AL 06. Juli 2012

LANDKREIS GÖTTINGEN ▪ 37070 Göttingen Amt für Ordnung und Verkehr DIE LINKE. im Kreistag Göttingen Herrn Fraktionsvorsitzenden Dr. E. Fascher Kreish...
Author: Helge Egger
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LANDKREIS GÖTTINGEN ▪ 37070 Göttingen

Amt für Ordnung und Verkehr

DIE LINKE. im Kreistag Göttingen Herrn Fraktionsvorsitzenden Dr. E. Fascher Kreishaus Reinhäuser Landstraße 4 37083 Göttingen

Ansprechzeiten:

Mo. -Do. Fr.

08.00 - 16:30 Uhr 08.00 - 14:00 Uhr

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wie vor, Terminvereinbarung erbeten

Reinhäuser Landstraße 4

Auskunft erteilt: Telefon:

eMail: Fax:

Herr Braun (0551) 525 - 357

[email protected] (0551) 525 - 123

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Datum und Zeichen Ihres Schreibens

Mein Zeichen

Göttingen

03.07.2012

II/32/AL

06. Juli 2012

Katastrophenschutz; Ihre Anfrage vom 03.07.2012 zur Sitzung des Kreistages am 11.07.2012 Sehr geehrter Herr Dr. Fascher,

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eingangs Ihres Schreibens vom 03.07.2012 nehmen Sie Bezug auf die vom Bundesamt für Strahlenschutz herausgegebene Analyse der Vorkehrungen für den anlagenexternen Notfallschutz für deutsche Kernkraftwerke basierend auf den Erfahrungen aus dem Unfall von Fukushima. Die Studie ist mir bekannt und einige der darin angesprochenen Themen waren bereits Gesprächsgegenstand in einer in den vergangenen Tagen erfolgten Besprechung mit einer Vertreterin und einem Vertreter der Anti-Atom-Initiative Göttingen im Dezernat II. Das begonnene Gespräch wird auf Wunsch der Beteiligten im Herbst 2012 im Kreishaus fortgesetzt. Ihre Anfrage zur nächsten Kreistagssitzung beantworte ich mit meinen gegenüber anderen wie Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden für kerntechnische Anlagen sowie obersten Katastrophenschutzbehörden deutlich eingeschränkten Möglichkeiten und im Rahmen meiner Zuständigkeiten als untere Katastrophenschutzbehörde wie folgt: Hinweis: Der Beantwortung ist die jeweils gestellte Frage in kursiver Schrift vorangestellt. 1. Welche Katastrophenschutzmaßnahmen hat der Landkreis als Katastrophenschutzbehörde für den Fall eines schweren Reaktorunglücks im AKW Grohnde mit Freisetzung radioaktiver Stoffe vorbereitet?

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Der Landkreis Göttingen hat neben der Stadt Göttingen, die für ihr Gebiet selbst Katastrophenschutzbehörde ist, drohende Katastrophengefahren untersucht, die zur Katastrophenbekämpfung erforderlichen Vorbereitungsmaßnahmen getroffen und einen Katastrophenschutzplan aufgestellt. Ein Katastrophenschutzstab und eine Technische Einsatzleitung wurden durch die Kreisverwaltung eingerichtet. Alle Stabsmitglieder einschließlich der Ablösekräfte wurden regelmäßig für ihre Aufgaben geschult. Einen Sonderplan AKW-Reaktorunfall Grohnde hält der Landkreis Göttingen nicht vor. Die Vorhaltung eines solch speziellen Planes ist nur vom Landkreis Hameln-Pyrmont, in dessen Gebiet sich das AKW Grohnde befindet, und dessen unmittelbar an ihn angrenzenden Landkreisen bzw. von der Region Hannover gefordert. Mit Blick auf einen möglichen Reaktorunfall in Grohnde ist Bitte beachten Sie die unterschiedlichen Ansprech- und Besuchszeiten der Fachämter der Kreisverwaltung. Nutzen Sie unser Angebot der Terminabsprache. Für Termine steht dabei ein zeitlicher Rahmen von 06.30 Uhr bis 19.30 Uhr (Mo.-Fr.) zur Verfügung. Hausanschrift: Reinhäuser Landstraße 4 37083 Göttingen

 Auskunft (0551) 525 - 0 (Telefonzentrale) Mo. – Do. 07.00 – 17.30 Uhr Fr. 07.00 – 14.00 Uhr

Fax (0551) 525 – 588 eMail [email protected] Internet: www.Landkreis-Goettingen.de

Sparkasse Göttingen, Kto. 505 792 (BLZ 260 500 01) Kreis- u. Stadtsparkasse Münden, Kto. 6510 (BLZ 260 514 50) Sparkasse Duderstadt, Kto. 121 962 (BLZ 260512 60) Postbank Hannover, Kto.45 35-304 (BLZ 250 100 30)

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im Landkreis Göttingen nur ein eigens erstellter Maßnahmenplan für die Versorgung der Bevölkerung im Umkreis von 25 bis 100 km um das Kernkraftwerk Grohnde mit Kaliumjodidtabletten vorhanden. 2. Wie ist angesichts der sehr negativen Erfahrungen bei der Informationspolitik von Tschernobyl und Fukushima sichergestellt, dass die Katastrophenschutzbehörde vom AKW-Betreiber über die Gefahr eines Unfalls bzw. einen Unfall mit Freisetzung radioaktiver Stoffe schnell und umfassend informiert wird? Zu den Pflichten des Betreibers von AKW gehört bei Unfällen u.a. die unverzügliche Information des Bundesamtes für Strahlenschutz und der obersten Genehmigungs-, Aufsichts- und Sicherheitsbehörden im Land, namentlich des Nds. Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz sowie des Nds. Ministeriums für Inneres und Sport. Störfälle mit voraussichtlicher Auswirkung auf den Landkreis Göttingen würden verbunden mit Aussagen zu Gefährdungen dem Landrat vom Innenministerium über die Polizeidirektion Göttingen gemeldet. 3. Wie wird sichergestellt, dass die Bevölkerung sofort alle Informationen erhält und gewarnt wird? Ist diese Warnung auch nachts über Sirenen möglich? Die Alarmierung der Bevölkerung über Katastrophen- (auch nuklearer Art) bzw. Großschadenssituationen ist in Verbindung mit höheren Polizeidienststellen und dem Innenministerium über die Rundfunk- und Fernsehanstalten geregelt. Darüber hinaus bestehen diverse automatisierte, vom öffentlichen Fernsprechnetz unabhängige und damit sichere Alarmierungswege für die Einsatzkräfte im Katastrophenschutz. Die Gefahrenmeldungen für die Öffentlichkeit beinhalten dann auch erste Verhaltensempfehlungen für die Bevölkerung. Eine Alarmierung der Bevölkerung über Sirenen kann ergänzend erfolgen, hat aber wegen der über dieses Warnsystem nicht möglichen Wiedergabe von Informationen keine Priorität. 4. In was für einem Zeitrahmen ist die Evakuierung der Bevölkerung des Landkreises Göttingen möglich? Dazu kann ich keine Aussage treffen, weil keine Untersuchung vorliegt und dies hier auch nie praktisch geübt wurde, meines Wissens in ganz Deutschland ebenfalls nicht. Im Übrigen ist nach fachlicher Kenntnis über Katastrophenfälle nicht nuklearer Art in der Regel weniger die Lenkung einer geordneten Evakuierung das Problem, sondern die Lenkung sich verselbständigender Verkehrsströme auf überlasteten Straßen. 5. Was für Personal und Material ist für eine Evakuierung vorhanden? Personal für Evakuierungen steht bei der Polizei, den Behörden der Gefahrenabwehr und den in den Katastrophenschutz einbezogenen Einrichtungen und Organisationen zur Verfügung (z.B. Freiwillige Feuerwehren, DRK, ASB, JUH, Malteserhilfsdienst, Technisches Hilfswerk). Als Material für Evakuierungen kommen vornehmlich die privat gehaltenen Kraftfahrzeuge in Betracht, ergänzt um die Beförderungskapazitäten der Bahn, des öffentlichen Personennahverkehrs und der Busse der nach Personenbeförderungsgesetz konzessionierten Gewerbetreibenden. Überörtliche Hilfe ist zudem unverzichtbar. 6. Hat die Bevölkerung Informationen über eine mögliche Evakuierung, z.B. was mitgenommen werden sollte? Derartige Informationen werden der Bevölkerung über die Medien konkret erst im Evakuierungsfall gegeben. Der Landkreis Göttingen hat in Eigeninitiative vor wenigen Jahren einmal die Broschüre des Bundesverwaltungsamtes, Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und

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Zivilschutz, in einer Auflage von 8.000 Exemplaren über alle Schulen in seiner Trägerschaft an interessierte Schülerinnen und Schüler zur Mitnahme in deren Familien verteilt. 7. Wann wurde eine Katastrophenschutzübung zuletzt mit Katastrophenschutzstab, allen am Katastrophenschutz Mitwirkenden und der betroffenen Bevölkerung durchgeführt? Katastrophenschutzübungen mit dem vorhandenen Katastrophenschutzstab wurden im Landkreis Göttingen in den letzten Jahren regelmäßig durchgeführt, die letzte große sogar zusammen mit dem Katastrophenschutzstab der Stadt Göttingen am 23. und 24.02.2011 in der Heimvolkshochschule Mariaspring in Bovenden-Eddigehausen. Auch einzelne Fachdienste haben im Stab mitgewirkt. Eine sog. Vollübung unter Beteiligung aller Katastrophenschutzhelferinnen und –helfer sowie unter Einbeziehung der Bevölkerung hat bislang nicht stattgefunden. 8. In welchem zeitlichen Abstand sollen solche Übungen stattfinden? Ein zeitlicher Rahmen ist nicht vorgegeben. Im Nds. Katastrophenschutzgesetz ist lediglich festgelegt „Die Katastrophenschutzbehörde führt Katastrophenschutzübungen durch.“ (§ 11 Abs. 1 Satz 1). 9. Es fahren immer wieder Atomtransporte durch das Land. Nach Angaben der Niedersächsischen Landesregierung alleine fast 500 pro Jahr durch Niedersachsen, darunter auch hochradioaktive Castor-Transporte (Landtagsdrucksache 16/1829). Im Nachbarlandkreis Northeim kam es am 22. August 1988 im Ort Bodenfelde beinahe zu einer Katastrophe auf der Bahnstrecke vom AKW Würgassen (Kreis Höxter) nach Göttingen. Durch menschliches Fehlverhalten kam es um 14:14 Uhr zu einem Beinahezusammenstoß zwischen dem Abtransport mit hochradioaktivem Atommüll und einem mit Propangasflaschen beladenen Wagen. Propangas verbrennt bei 2000 Grad Celsius. Der Castor-Behälter für hochradioaktiven Atommüll muss aber nur 30 Minuten bei 800 Grad überstehen, obwohl viele Brände erst nach mehreren Stunden gelöscht werden können. Welche Möglichkeiten bestehen, wenn sich so ein Unfallszenario auf dem Gebiet des Landkreises ereignet? Auch bei einem Unfallszenario wie dem seinerzeit im Landkreis Northeim laufen die Hilfsmaßnahmen, ggf. nach notwendiger förmlicher Feststellung des Katastrophenfalles auch als Maßnahmen des Katastrophenschutzes an. Von den verantwortlichen Einsatz- bzw. Stabsleitungen wird eine bestmögliche Hilfe unter Hinzuziehung von speziell ausgebildeten Kräften und unter Nutzung der vorhandenen Technik z. B. aus den Kreisfeuerwehrbereitschaften erwartet und es gehört zum Selbstverständnis aller Verantwortlichen, das Beste zur Gefahrenabwehr und Schadensbekämpfung zu tun. Dennoch können unter Nutzung aller Vorbereitungsmaßnahmen Situationen eintreten, die nur schwer oder nicht beherrschbar sind. 10. Wie wird die Ernährung der Bevölkerung des Landkreises Göttingen bis zu einer Evakuierung mit nicht kontaminierten Nahrungsmitteln gewährleistet? Die Ernährung der Bevölkerung des Landkreises Göttingen bis zu einer Evakuierung mit nicht kontaminierten Lebensmitteln ist bundesweit nie als besondere Aufgabe einer Katastrophenschutzbehörde gesehen worden. Gegen Verstrahlung geschützte Lebensmittel etwa unter Tage gelagert sind im Landkreis Göttingen nicht vorhanden. 11. Können die Krankenhäuser im Landkreis Göttingen stark verstrahlte Patienten aufnehmen und behandeln? Nein.

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12. Wie viel medizinisches Personal gibt es im Landkreis Göttingen für Patienten mit akuten Verletzungen und Erkrankungen durch radioaktive Stoffe? Nicht bekannt. 13. Wie viele Dekontaminationseinheiten stehen dem Landkreis Göttingen zur Verfügung? Zunächst eine eigene, eingebunden in die ca. 80 Personen umfassende Kreisfeuerwehrbereitschaft III. 14. Wie viele Menschen könnten pro Stunde untersucht bzw. dekontaminiert werden? Nach Übungserfahrungen 20 kontaminierte Personen pro Stunde. 15. Gibt es persönliche Schutzausrüstung, z.B. Atemschutz gegen radioaktive Stäube für die Bevölkerung? Von den Katastrophenschutzbehörden in Deutschland wird eine persönliche Schutzausrüstung wie Atemschutz gegen radioaktive Stäube für die Kreiseinwohner nicht gefordert. Ein Teil der Einsatzkräfte im Katastrophenschutz des Landkreises Göttingen ist allerdings mit Schutzausrüstungen ausgestattet (Atemschutzgeräte, Chemieschutzanzüge, sonstige schützende Einsatzbekleidung). 16. Jodtabletten: Laut Mitteilung des Bundesumweltministeriums von 2004 sind 137 Mio. Jodtabetten à 65 mg Kaliumjodid beschafft worden. Für die Fernzone von 25 km bis 100 km werden die Jodtabletten in 7 Zentrallagern aufbewahrt. Laut einer Großen Anfrage im Schleswig-Holsteinischen Landtag (Ds 17/1843) lagern in Neumünster 5 Mio. Jodtabletten für Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen. Lagern die Jodtabletten für Göttingen in Neumünster oder an einem anderen Ort? Kaliumjodidtabletten sind vom Land Niedersachsen für Südniedersachsen zentral im Großraum Hannover eingelagert. 17. Ist der Landkreis der Meinung, dass Jodtabletten näher gelagert werden müssten, damit sie im Katastrophenfall schnell verteilt werden können? Dabei ist zu beachten, dass die effektivste Blockade der Schilddrüse nicht früher als 24 Stunden vor Auftreten und Aufnahme (Inkorporation) von radioaktivem Jod gegeben ist. 2 Stunden nach der Inkorporation radioaktiven Jods kann noch eine Dosisreduktion von rund 70 % erreicht werden, 8 Stunden nach der Inkorporation nur noch eine Dosisreduktion von 30 %. Dem Landkreis Göttingen ist das vom Land in eigener Zuständigkeit geordnete Lager- und Verteilungssystem für Südniedersachsen bekannt. Der schon erwähnte Maßnahmenplan der Kreisverwaltung für Kaliumjodidtabletten beinhaltet den Verteilungsplan für das Kreisgebiet. 18. Sollte sich eine Freisetzung radioaktiver Stoffe an einem Werktag ereignen, gibt es für Kindergärten, Schulen und Arbeitsstätten Verhaltensregeln? Nein. 19. Wie wird mit kontaminierten landwirtschaftlichen Produkten umgegangen? Es ist keine Regelung vorhanden.

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20. Werden die Atomkraftwerksbetreiber für die Kosten der weit reichenden Folgen mit herangezogen? Grundsätzlich ja. Atomrechtliche Genehmigungen beinhalten auch Haftungs- und Pflichtversicherungsregelungen für Schadensfälle. Einzelheiten sind mir nicht bekannt. 21. Plant der Landkreis eine Studie über die Auswirkungen eines schweren Unfalls am AKW Grohnde auf das Gebiet des Landkreises Göttingen selbst in Auftrag zu geben oder kann das Bundesamt für Strahlenschutz diese Aufgabe übernehmen? Selbst zurzeit nicht. Der Landkreis Göttingen wird aber beim zuständigen Ministerium anregen, eine entsprechende Studie unter Einbeziehung Südniedersachsens und damit auch des Kreisgebietes Göttingen zu erarbeiten oder durch fachlich kompetente Stellen erarbeiten zu lassen und diese dem Landkreis als Katastrophenschutzbehörde zur Verfügung zu stellen. 22. Wie wird die Zusage des Landrats umgesetzt, die Göttinger Anti-Atom-Initiative und deren Fachwissen bei der Erstellung eines atomaren Katastrophenschutzplanes einzubeziehen? Die Kreisverwaltung steht mit Vertretungen der Anti-Atom-Initiative Göttingen im Dialog. Eine direkte Mitarbeit am vorhandenen Katastrophenschutzplan scheidet allerdings schon wegen des Datenschutzes und der Einordnung des Planes als Verschlusssache „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ aus. Die Begründung für die Vertraulichkeit dieses behördeninternen Papiers liegt in der Fülle der personenbezogenen Daten, der eingestellten Objektlisten, den sicherheitsrelevanten Handlungsanweisungen und des Vorhandenseins von Daten zum Schutz kritischer Infrastruktur. 23. Setzt sich der Landkreis dafür ein, dass das AKW Grohnde mit seinen rissanfälligen Bauteilen wie Reaktordruckbehälter und Sicherheitsbehälter zur Verhinderung einer atomaren Katastrophe unverzüglich abgeschaltet wird? Der Landkreis Göttingen hat sich im Zuge der landesweiten öffentlichen Diskussion sehr schnell nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Kernkraftwerk Fukushima zum Atomausstieg eindeutig erklärt. In der vom Kreistag am 30.03.2011 gefassten Resolution heißt es wörtlich zitiert: „Aufgrund der unkalkulierbaren Risiken durch die Nutzung der Atomenergie fordert der Kreistag die Bundesregierung zu einem schnellstmöglichen Ausstieg aus der Atomenergie und der Stilllegung des AKW Grohnde auf“. Mit freundlichen Grüßen

Bernhard Reuter