Abschlussbericht zu meinem Praktikum in Alicante, Spanien
Nach Abschluss meines B.A. in Romanistik, wusste ich noch nicht recht, ob ich mich für einen beruflichen oder einen weiteren akademischen Werdegang entscheiden sollte, d.h. entweder ab in die freie Wirtschaft oder mein Lehramtsstudium zu Ende zu bringen. Schon lange war ich drauf und dran, das Studium hinzuwerfen und wollte mir auf irgendeine Weise eine Auszeit vom Büffeln und Lernen nehmen, um mich wieder auf mein Ziel besinnen zu können. Wo will ich hin und welchen Weg gehe ich, um das zu erreichen? Ich kam überhaupt erst auf die Idee ein Praktikum im Ausland zu absolvieren, als ich über den Romanistik-Email-Verteiler ein Stellenangebot in Spanien erhalten hatte. Das entsprach zwar nicht wirklich meinen Interessen, aber die Idee an sich hatte mich auf den Geschmack gebracht und ich begann im Internet zu suchen. Wieso nicht? Ich könnte damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, Auslandserfahrung sammeln und mein Spanisch verbessern, als auch eine Pause vom Studieren machen und herausfinden, was mir beruflich taugt. Ich stieß auf die Seite Student und Arbeitsmarkt der LMU und bewarb mich kurzerhand auf einige dort inserierte Stellen in Spanien. Zuerst bekam ich eine Zusage von der Universität Zaragoza für einen Job als Englischdozentin, jedoch war das nicht das, was mich mit den ursprünglich zu verbessern erhofften Spanischkenntnissen weiter gebracht hätte, noch dazu wäre sie unbezahlt gewesen und ich wollte mich noch weiter umsehen. Nach weiteren Stunden im www fand ich eine Webseite namens spain-internship.com, die sowohl kostenlos als auch mit Provision Praktika vermittelt. Ich meldete mich an, man schickte mir daraufhin ca. 15 verschiedene bezahlte und unbezahlte Stellen mit einer Kurzinfo und wir vereinbarten ein Skype Interview, in dem man mich über meinen Lebenslauf und zu den Erwartungen an ein Praktikum in englischer und spanischer Sprache befragte. Ich konnte mir dann ein Jobangebot aussuchen, an dessen Aufgeber mein Lebenslauf verschickt wurde. Prompt kam eine Zusage: ein Praktikum als Deutsch-Muttersprachler in einer Firma im ECommerce und Retail Bereich. Ich kontaktierte den CEO von Planeta Huerto per Mail und wir vereinbarten die Details wie Dauer, Arbeitszeit und finanzielle Unterstützung. Bei einer 30 Stunden Woche bekam ich180€ im Monat als Zugabe von der Firma und blieb zwei Monate. Mehr zum Praktikum im weiteren Text. Es ergab sich dann so, dass meine Schwester und ich vor Beginn meines Praktikums eine Mietwagenreise von Sevilla über Córdoba, Cádiz, Gibraltar, Marbella, Málaga, Ronda, Granada und Almería nach Alicante machten. Das war eine sehr gute Möglichkeit sich Schritt für Schritt ans Spanischsprechen zu gewöhnen und kulturell, sowie persönlich unglaublich bereichernd. Andalusien empfehle ich jedem, vor allem Sevilla und Granada sind Städte, die man einmal in seinem Leben besucht haben muss. Natürlich haben auch Valencia und die Costa Blanca ihre Reize und so fühlte ich mich ab dem ersten Tag in Alicante fast wie zuhause. Eine Stadt mit ca. 330 000 Einwohnern, mit einem nicht zu kleinen Strand, einem entzückenden Hafen und einer auf dem „Hausberg“ gelegener Burg, von der aus man einen atemberaubenden Blick über Alicante, die umliegenden Dörfer und bei guter Sicht bis zur Insel Tabarca hat, empfing mich mit einer Offenheit, die mich sehr überraschte. Auch in den anderen Städten Spaniens fühlte ich mich nicht fremd oder bekam das Gefühl ein eindringender Tourist zu sein, man ist mir stets sehr herzlich und hilfsbereit begegnet. Aber alle, die schon einmal die Rambla in Barcelona entlang gegangen sind – oder geschoben
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wurden, verstehen vielleicht, was ich meine: zwischen Angebotszurufen und einem ZusteckenVersuch schlängelt man sich dort durch die Menschenmengen und fragt sich, wo denn die offensichtlich überlagerte spanische Kultur zu finden sei. Im Parque Güell findet man mehr illegale Taschenverkäufer als Touristen. Alicante im Gegensatz dazu ist zwar auch ein beliebtes Urlaubsziel, jedoch hat die Internationalisierung und der Tourismus noch keine solch tiefen Spuren hinterlassen. Im Gegenteil, um ein Restaurant mit englischer Speisekarte zu finden, muss man wirklich suchen, die Alicantiner sind sich ihrer unverfälschten kulturellen Identität mehr als bewusst und sie leben Traditionen und Bräuche mit Leidenschaft aus. Obwohl die Stadt an kultureller Begegnung und Sightseeing wenig hergibt, ist sie ein ausgeglichenes, sehr lebendiges Örtchen, an dem einem an nichts fehlt. Ich möchte fast sagen, dass die Stadt eine unglaubliche Ruhe, Einigkeit und Harmonie ausstrahlt. Für mich, die ich kleinere Städte bevorzuge, hat Alicante jedenfalls die richtige Größe. Verglichen mit Sevilla oder Granada mag man den Eindruck bekommen, dass traumhafte Plätze mit Palmen und mit Fliesen vertäfelte Bänke in Alicante fehlen, ich im Gegenteil behaupte, dass Alicante genauso viel Charme hat, in seiner Gesamtheit. Die umliegenden Dörfer und Städtchen laden ebenfalls zum Flanieren ein und wenn es mal etwas Großstadtfieber sein darf, ist man in kurzer Zeit in Valencia. Die Landschaft ist ein wenig eintöniger, als im grüneren Andalusien, überzeugt aber durch größenordentlich nicht zu unterschätzende Berge und malerisch gelegene Hänge. Das Mittelmeer wird noch im November zum Baden genutzt und die Strände der Costa Blanca sind wunderschön, mit goldgelbem Sand und durchsichtigem türkisem Wasser. Genug von meiner neuen Heimat geschwärmt, jetzt zur Wohnungssuche: sobald das Praktikum im August in trockenen Tüchern war, fing ich an im Internet in mehreren Portalen und auf facebook nach WG-Zimmern zu suchen. Ich meldete mich auf erasmusu.com und pisocompartido.com an und schrieb alle Inserenten an, die in Frage kamen. Die Wohnungskultur in Spanien ist etwas anders als bei uns. Meist klappte es mit den Zimmern nicht, weil ich zu früh dran war, denn normalerweise kommt man an, bleibt ein paar Tage im Hostel und sucht dann vor Ort eine Unterkunft. Auf solche spontane und riskante Abenteuer wollte ich mich allerdings nicht einlassen. Zweite Schwierigkeit war, dass ich nicht im September, wie alle Studenten der Uni Alicante, anfing, sondern Ende Oktober. Auch die kurze, zweimonatige Befristung war problematisch. So war ich nach zwei Wochen unfruchtbarer Suche leicht geknickt. Generell gilt: hartnäckig bleiben. Meinem letztendlichen Vermieter hatte ich drei Nachrichten geschickt und dann direkt Nägel mit Köpfen gemacht. Es war eine Zweier-WG in einem ruhigen älteren Wohnviertel im östlichen Rand der Innenstadt, 15 Gehminuten vom Strand und den Geschäften entfernt. Die Nachbarn waren nett, saßen oft draußen vor ihren Haustüren auf der Straße und plauschten – oft auch lautstark. Aber in der Nacht war es sehr ruhig. Mein Zimmer war ca. 16 m2 groß und die Wohnung geräumig, mit einem großen Ess-und Wohnbereich, Küche, Abstellraum und Bad. Ignacio, der Vermieter, schickte mir vorher einen Mietvertrag zu und ich überwies eine Kaution von 50€. Der monatliche Mietpreis lag bei 250€ plus 20€ Nebenkosten, schon teuer für Alicante. Der Durchschnittspreis für ein WG-Zimmer liegt bei 200€. Aber ich war froh, dass ich etwas sehr anständig und gepflegt Aussehendes gefunden hatte. Die anderen Angebote waren meist von der Lage her schlechter und die Zimmer karg, mit Klappbetten und nicht einmal mit Vorhängen. Als ich dann in der Wohnung ankam, gab es zwei Überraschungen: der Mitbewohner war ausgezogen und es gab bis dahin keinen neuen Interessenten für dessen Zimmer. Das war weiter kein Problem für mich, ich war es zwar nicht gewohnt allein zu
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wohnen, aber ich dachte, es würde sich schon noch jemand finden und ich musste natürlich trotzdem nicht mehr bezahlen. Die zweite Überraschung machte mir das Wohlfühlen zu Beginn jedoch schwer: der ehemalige Bewohner hatte die Wohnung, in schönen Worten ausgedrückt, wie einen Schweinestall hinterlassen. Meine Sauberkeitstoleranz mag nicht sehr hoch sein, aber ich denke, jeden hätte bei diesem Anblick der Ekel überflogen. Im ersten Moment war ich zu sehr damit beschäftigt zu verstehen, was mir der Vermieter alles erklärte und so schnell konnte ich gar nicht schauen, war der auch schon weg. Noch in der Nacht teilte ich ihm aber mit, dass die Übergabe der Wohnung in diesem Zustand eine Zumutung sei. Er war sich der Problematik bewusst und schickte mir am nächsten Tag eine Putzfrau vorbei, mit der zusammen ich die Wohnung wieder bewohnbar machte. Ab dem Moment an fühlte ich mich gleich viel besser und konnte endlich ankommen. Ein Unterschied zu Deutschland ist, dass Warmwasser aus dem Elektroboiler kommt und es auch nur Elektroheizungen gibt. Je nach Bauart des Gebäudes braucht man allerdings kaum eine Heizung. Das Leitungswasser würde ich nicht unbedingt zum Trinken empfehlen, da es ziemlich gechlort wird. Was so mancher Deutsche auch vermissen mag ist eine Spülmaschine, die im spanischen Haushalt kaum vorzufinden ist. Ein Trockner ist auch nicht die Regel, aber die Wäsche trocknet in Alicante normalerweise innerhalb eines Tages. Jetzt im Rückblick fehlt mir die Wohnung ungemein und ich würde sie sofort wieder mieten. Es kam dann auch kein weiterer Mitbewohner dazu und ich hatte die ganze Wohnung für mich allein. Ich besorgte mir gleich zu Beginn unserer Rundreise eine spanische SIM-Karte. Es gibt viele verschiedene Anbieter, ich hatte mich schließlich für ein Prepaid Angebot von Orange entschieden. Für 9,95€ monatlich gab es 2 GB mobiles Internet. Nach vier Tagen Akklimatisierung ging es los mit dem Praktikum. Die Firma, Planeta Huerto (PH), sitzt im kleinen Ort Muxamel, nördlich von Alicante gelegen. Mit dem Bus dauerte die Anfahrt ca. 45 Minuten, aber mit dem Auto nur 20. Eine Kollegin nahm mich ab der zweiten Woche meistens morgens mit. Meine Arbeitszeit war von 9 bis 15 Uhr veranschlagt, aber alle fingen um 9 an, sehr angenehm für die, die gerne etwas länger schlafen. PH wurde 2011 von zwei Brüdern aus San Vicente gegründet und ist in diesen 5 Jahren von einem Mitarbeiter auf eine Personalstärke von 38 Personen gewachsen. Mit ihrem reinen Online-shop für alles rund um Bio und Nachhaltigkeit sind sie Marktführer in Spanien. Das Büro befindet sich im Lagerhaus, aus dem der Versand erfolgt und wurde während meiner Zeit dort vergrößert. Seit Oktober diesen Jahres gibt es nicht nur eine portugiesische, französische und italienische Webseite, sondern auch eine englische und eine deutsche. Das Durchschnittsalter der Mitarbeiter liegt ca. bei 26 Jahren. Die Arbeitsatmosphäre war unglaublich gut, das Klima stets entspannt und motiviert. Am ersten Tag wurde ich von Noelia, der Chefin des Kundenservices, herumgeführt und mir wurden die verschiedenen Systeme erklärt, für Mailing, Bestellmanagement und Übersetzungen. Untereinander chattet PH mit Hilfe von hangouts (Google). Die fortschrittliche Computerausstattung und die Onlinesysteme fand ich super und war positiv überrascht wie organisiert und motiviert alle arbeiteten. Von Anfang an arbeitete auch ich selbstständig. Bei allen Fragen konnte ich mich stets an Noelia und an einen weiteren Kollegen wenden. Meine Aufgabe zu Beginn war die ersten gröbsten Fehler auf der deutschen Webseite auszubessern, da alle Inhalte automatisch übersetzt worden waren und dadurch kaum verständlich waren. Danach korrigierte ich die Mails, die an die Kunden verschickt wurden und schließlich nahm ich Telefonansagen auf (ja, ich antworte, wenn man unter der deutschen Nummer bei PH anruft). Am zweiten Tag bekam ich dann die ersten deutschen Kundenanfragen per Mail und
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sollte die sogleich kompetent beantworten. Gut war, dass bereits eine italienische Praktikantin vor Ort war, die mir die wichtigsten Vorgehensweisen und Abläufe erklärte. Ich beantwortete alle Anfragen per Mail und Telefon und wickelte Rückgaben, Reparaturen oder fehlerhafte Warenlieferungen ab, organisierte Lieferungen und Abholungen mit den Transportfirmen und kontrollierte und führte Zahlungen und Rücküberweisungen aus. Ich schrieb Angebote und kontaktierte Herstellerfirmen in Zusammenarbeit mit den Produktmanagern. Täglich wuchs ich mehr in meine Tätigkeit hinein und man gab mir nach kurzer Zeit immer mehr Verantwortung. Aufgrund meines Englischniveaus stellte man mir dann auch die englischen Mails und Anrufe zu. Ich übernahm den Verkaufskanal Amazon Deutschland, über den auch einige Bestellungen hereinkamen, und übernahm alle zu verrichtenden Aufgaben auf der Plattform. Nach vier Wochen bekam ich Amazon komplett übertragen, d.h. alle Kanäle, Spanien, Vereinigtes Königreich, Italien und Deutschland. Die Übersetzung der Produkttitel in Englisch und Deutsch war auch einer meiner Aufträge, jedoch hatte ich am Ende kaum mehr Zeit daran zu arbeiten, da ich mit dem Kundenservice und Übersetzungen für die Marketinginhalte zu Sonderaktionen wie Black Friday oder Weihnachten, genug beschäftigt war. Ich hatte unfassbar viel Spaß bei der Arbeit, ich konnte selbstständig Entscheidungen treffen, arbeitete im Team wenn es etwas abzustimmen gab und fühlte mich einfach rundum pudelwohl. Im Dezember kamen dann noch zwei Praktikanten aus Italien dazu, und, nachdem uns die vorherige schon verlassen musste, war es meine Aufgabe sie in die Position einzuarbeiten. Alle Kollegen, mit denen ich auch privat sehr gute Freundschaften geschlossen habe, fehlen mir sehr und auch meinen Schreibtisch vermisse ich. Ich habe unglaublich viel gelernt und konnte wirklich wie ein vollwertiges Mitglied der Firma mitarbeiten. Vom Wichteln bis hin zum Weihnachtsessen war ich überall dabei. Anders wie in vorherigen Praktika war dieses wirklich von Anfang an hands-on und ich weiß jetzt, dass mir ein Bürojob wie dieser doch sehr zutut, denn ich war wirklich mit Leidenschaft gerne in der Arbeit und habe auch freiwillig einige Überstunden gemacht. Ich würde diese Praktikumsstelle jedem empfehlen und PH empfängt gerne weiterhin Praktikanten, nur dass sie nur noch Aufenthalte ab 6 Monate akzeptieren können. Ich selbst fand am Ende, dass gerade dann, als ich anfing mich auszukennen und so richtig eingearbeitet zu sein, musste ich schon wieder nach Hause. Eine Verlängerung war leider aufgrund von Weihnachten nicht möglich, aber ich wäre gerne noch länger geblieben. Wie bereits geschrieben hat man bei PH die besten Chancen wirklich einmal in eine Firma und deren Abläufe hineinzuschnuppern, und das nicht durch zusehen, sondern durch Learning by Doing. Natürlich habe ich meine Spanischkenntnisse verbessert. Da ich dann gegen Ende auch noch spanische Kundenanfragen bearbeiten durfte, konnte ich meine Kompetenz im Schriftlichen enorm steigern und konnte zum ersten Mal richtig anwenden, was ich damals im Gymnasium gelernt hatte (denn Emails korrekt und stimmig schreiben, Höflichkeitsformeln und Redewendungen, also das, was man eigentlich wirklich braucht, lernt man ja nicht an der Universität). Im Mündlichen wurde ich von Tag zu Tag flüssiger und konnte mein Vokabular Wort für Wort erweitern. Obwohl einige im Praktikum valenciano sprachen und aufgrund ihres Alters auch oft Jugendvokabular verwendeten, versuchte man stets mit mir in castellano Kontakt aufzunehmen und beim Mittagessen ein wenig zu plauschen. Mit einem gebürtigen Venezolaner aus der Firma konnte ich mich auch sehr gut unterhalten. Da es ja ein paar Italiener im Praktikum gab, fand sich ab und zu auch einmal Zeit für einen Smalltalk auf
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Italienisch. Ganz nebenbei konnte ich wieder Englischvokabeln aus den tiefsten Schubläden meines Gehirns kramen, um die Kunden aus UK bestmöglich zu betreuen. Nun möchte ich noch ausführlich über die spanische Lebensart berichten. Wie das Klischee ja besagt, ticken die Uhren in Spanien einfach langsamer als bei uns, alle sind gelassener und machen mittags Siesta. Ganz bestätigen kann ich das so nicht – aber komplett abstreiten auch nicht. Wie schon gesagt, fangen die meisten erst um 9 Uhr morgens zu arbeiten an, machen um 14 Uhr Mittag und Abendbrot gibt es zwischen 21 und 23 Uhr. Also ticken die Uhren nicht langsamer, aber der Tagesablauf wird um eine Stunde nach hinten verschoben, in Komparation mit dem deutschen Mittel. Gelassenheit ist mit Sicherheit ein Phänomen des spanischen Gemüts. Ich möchte nicht sagen, dass in Deutschland alle früher oder später an Burnout leiden werden, aber wenn ich daran denke, wie angespannt und gestresst die Menschen hier durch die Stadt stiefeln, dann ist das das krasse Gegenteil zum Vorherrschenden in Spanien. Dort hingegen scheint das Gros mit sich selbst, mit ihrer Zeit, mit ihrer Arbeit und der Lebensbedingungen im Reinen zu sein. Um es einfach zu formulieren: in Alicante scheint die Welt noch in Ordnung. Vielleicht hängt das auch mit den Wetterverhältnissen zusammen, dadurch dass die Temperaturen auch im Winter konstant bleiben und man es in einer leichten Jacke im Freien aushält, gehen die Menschen mehr aus auf ein Glas „Tinto“ oder ein paar„Tapas“. Die zahlreichen Lokale sind stets gut besucht und die Preise sind sogar für Spanier erschwinglich. Kurios ist auch, dass in Alicante samstags die Bars und Clubs bereits am Nachmittag öffnen. Alle treffen sich gegen 13 Uhr am „Mercado“, DER Einkaufshalle für frischstes Fleisch, Fisch, Gemüse und Obst, trinken ein kleines Bier und essen ein belegtes Brötchen. Als ich zum ersten Mal die Menschenmenge und auch die Gruppe Polizisten sah, die zur Sicherheit am Rande des Platzes postiert sind, dachte ich, ein Promi wäre dort oder irgendeine besondere Veranstaltung fände statt. Meine Kollegen klärten mich dann über den sogenannten „Tardeo“ auf. Die Partylustigen, aller Altersklassen, ziehen schließlich weiter in das „Barrio“, den alten Stadtkern Alicantes, oder in die Feierstraße schlechthin, Calle Castaños. Dort wird von einer Bar oder einem Club zum anderen gezogen, bis spät in die Nacht. Was ich an der Lebensart so genossen habe ist die Entzerrung des Alltags. Alle gehen auch dort fleißig arbeiten, aber nach der Arbeit verkrümeln sich nicht alle auf die Couch und gucken fern, nein, bewusst wird sich getroffen, bewusst wird gegessen und getrunken, mit Freude und Lebenslust. Der Druck, der Stress, die Anspannung, all das, was mich persönlich vor allem im Studium sehr belastet hatte, ließ mich endlich einmal wieder los. Wie oft höre ich, dass meine Freunde mir sagen „Ich kann nicht mehr, mir ist alles zu viel“. Ich habe in Spanien vor allem gelernt, dass Zeit nicht Geld ist, dass man sich auf die Dinge die man hat und die man tut besinnt und dankbar dafür ist, wie gut es einem geht. Genießen, die Dinge laufen lassen, loslassen, das ist die Kunst, die die Alicantiner zu beherrschen scheinen. Insgesamt war die Zeit in Alicante ein sehr positives Erlebnis. Nachdem mein Auslandspraktikum in Malta eher schwierig gewesen war und schlechte Erfahrungen mit sich gebracht hatte, ging ich mit gemischten Gefühlen wieder in dieses neue Abenteuer. Schließlich hat sich der Aufwand der Organisation und der Beantragung des Erasmus+ Stipendiums jedoch gelohnt. Meine Erwartungen wurden übertroffen und ich durfte so vieles für mich entdecken, einige vergessen gedachte Seiten an mir wiederfinden. Ich konnte in die spanische Kultur, die mich so offenherzig aufgenommen hatte, eintauchen und eine neue Heimat finden. Jetzt gilt es, das was ich gelernt habe, beizubehalten und nie aufzuhören weitere Neugier für das Unbekannte zu entwickeln. ¡Viva la vida!
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