5. BIOLOGISCHE PSYCHOLOGIE 5.1 Die Suche nach dem Sitz des Erlebens

- HIPPOKRATES / GALENUS VON PERGAMON:

 Differenzierte Modellverstellung: Gehirn = Sitz des Erlebens …

… Durch Atemluft strömt pneuma zootikon (spiritus vitalis) ein, welches im Ventrikelsystem des Gehirns zum pneuma psychikon (spiritus animalis) gewandelt wird - NEWTON: • •

Versuchte Funktion d. Nervensystems durch ein mechanisches Modell zu deuten

Postulierte einen elastischen Äther ( in Fasern d. Nervensystems vibrieren)

- GIORGIO BAGLIVI:

 Weiterentwicklung zur Iatromechanik – abgelöst durch: - LUIGI GALVANI:

 Entdeckung d. „tierischen Elektrizität“ ( Elektrischer Strom = entscheidende Rolle als

Träger d. nervösen Erregungsgeschehens) //

- Gegenwärtig: Gehirn = Supercomputer ( Funktion: Begriffe d. Informatik)

5.2 Die nervöse Erregung - HUBERT ROHRACHER:

 „Die fadenförmigen Ausläufer der Zellen – Nervenfasern – sind Leitungsorgane; sie

leiten etwas von Zelle zu Zelle oder zu anderen Organen. Was sie leiten, weiß man heute noch nicht genau; man nennt es die ‚Erregung’. Von der Erregung weiß man nicht viel mehr, als dass sie ein elektrochemischer Vorgang ist …“

- Abgerundetes Modell d. nervösen Mechanismen  Ausgehend von vier Fakten: 1. Innenraum ist im unerregten Ruhezustand elektrisch negativ geladen

 Spannungsdifferenz zur Zellumgebung (Ruhepotential) beträgt 70 mV

2. Konzentrationsunterschied: • •

Zellinneren  K+

Zellumgebung  Na+ / Cl-

3. Während einer nervösen Erregung tritt eine Depolarisation der Zellmembran auf  Negatives Ruhepotential verschiebt sich in Richtung Elektropositivität

4. Während/Nach einer Erregung ist d. Konzentration von Na+ im Zellinneren erhöht

- HODGKIN / HUXLEY:

 Ionentheorie d. Erregung (Universalprinzip): (Na-K-Pumpe = Ionenpumpe  K+ ins Zellinnere / Na+ in Zellumgebung) - Ausgangsannahme: •

Membran im unerregten Ruhezustand für K+-Ionen permeabel

 Strömen wegen dem Konzentrationsunterschiedes aus dem Zellinneren

(= Elektronegative Aufladung d. Zellinnenraumes)



Auswärtsdiffusion (K+-Ionen) endet, sobald Ladungsunterschied ebenso groß ist wie d. auf ein Ion einwirkende osmotische Kraft

- Erregung: •

Membran wird kurz für Na+-Ionen permeabel ( Strömen ins Zellinnere)



… Es kann zu einer begrenzten Öffnung des Natrium-Kanals kommen



Sperrfunktion wird bei Überschreitung eines kritischen Stellenwertes aufgehoben

 Ruhepotential verschiebt sich in Richtung Elektropositivität …

 Hat eine abgestufte Depolarisation zur Folge (= Lokale Antwort)

 Ausgelöster Spannungssprung = Aktionspotential (~1/10 Volt)

- Abklingen: •

Durchlässigkeit der Zellmembran für Na+-Ionen endet

 K+-Ionen strömen aus, bis das negative Membranpotential wieder seine ursprüngliche Größe erreicht hat (= Ausgangszustand)



Zellinnere enthält durch eine geringfügige Verschiebung der Ionenkonzentration etwas mehr Na+-Ionen

// - In der Nervenzelle  Unterscheidung zweier Regionen für Informationsverarbeitung: 1. Inputregion (dendritische Zone) = Ort d. Erregungsentstehung: • •

In Sinneszellen entstehen aus Reizen nervöse Erregungen

Interneuronen nehmen nervöse Erregungen anderer Nervenzellen auf

2. Outputregion (Axon) = Bilden d. Aktionspotentiale

 folgen umso schneller aufeinander, je höher d. Erregungsniveau ist

//

- Jedes Axon endet mit einer Synapse ( Muskel-/Drüsenzelle oder Schaltneuron)  ~1011 Neuronen im ZNS - jedes Neuron: • •

Sendet ~1000 synaptische Verbindungen aus Nimmt eine noch größere Anzahl auf

= 1014 Kontaktstellen im ZNS (!) - Chemische Synapsen = Erregungsübertragung durch Neurotransmitter ( liegen in d. präsynaptischen Membran u. werden durch eintreffende Aktionspotentiale ausgelöst) - Funktionsweise von Neurotransmittern = Schlüssel-Schloss-Prinzip …

… Transmittermoleküle lagern sich an Proteindifferenzierungen (Zielzelle) und verändern das Erregungsniveau der nachgeschalteten Zelle  Unterschiedliche Richtungen: • •

Exzitation = Erregung

Inhibition = Hemmung

= Unterscheidung zw. Potentialen: •

EPSP  Exzitatorische Neurotransmitter öffnen in d. subsynaptischen Membran

Natrium-Gates und lösen dadurch eine Depolarisation aus (= exzitatorisches postsynaptisches Potential), wodurch das Erregungsniveau d. Zelle erhöht wird



IPSP  Inhibitorische Neurotransmitter öffnen Poren (Einströmen von Cl-), was zu einer Hyperpolarisation führt (= inhibitorisches postsynaptisches Potential), wodurch d. Erregbarkeit d. Zelle vermindert wird

- Empfindlichkeit einer Synapse kann auch durch vorausgegangenes Erregungsgeschehen beeinflusst werden (Rezeptorplastizität)  Veränderungen: • •

Empfindlichkeit d. Rezeptors kann sich ändern Anzahl d. Rezeptoren kann:

a) Zunehmen (= up-regulation)

b) Abnehmen (= down-regulation)



Rezeptoren können ins Zellinnere verlegt werden („bedarfsgerechte Platzierung“)  Erregbarkeit kann innerhalb von Minuten verändert werden

… Pharmakologische Nutzanwendungen: •

Veränderungen durch Aktivierung bestimmter Neurotransmittersysteme



Einsetzen von Agonisten (= ähnliche Schlüssel-Funktion)



„Verstopfen“ der Schlösser (= überschießende Funktion eines Systems drosseln)

 Oft größere Wirksamkeit als körpereigene Neurotransmitter

 Re uptake Inhibition = Blockieren von Resorptions-Kanäle (= Zurückpumpen von

Neurotransmittern zur Verwertung in d. Synapse wird verhindert)

Exkurs: Pharmakologische Grundbegriffe

- Pharmakodynamik = Gesetzmäßigkeiten d. Einwirkung eines Pharmakons …

… Dosis-Wirkungs-Beziehung  Verlauf:

1. Unterhalb einer bestimmten Konzentration ist keine Wirkung zu erkennen 2. Im mittleren Konzentrationsbereich verläuft d. Funktion annähernd linear

3. Ab einem kritischen Maximalwert ist kein wesentlicher Effekt durch eine Dosissteigerung mehr zu erwarten

 Unterscheidung bzgl. Dosis: •

effektive Dosis ED50 = Bei d. Hälfte aller Individuen einer sinnvollen Vergleichs-



dosis letalis LD50 = Bei d. Hälfte d. Kollektivs tödlich (Tierversuch!)

gruppe zeigt sich d. erwünschte Wirkung

… therapeutische Breite = Quotient LD50/ED50 (z.B. bei Barbituraten sehr niedrig)

 Längerer Gebrauch regt körpereigene Abbauprozesse an, sodass eine Dosissteigerung

nötig wird (= pharmakokinetische Toleranz)

- therapeutischer Index = Verwendung anderer Quotienten (LD25/ED75 // LD05/ED95) // - Pharmakokinetik = Gesetzmäßigkeiten: • •

Verteilung eines Pharmakons im Organismus Ausscheidung eines Pharmakons

 Erfolgt nur in den seltensten Fällen gleichförmig (Kinetik 0-ter Ordnung) - Clearance = Proportionalitätsfaktor als geeignete Kennzahl für Elimination (= In einer

Zeiteinheit ausgeschiedene Substanzmenge ist proportional zur Plasmakonzentration)

- Halbwertszeit t½ = Kennzahl für Zeitraum, in dem die Konzentration um jew. d. Hälfte abgenommen hat ( nach 5 Halbwertszeigen = 3% des Ausgangswertes)

- Sättigungsdosis = Bei einmaliger Verabreichung wird der therapeutisch angestrebte

Effekt erzielt …

… meistens soll die wirksame Konzentration über längere Zeit aufrecht erhalten bleiben: •

Wiederholte Verabreichung des Pharmakons in geeigneten Zeitabständen

 Aufgrund des schnelleren Abbaus bei höherer Plasmakonzentration stellt

sich ein Gleichgewichtszustand ein (steady state) …



… Kann durch eine kontinuierlich geeignete Menge aufrechterhalten werden

(= Erhaltungsdosis)

5.3 Die hirnelektrischen Erscheinungen

- CATON:

 Beobachtung im Tierversuch, dass von d. Gehirnoberfläche schwache Spannungsschwankungen abgeleitet werden können - HANS BERGER:

 Rhythmische Potentialschwankungen auch am menschlichen Kortex ( EEG) - HUBERT ROHRACHER:

 Zusammenhang zw. Wellenform des EEG u. Bewusstseinslage (= Aktiviertheit): • •

α-Wellen = Zustand wacher Entspanntheit ( ~10 Schwingungen/Sek.)

β-Wellen = Erhöhung des Aktivierungsniveaus ( schnelle, kleine Wellen)

… Übliche Einteilung d. Wellenformen (= Hauptfrequenzbänder d. Gehirnströme): • • • •

Delta-Band = unter 4 Hz Theta-Band = 4-8 Hz

Alpha-Band = 8-13 Hz

Beta-Band = über 13 Hz

- Mittelungstechnik / Signal Averaging = Mit Computerhilfe können Korrelate der

Wahrnehmung sichtbar gemacht werden, indem d. Mittelung zahlreicher Reizantworten

das im Rauschen versteckte Signal hervorgeholt wird … … Nutzanwendung z.B. objektive Audiometrie:

 Analyse von Potentialantworten auf unterschiedlich laute Töne, wobei Schwellen-

verschiebungen an einer Amplitudenverringerung erkennbar werden

- Ereigniskorrelierte Potentiale (ERP) = Oberbegriff von Bewegungen / Vorstellungen, welche von Potentialen begleitet werden: •

Visuell Evozierte Potentiale (VEP) = Überprüfung von:

a) Sehschärfe / Farbtüchtigkeit / Nachtblindheit / Gesichtsfelddefekten

b) Frühdiagnose d. Multiplen Sklerose



Somatosensorisch Evozierte Potentiale (SEP) = Objektive Abklärung von Störungen d. peripheren Nervenfunktion

 Vielfältige Einsatzmöglichkeiten der ERP: • • •

Überprüfung von Medikamentenwirkungen Diagnose von Koma-Zuständen Kriterien für d. Hirntod

- Kortikale Gleichspannungspotentiale (DC-Potentiale / Slow Potentials) = Alle hirnelektrischen Phänomene mit derart langsamen Veränderungen, dass zur Registrierung Gleichspannungsverstärker benötigt werden …

… DC-Topographie zeigt, dass die für Funktionen zuständigen kortikalen Rindenfelder aktiviert sind und leistungsabhängige Unterschiede beobachtet werden können, da: • •

Weniger begabte Personen (bzgl. dieser Aufgaben) = stärkere Aktivierung

Personen mit guter Raumvorstellung = schwächere Aktivierung

5.4 Rückblick

- Erleben bleibt ausschließlich dem Erlebenden zugänglich u. allen anderen grundsätzlich

verschlossen …

… Denn physiologische Daten müssen ( bzgl. psychologischer Aussagen) irgendwann mit Erlebnisberichten verglichen werden