Besonderheiten gerontopsychiatrischer Pflege

4.1

............................................................................................................................................................................

......

4

Pflege in der Gerontopsychiatrie

4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3

4.1.1

..... .....

4.1

Pflegemodelle in der Gerontopsychiatrie Bezugspersonenpflege 62 Interaktionsmodell nach Peplau 62 Aktivitten des tglichen Lebens 63

59

62

...........................

........................

Besonderheiten gerontopsychiatrischer Pflege 57 4.1.1 Vielfalt 57 4.1.2 Gerontopsychiatrische Pflege als Beziehung 4.1

4.3

Interdisziplinaritt und Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen 63

4.4 4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.4.4 4.4.5

Dokumentation 65 Dokumentationspflicht 65 Ziele der Dokumentation 65 Elemente der Dokumentation 65 Pflegeprozessplanung 66 Exemplarische Pflegeplanung fr eine gerontopsychiatrisch erkrankte Bewohnerin 71

Besonderheiten gerontopsychiatrischer Pflege Vielfalt

Rckblick In der Vergangenheit hat sich die Struktur in der Pflege sehr deutlich gewandelt. In vielen Bereichen ist es zu einer Ausbildung von Spezialisten gekommen. Dies gilt nicht nur fr die Bereiche Ansthesie, OP oder Onkologie, sondern auch fr die Altenpflege, Psychiatrie und Gerontopsychiatrie. Betrachtet man die Entwicklung in der Altenpflege, so stellt man fest, dass in den 80er- und Anfang der 90erJahre des letzten Jahrhunderts sich diese Berufsgruppe zunehmend fest etablierte.

D Definition

L Lernaufgabe

M Merke

P Pflege

V Video

Gerontopsychiatrische Pflege spielte bis Anfang der 90er-Jahre in den psychiatrischen Kliniken eine untergeordnete Rolle. Viele Stationen konnten geschlossen werden, da als Folge der Enquetekommission von 1975 ein großer Teil dieser Patienten entlassen oder verlegt wurde. In den Altenheimen war die dramatische Entwicklung hin zu gerontopsychiatrischen Institutionen zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu erkennen. Durch diese eher unklare Situation haben sich weder in psychiatrischen Kliniken noch in der Altenpflege Spezialisten entwickeln knnen, zumal die Pflege zu diesem Zeitpunkt noch sehr in Somatisch und Psychiatrisch geteilt war – und in vielen Bereichen bis heute geblieben ist.

Teil I BAllgemeine Fallbeispiel Aspekte der Gerontopsychiatrie W Wissen

K. M. Perrar, E. Sirsch, A. Kutschke, Gerontopsychiatrie (ISBN 9783131407214) c 2007 Georg Thieme Verlag KG

57

4

Pflege in der Gerontopsychiatrie

...........................................................................................................................................................................

M

Erst in den 90er-Jahren vernderte sich die somatische Altenpflege hin zur gerontopsychiatrischen Pflege.

Gesellschaftliche Herausforderungen Die Entwicklung der letzten 10–15 Jahre zeigt die besondere Anforderung des gerontopsychiatrischen Bereichs in der Lsung gesellschaftlicher Herausforderungen. Die Pflege wird hierbei vielleicht eine Schlsselrolle bernehmen. Mit diesen Herausforderungen ist nicht nur die Entwicklung der demenziell erkrankten Menschen gemeint, sondern die gesamte demografische Entwicklung, die neben den demenziellen Erkrankungen auch zu einer Zunahme von multimorbiden Bewohnern fhrt. Sauter u. a. (2004) stellen konsequenterweise fest, dass die Gerontopsychiatrie insgesamt ein sehr herausforderndes und anspruchsvolles Arbeitsfeld ist, das Pflegenden intensive Erfahrungen ermglicht (Abb. 4.1). Darber hinaus stellt die krperliche Komorbiditt und Hinflligkeit hohe Anforderungen an die Kompetenz der Pflegenden. Diese hohen Anforderungen werden von verschiedenen Autoren wiederholt hervorgehoben und eine Weiterentwicklung der Inhalte bestehender Aus-, Fort- und Weiterbildungen empfohlen. Diesbezglich heißt es im vierten Bericht zur Lage der lteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland (BMFSFJ, 2002): „Unabhngig von den gesetzlichen Grundlagen sollte ein Curriculum zur Weiterbildung von Pflegefachpersonen fr gerontopsychiatrische Pflege entwickelt werden“. Weiter wird gefordert, dass Pflegestudiengnge mit den Schwerpunkten gerontologische und gerontopsychiatrische Pflege einzurichten sind. Auch sollen rzte, Physio- und Ergotherapeuten strker einbezogen werden. Die personelle Schlechterstellung (v.a. der Pflegepersonen, rzte und Psychologen) der gerontopsychiatrischen Abteilungen soll innerhalb der psychiatrischen Krankenhuser ausgeglichen werden, sodass psychiatrische und gerontopsychiatrische Abteilungen personell gleichgestellt sind.

Eine genaue Beobachtungsgabe whrend alltglicher Verrichtungen, die krperliche, aber eben auch psychische Vernderungen sensibel aufnimmt. Biografische Kenntnisse sowie eine hohe Sensibilitt und Neugier fr das gelebte Leben und die Zeit, an die sich die Patienten am besten erinnern. Fhigkeit zur Beratung ist und wird in verschiedenen Ebenen eine große Rolle fr die Pflege spielen. Benner beschreibt die Komplexitt von Beratung deutlich; die Gte der Beratung sieht sie vom Wissen, der Erfahrung und der Intuition abhngig (nach Koch-Straube, 2001). Das Konzept der Beratung bezieht sich außer auf den Bewohner auch auf die Angehrigen, die in der gerontopsychiatrischen Pflege strker involviert sind als in anderen Pflegebereichen (ausgenommen der Pdiatrie). Die Angehrigen bilden in der Langzeitpflege mit dem Bewohner und den Pflegekrften ein Beziehungsdreieck. Die Pflegenden haben den Auftrag, diese Beziehung fachlich zu begleiten und auszubalancieren. Detaillierte Kenntnisse ber physiologische und pathophysiologische Vernderung sind notwendig. Nur wenn in diesem Bereich die Fhigkeiten sehr ausgeprgt sind, knnen somatische Beschwerden verlsslich erkannt werden. Dies ist v. a. bei Menschen unerlsslich, die selbst nicht eindeutig auf ihre Situation aufmerksam machen knnen, weil ihnen der Antrieb oder die psychischen Fhigkeiten dazu fehlen. Von besonderer Bedeutung sind die Kenntnisse ber hufige Alterserkrankungen, wie Diabetes mellitus, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Lungenerkrankungen usw. Es sind genaue Kenntnisse ber die psychischen und neurologischen Vernderungen notwendig. Rechtliche Kenntnisse sind notwendig, um alltgliche Situationen, wie Freiheitsentzug, Zwangs-

Schwerpunkte Wird der Fokus auf gerontopsychiatrische Pflege gerichtet, knnten sich folgende Schwerpunkte fr die Qualifikation und Ausbildung von Fachkrften herausbilden: Die Fhigkeit, mit hochbetagten Menschen zusammen zu sein. Die Toleranz, „Anderssein“ auch im institutionellen Rahmen zulassen zu knnen und mit den Betroffenen eine professionelle Beziehung einzugehen.

58

Abb. 4.1 Gerontopsychiatrische Pflege. Die Pflege in der Gerontopsychiatrie ist ausgesprochen komplex.

Teil I Allgemeine Aspekte der Gerontopsychiatrie K. M. Perrar, E. Sirsch, A. Kutschke, Gerontopsychiatrie (ISBN 9783131407214) c 2007 Georg Thieme Verlag KG

Besonderheiten gerontopsychiatrischer Pflege

4.1

............................................................................................................................................................................

In der gerontopsychiatrischen Arbeit bentigen Pflegekrfte solide Kenntnisse ber somatische und psychiatrische Pflege, sie sollten aber auch ber Empathie und Kreativitt verfgen.

M

Einzelne oder mehrere der hier aufgefhrten Positionen treffen sicher auch auf andere Bereiche der Pflege zu; die Kombination jedoch fordert zu einer umfangreichen Diskussion heraus, wenn es um die Frage der Qualifikationen geht, die fr die gerontopsychiatrische Betreuung erworben werden mssen. Von besonderer Bedeutung ist diese Diskussion auch hinsichtlich spezieller Bedrfnisse Demenzkranker. So bedarf z. B. ein an Demenz erkrankter Bewohner der Hilfestellung beim Einfordern und

Einklagen seiner Rechte (z. B. Pflegeeinstufung nach SGB XI). Die Verantwortung einer Pflegeperson ist fr einen demenziell erkrankten Bewohner in einem Altenheim sehr hoch. Dies gilt auch fr seine erforderliche Kompetenz, die Angehrigen mit in das pflegerische Handeln einzubeziehen.

M

4.1.2

.....

maßnahmen oder Ablehnung bei Medikamentengaben, einschtzen zu knnen. Der rechtliche Bereich ist in der Arbeit mit Menschen, die psychisch stark verndert und dadurch in der „freien“ Willensbildung beeintrchtigt sind, unvergleichlich komplexer als in der vorwiegend somatischen Betreuung und Pflege. Die Kommunikation mit den Patienten spielt eine große Rolle und erfordert sowohl Einfhlungsvermgen als auch genaue Kenntnisse ber verbale und nonverbale Kommunikationsformen. Allerdings ist es notwendig, in diesem Bereich Nhe (in der Betreuung von demenziell erkrankten Menschen) wie auch eine therapeutische Distanz (in der Betreuung von an Sucht oder Depression erkrankten Menschen) wahren und einschtzen zu knnen. Viele psychisch erkrankte ltere Menschen knnen oder wollen sich nicht einer Institution (Altenheim oder Klinik) anpassen, von der sie u.U. sogar abhngig sind. Die daraus resultierenden Situationen erfordern hufig ein Handeln und Reagieren jenseits unserer Konventionen. Fr die Einrichtungen, aber im Besonderen fr die am Prozess Beteiligten bedeutet dies, kreativ und flexibel mit Situationen umzugehen. Eine besondere Anforderung besteht darin, psychisch erkrankte Menschen in der Krankheit, aber auch im Sterben zu begleiten. Betrachtet man die professionelle Begleitung Sterbender, wird deutlich, dass sie oft auf kommunikativen Fhigkeiten aufbaut. Diese Fhigkeiten besitzen viele gerontopsychiatrisch erkrankte Menschen jedoch nur eingeschrnkt oder verndert. Diese Situation spiegelt sich auch im Umgang der Hospize mit psychisch vernderten Menschen wider. Denn Hospize stellen sich zunehmend auch auf den Umgang mit gerontopsychiatrischen Patienten ein.

Gerontopsychiatrische Pflege als Beziehung

Kernbereich der gerontopsychiatrischen Pflege ist die Gestaltung der Beziehung zwischen Patient bzw. Bewohner sowie seinem Angehrigen und Pflegenden (Beziehungsdreieck). Die Klarheit und Verbindlichkeit der Beziehung wird darber entscheiden, wie der Pflegeprozess verluft. Die gerontopsychiatrische Pflegebeziehung beschreibt die Qualitt der Verbundenheit oder Distanz zu einem Patienten. Zur Herstellung von Beziehung werden Sprache, Gestik, Mimik und Berhrung genutzt. Beziehung setzt immer Wechselseitigkeit voraus. Sie kann im intensiven verbalen Austausch bestehen oder aber im Stillen bei der Krperpflege eines schwerstkranken Patienten. Der Begriff der Beziehung sttzt sich auf unterschiedliche Pflegekonzepte. Eines der bekanntesten und ltesten pflegetheoretischen Konzepte ist das von Hildegard Peplau, die Beziehung als psychodynamischen Prozess beschreibt. Die interpersonale Beziehung unterteilt sich nach Peplau in 4 Phasen: 1. Orientierung, 2. Identifikation, 3. Nutzung, 4. Ablsung. Diese 4 Phasen sind auch in der PflegepersonPatient-Beziehung klar voneinander abzugrenzen (Simpson, 1997).

Therapeutische Beziehung Pflegende bentigen eine professionelle Beziehung zu ihren Patienten bzw. Bewohnern, um diese bei gesundheitlichen Problemen untersttzen oder bei der Alltagsgestaltung helfen zu knnen (Abb. 4.2). Die Beziehung zwischen Pflegendem und Patient ist i. d. R. zweckgebunden und erstreckt sich ber den Behandlungszeitraum. Wesentlicher Inhalt der Beziehung ist „Gesundheit“. Ein Patient richtet blicherweise besondere Erwartungen an einen Pflegenden: er erwartet ein positives Interesse an seiner Person, der Pflegende soll einfhlend und verstndlich reden,

Teil I Allgemeine Aspekte der Gerontopsychiatrie K. M. Perrar, E. Sirsch, A. Kutschke, Gerontopsychiatrie (ISBN 9783131407214) c 2007 Georg Thieme Verlag KG

59