügte hinzu, dass wir nicht bei der Wehrmacht seien. Was immer er damit meinte. Endlich kam das von Schwarz angekündigte Gespräch, was nach drei Wochen stattfinden sollte. Nicht unerwähnt bleiben darf, dass die Dreiwochenfrist bereits um weitere drei Wochen überschritten war. Joe war klar, dass, wenn er alle ihm aufgefallenen Mängel Schwarz vortragen würde, dieser sich als Verantwortlicher angegriffen fühlen würde. Er war ja nicht Abteilungsleiter, weil er die Befähigung dazu erworben hatte, sondern weil sein Onkel der Personalchef war. Vorsicht war geboten. Joe hinterfragte zunächst das Abrechnungsformular. Dieses Formular sah vor, dass zunächst die Stückzahl der Geldstücke, Geldscheine, Geldbündel und Geldrollen erfasst und dann mit dem Nominalwert multipliziert wurde. 18

Beispiel: 5 Münzen á 5,- DM ergeben 25,- DM. Das macht allein beim Münzgeld 9 verschieden Summen, dazu noch einmal 9 für das Rollengeld (0 Rollen á 10-DM-Stücke ergibt 0,- DM) dann das Papiergeld. Acht verschiedene Werte bei Geldscheinen, dazu gebündelte Scheine (klar, auch acht verschiedene Werte). Das ergibt allein 34 Summen, somit 34 Fehlerquellen. Die Frage, wer wissen wolle, wie viele einzelne Geldstücke sich im Kassenbestand befinden und ob nicht die Summe des Geldes, auf dem Zählbrett, lose Scheine, gebündelte Scheine und Rollengeld sowie der Geldbestand im Tresor, noch in Rollengeld und Papiergeld aufgeteilt, ergeben das maximal 6 Summen. Diese Abrechnung mit 6 Summen führte Joe dem Chef anhand eines im Kopf gerechneten Beispiels vor und erntete Unverständnis. »Wir haben das immer so gemacht«, war die Antwort. Schließlich waren auf dem Kassenformular 34 Felder vorgesehen, dann müssen diese auch ausgefüllt werden. Übrigens sei das Abrechnungsformular eine Kopie des Abrechnungsformulars der Sparkasse und somit amtlich. Joe wollte sich auf diese Art der Argumentation nicht einlassen und rief am Folgetag bei der Sparkasse an und bat um Erklärung des Formulars. Niemand, der dort beschäftigten Mitarbeiter kannte ein Abrechnungsformular mit 34 Feldern. Man erklärte Joe, dass man mit maximal sechs Summen auskomme. Tage später meldete sich der Sparkassenmitarbeiter bei Joe und teilte ihm mit, dass seine Recherchen ergeben hätten, es habe früher einmal ein solches Formular gegeben, das allerdings noch in Sütterlin verfasst war. Ein kluger Kopf habe für die Stadt dieses Formular von Sütterlin in Nachkriegsschreibmaschinenschrift übersetzt. Somit hielt die Neuzeit auch Einzug in diesem Hause! Joe unterließ weitere Verbesserungsvorschläge, da ihm diese als Arroganz und Überheblichkeit ausgelegt wurden. Der Kollege Möller hatte ihm das in einem Vieraugengespräch mitgeteilt und ihn vor Schwarz gewarnt, der etwas gegen ihn im Schilde führe. Möller wusste allerdings keine Einzelheiten. Nur so viel, dass Schwarz, wenn Joe das Haus bereits verlassen hatte, dessen Schreibtisch nach »verwertbarem Material« durchwühlte. Schwarz machte ja bereits im Vorstellungsgespräch offensichtlich, dass er Joe nicht mochte. Dies beruhte allerdings auf Gegenseitigkeit. Später erfuhr Joe, dass Schwarz den Vorfall mit dem Abrechnungsformular in Joes Personalakte hinterlegt hatte. Er maße sich nach wenigen Tagen der Betriebszugehörigkeit an, das System zu kritisieren und »Verbesserungsvorschläge« (wirklich in Anführungszeichen) zu unterbreiten, die jedoch jeglicher logischen Grundlage entbehrten, da man schließlich keine Bank sei. Den genauen Vorschlag zitierte Schwarz jedoch nicht. Er schrieb lediglich, dass Joes Arroganz darin gipfele, unaufgefordert eigene Vorschläge zu machen. Schwarz log also bewusst und gab ein falsches Zeugnis ab. Joe war gewarnt.

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