Alles hat man herausgefunden, nur nicht wie man lebt. Sartre

17.06.2010 Bettina Kietzmann „Alles hat man herausgefunden, nur nicht wie man lebt.“ Sartre KEIN THEMA? - zu einem Thema werden lassen! Wissen allei...
Author: Harald Huber
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17.06.2010

Bettina Kietzmann

„Alles hat man herausgefunden, nur nicht wie man lebt.“ Sartre KEIN THEMA? - zu einem Thema werden lassen! Wissen allein schützt nicht! Es geht um die allumfassende Bedeutung des Lebens an sich! Nicht das Aufzwängen oder Überstülpen einer Norm ist der Sinn dieses Beitrages, sondern die Möglichkeit Nachzudenken, zu Hinterfragen und zu reflektieren. Jedes Aufzwängen korreliert mit dem natürlichen Widerstand! Ich möchte dazu ermutigen, dass ,egal welche Generation, Menschen beginnen nachzudenken und ihre übernommenen Normen prüfen. Nein- man ist dann nicht ver-rückt! Im Gegenteildie innere Verschiebung hebt sich nach und nach auf und ich garantiere, dass dieser Prozess spannend ist! Über die Krankheit AIDS und deren Erreger HIV kann sich jeder informieren. Es steht frei, inwieweit man sich damit beschäftigt oder nicht. Tatsache: es kann jeden- JEDEN- von uns treffen. Aidsberatung? Wer mag wohl „da hin“ gehen? Drogenabhängige, Prostituierte, Homosexuelle? Die Realität beweist das Gegenteil! Zwischen 15 und 75 Jahren nehmen Menschen jeder Gesellschafts- und Bildungsschicht die Beratung in Anspruch. Dies ist nicht nur Zeichen für die Verantwortung sich selbst betreffend, sondern auch für andere Menschen (zum Beispiel den/die PartnerIn). Damit komme ich gleich zu einigen ausgewählten Vorurteilen: „Mich (be)trifft es nicht.“ „Ich bin doch nicht schwul.“ „AIDS? Das würde ich merken.“ „Wenn ich erfahre, dass jemand, den ich kenne, AIDS hat, dann mache ich einen großen Bogen, denn ich könnte mich anstecken.“ „Ich stecke mich doch schon an, wenn ich denjenigen berühre oder in seiner Nähe bin! Damit will ich nichts zu tun haben.“ „Oh mein Gott, DIE Frau ist schwanger? Das Kind hat doch gar keine Chance!“ „Mit der Botschaft HIV positiv kann man doch gleich seine Zukunft vergessen.“

17.06.2010

Bettina Kietzmann

Wen betrifft es denn nun genau? Es sichern sich zum Beispiel ab: -

„frische“ Paare

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Partner, die mit Seitensprüngen konfrontiert sind

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Menschen denen ein „Unfall“ passierte

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Menschen, die in einem Auslandaufenthalt Kontakt hatten

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Menschen, die unverbindliche „One-Night-Stands“ favorisieren und

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Interessierte, die sich informieren möchten etc.

Jeder erdenklich mögliche Mensch erscheint zur Beratung. Sowohl heterosexuelle als auch homosexuelle Menschen. Wer auch immer zur Beratung kommt, hat sich Gedanken gemacht…

Arrangieren ist nicht gleich Akzeptieren und dies ist nicht gleich Hinnehmen! Wie infiziert man sich und wie bemerke ich, ob ich infiziert bin? Zuerst: Ein Mensch, der positiv ist, ist keine wandelnde Bombe!! Die Ansteckung erfolgt ausschließlich über die Schleimhäute des jeweiligen Partners durch Blut und virenlastige Sekrete, also Sperma, Scheidensekrete, Analsekrete und Muttermilch! Urin, Speichel, Tränen und Schweiß sind keine Gefahr. HIV ist ein Virus- wie die Grippe, wie Herpes- nur um vielfaches aggressiver. Das Immunsystem kommt nicht hinterher mit der Antikörperproduktion. Im Test werden nicht die HI- Viren nachgewiesen, sondern die Menge der HIV-Antikörper. Ehe die Erkrankung AIDS ausbricht, muss man HIV POSITIV sein! HIV+ heißt nicht gleich AIDS, aber AIDS geht mit dem Erreger HIV einher. Kein HIV infizierter Mensch ist unfähig zu leben. Durch Medikamente kann die Anzahl der Erreger um ein vielfaches verringert werden. Es muss NICHT automatisch zum Ausbruch der Krankheit AIDS kommen. Die Zeit zwischen der HIV-Infizierung und dem Ausbruch des Syndroms AIDS nennt man Inkubationszeit. Nach einer Infizierung gehen die Helferzellen im Blut zurück und die Virenlast steigt an. Ein einfaches Beispiel verdeutlicht diesen Mechanismus: Vor mir steht ein Eimer voller Wasser. Ich gebe einen Tropfen Essig hinzu und je mehr Tropfen Essig ich dazugebe, desto drastischer steigt der Essiganteil im Wasser an. Das Immunsystem gerät außer Balance und Tumorzellen bekommen einen „Freifahrtsschein“.

Medikamente erreichen, dass der Anteil an Helferzellen steigt und die Virenlast sinkt. Erst nach einem diagnostischen Fenster von 3 Monaten haben sich die Antikörper nachweislich gebildet und erst dann kann ein aussagekräftiger Test erfolgen.

17.06.2010

Bettina Kietzmann

Eine Infizierung ist im Anfangsstadium nicht sofort spürbar. Es gibt noch kein Medikament, welches den Erreger HIV auslöscht. Er verändert sich sehr oft. „Wenn man es hat, kann man sich informieren wie man will aber ändern tut es an der Tatsache nichts!“ Der Tag des Befundes hat eine sehr individuelle Bedeutung für jeden einzelnen. Betroffene empfinden die Mitteilung einer Positivität als Schock. Eng damit verbunden sind die Gefühle Angst und Schuld.

Und wie sieht es mit dem baldigen Baby einer schwangeren positiven Frau aus? Eine infizierte schwangere Frau kann in über 99% ein nicht infiziertes, 100% gesundes Kind auf die Welt bringen! Es wird ein spezieller Kaiserschnitt durchgeführt, bei dem das Baby samt Fruchtblase aus dem Bauch geholt wird. Wie gehe ich mit jemanden um, der HIV positiv ist und wie stehe ich zur Homosexualität? Wie gehe ich mit meiner Infizierung um? Ich denke diese moralischen Fragen sind die schwierigsten für den Betreffenden und alle Beteiligten. Wieder steht es jedem einzelnen frei, ob er sich mit diesen Fragestellungen auseinandersetzt oder nicht.

Warum Aidsberatung und nicht ein Arzt als erste Anlaufstelle? Ein weiterer Appell an die Selbstbestimmung. Hier nur 3 wesentliche Unterschiede: Arzt: nicht anonym, Kosten zwischen 15 und 50 Euro und keine zentrierte Beratung. Beratungsstelle: absolute Anonymität, kostenfreier Test und Begleitung/Halt durch die Beratung! Erfahrungsberichte: Zu empfehlen sind die Filme „Fickende Fische“ und „Abgeschreckt hat es mich nicht.“ Beide sind sehr nah am Thema, beleuchten die Hintergründe und greifen moralische Fragen auf. Eine interessante Filmliste ist auf der internetplattform www.gib-aids-keine-chance.de zu finden. „Abgeschreckt hat es mich nicht.“ [Alle Zitate sind aus dem Interview mit Betreffenden im Film.] Es geht um leider noch aktive Tabu-Themen, wie Sexualität, insbesondere Homosexualität. “Von Akzeptanz kann einfach nicht die Rede sein.” Dies schürt die Geheimhaltung? Offenbart sich ein Betreffender wird die innere Abwehr des Gegenübers meist nicht offensiv gezeigt- aber viele „denken sich ihren Teil“.

17.06.2010

Bettina Kietzmann

Scheinbare Akzeptanz, deren unechter Charakter sich spätestens im Rückzug offenbart. Dies hat für Betreffende Ausgrenzung zur folge bis hin zur absoluten Isolation. Infiziert! Nie wieder Sex? Safer Sex! Das ist die Antwort. Basis dafür ist es miteinander zu reden. Ängste, Trauer und Befürchtungen auszutauschen und bei Bedarf die Beratungen in Anspruch zu nehmen. In diesem Kontext möchte ich die Sexualpädagogen erwähnen, welche neben vielen anderen Aufgaben immer auch für Menschen mit Risikomomenten, dem Virus selbst und deren Angehörige da sind. “Die Schwulenszene ist aufgesetzt!” Wie er meint, geht es um das „Gesehen werden“ im Sinne von sich produzieren, statt hinzusehen! Das Stigma, selbst innerhalb der sogenannten Schwulen- Szene, ist nicht nur dort gesellschaftlich verankert. Einige Menschen mit viel Geld profilieren sich ebenfalls gerne. Oder Menschen mit einem bestimmten Fachwissen auf einem Gebiet oder oder oder… Jeder möchte in seinem „(Anders)Sein“ wahrgenommen werden und vertritt die eigene Denke- meiner Meinung nach liegt ein inneres Defizit vor, wenn die Handlungen derartig überhand nehmen und benötigt werden, um sein Selbst zu schützen. Jedes Übermaß ist ein Zeichen an Unausgeglichenheit und fehlender innerer Balance. Nur durch extrem extrovertiertes Agieren wird dieses Ungleichgewicht ausgeglichen. Lösung: Sich auf die Reise begeben zu sich selbst, zur Akzeptanz und zum Bewusstsein um sich. [Dieser Weg kann allerdings nicht erlernt werden, auch nicht auswendig gepaukt werden; er geschieht im Prozess und wird einem „zuteil“.] Wie mag es wohl sein zwischen Mann/Mann, Frau/Frau? Neben körperlichem Austausch geht es hauptsächlich um Beziehungsebenen und diese sind nicht anders als zwischen Mann und Frau! Überall gibt es Menschen, die lieben und Menschen, die schaden wollen. Hierbei geht es um das große-kleine Wörtchen Liebe! „Ich bin mit ihm/ihr zusammen und nicht mit HIV!“ Meines Erachtens nach ist dieser Satz mit anderen Erkrankungen zu vergleichen. Basis ist das schon erwähnte unbeschreibliche Gefühl der Liebe. Es geht um den Mensch an sich, um seiner selbst Willen und nicht um etwas Sachliches. Ob ich jemanden liebe, der plötzlich einen Unfall hat und im Rollstuhl sitzen muss, ob ich jemanden liebe, der plötzlich an Krebs erkrankt oder jemanden, der in einer seelischen Krise steckt- ich liebe den Menschen und nicht die Erkrankung. Diese prägt den Menschen ohne Zweifel, dennoch IST er! Thema: Verallgemeinerung! Auch Generalisieren! Ich persönlich halte nichts von allgemeinen Aussagen. Jeder Mensch ist individuell und jede Seele ist anders. Die Sehnsucht nach Geborgenheit, Zugehörigkeit und Achtung könnte man als eine Art Bindungsmittel verstehen!

17.06.2010

Bettina Kietzmann

Dazugehören !! Im Beitrag wurde ein Film genannt: „Die zauberhaft verzickten Schwestern“ (Jörg Hojenski). Es geht sehr grob umrissen um Vorurteile/Klischees bzgl. der „Homo-Szene“, provokativ und geballt dargestellt. Immer präsent, in allen Themen des Menschseins, sind meines Erachtens MORALFRAGEN!! Seien es Themen, die Schwangerschaft, Sex, Arbeit, Schule, Krankheit (sowohl physisch als psychisch) oder aber ganz alltägliche Entscheidungen beinhalten. Ein neues und sehr bedürftiges Thema ist nicht nur Safer Sex -sondern Safer Internet! Beides hängt in der Metaebene unmittelbar zusammen: „Es passiert immer jemandem anderen, nie einem selbst.“ „Bescheid wissen, aber nie drüber reden.“ [Hier verweise ich auf den Artikel der Hochbegabung, bei dem es ebenso um soziale Wert-Probleme in den Weiten der Metaebene geht.] Das Wissen um Safer Sex darf nicht vorausgesetzt werden. Auch die heutige Jugend muss sich entwickeln und ich denke, dass viel zu viel an Wissen vorausgesetzt wird!!! Woher soll es kommen? Die natürlichen Entwicklungsmechanismen sind nicht verändert oder gar automatisch in unsere heutige Jugend eingepflanzt. Aufklärung und Prävention sind mehr als je „Not- wendig“!!! „Man will die Antwort nicht haben.“ Ehe Betroffene verstehen, was es heißt HIV positiv zu sein und dass AIDS ausbrechen kann, wird ein langer Prozess in Gang gesetzt… In der Beratung wird individuell und bei Verdacht die Frage bearbeitet: „Was wäre wenn…“

Aber was ist denn nun wenn ich HIV positiv bin? Medizinisch ist es mittlerweile sehr fortschrittlich. Die Helferzellen (CD4) können vermehrt werden und das Viruskonzentrat kann sinken. Heute kann ein Infizierter „gut“ damit leben, ohne Ausbruch der AIDS-Erkrankung. ABER: die wohl ergreifendste und schlimmste Folge ist die, der sozial gesellschaftlichen Ausgrenzung und Stigmatisierung! Hier erwähne ich einige Punkte: Angst!, Arbeit, Ablehnung, Isolation, Freunde, Familie, Zukunft!

17.06.2010

Bettina Kietzmann

„Geht es überhaupt irgendwie weiter?“ In diesem Zitat werden die Grundängste jedes Menschen angesprochen! Das eigene Leben und die Existenz sind bedroht… Wie geht es weiter? -

Wie bisher?

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Intensiver ? das Leben schätzender? Welchen Wert hat das eigene Leben?

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Isolation, Vereinsamung- nie wieder Sex?

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Suizid?

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Sekundärgewinn der Infizierung (unbewusst)?

Durch die Konfrontation mit dem Tod werden die Existenzfragen bzgl. der Sozialisation und Institutionalisierung zweitrangig. Der Betreffende kommt bei sich selbst an und wird mit den Konsequenzen seines Verhaltens konfrontiert! Seines Verhaltens? Und sofort kommen ich zur Schuldfrage…ein mehr als weites Feld und meinetwegen unendlich debattierbar! Für mich persönlich gibt es das Wort „Schuld“ nicht! Leben sieht man „nicht [mehr nur] als Schönmalerei“ ! Leider kommt „mensch“ erst an diesen Punkt, wenn die schon erwähnte Not das Leben bedroht. Ich denke, dass es sehr wichtig ist präventiv zu arbeiten und das Bewusstsein empfänglicher zu machen, dennoch ist die individuelle Entwicklung im „Weg“, denn die Erfahrungen sind es, die uns zu dem machen, wer wir sind. An einem gewissen Punkt ist „mensch“ soweit, zu verstehen, sich selbst mehr zu schätzen und sich innerlich selbstbestimmt zu bilden. Jeder Mensch reagiert gravierend auf IsolationIsolation wäre das Ende, denn man legt sich selbst beiseite… ‚ Zukunft haben‘ ist die Lösung! Und wieder muss ich sagen, dass dies ein innerer Prozess ist und Auseinandersetzung mit sich selbst erfordert! Noch einmal möchte ich darauf hinweisen, dass die inneren, im seelischen Prozess, auftretenden Folgen einer HIV-Infizierung nicht gravierend anders sind als mit anderen – physisch oder psychischen- Erkrankung, wie z.B. Krebs, Sucht. Lediglich die Symptome bzw. das Syndrom sind verschieden.

Zum Schluss möchte ich erwähnen, dass mein Artikelthema primär von dem Philosophen Sartre stammt, ich dieses Zitat allerdings aus dem Film „Fickende Fische“ entnahm. Diesen Film kann ich sehr empfehlen. Es geht um einen HIV-positiven Jungen, der beginnt ein Mädchen zu lieben und sich unter anderem die Frage stellt: „Tot oder nur bewusstlos?“ Wäre es für viele von uns nicht manchmal einfach schön, die Nase zuzuhalten und abzutauchen?

„AIDS ist ein Thema, was man nicht stigmatisieren darf!“