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80+1 – Eine Weltreise Christopher Ruckerbauer Inspiriert von Jules Vernes weltberühmtem Klassiker schicken Ars Electronica, voestalpine AG und Linz09 die Landeshauptstadt auf Reisen. “80+1 – Eine Weltreise” lautet der Titel der von 18. Juni bis 6. September 2009 anberaumten Expedition um die Welt und in die Zukunft. Keine physische, sondern eine virtuelle Reise via Satellitenverbindungen und Glasfaserkabel, die 80 und einen Tag lang dauern und an 20 Orte führen wird. Orte, die für Schlüsselthemen unserer Zukunft stehen. Am 81. und letzten Tag werden die Ergebnisse dieser Recherche in einer globalen Konferenz zusammengefasst – als ein Highlight des Ars Electronica Festivals 2009. 1872 schickt Jules Verne den Gentleman Phileas Fogg auf seine „Reise um die Erde in 80 Tagen“. Ein ehrgeiziges Unterfangen, bei dem der wettfreudige Exzentriker alles auf die Karte „Dampfkraft“ und damit auf die Mobilität des Industriezeitalters setzt. Seinen Diener Passepartout im Schlepptau, folgt Phileas Fogg den weltumspannenden Verkehrsrouten, Schiffsstraßen und Schienensträngen seiner Zeit. Den Blick einzig und allein auf Fahrpläne und seine Taschenuhr gerichtet. „Alles, was ein Mensch sich vorstellen kann, werden andere Menschen einst verwirklichen“ – nicht zuletzt die Jules Verne in Technologien projizierte Sehnsüchte sind heute Realität. Knapp 150 Jahre nach Erscheinen seines Klassikers, rückt die Welt noch sehr viel enger zusammen. Eingebunden in ein immer feinmaschigeres Netzwerk, sind am Beginn des 21. Jahrhunderts alle mit allen verknüpft. Immer und überall.

Die Ars Electronica „80+1 – Eine Weltreise“ führt rund um die ganze Welt an 20 internationale Orte und wieder zurück.  (Foto: AEC)

Wenn Ars Electronica, voestalpine und Linz09 zur virtuellen Weltreise aufbrechen, geht es nicht zuletzt darum, diese globale Vernetzung sichtbar zu machen. 80+1 ist eine Spurensuche, die immer wieder an einem anderen Ort und bei einem anderen Thema Station macht. Aus journalistischer, künstlerischer und wissenschaftlicher Perspektive werden so die zentralen Fragen unserer Zukunft erörtert.

„Die Erde ist kleiner geworden“ Völlig neue Zukunftsfragen formuliert 80+1 keine. Das braucht es auch nicht, da die zentralen Herausforderungen unserer Zeit ohnehin rasch identifiziert sind. 80+1 geht es vielmehr um überraschende Perspektiven und um ungewöhnliche Strategien, möglichen Antworten nachzuspüren. Antworten, die – abhängig davon, wo und vor allem wem sie gestellt werden – nie dieselben sein werden. Die in ihrer Bandbreite und Vielfalt verdeutlichen, wie unterschiedlich wir Menschen über unsere Zukunft denken.

Schweizer Klimawandel 80+1 reist in die arktischen Gefielde des Nordpols (Resources) und an die Strände von Gadani in Brasilien (Recycling). Speist in der Provinz Chaco in Argentinien, in Banaue auf den Phillipinen und Berkeley in den USA (Food). Überzeugt sich in Dampier-Archipelago in Australien, Burrup Peninsula auf Grönland, Jakobshavn in Polynesien und auf Schweizer Gletschern von der Brisanz des Klimawandels (Climate Change). Forscht nach der Urbevölkerung von Australien und Singapur (Cultural Diversity / First Nations). Besucht die Märkte von Dhaka in Bangladesh (Markets) und will in Thimpu in Buthan glücklich werden (Hapiness). Lässt sich von der Artenvielfalt der brasilianischen Regenwälder beeindrucken (Bio diversity – Bio Technolo-

„... aber die Erde ist ja groß genug.“ „Das war sie früher einmal ...“ bemerkte Phileas Fogg halblaut dazu. „Was heißt ‚Das war sie früher einmal’? Ist die Welt vielleicht geschrumpft?“ „Ohne Zweifel ist sie das“ entgegnete ihm Gauthier Ralph. „Ich bin der selben Meinung wie Mr. Fogg. Die Erde ist kleiner geworden. Es ist heute möglich, sie zehnmal rascher zu umreisen als vor hundert Jahren.“ „Ich muss zugeben, Herr Ralph, Sie haben das eben recht hübsch ausgedrückt, dass die Erde kleiner wird! So zum Beispiel die Tatsache, dass man jetzt in drei Monaten rundherum zu reisen vermag ...“ „In nur achtzig Tagen sogar ...“, warf Phileas Fogg dazwischen. (Jules Verne: Reise um die Erde in achtzig Tagen)

gy). Spaziert über den Staudamm Three Gorges in Chongqing und besucht die Solar City Boading (Energy).

Größenwahn in Dubai Gräbt sich durch den schweizerischen Gotthard Tunnel (Traffic). Lernt im ägyptischen Alexandria und im mongolischen Ulaanbaatar zukunftweisende Bildungsinitiativen kennen (Education). Macht sich ein Bild vom rasanten Aufstieg des indischen Bangalore und den besorgten Mienen in Silicon Valley (Progress). Wittert revolutionäre Umtriebe im iranischen Teheran und Größenwahn im Dubai der Vereinigten Arabischen Emirate (Revolution & Growth). Wandelt auf den Spuren menschlicher Kulturgeschichte in Jerusalem und Instanbul (Cultural Heritage). Fragt nach den Gründen für das Scheitern der europäischen Migration auf Lampedusa in Italien (Migration).

Die ältesten Menschen der Welt 80+1 besucht die ältesten Menschen der Welt auf dem japanischen Okinawa (Aging). Besteht in Mali auf jüngst erkämpften Bürgerrechten (Democracy & Civil Society) und reist weiter nach Kisoro in Uganda (Water). Steht zwischen den Welten der Townships und Gated Com-

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„So war Phileas Fogg siegreich aus diesem Wettkampf hervorgegangen. Innerhalb von achtzig Tagen war ihm die Reise um die Erde gelungen! Um diesen Erfolg wahrzumachen, hatte er sämtliche bekannten Transportmittel benutzen müssen: Dampfer, Eisenbahnen, Wagen, Jachten, Frachtschiffe, Segelschlitten und einen Elefanten.“ (Jules Verne: Reise um die Erde in achtzig Tagen)

Der virtuelle Blick in die Welt wird von 18. Juni bis 6. September bei der Ars Electronica 2009 möglich sein.  (Foto: AEC)

munities von Johannesburg in Südafrika (Neighbourhood & Coexistance). Taucht ein in die Schwerelosigkeit der ISS (Exploration) und entmaterialisiert sich nicht zuletzt in der Virtualität des Internet.

Fenster zur Welt Informationsdrehscheibe des Projekts wird der Linzer Hauptplatz. Eine architektonische Intervention wandelt die Dreifaltigkeitssäule in einen Signalmast, der alle ein- und ausgehenden Kommunikationsflüsse sichtbar macht. Ein großer Panorama-Screen dient als „Fenster zur Welt“, durch das von Linz zu den anderen Orten und umgekehrt geschaut und kommuniziert werden kann. Hier wie dort involvieren ModeratorInnen die Menschen in Gespräche und Diskussionen über unsere Zukunft. Wer auf dem „roten Sofa“ Platz nimmt, wird dabei von DolmetscherInnen unterstützt. In regelmäßigen Abständen wird der Hauptplatz zur Bühne für Diskussionen, künstlerische Projekte und Botschaften oder gemeinsame Festessen. Mit telematischen Installationen und sinnlich ansprechenden Interfaces eröffnet der Linzer Hauptplatz ein direktes und zeitgleiches Zusammentreffen von Menschen über geografische Grenzen hinweg.

Geo-Observatorium Anfangs- und Endpunkt der virtuellen Reise ist das neue Ars Electronica Center. Hier befindet sich das Geo Observatorium, in dem alle Daten und Botschaften zusammenlaufen. Informationen zu den Orten und Zukunftsfragen, journalistische Texte, Filme, Musikstücke, Interviews, Fotos und anderes mehr. All das wird hier nicht nur archiviert, sondern mit modernsten Mitteln visualisiert. Auf 400 Quadratmetern eröffnet dieser Karten- und Wissensraum ein eindrucksvolles Erleben unserer vernetzten und globalisierten Welt.

Reisebegleiter voestalpine Mit ihrer regionalen Verankerung und internationalen Vernetzung ist die voest­ alpine nicht nur idealer Reisebegleiter, sondern zugleich Sinnbild von 80+1.

80+1 – Eine Weltreise Wann: 18. Juni bis 6. September 2009 Wo: Ars Electronica Center und Linzer Hauptplatz Idee & Konzept: Ars Electronica Linz, voestalpine AG und Linz09

Als wichtigste lokale Einflussgröße stiftete die voestalpine Linzer Identität und ist zugleich Paradebeispiel eines erfolgreichen Global Players. Wenn Ars Electronica, voestalpine und Linz09 zur gemeinsamen Entdeckungsreise rund um die Welt aufbrechen, wird dabei nicht zuletzt Linzer Realität zum Thema gemacht.

Future Upload Letzte Station von 80+1 ist die virtuelle Welt des Internet – Sinnbild für die breitbandige Vernetzung unserer Welt und zugleich Plattform, auf der die Reise stattfindet. Eine Plattform, die es jeder und jedem erlaubt, ein Stück des Weges mit zu reisen. Ihre oder seine Gedanken und Fragen, Hoffnungen und Ängste, ihre und seine Bilder von der Zukunft beizusteuern. „80+1“ kennt dabei keinen Unterschied zwischen großen und kleinen, wichtigen und unwichtigen Themen. Denn jede/r von uns denkt, sieht und bewertet Zukunft anders. Zeichnet im Geist Bilder von sich und der Welt. Bilder, die sich permanent verändern und die nie fertig sein werden. Weil sich die Welt um uns verändert und wir uns verändern.

Mitwirkende: Michael Naimark, Sonja Bettel, Martin Heller, Michael SterrerEbenführer, Hannes Leopoldseder, Gerfried Stocker, Manuela Pfaffenberger Ein Projekt für Linz 2009 Kulturhauptstadt Europas. www.80plus1.org

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30. Linzer Klangwolke: „Herzfluss“ auf Wolken gebaut Annette Jäckel Freier Eintritt – und das bei gleich drei besonderen Open-Air-Veranstaltungen: Die Linzer Klangwolken zogen auch in diesem Jahr knapp 100.000 BesucherInnen in ihren Bann – und in den Linzer Donaupark. Das Areal zwischen Nibelungen- und Eisenbahnbrücke wurde erneut im September zum beeindruckenden Klang- und Inszenierungs-Schauplatz für die Visualisierte Linzer Klangwolke, die Kinderklangwolke und die Klassische Linzer Klangwolke.

zählung mit A-cappella-Vocals, von meditativen Choralgesängen bis HipHop, mit raffiniert montierten Hörbildern. So wurde man via akustischer Hörschnipsel an verschiedene Linzer Plätze entführt.

Musik der Sterne

Visualisierte Linzer Klangwolke Ein lauer Sommerabend war am 6. September die perfekte Kulisse für „Herzfluss“, die 30. Visualisierte Linzer Klangwolke. Das Wolken-Jubiläum im Donaupark zeigte eindrücklich, wie viele Möglichkeiten auch nach drei Jahrzehnten noch in dem weit über Oberösterreich hinaus bekannten Markenzeichen stecken. Eine reine „Linzer Klangwolke“ war da nur eine der Besonderheiten 2008. Regie, Text, Komposition, Gesang oder auch Visualisierung: Hinter all diesen wichtigen Puzzlesteinen jeder Klangwolke steckten in diesem Jahr Künstlerinnen und Künstler aus der oberösterreichischen Landeshauptstadt. Zum Teil waren sogar waschechte Klangwolken-Jahrgänge dabei: Das Geburtsjahr der „Herzfluss“-Komponisten und Absolventen der Anton Bruckner-Privatuniversität Johannes Berauer und Philipp Sageder ist 1979, das Jahr der ersten Klangwolke. Die Regie unter Werner Pfeffer setzte 2008 bewusst auf leise Töne, als Instrument erklang überwiegend die menschliche Stimme. Lichteffekte sorgten dafür, dass der Donaupark samt Donau für die 95.000 BesucherInnen im Fluss der Geschichte spielerisch spürund erlebbar wurde. Über 180 Lautsprecherboxen auf 16 Meter hohen Türmen brachten am 6. September den Donaupark zum Klingen. Dabei wechselten Textpassagen der Er-

am 13. September im Donaupark. Doch bis die 2.000 großen und kleinen BesucherInnen mit den außerirdischen Kobolden X1 und Y1, die als knuddelige, singende Plüschteddies in pink und grün daherkamen, tatsächlich auf Tuchfühlung gehen konnten, waren erst noch einige Abenteuer auf der Kinderklangwolken-Bühne des Kinderkulturzentrums Kuddelmuddel zu bestehen.

Als Festrednerin des 35. Brucknerfestes sprach die Schauspielerin und Bestsellerautorin Renan Demirkan zum Thema „Utopie: Respekt“.  (Foto: KOMM)

„Es ist vorbei – nein, es fängt an“: Autorin Sonja Holm erzählte in „Herzfluss“ die Geschichte eines Menschenlebens, vom ersten, verletzlichen Schrei des Neugeborenen bis zum letzten Herzschlag. Begleitet wurden die Lebensstationen von der Figur eines alten Chinesen. Er ist unsichtbarer Freund, verkörpert die innere Stimme, die man nur allzu gern überhört. Wir sollten, so die Botschaft der Visualisierten Linzer Klangwolke 2008, wieder lernen, genauer hinzuhören und auf sie wie auch auf die eigene Unverwechselbarkeit mehr zu vertrauen. Eine Kinderklangwolke mit einem nicht zu verachtenden Kuschelfaktor landete

„Florinda und Pankratius oder die Musik der Sterne“ hieß das Stück aus der Feder des Autors und langjährigen Kultur- Ressortleiters der Oberösterreichischen Nachrichten, Franz Schwabender. Er brachte Intergalaktisches in den Donaupark, machte doch auf der KinderklangwolkenBühne das Raumschiff „Enterprischen“ samt Besatzung Station: Die Biologin und Klangforscherin Florinda, Commanderin Apollonia, Maat Ikarus und nicht zu vergessen Scotty III. Eigentlich ist ein Navigationsfehler Schuld, warum die Crew gerade auf dem Planeten Zoran landet. Unverdrossen folgen sie auch hier ihrem wissenschaftlichen Auftrag: Die Klänge dieses fremden Planeten einzufangen. Dass dies natürlich nicht so einfach ist, versteht sich von selbst, leben doch auf Zoran höchst eigenartige Lebewesen, wie zum Beispiel Professor Pankratius Bluespace, jene niedlichen Kobolde X1 und Y1 oder auch gigantische Pflanzen, die betörende Gesänge aussenden. Deren Absichten sind aber weniger hehr, als die der Forscherin Florinda. Denn die hoch-musikalische Pflanzenwelt lockt sich listig auf singendem Weg Nahrung an und da kommt die Mannschaft der Enterprischen der stets hungrigen Flora gerade recht. Unter Regie von Renate Schuler und mit Musik von Fadi Dorninger wurde dieses exterrestrische Universum im Donaupark schwungvollabenteuerlich in Szene gesetzt – samt wichtiger Nachricht an alle Erdlinge:

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sich die Neugier und Abenteuerlust auf alles Neue, aber auch den Respekt vor dem Unbekannten zu bewahren.

Klassische Linzer Klangwolke Seit 2002, der europäischen Erstaufführung von Philip Glass’ Symphonie Nr. 6, sind drinnen, der Große Saal des Brucknerhauses, und draußen, der Open-AirKonzertsaal an der Donau, noch näher zusammengerückt: Wird doch mittlerweile im siebten Jahr das Konzertgeschehen nicht nur in exzellenter Tonqualität, sondern auch auf zwei Groß-Leinwänden in den Donaupark unterhalb des Brucknerhauses übertragen. Dabei beschert die Klassische Klangwolke unter freiem Himmel den ZuschauerIn­ nen Einblicke, die den BesucherInnen im Saal vorenthalten bleiben: dank taktgenauer Bild-Regie werden so konzentrierte Nahansichten des Dirigenten oder auch einzelner Musiker(-gruppen) durch die im Saal nur für diese Übertragung installierten Kameras möglich. Am 14. September punkteten bei unfreundlich kalt-nassen Temperaturen eindeutig die Vorzüge eines bequemen Konzertsessels samt ungetrübter Akustik des Konzertsaals. Wer dennoch im Linzer Donaupark der Klassischen Klangwolke mit wetterfester Ausrüstung lauschte, erlebte ein außergewöhnliches Konzert. Das Bruckner Orchester Linz unter seinem Chefdirigenten Dennis Russell Davies faszinierte mit der Symphonie von Hans Rott. Der Orgelschüler Anton Bruckners komponierte knapp zwanzigjährig seine erste Symphonie. Es sollte seine einzige bleiben. Denn bei der Jury des Kompositionswettbewerbs fiel der 1. Satz der Symphonie Nr. 1 E-Dur des jungen talentierten Künstlers gnadenlos durch. Und nicht nur das: Hans Rott solle das Komponieren doch gleich ganz lassen, riet ihm einer der Mit-Juroren, das musikalische Schwergewicht Johannes Brahms. Da half es auch nichts, dass sowohl sein Lehrer Anton Bruckner als auch Studienkollege Gustav Mahler sich für Hans Rott einsetzten. 25-jährig starb er in einer Irrenanstalt. x Mehr als 100 Jahre später, 1989, erlebte die Symphonie in den USA ihre Ur-

aufführung. 2008, beim Eröffnungskonzert des Brucknerfests Linz, begeisterte Dennis Russell Davies mit dem Bruckner Orchester Linz nicht nur mit einer fulminanten Interpretation dieser Symphonie anlässlich des 150. Geburtstags von Hans Rott, sondern führte an diesem

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Abend auch die einstigen Gegenpole im Konzertsaal zusammen: Erklang doch im ersten Teil des nicht als Klangwolke übertragenen Brucknerfest-Eröffnungskonzerts das Violinkonzert D-Dur op. 77 des einst so unbarmherzigen Hans RottJurors Johannes Brahms.

Die 30. Visualisierte Linzer Klangwolke wurde von Linzer KünstlerInnen gestaltet. 

„Florinda und Pankratius oder die Musik der Sterne“ hieß das heurige Theaterstück für die Kinderklangwolke. (Fotos: Herzenberger)

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35. Brucknerfest Linz Franz Zamazal Das Brucknerfest Linz bildet längst einen fixen Bestandteil des heimischen Musiklebens mit Ausstrahlungen weit darüber hinaus. Die Wochen vom 14. September bis 4. Oktober füllten die 35. Saison unter dem Motto „Klassisch anders“ und lieferten mit 19 Veranstaltungen einen breiten inhaltlichen und stilistischen Raster. Der hatte seine Schwerpunkte im Brucknerhaus, in St. Florian und in Linzer Kirchen, diente dem Andenken Bruckners und reichte über dessen Zeit mit Tanz, Jazz und Aktuellem bis in die Gegenwart.

Die Feierliche Eröffnung Die Festansprachen durch Bürgermeis­ ter Franz Dobusch, Landeshauptmann Dr. Josef Pühringer und Bundesminis­ terin Dr. Claudia Schmied sowie die Eröffnung des Brucknerfestes durch die Präsidentin des Nationalrates, Mag.a Barbara Prammer und die Begrüßung durch Vizebürgermeister Dr. Erich Watzl umkreisten den Genius loci, das Thema „Linz09“ und vielfältige Probleme der Gegenwart. In der Festrede fand die Schauspielerin und Bestsellerautorin Renan Demirkan zum Thema „Utopie: Respekt“ Sätze mit zutiefst menschlichem Zuschnitt. Den musikalischen Teil gestaltete das vorzüglich disponierte Bruckner Orchester Linz unter der umsichtigen Leitung von Ingo Ingensand. Den Auftakt lieferte Richard Wagners Ouvertüre zum „Fliegenden Holländer“, ein Gleichnis für den ewig Suchenden. Den Abschluss bildeten „Symphonic Dances“ aus Leonard Bernsteins „West Side Story“ als Spiegelbild kraftvoller Lebendigkeit.

Dirigent Ingo Ingensand

(Foto: KOMM)

Partitur „Land“ für großes Orchester basiert auf drei Phrasen aus der Österreichischen Bundeshymne, die in ihren kompositorischen Parametern in stetem Fluss innerhalb von 20 Teilen verändert werden. Dadurch ergeben sich mit den changierenden Klangfarben und Ausdrucksmodalitäten bei den Soloinstrumenten und Orchestergruppen vielfältige geistreiche Gebilde. Mit großem Einsatz hat das Orchester diese Geistesblitze bis hin zur voll tönenden Coda eingefangen und wirkungsvoll vermittelt.

Brahms-Violinkonzert Das abendliche „Eröffnungskonzert“ überraschte mit der Begegnung von zwei Werken, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Beiden diente das vorzügliche Bruckner Orchester unter dem Dirigenten Dennis Russell Davies mit großem Können. Die Ausnahmegeigerin Midori aus den USA spielte das BrahmsViolinkonzert immer glasklar sauber und berührend: in den Ecksätzen eher kräftig als schwelgerisch, das Andante wirkte weltentrückt zelebriert.

Komposition „Land“

Symphonie von Hans Rott

Seit längerem vergibt das Brucknerhaus für diese festlichen Anlässe einen Kompositionsauftrag, der heuer an den Linzer Gerald Resch erfolgte. Seine

Als „Klassische Klangwolke“ wurde in Ton und Bild die erste und einzige Symphonie von Hans Rott (1858 – 1884) aus 1878/80 in den Donaupark übertra-

gen. Diese Produktion wurde auch von ausländischen Stationen teils zeitgleich, teils zeitversetzt übernommen. Auf ihre Uraufführung 1989 in den USA ein Jahrhundert später erfolgten bis jetzt mehrere CD-Produktionen und laufend Aufführungen in aller Welt. Die Linzer Wiedergabe offenbarte den originellen sowie einfallsreichen Charakter der Partitur, die durch ihre jugendlichfrische Art gefangen nahm. Sie erntete stürmischen  Beifall. In Zusammenhang mit diesem Werk steht die Feststellung des Freundes Gustav Mahler: Rott ist der „Begründer der neuen Symphonie, wie ich es verstehe“. Sie war eben ihrer Zeit weit voraus und erlebte dadurch ein österreichisches Schicksal.

Aus dem reichhaltigen Angebot Facetten der Interpretation von Bruckner Symphonien lieferten als Gäste das SWR Sinfonieorchester unter Sylvain Cambreling mit der „Siebten“, das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter Marek Janowski mit der „Neunten“ in St. Florians Stiftskirche und das ­Rotterdams Philharmonisch Orkest unter Bryn Lewis mit der ­„Dritten“. Im Linzer Alten Dom wurde die ­d-Moll-Messe an der Stätte ihrer Uraufführung unter der Leitung von Rupert Gottfried Frieberger mit heimischen Sängern unter Mitwirkung von Originalinstrumenten aus der Brucknerzeit aufgeführt. Ensembles aus der Anton Bruckner-Privatuniversität unter der Leitung von Thomas Kerbl lenkten die Aufmerksamkeit auf die im heutigen Konzertbetrieb kaum integrierten Männerchöre Bruckners. Das alle zwei Jahre angesetzte BrucknerSymposion widmete sich heuer dem Thema “Der Künstler in seiner Welt“ und beleuchtete die dabei unvermeidbaren Wechselwirkungen. Bei der konzertanten Aufführung von Wagners „Tristan und Isolde“ mit dem Bruckner Orchester unter Dennis Russell Davies wirkten mehrere Ensemblemitglieder des Linzer Landestheaters mit und beweisen damit das hohe Niveau der Landesbühne.

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Wunderkind und Malmaschine Sabine Hörschläger Einem der bekanntesten und zugleich auch umstrittensten Linzer Maler widmet das Nordico – Museum der Stadt Linz bis 11. Jänner 2009 eine umfangreiche Ausstellung: Fritz Aigner galt als Einzelgänger in der oberösterreichischen Kunstszene, der allen Zeitgeistströmungen trotzte. Seine meist monumentalen Werke in altmeisterlicher Technik bewegen sich zwischen Eros und Religion, zwischen Surrealismus und Fantastischem Realismus. In seinem Werk setzt sich Aigner häufig mit Rembrandt auseinander, wie beispielsweise mit seinem Ölgemälde „Selbstporträt mit Rembrandt“. Dies brachte ihm den Beinamen „Rembrandt von Linz“ ein. Die Ausstellung beleuchtet anhand von 160 Arbeiten, zahlreichen Gemälden, Druckgrafiken, Zeichnungen, Skizzenbüchern, Briefen und Fotos den beispiellosen Werdegang dieses Künstlers und Linzer Originals. Auch zahlreiche noch nie der Öffentlichkeit präsentierte Kinderzeichnungen sowie Druckgrafiken und ein imposanter Wandteppich sind zu sehen. Neben biographischen Einblicken wird sein umfangreiches und vielschichtiges Gesamtwerk – in einzelne Themengruppen gegliedert – im gesamten Haus präsentiert. Durch begleitende Texte erhalten die BesucherInnen Einblick in die Bildwelten Aigners. Damit wird diese Schau zur umfassendsten Werkschau Fritz Aigners, die es je gab.

Künstlerischer Werdegang Aigners künstlerische Karriere reicht vom zeichnenden Wunderkind über die Bewährungsprobe an der Akademie in Wien bei Prof. Pauser bis hin zu seinem ruhelosen Künstlerdasein, das ihn nach Spanien, Irland, Großbritannien oder Deutschland führte. Mit seiner Heimatstadt blieb er jedoch immer eng verbunden. Fritz Aigner, 1930 in Linz geboren, zählt zu den bedeutendsten bildenden Künstlern der Stadt. Bereits mit 17 Jahren wurde er ohne Prüfung von Prof. Sergius

Fritz Aigner, Alpenländischer Marinemaler, 1989.

Pauser an der Akademie der bildenden Künste in Wien aufgenommen. Zum Abschluss seines Studiums malte er die „Klage des verlorenen Sohnes“ und erhielt dafür 1952 den Staatspreis. Danach war er freischaffender Künstler. In einem Zimmer im Stift St. Florian realisierte er seine Träume und Sehnsüchte in Bildern. Mitte der 1960er-Jahre gründete er gemeinsam mit Malern und Bildhauern die neue Donauschule. Aigner zeichnete sich auch als Druckgrafiker aus, wobei diese Werke teilweise sehr düster-apokalyptische Szenen mit Anspielungen auf die Gesellschaft und bekannte Personen darstellen. Im Jänner 2005 ist Fritz Aigner im Alter von 74 Jahren verstorben.

ist das Nordico heute im Besitz von 190 Arbeiten des Künstlers - eine der bedeutendsten Sammlungen mit Schwerpunkt Grafik in öffentlicher Hand. Ebenfalls in städtischem Besitz befinden sich zehn Ölgemälde von ihm, darunter ein Porträt von Altbürgermeister Hugo Schanovsky

190 Arbeiten in Nordico-Besitz Durch ein großzügiges Entgegenkommen der Familie Aigner konnten im Jahr 2005 auf Initiative von Bürgermeister Franz Dobusch 53 druckgrafische Blätter von Fritz Aigner erworben werden. Somit

Fritz Aigner, Matthias Aigner, 1978. (Fotos: Aigner)

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oder das Bild „Robinson“, die beide im Alten Rathaus zu besichtigen sind. „Robinson“ ist eines der größten Bilder, die Aigner je gemalt hat.

Wunderkind Fritz Aigners frühe Begabung zeigt sich bereits eindrucksvoll in seinen Kinderzeichnungen, in denen sich sein präziser Erzählstil, seine Sicherheit in der Zeichnung wie auch sein koloristisches Talent Bahn brechen. Im Gesamtwerk nimmt das Selbstporträt eine Sonderstellung ein und bildet in allen seinen Schaffensphasen eine Konstante unter seinen Motiven. Neben den klassischen Versionen, die ihn an der Staffelei, mit einzelnen Modellen oder losgelöst von der künstlerischen Arbeit zeigen, reklamierte er sich auch in zahlreiche andere Porträts hinein – in manchen Fällen mit seiner Familie.

Fritz Aigners Werke sind bis 11. Jänner 2009 in den neu gestalteten Ausstellungs­ räumen des Nordico zu sehen.  (Foto: KOMM)

Das religiöse Werk Sowohl in seinem Leben, als auch in seiner Kunst nehmen Religion und Kirche einen speziellen Platz ein. Neben Altarbildern und Orgelflügeln kommen religiöse Sujets auch in seinen Zeichnungen und Druckgrafiken vor. Als ein religiöses Hauptwerk kann die Kreuzigung für das Prämonstratenserstift Schlägl gelten, die Fritz Aigner nach 1954 als Flügel für die Chororgel der Stiftskirche konzipierte. Sein monumentaler Bildteppich „The fools damnation“ gilt jedoch als vielschichtiger Protest, als Aufschrei gegen die Institution Kirche.

Rembrandt und die Musik In der Gestalt Rembrandts, des bedeutendsten holländischen Malers des 17. Jahrhunderts, fand Aigner eine Leitfigur. Er erhob seine zahlreichen RembrandtParaphrasen zur Projektionsfläche für seine eigenen Befindlichkeiten und damit zum Alter Ego. Seine Bewunderung für die Musik kommt in zahlreichen künstlerischen Arbeiten ebenfalls zum Ausdruck – ob es sich um Bildnisse Anton Bruckners, Porträts des renommierten Stiftsorganisten von St. Florian, Augustinus Franz Kropfreiter, oder von Musikern und Orgelbauern handelte. Ge-

rade bei der künstlerischen Ausgestaltung von Orgeln wurde er mehrfach zugezogen.

Landschaften In den wenigen Landschaftsdarstellungen – vor allem in den Zeichnungen – ist sein Stil ähnlich virtuos, wie in der figuralen Kunst: Präzise im Detail, mit sicherem Gespür für die innere Tektonik des Gesehenen. So sind die Landschaften seiner Wahlheimat Irland mit ihren bizarren Küsten entstanden, zu denen er flüchtete, wenn er wieder einmal die Enge seiner Heimatstadt zu bedrückend empfand. Ironisch nannte er sich selbst einen „alpinen Marinemaler“, wobei ihm nicht nur seine Aufenthalte in Irland entscheidende Impulse lieferten. Seine monumentalisierenden Marinebilder sind durch Beobachtungen einer Schiffsfabrik im italienischen Montfalcone entstanden, wo er sich mit seiner Familie aufhielt.

Erotik und Tod Auch die Themen Erotik und Tod spielten in Aigners Werk eine große Rolle. Neben klassischen Aktbildern und erotisierenden Sujets hinterließ er eine Reihe von Zeichnungen mit der Darstellung des Sexualaktes. Bei manchen dieser Werke

entschärft der dabei zu Tage tretende Humor jedoch das Dargestellte. Während Aigners Frühwerk auch immer wieder um den Tod kreist, blendet er dieses Thema in der Folge zunehmend aus. Zugleich hält er es für notwendig, sich dem Verfallsprozess menschlichen Lebens künstlerisch zu stellen. Dabei entwickelt er abseits der traditionellen Ikonographie des Todes auch einprägsame Metaphern, denen er auf seinen Reisen begegnet und die für die Entschlüsselung seiner komplexen Bilderzählungen wichtig sind.

Fritz Aigner, Beauty and Beast, 1971.  (Foto: Aigner)

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„Linz Texas – Eine Stadt mit Beziehungen“ Stephen Sokoloff Viele LinzerInnen sind überzeugt, dass ihre Stadt einmalig ist. Dennoch lohnt es sich, nach Ähnlichkeiten mit anderen urbanen Gemeinden zu suchen. Es geht dabei nicht um statistische Werte wie Einwohnerzahl oder Fläche, sondern vor allem um vergleichbare Entwicklungstendenzen in Bezug auf Geschichte, Kultur, Politik und Ökologie. Mit dieser Vorgangsweise können aus den Erfahrungen, die Menschen anderenorts gemacht haben, wertvolle Lehren gezogen werden.

„Paris“ in Texas Linz wird mit dem Ort „Paris“ in Texas verglichen. Dieses amerikanische Wirtschaftszentrum zählt 50.000 EinwohnerInnen. Wegen der ausgezeichneten Lebensqualität, die es bietet, wurde es als „beste Kleinstadt in Texas“ ausgezeichnet. Ein 20 Meter hoher Eiffelturm ragt dort empor, der sich einst rühmte, der zweitgrößte der Welt zu sein. Inzwischen haben ihn allerdings Replikate in Las Vegas und Shenzen, China, höhenmäßig überholt. Linz rangiert auch an zweiter Stelle, allerdings als österreichischer Wirtschaftsstandort. Linz verfügt über den größten Dom Österreichs, der trotzdem nur der zweithöchste ist. Zur Zeit der Donaumonarchie, als der neugotische Mariendom errichtet wurde, durfte kein Gebäude den Wiener Dom übertreffen. Deswegen baute man das Linzer Gotteshaus einen Meter niedriger.

Salzgitter und Linz Treffend ist jedenfalls der Vergleich zwischen dem deutschen Ort Salzgitter und Linz. Beide entwickelten sich zu bedeutenden Zentren der Stahlindustrie während der NS-Diktatur. Parallel dazu wuchs die Bevölkerung rasant: Linz verdoppelte sich von 118.000 auf 200.000, Salzgitter verfünfachte die Zahl der EinwohnerInnen von 20.000

Der zweithöchste Eiffelturm in Paris, Texas, und der zweithöchste Dom Österreichs in Linz.  (Foto: Winkler)

auf über 110.000. Dafür mussten neue Wohnungen errichtet werden. In Linz entstanden 11.000, die allerdings nur ein Fünftel des Bedarfs deckten. In Salzgitter wurden 36.000 Unterkünfte geplant, davon aber nur 10.500 fertig gestellt. In beiden Städten gab es während des Krieges Konzentrationslager. Nach der Niederlage strömten sowohl befreite Häftlinge, die heimatlos waren, wie auch deutschsprachige Vertriebene nach Salzgitter und in die oberösterreichische Landeshauptstadt. Im Linzer Ortsteil Bindermichl errichtete man exterritoriale Quartiere für befreite Juden mit einem eigenen Rathaus, kulturellen Einrichtungen und Geschäftszentren.

Status Quo Mannheim und Linz wiederum liegen beide an großen Flüssen. Beide Städte zeichnen sich als Industriezentren mit starken kulturellen Ansprüchen aus. Be-

reits die Kurfürsten verwandelten Mannheim in einen Mittelpunkt der Kunst und Wissenschaft: ab 1720 begann Karl Philipp mit dem Bau des zweitgrößten Schlosses von Europa nach Versailler Vorbild. Dort verweilten unter anderem Mozart, Schiller und Goethe. Friedrich III. machte Linz als Residenzstadt von 1489-1493 zum Mittelpunkt des Hl. Römischen Reiches. Beide Städte werden seit Generationen sozialdemokratisch regiert. Ihre kulturelle Ausrichtung ist deshalb alles andere als elitär. Die Linzer Klangwolken und das Pflasterspektakel sind inzwischen unzertrennlich mit der künstlerischen Identität der Landeshauptstadt verbunden. Mannheim ist wiederum für seine Popakademie bekannt. Popmusik-Design und Musik-Business werden als Studienrichtungen angeboten. Bereits im 1955 publizierten Bildband „Mannheim im Aufbau“ feierte man die Welt der Fabrik-

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Grünen“. Leider führt der Traum, ein eigenes Häuschen auf dem Land zu besitzen, unweigerlich zur Zersiedelung der Natur.

„Gesunde Stadt“

Angelika Schnell

Shumon Basar 

und Hafenarbeiter in künstlerisch hochwertigen Fotographien.

die Linzer Umweltpolitik. Ihr Heimatort hat ebenfalls versucht, sein Image als graue Industriestadt abzustreifen – und deswegen im Jahr 1975 die Bundesgartenschau veranstaltet. Sie stand unter dem Motto „Wohnen im

Lob für Umweltpolitik Die in Mannheim geborene Architektur-Theoretikerin Angelika Schnell lobt

(Fotos: Linz09)

Das „Problem“ von Linz besteht darin, dass es kein großes, lebensbedrohliches Problem hat. Es gehört, nach Meinung des Londoner Kritikers Shumon Basar, zu den gesunden, gut funktionierenden Städten, die vor allem in Zentral- und Nordeuropa zu finden sind. Für die Menschen, die bereits sonst alles haben, sind Kunst und Kultur ultimative Luxusaccessoires. Als Kulturhauptstadt hat Linz im nächsten Jahr die Chance, die Probleme, die uns unterschwellig beschäftigen, ins Bewusstsein zu bringen.

Hörstadt Linz: Das Recht auf Stille Elisabeth Oberlik „Wer arm ist, lebt im Lärm“ ist eine fundierte These von Peter Androsch, dem künstlerischen Leiter der Sparte Musik für die Kulturhauptstadt Linz 09. Der oberösterreichische Komponist ist sich der radikalen Veränderungen in unserer Lebensumgebung durchaus bewusst. Der positiven und nicht mehr rückgängig zu machenden Entwicklungen der Technologie ebenso wie der Gefahren, die durch die Reizüberflutung gegeben sind.

Musikalischer Leiter Der Ruf nach Linz, um für Linz09 Nachhaltiges zu bewirken, erreichte ihn in seinem temporären Domizil in Arezzo in der Toskana, wohin er sich mit Frau und Tochter zurückgezogen hatte. Er hatte sich schon seit längerem mit dem Wesen der Hintergrundmusik, mit den Gefahren der ungewollten Beschallung auseinandergesetzt und mit diesem Konzept bei Intendant Heller beworben. Mitte 2006 übernahm er den Job und übersiedelte

wieder nach Linz, wo vor einem Jahr sein Sohn geboren wurde. Linz kann sich nur als Hörstadt zwischen Salzburg und Wien, zwei Hochburgen klassischer Musikveranstaltungen, etablieren. Kultur ist bekanntlich die Art, wie wir miteinander umgehen, hat gesellschaftspolitische Facetten. Nur ein kleiner Teil davon ist die Kunst. Akustik ist mehr als Lärm. Wir können unsere Ohren nicht verschließen, wir sind der Beschallung in mannigfaltiger Form ausgeliefert. Hier setzt die politische Verantwortung ein. Hier setzt das Projekt Hörstadt an.

Drei Projekte Hörstadt ist die Bemühung von Linz09 als Kulturhauptstadt Europas, einen Kristallisationspunkt für ein akustisches Bewusstsein zu schaffen, für das Hören zu sensibilisieren und schließlich auch die einzelnen BürgerInnen zur Zivilcourage in der Auseinandersetzung mit

akustischer Bevormundung zu ermu­ tigen. Die Hörstadt manifestiert sich in drei Projekten. Beschallungsfrei, die Kampagne gegen Zwangsbeschallung, richtet sich gegen Hintergrundmusik in der öffentlichen Sphäre. Diese Art der Beschallung ist

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keine Selbstverständlichkeit und muss daher auch nicht unwidersprochen hingenommen werden. Die Kampagne „Beschallungsfrei“ vermittelt die Freiheit von Zwangsbeschallung als Menschenrecht und als elementaren Bestandteil von Lebensqualität einer mündigen Gesellschaft. Der beschallungsfreie Raum dieser österreichweiten Aktion wird mit Aufklebern gekennzeichnet, der öffentliche Raum vor ungewollten Attacken auf das Ohr geschützt. Im April 2009 wird der Internationale Tag gegen den Lärm mit einer Studienpräsentation zur nachhaltigen Veränderung des Linzer Stadtklangbildes begangen. Im November nächsten Jahres wird der No Music Day proklamiert. Brucknerhaus und Posthof haben ihre Beteiligung bereits beschlossen. BBC Schottland hat beispielsweise an diesem Tag keine Musik zur Berieselung gesendet.

Aufkleber „Beschallungsfrei“ Die Kampagne „Beschallungsfrei“ startete Mitte Oktober diesen Jahres. Erste Betriebe haben sich bereits mit dem Aufkleber als beschallungsfrei deklariert. Die Angestellten und KundInnen werden es zu schätzen wissen. Mit dem Ende der Kampagne Ende November 2009 wird im Stadtzentrum im ehemaligen Central-Kino eine öffentliche Ruhehalle, ein Ruhepol, eingerichtet, schon im Mai 2009 der Ruhepol Marien­ dom. Nur im Wechsel von Stille und Beschallung können auch die leisen Töne wieder wahrgenommen werden. Das Zuhören bekommt eine neue Qualität.

Das Akustikon Um dieses Hören und Zuhören geht es in einem weiteren Projekt zur Hörstadt, dem Akustikon. Etabliert in den Räumen der ehemaligen Kinder- und Jugendbibliothek an der Pfarrgasse, setzt das Akustikon auf Reduktion, auf die Besinnung auf das Wesentliche: das Hören. Es ist ein Ort der Entwicklung akustischer Theorien und Texte, ein Ort der Diskussion und ein Ort der akustischen Lehre, Bera-

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Linzer Betriebe können sich mit einem Aufkleber als „Beschallungsfrei“ deklarieren.  (Foto: Linz09)

tung und Dienstleistung. Das Akustikon begreift sich als Motor und Anwalt der Anliegen und Ziele der Aktion Hörstadt. Ein Ziel ist es, die Studienrichtung Akustik an den Linzer Universitäten zu etablieren, zu koordinieren und voranzutreiben. Es soll ein breites Bildungsangebot für Architektur, Raumplanung, Kunstgeschichte, Multimedia und Audiovision entstehen.

Vorbild „Linzer Charta“ Ganz wesentlich für die Hörstadt und von hohem Nachhaltigkeitswert ist aber die „Linzer Charta“, deren Umsetzung auch vom Akustikon begleitet werden soll. Die Stadt Linz ist mit der „Linzer Charta“, dem akustischen Stadtentwicklungsprogramm weltweit die erste Stadt, die diese Ziele im Gemeinderat beschließen wird und zum gemeinsamen politischen Ziel erklärt. Die Linzer Klangwolken und die Ars Electronica sind seit weit mehr als dreißig Jahren Markenzeichen der Stadt Linz. Dieses Kapital ist Ausgangspunkt für eine weitergehende Positionierung,

die sich bewusstem Hören verpflichtet. In der „Linzer Charta“ wird eine akustische Modellstadt entwickelt, die sich als Klang­raum versteht und diesen Raum pflegt, gestaltet und entwickelt. Mit dem Bekenntnis der „Linzer Charta“, die im Jänner 2009 durch einen gemeinsamen Beschluss des Linzer Gemeinderates ratifiziert werden soll, übernimmt Linz als Hörstadt eine kulturelle, technologische und wirtschaftliche Pionierrolle. Mit der „Linzer Charta“ sollen akus­ tische Vielfalt und Klangreichtum ermöglicht und gefördert werden. Zum Schutz der ArbeitnehmerInnen und KonsumentInnen wird eine Verringerung der Beschallung in öffentlichen Sphären angestrebt. Neue Wege der Lärmbekämpfung werden beschritten. Durch das Projekt Hörstadt wird ein verantwortungsvolles, innovatives und gesellschaftlich engagiertes akustisches Verhalten gefördert. Akustisch bewusstes Handeln schafft Lebensqualität und begünstigt das individuelle Teilhaben an der gesellschaftlichen Kommunikation.

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Oskar Kokoschka – Ein Vagabund in Linz Elisabeth Nowak-Thaller Das Lentos Kunstmuseum dokumentierte in seiner von Medien und BesucherInnen hoch gelobten Klassiker-Ausstellung „Oskar Kokoschka – Ein Vagabund in Linz. Wild, verfemt, gefeiert“ den großen österreichischen Maler als zeitlebens unangepassten Künstler und legte einen Schwerpunkt auf seine Kontakte zu Linz. In dieser umfassenden, von 43.000 Besuchern frequentierten Schau wurden 37 Gemälde, 49 Aquarelle und Zeichnungen sowie rund 40 Lithografien und Plakate von 20 ausländischen sowie 10 inländischen Museen, Galerien und Privatsammlern mit einem Versicherungswert von rund 135 Millionen Euro präsentiert. Das Lentos Kunstmuseum und das Stadtmuseum Nordico, die zu den wichtigsten Kokoschka-Kollektionen in Österreich zählen, zeigten damit erstmals ihre reichen Kokoschka-Bestände, versammelt in einer Ausstellung.

Ausstellung 1951 Am 28. Juni 1951 wurde die erste ­Kokoschka-Ausstellung nach dem Krieg nicht in Wien, sondern in Linz eröffnet. Die Neue Galerie wurde anlässlich der Erfolgsschau von den Medien zum Zentrum der bildenden Kunst in Österreich ausgerufen. Diese vom Linzer Museumsgründer Wolfgang Gurlitt initiierte KokoschkaRetrospektive und der Ankauf von fünf Gemälden sowie großen Grafikkonvoluten in den 1950er Jahren, festigten die Bindung Kokoschkas zu Linz. Kokoschka lernte den Galeristen, Sammler und Verleger Wolfgang Gurlitt in seiner Berliner Zeit, um 1911, kennen. Die meisten von Kokoschkas grafischen Arbeiten und Zyklen wurden im Paul Cassirer oder im „Sturm“-Verlag in Berlin publiziert, aber auch die Hofkunsthandlung Gurlitt konnte den damals in Berlin lebenden Oskar Kokoschka gewinnen. Am 10. April 1952 wurde in der Neuen Galerie Linz das Kubin-Kabinett eröffnet, dem die Gründung eines Kubin-

Archivs im Jahre 1950 vorausging. 1952 plante Gurlitt das Kokoschka-Archiv, das fast lückenlos die grafischen Werke des Meisters enthalten sollte, ergänzt um eine Sammlung von Handzeichnungen und Aquarellen. Tatsächlich scheiterten diese hochtrabenden Pläne kurz vor der Verwirklichung durch das Zerwürfnis des umstrittenen Wolfgang Gurlitt mit der Stadt Linz.

Verfemt und entartet Nachdem zwischen 1933 und 1937 elf so genannte „Schandausstellungen“ als Prototypen der Ausstellung „Entartete Kunst“ in Deutschland stattfanden, welche die moderne Kunst anprangerten und diffamierten, wurde im Deutschen Reich an der „Säuberung“ der Museumsbestände von Werken, die nicht den nationalsozialistischen Kunstvorstellungen entsprachen, systematisch und mit aller Intensität gearbeitet. Kokoschka war in fast jeder „Schandausstellung“ vertreten, die mit reißerischen Titeln wie „Schreckenskammer“ warben und die die Avantgarde diffamierten, vertreten. Die herrschende Kulturpolitik wurde verteufelt und mit dem Schlagwort „jüdischbolschewistische Kunst“ aufgeheizt. Die Angriffe richteten sich pauschal gegen progressive Museumsdirektoren, Kunsthändler und KünstlerInnen. Der Weg für die Vernichtung moderner Kunst war geebnet, das endgültige Aus für die künstlerische Avantgarde Deutschlands wurde 1937 Wirklichkeit. Am 19. Juli 1937 wurde in München die Wanderausstellung „Entartete Kunst“ eröffnet, die in der Lentos-Ausstellung in Teilen dokumentiert wird. Zu sehen waren rund 650 Kunstwerke von 120 KünstlerInnen, die von Goebbels Reichs­ propagandaministerium in 32 deutschen Museen beschlagnahmt worden waren. Insgesamt wurden über 24.000 Kunstwerke aus dem Bestand deutscher Museen oder Privatsammlungen als „entartet“

Oskar Kokoschka  (Fotos: Baum, Fleischmann)

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verurteilt. Der ursprünglich medizinische Begriff „entartet“ wurde zur Stan­dard­ klassifizierung für avantgardistische Kunst. Besonders angeprangert wurden neben Werken jüdischer KünstlerIn­nen die Arbeiten der Expressionisten, Dadaisten, Konstruktivisten sowie Werke des Bauhauses, der Neuen Sachlichkeit und die Abstrakte Kunst. Kokoschka, dessen Werke in fast jeder dieser Ausstellungen gezeigt und wüst beschimpft wurden, war nur ein Künstler unter vielen, deren Kunst von den Nazis diffamiert wurde. 1937 wurden weit über 400 Werke Kokoschkas beschlagnahmt, bei der Ausstellung „Entartete Kunst“ zählte Kokoschka, wie die Lentos-Ausstellung dokumentiert, zu den am meisten geschmähten Künstlern. Die Exponate wurden in absichtlich chaotischer Hängung dargeboten und mit Schmähparolen verhöhnt. Bilder moderner KünstlerInnen, darunter Werke von Beckmann, Chagall, Corinth, Kandinsky, Kirchner, Klee, Lehmbruck, Marc, Macke, Mueller, Nay, Nolde oder Schlemmer wurden neben Zeichnungen Behinderter und Fotos verkrüppelter Menschen gehängt, um so bei den BetrachterInnen Abscheu und Beklemmung hervorzurufen. Die Gemälde hingen hoch und dicht, überund nebeneinander. Grafiken wurden gar mit Reißnägeln an der Wand befestigt. Auch wurde der durch die Inflation horrend erscheinende Kaufpreis angegeben. Ferner wurde mit Überschriften diskriminiert, „gegliedert“ und überfrachtet. Feindbilder sollten gefestigt, Kunstwerke durch die demagogische Hängung und durch die Angabe der Preise als wertlos desavouiert werden, die diffuse Beleuchtung unterstrich den gewollt chaotischen Eindruck. Sogar im Ausstellungsführer war Kokoschka „prominent“ vertreten: Seinen Grafiken, die mit einer Zeichnung eines Geisteskranken aus der Sammlung Prinzhorn verglichen wurden, war eine eigene Seite gewidmet. Die Moderne sollte als Schwindel, Ausgeburt des Wahnsinns und Nichtskönnertum entlarvt werden. Der Zutritt für Jugendliche wurde verboten, der Eintritt in die Ausstellung war gratis.

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Oskar Kokoschka, Liebespaar mit Katze, 1917.

Mehr als zwei Millionen Menschen sahen diese Schandschau, die in 12 weiteren Städten Station machte und auch in Salzburg und Wien gastierte. Damit war die Ausstellung „Entartete Kunst“ – welche Ironie der Geschichte – bis heute die bestbesuchte Ausstellung moderner Kunst.

NS-Kunsthandel Ab 1935 ging es der NS-Kunstpolitik nicht mehr um Verfemung und Diffamierung, sondern um die Vernichtung der modernen Kunst. Die „entartete“ Ware sollte entweder getauscht oder gegen Devisen ins Ausland verkauft werden. Museumsdirektoren wurden aufgefordert, sich der „entarteten Kunst“ zu entledigen. Die vom Propagandaministerium1 beschlagnahmten Kunstwerke wurden vor allem in die neutrale Schweiz, die sich bald zur Drehscheibe des Handels mit Nazi-Raubkunst entwickelte, verschickt und dort verkauft. 780 Gemälde und Plastiken, 3.500 Zeichnungen, Aquarelle und Grafiken wurden zum Verkauf freigegeben. Kaufangebote von ausländischen Kunsthändlern lagen vor, auch das Kaufinteresse von Direktoren amerikanischer Museen war groß. Es war das Ziel der Nationalsozialisten, hohe Gewinne für die verhasste Kunst zu erzielen. Goebbels führte den nominellen Vorsitz der „Kommission zur Ver-

1) teils aus Museumsbesitz 2) Beide Gemälde waren zuvor aus Museumsbesitz beschlagnahmt worden.

Oskar Kokoschka, Der Perser, 1921.  (Fotos: Lentos)

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Oskar Kokoschka, Vater Hirsch, 1909.

wertung der Produkte entarteter Kunst“ und betraute vier Kunsthändler: Karl Buchholz und Ferdinand Möller aus ­Berlin, Hildebrandt Gurlitt aus Hamburg und Bernhard A. Boehmer aus Güstrow mit dem Verkauf ins Ausland. Am 30. Juni 1939 wurden im Auktionshaus der Galerie Fischer in Luzern 125 hochkarätige Gemälde und Skulpturen aus deutschen Museen und Privatsammlungen versteigert. Die Preise für moderne deutsche Kunst sanken ins Bodenlose. Die Erlöse, die unter anderem dem geplanten „Führermuseum“ in Linz dienen sollten, gingen auf ein Londoner Konto, verfügbar für das „Deutsche Reich“. Der nicht verkäufliche Rest, zu dem die in der Lentos-Sammlung befindlichen, von Wolfgang Gurlitt erworbenen Gemälde von Carl Hofer (Madame Bailhache) und Oskar Kokoschka (Die Freunde) zählten, wurde am 28. Juni 1941 in Luzern zu Billigstpreisen „verramscht“.2 Weit über 1.000 „entartete“ Kunstwerke überstanden die „Säuberungsaktion“ der

(Foto: Lentos)

Nazis nicht und wurden im März 1939 im Hof der Berliner Hauptfeuerwache verbrannt. Das Ende der künstlerischen Avantgarde Deutschlands und Österreichs war gekommen.

„Linz – Linz nur Du allein.“ Nach der Gründung der Neuen Galerie der Stadt Linz und deren Eröffnung im Jahr 1947 durch eine Alfred Kubin-Ausstellung wurde durch die spektakuläre Kokoschka-Ausstellung 1951 Linz zum Zentrum der bildenden Kunst in Österreich ausgerufen. Ein Treffen am 17. September 1950 mit Kokoschka im Arbeitszimmer des Linzer Bürgermeisters Dr. Ernst Koref auf Einladung von Wolfgang Gurlitt ging der Ausstellung voraus: Eine legendäre „Sonntags-Kaffeestunde“. Im Jänner 1951 unterbreitete der Kulturamtsdirektor dem Magistratsdirektor den Vorschlag, Kokoschka zum Ehrenbürger der Stadt Linz zu ernennen.

So fand in Linz, nicht in Wien, die erste prominente und von der Kunstpresse als Sensation gewertete Kokoschka-Ausstellung nach dem Krieg statt, die in Teilen vom Haus der Kunst in München übernommen wurde. Von 28. Juni bis August 1951 konnten 28 Gemälde, 64 Aquarelle und Zeichnungen sowie 273 Druckgrafiken in den beschränkten Räumlichkeiten auf 500 Quadratmetern Ausstellungs­ fläche im heutigen Brückenkopfgebäude am Hauptplatz gezeigt werden. Ein weiterer medialer Höhepunkt der Ausstellung war der Besuch des Bundespräsidenten Dr. h.c. Theodor Körner in Linz. Begleitet wurde der einstige Wiener Bürgermeister, der kurz zuvor im Frühjahr 1951 zum Bundespräsidenten gewählt worden war, von Legationsrat Dr. Bruno Kreisky. Den pompösen Empfang mit Musikkapelle am Linzer Hauptplatz bereitete der Linzer Bürgermeister Dr. Ernst Koref, die Führung durch die Ausstellung wurde von Walter Kasten vorgenommen, dem späteren Direktor der Neuen Galerie. Oskar Kokoschka selbst dankte in einer ausführlichen Widmung des Linzer Kataloges von 1951 Wolfgang Gurlitt. Linz und Salzburg waren die österreichischen Städte, zu denen Kokoschka nach dem Zweiten Weltkrieg enge Beziehungen unterhielt.

Linzer Landschaft Oskar Kokoschka, der „Weltbürger“, fand im Linz der Nachkriegszeit, in der aufstrebenden Industriestadt an der Donau kongeniale Partner vor, wie Bürgermeister Dr. Ernst Koref, Magistratsdirektor DDr. Egon Oberhuber und Kulturamtsleiter Dr. Hanns Kreczi sowie engagierte Museumsdirektoren, wie Wolfgang Gurlitt und später Walter Kasten. Die regelmäßigen Kontakte des in der Schweiz lebenden Künstlers mit der Linzer Stadtverwaltung und der Museumsdirektion zwischen 1950 und 1956, Kokoschkas Bekanntschaft mit dem nicht unumstrittenen Wolfgang Gurlitt, seine Freundschaft zu dem nachfolgenden Direktor Walter Kasten und die persönlichen Begegnungen mit Direktor Peter Baum, der Kokoschka bei der Eröffnung einer Ausstellung

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1971 in Wien kennen lernte, führten zu außergewöhnlichen Auftragsarbeiten und kontinuierlichen Ausstellungen des international renommierten Künstlers in Linz. 1955 malte Kokoschka im Auftrag des Linzer Bürgermeisters Dr. Ernst Koref das Gemälde „Linzer Landschaft“. Ebenfalls 1955 wurde ein Entwurf für ein Triptychon bei Oskar Kokoschka für die geplante Ausgestaltung des 1950 erbauten Sitzungssaales von der OÖ. Handelskammer in Auftrag gegeben. Die großformatigen Leinwände kamen leider nicht zustande, drei Entwurfsskizzen zum geplanten Triptychon befinden sich im Lentos Kunstmuseum. Mehrfache Bemühungen der Linzer Kulturdirektion, Oskar Kokoschka ab 1945 an die neu gegründete Linzer Kunstschule zunächst als Direktor oder wenigstens zu einem jährlichen Meisterkurs zu verpflichten, scheiterten ebenso, wie die bereits von Gurlitt mit dem Künstler vereinbarte Einrichtung eines KokoschkaArchivs. Die Kokoschka-Schau im Lentos hat einen weiten Bogen gespannt: Präsentiert wurden sowohl Arbeiten aus dem umstrittenen Frühwerk, der Dresdner Zeit,

Oskar Kokoschka, Selbstbildnis, 1917. 

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(Foto: Lentos)

den umtriebigen Reisejahren, als auch im britischen Exil entstandene Gemälde, Aquarelle, Farbstiftzeichnungen und Plakate – eine reiche Auswahl an Exponaten mit wichtigen Gemälden, aufschlussreichen Fotodokumenten sowie erstmals präsentiertem Audiomaterial, vieles davon mit einzigartigem Bezug zu Linz. Die 139 Werke umfassende Schau gab Einblicke in ein Oeuvre, das, durch Schicksalsschläge gekennzeichnet, eine spannende thematische und stilistische Entwicklung durchlebte. Die Präsentation von über 60 Schaffensjahren ermöglichte stilistische Vergleiche der unterschiedlichen Werkphasen. Das früheste Aquarell stammt von 1905, das späteste von 1967.

Oskar Kokoschka, Linzer Landschaft, 1955.  (Foto: Lentos)

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Lois & Franziska Weinberger im Lentos Nina Kirsch Das Kunstmuseum Lentos widmet Lois und Franziska Weinberger im Herbst 2008 eine Einzelausstellung. Nachdem das Konzeptkünstlerpaar auch an dem Projekt “Aufmischen. Sammlung neu“ teilnahm, bei dem die Sammlungsräume des Lentos durch die zeitgenössische KünstlerInnen im Sommer und Herbst 2007 neu gestaltet wurden, wird in dieser Werkschau ein Überblick über das Oeuvre des Künstlerpaars gegeben. Lois und Franziska Weinberger behandeln den Schnittpunkt zwischen Rural und Urban. Sie sind präzise und poetische Analytiker der Umwelt und setztn sich mit Natur auf einer speziellen, unkonventio­ nellen Ebene auseinander. Ruderalpflanzen, die umgangssprachlich negativ besetzt Unkraut genannt werden, stehen dabei im Mittelpunkt ihres Schaffens. Die international renommierten Künstler Lois & Franziska Weinberger arbeiten – seit 1999 gemeinsam – an einem poetisch-politischen Netzwerk, welches den Blick auf Randzonen lenkt und Hierarchien unterschiedlichster Art in Frage stellt. Sie verstehen sich als Feldarbeiter. Lois Weinberger begann in den 1970er Jahren mit ethnopoetischen Arbeiten wie die “fragmentarische Bestandsaufnahme“ seines Geburtsortes Stams. Sie bildeten die Basis für die seit Jahrzehnten entwickelte künstlerische Auseinandersetzung mit dem Natur- und Zivilisationsraum. 1997 nahm er mit einem weltweit beachteten Beitrag an der documenta X in Kassel teil. Die Arbeiten von Lois und Franziska Weinberger können unter anderem mit dem Begriff des prozesshaften Gesamtkunstwerks beschrieben werden. Von exakten Beobachtungen ausgehend, initiieren sie durch minimale Eingriffe Prozesse, die sie dann wieder sich selbst überlassen. Der Prozessverlauf wird lediglich dokumentiert. Das dabei entstehende Fotomaterial liefert auch Exponate für ihre Ausstellungen.

Das Ehepaar Weinberger sammelt für seine künstlerischen Arbeiten scheinbar unbedeutende Ruderalpflanzen, vulgo Unkraut, auf den Feldern.

Motive und Symbole aus der Tier- und Pflanzenwelt, auf die sie bei ihren Recherchen aufmerksam werden, nehmen Lois und Franziska Weinberger in ihr Repertoire auf und verwenden sie für ihre Arbeiten. So findet sich die Struktur eines Käfergangs überdimensioniert auf einem Häuserdach wieder. Das breite Spektrum des österreichischen Künstlerduos reicht somit von Interventionen im städtischen und ländlichen Raum über Objekte bis zu Fotoarbeiten. Filme und Installationen finden sich ebenso im Gesamtwerk wie Kunst am Bau-Projekte. So sind etwa im Garten des Seniorenzentrums Dornach/Auhof 30 Tafeln mit Gedichten über seltene Wildpflanzen zu sehen. Die Farbe der Tafeln verweist auf die Blütenfarbe der Pflanze. Die Texte verbinden botanische Informa-

tionen, persönliche Erinnerungen, mys­ tische Bilder und Kulturgeschichte. Die Berührung von Natur und Kultur wird durch dieses vielfältige Schaffen von Lois und Franziska Weinberger transparent.

Lois und Franziska Weinberger, „Home Voodoo“. (Fotos: Lentos)

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ANNE SCHNEIDER: „nichts ohne den Körper“ Nina Kirsch Die gebürtige Oberösterreicherin Anne Schneider besetzt in der jüngeren Generation eine der markantesten Positionen im Metier der Skulptur. Der Raum, der psychische wie der physische und die Suche nach seinen Bestimmungen und Ablagerungen bilden das Bindeglied von Schneiders vielfältigen Präsentationen, die von der klassischen Skulptur über Fotografie und Videoprojektion bis zu Rauminstallationen reichen. Anne Schneiders Zugang zu Materialien und Formfindung ist Experiment auf

hohem Niveau. Ihre Skulpturen sprechen von Umwidmung, Deformation und Überzeichnung. Sie sind als dreidimensionale Zeichnungen zu verstehen. Das verwendete Material ist Wachs, wodurch sich die Entstehungszeit auf flüchtig konzentrierte Momente beschränkt. Die Skulpturen, die durch Aufschichten und Drücken von Flächen entstehen, beinhalten mehrere sich türmende Schichten, die als solche sichtbar bleiben und ihre eigene abstrakte Qualität besitzen. In der Serie Körperpendel aus den Jahren 2005 und 2007, die Anne Schneider im Lentos Kunstmuseum zeigt, ist der Rückgriff auf Giacomettis expressive Skulptur bewusst gesetzt. Bei Schneiders Körperpendel erfährt der “menschliche Körper“ eine weitere “Streckung“ in die Senkrechte des Raums. Er hängt als Pendel von der Decke, bestehend aus von Knoten und Schlaufen gebildeten Nischen und unzugänglichen Hohlräumen. Die erzeugte Senkrechte verlangt Distanz in der Waagrechten, wodurch der umliegende Raum Stillstand erfährt. Durch Annäherung und Wahrnehmung der auf den Skulpturen abgelagerten Dinge entstehen Bewegung und Flüchtigkeit. Objekte, die in einer Manteltasche Platz finden würden, wie eine kurze Notiz auf einem kleinen Stück Papier, ein Schlüsselanhänger, ein Tischtennisball, oder eine Nussschale. Darüber hinaus präsentiert Anne Schneider ihre Arbeit „Dialoge“, eine Zusammensetzung der seit 2005 entstandenen

Anne Schneider, Dialog, 2006. (Fotos: Lentos)

Köpfe. Diese Skulpturen sind nicht nur mit einer Darstellung von Porträts gleichzusetzen, sondern widmen sich dem Einnehmen von Raum. Durch ihre Anordnung treten diese in Dialoge miteinander und bieten dem Be­trachter ein neues Bild.

Biograpfie: Anne Schmied lebt und arbeitet in Wien 1992-96 Studium der Bildhauerei bei Prof. Michelangelo Pistoletto 1995/1996 Stipendium des Bundes in New York 1998 Einladung des Künstlerhauses Bethanien, Berlin 1998-2001 Aufenthalt in Berlin 2004 Stipendium des Bundes in Paris Seit 1996 zahlreiche Ausstellungen im In-und Ausland. Anne Schneider, Ohne Titel, 2007.

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Herwig Strobl: Linz Grotesk Elisabeth Oberlik Grotesk – wunderlich, verzerrt, seltsam. So definiert der Duden das Wort. LINZ GROTESK, so nennt Herwig Strobl seine Sammlung von Interviews, die er mit 49 und 2 Linzerinnen und Linzern führte. Das Bemerkenswerteste gleich vorweg genommen: das Umschlagbild von Gerhard Haderer, das Linz als Nabel der Welt darstellt. Der Linzer Hauptplatz, gewohnt präzise gezeichnet, die Tramway als wichtiges Zentrum und dann geht’s weiter in die große Welt über Moskau, Prag, Berlin, Hamburg, Stockholm und England bis Grönland, Canada und New York, ja bis zu Pluto, Saturn und zum Mond. Geordnet nach dem Alphabet der Titel ihrer Geschichten, sind viele prominente Linzerinnen und Linzer vertreten. Politiker wie Bürgermeister Franz Dobusch, Kulturschaffende, Journalisten, Gewerbetreibende und andere bekannte Erscheinungen der Linzer Gesellschaft kommen zu Wort. Zu den 49 und 2 kam es, als mit 49 G‘schichtln das Buch eigentlich abgeschlossen war. Da kamen dem Autor noch die Kroneisls in die Quere und da sich der Stahlhandel Fa. Walter Kroneisl auch als Sponsor einstellte, war die Aufnahme der Geschichten von Vater und Sohn Kroneisl fix. Weitere Sponsoren sind die Fa. Otto Hirsch, Malermeister und Menschenrechtsaktivist, sowie die Stadt Linz und das Land Oberöster­ reich. Manche seiner Geschichten sind durchaus amüsant, manchmal sogar skurril, aber selten wirklich grotesk. Herwig Strobl, der als Musiker mit seinem Ensemble „10 saiten 1 bogen“

Herwig Strobl hat in seinem neuen Buch „Linz Grotesk“ bekannte Linzer Persönlichkeiten interviewt.  (Foto: KOMM)

viele Jahre eine interessante Facette des Linzer Kulturlebens abdeckte, versucht sich nun, nachdem sich die

Formation aufgelöst hat, verstärkt als Literat. Einen Gedichtband „zeitzentrifuge“ veröffentlichte er 1975. Im Jahr 2001 folgten „Musikantische Reminiszenzen“ im Verlag Steinmaßl, „LINZ und zurück – 15 wanderbare Wege“ beflügelte ihn offensichtlich zu einem weiteren Versuch.

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„Vincent“ und der Pensionistenkalender Elisabeth Oberlik Der Linzer Schriftsteller befasste sich mit Leben und Werk des großen Expressionisten Vicent van Gogh, dem ein an Glück armes Leben beschieden war und der uns so großartige Werke geschenkt hat. Das Buch mit dem Titel “Vicent“ erscheint gerade rechtzeitig zur viel besuchten Ausstellung in der Albertina in Wien. „Vincent“, 62 Seiten stark und broschiert, setzt sich in oft nur wenige Zeilen umfassenden Essays mit den ausdrucksstarken Bildern des Malers auseinander.

50 Jahre Pensionistenkalender Der Pensionistenkalender, herausgegeben vom Österreichischen Pensionistenverband, weist die Handschrift von Prof. Hugo Schanovsky auf. Immerhin leitet er auch für 2009, wie schon in den vergangenen 50 Jahren, die Redaktion des in der Druckerei Gutenberg Linz erschienenen auflagenstärksten Hausbuchs für Senioren im deutschen Sprachraum. Bei der Literaturmesse in Moskau wurde der Österreichische Pensionistenkalender als nachahmenswertes Beispiel gewürdigt. Es ist auch wirklich für jeden etwas dabei in dem fast 200 Seiten starken Pensionistenkalender. Linz stellt sich als Kulturhauptstadt 2009 und als soziale Musterstadt vor. Medizinische Themen befassen sich mit dem Superorgan Haut oder dem „Kreuz mit dem Kreuz“ und den Bandscheiben. Unterhaltsame Geschichten von Peter Rosegger, Jean Giraudoux, Peter Paul Wiplinger und Prof. Hugo Schanovsky. Ein ausführlicher Beitrag befasst sich mit den Freimaurern. Nicht zu vergessen das Kalendarium mit den Sonnenauf- und -untergängen im Jahr 2009, den Mondphasen und den Himmelserscheinungen, Lostagen, Bauernregeln und Gartentipps. Der Pensionistenkalender ist also ein Begleiter durchs ganze Jahr, lehrreich, unterhaltsam und informativ.

Das neueste Buch von Hugo Schanovsky widmet sich dem Leben des Künstlergenies Vincent van Gogh unter dem Titel „Vincent“.  (Foto: KOMM)

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Manfred Kielnhofer mit seinen Wächterfiguren im Artpark. (Foto: Sokoloff)

Gespenstische Wächter der Galerie Artpark Stephen Sokoloff Die geisterhaften Figuren von Manfred Kielnhofer scheinen grenzenlos traurig zu sein. Was geht in diesen lebensgroßen Polyester-Plastiken eigentlich vor? Beweinen sie ihre Geliebten, meditieren sie oder wollen sie uns vor etwas warnen? Sollen sie Ehrfurcht, Angst oder Mitgefühl in uns hervorrufen? Der Künstler jedenfalls weigert sich, seine Absichten zu offenbaren und wer es wagt, unter die Hüllen der Wächter zu blicken, entdeckt nur gähnende Leere.

Bild aus Blüten Die faltenreichen Gewänder erinnern uns vage an die gemeißelte oder gegossene Kleidung von Rodin-Skulpturen. Die ersten dieser geheimnisvollen Wesen waren grau, die jüngste Generation präsentiert aber helle Farben und fröhliche Muster. Kielnhofer hat nun vor, einige mit Innenbeleuchtung auszustatten. Um ihre Zeitlosigkeit zu betonen, fotografiert­ er sie vor historischen Bauten, wie vor dem Schloss Schönbrunn, und vor modernen Hochhäusern. Er stellt sie genauso auf dem Linzer Pöstlingberg, wie auch tief unten im Salzbergwerk von Altaussee zur Schau. Die­

se Aufnahmen entstehen meistens zu nächtlicher Stunde. Manfred Kielnhofer, 41, ist Eigentümer der Galerie Artpark in Linz und abstrakter Maler. Unter seiner Leitung schufen 1.500 junge Schützlinge das größte Kindergemälde der Welt mit 3.300 Quadratmetern. Eine weitere gigantische Schöpfung des Künstlers mit 40.000 Quadratmetern bestand aus Sonnenblumen und anderen Pflanzen, die er mitten in einem Getreidefeld angebaut hatte. Am besten konnte man sie aus der Luft beobachten. Bevor sie aber aufblühten, flog sein Pilot in die Sommerferien, und als er zurückkehrte, hatte sie der Bauer bereits abgeerntet. 1995 absolvierte Kielnhofer sein Maschinenbau-Studium an der Höheren Technischen Bundeslehranstalt in Linz. Zuerst entwarf er Walzwerke, dann aber, da ihn vor allem ästhetische Objekte faszinierten, setzte er sich mit Möbeln auseinander. Schließlich landete er bei der Bildenden Kunst.

Netzwerk Artpark Seit 2005 ist er Obmann der von ihm gegründeten Galerie Artpark. Den 1.200

Qua­dratmeter großen Raum stellt die Bauunternehmer-Familie Brandstätter zur Verfügung. KünstlerInnen, die zu dieser Gemeinschaft gehören und bei anfallenden Arbeiten Hand anlegen, erhalten bevorzugt Gelegenheit, eigene Werke teilweise sogar langfristig zu zeigen. Die Galerie Artpark betreibt auch einen regen Austausch mit Kunsthandlungen und Museen in anderen Städten. Damit bekommen angehende MalerInnen und PlastikerInnen „einen Fuß in den Ausstellungszirkus“, wie Kielnhofer es formuliert.

Skulpturengarten Eine Besonderheit der Galerie ist der heterogene Skulpturengarten auf der Dachterrasse. Dort wetteifern Wächterfiguren und eine überdimensionierte Venus von Willendorf mit einer Lichtinstallation und diversen Metallplastiken. Bei einer feierlichen Eröffnung finden jedes Jahr ein bis zwei neue Werke Aufnahme in die­se Sammlung.

Gleichberechtigte Kunstformen Das Angebot der Galerie Artpark ist vielschichtig. Im Studio können FotografInnen neue Verfahren erlernen. In der Galerie veranstalten TänzerInnen der Kunstuniversität Vorführungen und organisieren Workshops mit international berühmten KollegenInnen. Bei Vernissagen sorgen drei Jazzmusiker für akustische Untermalung. Im Sommer stand der polnische Grafiker Robert Olszowski im Mittelpunkt einer Ausstellung. Seinen Geflechten von Linien entwachsen Gesichter von Männern und Frauen mit und ohne Brille nach oben, unten, rechts und links. Sie sind fast so dicht beisammen wie Blätter im Urwald. Diese eigenwillige Anordnung der Menschenköpfe mag zwar bizarr erscheinen, erzeugt aber eine magnetische Anziehungskraft. In der Welt der Kunst finden Olszowskis Werke große Anerkennung.

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Wohnhaus an der Götzlingstraße. 

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(Foto: Sokoloff)

Hervorragende neue Pöstlingberg-Architektur Stephen Sokoloff Am Fuß des Linzer Hausberges begann diesen Mai eine Besichtigungsfahrt des Architekturforums. Die TeilnehmerInnen hatten dabei Gelegenheit, innovative Wohngebäude und Bauwerke, die in den letzten Jahren entstanden sind, zu begutachten. Am Rande des dicht bebauten Zentrums wurden Eigenheime besichtigt, die zu einem kompakten, wohnblockartigen Komplex zusammengefasst sind. Individualität lautet das Leitmotiv der dafür verantwortlichen Baukünstler „ppag architects“. KäuferInnen können zwischen Maisonette, Garconniere, Gartenbungalow und loftartigem Penthouse wählen. Jede der 17 Wohnungen mit Größen zwischen 35 und 150 Quadratmetern ist anders gestaltet, alle verfügen aber über Balkone oder Terrassen.

Lautloser Lift Die Verschachtelung der Fassade des Gebäudes Rosenauerstraße Nr. 8 + 10 setzt sich im Inneren des Hauses fort. Die Gänge sind verwinkelt, vom Boden bis zur Decke reichende Wandvorsprünge sorgen für optische Abwechslung in den Wohnungen, die sich teilweise über zwei Stockwerke erstrecken und stufenartige Niveauunterschiede aufweisen. Der Betrieb des Lifts geht wegen der Doppelschalung lautlos vor sich. Metallene „Jägerzäune“ bilden die Geländer der

Balkone. Ursprünglich wollte man sie aus Holz gestalten, praktische Erwägungen haben aber zur Umstellung dieser Pläne gezwungen. Auffallend ist das erfrischende Rosa der Wände und Decken in manchen Abschnitten der Gänge. Die zweite Station der Besichtigungsfahrt erwies sich als etwas beschwerlich. „Geben Sie mir bitte die Hand“, insistierte der Architekt Andreas Dworschak, dann zog er mich zu sich hinauf. Ohne alpinistische Fähigkeiten erreicht man derzeit kaum den Rohbau seines Einfamilienhauses am Steilhang an der Matoschstraße 5. Die künftigen Besitzer sollen es freilich leichter haben. Ein Lift von der Garage auf Straßenniveau wird direkt in die oberen Etagen führen. Vom vorspringenden Wohnzimmer eröffnet sich ein fabelhafter Ausblick über Linz, dahinter liegt ein kleiner Garten. Im Obergeschoß sind Räume für Schlafzimmer, Bad und Sauna vorgesehen. Es ist beachtlich, wie die Architektengruppe „archinauten“ es fertig brachte, ein so schönes Haus in einer derart ungünstigen Hanglage zu errichten.

Ein „Aquarium“ als Domizil Allgemeine Bewunderung rief ein Einfamilienhaus der „caramel Architekten“ an der Götzlingstraße 1a unter den Teilneh-

mernInnen der Tour hervor. Das gebogene Panoramafenster gewährt eine wunderbare Aussicht nach zwei Seiten. Es ist sandwichartig zwischen weiß überzogener Holzdecke und weißem Fußboden untergebracht. Die stäbchenartigen Tragelemente hat man nach außen verlagert. Das Refugium errichtete man innerhalb von zwei Tagen aus vorgefertigten Bauteilen. Diese Vorgangsweise stellte sich als dermaßen effizient heraus, dass die Kosten für das Domizil mit 110 Quadratmetern Wohnfläche nur 150.000 Euro betrugen.

Feuerwehrgarage An der Samhaberstraße 50 stehen die Fahrzeuge der Freiwilligen Feuerwehr Pöstlingberg wie in einem riesigen gläsernen Schaukasten. Von diesem Raum aus kann man Brandherde überall in der Landeshauptstadt sofort lokalisieren. Sieben Architektengruppen beteiligten sich am Wettbewerb für das Bauvorhaben. Ursprünglich galt die Vorstellung der Gruppe „archinauten“ als undurchführbar. Es schien zu gewagt, ja sogar respektlos, eine gläserne Box als Zubau eines altehrwürdigen, denkmalgeschützten ehemaligen Postgebäudes zu errichten. Inzwischen finden viele doch Gefallen am nüchternen Viereck, das sich seit 2006 in Betrieb befindet.

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Zehn Jahre archäologische Forschungen auf der Keplerwiese Einbauten, Grundrisse von Unterkünften, Abfallgruben und Schächte zeichnen sich in rund drei Metern Tiefe ab“, erklärte Prof. Dr. Erwin M. Ruprechtsberger, der die Geschichte des römerzeitlichen Linz seit drei Jahrzehnten erforscht. Damit ist das Forscherteam in der Lage, die Ausdehnung der frühen Siedlung auf dem Römerberg einigermaßen genau abzuschätzen und zu gewichten.

Lentia-Ofen Mit ansehnlichen Bauresten wie etwa gut erhaltenen Heizkanälen aus dem vierten bis fünften Jahrhundert nach Christus und einem Ofen wurden erstmals Funde entdeckt, die aus der Spätantike stammen und zusammen mit anderen Indizien beweisen, dass der Schlossberg als damaliges Siedlungszentrum von Lentia galt, aus dem sich das frühmittelalterliche Linze entwickeln sollte. Vizebürgermeister Dr. Erich Watzl besuchte zum 10-jährigen Jubiläum die archäologischen Grabungen auf der Kepler-Wiese, die von Univ.-Prof Dr. Otto Urban von der Universität Wien und vom Linzer Stadtarchäologen Univ.-Prof. Dr. Erwin M. Ruprechtsberger geleitet werden (v.r.n.l.). (Foto: KOMM)

Die jährliche archäologische For­schungs­ kam­pagne auf der Keplerwiese nahe der Martinskirche am Römerberg wurde Ende August abgeschlossen. Unter der Projektleitung des Linzer Stadtarchäologen Prof. Dr. Erwin M. Ruprechtsberger des Nordico und Prof. Dr. Otto H. Urban von der Universität Wien arbeitet sich hier seit mittlerweile zehn Jahren jeweils im August ein Team von Wissenschaftlern und Stu­ dentInnen in die Tiefe, um die frühesten Schichten von Linz zu dokumen­tieren. Die Ausgrabungen werden als Lehrgrabungen des Instituts für Ur- und Frühgeschichte der Universität Wien geführt. Für die Archäologie-StudentenInnen besteht somit die Gelegenheit, das für ihr Studium vorgeschriebene Praktikum zu absolvieren. Dies nehmen besonders StudentenInnen aus Linz und dem ober­ österreichischen Zentralraum wahr, die einen Einblick in die Grabungsmethoden und zugleich in die frühe Geschichte ih-

rer Landeshauptstadt erhalten. Mit diesem internationalen Forschungsprojekt konnten wesentliche Erkenntnisse gewonnen werden, die in Zusammenhang mit den Grabungen am Schlossberg die historische Bedeutung des Ortes für die frühe Stadtentwicklung beweisen.

Frührömische Siedlung Seit 2005 werden die archäologischen Arbeiten von der EU gefördert. In Zusammenarbeit mit dem Keltischen Forschungszentrum im französischen Bibracte werden die späteisenzeitlichen und frührömischen Siedlungsreste in schwieriger Kleinarbeit freigelegt und wissenschaftlich exakt aufgenommen. „Mit unseren systematischen Unter­suchungen haben wir einen ganz wesentlichen Einblick in die frühe Phase des antiken Lentia aus dem ersten Jahrhundert vor und dem ersten Jahrhundert nach Christus erhalten. Holzkonstruktionen mit kellerartigen

Napoleons Schanze Während der Ausgrabungen kam auch ein zirka drei Meter tiefer und vier Meter breiter Sohlgraben zum Vorschein. Er gehörte zu jenem Schanz­werk, von dem die Franzosen am 5. Mai 1809 Urfahr beschossen und schwer beschädigt haben. Die Schanze – auf einer Zeichnung von Joseph Kenner um 1824 dargestellt – konnte nun durch die Archäologen erforscht und so topographisch fixiert werden. Münzfunde aus dem Graben bestätigen den Zeitansatz. Die geschützte Lage auf dem Römerberg oberhalb der Donau wurde auch in der NS-Zeit genutzt, um dort nicht nur eine Abwehrstellung, sondern auch Betonfundamente in den Boden zu gießen. Darauf standen Baracken und Pferdestallungen. Die massiven Betonreste mussten maschinell entfernt werden, damit die historisch relevanten Niveaus aus Spätantike, Römer- und Eisenzeit vom Grabungsteam geortet und untersucht werden konnten. Im Zuge dieser Arbeiten wurden heuer 134 Quadratmeter Erde bewegt und am Grabungsplatz aufgetürmt.

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Mit einer großzügigen Geste öffnen sich Eingang und Feierraum zum abgesenkten Garten der neuen Betriebsseelsorge voest­alpine.  (Foto: x architekten)

x architekten planen Betriebsseelsorge im zweiten Anlauf Elisabeth Oberlik Da das Projekt des Neubaus der Betriebsseelsorge Treffpunkt mensch & arbeit am Standort voestalpine, besser bekannt als voest-Pfarre, im ersten Anlauf an den Kosten scheiterte, hieß es zurück zum Start. Allerdings mit nützlichen Erfahrungen und Vorkenntnissen des Bauausschusses der Kirchengemeinde. Als Kostenrahmen wurden von der Diözesan-Finanzkammer 1,4 Millionen Euro veranschlagt. Architekt DI Andreas Heidl konnte bei der genauen Kostenerhebung und Kalkulation seines Projektes, das den Wettbewerb gewonnen hatte, diesen Kostenrahmen nicht halten. Daher hat Diözesan-Baureferent Dombaumeister Arch. DI Wolfgang Schaffer einen neuen Anlauf genommen. Das Auswahlverfahren wurde abgekürzt. Vier Architekten wurden eingeladen, ihre Entwürfe zu präsentieren. Mit der Planung und Ausführung des Neubaus am alten Standort der Betriebsseelsorge voestalpine wurde das Büro der x architekten betraut.

Engagierte junge ArchitektInnen Die x architekten setzen sich im Kern aus fünf „Ich-AGs“ zusammen. Vier lernten einander während der Studienzeit in Graz kennen, drei stammen aus Oberösterreich. Architektin DI Bettina Brunner ist eine gebürtige Mühlviertlerin. Architekt DI David Birgmann, aus dem Innviertel stam-

mend, hat in Innsbruck studiert und den Weg zurück ins heimatliche Bundesland gefunden. Architekt DI Rainer Kasik , ein Wiener, arbeitet als zweites Standbein der x architekten in Wien. Architekt DI Max Nirnberger ist ein Linzer. Architekt DI Lorenz Promegger, gebürtig aus Großarl, betreut mit Kasik das Wiener Büro. Die x architekten sind eine Gruppe engagierter junger ArchitektInnen, die in projektbezogener Arbeit konzeptionelle Positionen zur Gegenwartsarchitektur entwickelt.

Vorzeigeprojekte Vom Vorentwurf über den Entwurf, die Einreichung, den Finanzierungsplan, die Bauaufsicht und die Koordination bis zum Projektmanagement bieten sie ihre Leistungen an. Ihre Vorzeigeprojekte sind unter anderem der Neubau des Möbelhauses Manzenreiter bei Freistadt, das SOS Kinderdorf in Rechberg, der Golfclub in St. Oswald, die Installation „Hands out“ für die Kulturhauptstadt Graz 2003, das Bürogebäude der LINZ AG, das Juweliergeschäft Mayrhofer am Linzer Hauptplatz, das voest-Parkhaus für 800 Autos, das Zahnambulatorium bei der voest-Einfahrt sowie zahlreiche Messestände. Vor der Fertigstellung sind zwei Wohnbauprojekte in Linz, eines für die GWG, eine Hanglage an der Waldegg­ straße und für die WAG der Neubau an der Feilstraße am Bindermichl. Auch

Innenausstattungen übernimmt das x architekten-Büro, wie das neu gestaltete Altstadtlokal „Vanilli“ beweist.

Neubau mit Garten Doch zurück zum Neubau der Betriebsseelsorge, für den Architekt DI David Birgmann hauptverantwortlich zeichnet. Wie eine grüne Oase liegt das Grundstück an der Wahringerstraße in der industriellen Umgebung. Durch Aufbrechen der Landschaft, ähnlich einem Laib Brot, wird neuer Raum mit besonderen Qualitäten geschaffen. Im Erdgeschoß ergeben sich durch eine Erschließungsschlucht zwei Bereiche. Einerseits die sich um einen Innenhof sammelnden, dienenden Funktionen: Büro, Sozialraum, und Nebenräume. Andererseits der sakrale und gesellschaftliche Bereich mit Kapelle, Feierraum und Cafe. Im Obergeschoß befinden sich weitere Besprechungsräume sowie eine 97 Quadratmeter große Wohnung mit Gästebereich und der Jugendraum mit eigenem Garten. Mit einer großzügigen Geste öffnen sich Eingang und Feierraum zum abgesenkten Garten.

Dachbegrünung Das Niveau des Hauseinganges wird zwei Meter tiefer als die Straße liegen. Damit ist der Bahn- und Straßenlärm ausgeschaltet und der gesellige Treffpunkt nicht einsehbar.

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Kunstuniversität Linz in Gmunden: „kopieren und einfügen“ Die langjährigen guten Kontakte zwischen der Stadt Gmunden und der Studienrichtung Keramik an der Kunstuniversität Linz fangen Ausdruck in einem Kooperationsprojekt, an dem sich die Stadtgemeinde Gmunden mit der Kammerhofgalerie im neuen K-Museum und die VKB Bank mit ihrer Galerie beteilig­ ten. Beide Institutionen zeigten so ihre konsequente Schwerpunktsetzung für Gmunden als Keramikstadt, die sich so immer mehr zu einem Zentrum der zeitgenössischen keramischen Kunst entwickelt. Da andererseits die Kunstuniversität Linz in Zukunft die einzige universitäre Ausbildungsstätte für Keramik in Österreich sein wird, soll eine weiterführende Zusammenarbeit auch in Zukunft angestrebt werden.

Abformung Die Ausstellung „kopieren und einfügen“ wurde von der Kunstuniversität Linz als Beitrag zur oberösterreichischen Landesausstellung entworfen. Es beteiligten sich Studierende aus allen Semestern. In diesem Projekt wurde in einer spielerischen, experimentellen Weise mit dem in der Keramik sehr häufig verwendeten Vorgang der „Abformung“ gearbeitet. Das formbare Material reagiert auf die Berührung mit einem Gegenstand: Wird dadurch nicht Sichtbares sichtbar gemacht? Oder wird Sichtbares unsichtbar? Entstehen durch Abformen Klone oder Individuen? Oder entstehen durch weitere Veränderung ganz neue, überraschende Welten? Die BesucherInnen konnten sich ihr eigenes Bild machen.

Alina Sauter, Busts, 2008 Michael Ganahl, Das Goldene Vlies MEDEA, 2008 Liesa Wenzl, Force de Frappe II, 2008 (v.o.n.u.) (Fotos: Kunstuniversität)

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