4. Tag, Dienstag, 21. September 2010, Am Morgen Tramfahrt, am Nachmittag Grosser Rundgang zu Fuss durch die Prager Burg im Detail

54  4. Tag, Dienstag, 21. September 2010, Am Morgen Tramfahrt, am Nachmittag Grosser Rundgang zu Fuss durch die Prager Burg im Detail Nach dem Früh...
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4. Tag, Dienstag, 21. September 2010, Am Morgen Tramfahrt, am Nachmittag Grosser Rundgang zu Fuss durch die Prager Burg im Detail

Nach dem Frühstück beschliessen wir, mit unserer Tageskarte von gestern, die noch heute noch bis um 15 Uhr gültig ist, mit dem 22er-Tram in die Gegenrichtung bis zur Endstation zu fahren . Diese Seite der Strecke bietet aber eigentlich, im Unterschied zu gestern, nicht viel Spektakuläres. Man fährt jetzt durch Wohnquartiere, vorbei an Häuserblocks, Mietkasernen ab und zu eine kleine Parkanlage. Das einzig Interessante ist am ehesten noch das Ein- und Aussteigen der Prager und

Pragerinnen mit ihren Gesprächen in einer uns absolut unverständlichen

Sprache. Höflich sind sie übrigens auch, diese Einheimischen: Hier, wie schon vorher in der Metro, passiert es uns, dass ein junger Mann oder eine junge Frau aufsteht und uns seinen/ihren Platz anbietet. Um Gottes Willen, denken wir, sooo alt sind (oder wirken) wir also schon, dass man uns eine Sitz im Tram oder in der U-Bahn anbietet! Wir fragen uns schon, ob wir aussteigen und zurückfahren sollen, da sehe ich auf einmal in einem Vorortsquartier neben der Strasse einen grossen Platz mit einem Markt. Den wollen wir uns anschauen. Hier draussen sind die Einwohner von Prag unter sich; wir sind 100 % sicher die einzigen Touristen weit und breit. Denn es ist ein richtiger Bauernmarkt mit hölzernen Ständen. Sie verkaufen Herbstgemüse, vom Kürbis bis zu Blumenkohl, Kartoffeln und Kabis. Nicht zu vergessen die feinen Herbstfrüchte, Apfel, Birnen, Zwetschgen, Pflaumen und Trauben. Auch Blumen werden angeboten: Herbstastern, Stiefmütterchen etc. Und es hat auch Stände mit wunderschönen Broten und mit Süssgebäck (Bilder 63 & 64). Ich kann nicht widerstehen und kaufe einen Vanille- und einen Mohnplunder und eine paar kleine Brötchen. Das Wetter ist so herrlich; wir können sicher am Mittag irgendwo an der Sonne picknicken. Ein Mann verkauft schönes „Chacheli-Gschyr“, und die Tassen mit dem Büsi und den Chüeli gefallen mir so gut, dass ich – im Gedenken an unsere sieben Enkel und Enkelinnen – zwei davon kaufe. Dann finden wir noch einen Stand, wo ein Mann tschechischen „Sauser“ verkauft. Mit je einem Becher rotem und weissem setzen wir uns auf die nächste freie Bank und lassen uns zu einem wunderbaren „Znüni“ nieder.

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 Bild 63: Bauernmarkt in einem Vorort, man verkauft Gemüse, Früchte, Getränke

Bild 64: Bauernmarkt in einem Vorort, auch Süssigkeiten und allerlei anderes Gebäck wird angeboten

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Nun bestens gelaunt fahren wir danach mit unserem 22er zurück in die Stadt, genauer gesagt zur Nàrodní, wo sich auch die Reiseagentur Gray Line befindet. Bei dieser haben wir den Grossen Burgenrundgang gebucht. Diese Führung beginnt erst um halb zwei Uhr – Zeit genug also für etwas Lädelen und Picknicken. Kurz vor 13.30 Uhr stehen wir wieder vor dem Grey Line-Kiosk und nun wird uns auch Jana, unsere Deutsch sprechende Führerin, vorgestellt. Wir zwei sind doch tatsächlich die einzigen deutschsprechenden Touristen und so werden wir also sozusagen eine Privatführung geniessen dürfen. Bevor wir mit Jana starten können, heisst es: Sorry, aber wir können heute nicht mit dem Kleinbus zur Burg hoch fahren. Es wird in der Stadt gestreikt; es gibt für Autos kein Durchkommen. Aber das Tram fährt zum Glück, und so bringt uns unser guter alter 22er, mit dem immer noch gültigen Ticket, in ein paar Minuten hin. Ja, und da stehen wir also wieder auf dem grossen gepflasterten Vorplatz vor der Burg, mit dem Matthiastor, auf dem berühmten Hradschin-Platz (Hradany), mit den vornehmen Palais (z.B. Schwarzenberg) rundum. Und tatsächlich: da spielen doch wieder die gleichen vier Musikanten wie gestern ihre fröhliche Musik. Dieses Mal kaufe ich mir ihre CD mit tschechischer Volksmusik als kleines Souvenir. Die Gruppe spielt gleich neben dem Denkmal des ersten demokratischen Präsidenten Jan Masarik und verbreitet mit ihren lüpfigen Melodien gute Laune und Ferienstimmung.

Mit Jana durchqueren wir zuerst die Burg, vorbei am dritten Burghof, dann einem aufgeschütteten Hirschgraben, verlassen das Burgareal wieder und kommen zum Eingang zum Königsgarten (Královská zahrada; Bild 65). Die weitreichenden Gartenanlagen bestehen aus mehreren einzelnen Gärten, die sich südlich und nördlich der Burg erstrecken. Hier machen wir mit Jana einen Spaziergang durch diese Königlichen Gärten – ein riesiger Park mit alten Bäumen – und zum Lustschloss der Königin Anna, dem Belvedere (Letohrádek královny Anny), mit dem „Singenden Brunnen“ (Bilder 65 - 67). Der Brunnen ist eine Sehenswürdigkeit: aus dem gleichen Material gegossen wie eine Kirchenglocke. Jeder Wassertropfen, der aus einem der vier Rohre ins Becken fällt, erzeugt einen Klang. Wenn man sich unter

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das Brunnenbecken kauert, hört man eine Melodie aus tausend mystischen Summ- und Schwebetönen gewebt – es ist zauberhaft.

Bild 65: Der Eingang zum Königlichen Garten – ein riesiger Park mit alten Bäumen Rasen, Blumenrabatten

Der Brunnen ist aus dem gleichen Material gegossen, wie eine Kirchenglocke. Jeder Wassertropfen, der aus einem der vier Rohre ins Becken fällt, eräugt einen Klang. Wenn man sich unter das Brunnenbecken kauert, hört man eine Melodie aus tausend mystischen Summ- und Schwebetönen gewebt; es ist zauberhaft. Nachdem Jana unsere Eintrittskarten gelöst hat, führt sie uns durch die St. VeitsKathedrale, die schon rein wegen ihrer Grösse sehr imposant ist. Wir bewundern reich geschmückte Seitenkapellen, das gemalte Kirchenfenster von Mucha und das silberne Grabmal von St. Nepomuk (Bild 71 – 72). Zu all diesen Sehenswürdigkeiten weiss Jana Geschichten, Anekdoten und Begebenheiten zu

Bild 66: In den königlichen Gärten, im Hintergrund das Lustschloss Belvedér für die Königin Anna im Baustil der Renaissance; in der Mitte der “Singende Brunnen“

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Bild 67: Der „Singende Brunnen“: eine Sehenswürdigkeit Prags, Detailansicht

Das Lustschloss der Königin Anna Das Königliche Lustschloss, auch Belvedere genannt, ließ Kaiser Ferdinand I., der erste Habsburger auf dem böhmischen Thron, für seine Gemahlin Anna Jagiello erbauen Das Schloss im östlichen Teil des Parks aus den Jahren 1536 - 1560 ist ein Paradebeispiel der Renaissancebaukunst. Bemerkenswert ist die eigenartige Dachkonstruktion und der Arkadenrundgang mit den schön gestalteten Reliefs. Eine Attraktion ist der "singende Brunnen", der klingende Laute von sich gibt, wenn Wassertropfen auf die kleinen Metallglocken fallen. (http://www.reisefuehrer-prag.de/prager-burg.html 

Die Singende Fontäne vor dem Lustschloss Belvedere (Zpívající fontána u Belvedéru - Letohrádku královny Anny) Die Fontäne gehört zu den schönsten Renaissancebrunnen nördlich der Alpen. Sie wurde 1562-68 von dem Meister Jaroš nach einer Zeichnung und einem Wachsmodell des italienischen Malers Francesco Terzio von Bergamo gegossen, der um die Mitte des 16. Jahrhunderts in Prag tätig war. Die Holzform wurde von Hanus Peysser geschnitzt. Der Brunnen besteht aus mit Glockenmetall vermischter Bronze und ist reich verziert mit Jagdmotiven, Reliefmasken und Palmetten. Die aus dem Brunnen hervorquellenden Wasserstrahlen erzeugen den anmutigen rhythmischen Klang von Wasser, das auf eine widerhallende Bronzeplatte fällt. Um die Töne zu hören, muss man jedoch unter der Brunnenschale in die Hocke gehen.

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Von der Terrasse des Lustschlosses aus geniesst man einen tollen Blick hinüber zum St. Veits Dom (Bild 68). 

 Bild 68: Blick von der Terrasse des Lustschlosses zur St. Veits-Kathedrale hinüber

Zurück zur Burg. Der Hradschin ist ja nicht nur das Wahrzeichen von Prag, eine Riesensehenswürdigkeit, eine Gesamtkomplex von Dom, Kirchen, Palästen, Türmen und Plätzen, etwa sieben Hektaren gross, sondern auch ein sowohl architektonisch wie auch historisch überaus bedeutsames Zentrum hoch über Altstadt und Moldau. Die Burg gehört zusammen mit der Altstadt zum UNESCO Weltkulturerbe in Tschechien (siehe Kasten unten). Nachdem Jana unsere Eintrittskarten in die Burg gelöst hat, führt sie uns zuerst in die St. Veits-Kathedrale. Heute, beim zweiten Besuch, nehmen wir uns mehr Zeit als gestern, genug für eine eingehende Besichtigung des Doms. Dort drin bewundern wir die Altäre, reich geschmückte Seitenkapellen, die farbigen Fenster, speziell das bunte Kirchenfenster von Mucha, auch das silberne Grabmal von St. Nepomuk (Bilder 69 & 70). Zu all diesen Sehenswürdigkeiten weiss Jana Geschichten, Anekdoten und Begebenheiten zu erzählen, so dass unser Rundgang sehr unterhaltsam wird. Beim Eingangsportal unter den vielen Relieffiguren soll angeblich auch ein Vorvorfahr von Ernst Pillat zu finden sein; wir haben ihn gesucht, aber nicht gefunden.

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Die Prager Burg (Hradschin) Die Burg ist mit 1,42 Millionen Besuchern pro Jahr das meistbesuchte Baudenkmal Tschechiens. Sie ist das älteste Wahrzeichen der Stadt und die grösste mittelalterliche Burganlage weltweit. Eindrucksvoll thront sie weithin sichtbar auf einem 70 m hohen Hügel über Stadt und Moldau. Seit über 1200 Jahren bauten die verschiedensten Architekten mit der Zeit einen riesigen Komplex bestehend aus Kirchen, Türmen, Palästen, Verwaltungs-, Repräsentations- und Wohngebäuden, Wehr- und Schutzanlagen. Er gruppiert sich heute um drei Burghöfe herum und enthält Elemente aller Epochen von Romanik über Gotik bis zur Renaissance. Die Burg war seit ihrer Fertigstellung im 9. Jahrhundert mit Unterbrechungen Wohnsitz tschechischer Könige und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, u.a. Karl IV. und den Habsburgern. Seit 1918 ist sie der Sitz des Staatspräsidenten

Tschechiens (http://de.wikipedia.org/ wiki/Prager_Burg#Die_Prager_Burg_im_20._ J ahrhundert) Dem Besucher eröffnet sich eine Fülle von Besichtigungsmöglichkeiten. Nimmt man den Weg über den Hradschin-Platz in die Burg, gelangt man auf den Ehrenhof (1. Burghof). Dort wird man von den ringenden Giganten begrüßt. Die Fassade der Palastgebäude um den Ehrenhof ist klassizistisch schlicht gehalten und wurde von Maria Teresia im 18. Jahrhundert in Auftrag gegeben. Es ist der jüngste Teil der Burg. Durch kleine Gässchen gelangt man in den 2. Burghof. Dort steht die Heilig-Kreuz-Kapelle im unverkennbaren Barockstil. Der Eingang in die Burggalerie befindet sich ebenfalls im 2. Burghof. Geht man weiter in den 3. Burghof, gelangt man zum ältesten und interessantesten Teil. Hier stehen die bekannten monumentalen Bauwerke St.-Veits-Dom, St. Georgs-Basilika, der alte Königspalast und der Mihulka-Turm. Die St. Georgs-Basilika ist die älteste erhaltene Kirche der Prager Burg und das am besten erhalten gebliebene romanische Bauwerk in Böhmen. Von außen ist sie zwar später barock gestaltet worden, doch im inneren sind die romanischen Elemete wie die kleinen Rundbogenfenster unverkennbar. Angeschlossen an die Kirche ist das älteste Kloster der Stadt, das St.-Georgs-Kloster. Hier ist heute ein Teil der Nationalgalerie untergebracht. Zum Burgkomplex gehört auch das "Goldene Gässchen", das seinen Namen entweder von den damals hier lebenden Goldschmieden hat oder von den Versuchen der Alchemisten König Rudolfs Gold herzustellen. Seit dem 16. Jahrhundert wohnten hier Handwerker und Burgschützen, Franz Kafka lebte 1916 ein Jahr im Haus Nr. 22. Die Prager Burg wurde zum Ende des neunten Jahrhunderts von dem christlichen Pemyslidenfürst Boivoj I. erbaut und diente seitdem, abgesehen von einigen kürzeren Unterbrechungen, als machtpolitisches Zentrum von Prag und Böhmen. Anno 973 (dem Gründungsjahr des Prager Bistums) erhob man die Bastion zum Bischofssitz und unter König Karl IV. avancierte die Prager Burg zum Mittelpunkt des Heiligen Römischen Reiches. Im 16. Jahrhundert zogen schließlich die Habsburger in die Prager Burg ein: Die Edelleute ließen die Gärten und das Lustschloss Belvedere 127 anlegen und verwandelten die Burg in einen Herrensitz der Renaissance. Die einstige Königsburg ist heute übrigens der Sitz des Tschechischen Staatspräsidenten.

61  Die Prager Burg zeichnet sich durch die unterschiedlichsten Gestaltungsstile aus und lädt so zu einer Reise durch die Epochen der Baukunst ein. Man findet hier neben romanischen, gotischen und barocken auch neoklassizistischen Gebäuden und Häuser aus der Renaissance. Die ältesten, noch vorhandenen Teile der Burg sind bereits über 1.100 Jahre alt und infolgedessen erlebte die Prager Burg viele Um- und Ausbauten. In den Jahren 1303 und 1541 wüteten hier verheerende Brände und die Kriege zerstörten ebenfalls einen Teil der einstigen Pracht. Doch die jeweiligen Burgherren ließen die Festung jedes Mal wieder aufbauen und so errichtete der Architekt Nicolo Pacassi beispielsweise in den Jahren von 1753 bis 1775 den Eingangshof. Die Burg spielte auch eine wichtige Rolle in der europäischen Geschichte. Im so genannten Ludvik-Flügel befindet sich der Raum, aus dessen Fenstern man anno 1618 die Statthalter des Kaisers Ferdinand II. warf. Der so genannte zweite Prager Fenstersturz markierte den Beginn des Aufstands der böhmischen Protestanten gegen die katholischen Habsburger und gilt als Auslöser des Dreißigjährigen Krieges. Außerdem wurde der Priester Johannes von Nepomuk anno 1729 in der Prager Burg heilig gesprochen und Maria Theresia empfing hier 1743 die Krone (http://www.prag.citysam.de/prager-burg.htm).

 Bild 69: Eines der Portale zum St. Veits Doms

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 Bild 70: Eingangsportal zum St. Veits Doms, Detailansicht eines Reliefs