38 OLG Oldenburg

Unterbringung

1. Ein an chronisch-persistierender Hepatitis B erkrankter Krankenhauspatient kann unter bestimmten Umständen nicht als Infektionsquelle in Betracht kommen. In einem solchen Fall ist eine vollkommene Absonderung medizinisch nicht angezeigt. 2. Auch nach den amtlichen Veröffentlichungen des Bundesgesundheitsamtes sind Personen mit HBs-Antigen-Trägerstatus ausdrücklich zu Gemeinschaftseinrichtungen zugelassen. 3. Strengere Hygienemaßnahmen sind nur bei Hepatitis-A-Virusinfektionen geboten. (Leitsätze der Herausgeber) OLG Oldenburg, Urteil vom 12. Juni 1990 – 5 U 160/89 – Rechtsquellen:

BGB §§ 823, 249, 847

Entscheidungsstichworte:

Hepatitis B – Inkubationszeit – Isolierung – Dokumentation – Beweiserleichterung – Anscheinsbeweis

Tatbestand Die Kl. begehrt Ersatz für immaterielle Schäden und Feststellung der Ersatzpflicht für Zukunftsschäden, die sie aus einer Gelbsuchterkrankung während eines stationären Heilungsaufenthaltes im Krankenhaus (...)1 der Bekl. zu 1) (künftig: Krankenhaus) herleitet, bei der die Bekl. zu 2) als Oberärztin und die Bekl. zu 3) als Stationsärztin beschäftigt waren. Vom 19. 6. bis 30. 7. 1986 war die Kl. in dem Krankenhaus wegen Erkrankung der Atemwege stationär behandelt worden. Auf ihrer Station war zuvor bereits das Kind (...) (künftig: A.) aufgenommen worden, bei der aufgrund einer Hepatitisuntersuchung vom 9. 6. 1986 spätestens am 18. 6. 1986 ein positiver Befund bezüglich einer Hepatitis-B-Erkrankung feststand. Die im Rahmen einer Umgebungsuntersu1

Initialen aus der zugrundeliegenden Kopie des Urteils nicht ersichtlich.

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chung auch bei der Kl. erfolgte Blutentnahme vom 9. 7. 1986 führte am 25. 7. 1986 zu einem positiven Befund bezüglich einer Hepatitis-B-Erkrankung, die am 29. 7. 1986 erstmals leicht sichtbar wurde. Im Anschluß an ihre Entlassung wurde die Kl. bis zum 11. 9. 1986 in der Universitätskinderklinik (...) auf der Isolierstation behandelt. Die Kl. hält das Krankenhaus für verantwortlich, daß sie sich bei A. angesteckt habe und befürchtet Folgeschäden in Zusammenhang mit einer möglicherweise weiteren jahrelangen ambulanten Behandlung und Überwachung, chronischen Krankheitsentwicklung und bestehenden Gefahr einer starken Leberschädigung. Dazu hat sie vorgetragen: A. habe vollständig isoliert werden müssen. Infolge unzureichender Hygienemaßnahmen und einer am 22. 6. 1986 erlittenen ungenügend verbundenen offen Fleischwunde habe sie sich bei A. infiziert.

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38 Unterbringung Die Kl. hat beantragt, 1. die Bekl. als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 4% Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen, 2. festzustellen, daß die Bekl. verpflichtet sind, ihr allen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihr aus der Erkrankung an Hepatitis B im Juli 1986 in dem Kinderkrankenhaus (...) noch entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger übergegangen ist. Die Bekl. haben beantragt, die Klage abzuweisen. Sie haben den Ursachenzusammenhang zwischen der Erkrankung der A. und der der Kl. bestritten. Im Krankenhaus habe sich die Kl. bereits wegen der längerwährenden Inkubationszeit nicht angesteckt. Die ergriffenen vorbeugenden Hygienemaßnahmen seien, wie auch das Gesundheitsamt bestätigt habe, nicht einmal erforderlich gewesen. Das Landgericht hat nach sachverständiger Beratung die Klage abgewiesen, weil A. als Infektionsquelle der Kl. nicht bewiesen sei. Dagegen wendet sich die Berufung der Kl., mit der sie ihr Klagebegehren in vollem Umfang weiterverfolgt. Unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens ist sie der Auffassung, daß ihr Beweiserleichterungen bishin zur Beweislastumkehr zugute kommen müssen, da bei den Bekl. verabsäumt worden sei, die für die Beurteilung des Krankheitsbildes notwendigen Befunde vor allem im Hinblick auf die Infektionsaktivitäten der A. zu erheben und diese – anonymisiert – HuR Urt. 38/Seite 2

OLG Oldenburg zu dokumentieren. Daher hätten jetzt die Bekl. darzulegen und zu beweisen, daß sich die Kl. bereits vor dem Krankenhausaufenthalt infiziert habe. Die Krankenunterlagen enthielten zudem keine Angaben über die genau eingeleiteten Hygienemaßnahmen und die Versorgung der Fleischwunde. Die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung im Krankenhaus wachse jedenfalls, da im Haus der Kl. keine Infektionsquelle zu ermitteln sei. Schließlich habe der Sachverständige im Hinblick auf die Ansteckungsrisiken die Besonderheiten eines Kinderhospitals nicht genügend gewürdigt. Die Kl. beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach den Schlußanträgen erster Instanz zu erkennen. Die Bekl. beantragen, die Berufung zurückzuweisen. Sie verteidigen unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens die angefochtene Entscheidung und weisen ergänzend darauf hin, daß infolge der allgemeinen Inkubationszeit der Anscheinsbeweis für eine Ansteckung der Kl. außerhalb des Krankenhauses spreche. Die Kl. müsse deswegen zunächst darlegen und beweisen, daß sie mit so hoher Infektionsdosis in Berührung gekommen sei, die die normale Inkubationszeit verkürze. Mangels Zustimmung der Eltern der A. hätten deren Befunddaten nicht mitgeteilt werden dürfen. Besonderer Hygienemaßnahmen bedürfe es bei chronisch persistierender Hepatitis-B-Erkrankung regelmäßig nicht. Wegen des Ergebnisses der vom Senat durchgeführten Anhörung des Sachverständigen Prof. (...) wird auf die Niederschrift vom 29. 5. 1990 verwiesen.

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38 OLG Oldenburg Von der weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 1. Halbsatz ZPO abgesehen. Entscheidungsgründe Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg, da weder ein ärztliches Fehlverhalten auf der Beklagtenseite noch die Ursächlichkeit einer unzureichenden Versorgung für die Hepatitis-BErkrankung der Kl. erwiesen ist. Für beides ist die Kl. in vollem Umfang darlegungs- und beweisbelastet. Beweiserleichterungen stehen ihr insoweit nicht zur Seite. Aus diesem Grunde kann unerörtert bleiben, ob die Kl. einen Haftungsgrund der Bekl. zu 2) und 3) bislang schlüssig dargetan hat. Nach den überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Prof. (...) gegen dessen fachliche Qualität und Unparteilichkeit keinerlei Bedenken bestehen, kann der Beklagtenseite weder vorgehalten werden, sie hätten A. nicht auf der Station mit anderen Kindern belassen dürfen, sondern vollständig isolieren müssen, noch sie hätten wenigstens bessere vorbeugende Hygienemaßnahmen ergreifen müssen. Selbst Personen, die an einer chronisch persistierenden Hepatitis B erkrankt sind, wovon der Sachverständige bei A. ausgegangen ist, können unter bestimmten Umständen als Überträger überhaupt nicht in Betracht kommen. Eine vollkommene Absonderung solcher Kranken ist medizinisch nicht angezeigt. Auch der Ausschluß von gemeinsamen Einrichtungen (Toiletten, Schlafräume 1. Lfg. HuR, 10/96

Unterbringung etc.) ist allenfalls gegenüber hier nicht anzutreffenden Risikopersonen (Schwangeren, Patienten mit gestörtem Immunsystem) in Erwägung zu ziehen. Die vom Krankenhaus angegebenen Hygienemaßnahmen waren auch in Anbetracht eines Kinderkrankenhauses in jedem Fall ausreichend, sofern es überhaupt geboten war, sie zu ergreifen. Strengere Hygienemaßnahmen sind nur bei Hepatitis-AVirusinfektionen geboten, während Personen mit chronischem HBs-Antigen-Trägerstatus nach den amtlichen Veröffentlichungen des Bundesgesundheitsamtes ausdrücklich zu Gemeinschaftseinrichtungen wie Säuglings-, Kinder-, Schülerheimen etc. zugelassen sind. Die Beklagtenseite verstieß daher auch nicht gegen den zu fordernden ärztlichen Behandlungsstandard, als sie nach Feststellung der Erkrankung A. auf der Station beließ und die Station unter Vornahme allgemein anerkannter Hygienemaßnahmen sowie von Umfelduntersuchungen weiter betrieb. Mit der erforderlichen Sicherheit (§ 286 ZPO) ist ebensowenig festzustellen, daß A. Übertragungsquelle für die Erkrankung der Kl. gewesen ist. Nach den Ausführungen des Sachverständigen, die der Senat seiner Beurteilung zugrundelegt und die für seine Überzeugungsbildung eine ausreichende Grundlage bilden, ist eine Infizierung der Kl. durch A. auch unter Berücksichtigung der sehr kurzen Inkubationszeit, von der dann auszugehen ist, zwar möglich. Dies setzt jedoch eine extrem hohe Infektionsdosis voraus, die üblicherweise durch Bluttransfusion und Seruminokulation übertragen wird und kaum durch hier allenfalls in Betracht kommende WundWund- oder Schleimhaut-Wundkontakte. Die von der Kl. angesprochenen Übertragungswege über Lebensmittel, Trinkwasser, Urin, Stuhl scheiden, sofern sie nicht HuR Urt. 38/Seite 3

38 Unterbringung mit Blut kontaminiert sind, von vornherein aus. Besonderheiten aus dem Gesichtspunkt einer Kinderklinik ergeben sich bereits deswegen nicht, weil die Kl. nach der Immumreife Erwachsenen gleichzustellen war und im übrigen ein veränderter klinischer Verlauf der Hepatitis B nur bei perinatal infizierten Neugeborenen oder sehr jungen Kindern vorkommt. Beweiserleichterungen stehen der Kl. nicht zur Seite. Ihr gegenüber hat die Beklagtenseite weder Dokumentationspflichten noch Pflichten zur medizinisch gebotenen Befunderhebung verletzt. Die Angriffe der Berufung dagegen gehen fehl. Das Krankenhaus hat bei A. wie bei der Kl. das Blut untersucht. Daß ihr insoweit Fehlleistungen anzulasten seien, ist nicht ersichtlich und wird auch von der Kl. nicht behauptet. Die Daten der A. durfte das Krankenhaus mangels Einwilligung der Eltern nicht bekanntgeben. Eine entsprechende anonymisierte Dokumentation, wie die Berufung sie in Erwägung zieht, war angesichts des Umstandes, daß nur bei einer Patientin diese Erkrankung festgestellt worden war, nicht mehr möglich. Dies war aber auch für die Behandlung der Kl. nicht erforderlich. Denn die für ihre Behandlung erforderlichen Befunde sind durch die eigene Untersuchung der Kl. erhoben und festgestellt worden. Inwieweit für ihre Behandlung zusätzlich die Infektionsdaten der A. eine Rolle spielen können sollen, vermag nicht einmal die Berufung ansatzweise aufzuzeigen und ist auch im übrigen nicht zu erkennen. Schließlich greifen auch die Wahrscheinlichkeitserwägungen der Kl. nicht, die sie aus dem Fehlen einer häuslichen Ansteckungsquelle herleitet, weil sich sonst auch ihre Geschwister angesteckt hätten. Abgesehen davon, daß solche WahrscheinHuR Urt. 38/Seite 4

OLG Oldenburg lichkeitserwägungen den gesicherten Erkenntnissen über die regelmäßigen Inkubationszeiten entgegenstehen, schenkt die Kl. den Wissenschaftsergebnissen über die epidemiologische Situation der HepatitisB-Erkrankung nicht genügend Beachtung, daß bei 0,4% bis 1% der einheimischen Bevölkerung chronische HBs-Antigen-Trägerschaft vorliegt und bei über 50% der akut Erkrankten die Infektionsquelle unbekannt bleibt. Angesichts dessen sprechen zugunsten der Kl. weder die Grundsätze des Indizienbeweises noch gar des Anscheinsbeweises. Das gilt auch unter dem von der Kl. erhobenen Vorwurf der ungenügenden Dokumentation betreffend Hygienemaßnahmen und der Wundversorgung. Routinemaßnahmen sind ohnehin nicht zu dokumentieren. Über beide Wege ist – wie durch die Ausführungen des Sachverständigen überzeugend belegt – eine Förderung der Übertragungsmöglichkeit zudem eher unwahrscheinlich. Die Anhörung des Sachverständigen Prof. (...) hat demgegenüber nichts ergeben, das eine andere Beurteilung nahelegen könnte. Auch unter Berücksichtigung der sich aus der Krankenakte ergebenden gegenüber der schriftlichen Begutachtung neuen Umstände, daß bei A. am 18. 7. 1986 das hohe Infektiosität anzeigende HBe-R/A nachgewiesen und die Wundversorgung der Kl. am Tag ihrer Beinverletzung auch vom leitenden Oberarzt der Bekl. zu 1) als nicht optimal bezeichnet worden ist, vermochte der Sachverständige mehr als die bereits im schriftlichen Gutachten festgestellte Möglichkeit der Überträgereigenschaft der A. für die Kl. nicht zu bestätigen. Das ist angesichts der für diese Krankheit verschiedenen realistischen Übertragungsmöglich1. Lfg. HuR, 10/96

38 OLG Oldenburg keiten überzeugend. Weitergehende vorbeugende Hygienemaßnahmen waren auch bei Zugrundelegen dieser beiden vorgenannten Umstände – das hat der Sachverständige ebenfalls bestätigt – nicht zu ergreifen. Das Unterlassen antigenetischer Subtypenbestimmung, mit der ggfls. ein Ausschluß des Übertragungsweges von A. hätte erreicht werden können, ist den Bekl. ebensowenig vorzuwerfen. Diese Maßnah-

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Unterbringung men gehören auch nach den Besonderheiten der zu beurteilenden Fallgestaltung nicht zu dem medizinisch zu fordernden Behandlungs- und Versorgungsstandard. Auf dieser Grundlage war die Berufung mit den Nebenfolgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713, 546 Abs.2 ZPO zurückzuweisen.

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