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___________________________________________________________________ 2 Musikstunde mit Christian Schruff SWR 2 Freitag, 02.08.2013 Robert Schumanns...
Author: Willi Solberg
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2 Musikstunde mit Christian Schruff SWR 2

Freitag, 02.08.2013

Robert Schumanns Kammermusik (5) Violinsonaten und Märchen 1851/53

Großer Bahnhof in Düsseldorf für die Schumanns, für den neuen Musikdirektor der Stadt und seine Familie. Am 2. September 1850 wird Robert Schumann empfangen wie ein berühmter Musiker, so wie er es sich seit langem gewünscht hatte. Schumann ist 40 Jahre alt, seine weitaus berühmtere Gattin Clara 31. Vor Schumann liegt ein großes musikalisches Amt. Leiter des Musikvereins-Orchesters und des großen Gesangsvereins in der Metropole am Rhein. Aus dem musikalisch nicht gerade wachen Dresden sind die Schumanns nun in eins der großen Musikzentren Deutschlands gekommen. Nach den Jahren der Nichtachtung in Dresden nun endlich die Aussicht auf Anerkennung! Vorgänger im Amt waren Schumanns Held Felix Mendelssohn Bartholdy und der Freund aus Dresdner Tagen Ferdinand Hiller. Der Umzug von Sachsen ins Rheinland schlägt sich augenblicklich in einem Schaffensschub nieder. Schon zwei Monate nach der Ankunft ist eine neue Sinfonie vollendet, „Die Rheinische“. Ein Jahr danach findet sich ein Thema aus deren Scherzo in der ersten von drei Violinsonaten, die Schumann nun schreiben wird. Und um die geht es heute in der SWR 2 Musikstunde. Herzlich willkommen! Zuerst das Finale der 1. Violinsonate in a-Moll mit der Anspielung an die „Rheinische“. Überschrift: „lebhaft“. Musik 1: CD 1 Track 3 Robert Schumann: Violinsonate Nr. 1 a-Moll op. 105 3. Lebhaft Gidon Kremer, Violine, Martha Argerich, Klavier DG, 419 235-2, LC0173

5:00

„Unwirsch“ und „störrisch“, so wollte Schumann dieses Finale gespielt wissen. Der Satz ist ein hochkonzentriertes Kunstwerk. Da war das erste Thema, bei dem sich Klavier und Geige wie Katz und Maus dicht auf den Fersen gewesen sind – Polyphonie. Mit einem kräftigen Schlag begann das zweite Thema, dann erschien noch ein lyrischer Gedanke. Was beim ersten Hören wahrscheinlich gar nicht zu vemerken ist: Alle drei Themen sind kunstvoll miteinander verzahnt! Und so ist es in vielen Werken, die Schumann in dieser Zeit um 1851 geschrieben hat. Werke, über die man immer noch lesen kann, dass sich in ihnen bereits die Zeichen des geistigen Verfalls erkennen ließen, „das Abgleiten ins Banale und die Kopie“. Das Gegenteil stimmt! Gerade die Violinsonaten zeigen Schumann auf der geistigen Höhe, die er immer angestrebt hat. Hier im Spätstil ist es ihm gelungen, poetische Einheit, Virtuosität und Kontrapunkt effektvoll zu vereinen. Wenn Generationen von Musikwissenschaftlern hier lieber von geistigem Verfall geschrieben haben, dann weil ihnen die analytischen Methoden und Begriffe gefehlt haben, um das Neuartige in Schumanns Spätstil angemessen zu erkennen und zu beschreiben. Und weil sie kopiert und weitergetragen haben, was Schumanns Witwe Clara und Johannes Brahms nach Schumanns Tod zu verbreiten begannen…

3 Was neuartig war an Schumanns Spätstil, können Sie nun am Kopfsatz der 1. Violinsonate erleben: Es gibt in Schumanns späten Sonatensätzen keine zwei gegensätzlichen Themen mehr, wie es immer noch Sonatenkonvention gewesen ist, sondern eigentlich nur noch einen Ausgangsgedanken. Und dieser wird sofort verändert, fortgesponnen. So entstehen Bausteine, Abwandlungen, harmonische Veränderungen, neue Klangfarben und Stimmungen, die doch alle auf ein und denselben Kern zurückgehen. Alles ist miteinander verbunden und wird doch fortwährend verändert. Kaleidoskoptechnik nennt das die jüngere Musikwissenschaft. Musik 2: CD 1 Track 1 Robert Schumann: Violinsonate Nr. 1 a-Moll op. 105 1. Mit leidenschaftlichem Ausdruck Gidon Kremer, Violine, Martha Argerich, Klavier DG, 419 235-2, LC0173

7:23

Clara hatte die neue Sonate sofort nach der Komposition bereits gelesen. Sie war gespannt wie sie klingen würde. Gemeinsam mit dem Geiger Wilhelm Joseph von Wasielewski spielte sie sie einen Monat später bei Schumann zuhaus. Claras Notiz dazu: „Wir spielten sie und fühlten uns ganz besonders durch den ersten sehr elegischen, sowie den zweiten lieblichen Satz ergriffen, nur der dritte, etwas weniger anmutige, mehr störrische Satz wollte noch nicht so recht gehen.“ Schumann hat diesen Satz auch noch überarbeitet, ehe das Stück im Leipziger Gewandhaus dann erstmals öffentlich erklang. Es spielten Clara und der Konzertmeister des Gewandhausorchesters, Ferdinand David. Der hatte Schumann überhaupt erst auf die Idee gebracht: „Deine Fantasiestücke für Piano u. Clarinette gefallen mir ungemein; warum machst Du nichts für Geige und Clavier. Es fehlt so sehr an Gescheidtem Neuen und ich wüßte Niemand der es besser könnte als Du.“ Die erste Sonate war kaum fertig, da schrieb Schumann bereits an einer zweiten. Das war beim häufig so, wenn er eine neue Gattung einmal bewältigt hatte, schrieb er gleich eine Reihe solcher Werke. Die erste Sonate hatte er übrigens wie damals üblich als „Sonate für Pianoforte und Violine“ bezeichnet, im Titel der 2. Sonate in d-Moll kehrt er die Reihenfolge um. Eine Umwertung der Rollen beider Instrumente kann man aber nicht ernsthaft erkennen. Allerdings hat er die Sonate einem Geiger gewidmet, eben jenem Ferdinand David, der ihn um neue Musik für sein Instrument gebeten hatte. Schumann hat den Widmungstäger auch in den ersten Tönen der Sonate versteckt. Aus dem Namen David hat er die Tonfolge D – A – F – D abgeleitet, das F als Ersatz fürs V. Oft und schon in seiner allerersten Veröffentlichung hatte Schumann diese Technik zur Themenfindung angewandt: in den Abegg-Variationen. Die hatte er einer Gräfin von Abegg gewidmet. Die Tonfolge A – B – E – G – G ist das Thema. Schumanns Musik wächst also wieder unmittelbar aus dem Privaten: Kunst und Leben sind eins, das ist sein romantisches Ideal. D A F D – diese Formel ist im ersten Satz der d-Moll-Sonate vielfach zu finden, sofort zu Beginn in den vier Akkorden der Sologeige sind es die Spitzentöne. Hier die langsame Einleitung und der Beginn des ersten Satzes von Schumanns d-Moll-Sonate op. 121.

4 Musik 3: CD 2 Track 1 0:00 Robert Schumann: Violinsonate Nr. 2 d-Moll op. 121 1. Ziemlich langsam – lebhaft Mark Steinberg, Violine, Pedja Muzijevic, Hammerflügel HELICON, HE 1018

ab 4:13 >

4:15

Die zweite Violinsonate hat übrigens vier Sätze, nicht drei wie die erste. Der zweite Satz ist ein Scherzo, der vierte ein Sonatensatz, wieder in Schumanns neuartiger Kaleidoskoptechnik. Und an dritter Stelle stehen Variationen, vier Variationen über ein Choralthema. Es ist zuerst nur gezupft zu hören, still angedeutet. In der ersten Variationen spielt die Geige die Melodie dann deutlicher: „Aus tiefer Not schrei’ ich zu Dir“. Musik 4: CD 2 Track 12 Robert Schumann: Violinsonate Nr. 2 d-Moll op. 121 3. Leise, einfach Mark Steinberg, Violine, Pedja Muzijevic, Hammerflügel HELICON, HE 1018

6:11

Variationen über den Choral „Aus tiefer Not schrei’ ich zu Dir“ – ist das im Herbst 1851 bereits ein Zeichen einer erneuten Krise. Ein Jahr nach der Amtsübernahme in Düsseldorf ist die Begeisterung der Düsseldorfer über den neuen Musikdirektor zwar schon etwas abgekühlt, aber noch ist Schumann äußerst produktiv. Schnell hat das Orchester bemerkt, dass Schumann kein guter Dirigent ist. Schumann spricht wenig, und wenn, dann so leise, dass seine Stimme in den Proben kaum zu hören ist. Das geschwätzige rheinische Temperament der Musiker tut das Seine. Schumann, scheu und schweigsam, kommt mit diesem Naturell überhaupt nicht zurecht. Und umgekehrt finden die Düsseldorfer Musiker Schumann humorlos und pedantisch. Aber tiefe Not? Nein, so schlimm ist es nicht, noch nicht! Seine neuen Werke haben Erfolg, die Rheinische Sinfonie und das a-Moll-Klavierkonzert werden oft gespielt. Schumann nutzt die Möglichkeiten, die ihm Chor und Orchester bieten, er komponiert neben der Kammermusik etliche Sachen für große, populäre Veranstaltungen. Doch mit der öffentlichen Rolle, die Schumann ja eigentlich auch angestrebt hatte, wächst seine Angst vor dem Versagen. Komponieren wird wichtiger, mit dem Musikverein einigt man sich darauf, dass Schumann weniger dirigiert, nur noch eigene Werke. An seinen Vokalwerken dieser Zeit fällt auf, dass die Texte immer mehr eine idyllische, biedermeierlich heile Welt beschwören: Schumann vertont das romantische Märchen „Der Rose Pilgerfahrt“. Fast ist man versucht, den idyllischen Kitsch dieses Werkes mit dem Wortkleister heutiger sogenannter „Volksmusik“ zu vergleichen. Kostprobe? „O Herz, wenn Dir die Erde Nicht hält, was sie versprach, wenn Lieb’ und Treu’ die Schwüre In arger Falschheit brach, Dann komm’, ruft’s aus dem Wald, Komm’ her in meine Ruh’, Mein leises kühles Rauschen Küsst deine Wunden zu.“

5 Vergleicht man solche dünnen Reime auf Poesiealbumniveau mit den hochrangigen Dichtungen, die Schumann früher vertont hatte, mit Eichendorff etwa oder Heine, dann wird es einem doch unbehaglich. Aber, so etwas wollte das Publikum hören, um 1850, in der biedermeierlichen Dumpfheit nach der missglückten Revolution. Genau wie heute die sogenannte Volksmusik: Sie soll ablenken von der Wirklichkeit, ruhig stellen, Musik als kollektives Betäubungsmittel, damit die Wirklichkeit nicht ganz so schmerzt. Schumann hatte damit Erfolg – und: er konnte so auch seine eigenen Ängste verdrängen. Das sind tatsächlich Anzeichen seiner geistigen Verwirrung. Wobei man hinzufügen muss: Schumanns Musik ist weit besser als der Text! In seiner wachsenden Isolierung findet Schumann also Märchenstoffe attraktiv. Und wenn er seine kompositorische Kunst nicht gerade auf schwache Lyrik verschwendet, dann gelingen ihm großartige poetische Instrumentalwerke. Etwa die Märchenbilder op. 113 für Bratsche und Klavier, ein Zyklus von vier Charakterstücken. In ihrer Verschiedenheit von tiefer Melancholie bis zum energischen Zupacken scheinen sie wie ein Seelenkaleidoskop des Komponisten. Musik 5: CD 3 Track 6 Robert Schumann: Märchenbilder op. 113 3. Rasch Yuri Bashmet, Viola, Mikhail Muntian, Klavier BMG/RCA, RD60112, LC0316

2:50

Emphatisch und aufgewühlt klingt dieses dritte der vier Märchenbilder op. 113 von Robert Schumann. Ein Satz nur aus einem dicht gewobenen Zyklus, gespielt von … Dieser eine Satz kann nur andeuten, wie konzentriert die Ausdruckskraft des ganzen Zyklus ist. Dass Schumann hier, noch vor seinen beiden Violinsonaten, nicht mehr im Vollbesitz seiner kreativen Kräfte gewesen sein soll, wie man häufig noch lesen kann, das ist ziemlich abwegig. Wenn dieser Zyklus tatsächlich ein Vorzeichen des Zusammenbruchs sein sollte, dann einzig in der Wahl des Themas, in der Abkehr von der Realität und der Flucht ins Märchen. Schon ein Jahr nach der Amtsübernahme als Musikdirektor in Düsseldorf war Schumann entzaubert. Durch schlechte Kritiken fühlte er sich persönlich beleidigt. Und dass immer weniger Sänger des Chores zu den Proben erschienen, empfand Schumann als offene Ablehnung. Seiner Kreativität in der Kammermusik konnte das jedoch nichts anhaben. In diesen letzten Jahren entstanden immerhin drei Violinsonaten, die eben angespielten Märchenbilder, das großartige 3. Klaviertrio, Romanzen für Cello-Solo, die allerdings nicht erhalten sind, und Märchenerzählungen für die Triobesetzung Bratsche, Klarinette und Klavier. Daneben die Rheinische Sinfonie, die drei Konzerte für Klavier, Cello und Violine, das dramatische Gedicht Manfred, Lieder und Chorballaden. Die Düsseldorfer Jahre sind eine der fruchtbarsten Perioden in Schumanns Leben. Je schwieriger seine öffentliche Position aber wurde, desto bedeutender wurde die Familie: Mit Tochter Eugenie wurde Ende 1851 das sechste Kind geboren. Schumann schreibt Klaviermusik für die Kinder. Ebenso wichtig der musikalische Freundeskreis. Eine Lichtgestalt, ja einen Messias, sieht Schumann im jungen Brahms. Das Tragische am Erscheinen des jungen schönen Musikers aus Hamburg: Beide Schumanns verlieben sich leidenschaftlich in ihn, Clara und Robert. Doch diese Geschichte ist ein eigenes Thema. Gemeinsam mit Brahms und mit Albert Dietrich schriebt Schumann im Oktober 1853 eine Violinsonate für den befreundeten Geiger Joseph Joachim. Ein Willkommensgruß für dessen Konzertbesuch in Düsseldorf.

6 Das Lebensmotto des reisenden Violinvirtuosen liefert das Thema der Sätze: „Frei aber einsam“ – F A E. Schumann schreibt zwei Sätze – den zweiten und vierten -, Albert Dietrich den ersten und Brahms den dritten. Und nur wenige Tage später schreibt Schumann zu seinen beiden Sätzen der Gemeinschaftssonate noch zwei weitere hinzu – vervollständigt also seine dritte Violinsonate. Joseph Joachims Kommentar: „Die Ergänzung der Sonate paßt prächtig in ihrer concentrirt-energischen Weise zu den übrigen Sätzen. Das ist jetzt freilich ein anderes Ganzes!“ Musik 6 : SWR –CD 337-0677 Track 8 Robert Schumann: Violinsonate Nr. 3 a-Moll WoO - ziemlich langsam - lebhaft Isabell Faust, Violine, Silke Avenhaus, Klavier CPO, 999 597-2, LC8492

6:52

SWR-Produktion

Geschrieben hat Schumann diese Musik wenige Monate vor seinem Zusammenbruch. Klingt sie schwach, kraftlos? Rechtfertigt sie das Urteil des Komponisten Felix Draeseke, der polemisierte, Schumann habe als Genie begonnen, aber nur als Talent geendet? Clara Schumann und Joseph Joachim haben die 3. Violinsonate mehrfach gespielt, auch öffentlich, auch als Schumann bereits in der Irrenanstalt in Endenich lebte. Doch Clara hat später verhindert, dass diese Sonate gedruckt worden ist. Wiederentdeckt wurde das Werk erst vor 50 Jahren. 150 Jahre nach Schumanns Tod wird der späte Schumann allmählich rehabilitiert, auch durch neue Biographien wie die jüngst erschienene Arbeit von Martin Demmler „Ich hab im Traum geweinet“. Mir hat sie für diese SWR2 Musikstunden wertvolle Einsichten geliefert. Wenn man das kurze Leben Robert Schumanns nach Höhen und Tiefen überblickt, dann fällt es schwer, von einem glücklichen Leben zu sprechen. Ein hochbegabter Geist, der sein Leben nur selten in den Griff bekommen hat. Ein junger Mann mit hohen Idealen, an denen er immer wieder selbst scheitert. Ein Student im Sog von Sex und Alkohol, der sich mit Syphilis infiziert, deren Spätfolgen sein tragisches Ende auslösen. Ein komplexbeladener Mann ohne geschliffene Umgangsformen, unbeholfen in der Kommunikation. Ein Komponist, der um jeden Preis berühmt sein will, der sich in allen Genres bewähren will, daran aber scheitert. Ein Mensch voller Ängste, vor Krankheiten, Tod und Einsamkeit. Was an Schumanns Lebensleistung um so mehr beeindruckt: Immer wieder und in immer kürzeren Intervallen hat er sich mit einer gewaltigen geistigen Anstrengung durch Komponieren aus seinen Krisen gearbeitet, gestützt von Clara. Und dabei hat er bis zuletzt sein Komponieren erneuert und weiter entwickelt. Das Verdikt von der nachlassenden Geisteskraft läßt sich nicht aufrecht erhalten. Nirgends ist das ohrenfälliger als in seiner Kammermusik, an der er bis zuletzt gearbeitet hat. Musik 7: SWR-CD 336-6760 Track 31 Robert Schumann: Märchenerzählungen op. 132 3. Ruhiges Tempo, mit zartem Ausdruck Eduard Brunner, Klarinette, Kim Kashkashian, Viola, Robert Levin, Klavier ECM, 437 957-2, LC2516

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