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9 Wissenschaftliches Arbeiten 9.1 Wissenschaftliche Literatur 9.1.1 Primär- und Sekundärliteratur Die literarischen Texte, die wir literaturwissenschaftlich untersuchen, bezeichnen wir als Primärliteratur. Diese lesen Sie meist in leicht zugänglichen Ausgaben, möglicherweise auch in Studienausgaben vom Reclam-Verlag. Für eine genaue und umfassende Textuntersuchung – etwa im Rahmen eines Referats oder einer Seminararbeit – empfiehlt es sich jedoch, umfangreichere kritische, ggf. sogar historisch-kritische Ausgaben der betreffenden Texte heranzuziehen, sofern es denn solche jeweils gibt. (vgl. auch das Kapitel zur Editionsphilologie in diesem Skript) Für eine wissenschaftliche Arbeit muss einschlägige Forschungsliteratur (Sekundärliteratur) recherchiert und in einem Literaturverzeichnis bibliographisch korrekt, d. h. einheitlich, eindeutig und vollständig, angegeben werden. Die kritische Rezeption der Sekundärliteratur ist Teil der Arbeit. Dies bedeutet allerdings nicht, Verfasser/-innen von Sekundärtexten für ihre Thesen und Ausführungen etwa zu loben oder zu ironisieren. Vielmehr sollte deutlich werden, inwiefern Sie auf Vorarbeiten zurückgegriffen und Forschungsansätze übernommen haben oder Ihre eigene Arbeit von anderen Forschungsansätzen abweicht. Zum Belegen wissenschaftlicher Aussagen sollte grundsätzlich nur wissenschaftliche Sekundärliteratur herangezogen werden, die sich an Mitglieder der scientific community richtet. Publikationen im GRIN Verlag o. ä. fallen nicht darunter. Schüler- und Lehrerhilfen wie etwa Königs Erläuterungen eignen sich ebenso wenig zur Begründung wissenschaftlicher Aussagen wie journalistische Texte, etwa Rezensionen aus dem Feuilleton. Als Rezeptionsdokumente allerdings kann auf Texte dieser Art Bezug genommen werden.

9.1.2 Textsorten Grundsätzlich ist zwischen selbständigen (typischerweise Monographien) und unselbständigen Publikationen (z. B. Aufsätzen in Sammelbänden oder Fachzeitschriften) zu unterscheiden. In der wissenschaftlichen Praxis begegnen uns typischerweise Textsorten wie Lexikonartikel, Überblicksartikel in Handbüchern, Monographien, wissenschaftliche Aufsätze in Sammelbänden oder Fachzeitschriften, Essays, Miszellen, Rezensionen (in Presse, Radio, Fernsehen, Internet; Literaturkritik vs. Fachrezensionen).

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9.1.3 Internetliteratur Bei Internetquellen ist eine Reflexion der Besonderheiten vonnöten, die sich aus der Möglichkeit, Texte online zu publizieren, ergibt: Eine Online-Publikation erfordert kaum finanziellen Aufwand, wogegen beim Buch entweder der Verlag, der Autor/die Autorin oder eine fördernde Institution Geld aufbringen müssen, um das Buch herzustellen, und also entweder damit rechnen, dass diese Ausgaben durch den Verkauf gedeckt werden, oder aus anderen Gründen die Publikation für sinnvoll halten. Die Veröffentlichung in Buchform allein stellt zwar noch kein Qualitätskriterium dar, zeigt aber zumindest, dass mindestens einer Person ernsthaft daran gelegen ist, diesen Text zu veröffentlichen, wogegen im Internet Inhalte schnell auch aus einer bloßen Laune heraus eingestellt werden können. Hinzu kommt, dass bei Büchern i. d. R. der Verfasser/die Verfasserin genannt wird, meistens auch mit bürgerlichem Namen, wogegen etwa Wikipedia-Einträge oder AmazonRezensionen typischerweise anonym bzw. unter einem Nickname erfolgen. Eine weitere Besonderheit, die die Einschätzung der Qualität gedruckter Publikationen gegenüber online veröffentlichten erleichtert, ist die Existenz von Fachverlagen, Fachzeitschriften und Buchreihen (mit wissenschaftlichen Redaktionen), die es ermöglicht, bereits aus dem Publikationsort eines Textes auf seinen wissenschaftlichen Anspruch zu schließen. Ähnliches gilt für das Vorhandensein einer Publikation im Bestand von Universitätsbibliotheken. Zu solchen Gate-keeper-Funktionen existieren im Internet häufig kaum Äquivalente. Aus diesem Grund wird Online-Publikationen, abgesehen von solchen in wissenschaftlichen Online-Zeitschriften, häufig auch innerhalb der scientific community weniger Beachtung zuteil, was wiederum dazu führt, dass Wissenschaftler/-innen sich in der Regel bemühen, einen Text in gedruckter Form zu publizieren. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Internet zwar prinzipiell die Möglichkeit bietet, schneller und kostengünstiger zu publizieren, dass aber angesichts der gegenwärtigen Publikationspraxis Buchquellen in der Regel noch die zuverlässigeren darstellen. Der Verwendung von Internetquellen zur Belegung wissenschaftlicher Aussagen sollte deshalb unbedingt eine Recherche über Verfasser/-in, Publikationsrahmen und Publikationsanlass vorausgehen, die bei gedruckten wissenschaftlichen Arbeiten, die in einem Wissenschaftsverlag oder in einer entsprechenden Buchreihe oder Zeitschrift erscheinen, in der Regel nicht notwendig ist.

9.1.4 Lesetechniken für den Umgang mit Forschungsliteratur Sämtliche recherchierten Fach- und Forschungstexte arbeiten Sie üblicherweise nicht gleichermaßen durch und in Ihre Arbeit ein. Dieser differenzierte Umgang spiegelt sich auch in der gestuften Lektüre dieser Texte wider. Bevor Sie Sekundärtexte intensiv lesen, sollten Sie sich zunächst einen Überblick über alle von Ihnen recherchierten Texte verschaffen: Beachten Sie stets das Medium bzw. den publizistischen Kontext, in dem ein Sekundärtext erscheint (z. B. Fachzeitschrift, Fachbuch, Dissertationsschrift, Sachbuch, wissenschaftliche Reihe etc.), um die Wissenschaftlichkeit und Relevanz besser einschätzen zu können. Bei Aufsätzen sollten Sie auf Abstracts am Beginn oder Zusammenfassungen am Ende (Summaries), die mitunter auch typographisch hervorgehoben sind, sowie auf

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Zwischenüberschriften achten, bei Buchpublikationen Klappentexte, Inhaltsverzeichnisse, Vorworte, Einführungs- und Schlusskapitel zunächst überfliegend zur Kenntnis nehmen. Sehen Sie sich Register und Literaturverzeichnisse an, um den vorliegenden wissenschaftlichen Text thematisch, methodisch, fachgeschichtlich besser verorten zu können und evtl. weitere Literaturhinweise (→ Schneeballsystem) zu erhalten. Lesen Sie kursorisch oder diagonal die für das eigene Thema einschlägigen Kapitel und zusammenfassenden Passagen, um die Textauswahl für die genauere Lektüre weiter einzuengen. Für einen ersten inhaltlichen Eindruck bei Buchpublikationen empfehlen sich außerdem Fachrezensionen, Waschzettel (oft auf Internetseiten von Verlagen verfügbar) oder kurze kritische Informationstexte (sog. Referate) wie in der bibliographischen Zeitschrift Germanistik. Der nächste Schritt besteht im studierenden Lesen, also im ‚Lesen mit Stift‘ (Aber bitte nicht in Büchern aus der Bibliothek!) oder Post-its. Erarbeiten Sie sich ggf. ein eigenes System von Anstreichungen oder Markierungen, um beispielsweise Thesen und Argumente optisch zu differenzieren oder auch kritikwürdige Aspekte hervorzuheben. Die intensivste Form der Auswertung eines Sekundärtextes ist – im dritten Schritt – das Exzerpt, bei dem sie zentrale Thesen, Argumentationslinien und Beispiele notieren, am besten gleich mit genauen Seitenangaben für bei der Verwendung in der Seminararbeit erforderliche Nachweise in Fußnoten. Versuchen Sie stets, für sich den Sekundärtext knapp zusammenzufassen und auf die zentrale These/Aussage zuzuspitzen. Grundsätzlich sollten Sie zielorientiert – also auf Ihre Fragestellung hin – lesen, die damit einhergehende Hypothesengeleitetheit allerdings nach Möglichkeit mit reflektieren und außerdem zwischen Fakten, Daten, Informationen einerseits und Interpretationen sowie Meinungen der Verfasser/-innen andererseits differenzieren. Und: Vergessen Sie über dem Recherchieren, Lesen und Exzerpieren das Schreiben der eigentlichen Arbeit nicht.

9.2 Literatur- und Informationsrecherche 9.2.1 Bibliographische Recherche 9.2.1.1

WICHTIGE LITERATUR

Gantert, Klaus: Erfolgreich recherchieren – Germanistik. Berlin: de Gruyter Saur 2012. Hansel, Johannes u. Lydia Kaiser: Literaturrecherche für Germanisten. Berlin: Erich Schmidt 2003. [Dieses Buch bietet einen Überblick über systematische Recherchestrategien.]

Blinn, Hansjürgen: Informationshandbuch Deutsche Literaturwissenschaft. 3. Aufl. der 4., völlig neu bearb. u. stark erw. Ausg. Frankfurt a. M.: Fischer 2005 (= Fischer TB 15258). [Das Informationshandbuch verzeichnet die wichtigsten bibliographischen Organe. Über wichtige Lexika und Wörterbücher zur Germanistik informiert Teil C, über Bibliographien Teil D; die Nummern, die im Folgenden als Beispiele genannt werden, beziehen sich auf Blinns Systematik.]

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9.2.1.2

BIBLIOGRAPHIEN

Bibliographien können nach folgenden Kriterien unterschieden werden: a) nach ihrem Gegenstand: allgemeine Bibliographien (z. B. D 4640), FachBibliographien, Spezial-Bibliographien; b) nach ihrem Umfang: vollständige Bibliographien, Auswahl-Bibliographien; c) nach ihrer Erscheinungshäufigkeit: abgeschlossene Bibliographien (z. B. D 170), periodische Bibliographien (z. B. D 360); Beispiel für abgeschlossene Bibliographien: Quellenlexikon zur deutschen Literaturgeschichte Beispiele für periodische Bibliographien: Bibliographie der deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft (sog. „Eppelsheimer/Köttelwesch“; auch als Onlinedatenbank mit Berichtszeitraum seit 1985!) Germanistik. Internationales Referatenorgan mit bibliographischen Hinweisen MLA International Bibliography of Books and Articles on the Modern Languages and Literatures (auch als Onlinedatenbank!)

d) nach ihrer Erscheinungsform: selbständige Bibliographien, unselbständige Bibliographien. Bevor man eine Bibliographie konsultiert, sollte man sich unbedingt über deren Gegenstand (Thema), Berichtszeitraum und Redaktionsschluss informieren. Hilfreich ist dafür beispielsweise der Teil A im Informationshandbuch Deutsche Literaturwissenschaft. Bibliographien können ergänzt sein u. a. durch kurze zusammenfassende Besprechungen (Referate) der verzeichneten Titel (etwa in Referatenorganen wie der Bibliographie Germanistik) oder durch Verweise auf solche Referate oder auf (Fach-)Rezensionen. Neben den Bibliographien gibt es eine Reihe weiterer Hilfsmittel, die zuverlässig in bestimmte Themen einführen: z. B. Einführungen in die Bücherkunde (z. B. D 80 f.), personenorientierte Lexika (Autorenlexika, z. B. C 50–130), Werklexika (z. B. C 510 f.) und Sachlexika (z. B. C 530–590).

9.2.2 Lexika und Handbücher Es gibt Lexika und Handbücher zu unterschiedlichen Gegenständen: zu Fachbegriffen, Werken, Autoren/-innen, Themen (z. B. Stoffen, Motiven, Symbolen). Beispiele für Sach-/Begriffslexika und -handbücher: Handbuch der literarischen Gattungen (hg. von Dieter Lamping) Handbuch Gattungstheorie (hg. von Rüdiger Zymner) Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze, Personen, Grundbegriffe Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte Romantik-Handbuch

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Beispiele für Autorenlexika und -handbücher: Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur (das sog. KLG; Datenbankzugriff über UB möglich!) Literatur Lexikon. Bd. 1–12: Autoren und Werke deutscher Sprache (hg. von Walther Killy; auch als CD-ROM!) Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes Metzler Autoren Lexikon. Deutschsprachige Dichter und Schriftsteller vom Mittelalter bis zur Gegenwart Thomas-Mann-Handbuch (hg. von Helmut Koopmann) Beispiel für Werklexika: Kindlers Literatur Lexikon (Datenbankzugriff über UB möglich!)

9.2.3 Literaturgeschichten Wenn Sie literarische Texte im Rahmen eines Referats oder einer Seminararbeit beispielsweise auch im literarhistorischen Kontext betrachten, empfiehlt es sich, Literaturgeschichten heranzuziehen. Neben literarhistorischen Gesamtdarstellungen (z. B. dem sog. „Beutin“) sollten Sie dabei außerdem auf spezifische Monographien zu Epochen und Strömungen der Literaturgeschichte zurückgreifen. Beispiele für literaturgeschichtliche Darstellungen: Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart (der sog. „Beutin“, literaturgeschichtliche Abhandlungen von Wolfgang Beutin, Klaus Ehlert, Wolfgang Emmerich u. a.; mittlerweile in der 8. Aufl., 2013) Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur. Vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart (12 Bde., versch. Einzelautoren, versch. Auflagen)

9.2.4 OPAC-Recherche Beachten Sie hierfür die Einführung in die Benutzung der Universitätsbibliothek.

9.2.5 Internetrecherche Das Internet können Sie auch als Recherchemedium nutzen. Allerdings erfolgt die Suche hierbei tendenziell unsystematisch, wird die Menge der Suchergebnisse schnell unübersichtlich und müssen Sie i. d. R. viele unwissenschaftliche oder fachfremde Funde aussortieren. Hilfreich kann beispielsweise die Suche bei Google Books sein, zumal wenn Sie dort verzeichnete Fachtexte auch einsehen können.

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9.3 Bibliographieren und Zitieren 9.3.1 Grundsätzliches zum wissenschaftlichen Nachweis von Literatur Zitate -

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Zitate, ob direkte (wörtliche) oder indirekte, müssen immer als solche gekennzeichnet sein. Zitate müssen immer in die Argumentation integriert sein. Wenn die Zitate mehr als zwei Zeilen füllen, sollten sie typographisch abgesetzt werden durch einen kleineren Schriftgrad, einfachen Zeilenabstand und Einrückung links (und am besten auch rechts). Bei derart hervorgehobenen Zitaten sind keine Anführungszeichen zu setzen, da die Markierung als Zitat über die Typographie erfolgt. Wörtliche Zitate müssen immer exakt und vollständig sein. Auslassungen von für die Argumentation nicht wesentlichen Textteilen in wörtlich zitierten Passage werden mit „[…]“ markiert. Wenn Sie in wörtlichen Zitaten Hervorhebungen vornehmen, z. B. in Form von Unterstreichungen oder Kursivsetzungen, um Textteile herauszustellen, muss dem Zitat ein Vermerk in der Art „[Hervorhebung durch den Verfasser]“ bzw. „[Hervorh. durch d. Verf.]“ oder „[Hervorh. X.Y.]“ (für „X.Y.“ würden Sie dann Ihre Initialen setzen) folgen. Findet sich eine Hervorhebung im zitierten Original, ist dies mit dem Vermerk „[Hervorhebung im Original]“ bzw. „[Hervorh. im Orig.]“ zu kennzeichnen. Ergeben sich durch die Syntax der Metasprache Kasusverschiebungen für eingebundene wörtliche Zitate, müssen die entsprechenden Veränderungen zur grammatischen Anpassung mit eckigen Klammern markiert werden. Veraltete Schreibweisen müssen bei wörtlichen Zitaten übernommen werden. Markierungen dafür sind nicht nötig und auch nicht üblich. Eindeutige (orthographische, grammatische, inhaltliche, ...) Fehler im zitierten Text werden mit „[sic]“ oder „[sic!]“ gekennzeichnet.

Die bibliographische Notation muss vollständig, eindeutig und einheitlich erfolgen, damit die wissenschaftlichen Grundlagen Ihrer Ausführungen transparent und nachvollziehbar sind.

9.3.2 Nachweise im Literaturverzeichnis Sämtliche Primär- und Sekundärtitel, die in einer wissenschaftlichen Arbeit direkt oder indirekt zitiert werden, müssen im Literaturverzeichnis in alphabetischer Reihenfolge nachgewiesen werden. Zwischen Primär- und Sekundärtexten sollte im Literaturverzeichnis differenziert werden. Die Titelnachweise sollten vollständig und nach einem durchgehend einheitlichen System gestaltet werden. Dies betrifft sowohl die Reihenfolge der Bestandteile der Titelangaben als auch die Interpunktion. Es gibt, wie Sie in der Forschungsliteratur sehen können, verschiedene Formen der Notation. Nachfolgend finden Sie eine mögliche Systematik, an der Sie sich in Ihrem NdL-Studium orientieren können.

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9.3.2.1

BUCHTITEL (→ SELBSTÄNDIGE PUBLIKATIONEN)

Grundstruktur: Verfassername, Vorname: Titel. Untertitel. Herausgeber. Bandangabe: Bandtitel. Bandherausgeber. Aufl. Verlagsort: Verlag Erscheinungsjahr (= Reihentitel Reihenbandnummer). Die in dieser und in den nachfolgenden bibliographischen Grundstrukturen nicht fett gedruckten Bestandteile treffen nicht auf jeden denkbaren Titel des jeweiligen Typs zu, die jeweils fett gedruckten hingegen betreffen üblicherweise jede Publikation des jeweiligen Typs, sollten also immer Bestandteil der entsprechenden bibliographischen Angabe sein.

Beispiele: Jahraus, Oliver: Literaturtheorie. Theoretische und methodische Grundlagen der Literaturwissenschaft. Basel/Tübingen: Francke 2004 (= UTB 2587). Marx, Friedhelm: „Ich aber sage Ihnen…“. Christusfigurationen im Werk Thomas Manns. Frankfurt a. M.: Klostermann 2002 (= Thomas-Mann-Studien 25). Segebrecht, Wulf: Autobiographie und Dichtung. Eine Studie zum Werk E.T.A. Hoffmanns. Mit einem Geleitwort von Walter Müller-Seidel. Stuttgart: Metzler 1967 (= Germanistische Abhandlungen 19).

Die Angabe des Verlags ermöglicht eine qualitative Einschätzung sowohl im Positiven auf Wissenschaftlichkeit und Zitierbarkeit (z. B. Vittorio Klostermann, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Niemeyer, de Gruyter) als auch im Negativen auf Nichtwissenschaftlichkeit, etwa im Fall für schulische Zwecke bestimmter Bücher (z. B. von Bange, Cornelsen, C.C. Buchner). Auf die Angabe des Verlagsnamens wird aber auch häufig verzichtet; es finden sich dann nur die Angaben VERLAGSORT ERSCHEINUNGSJAHR, z. B. „Stuttgart 1967“. Innerhalb einer wissenschaftlichen Arbeit muss konsequent nach einer Systematik notiert werden. Wenn ein Primärtext einen Herausgeber/eine Herausgeberin oder mehrere Herausgeber/-innen hat, müssen sowohl der Autor/die Autorin als auch der Herausgeber/die Herausgeberin bzw. die Herausgeber/-innen genannt werden: Beispiele: Brecht, Bertolt: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Hg. von Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei u. Klaus-Detlef Müller. Bd. 2: Stücke 2. Frankfurt a. M.: Suhrkamp; Berlin/Weimar: Aufbau 1988. Kafka, Franz: Das Schloß. Hg. von Malcolm Pasley. Frankfurt a. M.: Fischer 1992.

Bei mehr als drei Herausgebern/-innen müssen nicht unbedingt alle Namen aufgeführt werden; der erstgenannte Name sollte erscheinen, die übrigen können unter „u. a.“ gefasst werden: Beispiel: Brecht, Bertolt: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Hg. von Werner Hecht u. a. Bd. 2: Stücke 2. Frankfurt a. M.: Suhrkamp; Berlin/Weimar: Aufbau 1988.

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Ggf. können zusätzlich zu den Herausgebern/-innen einer Werkausgabe insgesamt auch die Herausgeber/-innen bzw. Bearbeitenden eines einzelnen Bandes aufgeführt werden (Position: nach der Angabe der Bandnummer und des Bandtitels). Hat ein Text zwei oder mehr Autoren/-innen, werden diese in folgender Art angegeben: VERFASSERNAME, VORNAME, VORNAME VERFASSERNAME U. VORNAME VERFASSERNAME. Beispiel: Meyer-Krentler, Eckhardt u. Burkard Moennighoff: Arbeitstechniken Literaturwissenschaft. 11., korr. u. aktualis. Aufl. München: Fink 2003 (= UTB 1582).

Reihentitel (z. B. Epistemata. Würzburger wissenschaftliche Schriften. Reihe Literaturwissenschaft) mit Reihenbandnummer bzw. Taschenbuchverlags- und Reihensiglen (z. B. sm = Sammlung Metzler, stw = Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, UTB = UniTaschenbücher) mit Buchnummer sollten angegeben werden, wenn sie die Identifikation und Greifbarkeit erleichtern. Analog zu den genannten Mustern wird vorgegangen, wenn ein Buch (dann i. d. R. ein Sammelband) von einem Herausgeber/einer Herausgeberin oder mehreren Herausgebern/-innen verantwortet wird: Herausgebername, Vorname (Hg.): Titel. Untertitel. Bandangabe: Bandtitel. Aufl. Verlagsort: Verlag Erscheinungsjahr (= Reihentitel Reihenbandnummer). Beispiel: Ecker, Hans-Peter (Hg.): Methodisch reflektiertes Interpretieren. Festschrift für Hartmut Laufhütte zum 60. Geburtstag. Passau: Rothe 1997.

Der Nachweis kann auch mit dem Buchtitel beginnen und sollte dies in jedem Fall dann, wenn der Buchtitel einschlägig und wesentlich bekannter als der Herausgeber/die Herausgeberin oder die Herausgeber/-innen ist (z. B. beim Duden oder bei Lexika von Metzler). In diesen Fällen erfolgt die alphabetische Einordnung der bibliographischen Angaben nach dem ersten Wort des Titels (Bestimmte und unbestimmte Artikel werden dabei i. d. R. vernachlässigt. Bei automatischer Sortierung durch ein Computerprogramm muss entsprechend manuell nachsortiert werden). Titel. Untertitel. Hg. von Vorname Name, Vorname Name usf. Bandangabe: Bandtitel. Aufl. Verlagsort: Verlag Erscheinungsjahr (= Reihentitel Reihenbandnummer). Beispiel: Das Problempotential der Nachkriegsavantgarden. Grenzgänge in Literatur, Kunst und Medien. Hg. von Michael Backes, Thomas Dreher, Georg Jäger u. Oliver Jahraus. 3 Bde. München: Fink 2000.

9.3.2.2 ZEITSCHRIFTENARTIKEL ODER BEITRÄGE (→ UNSELBSTÄNDIGE PUBLIKATIONEN)

IN

JAHRBÜCHERN

Verfassername, Vorname: Titel. Untertitel. In: Zeitschriftentitel Jahrgang (Erscheinungsjahr), H. Heftnummer/Nr. Nummer, S. X–Y.

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Beispiele: Gockel, Heinz: Faust im Faustus. In: Thomas-Mann-Jahrbuch 1 (1988), S. 133–148. Höpfner, Felix: Die Mahlzeiten bei Buddenbrooks. In: Freibeuter. Vierteljahreszeitschrift für Kultur und Politik 18 (1996), Nr. 67, S. 149–151. Pekar, Thomas: Das Essen und die Macht. Zum Diätdispositiv bei Daniel Paul Schreber und Franz Kafka. In: Colloquia Germanica 27 (1994), H. 4, S. 333–349.

9.3.2.3 AUFSÄTZE IN SAMMELBÄNDEN PUBLIKATIONEN)

UND

FESTSCHRIFTEN (→ UNSELBSTÄNDIGE

Grundstruktur: Verfassername, Vorname: Titel. Untertitel. In: Vorname Herausgebername (Hg.): Titel. Untertitel. Bandangabe: Bandtitel. Aufl. Verlagsort: Verlag Erscheinungsjahr (= Reihentitel Reihenbandnummer), S. X–Y. Beispiel: Marinucci, Mimi : Feminism and the Ethics of Violence: Why Buffy Kicks Ass. In: James B. South (Hg.): Buffy the Vampire Slayer and Philosophy. Fear and Trembling in Sunnydale. Chicago/La Salle: Open Court 2003 (= Popular Culture and Philosophy 4), S. 61–75.

Ist der Titel der selbständigen Publikation, in der die betreffende unselbständige Publikation enthalten ist, einschlägig und bekannter als der Herausgeber/die Herausgeberin/die Herausgeber/-innen, kann der Titel der Angabe zur Herausgeberschaft auch vorangestellt werden: Verfassername, Vorname: Titel. Untertitel. In: Titel. Untertitel. Hg. von Vorname Herausgebername. Bandangabe: Bandtitel. Aufl. Verlagsort: Verlag Erscheinungsjahr (= Reihentitel Reihenbandnummer), S. X–Y. Beispiel: Catani, Stephanie: Mythos ‚Femme Fatale‘. Zur medialen Inszenierung weiblicher Leidenschaft im Film. In: Eine Frage des Geschlechts. Ein Gender-Reader. Hg. von Michael Ruf u. Bettina Boekle. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2004, S. 195–206.

9.3.2.4 INFORMATIONEN AUS DEM INTERNET Zitierfähig ist folgende im Netz vorhandene Literatur: a) Primär- und Forschungsliteratur, die ausschließlich im Internet publiziert ist; b) Primär- und Forschungsliteratur, die als autorisierte Fassung neben einer gedruckten Version im Internet verfügbar ist (z. B. Artikel in Online-Editionen wissenschaftlicher Zeitschriften); c) Selbstdarstellungen von Institutionen in deren Internetauftritten (Statistiken, Daten u. a. m.). Der Nachweis sollte folgendermaßen aufgebaut sein: Verfasser (Institution oder Autor [Verfassername, Vorname]): Titel. Untertitel. vollständige Internetadresse, aufgerufen am Tag.Monat.Jahr.

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Beispiel: Schlicker, Alexander: „Ruuuf den Notar, Thanatos“. Zu Helmut Krausser und seiner Kartongeschichte. http://www.medienobservationen.lmu.de/artikel/kritik/schlicker _krausser.html, aufgerufen am 19.09.2007.

9.3.3 Nachweise im Textteil und im Fußnotenteil 9.3.3.1

ZITIEREN VON PRIMÄRTEXTEN

Primärtexte, auf die im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit häufiger verwiesen wird, sollten im Fließtextteil unmittelbar nach direkten oder indirekten Zitaten mit Hilfe einer Sigle nachgewiesen werden. Die Sigle ist ein Kürzel und wird samt der Seitenzahl in Klammern gesetzt und dem jeweiligen Zitat nachgestellt. Beispiel: Fließtext Fließtext Blabla blaba Blablabla bla blablabla Fließtext blablabla, denn „[f]ür Tony Buddenbrook war das etwas Neues. Citronensemmel mit Gänsebrust, – übrigens mußte es gut schmecken!“ (B 68) Blablablablabla blabla blubb Fließtext blabla.

Längere wörtliche Zitate sollten typographisch abgesetzt werden (durch einen kleineren Schriftgrad in Relation zum übrigen Fließtext [etwa 11pt statt 12 pt], Einrückung vorn und hinten und einfachen Zeilenabstand). Die Angabe der Sigle mit Seitenzahl sollte in diesem Fall in eckigen Klammern dem Zitat unmittelbar nachgestellt werden. Alle in einer Arbeit verwendeten Siglen werden in einem Siglenverzeichnis am Ende der Arbeit bei vollständiger Notation des betreffenden Titels aufgelöst. Beispiel: B = Thomas Mann: Große kommentierte Frankfurter Ausgabe. Werke – Briefe – Tagebücher. Hg. von Heinrich Detering u. a. Bd. 1.1: Buddenbrooks. Verfall einer Familie. Hg. u. textkritisch durchges. von Eckhard Heftrich unter Mitarb. von Stephan Stachorski u. Herbert Lehnert. 2. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer 2002.

9.3.3.2 ZITIEREN VON SEKUNDÄRTEXTEN Sekundärtexte (und selten zitierte Primärtexte) werden durch eine dem direkten oder indirekten Zitat nachgestellte Fußnote nachgewiesen Fußnoten sind leserfreundlicher und daher Endnoten vorzuziehen. Es empfiehlt sich hierbei, Kurztitel zu verwenden; dafür gibt es zwei Möglichkeiten: a) Verfassername: verkürzter Titel, S. XY. Marx: Christusfigurationen, S. 100. b) Verfassername (Jahr), S. XY. Marx (2002), S. 100. Bei der Erstnennung eines Titels in Fußnoten kann dieser dort vollständig nachgewiesen werden. Dabei steht der Vorname vor dem Verfassernamen, da eine Alphabetisierung hier nicht erforderlich ist. Bei einer solchen Erstnennung kann auf die Verwendung eines Kurztitels hingewiesen werden – z. B. in der Form „nachfolgend als Marx: Christusfigurationen“

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oder „im Weiteren als Marx: Christusfigurationen“. In jedem Fall aber muss der Titel im Literaturverzeichnis vollständig angegeben werden. Die Abkürzung „ebd., S. XY“ kann nur dann verwendet werden, wenn die Angabe sich auf die unmittelbar vorhergehende Fußnote bezieht. Auf die Abkürzung „a.a.O.“ (am angegebenen Ort) sollte verzichtet werden. Fußnoten werden wie Sätze behandelt; sie beginnen daher stets in Großschreibung und werden durch einen Punkt geschlossen.

9.3.4 Gebräuchliche Abkürzungen Aufl. Bd. Bde. Ders. Dies. ebd. f. ff.

H. Hg. hg. Hrsg. hrsg. S. vgl.

Auflage; oft in Kombination mit weiteren Abkürzungen (z. B. durchges. = durchgesehene, erg. = ergänzte, erw. = erweiterte, aktualis. = aktualisierte, überarb. = überarbeitete) Band Bände Derselbe (bezieht sich auf den Autor, der zu Beginn einer bibliographischen Angabe bereits genannt wurde) Dieselbe (bezieht sich auf die Autorin, die zu Beginn einer bibliographischen Angabe bereits genannt wurde) ebenda; am Anfang einer Anmerkung (Fußnote) stets in Großschreibung folgende [Seite] (meint nur eine Seite, die folgt); steht hinter der Seitenzahl, z. B. „S. 5 f.“ folgende [Seiten] (meint mehrere Seiten, die folgen); steht hinter der Seitenzahl, z. B. „S. 5 ff.“; transparenter als diese Abkürzung ist allerdings der korrekte Nachweis der ersten und letzten Seite des Abschnitts, auf den sich die Angabe bezieht (z. B. „S. 5–8“) Heft Herausgeber/Herausgeberin; herausgegeben (… Hg. von ...) herausgegeben Herausgeber/Herausgeberin; herausgegeben (… Hrsg. von ...) herausgegeben Seite vergleiche; am Anfang einer Anmerkung (Fußnote) stets in Großschreibung; „vgl.“ wird verwendet, wenn indirekte, also nicht wörtliche Zitate (Paraphrasen, gedankliche Übernahmen) nachgewiesen werden

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9.3.5 Übungen zum Bibliographieren Erstellen Sie korrekte bibliographische Angaben für Literaturverzeichnisse und geben Sie an, wie Sie die einzelnen Texte ökonomisch in Fußnoten nachweisen könnten. (Diese Übungen dienen Ihnen zur Vorbereitung auf das für Ihre späteren Referate und Hausarbeiten vorausgesetzte korrekte Nachweisen von Literatur; in der Klausur zur Einführung NdL I wird dies nicht eigens abgeprüft.) a. Im Jahr 2006 erschien im in Marburg ansässigen Verlag LiteraturWissenschaft.de eine zwei Bände umfassende Studienausgabe mit Dokumenten von Gabriele Reuters Roman Aus guter Familie. Leidensgeschichte eines Mädchens. Die Herausgeberin ist Katja Mellmann. Band I der insgesamt zwei Bände umfassenden Ausgabe liefert den Text, Band II Dokumente. (Geben Sie die bibliographische Angabe für die Ausgabe insgesamt und für jeden Band einzeln an.) b. Auf den Seiten 72–81 des dritten Bandes der Stuttgarter Ausgabe der Werke Gottfried Benns findet sich der Erzähltext Diesterweg aus dem Jahre 1917. Die in Verbindung mit Ilse Benn von Gerhard Schuster herausgegebene siebenbändige Werkausgabe ist überschrieben mit Sämtliche Werke, der dritte Band trägt den Titel Prosa 1. 1910–1932. Der Band ist 1987 erschienen, und zwar beim in Stuttgart beheimateten Verlag Klett-Cotta, der der Ernst Klett Verlage GmbH u. Co. KG angehört. c. 2004 erschien im A. Francke Verlag, der in Tübingen und Basel ansässig ist, das Lehrbuch Literaturtheorie. Theoretische und methodische Grundlagen der Literaturwissenschaft. Der Autor des Buches ist Oliver Jahraus, der seinerzeit Privatdozent an der Universität Bamberg war und mittlerweile als Professor den Lehrstuhl für Neuere deutsche Literatur und Medien an der LMU in München innehat. Sein Lehrbuch zur Literaturtheorie erschien als UniTaschenbuch 2587. d. Der Verlag J.B. Metzler, der in Stuttgart und Weimar ansässig ist, publizierte 1997 als Band 246 der Sammlung Metzler die vierte Auflage von Terry Eagletons Einführung in die Literaturtheorie. Diese Auflage stellt eine Erweiterung und Aktualisierung der früheren dar. Die Übersetzung aus dem Englischen besorgten Elfi Bettinger und Elke Hentschel. e. Im Jahr 2005 erschien im 5. Heft des 59. Jahrgangs von Psyche. Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen ein Aufsatz mit folgendem Titel: „Eßstörungen“ – Goethes Wahlverwandtschaften als Krankengeschichte gelesen. Die Verfasserin ist Ulrike Prokop. Der Aufsatz befindet sich auf den Seiten 395– 430. f. Auf den Seiten 410–413 des Sammelbandes Ich esse deine Suppe nicht. Psychoanalyse gestörten Essverhaltens. Ambulante Behandlungen und theoretische Konzepte, den Ulrike Jongbloed-Schurig herausgegeben hat, befindet sich folgender Beitrag der Herausgeberin: Gedanken zu Kafkas Hungerkünstler. Der Band erschien 2006 im in Frankfurt am Main ansässigen Verlag Brandes & Apsel. g. Friedbert Aspetsberger und Gerda E. Moser gaben 2005 einen Sammelband mit dem Titel Leiden … Genießen. Zu Lebensformen und -kulissen in der Gegen-

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wartsliteratur heraus. Es handelt sich hierbei um Band 16 der Schriftenreihe Literatur des Instituts für Österreichkunde. Darin ist auf den Seiten 185–200 der Aufsatz Vom Nährwert der Sprache. Hungerkünstlerinnen in Texten von Galvagni, Flöss, Freud und Hofmannsthal von Renate Langer enthalten. Der Band erschien 2005 im StudienVerlag in Innsbruck. h. Im Heft 1/2 ihres 50. Jahrgangs erschien auf den Seiten 213–237 in der Deutschen Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte ein Aufsatz von Joachim Wich mit folgendem Titel: Groteske Verkehrung des „Vergnügens am tragischen Gegenstand“. Der Untertitel lautet: Thomas Manns Novelle Luischen als Beispiel. Das Publikationsjahr ist 1976. i. Die Zeitschrift German Quarterly veröffentlichte 1993 im vierten Heft des 66. Jahrgangs auf den Seiten 510 bis 523 folgenden Aufsatz von Thomas A. Kamla: Thomas Mann’s Gefallen: „États d’âme“ and the Bahrian New Psychology. j. Wulf Segebrecht, emeritierter Professor der Universität Bamberg, hat gemeinsam mit Hartmut Steinecke unter dem Titel Sämtliche Werke in sechs Bänden eine E.T.A.-Hoffmann-Ausgabe herausgegeben. Als fünfter Band erschien darin Die Lebensansichten des Katers Murr. Herausgeber dieses Bandes, des zugleich 75. Bandes der Reihe „Bibliothek deutscher Klassiker“, ist Hartmut Steinecke. Die Werkausgabe wurde 1992 vom in Frankfurt am Main ansässigen Deutschen Klassiker Verlag publiziert. k. 2004 erschien Horst Bredekamps Aufsatz „Die wilde Üppigkeit der Natur“. Stricklands Karten und Darwins Kreise der Arten im Hartmut Böhme zum 60. Geburtstag gewidmeten Sammelband [Auslassungen]. Leerstellen als Movens der Kulturwissenschaft. Der genannte Text ist dem Kapitel „III. Abundanzen“ zugeordnet und befindet sich auf den Seiten 341 bis 353. Natascha Adamowsky und Peter Matussek gaben den Band im Verlag Königshausen & Neumann, der in Würzburg seinen Sitz hat, heraus. l. Johann Gottfried Herders Werke liegen in einer zehn Bände umfassenden Ausgabe des in Frankfurt am Main ansässigen Deutschen Klassiker Verlags vor. Im von Hans Dietrich Irmscher herausgegebenen Band 8 – Schriften zu Literatur und Philosophie 1792-1800 – findet sich auf den Seiten 203 bis 219 der Text Über die menschliche Unsterblichkeit. Der Band erschien 1998.

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9.4 Hinweise zur Gestaltung von Seminararbeiten 9.4.1 Inhaltliche Gestaltung Die Seminararbeit soll eine literaturwissenschaftliche Arbeit sein, kein Essay, keine Literaturkritik. Sie ist in der Regel an keine bestimmte literaturwissenschaftliche Methode gebunden; die Argumentation sollte jedoch stets methodisch im Sinne von ‚rational nachvollziehbar‘ sein. Wichtiges Kennzeichen einer Argumentation ist das Argumentations- oder Beweisziel. Die Arbeit sollte deshalb frühzeitig deutlich machen, worauf sie hinaus will. Die Themenstellung soll das Thema klar umreißen und von anderen möglichen Themenstellungen abgrenzen. Sie sollte eine stringente und konsistente Entfaltung des Themas ermöglichen und entsprechend auch nur auf ein Problem/eine Frage, nicht auf mehrere Probleme/Fragen abzielen. Eine präzise Themenstellung hilft zudem bei der Literaturrecherche und bei der Strukturierung des Materials (Analyseaspekte, -ergebnisse, vorliegende Forschung zum Thema, Unterlagen generell etc.). Damit bleiben auch das Arbeitsmaterial und der Argumentationsgang überschaubar. Die Themenstellung gibt üblicherweise nicht der Dozent/die Dozentin vor, Sie müssen sie aber in jedem Fall mit ihm/ihr absprechen. In der Arbeit sollten Sie nicht biographisch oder psychologisch in Bezug auf den Autor/die Autorin argumentieren. Auch rhetorische Tricks, die die Argumentation ersetzen (z. B. „selbstverständlich“, „natürlich“, „leicht einsehbar“ usw.) und ins Apodiktische führen, sollten Sie vermeiden. Inhaltsangaben zu den untersuchten literarischen Texten gehören ebenfalls nicht in die Arbeit. Zum Aufbau: Die Gliederung (Inhaltsverzeichnis) sollte den Argumentationsgang widerspiegeln; die Abschnitte sollten weder unter- noch überstrukturiert sein (nicht zu wenige, nicht zu viele Ebenen; nicht einfach nur „Einleitung“, „Hauptteil“, „Schluss“ als Kapitelüberschriften, sondern zumindest im Hauptteil weitere Gliederungsebenen und inhaltliche Kapitelüberschriften). Die Gliederungspunkte und -ebenen sollten (alpha-)numerisch fixiert werden. In der Einleitung sollte die Themen- und Fragestellung vorgestellt, kurz entwickelt und begründet werden; die Herangehensweise sollte dargestellt und die Ziele sowie ggf. die Hypothesen der Arbeit sollten vorab genannt werden. Der Hauptteil enthält die eigentliche Untersuchung bzw. Textanalyse. Der Schlussteil sollte die Ergebnisse der Arbeit zusammenfassen und kritisch sichten. Halten Sie sich den Unterschied zwischen Befunden (z. B. Beobachtungen am untersuchten Gegenstand) und Würdigung/Bewertung eines Befunds (z. B. Deutung, Einordnung, Bezug, Funktionalisierung) im Bewusstsein. Die Arbeit sollte nicht nur aus einer Reihe von Befunden bestehen. Wenn Sie beispielsweise erzählerische Strukturen eines Textes analysieren, sollten Sie sich auch fragen, welche Effekte aus den zu beobachtenden erzählerischen Aspekten folgen, welche Funktion sie haben, wie man sie deuten könnte usw.

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9.4.2 Formale Gestaltung 9.4.2.1

STIL

Die Regeln der Grammatik, Orthographie und Interpunktion, insbesondere der Kommasetzung, müssen unbedingt beachtet werden. Darüber hinaus sollte sich die Arbeit auch durch rhetorische perspicuitas (Klarheit, Durchschaubarkeit) auszeichnen. Es empfiehlt sich, bei der Korrektur den Duden, vor allem Bd. 1 (Die deutsche Rechtschreibung), aber auch Bd. 9 (Richtiges und gutes Deutsch) zu konsultieren. Die Sprache des Primärtextes (Objektsprache) und die Sprache, die Sie in der Arbeit verwenden (Metasprache), sollten grundsätzlich verschieden sein. Sie sollten keineswegs den Stil des behandelten Textes adaptieren. Die Paraphrase von Forschungsliteratur sollte dem Stil der eigenen Arbeit angepasst werden. Der wissenschaftliche Sprachstil ist im Grunde ein einfacher (stilus humilis/genus humile), da Sie rhetorisch den logos ansprechen und eine These beweisen (probare) möchten (vgl. das Kapitel zur Rhetorik in diesem Skript). Sie sollten entsprechend sachlich, syntaktisch komplexer als in der Alltagssprache (nicht nur parataktisch) – aber nicht überkomplex – und in angemessener wissenschaftlicher Terminologie schreiben. Umgangssprache oder Manierismen verbieten sich. 9.4.2.2 NACHWEIS VON PRIMÄR- UND SEKUNDÄRLITERATUR Für jede aus der Forschung übernommene Idee, für jeden übernommenen Ansatz, für jede fachliche Information, für jedes Zitat muss die Quelle angegeben werden. Diese Nachweise stehen in der Regel in Fußnoten. Sie können die Fußnoten auch für weitere Bemerkungen oder Informationen nutzen, ausgreifende Nebenargumentationen in den Fußnoten sollten Sie allerdings vermeiden. Für häufig zitierte Primärtexte sollten Sie zum Nachweisen Siglen verwenden. Detaillierte Informationen zum Bibliographieren und Zitieren finden Sie weiter oben. 9.4.2.3 SCHRIFTBILD Ein genügend großer Rand für Korrekturanmerkungen ist notwendig; empfehlenswert sind jeweils 3 cm Rand oben, unten, links und rechts. Für bessere Lesbarkeit sollte eine Serifenschrift (z. B. Times New Roman, Garamond) verwendet werden. Die Seitenzählung beginnt beim Inhaltsverzeichnis, paginiert wird aber erst ab Seite 2.

9.4.3 Zeitplanung Die Arbeit sollte während der Vorlesungszeit oder unmittelbar im Anschluss daran geschrieben werden. Hilfreich ist folgender Zeitplan: ca. eine Woche für das Recherchieren und Einlesen, zwei Wochen zum Konzipieren und Schreiben, eine Woche für Endredaktion und Korrektur. In der NdL haben Sie für eine Seminararbeit ab der Themenvereinbarung jeweils drei Monate Zeit bis zur Abgabe (s. Modulhandbücher).

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9.4.4 Kontrollfragen vor der Abgabe der Seminararbeit -

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-

Habe ich bereits eine vollständige Argumentation entfaltet? Fehlt noch etwas, ist ein Teil überflüssig und nicht in den gesamten Argumentationsgang integriert? Ist jeder Schritt nachvollziehbar, sind alle für das Verständnis notwendigen Voraussetzungen expliziert? Werden irrelevante Aspekte aufgeführt? Ist das Literaturverzeichnis vollständig, enthält es also alle Titel, auf die ich mich in der Arbeit direkt oder indirekt beziehe? Habe ich alle Titel, die im Literaturverzeichnis stehen, auch tatsächlich für die Untersuchung verwendet (s. Fußnoten)? Stimmt die bibliographische Notation? Habe ich den Text hinsichtlich der Orthographie, Grammatik, Interpunktion und des sprachlichen Textzusammenhangs überprüft? Enthält das Deckblatt alle wichtigen Informationen: o Name von Universität, Fakultät und Lehreinrichtung, o Titel des Seminars, o Name des Dozenten/der Dozentin, o Semester, in dem das Seminar stattfand, o Titel der Seminararbeit, o meinen Namen, meine Matrikelnummer, Studiengang, Fächerkombination, Fachsemesterzahl, Kontaktdaten? Folgt der eigentlichen Seminararbeit eine Erklärung, in der ich versichere, dass ich die Arbeit eigenständig verfasst, alle verwendeten Quellen korrekt angegeben und verzeichnet und die Arbeit nicht bereits für einen anderen Leistungsnachweis eingereicht habe?

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9.5 Wiederholungsaufgaben zum Wissenschaftlichen Arbeiten 1. Was unterscheidet Primär- und Sekundärliteratur? 2. Was sind selbständige, was unselbständige Publikationen? 3. Was versteht man unter einer abgeschlossenen Bibliographie, was unter einer periodischen? Nennen Sie je zwei Beispiele (korrekte Titel). 4. Was meint der Begriff „Referat“ im Zusammenhang mit Bibliographien? Wo können Sie derartiges finden? 5. Warum empfiehlt es sich, nach aktueller Sekundärliteratur zu deutschsprachiger Literatur nicht nur in der MLA International Bibliography-Datenbank zu suchen? Welche weiteren Bibliographien können Sie heranziehen (mindestens zwei Titel)? 6. Zu welchen literaturwissenschaftlich relevanten Themen/Gegenständen gibt es literaturwissenschaftliche Lexika (mindestens vier Themengebiete)? 7. Sie suchen Informationen zu einem Autor/einer Autorin und dessen/deren Werk, außerdem bibliographische Angaben zu seinen/ihren Publikationen sowie zu entsprechender Sekundärliteratur. Welcher Recherchequellen können Sie sich bedienen (mindestens fünf konkrete Nachschlagewerke/Recherchequellen)? 8. Sie möchten den Begriff „episches Theater“ klären. Wo können Sie ihn nachschlagen, wo können Sie zum Thema recherchieren (mindestens vier konkrete Hilfsmittel)? 9. Was versteht man unter dem „Schneeballsystem“? Was sind seine Vor-, was seine Nachteile? Warum sollten Sie bei der Literaturrecherche nicht in erster Linie nach diesem System vorgehen? 10. Welche Grundprinzipien gelten beim Zitieren und bibliographischen Notieren und wozu dienen die Konventionen des wissenschaftlichen Arbeitens? 11. Unterscheiden Sie Bandnummer und Reihenbandnummer. 12. Was unterscheidet direkte und indirekte Zitate? Wie gehen Sie jeweils beim Nachweis derselben vor? 13. Wie und wann gebrauchen Sie Siglen? 14. Wie markieren Sie Auslassungen bei Zitaten? 15. Wie gehen Sie beim Zitieren mit Hervorhebungen im Original, wie mit von Ihnen vorgenommenen Hervorhebungen um? 16. Wie gehen Sie beim Zitieren mit veralteten Schreibweisen um? 17. Wie gehen Sie beim Zitieren mit offensichtlichen Fehlern im zitierten Text um? 18. Was ist im Zusammenhang mit wissenschaftlichem Schreiben mit Objektsprache und Metasprache gemeint und zu beachten?

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9.6 Übungen zum Kennenlernen der TB4, einiger Nachschlagewerke und Recherchemedien 1. Wo finden Sie was in der Teilbibliothek 4? a) allgemeine Fachliteratur (Nachschlagewerke, Monographien u. ä.) zur Sprach- und Literaturwissenschaft b) Semesterapparate – Welchen Zweck haben sie? Was finden Sie im Semesterapparat zur Einführung NdL I? c) Lehrbuchsammlung (Kennzeichen 43) d) aktuelle nationale und internationale Zeitungen e) neueste und deshalb noch ungebundene Hefte/Nummern germanistischer Fachzeitschriften f) schon gebundene Hefte/Bände/Nummern germanistischer Fachzeitschriften g) Bibliographie der deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft (zwei Angaben) 2. Welche Recherchemöglichkeiten für literaturwissenschaftliche Fachliteratur bietet die Teilbibliothek 4 in gedruckter Form und digital? Nennen Sie jeweils mindestens fünf gedruckte Nachschlagewerke und digitale Medien (Titel!). 3. Welche Recherchemöglichkeiten (Such- und Bestellfunktionen, Zusatzfunktionen) bietet speziell der OPAC? 4. Warum genügt die OPAC-Recherche nicht? 5. Was ist das Datenbankinfosystem (DBIS)? 6. Was ist die EZB? Was ist die IBZ? Was davon ist kein Medium für die Literaturrecherche, sondern im Grunde nur ein digitales ‚Regal‘? 7. Worüber informiert Blinns Informationshandbuch Deutsche Literaturwissenschaft (mind. zehn Aspekte)? 8. Welche Informationen können Sie dem Informationshandbuch Deutsche Literaturwissenschaft zu folgenden Nachschlagewerken bzw. Institutionen entnehmen? a) Bibliographisches Handbuch der deutschen Literaturwissenschaft b) Bibliographie der deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft c) MLA International Bibliography of Books and Articles on the Modern Languages and Literatures d) Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur e) Romantik-Handbuch f) Deutsches Wörterbuch (von Jacob und Wilhelm Grimm) g) Schiller-Nationalmuseum und Deutsches Literaturarchiv (Marbach) h) Deutsches Literaturinstitut Leipzig i) Literarisches Colloquium Berlin j) Georg-Büchner-Preis

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9. Wie sind die Artikel im Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft i. d. R. aufgebaut? Lesen Sie exemplarisch den Eintrag zum Lemma Poetik. 10. Welche Informationen können Sie Kindlers Literatur-Lexikon (Datenbankzugriff über UB!) zu JOHANN CHRISTOPH GOTTSCHEDS Drama Sterbender Cato entnehmen? 11. Wie sind die Einträge zu den einzelnen Autoren/-innen im Kritischen Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur (Datenbankzugriff über UB!) aufgebaut? Lesen Sie exemplarisch den Eintrag zu SIBYLLE BERG. 12. Wie ist das Quellenlexikon zur deutschen Literaturgeschichte aufgebaut? Wie schlagen Sie darin z. B. Sekundärliteratur zu THOMAS MANNS Der Kleiderschrank nach?

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9.7 Editionsphilologie 9.7.1 Theoretisch-methodische Grundlage: Positivismus Angesichts der wachsenden Bedeutung der Naturwissenschaften etablierte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die positivistische Literaturwissenschaft, die das Fach bis ins frühe 20. Jahrhundert prägte. Als Gegenbewegung zu den Grundauffassungen und Erkenntniszielen von Theologie und Metaphysik und nach naturwissenschaftlichem Vorbild orientierte sich der Positivismus an beobachtbaren Fakten. Es ging nicht darum, Dinge (spekulativ) in und aus ihrem Inneren zu verstehen, sondern die Gegenstände zunächst objektiv in ihrer Erscheinung zu erfassen – zu beobachten also –, exakt zu beschreiben, Zusammenhänge zu rekonstruieren und dem Kausalitätsprinzip folgende, überprüfbare (also auch die analoge Wiederholbarkeit der Verfahren gewährleistende) Gesetzmäßigkeiten zu identifizieren. Vorbildhaft hierfür waren die Arbeiten des französischen Soziologen AUGUSTE COMTE (1798–1857). Der französische Historiker und Philosoph HIPPOLYTE TAINE (1828–1893) applizierte das positivistische Paradigma insofern auf die Literatur, als er von einer Determiniertheit literarischer Texte durch biologische, soziale und historische Bedingungen ausging. Der Hauptvertreter der deutschen positivistischen Literaturwissenschaft WILHELM SCHERER (1841–1886) formulierte in vergleichbarer Weise einen Zusammenhang zwischen dem ‚Erlebten, Ererbten und Erlernten‘ und der Literatur; nur die Kenntnis der Biographie von Autor oder Autorin, der Produktionsumstände und ggf. der Quellen ermögliche die Erkenntnis eines Werkes. Die Praxis der positivistischen Literaturwissenschaft bestand entsprechend vor allem in der sog. biographischen Methode (Biographismus) sowie in der Quellenforschung. Es entstanden u. a. umfangreiche Autorenbiographien, anhand derer die literarische Produktion nachvollzogen wurde und kausale Rückschlüsse auf literarische Werke ermöglicht werden sollten. Besonders hervorzuheben sind die nachhaltigen Verdienste der positivistischen Literaturwissenschaft im Bereich der Textkritik und Edition. So wurden nach wissenschaftlichen Verfahren Werkausgaben mit kritischen Texten, Kommentaren und Informationen zu Quellen und der Wirkung literarischer Werke erarbeitet. Die akribische, um Vollständigkeit bemühte Sammel- und Archivierungstätigkeit brachte außerdem hilfreiche Lexika hervor und beförderte Forschungen im Bereich der Stoff- und Motivgeschichte.

9.7.2 Edition und Editionsphilologie Die Edition gehört neben der Interpretation und Literaturgeschichtsschreibung zu den grundlegenden Aufgabengebieten der Literaturwissenschaft. Sie bezeichnet den Gesamtprozess, mit dem literarische Texte in textkritisch begründeter Form dem Lese- und vor allem dem Fachpublikum zur Verfügung gestellt werden. Die Editionsphilologie ist jener Bereich innerhalb der Literaturwissenschaft, der mit den wissenschaftlichen Prinzipien der Edition befasst ist.

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9.7.3 Textkritik Die Textkritik bezeichnet den Katalog von Verfahrenstechniken, die bei der Edition angewendet werden. Ihre grundsätzliche Aufgabe liegt darin, zu klären, welche Fassung vom Autor/von der Autorin intendiert war, und diese ggf. zu rekonstruieren. Ein Grundproblem für die Edition kann in der unzuverlässigen Überlieferung eines Textes bestehen, also darin, dass verschiedene Fassungen eines Textes aufgrund verschiedener Varianten oder Lesarten vorliegen. Varianten sind vom Autor/von der Autorin selbst erzeugte Abweichungen in der Textgestalt; Lesarten sind vom Autor/von der Autorin unabhängige Veränderungen eines Textes, die im Prozess der Überlieferung oder Verbreitung in den Text gelangt sind. Zu unterscheiden sind zudem autorisierte von nicht-autorisierten Fassungen und in diesem Zusammenhang im Bereich der gedruckten Texte insbesondere auch Originaldrucke von Nachdrucken, Raubdrucken oder Doppeldrucken.55 Im Zuge der Veränderungen der Textgrundlage bei der Überlieferung und Verbreitung etwa vom ‚handschriftlichen‘ Manuskript über Drucke bis hin zur Textdatei (Textträger) hat sich auch die Ausgangslage der Textkritik gewandelt. Zu den wichtigsten Verfahrenstechniken und Arbeitsschritten der Textkritik gehören: die Heuristik: das Auffinden möglichst aller unterschiedlichen Überlieferungsträger eines Textes mitsamt den Textzeugen; ggf. die Transkription handschriftlicher Texte; die Recensio (von lat. recensere ‚mustern‘): die kritische Sichtung aller erreichbaren und erschlossenen Überlieferungsträger eines Textes; ggf. die Erstellung eines Stemmas; schließlich die Auswahl einer Textgrundlage für die weitere textkritische Aufbereitung; o Stemma: Stammbaum der überlieferten Fassungen sowohl in ihrer chronologischen als auch in ihrer textuellen Abhängigkeit (Welche Fassung ist wann aufgetaucht, welche Fassung geht direkt auf welche andere Fassung zurück?)  Vom Autor/von der Autorin verantwortete und autorisierte Fassungen werden im Stemma i. d. R. mit Majuskeln (Großbuchstaben) bezeichnet, von Dritten vorgenommene Abschriften (auch wenn sie von Autor oder Autorin angeordnet worden sind) sowie nicht-autorisierte Fassungen werden mit Minuskeln (Kleinbuchstaben) angegeben.  Ein Stemma veranschaulicht den Weg zur (Re-)Konstruktion eines Archetypen, einer Überlieferungsschicht also, die von den vorliegenden Fassungen rückwärtig konstruierbar ist und von der sich wiederum die Überlieferungswege über die herangezogenen Fassungen ableiten lassen; der Archetyp (von grch. arche ‚Ursprung‘ und typos ‚Geformtes‘) ist nicht nachweislich identisch mit dem Original.

55

Solange noch kein modernes Urheberrecht existierte, waren solche Nachdrucke nicht zuletzt ein finanzielles Problem für Autoren oder auch für die von ihnen zur Vervielfältigung und Verbreitung autorisierten Verleger. Mit dem Begriff Doppeldruck sind Neuauflagen von Texten gemeint, die scheinbar satzidentisch sind, tatsächlich aber in Teilen oder komplett neu gesetzt worden sind und damit durchaus Abweichungen aufweisen können.

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Er muss dann (re-)konstruiert werden, wenn ein Original bzw. eine vom Autor autorisierte Fassung fehlt. Beispiel für ein Stemma: Stemma der Überlieferung von Gottfrieds von Straßburg Tristan nach Friedrich Ranke (in: Zeitschrift für deutsches Altertum 55 (1917), S. 404)

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die Examinatio: die kritische Überprüfung aller Textfassungen; Korrekturverfahren: o die Emendation (von lat. emendare ‚berichtigen, verbessern‘): die Berichtigung von eindeutigen Fehlern (etwa Druck-, Hör-, Schreibfehlern), die in der Recensio oder Examinatio erkannt worden sind; o die Konjektur (von lat. coniectura ‚Vermutung‘): die Wiederherstellung verlorener bzw. Ergänzung nicht mehr rekonstruierbarer Textstellen (sog. Korruptelen; z. B. nach der Zerstörung von Teilen des Trägers des zugrundegelegten Textes, durch Unleserlichkeit aufgrund von Streichungen oder

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problematischer Handschrift); sog. Crux (†) als Marker für nicht zu ersetzende („unheilbare“) Korruptelen; die Textkonstitution: die Auswahl oder Herstellung einer zu edierenden, textkritisch begründeten Textfassung (eines kritischen Textes).

Früher wurde die so genannte Ausgabe letzter Hand, also die letzte zu Lebzeiten des Autors/der Autorin gedruckte oder von ihm/ihr autorisierte Fassung, bevorzugt, weil man davon ausging, dass diese letzte Fassung gleichsam als Vermächtnis für eine textkritisch begründete Fassung gelten kann. In neuerer Zeit bevorzugt man eher die Ausgabe erster Hand (Editio princeps) nicht zuletzt bei historisch-kritischen Ausgaben, weil man davon ausgeht, dass diese Fassung gegenüber späteren Überarbeitungen literarhistorisch aussagekräftiger ist.

9.7.4 Apparat Ein Apparat im weiteren Sinne muss alle Voraussetzungen, Prozesse, Entscheidungen und Verfahrenstechniken darlegen, die zum Text einer (historisch-)kritischen Ausgabe geführt haben. Dazu enthält er: einen erläuternden Text – die editorische (Vor- oder Nach-)Bemerkung des Herausgebers/der Herausgeberin/der Herausgeber/-innen zu den Grundsätzen der Edition; ein Verzeichnis der Varianten und Lesarten (Variantenverzeichnis), in dem jeweils Varianten oder abweichende Lesarten zu einzelnen Lemmata (also Bezugswörtern) aufgeführt werden; eine Darstellung der Überlieferungsgeschichte der in der historisch-kritischen Ausgabe berücksichtigten Texte. Folgende weitere hilfreiche Bestandteile weist ein solcher textkritischer Apparat in der Regel auf: eine Darstellung der Entstehungsgeschichte des Textes (ggf. mit Dokumenten, z. B. Notizen, Schemata, Listen, Vorstudien u. ä. → sog. Paralipomena, grch. paralipomenon ‚Übergangenes, Ausgelassenes‘) und Hinweise auf vom Autor/von der Autorin benutzte Quellen oder auch Quellentexte selbst; Zeugnisse der Wirkungsgeschichte; Erläuterungen, Worterklärungen zum Text bzw. Stellenkommentar; eine Bibliographie mit allen Ausgaben des Textes zu Lebzeiten des Autors/der Autorin, späteren Ausgaben, ausgewählter Forschungsliteratur. Wichtig für die Handhabung einer Ausgabe sind zudem das Register sowie die Verzeichnisse der verwendeten Abkürzungen und Siglen. Der Apparat im engeren Sinne dient der Dokumentation der Varianten, Lesarten und Korrekturen. Vier Typen sind dabei gebräuchlich: Einzelstellenapparat: Im sog. positiven Apparat findet sich das jeweilige Lemma (Bezugswort) mit nachgestelltem Lemmazeichen ] (einer nach links geöffneten eckigen Klammer), nach dem eine oder mehrere Varianten/Lesarten stehen; im sog. negativen Apparat wird das Lemma nicht eigens noch einmal aufgeführt. Einblendungsapparat: Hier werden Varianten oder Korrekturen unmittelbar im Text verzeichnet („eingeblendet“).

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Treppenapparat: Dieser Apparattyp eignet sich besonders zur Darstellung von Korrekturen und Überarbeitungen seitens des Autors/der Autorin, indem die Chronologie solcher Änderungen treppenartig und mit aufsteigenden Ziffern- und Buchstabenfolgen angezeigt wird. synoptischer Apparat: Bei der Form der Synopse werden mehrere Textstufen zeilenweise parallelisiert – wie eine Partitur. Beispiele für die verschiedenen Arten von Apparaten finden Sie in Bodo Plachtas Editionswissenschaft. Eine Einführung in Methode und Praxis der Edition neuerer Texte. Stuttgart: Reclam 1997 (= RUB 17603); s. Semesterapparat. -

9.7.5 Ausgaben Historisch-kritische Ausgaben sind auf Vollständigkeit und größtmögliche Objektivität hin angelegt, was bedeutet, dass der Herausgeber/die Herausgeberin/die Herausgeber/innen alle seine/ihre Entscheidungen, die die Edition betreffen, als solche kennzeichnen und darüber hinaus auch erläutern muss/müssen. Historisch sind solche Ausgaben insofern, als sie die Genealogie der Textentstehung und der Textüberlieferung rekonstruieren und deutlich machen, auf welche historischen Stufen der Textgeschichte sie sich stützen; kritisch sind solche Ausgaben im Sinne der Textkritik, weil sie aus den Arbeitsschritten der Textkritik hervorgegangen sind. Wesentliches Kennzeichen historisch-kritischer Ausgaben ist ihr umfangreicher textkritischer Apparat (s. o.). Studienausgaben stellen Texte zur Verfügung, deren Edition wissenschaftlich fundiert ist, die also kritische Texte sind, und geben Rechenschaft über die Textentstehung und Textüberlieferung; sie enthalten bisweilen Dokumente zur Wirkungsgeschichte, Bibliographien, Forschungsberichte, Kommentare, Erläuterungen, Interpretationen, auch Darlegungen zum Autor/zur Autorin oder zur Epoche. Insgesamt ist der Kommentarteil hier allerdings weniger umfassend als bei historisch-kritischen Ausgaben. Kritische Ausgaben, also etwa historisch-kritische Ausgaben und Studienausgaben, sind nach wissenschaftlichen Maßstäben zitierfähig, da sie kritische Textfassungen enthalten. Sie erleichtern und bereichern zudem die Arbeit mit einem Text durch die Informationen und Dokumente zum Text selbst und zu dessen Kontext im textkritischen Apparat. Lese-/reine Textausgaben enthalten kein wissenschaftliches Beiwerk und stellen lediglich den Text zur Verfügung, dem jedoch durchaus eine kritische Textfassung zugrunde liegen kann.

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9.7.6 Beispiele für die Arbeit mit kritischen Ausgaben Exemplarische Informationen aus dem Stellenkommentar zu THOMAS MANNS

Der Kleiderschrank56 193 1

Der Kleiderschrank] In ED mit Untertitel: »Eine Geschichte voller Räthsel.«

[...] 7 van der Qualen] Der sprechende Name hat einen zu allgemeinen Sinn, als dass man ihm mit Sicherheit eine bestimmte Quelle zuweisen könnte. Vorgeschlagen wurde Schopenhauers Formulierung »Welt von Qualen«, die immerhin in einem Thomas Mann vertrauten Text – Nietzsches Geburt der Tragödie § 1 (Werke I, S. 23) – als Zitat zu finden war (Vaget 1984, S. 91). [...] 17–19 morscher Kahn ... mit einer langen Stange ruderte.] Vielleicht das erste Erscheinen der Charonfigur, die im Tod in Venedig modern verkleidet eine die Hauptfigur zum Tod befördernde Rolle spielt. So ginge bereits hier die realistische in die mythische Welt über. [...] 198 22 eine Figur von Hoffmann] Dem spätromantischen Erzähler (1776-1822), den Thomas Mann spätestens seit 1897 intensiv las, (vgl. Entstehungsgeschichte S. 90). Spielerischer Umgang mit dem Konzept der HKA: Guy Helminger: Die Ruhe der Schlammkröte. Wiederentdeckt, herausgegeben und mit Anmerkungen versehen von Manuel Andrack. Mit Fotos von Ute Behrend. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2007. -

anstelle eines editorischen Vorworts „eine Dokumentensammlung aus der EMail-Korrespondenz zwischen Manuel Andrack und Guy Helminger“ (S. 9) Dokumente zur Geschichte der Punk-Kneipe STATION „Stoffgeschichte“ (Beck’s, Budweiser, Bitburger) (S. 205–207) Dokumente und Informationen zum zeit- und kulturgeschichtlichen Kontext „Der Roman mit Wort- und Sacherklärungen“ (S. 24) 118

Ein hübscher literarischer Einfall, dass Oskar von der Straßenbahn sauber dreigeteilt wird. Hat aber mit der Realität wenig zu tun. Nicht nur, dass das literarische Vorbild von Oskar putzmunter ist und sich bester Gesundheit erfreut, nein, ein Mensch, der von einer Kölner Straßenbahn dreigeteilt werden möchte, müsste ein Gardemaß von ungefähr 2 Meter 50 aufweisen. Denn die Straßenbahnen sind keine Schmalspurbahnen, sondern fahren auf der europäischen Normalspurbreite von 1,435 Meter. So, und wenn wir den Oberkörper von Oskar mit 1,435 Meter ansetzen, blieben für Beine und Kopf zusammen eine Länge von ungefähr 35 Zentimetern. Das sähe doch total blöde aus. [S. 182]

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Der Kleiderschrank. Kommentar. In: Thomas Mann: Große kommentierte Frankfurter Ausgabe. Werke – Briefe – Tagebücher. Hg. von Heinrich Detering u. a. Bd. 2.2: Frühe Erzählungen. 1893–1912. Kommentar von Terence J. Reed unter Mitarb. von Malte Herwig. Frankfurt a. M.: S. Fischer 2004, S. 89–95, hier: S. 92 f.

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Einträge zu BERTOLT BRECHTS Sonett Entdeckung an einer jungen Frau in der Großen kommentierten Berliner und Frankfurter Ausgabe Bertolt Brecht Entdeckung an einer jungen Frau Des Morgens nüchterner Abschied, eine Frau Kühl zwischen Tür und Angel, kühl besehn Da sah ich: eine Strähn in ihrem Haar war grau Ich konnt mich nicht entschließen mehr zu gehen Stumm nahm ich ihre Brust, und als sie fragte Warum ich, Nachtgast, nach Verlauf der Nacht Nicht gehen wolle, denn so war’s gedacht Sah ich sie unumwunden an und sagte Ist’s nur noch eine Nacht, will ich noch bleiben Doch nütze deine Zeit, das ist das Schlimme Daß du so zwischen Tür und Angel stehst Und laß uns die Gespräche rascher treiben Denn wir vergaßen ganz, daß du vergehst Und es verschlug Begierde mir die Stimme57 -

Anmerkungen „Zu dieser Ausgabe“: o kein Anspruch einer HKA o Dokumentation verschiedener Textfassungen, die durch Varianten oder Druck zustande gekommen sind o enthaltene Textfassungen anhand vorliegender Drucke und des Nachlasses überprüft o Eingriffe in die Orthographie und die Interpunktion entsprechend den seinerzeit geltenden Regeln und mit Blick auf Spezifika Brechts

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Registerband (= Bd. 30) → verweist zu Entdeckung an einer jungen Frau auf Bd. 13 (darin Text und Kommentar) und Bd. 28 (= Briefe 1. Briefe 1913– 1936) der Werkausgabe

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Kommentar zu Entdeckung an einer jungen Frau in der Werkausgabe (Brecht: Werke, Bd. 13, S. 514): 312,1 Entdeckung an einer jungen Frau]1 T2: Typoskript. E: Um 1925. Die Textgrundlage weist, außer dem Doppelpunkt in Zeile 4, keine Zeichensetzung auf. Das Gedicht steht in der Tradition der mittelalterlichen „niederen“ Minnelyrik, dem „Tagelied“:3 es schildert Abschied und Trennung zweier Liebender nach einer (unerlaubten) Liebesnacht im Morgengrauen (in der Regel weckt ein Wächter das unverheiratete Paar, um es vor der Entdeckung zu bewahren). Das Sonett3 gehört in den Umkreis der Augsburger Sonette4 (Band 11) und sollte vermutlich mit ihnen zusammen gedruckt

57

Entst. 1925. Bertolt Brecht: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. 30 Bde. (in 32 Teilbänden) u. ein Registerband. Hg. von Werner Hecht u. a. Bd. 13: Gedichte 3. Gedichte und Gedichtfragmente 1913– 1927. Bearb. von Jan Knopf u. Brigitte Bergheim. Berlin/Weimar: Aufbau; Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1993, S. 312.

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werden. Brecht versieht das Typoskript mit der Anweisung: „Hauptwörter natürlich groß!“ ] = Lemmazeichen T = Textgrundlage (Textträger) 3 Hinweise auf Gattungstraditionen (→ Erfüllung oder Brechung von Gattungsschemata?) 4 Werkzusammenhang 1 2

-

Bd. 28, Briefe 1: Entdeckung an einer jungen Frau im Kommentar zu einem Brief an HELENE WEIGEL erwähnt An Helene Weigel, Augsburg, Mitte/Ende Juni 1925 Liebe Helli, es ist schwer, zu schreiben, wenn man in einen ganzen Sumpf von Verdrossenheit geraten ist. Ich habe unendlichen Ärger mit dem Auto gehabt [...] Hier habe ich mit viel Nikotin wenige Sonette1 hergestellt. Die Langeweile ist entsetzlich und dabei hält mich ein katastrophaler Geldmangel von allem ab [...]58 rhetorisch antithetisch gestaltet („mit viel Nikotin wenige Sonette“) → Selbstinszenierung 1

→ Informationen zu den Lebensumständen, in denen das Gedicht vermutlich entstanden ist; für positivistische biographische Methode brauchbar, für Arbeit nach anderen Theorien und Methoden nicht unbedingt sinnvoll -

Zum Lemma „Sonette“ aus dem genannten Brief an HELENE WEIGEL heißt es im Kommentar in Bd. 28 (S. 647): 229, 21 Sonette] Um diese Zeit entstehen u.a.: Sonett, Die Opiumraucherin, Sonett über schlechtes Leben, Entdeckung an einer jungen Frau, Forderung nach Kunst, Sonett für Trinker und Sonett vom Sieger (Band 13). → Werkkontext; Hinweis auf Texte, die etwa zeitgleich zu Entdeckung an einer jungen Frau entstanden sind; diese Texte wiederum finden sich in der Werkausgabe im Band 13.

58

Bertolt Brecht: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. 30 Bde. Hg. von Werner Hecht u. a. Bd. 28: Briefe 1. Briefe 1913–1936. Bearb. von Günter Glaser. Berlin/Weimar: Aufbau; Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1998, S. 229.

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Otto-Friedrich-Universität Bamberg Einführung Neuere deutsche Literaturwissenschaft I Stand: April 2014

9.7.7 Zur Wiederholung und Übung 1. Was erforscht(e) und erarbeitet(e) die positivistische Literaturwissenschaft (mindestens vier Aspekte)? 2. Worin unterscheidet sich der Positivismus grundsätzlich von hermeneutischen Ansätzen? 3. Differenzieren Sie die Begriffe Edition, Editionsphilologie und Textkritik. 4. Differenzieren Sie Leseausgabe, Studienausgabe und historisch-kritische Ausgabe. 5. Warum empfiehlt es sich, bei der Anfertigung einer Hausarbeit eine kritische Ausgabe zu verwenden? 6. Was bedeutet es, wenn ein Text in editionsphilologischem Zusammenhang als kritisch bezeichnet wird? Durch welche Schritte und Techniken erhält man einen kritischen Text? 7. Mit welchen Fragen und Problemen können Editoren/-innen konfrontiert sein? 8. Was ist unter folgenden Begriffen zu verstehen: autorisierte vs. nicht-autorisierte Fassung -

Stemma

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Lemma und Lemmazeichen

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Variante vs. Lesart

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Archetyp (vs. Original)

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Apparat i. e. S. vs. Apparat i. w. S. (textkritischer Apparat)

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Synopse

9. Was ist ein Stellenkommentar? 10. Was ist ein Textträger? Nennen Sie drei Beispiele. 11. Was ist die Ausgabe letzter Hand, was die Ausgabe erster Hand? Welche Ausgabe wird heute von Editoren bevorzugt und wie lässt sich dies begründen? 12. Welche Beziehungen der Erzählung Der Kleiderschrank zu anderen Texten THOMAS MANNS sowie zu Texten anderer Autoren verzeichnet der Kommentarband für die Frühen Erzählungen (FE/K) THOMAS MANNS in der Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe (Bd. 2.2, s. Semesterapparat)? 13. Schauen Sie sich genauer an, wie der Anhang in FE/K (S. 511–601) aufgebaut ist. Welche nützlichen Informationen können Sie daraus entnehmen? 14. Welche Arten von Informationen bzw. Informationen worüber verzeichnet FE/K in den Stellenkommentaren zu den Erzählungen THOMAS MANNS? 15. Schauen Sie sich die von MANUEL ANDRACK herausgegebene Ausgabe des Romans Die Ruhe der Schlammkröte von GUY HELMINGER an (s. Semesterapparat). Welche Elemente historisch-kritischer Ausgaben werden darin (parodistisch) aufgegriffen?

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