4.6 Der 2. Hauptsatz der Thermodynamik und der Entropie-Begriff

Physik f¨ ur Studierende der Biologie und der Wirtschaftschemie Universit¨at Z¨ urich, WS 2006/7, U. Straumann Version 3. Februar 2007 Inhaltsverzei...
Author: Hansl Holzmann
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Physik f¨ ur Studierende der Biologie und der Wirtschaftschemie Universit¨at Z¨ urich, WS 2006/7, U. Straumann

Version 3. Februar 2007

Inhaltsverzeichnis 4.6

4.6

Der 2. Hauptsatz der Thermodynamik und der Entropie-Begriff 4.6.1 Zyklische Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.2 Der Carnot’schen Kreisprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.3 Wirkungsgrad des Carnot’schen Kreisprozesses . . . . . . . . . . . 4.6.4 Reale W¨ armekraftmaschinen, W¨armepumpen, K¨ uhlmaschinen . . 4.6.5 Der Begriff der Entropie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.6 Zunahme der Entropie in irreversiblen Prozessen . . . . . . . . . . 4.6.7 Beispiel f¨ ur einen irreversiblen Prozess: Temperaturausgleich . . . 4.6.8 Mikroskopische Betrachtung: Entropie und Wahrscheinlichkeit . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

4.1 4.2 4.4 4.5 4.6 4.8 4.9 4.10 4.11

Der 2. Hauptsatz der Thermodynamik und der Entropie-Begriff

Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik macht folgende Aussagen, die als Erfahrungstatsachen gelten. 1. Ein heisser K¨ orper mit Temperatut Th und ein kalter K¨orper mit Tk seien im W¨armekontakt. Dann fliesst von selbst W¨ armeenergie vom heissen zum kalten K¨orper, aber niemals umgekehrt. 2. Eine zyklisch arbeitende Maschine kann diesen W¨armefluss ausn¨ utzen, und einen Teil der W¨arme in mechanische Arbeit verwandeln. Der maximal m¨ogliche Anteil der mechanischen Energie von der bezogenen W¨ arme (Wirkungsgrad) betr¨agt (Th − Tk )/Th . (W¨arme-KraftMaschine, thermische Maschine). 3. Man kann nicht W¨ arme von einem einzigen W¨armereservoir mit Temperatur T in Arbeit verwandeln. Eine Maschine die das k¨onnte, hiesse perpetuum mobile zweiter Art. Eine solche existiert nicht. 4. Um W¨ arme vom kalten zum heissen K¨orper zu transferieren, muss von aussen Energie zugef¨ uhrt werden (W¨ armepumpe). 5. Alle nat¨ urlichen Prozesse sind irreversibel Alle diese Aussagen sind zueinander ¨ aquivalent, wie wir im folgenden plausibel machen werden. Der zweite Hautpsatz verletzt scheinbar die Zeitumkehrsymmetrie. Im Gegensatz dazu ist die Newton’sche Mechanik symmetrisch unter Zeitumkehr. 4.1

Die Ursache f¨ ur die G¨ ultigkeit des zweiten Hauptsatzes liegt in der statistischen Wahrscheinlichkeit von Zust¨ anden mit sehr vielen Teilchen begr¨ undet. Als Mass f¨ ur die Irreversibilit¨ at eines Prozesses mit zugef¨ uhrter W¨arme Q wird die Entropie S definiert: δQrev ∆S = T Sie ist eine makroskopische Zustandsgr¨osse. Ueber die mikroskopische Interpretation der Entropie als Wahrscheinlichkeit des Zustandes wird die Verbindung zwischen dem zweiten Hauptsatz als Erfahrungsgesetz und der Statistik der Vielteilchensysteme hergestellt. Bei reversiblen, zyklischen Kreisprozessen bleibt die Entropie konstant. Gibt es irreversible Anteile, so nimmt die Entropie zu. In abgeschlossenen Systemen nimmt die Entropie immer zu, oder bleibt konstant. Die Entropie kann nur reduziert werden, indem von aussen auf geschickte Weise Energie zugef¨ uhrt wird.

4.6.1

Zyklische Prozesse

Bei thermischen Maschinen wird durch einen bestimmten Vorgang W¨arme von einem heissen zu einem kalten K¨ orper u ¨bertragen. Der Vorgang wiederholt sich periodisch. Falls das System immer wieder indenselben Anfangszustand zur¨ uckkehrt, heisst die Maschine zyklisch. Im (p, V )−Diagramm wird ein solcher Prozess, falls er reversibel ist, durch eine geschlossene Kurve dargestellt, man spricht von einem Kreisprozess.

Q1 T1

M W

Q2 T2

Der Anfangszustand wird periodisch wieder hergestellt, vermindert wird nur der Brennstoffvorrat. Ohne Zwischenschalten einer Maschine kann die Energie nur durch W¨armeleitung (inklusive Strahlung) transportiert werden, also durch irreversible Prozesse. Indem man eine Maschine benutzt, kann ein Teil der W¨arme in Arbeit (W ) umgewandelt werden, der Rest der W¨arme (Q1 − W = Q2 ) muss an den k¨alteren K¨orper abgegeben werden.

Q1 ist die der Maschine zugef¨ uhrte W¨armeenergie, Q2 die Abw¨arme, die dem kalten K¨orper abgegeben wird. G¨abe es keine Abw¨ arme, so k¨ onnte Q1 vollst¨andig in Arbeit (W ) verwandelt werden, und wir h¨atten ein perpetuum mobile zweiter Art. Man definiert als Wirkungsgrad η einer thermischen Maschine das Verh¨altnis der geleisteten Arbeit zur hineingesteckten W¨ arme W η= Q1 Die Bestimmung des Wirkungsgrades, von dem wir erwarten, dass er kleiner als η = 1 ist, ist die Hauptaufgabe bei der Diskussion thermischer Maschinen oder W¨ armekraftmaschinen, wie 4.2

Dampfmaschinen, Verbrennungsmotoren unserer Fahrzeuge, oder die Gas- und Dampfturbinen in den Kraftwerken. F¨ ur die Darstellung der Vorg¨ ange in einem thermischen Energiewandler, – das sogenannte Arbeitsdiagramm f¨ ur einen Zyklus, das die Abh¨angigkeit von zwei Zustandsgr¨ossen der Arbeitssubstanz zeigt, – wirdRdas (p, V )−Diagramm gew¨ahlt. Die geleistete Arbeit eines Teilprozesses wird darin als Fl¨ ache p dV unter der Kurve dargestellt. In einer realen Maschine wird ein abgerundeter Zyklus im (p, V )−Diagramm durchlaufen, den man aber meist mehr oder weniger aus vier Abschnitten der typischen Linien Isochore, Isobare, Adiabate und Isotherme zusammensetzen kann. Abbildung 4.1 zeigt als Beispiel die idealisierten Arbeitszyklen der Stirling-Maschine, des Otto-Motors, des Diesel-Motors und des Carnot-Zyklus (Sadi Carnot (1796 - 1832)), den wir im folgenden speziell untersuchen.

70 T/K 50 600 0 40 0 2 30 0 10 00 0 0 6 5 4 3 2 1 0 0 10 20 30 40 50 60 V/1 mol-1

Abbildung 4.1: Die schematisierten Arbeitszyklen thermischer Maschinen im Vergleich zum Carnot-Zyklus (unten rechts) im dreidimensionalen p(V, T )−Diagramm. Das normale (p, V )−Diagramm zeigt nur die zweidimensionale Projektion der F¨ache p(V ). Oben links: Stirling-Maschine, oben rechts: Otto-Motor, unten links: Diesel-Motor.

p/bar

70 T/K 50 600 0 40 0 2 30 0 10 00 0 0 6 5 4 3 2 1 0 0 10 20 30 40 50 60 V/1 mol-1

p/bar

p/bar

70 T/K 50 600 0 40 0 2 30 0 10 00 0 0 6 5 4 3 2 1 0 0 10 20 30 40 50 60 V/1 mol-1

p/bar

70 T/K 50 600 0 40 0 2 30 0 10 00 0 0 6 5 4 3 2 1 0 0 10 20 30 40 50 60 V/1 mol-1

Beim Otto-Motor erhitzt die Verbrennung des Benzin-Luftgemisches dieses von einer Temperatur T1 auf eine Temperatur T2 . Das heisse Gas schiebt den Kolben adiabatisch vor sich her und k¨ uhlt sich dabei auf die Temperatur T3 ab. Nach dem Auspufftakt und dem Ansaugen frischen Gemisches bei der Temperatur T4 wird dieses durch den sich hebenden Kolben verdichtet, wobei ein Teil der vorher gewonnenen Energie wieder verbraucht wird. Diese adiabatische Verdichtung erhitzt das Gemisch wieder auf T1 und der Zyklus beginnt erneut. Beim Diesel-Motor ist die obere Ecke des Zyklus nahezu isobar abgeschnitten. Die klassische, von Carnot idealisierte Dampfmaschine hat zwei isotherme und zwei adiabatische Arbeitstakte. Bei der Stirlingmaschine handelt es sich um einen Heissluftmotor, in dem die Luft abwechselnd in Kontakt mit einer W¨ armequelle (z. B. solar aufgeheizt) und mit einer Wasserk¨ uhlung ge4.3

bracht wird. Grob gen¨ ahert f¨ uhrt dies zu einer isochoren Drucksteigerung bzw. -senkung mit anschliessender isothermer Ausdehnung bzw. Verdichtung.

4.6.2

Der Carnot’schen Kreisprozess

Der Carnot’sche Kreisprozess, der wie erw¨ahnt aus zwei adiabatischen und zwei isothermen Schritten besteht, zeichnet sich dadurch aus, dass bei diesem Prozess der h¨ochste u ¨ berhaupt m¨ogliche thermodynamische Wirkungsgrad erreicht wird. Eine auf diesem Prinzip beruhende Maschine w¨ are die ideale W¨ armekraftmaschine. Daher ist das Verst¨andnis dieses Prozesses besonders wichtig. (p3,V3,T2) (p2,V2) p1,V1

p2,V2,T1

T1 p3,V3 (p4,V4) T2

p4,V4,T2 p1,V1,T1

Die Carnot-Maschine besteht aus einem, durch einen beweglichen Kolben abgeschlossenem Volumen gef¨ ullt mit einem Arbeitsgas. Das Gas kann in Kontakt gebracht werden mit zwei W¨armereservoirs, die die Temperatur T1 bzw. T2 haben sollen. Um die Arbeit nutzen zu k¨onnen, muss der Kolben u ¨ber ein Gest¨ange mit einem Schwungrad verbunden sein. F¨ ur die Verbindung zu den W¨armereservoiren braucht es im Minimum zwei H¨ahne. Diese Vorrichtungen sind imn ebenstehenden, idealisierten Bild nicht gezeigt.

Diese Maschine ist nicht nur in der Zeichnung sehr idealisiert, denn – sie soll mit einem idealen Gas (gerade ein Mol) arbeiten, – die Reservoire sollen sehr gross sein, ihre Temperatur daher unver¨anderlich, – die Steuerung der W¨armekontakte muss reibungslos vor sich gehen, denn das Unterbrechen des W¨ armekontakts und die Isolation vom Reservoir soll ohne Arbeitsleistung m¨oglich sein, – das Gasgef¨ ass muss gut isoliert sein, W¨armeverluste an andere Empf¨anger als die beiden Reservoire sollen nicht auftreten, – Druck¨anderungen m¨ ussen sehr langsam geschehen, damit sich immer wieder ein Gleichgewichtszustand einstellen kann, – der Kolben gewinnt auch keine wesentliche kinetische Energie, die dann wieder gebremst werden muss. Die Carnot’sche Maschine ist also weit von einem schnell laufenden Motor entfernt. Ein aus kleinen Schritten bestehender Mini-Carnot Prozess ist im untenstehenden (p, V )−Diagramm dargestellt. Mit einer vern¨ unftigen Temperaturdifferenz von etwa 300 K h¨atte er eher die im zweiten Diagramm gezeigte, schlauchartige Form.

4.4

Im Anfangszustand ist das Gas der Maschine im thermischen Gleichgewicht mit dem Reservoir der Temperatur T1 . Im ersten Schritt wird das Gas isotherm vom Volumen V1 auf das Volumen V2 expandiert. Es muss dabei W¨arme aus dem Reservoir R1 (T1 ) bezogen werden. Im zweiten Schritt erfolgt eine weitere Expansion vom Volumen V2 auf das Volumen V3 , aber nun adiabatisch. Das Gas ist dabei von der Umwelt isoliert. Die Temperatur ahlt, dass die Gastemsinkt. Das Volumen V3 wird so gew¨ peratur nach dem zweiten Schritt mit der Temperatur T2 des Reservoirs R2 u ¨ bereinstimmt.

p1,V 1

T1

p

p2,V 2 p4,V 4 T2

V

p

Nun wird W¨ armekontakt mit R2 hergestellt. Im dritten Schritt erfolgt eine isotherme Kompression von V3 und V4 , wobei W¨arme an R2 abgegeben wird. V4 wird so gew¨ahlt, dass der Punkt (V4 , T2 ) auf der Adiabate liegt, die durch den Punkt (V1 , T1 ) l¨ auft.

T1 T2 V

Im vierten Schritt erfolgt eine adiabatische Kompression, die im Anfangszustand endet. Der Kreisprozess ist damit abgeschlossen. Dies ist ein Zyklus der Maschine.

4.6.3

p3,V 3

Wirkungsgrad des Carnot’schen Kreisprozesses

Wir beschr¨ anken uns im folgenden auf ein ideales Gas als Arbeitssytem. Es soll sich gerade um ein Mol handeln. Wir verwenden die Indizes h f¨ ur heiss und k f¨ ur kalt. F¨ ur die einzelnen Schritte gelten die folgenden Beziehungen: V2 = Q = Q W1→2 = RTh ln V 1→2 > 0 h 1

isotherm

W2→3 = CV (Th − Tk ) > 0, Q2→3 = 0 adiabatisch V4 = Q = Q Abw¨arme, isotherm W3→4 = RTk ln V 3→4 < 0 k 3 W4→1 = CV (Tk − Th ) < 0, Q4→1 = 0 adiabatisch Die von der Maschine total geleistete Arbeit w¨ahrend eines Zyklus ist W = W1→2 + W2→3 + W3→4 + W4→1

V2 V4 = R Th ln + Tk ln V1 V3 



Die der Maschine aus dem Reservoir R1 zugef¨ uhrte und an das Reservoir R2 abgegebene W¨arme betragen V2 V4 Qh = RTh ln > 0 Qk = Q3→4 = RTk ln 0, V1

p1 V1 p4 V4 = Th Tk

V1 V2 V3 V2 = , = V3 V4 V1 V4 Qk = −RTk ln

V2 0 Th Tk

⇒ 4.9

Die Summe der reduzierten Verlustw¨ armen ist gr¨osser als null, die Entropie des Gesamtsystems (W¨armeb¨ader + ideale Maschine + Reibungsmechanismus) nimmt also zu. (Beachte, dass die genaue Zunahme nicht direkt so berechnet werden kann, da die Definition der Entropie reversible Teilprozesse ben¨ otigt, aber die Vorzeichen ¨andern sich dadurch nicht). Es gilt also allgemein Entropie¨anderung :

∆S = SE − SA ≥

Z

E

A

δQ T

Das Gleichheitszeichen gilt dann, wenn der Prozess nur reversible Schritte enth¨alt, und zwar unabh¨angig vom Weg, der vom Anfangszustand A zum Endzustand E genommen wird. Da alle nat¨ urlichen Prozesse irreversibel sind, nimmt deshalb die Entropie eines abgeschlossenen Systemes stets zu, wie in der Einleitung schon erw¨ahnt. In einem solchen abgeschlossenen System (zum Beispiel im Universum) ist zwar die totale Energie konstant, aber die Entropie nimmt kontinuierlich zu. Dies bedeutet, dass die n¨ utzliche, in Arbeit umwandelbare Energie kontinuierlich abnimmt. Dies f¨ uhrt in letzter Konsequenz zum sogenannten W¨armetod. Unsere “Kurzschlussmaschine” im letzten Kapitel wird irgendwann zum Stillstand kommen, wenn sie nicht ideal ist und durch Reibungsverluste alle W¨arme im kalten Reservoir gelandet ist. 4.6.7

Beispiel fu ¨ r einen irreversiblen Prozess: Temperaturausgleich

Zwei K¨orper unterschiedlicher Temperatur werden in W¨armekontakt gebracht. Es fliesst W¨arme δQ vom K¨orper mit der h¨oheren Temperatur T1 zur niedrigeren Temperatur T2 .

T1

δQ

T2

Die Entropie¨ anderungen berechnen sich wie folgt: −δQ , dS1 = T1

δQ dS2 = T2

1 1 dS1 + dS2 = δQ − + T1 T2 



>0

Wenn der Temperaturausgleich zwischen zwei festen K¨orpern mit konstanten spezifischen W¨armen C1 und C2 stattfindet, und im Anfangszustand A die ν1 Mole des K¨orpers 1 und die ν2 Mole des K¨orpers 2 voneinander getrennt sind, l¨asst sich die Misch-Temperatur TE nach dem W¨armekontakt im Endzustand E aus der Energieerhaltung berechnen (I. H.S.): dU1 = −δQ

dU2 = δQ

−ν1 C1 (TE − T1 ) = ν2 C2 (TE − T2 ) ⇒

TE =

T1 + rT2 1+r



r :=

ν2 C2 ν1 C1



Wollen wir die Entropie¨ anderung berechnen, so m¨ ussen wir einen reversiblen Ersatzprozess erfinden. Wir wollen die beiden K¨ orper von ihrer Anfangs- auf die Endtemperatur bringen, indem 4.10

wir sie mit Reservoirs aller Zwischentemperaturen reversibel W¨arme austauschen lassen. Dann gilt f¨ ur K¨orper 1 (und analog f¨ ur 2): −δQrev (1) −dT = ν1 C1 ⇒ S1E −S1A = T T

Z

E

A

T1 −δQrev (1) = ν1 C1 ln T TE



S2E − S2A

TE = ν2 C2 ln T2

Die totale Entropie¨ anderung ist die Summe der beiden ∆S = ν1 C1 ln

TE T1 + ν2 C2 ln TE T2

Im Spezialfall in dem die beiden K¨ orper gleich sind (r = 1) wird ∆S = ν1 C1 ln

T1 T2

Die Entropie nimmt also zu, wie das bei einem irreversiblen Prozess sein muss.

4.6.8

Mikroskopische Betrachtung: Entropie und Wahrscheinlichkeit

¨ Beim sogenannten Gay-Lussac’schen Uberstr¨ omversuch l¨asst man in einem Gedankenexperiment Gas in einem isolierten System von selbst vom einem Anfangsvolumen V1 ins Endvolumen V1 +V2 . ¨ str¨omen. W¨ ahrend des Uberstr¨ omens befindet sich das System nicht im Gleichgewichtszustand, die Zustandsgleichungen gelten nicht. Bei idealen Gasen ist die innere Energie unabh¨angig von den Gef¨assdimensionen. Da weder Arbeit geleistet, noch W¨arme zugef¨ uhrt wird, ¨andert sich die totale Energie und damit die Temperatur nicht. Da die Entropie nur f¨ ur reversible Prozesse de¨ finiert ist, muss zur Berechnung ihrer Anderung immer ein reversibler Weg von 1 nach 2 gew¨ahlt ¨ werden. Liegt ein irreversibler Ubergang vor, so muss man sich dazu einen reversiblen Ersatzprozess ausdenken, welcher die gleichen Zust¨ande verkn¨ upft. Um die Entropie¨ anderung beim irreversiblen Gay-Lussac’schen Versuch auszurechnen, bietet sich als reversibler Ersatz-Prozess eine isotherme Expansion unter Arbeitsleistung von V1 auf V1 + V2 an.

Sperrhahn

V1

V2

Vakuum

Isolierung

Die Entropie¨ anderung wird dann ∆S = S2 − S1 = R ln

V1 + V2 >0 V1

Wir beobachten bei diesem Prozess also eine Entropiezunahme. Was bedeutet dies mikroskopisch? Wir k¨onnen die Wahrscheinlichkeit W daf¨ ur ausrechnen, dass alle Gasatome sich wieder im dem urspr¨ unglichen Volumen einfinden. Die Wahrscheinlichkeit ein bestimmtes Atom im Volumen V1 4.11



zu finden , ist proportional zum Anteil dieses Volumens am Gesamtvoluman, also proportional zu V1 /(V1 + V2 ). Die Wahrscheinlichkeit, dass N Atome im Volumen V1 sich befinden, ergibt sich aus dem Produkt der Einzelwahrscheinlichkeiten: W =



V1 V1 + V2

N

Dieser sehr unwahrscheinliche Prozess w¨ urde makroskopisch zur umgekehrten Entropie¨anderung wie oben f¨ uhren, die Entropie n¨ ahme zu: ∆S = R · ln

V1 V1 = k · ln( )N V1 + V2 V1 + V 2

wobei die Definition f¨ ur die Boltzmannkonstante R = k · N verwendet wurde. Die Ausdr¨ ucke auf der rechten Seite der beiden Gleichungen sind identisch! Dies hat Boltzmann schon gemerkt, und gefolgert, dass ∆S = k · ln W Die Entropie ist proportional zum Logarithmus der mikroskopischen Wahrscheinlichkeit. Diese Erkenntnis ist so wichtig, dass sie auf den Grabstein von Boltzmann in Wien eingraviert wurde. Wenn wir gerade ein Mol betrachten und f¨ ur V1 = V2 ergibt sich N = 6 × 1023

W =

1 −23 = 10−1.8×10 N 2

eine wahnsinnig kleine Zahl. Wir haben also die Aussage des zweiten Hauptsatzes, dass die Entropie bei irreversiblen Prozessen immer zunimmt, darauf zur¨ uckgef¨ uhrt, dass der Prozess immer in die Richtung zum wahrscheinlicheren Zustandes verl¨ auft. In den drei Beispielen Temperaturausgleich durch W¨armeleitung, Abbremsen des Pendels wegen Luftreibung und Gay-Lussac Ueberstr¨omversuch strebt ein System mikroskopisch gesehen von einem h¨ochst unwahrscheinlichen zum wahrscheinlichsten Zustand. Den urspr¨ unglichen Zustand kann man nur wieder erreichen, wenn man Arbeit in das System hineinsteckt, n¨amlich durch Anheben des Pendels, Zusammendr¨ ucken des Gases, oder indem man W¨arme zuf¨ uhrt, n¨amlich durch gleichzeitiges Erhitzen des einen und Abk¨ uhlen des anderen K¨orpers. Mikroskopisch betrachtet k¨ onnte man auch die Molek¨ ule auch einzeln sortieren, aber das w¨ urde ziemlich lange dauern (“Maxwell’scher D¨amon”).

4.12