54 | Migros-Magazin 4, 25. Januar 2010

DIE ZUTATEN: Kartoffel, Zwiebel,

Apfel und Wurst braucht es. EINFACH: Die Berner Zungenwurst schmort auf dem Zwiebelbeet. MISTER EMMENTAL: Fritz von Gunten ist in Sachen Kochen mehr Theoretiker als Praktiker. Nur bei der Rösti geht er aufs Ganze — und bei Würsten. LÖFFELPARADE: Für jeden Knecht einen Löffel. Früher wurde beim Bauern einfach aufgetischt.

Alles ist Wurst, bloss die

Fritz von Gunten ist Berner Oberländer und arbeitet als Kulturbeauftragter im Emmental. Er schätzt über Würste und liebt Rösti, für die er sogar die Kartoffeln schält. Den Rest überlässt er aber lieber

SAISONKÜCHE Nachgefragt bei Fritz von Gunten

at? e immer auf Vorr ➔ Was haben Si ein «Chlöpfmoscht», Früchte, Käse und felwein. moussierender Ap Sie pro Woche? en ➔ Wie oft koch ht an. r Frau und mir nic Das tue ich meine Sie … ➔ Kochen ist für nicht beherrsche. ich die t, … eine Kuns r hätze es, von meine Ich geniesse und sc . en rd we t zu Frau Esther bekoch sen? e nie im Leben es Si n de ür w ➔ Was ken. Kutteln und Schnec n Sie gern mal ➔ Mit wem würde essen gehen? ich im zer. Einmal durfte Mit Alber t Schweit lbe No en verstorben Museum des 1965 ch ba ns Gü ässischen preisträgers im els Für Menü geniessen. s da l uh in seinem St nis. leb Er les iel ez ganz sp mich war dies ein

W

urst kann man nur verstehen, wenn man sie auch isst», begrüsst Fritz von Gunten «Saisonküche»-Köchin Andrea Pistorius, die keuchend mit ihrer Bagage die steile Treppe der Kulturmühle in Lützelflüh erklimmt. «Kann ich helfen?» «Danke, es geht!» Und schon eilt Fritz von Gunten, Wilhelm Busch zitierend, im Sauseschritt in Richtung Küche: «Hier hängt die Wurst – dort an der Mauer steht Louis heimlich auf der Lauer.» Gut, Louis heisst Daniel und entpuppt sich als Fotograf. Bevor es mit dem Kochen losgeht, kracht der «Chlöpfmoscht». «Prost, auf gutes Gelingen. Was kochen wir schon wieder? Ja

| 55

genau: eine Berner Platte mit Hamme, Rippli, Speck, Bauernwürsten, Siedfleisch, Zunge, Gnagi und Sauerkraut», strahlt Fritz von Gunten über das ganze Gesicht. «Mit Rösti», ergänzt er. «Na ja, fast. Was wir von der Platte übernehmen, ist die Berner Zungenwurst. Alles andere lassen wir links liegen – die Kalorien und der Zeitaufwand, Sie verstehen?», berichtigt Andrea Pistorius schmunzelnd die kulinarische Träumerei des Berner Oberländers.

M Gotthelf und dem Mit EEmmental zur Wurst

Fritz von Gunten war Banker, EmFr mentaler me Verkehrsdirektor und ist he Berater für Öffentlichkeitsheute arbeit der Kulturmühle Lützelflüh, ar seine Passion sozusagen. Mit dem se im Volksmund bekannten Zitat «Wurst wider Wurst», was nichts anderes bedeutet, als Gleiches mit Gleichem zu vergelten, kam von Gunten auf die Idee, ein Buch über Schweizer Würste zu schreiben. «Früher war es Sitte, sich beim Schweineschlachten gegenseitig mit Wurst zu beschenken», klärt er Pistorius auf. «Beim Zusammentragen der Fakten hat mich auch immer wieder Jeremias Gotthelf begleitet, der ein scharfsinniger Kenner von Volk, Brauchtum und Kultur war», vervollständigt von Gunten seine Beweggründe, drei Jahre lang hauptsächlich von Wurst zu leben. Von der Berner Platte ist also für das «Saisonküche»-Rezept die Berner Zungenwurst übrig geblieben. Und für alle, die Zunge nicht essen, sei gesagt, dass eine Berner Zungenwurst aus Schweinund Rindfleisch und Hals-

Kochen mit der «Saisonküche» «Saiso

Rösti nicht

einen tränenden Emmentaler, schreibt «Saisonküche»-Köchin Andrea Pistorius.

Fritz von Gunten ist zwar Wurstexperte, doch das Kochen überlässt er lieber Andrea Pistorius, Köchin der «Saisonküche». Gut, etwas in der Pfanne rühren geht noch.

SAISONKÜCHE

Migros-Magazin 4, 25. Januar 2010

speck besteht. Woher der Name kommt, ist unklar, wird aber sicher damit zu tun haben, dass diese gekochte Brühwurst den Namensgebern auf der Zunge ungemein gemundet hat .

Auf dem Wurstweg durch die Schweiz

Von Osten nach Westen, von Norden nach Süden – mit Wurstspezialitäten kann jeder Schweizer Kanton aufwarten. Und die Metzger sind stolz darauf wie Fritz von Gunten auf sein Buch «Alles ist Wurst». Es beinhaltet Geschichten und Gerichte zur Wurstvielfalt der Schweiz. «Richtig spannend liest sich das, wie ein Krimi», ist Andrea Pistorius erstaunt. Klar, Würste gibt es auf der ganzen Welt. Auch Zweibeinige. Aber das kann der Wurst egal sein. Sie ist ein gutes Stück Schweiz, ein Stück Heimat eben. Das ist wohl selbst dem Vegetarier klar, ist doch die regionale Vielfalt mit über 400 Wurstspezialitäten in der Schweiz enorm.

Bei den Beilagen wird es spannend

«Enorm ist auch der Unterschied bei ‹Le Röschti›, wenn man sie mit Schweinefett oder mit normaler Bratbutter goldgelb brät. Natürlich in einer gusseisernen Bratpfanne», bemerkt der Röstipurist Fritz von Gunten. Nun ja, Andrea Pistorius verwendet für ihr Rezept normale Bratbutter. Das Spannende am Rezept ist nicht die Wurst – die ist eh gut –, sondern sind die Beilagen: Zwiebelringe im caramelisierten Zucker mit Apfel und Sultaninen–töntschräg,schmeckt aber vorzüglich – oder eine knusprig gebratene Rösti mit Majoran aus rohen Kartoffeln ist schlicht wunderbar, wobei die Emmentaler das wohl anders sehen. Aber das ist hier für einmal egal. «Nur wenn es um die Wurst geht, ist mir längst nicht mehr alles wurst», hält von Gunten fest und zitiert den Spitzenkoch Stefan Wiesner aus dem Entlebuch: «Wurst ist Vertrauenssache». Wie wahr. Text Martin Jenni Bilder Daniel Rihs

www.kulturmuehle.ch www.fritzvongunten.ch

| 57

Zungenwurst auf Apfelweinzwiebeln und Rösti Kleine Mahlzeit für 4 Personen Zubereitung ca. 35 Minuten Pro Person ca. 24 g Eiweiss, 30 g Fett, 48 g Kohlenhydrate, 2450 kJ/580 kcal

ZUTATEN

500 g Zwiebeln 1 Apfel 1 EL Zucker Bratbutter zum Braten 3 dl Apfelwein 3 EL Sultaninen Salz, Pfeffer 2 Berner Zungenwürste à ca. 250 g 500 g festkochende Kartoffeln einige Zweige Majoran 1 EL Maisstärke

ZUBEREITUNG 1 Zwiebeln in Ringe schneiden. Apfel an der Bircherraffel reiben. Zucker in einer Chromstahlpfanne bei mittlerer Hitze leicht caramelisieren. Wenig Bratbutter und Zwiebeln dazugeben, kurz dünsten. Mit Apfelwein ablöschen. Sultaninen und Apfel dazugeben. Mit Salz und Pfeffer würzen. Zungenwürste darauflegen. Mit geschlossenem Deckel während 5 Minuten köcheln lassen. Deckel entfernen und alles weitere 15—20 Minuten garen, bis die Flüssigkeit verdampft ist. Würste zwischendurch wenden. 2 Kartoffeln an der Röstiraffel reiben. Majoran fein hacken. Zusammen mit der Maisstärke unter die Kartoffeln mischen. Mit Salz und Pfeffer würzen. Bratbutter in einer Bratpfanne erhitzen. Kleine Röstiportionen formen und bei mittlerer Hitze beidseitig knusprig braten. 3 Heisse Wurst schälen und in Scheiben schneiden. Zusammen mit den Zwiebeln auf den Röstitalern anrichten. Tipp Zur Rösti passen auch Luganighe oder Schweinsbratwürste.

Jetzt abonnieren oder am Kiosk kaufen

Abo bestellen: 0848 87 77 77, [email protected] Mehr Rezepte unter www.saison.ch

58 | Migros-Magazin 4, 25. Januar 2010

KLEINE KÜCHENKUNDE

Cervelat

Es geht um die Wurst

Die Nationale: Gekochte Brühwurst. Zum Kaltessen, Grillieren oder Aufwärmen. Was ist drin: 27% Rindfleisch, 23% Eiswasser, 20% Wurstspeck, 15% Schweinefleisch, 15% Schwartenblock.

Die Wurst ist ein Kulturgut, die Schweiz ein Wurstland. Was es sonst noch mit der Wurst auf sich hat, verrät Andrea Pistorius, Köchin der «Saisonküche».

W

er das Schweizer Vorzeigebonbon Ricola erfunden hat, weiss Europa. Wer auf die Idee mit der Wurst gekommen ist, weiss niemand. Nur auf die Idee, eine essbare Masse in eine Hülle zu stopfen, um sie konservieren zu können, musste der Mensch zuerst einmal kommen. Aus Babylonien und Ägypten sind über 7000 Jahre alte Inschriften bekannt, auf denen die Herstellung von in Tiermägen und Blasen abgefülltem Blut mit zum Teil eingelegten Fleischstücken beschrieben ist. Und bereits bei den Römern war der Metzger ein angesehener Berufsmann und die Würste, gerade bei Roms Einwohnern, sehr beliebt. Dem passionierten Wurstesser von heute würde bei den Urwürsten aber der Appetit vergehen. Da kamen vorab die minderen Fleischabschnitte, dann Speck, Fett, Knorpelpartien, aber auch Kopfund Beinanteile rein – kurz: alles, was irgendwie essbar war.

Die Schweiz, ein Land der wunderbaren Würste

Da sieht es im 21. Jahrhundert bei Spitzenkoch Stefan Wiesner, dem Wurstveredler aus dem Entlebuch, schon etwas anders aus. Seine pechschwarze Barolo- oder seine mit Kakipüree durchsetzte Rehwurst sind schon heute bei Feinschmeckern Wurstlegenden. Die Schweiz ist ein Wurstland mit unzähligen Wurstspezialitäten. Weit über 400 verschiedene Würste kennt Helvetien. Und gerade aus den entlegenen Regionen kommt der unverfälschte Geschmack, was die Heimat, was das Terroir auf der Zunge widerspiegelt. Einige der

Stars, wenn sie sich nicht schon im Bild prall gefüllt zeigen, seien hier erwähnt.

Würste-ABC: Von Beinwurst bis Saaser Randenwurst

Der Bassersdorfer Schüblig ist eine schwarz geräucherte Fasnachtswurst aus Rind- und Schweinefleisch mit Speck und Schwarten im Naturdarm. Die Bündner Beinwurst ist ein Schweinsvoressen in Weinbeize, abgefüllt im Rindsbodendarm. Die Cicitt ist eine meterlange Tessiner Wurst, die aus Ziegenfleisch und Ziegenfett besteht und mit viel Zimt gewürzt wird. Die Glarner Kalberwurst ist eine weisse Brühwurst aus Kalbfleisch, Wurstspeck, Milch, Ei, Weissbrot und Gewürzen. Der Landjäger ist neben dem Cervelat die Nationalwurst. Er setzt sich aus Kuhfleisch und Rückenspeck zusammen; aromatisiert wird er mit Koriander, Kümmel, Knoblauch und Rotwein. Die Longeole ist eine Genfer Spezialität, oft gewürzt mit wildem Fenchel, Knoblauch, Muskatnuss und Weisswein. Zum Schluss noch eine ganz Spezielle: die Saaser Randenwurst. Sie besteht aus Schweine- und Rindfleisch, hinzu kommen Speck, Lauch, Kartoffeln und gekochte Randen. En Guete!

Und wie lagere ich die herrliche Wurstpracht?

Trockenwürste wie Salami und Salsiz fühlen sich im Kühlschrank nicht wohl, sie bevorzugen einen dunklen naturkühlen Platz. Rohund Brühwürste, wie etwa eine Sied- und Zungenwurst, gehören hingegen in den Kühlschrank. Am besten ins Gemüsefach.

St. Galler Schüblig

Der Speckige: Gekochte Brühwurst. Zum Kalt- oder Warmessen. Was ist drin: 35% Rindfleisch, 20% Wurstspeck, 20% Eiswasser, 10% Schweinefleisch, 10% Schwarten frisch, 5% Rückenspeckwürfel.

Diese Würste sind regional in der Migros erhältlich

Nicht nur das Fleisch macht jede Wurstsorte einzigartig, sondern die Mischung und die Würze. Das Wurstrezept ist oft geheim und der Stolz eines jeden Metzgers.

Appenzeller «Südwoscht»

Appenzell. Rohwurst zum Gekochtessen. Was ist drin: 40% Rindfleisch, 30% Eiswasser, 20% Wurstspeck, 10% Kalbfleisch.

SAISONKÜCHE Saucisson vaudois

| 59

AUFGEGABELT

Bild Gian Vaitl

Die Waadtländerin: Rohwurst mit abgebrochener Reifung zum Gekochtessen. Sie wird traditionell mit Lauch und Kartoffeln als «Papet vaudois» serviert. Was ist drin: 65% Schweinefleisch, 35% Halsspeck.

Martin Jenni, Food-Redaktor

Wurstglück

St. Galler Kalbsbratwurst

Saucisse du Vully

Der Klassiker: Gekochte Brühwurst. Zum Grillieren. Senf ist verpönt. Puristen sieden sie im Wasser. Was ist drin: 35% Kalbfleisch, 30% Milch, 25% Halsspeck, 10% Schweinefleisch.

Die Süffige: Rohwurst mit abgebrochener Reifung zum Gekochtessen. Mit Weisswein verfeinert. Was ist drin: 69% Schweinefleisch, 31% Brustspeck.

Luganighe

Tessin. Rohwurst mit abgebrochener Reifung zum Gekochtessen. Was ist drin: 40% Schweinefleisch, 35% Brustspeck, 20% Rindfleisch, 5% Schwarten.

Saucisse aux choux

Waadt. Rohwurst mit abgebrochener Reifung zum Gekochtessen. Was ist drin: 40% Schweinefleisch, 25% Brustspeck, 20% Kabis blanchiert, 15% Schwarten gebrüht.

Berner Zungenwurst

Bern. Gekochte Brühwurst. Was ist drin: 50% Schweinefleisch, 30% Rindfleisch, 20% Halsspeck.

Es gibt nicht viele Genussbücher, die mir gefallen. Oft sind sie zu geschleckt, zu theoretisch. Ideal für das Bücherregal, klar, aber für die Praxis schlicht ungeeignet. Und doch: Es gibt Ausnahmen. «Schwein & Sohn» ist so eine. Für Wurstfans ist das Buch sogar Pflicht. Es erzählt vom Alltag in der Ardèche, einer rauen Region im Südwesten Frankreichs. Ein Gebiet mit Dickschädeln, eine Wiege der Résistance gegen sinnlose EU-Vorschriften. Hier wird im Winter das Hausschwein zerlegt, hier wird tatsächlich noch selbst gewurstet. Ohne EU-Inspektoren, dafür mit Freunden und Nachbarn, die mithelfen. Alles kleine «Asterixe und Obelixe». Und erst die Kochrezepte: Die scheinen so leicht, dass einen der Verdacht befällt, dass sie nicht funktionieren könnten. Sie können! Mit Überraschungen müssen Sie trotzdem rechnen. Dann wenn die heisse Milch, in dem das Schwein schmort, Deckel und Topf des Bräters derart verschliesst, dass nach der Garzeit des Schweins nur noch Hammer und Meissel helfen. Eigentlich ist das Ganze ein preiswertes Gericht. Wenn nur der Bräter nicht so teuer wäre.