„Alles Bindung, oder was?“ Bindungsorientierung in der Klinischtherapeutischen Sozialen Arbeit

Alexander Trost

Ist Bindung Alles, und ohne Bindung Alles Nichts? • Menschenkinder galten lange als Zwischenwesen (Himmel / Erde) • Neugeborenentötungen waren „normal“ • 1780 wuchsen 95% der (bürgerlichen) Kinder in Paris bei Ammen auf… • Säugling / Kind als Beziehungswesen frühestens seit Rousseau • Bindungsforschung seit ~50 Jahren, exponentiell zunehmend Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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Bindungsorientierung: Gliederung 1. 2. 3. 4. 5.

Was ist mit Bindung gemeint? Was erklärt die Bindungstheorie? Wohin orientiert sie? Wozu hilft sie? Wohin soll das alles noch führen?

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1. Was ist mit Bindung gemeint? • …evolutionäres Überlebensprinzip seit es Säugetiere gibt • Ursprüngliche Forschungsrichtung: Die frühe MutterKind-Bindung (Bowlby, Ainsworth, …) • Erweiterung auf Bindungsstile im Lebensverlauf (Main, Grossmann, …)

• Modellhafte Übertragung auf die asymmetrische Arbeitsbeziehung zwischen TherapeutIn (ErzieherIn, SozialarbeiterIn, Lehrperson, …) in einem längerfristigen und relevanten Kontakt Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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Gemeinschaft vs. Individualität • Untersuchungen: Kamerun vs. Deutschland • Spiegel-Test 6 Monate früher erfolgreich in D als in Kamerun • spätere direkte Interaktion und späteres soziales Lächeln in K. • Baby im 1. LJ immer „auf einem Arm“, nachts am Körper der Mutter in K. • Kinder am Ende des erstes Lj. fröhlicher und besser reguliert • „Gemeinschaft- vs. Unabhängigkeitsorientierte Mütter“ (H. Keller) Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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Damit Menschen… • • • •

gut mit sich und Anderen in Kontakt sein.. Impulse, Affekte und Stress regulieren… lern- und arbeitsfähig sein ... Beziehungs- und kooperationsfähig sein… …können,

…braucht es Voraussetzungen, die am besten bindungstheoretisch / neurobiologisch beschrieben werden. Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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2. Was erklärt die Bindungstheorie? • Die interaktionellen Aspekte der frühen Gehirnentwicklung und die Entwicklung höherer Hirnleistungen • Die Entwicklung der frühen Interaktion • Den Aufbau einer Bindungsbeziehung • Die lebenslange Bedeutung von Bindungserfahrungen: – für die eigene Lebensbewältigung – für bedeutsame Interaktionen: SA‘ & KlientIn, z.B. Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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Funktionsprinzipien des Gehirns • Entwicklungsfenster – Sprache – stereoskopisches Sehen – Bindungsbeziehungen • Plastizität – Von „Trampelpfaden zu Autobahnen“ • Phylogenetische Hierarchie – „alte“ Hirnteile: Reflexhafte Automatismen vs. – Neocortex: willentliche Kontrolle & Integration Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 102015

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Funktionsprinzipien des Gehirns • Phylogenetische Hierarchie: Explizite Fähigkeiten des Neocortex, also des jüngsten Teils der Großhirnrinde, werden am stärksten durch interaktive Prozesse („nutzungsabhängig“) mit der Außenwelt modifiziert. Dies ist besonders im Hinblick auf die Aufgaben des Frontalhirns von Bedeutung: Aufmerksamkeit Motivation Entscheidungsfähigkeit Kontrollüberzeugungen Selbstwirksamkeit. Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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Psychoneuronale Grundsysteme Differenzierte Gefühle & komplexes Verhalten entstehen durch enge Wechselwirkung der neurochemischen (Transmitter-) Systeme. Daraus bilden sich 6 psychoneuronale Grundsysteme:

• • • • • •

Stressverarbeitung Selbstberuhigung Bewertung und Belohnung bzw. Belohnungserwartung Impulshemmung Bindung Realitätssinn Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

10 (vgl. Roth / Strüber 2014: 374)

Resonanz Wir leben – von Anfang an – von Resonanz, Anerkennung und emotionaler Spiegelung. Dies wird in einer responsiven frühen Eltern-Kind Interaktion verwirklicht, und ist die Grundlage einer sicheren Bindung. Martin Buber: „Der Mensch wird am Du zum Ich“

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Resonanz als evolutionäres Prinzip: Von Spiegelphänomenen zu Spiegelneuronen

Bei Hirnuntersuchungen mit Schweinsaffen (Makakken) stellten die Forscher Vittorio Gallese und Giacomo Rizzolatti (Parma) fest, dass einige Nervenzellen im Stirnhirn nicht nur dann in Erregung gerieten, wenn sie eine bestimmte eigene Tätigkeit ausführten, Die gleichen Nervenzellen feuerten ihre Signale auch, wenn die Affen den Versuchsleiter bei der Ausführung der gleichen Tätigkeiten beobachteten. Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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Affektive Kommunikation

„Die Resonanz der rechten Hemisphären von Mutter und Kind in der regulatorischen Interaktion ist der wesentliche „promotor“ für eine normale Entwicklung“ Allan Schore, 2011

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Aaron-Segen (Num 6, 24-26) „Der Herr segne und behüte Dich. Der Herr lasse sein Angesicht über dich leuchten und sei dir gnädig. Der Herr wende sein Angesicht dir zu und schenke dir Heil“ In der alttestamentlichen Sprache: das Gesicht der Mutter, das dem Säugling die Welt be-deutet, …und das des Vaters, der sich dem Kind kraft- und lebensspendend zuwendet. Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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Containment • Die Mutter akzeptiert die Gefühle ihres Kindes, nimmt sie in sich auf, verarbeitet sie (Vorkauen) und gibt sie dem Kind in verständlicher Form zurück (Bion, W.R) • Ziel dieses Prozesses ist es, das Kind in der Verarbeitung ängstigender Affekte / Erlebnisse so zu unterstützen, dass es in explorativem Kontakt mit der Umwelt bleiben kann. Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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Das „Good-Enough“ Prinzip …Ziel der (M-K) Beziehung ist nicht perfekte Übereinstimmung (perfect agreement) sondern, dass es im Gegenteil zwischen dem Baby und seiner primären Bezugsperson auch immer wieder Momente von Dissonanzen und Unverständnis gibt. Wieso? … Episoden von „Wiedergutmachung“ (interactive repair) kennzeichnen eine gelungene M-K-Beziehung! (Allan Schore) Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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Selbstregulation • …eine lebenslange Aufgabe, die (spätestens) mit der Geburt beginnt. • Anfänglich benötigt das Kind feinfühlige CoRegulation. • Im Laufe der Entwicklung lernt das Kind, sich immer mehr, häufiger und besser selbst zu regulieren, und gewinnt so mehr Autonomie und Selbstwirksamkeit. Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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SÄUGLING „Gute“ selbstregulatorische Fähigkeiten

Zufriedene Dyade Entwicklungsförderung

MUTTER

„hinreichend gute Mutter“ (Winnicott)

Positive Gegenseitigkeit Vorsprachliche Kommunikation

Mutter-Kind-Beziehung

Negative Gegenseitigkeit

„Schwieriger“ Säugling

Vernachlässigung Misshandlung  Schwieriges Temperament  Regulationsprobleme: - Nahrungsaufnahme - SchlafWachrhythmus - Aufmerksamkeit - Schreien  somatische, neurologische und seelische Störungen

psychosozial hochbelastete Mutter

 Sozio-ökonomische Faktoren  Körperliche / psychische Störungen  Partnerkonflikte  Beziehungskonflikte zum Kind, Rollenumkehr  „Gespenster im Kinderzimmer“  Unangemessene entwicklungspsychologische Vorstellungen

 Gewalt tolerierender und rigider Erziehungsstil Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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Bindungstheorie • Während seines ersten Lebensjahres entwickelt der Säugling eine spezifische Bindung zu einer primären Bindungsfigur. • Das Bindungssystem ermöglicht das Überleben. • Die Bindungsfigur ist die “sichere Basis” für das Kind (sicherer Hafen) • Das Bindungssystem wird bei Angst und Trennung aktiviert. Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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Bindungstheorie • Das Bindungssystem wird durch die physische Nähe der Bindungsfigur beruhigt. • Das Bindungssystem verhält sich reziprok zum Explorationssystem • Sobald das Bindungssystem beruhigt ist, kann sich das Kind der Exploration zuwenden

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BINDUNG Voraussetzungen für die Entwicklung sicherer Bindung: - Responsive und feinfühlige Eltern-KindInteraktion - Containment - Holding Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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Wenn eine Mutter (primäre Bezugsperson) im ersten Jahr…. …sowohl positive als auch negative Äußerungen des Kindes vorwiegend feinfühlig beantwortet hat • weinen die Säuglinge schon mit 10 Monaten weniger und äußern sich differenzierter, • willigen die Krabbler häufiger in die Ziele der Mutter ein, sind kooperativer und seltener trotzig, • zeigen die Kleinkinder offener ihre Gefühle,… lassen sich gut beruhigen, und • können … ihre Wünsche nach Nähe und Trost oder Hilfe, aber auch nach ungestörtem Erkunden selbständig regulieren und entsprechend handeln. (Grossmann & Grossmann, 2004, Sroufe et al., 2005) Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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Auswirkungen von Bindungsstilen Bei Kindern, Jugendl. & Erwachs.:

Sozio - emotionale Kompetenz

sicher gebunden

- wenig aggressiv - mehr soziale Kompetenz im Umgang mit anderen Kindern

unsicher gebunden

- öfter feindselig, wütend - Isolation, Anhänglichkeit

Selbst- und Persönlichkeitsentwicklung

- beziehungsorientiert - eher angemessenes Selbstbild - höhere Ich-Flexibilität - bessere Emotionsregulierung - bessere Verhaltensregulierung

- auf sich selbst fixiert - idealisiertes oder negatives Selbstbild - weniger Ich-Flexibilität - schlechtere Emotionsregulierung - schlechtere Verhaltensregulierung

Kognitiver Bereich

- planvolleres Handeln - höhere Effektivität

- planloseres Handeln - niedrigere Effektivität 23

Organisierte Bindungsstrategien 25-30%

~ 50%

15-20%

Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015 24 (Gloger-Tippelt/König 2009)

Mentalisierung • „To have the mind in Mind“ (P. Fonagy) = Die Psyche einer anderen Person wird unabhängig und getrennt von der eigenen Psyche wahrgenommen. • Mentalisierung : …Bildung eines symbolvermittelten sekundären Repräsentationssystems der Affekte, des Selbst und der Objekte. Dies gelingt durch die kontingente Spiegelung der Affekte des Kindes durch die Primärobjekte…. (Potthoff P, in Hirsch M (Hg) 2008: Die Gruppe als Container. Göttingen) • Diese Fähigkeit wird in einem in reziproken Prozess zwischen der Mutter und dem Kind entwickelt, wobei die Mutter dem Kind hilft, sein Verhalten – und das von anderen - in Verbindung mit der Benennung von Gefühlen, Wünschen, Erwartungen und Überzeugungen zu verstehen. • Mentalisierung gelingt in sicheren Bindungen besser als in unsicheren: hohe Feinfühligkeit und „Mind-Mindedness“ der Mutter promoted Mentalisierung Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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Mentalisierung • Affektspiegelung • Markierung – Eltern reagieren im Gefühlsausdruck nicht ganz gleich wie das Baby, sondern ähnlich und erkennbar übertrieben

• Autobiografisches Selbst (ab ca. 6. LJ.): – Erinnerungen an eigene intentionale Aktivitäten kausal, temporal und kohärent organisiert Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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3. Wohin orientiert uns die Bindungstheorie? ….auf die frühe Eltern-Kind-Beziehung … auf die Bindungserfahrungen unserer KlientInnen …und auf unsere eigenen Bindungsstile

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„Ob ein Kind zu einem warmherzigen, offenen und vertrauensvollen Menschen mit Sinn für das Gemeinwohl heranwächst oder aber zu einem gefühlskalten, destruktiven, egoistischen Menschen, das entscheiden die, denen das Kind in dieser Welt anvertraut ist, je nachdem, ob sie ihm zeigen, was Liebe ist, oder aber dies nicht tun“ („Niemals Gewalt“: Astrid Lindgren anlässlich der Verleihung des Friedenpreises des Börsenverein des Deutschen Buchhandels 1978). Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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Das innere Arbeitsmodell – „inner working model“ (Bowlby)  Kinder bilden während der sozio – emotionalen Entwicklung ihrer frühen Kindheit eine interne Repräsentation von sich und ihrem Bezugsobjekt.  Dieses verinnerlichte frühe Beziehungsmuster hat eine beständige Wirkung auf die weitere Entwicklung und wird in ähnlichen Beziehungssituationen während des ganzen Lebens reaktiviert.  Die wichtigste Aufgabe dieses Arbeitsmodells ist es, Ereignisse der realen Welt gedanklich vorwegzunehmen, um in der Lage zu sein, das eigene Verhalten besser zu planen und die Situation kontrollieren zu können  Bei sicher gebundenen Kindern, funktioniert dieses Arbeitsmodell als sichere Basis, von der aus sie ihre Umwelt erkunden und begreifen zu können. In Zeiten von emotionalem Stress fungiert es als eine Art sicherer Hafen. Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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Wenn Viele keine Angst haben… …wird die Gesellschaft rationaler auf die aktuellen Herausforderungen reagieren können: Flüchtlinge, Fremdenangst, Klimawandel, … Optimierungswahn, Projekt-Ichs, ….

TZI, Bindungstheorie und Schule -- Arnsberg, 24.09.2015 -Alexander Trost

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Trauma, chronische Belastung & Bindung „Wenn die Sehnsucht nach Liebe und Zuneigung verschlossen ist, bleibt sie unzugänglich. Dann richtet sich Ärger auf die falschen Ziele, Angst tritt in unangemessenen Situationen auf, und Feindseligkeit wird von falscher Seite erwartet“ (John Bowlby, 1988)

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Neue Erkenntnis:

Ursachen aller psychischen Störungen sind… • Genetisch-epigenetische Aspekte (10-20% der Varianz) • Traumatisierung der Mutter vor und in der Schwangerschaft • Traumaerfahrungen des Kindes in den ersten 2-3 Lebensjahren. (Roth, G., Stüber, N.: Wie das Gehirn die Seele macht, Stuttgart, 2014) Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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Entwicklung des Gehirns unter TraumaBedingungen • Veränderungen des Gehirns der Mutter aufgrund traumatisierender Erfahrungen: Misshandlung, Vergewaltigung, Verlust des Partners, Krieg, schwere Unfälle wirken auf das unreife Gehirn des Embryos / Fötus  Fehlentwicklungen im Stressverarbeitungs- und Selbstberuhigungssystem des Kindes

• Beeinträchtigung dieser Systeme (Bindungssystem!) bei Kleinstkindern durch: - Misshandlung, Missbrauch, Vernachlässigung und Tod der Eltern, längere Trennung von den Eltern, psychische Störungen der primären Bezugsperson

• Frühe massive Störungen des Stressverarbeitungssystems (Cortisol) und des Selbstberuhigungssystems (Serotonin) führen zu Fehlregulation des Cortisol-Haushalts  Langfristige Folgen: Negative Beeinflussung der Ausbildung der anderen psychoneuronalen Systeme (vgl. Roth / Strüber 2014: 375) Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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Die erworbene Dysbalance… • des Stressverarbeitungssystems • des Selbstberuhigungssystems …blockiert Reifung der Motivationssysteme in den ersten Lebensabschnitten: - Impulshemmung 1.- 20. LJ. - Mentalisierung und Empathie 2.- 20. LJ. - Realitätssinn und Risikowahrnehmung 3.- 20. LJ. Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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The Adverse Childhood Experiences (ACE) Study: Was ist eine ACE ? → Erleben / Erleiden einer der folgenden Erfahrungen in der Familie vor dem 18. Lebensjahr: •

Wiederholte körperliche Misshandlung



Wiederholte emotionale Misshandlung



Sexueller Missbrauch



Ein Alkoholiker /Drogenuser im Haushalt



Ein Haushaltsmitglied im Gefängnis



Jemand der chronisch depressiv, psychisch krank, suizidal oder in der Psychiatrie ist



Eine Mutter, die Gewalt erleidet



Ein oder kein Elternteil



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Emotionale oder physische Vernachlässigung

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Frühkindliche Phase besonders sensibel • Negative Einflüsse können später nur noch im geringem Umfang kompensiert werden können (rumänische Waisenkinder) • Starke Beeinflussbarkeit der Organisation neuronaler Verschaltungen durch frühe Erfahrungen • Schnelle / nachhaltige Veränderungen sind später nicht möglich (graduelle Verstärkung und Abschwächung) • Aber: positive korrigierende Einflüsse sind in dieser Phasen besonders wirksam  positive Bindungserfahrung führt zur starken Ausschüttung von Oxytocin („Bindungshormon“), das kann negative Effekte teilweise dämpfen (vgl. Roth / Strüber 2014: 375) (vgl. Roth / Strüber 2014: 156)

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Desorganisation & Desorientierung: • Desorganisiertes Bindungsverhalten stellt im Gegensatz zu organisiertem Bindungsverhalten ein „Steckenbleiben“ zwischen zwei Verhaltenstendenzen dar, bei dem auf der einen Seite die Zuwendung zur Mutter und das Nähesuchen und auf der anderen Seite die Abwendung steht. Die gleichzeitige Aktivierung von beiden Systemen führt zu einem Zusammenbruch des organisierten Bindungsverhaltens. • Desorganisiertes Verhalten wird als Indikator für Stress und Angst angesehen, den das Kind nicht beenden kann weil die Bezugsperson gleichzeitig die Quelle von Furcht und der potentielle sichere Hafen ist („no where to go“ ). Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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Bindung und Trauma Desorganisierte Bindungsmuster: 15% in nichtklinische Stichproben 25-34% bei niedrigem sozialem Status 35% Kinder mit neurologischer Auffälligkeit 43% Kinder von drogenabhängigen Müttern 48-77% misshandelte Kinder >70% Jugendliche in Heimerziehung Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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4. Wozu hilft die Bindungsorientierung? • Beim Verstehen, bei der Behandlung und Begleitung der KlientInnen, zur Generierung „heilsamer Interventionen“

• Bei der Selbstreflexion der HelferInnen: zur Kontrolle der Gegenübertragung, und zur Stressreduktion • Beim Aufbau und der Erhaltung bindungssensitiver Institutionen

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Bindungsaufbau • Der Aufbau einer Bindung zu einer sekundären Bindungsperson ist möglich und kann eine neue (sekundäre) sichere Basis geben! • Aber: Zwiebelschalenmodell von Bindung

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Therapie und Behandlung von Bindungsstörungen • SA / Therapeut / Pädagoge als sichere Basis • ermöglicht, dass auf der affektiven Ebene eine Art „Neustart“ im Sinne einer „korrigierenden Erfahrung“ stattfinden kann • Besondere Beachtung gilt dabei bindungs- und trennungsrelevanten Situationen • Bezugspersonen in die Behandlung einbeziehen – Kind kann Behandlungsfortschritte nur umsetzen, wenn Bezugspersonen dies unterstützen Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015 Vgl.:Brisch. 2009. S. 131

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Behandlung von Bindungsstörungen • Bindungsorientierte Beratung und Therapie – Fokus primär auf der Herstellung eines entwicklungsförderlichen Umfelds – Aufarbeitung möglicher Entwicklungsdefizite

• Nachreifung durch die feinfühlige therapeutische Beziehung – Jede neue positive Erfahrung wird im Gehirn registriert, gespeichert und verändert neurobiologische Ebene der Bindungsrepräsentation

• Psychotherapie effektiv – 30 - 40% zeigen erhöhte Bindungssicherheit

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Psychotherapie generell (analog: KSA) 1.Phase: schnelle, nicht nachhaltige Besserung hängt vom Vertrauensverhältnis (Bindungssystem) und dem gemeinsamen Glauben an die Methode ab: Oxytocin/Serotonin- / Endorphin-vermittelt (also limbisch, nicht Großhirnrinde) 2. Phase: Langzeittherapie: Veränderung von Gewohnheiten (Üben!, auch subcortical, sensomotorischlimbisch (Basalganglien), vermehrte Neurogenese

N.B: Einsichtsappelle bringen rein gar nichts! TZI, Bindungstheorie und Schule -- Arnsberg, 24.09.2015 -Alexander Trost

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Förderung der Bindungsentwicklung… in der Jugendhilfe ...heisst • Langatmiges Beziehungsangebot („Wir kriegen keine Kinder mehr groß!“) • Kein Kind fällt raus! Affektive Kommunikation ist entscheidend, aber: • Allzu intensive (negative) Affekte vermeiden • Bindungsperspektive auch in der Zusammenarbeit mit den Jugendämtern, Gerichten, usw… • Bindungsperspektive auch in der Zusammenarbeit mit den Eltern: Alle Kinder sind loyal zu ihren Eltern(-teilen) Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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Förderung der Bindungsentwicklung… in der JH ...braucht institutionelle Voraussetzungen: • Gut ausgebildete MitarbeiterInnen, • Persönliche Stabilität • Professionalität und Liebe • Möglichst Ersatz-Eltern-Paare! • Rechtliche Sicherheiten

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Förderung der Bindungsentwicklung …in der Jugendhilfe ...braucht Unterstützungssysteme:

• Erholung /Kraftquellen: ausgeruhte MitarbeiterInnen ertragen schwierige PatientInnen besser! • Genug Personal, auch für die sehr schwierigen K & J, administrative Entlastung • Intensive, menschliche Begleitung durch Vorgesetzte / Bereichsleiter (am besten tp-systemisch geschult) • Supervision der Teams: – zur Klärung von heftigen Affekten, von Kooperations- und Machtfragen, – zur Verbesserung des dialogischen Miteinanders, – zur Entlastung in Krisen Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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Bindungsstile bei Professionellen Sozialer Arbeit

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Was wir brauchen: • fundiertes Bindungswissen in Theorie und Methodik • die Kompetenz und Bereitschaft, das eigene Bindungsverhalten zu kennen, und … • …den eigenen Bindungsstil für eine förderliche Beziehung zur KlientIn laufend zu reflektieren. Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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Bindungswissen ist in unserer Profession noch schwach ausgebildet

• Nur wenige Publikationen zum Bindungsaspekt der Arbeit (z.B. Schleiffer & Gahleitner, 2010, Trost 2014))

• Weder in Diagnostik noch in Alltagspraxis spielen bindungsorientierte Vorgehensweisen eine nennenswerte Rolle (vgl. Berg & Trost 2013) • Kaum Forschungen zur Bindungsqualität der HelferInnen: Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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Vergleich Professionelle und Studierende Ambivalentanklammernd 36%

Sicher 10%

Ambivalentverschlossen 24%

Bedingt sicher 20%

Sicher 13%

Ambivalent -anklamm. 17%

Vermeidendverschlossen 10%

Professionelle der Sozialen Arbeit (n=219)

Ambivalent -verschl. Vermeidend 9% -verschl. 15%

Bedingt sicher 46%

Studierende der Sozialen Arbeit (n=228)

Kreutz & Trost, 2014 Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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Interpretation der Ergebnissse • Deutliche Tendenz zu ambivalenten Bindungsmustern – Schwierigkeiten in der emotionalen Regulation • Stressregulation – Negatives Selbstbild – Ablehnungserwartung – Empfindliche Antennen für den inneren Zustand des Gegenübers Fremmer-Bombik, 2002 Seiffge-Krenke, 2010

Gomille, 2012

Köhler

Julius 2002

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Prävalenz der „Sekundären Traumatisierung“ bei Professionellen der Sozialen Arbeit Anna Heimes, Anna Heithausen, Milena Konrad (N=1124) (N=109)

29%

27% (N=89)

(N=108)

17%

16%

PT

K-J-Hi

SA

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K-J-Hi 53

Verteilung der Cluster

BFPE EFL Alexander Trost 4-14

5. Und: Wohin soll das noch führen? • In die Institutionen (s.o.) … und in die akademische Ausbildung! • In die Prävention! • In die Politik! Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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Akademische Ausbildung Tagungsband zur ersten Fachtagung zum Thema mit über 300 TeilnehmerInnen KatHO Aachen Januar 2013

Bindungsorientierung als bedeutsames Thema in Struktur und Lehrinhalten des Klinischtherapeutischen Masterstudiengangs: Container – Coaching – Ein beruhigtes Bindungssystem fördert exploratives Lernen! Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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Bindung, „Resilienz“ & Prävention • Vom Anfang des Lebens an sind Bindungsbeziehungen die bedeutsamsten und einflussreichsten Beziehungen im Leben eines Kindes. • Sie bereiten den Boden für die emotionalen und kognitiven Bewertungen von sozialen und dinglichen Erfahrungen, und für die Bedeutungsgebungen über sich selbst und Andere. => Sense of Coherence: SOC • Bindungsbeziehungen beeinflussen Gedanken, Gefühle, Motive und nahe Beziehungen ein Leben lang. (Grossmann, K & K, 2012) Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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Effekt von Früher Förderung: ökonomischer „Common Sense“

Heckman & Masterov, 2007 Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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Bedeutung verschiedener Lebensphasen für das Lebenseinkommen: frühe Kindheit: mittlere Kindheit: restliches Leben:

40.02% 30.83% 29.15%

…unsere Abschätzungen deuten darauf hin, dass die ertragreichste Politik zur Steigerung des Humankapitals und zur Reduktion von Ungleichheit eine effiziente Familienpolitik ist. Friedhelm Pfeiffer und Karsten Reuß: Ungleichheit und die differentiellen Erträge frühkindlicher Bildungsinvestitionen im Lebenszyklus

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Ökonomischer Common Sense • Nachhaltige Beziehungs-, Erziehungs- und Bildungspartnerschaften zwischen professionellen Akteuren und den Eltern rund um die Geburt sind ein Gebot der Vernunft. (Meier-Gräwe)

• Professionelle Frühförderung /Frühe Hilfen „zahlen sich aus“, bringen die größte „Rendite“, • kompensatorische Wirkungen in Kita, Schule, „dem Leben“ sind zweifelhaft… Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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Ich kooperiere, also bin ich …Mensch Um „gut“ kooperieren zu können, muss ich • Mensch sein… qua Evolution (Tomasello) • Mensch sein, der geliebt wurde und wird, der frei in Wahrnehmung und (Inter-) Aktion ist… cum grano salis! => ein utopisches Ziel auf dem Weg zum zukunftsfähigen Menschen

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Politik & Bindungswissen

http://kriegsursachen.blogspot.de/

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Bewegung für eine gutes Leben für Alle? Die Degrowth Konferenz Leipzig, 2014 „Grundsätzlich impliziert in Zeiten, in denen das offizielle Krisenrezept „Wachstum, Wachstum, Wachstum!“ lautet, bereits der Begriff De-Growth eine antagonistische Semantik: „Ziel ist eine Gesellschaft, in der Menschen mit Rücksicht auf ökologische Grenzen in offenen, vernetzten und regional verankerten Ökonomien leben. Ressourcen werden durch neue Formen demokratischer Institutionen gleicher verteilt“. Programmheft, S.2

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Mehr denn je erfordert die Situation der Welt von uns eine Absage an das „Immer mehr“, mithin die Fähigkeit zur „Hemmung“ als neuronales Funktionsprinzip. Dieses reift aber erst später als das Prinzip „Bahnung“ - auch als Folge von Beziehungs- und Bildungsprozessen. Bindungsorientierung in der KSA Alexander Trost 10-2015

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„Eines Tages, nachdem wir Herr der Winde, der Wellen, der Gezeiten und der Schwerkraft geworden sind, werden wir uns in Gottes Auftrag die Kräfte der Liebe nutzbar machen. Dann wird die Menschheit, zum zweiten Mal in der Weltgeschichte, das Feuer entdeckt haben“. Pierre Teilhard de Chardin (1881-1955), frz. Theologe, Paläontologe u. Philosoph

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