4.7 Arterielle Hypertonie (R. Keckstein) Einleitung

4.7 Arterielle Hypertonie (R. Keckstein) 4.7.1 Einleitung Die Prävalenz der arteriellen Hypertonie nimmt zwischen den Jahren 1988 und 1999 insbesond...
Author: Monika Müller
0 downloads 1 Views 94KB Size
4.7

Arterielle Hypertonie (R. Keckstein)

4.7.1 Einleitung Die Prävalenz der arteriellen Hypertonie nimmt zwischen den Jahren 1988 und 1999 insbesondere bei den übergewichtigen und adipösen Kindern deutlich zu.1 Der Anstieg des Blutdrucks wird nach den nun vorliegenden Ergebnissen der NHANES IV (part I) Studie, die 2211 amerikanische Kinder einbezieht und diese mit den Daten der Kinder seit 1971 vergleicht, zehn Jahre nach dem BMI-Anstieg beobachtet.. Die kindliche Adipositas bereitet hinsichtlich kardiogener Spätfolgen die metabolische Grundlage für die Entstehung einer CVD (cardiovascular disease) im Erwachsenenalter.2, 3, 4 Bereits im jungen Lebensalter können Risikofaktoren für die Entstehung einer CVD vorliegen, welche denen im Erwachsenenalter gleichen.5, 6, 7, 8, Adipöse Kinder und Jugendliche sind diesbezüglich besonders gefährdet, wenn neben einer familiären Disposition ein pathologischer Fett- und Glucosestoffwechsel und ein erhöhter Blutdruck besteht.9 Das Ausmaß atherosklerotischer Läsionen - diese sind bereits in der Kindheit und Adoleszenz nachweisbar - korreliert mit den genannten Risikofaktoren. 9, 10 Die linksventrikulare Hypertrophie, die mit Adipositas und arterieller Hypertonie assoziiert ist, gilt als eigenständiger Risikofaktor.11 Systolisch erhöhte Blutdruckwerte sind mit einem höheren Komplikationsrisiko verbunden als diastolisch erhöhte.12 Ferner sei auf die pathogenetische Bedeutung der arteriellen Hypertonie für das Auftreten eines cerebrovaskulären Insultes sowie eines Herz- und Nierenversagens hingewiesen. 4.7.2 Definition Eine arterielle Hypertonie liegt bei systolischen und/oder diastolischen wiederholt oberhalb der 95. Perzentile gemessenen Blutdruckwerten des Kindes vor. 13 4.7.3 Diagnostik Die Hypertonie im Kindesalter ist oftmals asymptomatisch. Kopfschmerzen, Erbrechen, Schwindel, Sehstörungen, zerebrale Krampfanfälle, Hirnnervenausfälle und Epistaxis können fakultativ auftreten. Regelmäßige Blutdruckmessungen übergewichtiger und adipöser Kinder und Jugendlicher und die alters- und geschlechtsspezifische Einordnung und Bewertung der systolischen und diastolischen Messwerte sind daher Bestandteil der Standarddiagnostik und sollten mindestens in einem Intervall von 6 Monaten erfolgen. Die Messungen werden in entspannter Atmosphäre nach 5-minütiger Ruhephase in bequemer Sitzposition oder liegend am rechten Arm vorgenommen, der auf Herzhöhe (= mittleres Sternumdrittel) gelagert wird. Bei der Verwendung oszillometrisch messender Vollautomaten sind Geräte für die Messung am Oberarm vorzuziehen, da die Pulswellenregistrierung am Handgelenk oder Finger vasokonstriktive physiologische Effekte mit erfasst und die Lokalisation des Messpunktes leicht von dem auf Herzhöhe abweicht. Auf die richtige Manschettenbreite ist zu achten [= 40 % des Umfanges des mittleren Oberarmes oder Verwendung einer Manschette mit Abdeckung von mindestens 2/3 der Oberarmlänge]. Der Blutdruckverlauf während des Tages zeichnet sich normalerweise durch eine zirkadiane Rhythmik aus, Kontrolluntersuchungen an verschiedenen Tagen sollten daher jeweils zur gleichen Tageszeit geplant werden. Ein erhöhter Blutdruck muss mindestens im Abstand von 3-6 Monaten kontrolliert werden. Die Auswertung erfolgt anhand der entsprechenden Perzentilenkurven für Mädchen und Jungen, in die auch die Körpergröße der Kinder mit eingeht. Empfohlen werden die Standardwerte der International Task Force 13 :

95th Percentile Blood Pressure Values for Children by Sex, Age, and Height Boys Girls Diastolic Blood PresSystolic Blood Pressure sure

Diastolic Blood PresSystolic Blood Pressure sure

Age, 5th 25th 50th 75th 95th 5th 25th 50th 75th 95th 5th 25th 50th 75th 95th 5th 25th 50th 75th 95th y HP HP HP HP HP HP HP HP HP HP HP HP HP HP HP HP HP HP HP HP 1 3 5 7 9 11 13 15 17

98 104 108 110 113 116 121 127 132

101 107 110 113 116 119 124 129 135

102 109 112 115 117 121 126 131 136

104 111 114 116 119 123 128 133 138

106 113 116 119 121 125 130 135 140

55 63 69 74 76 78 79 81 85

56 64 70 75 78 79 81 83 86

57 65 71 76 79 80 82 83 87

58 66 72 77 80 81 83 84 88

59 67 74 78 81 83 84 86 89

101 104 107 110 114 118 121 124 126

103 105 108 112 115 119 123 126 127

104 107 110 113 117 121 125 128 129

105 108 111 114 118 122 126 129 130

107 110 113 116 120 124 128 131 132

57 65 69 73 75 78 80 82 83

57 65 70 73 76 79 81 83 83

58 66 71 74 77 79 82 83 84

59 67 72 75 78 80 82 84 85

HP indicates height percentile. Systolische oder diastolische Werte oberhalb der 95. Altersperzentile sind als erhöht zu werten, wenn diese in seriellen Messungen persistieren ( Mittelwert der 3-maligen Bestätigung). Die Beurteilung des Schweregrades der Hypertension richtet sich nach der Abweichung der Blutdruckwerte [in mmHg] jenseits der 95. Perzentile 14 : • milde Hypertension < 10 mmHg • moderate Hypertension 10 – 30 mmHg • schwere (maligne) Hypertension > 30 mmHg Gemäss Deutscher Hochdruckliga 15 f belegen prospektiven Studien 16 dass die Wahrscheinlichkeit eines kardiovaskulären Ereignisses bei Erwachsenen oberhalb optimaler Blutdruckwerte (< 120/80 mmHg) bzw. normaler Blutdruckwerte (< 130/85 mmHg) erhöht ist. Diese für Erwachsene geltenden Grenzwerte sollten bei adipösen Kindern und Jugendlichen mit in die diagnostisch-therapeutischen Überlegungen einbezogen werden. Eine ambulante 24-Std.-Blutduckmessung bestätigt bei persistierenden erhöhten Ruhewerten die arterielle Hypertonie, prüft den Tag-Nacht-Rhythmus und kann die Praxishypertonie sicher ausschließen. Bei moderater und schwerer Hypertension sind sekundäre Endorganschäden mittels Fundoskopie und Echokardiographie auszuschließen. Bei extrem adipösen Patienten (BMI > 99.5 P), die oftmals einen extremen Bewegungsmangel über lange Zeiträume aufweisen, ist vor dem Start einer entsprechenden Trainingsbehandlung ergänzend ein Belastungs-EKG einschließlich einer BelastungsBlutdruckmessung aufzuzeichnen. Sehr junge Kinder mit Hypertonie und negativer Familienanamnese sollten stets eine differentialdiagnostische Abklärung möglicher sekundärer Hypertonieformen erhalten:. Diagnostisches Basisprogramm bei Hypertonie, Deutschen Hochdruckliga 15: • Anamnese und körperliche Untersuchung • Serum-Kalium, -Kreatinin, -Lipide und -Glukose • Urinstatus (Protein, Albumin) • ECHO, EKG • Abdomen-Sonographie

60 68 73 76 79 81 84 86 86

4.7.4 Therapie Zunächst ist eine intensive nicht-medikamentöse Behandlungsphase indiziert. Vordringlich ist die Gewichtsreduktion des Patienten, da bereits eine moderate Verminderung des Körpergewichts den Blutdruck zu senken vermag; hierbei ist mit einer Abnahme der überhöhten syst./diast. Werte um etwa 2.5/1.5 mmHg pro kg Gewichtsabnahme zu rechnen. 1. An erster Stelle steht - parallel zur Umstellung des Ess- und Ernährungsverhaltens die Korrektur des Bewegungsfehlverhaltens des adipösen Patienten. 17 Moderate körperliche Ausdauerbelastung an mindestens 4-5 Tagen in der Woche, von 30-45 minütiger Dauer, sind mittelfristig anzustreben. Je ausgeprägter der Bewegungsmangel vor Therapiebeginn ist, desto behutsamer müssen Belastungsauf- und -ausbau sein. 2. Kochsalzrestriktion in der Nahrungsmittelzubereitung und auch Nahrungsmittelauswahl (keine Konserven) kann bei bestehender Kochsalzsensitivität zu einer Normalisierung der Blutdruckwerte beitragen. Aufgrund des Ausmaßes und dem steigenden Verzehr von salzhaltigen Nahrungsmitteln im Kindes- und Jugendalter erscheint eine Reduzierung der täglichen Natriumchloridzufuhr jedoch therapeutisch sinnvoll.18,19 3. Eine überwiegend vegetarische Kostform mit Erhöhung des Anteils mehrfach ungesättigter Fettsäuren vermag den Blutdruck signifikant zu senken. 19,20 4. Blutdrucksenkende Effekte konnten unter Stressbewältigungsstrategien, autogenem Training und anderen spannungsabführenden Maßnahmen beobachtet werden 21.., 5. Sollten die erhöhten Blutduckwerte über Monate, trotz adäquater Therapieteil-nahme und –umsetzung, persistieren, d.h. die Ineffektivität der nicht-medikamen-tösen Behandlung nachgewiesen sein, so ist eine medikamentöse Therapie indiziert.8,22 Die Therapieindikation ergibt sich jedoch nicht ausschließlich aus der Höhe des Blutdrucks, sondern ebenfalls aufgrund des Profils vorliegender kardiovaskulärer Risikofaktoren, Endorganschäden sowie eventueller Folge- und Begleiterkrankungen, und erfolgt stufenweise in Abhängigkeit von der Höhe des Blutdruckes und dem Ausmaß der Risikofaktoren. :

Risikofaktoren

Positive Familienanamnese Schweregrad der Hypertonie Dyslipoproteinämie Diabetes mellitus Rauchen Körperliche Inaktivität Alkohol Erhöhtes Fibrinogen

Endorganschäden

Linksherzhypertrophie Mikroalbuminurie Nachweis arteriosklerotischer Plaques an den großen Gefäßen Proteinurie Kreatininerhöhung Hypertensive Retinopathie

Folge- / Begleitkrankheiten

Herzinsuffizienz Schlaganfall/ TIA chron. Nierenerkrankung, Proteinurie CVD/ Angina pectoris/ Myokardinfarkt

Da diesbezügliche allgemein verbindliche Richtlinien für die pädiatrische Altersgruppe bisher nicht vorliegen, sollte man sich, insbesondere bei adoleszenten Patienten, an den Leitlinien für Erwachsene der Deutschen Hochdruckliga (www.hochdruckliga.info) orientieren. Die medikamentöse Einstellung des Patienten sollte durch einen Kinderkardiologen oder durch einen auf diesem Gebiet erfahrenen Arzt erfolgen. Die Therapie wird zunächst als Monotherapie durchgeführt. Als Mittel der 1. Wahl haben sich die ACE-Hemmer und ßBlocker bewährt. Ziel ist die Normalisierung der Blutdruckwerte deutlich unterhalb der 95. Perzentile, bei Proteinurie unterhalb der 50. Perzentile. Bei unzureichendem Therapieeffekt erfolgt die Kombinationsbehandlung nach dem Drei-Stufen-Schema zur Behandlung der Hypertonie (Stufe 2 plus Diuretikum, Stufe 3 plus dritte Wirksubstanz)., Eine sofortige Therapieeinleitung unter stationären Bedingungen muss bei schwerer Hypertonie, maligner Hypertonie oder akzelerierter Hypertonie erfolgen.

Literatur th

1

American Heart Association, 44 Annual Conference on Cardiovascular Disease Epidemiology and Prevention. Obesity leads to high blood pressure in the young. Meeting Report 03/05/2004 2

Falkner et al.: New blood pressure guidelines for children released. NIH/National Heart, Lung, and Blood Institute, Oct 9, 1996 3

Gidding SS. A perspective on obesity. Am J Med Sci 310(suppl 1):S68-71, 1995

4

Gidding SS, Leibel RL, Daniels S, Rosenbaum M, Van Horn L, Marx GR: Understanding Obesity in Youth. A Statement for Healthcare Professionals From the Committee on Atherosclerosis and Hypertension in the Young of the Council on Cardiovascular Disease in the Young and the Nutrition Committee, American Heart Association. Circulation 94:3383-3387, 1996 5

Clarke W, Schrott H, Leaverton P, Connor W, Lauer R: Tracking of blood lipids and blood pressure in school age children. The Muscatine study. Circulation. 58:626-34, 1978 6

Webber L, Srinivasan S, Wattigney W, Berenson G: Tracking of serum lipids and lipoproteins from childhood to adulthood: the Bogalusa Heart Study. Am J Epidemiol. 133:884-99, 1991 7

Whitaker R, Wright J, Pepe M, Seidel K, Dietz W: Predicting obesity in young adulthood from childhood and parental obesity. N Eng J Med 337:869-73, 1997 8

Washington RL: Intervention to reduce cardiovascular risk factors in children and adolescents. Cardivascular Medicine Update, American Academy of Family Physicians, April 15, 1999 9

Strong WB: Atherosclerosis: its pediatric roots. In: Kaplan NM, Stamler J (Eds): Prevention of coronary heart disease. Saunders Philadelphia, 20-32, 1983 10

Williams C.L. et al.: AHA Scientific Statement – Cardiovascular Health in Childhood, A Statement for Health Professionals from the Committee on Artheriosclerosis, Hypertension, and Obesity in the Young (AHOY) of the Council on Cardiovascular Disease in the Young, American Heart Association. Circulation 106:143, 2002 11

Urbina EM, Gidding SS, Bao W, Pickoff A, Berdusis K, Berenson GS. Effect of body size, ponderosity, and blood pressure on left ventricular growth in children and young adults in the Bogalusa Heart Study. Circulation 91:2400-2406, 1995 12

Gueyffier F, Boissel JP, Pocock S, Boutitie F, Coope J, Cutler J, Ekbom T, Fagard R, Friedman L, Kerlikowske K, Perry M, Prineas R, Schron E: Identification of risk factors in hypertensive patients: contribution of randomized controlled trials through an individual patient database. Circulation 100: e88-e94, 1999 13

Update on the 1987 task force report on high blood pressure in children and adolescents: a working group report from the National High Blood Pressure Education Program. Pediatrics 98(4 Pt 1):649-58, 1996 14

Lingens N: Hypertension. In: Michalk D, Schönau E (Hrsg): Differentialdiagnose Pädiatrie. Urban & Schwarzenberg, München-Wien-Baltimore, 37-46, 1999 15

Deutsche Hochdruckliga, Leitlinien Hypertonie 2003 (www.hochdruckliga.info)

16

van den Hoogen PC, Feskens EJ, Nagelkerke NJ, Menotti A, Nissinen A, Kromhout D: The relation between blood pressure and mortality due to coronary heart disease among men in different parts of the world. Seven Countries Study Research Group. N Engl J Med 342:1-8, 2000 17

Consensus Statement from the National Institutes of Health. Physical activity and cardiovascular health. JAMA 1996;276:241-6.

18

Falkner B, Michel S: Blood pressure response to sodium in children and adolescents. Am J Clin Nutr 65(2 suppl):618S-21S, 1997

19

Sacks FM, Svetkey LP, Vollmer WM, Appel LJ, Bray GA, Harsha D, Obarzanek E, Conlin PR, Miller ER, 3rd, Simons-Morton DG, Karanja N, Lin PH: Effects on blood pressure of reduced dietary sodium and the Dietary Approaches to Stop Hypertension (DASH) diet. DASH-Sodium Collaborative Research Group. N Engl J Med 344:3-10, 2001 20

Morris M, Sacks F, Rosner B: Does fish oil lower blood pressure? A meta-analysis of controlled trials. Circulation 88:523-533, 1993 21

Knust U, Homuth V, Richter-Heinrich E, Busjahn A: [A pilot study on the long-term effects of combined drug therapy and psychophysiologically-oriented therapy in patients with severe essential hypertension]. Wien Klin Wochenschr 103:163-168, 1991 22

NHLBI issues update on task force report on high blood pressure in children and adolescents. Am Fam Physician 55:2340-5, 1997