34 Vertrauen in der Arzt-Patient- Beziehung

D Medizinische Versorgung und Prävention 34 Vertrauen in der Arzt-PatientBeziehung Der Interaktion zwischen Patient und Arzt kommt bei der Entscheidu...
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D Medizinische Versorgung und Prävention

34 Vertrauen in der Arzt-PatientBeziehung Der Interaktion zwischen Patient und Arzt kommt bei der Entscheidungssuche nach passenden Behandlungsoptionen eine zunehmend größere Bedeutung zu. Im tradierten (paternalistischen) Behandlungsmodell wurden Krankheiten als lokalisierbare Störungen der Körperfunktion betrachtet, bei denen es nicht erforderlich war, die psychischen und sozialen Kontexte der Patienten zu berücksichtigen. Der Arzt entschied allein über diagnostische und therapeutische Maßnahmen, die zur Wiederherstellung der Gesundheit erforderlich sind und vermittelte dem Patienten das aus Sicht des Arztes notwendige Wissen, um seine Zustimmung und Mitarbeit zu erwirken. Die Mitwirkung des Patienten war lediglich im Anamnesegespräch und in der Befolgung der Therapieempfehlungen des Arztes gefordert. Neuere Versorgungsansätze forcieren die Mitwirkung des Patienten in der Behandlung und durchbrechen tradierte Rollenmuster. Informationen zur Symptomatik, Optionen zur Diagnose und Behandlung werden dabei zwischen Patient und Arzt ausgetauscht mit dem Ziel, dem Patienten die Auswahl einer Behandlungsoption zu ermöglichen, entweder eigenständig (Informed Choice) oder gemeinsam mit dem behandelnden Arzt (Shared Decision Making). Dies setzt eine offene Arzt-Patient-Kommunikation voraus, in denen der Arzt dem Informationsbedürfnis des Patienten nachkommt, und der Patient psychische und soziale Kontexte der Krankheit sowie eigene Wertvorstellungen thematisieren kann, die in der Entscheidung zugunsten einer angemessenen Therapie berücksichtigt werden. In dieser neuen Konstellation kommt dem Vertrauen, das der Patient dem Arzt entgegenbringt, eine bedeutende Rolle zu. Vertrauen wird zum Prüfstein der Arzt-Patient-Kommunikation, und erstreckt sich nicht nur auf die diagnostische und therapeutische Kompetenz, sondern auch auf die Art und Weise der Entscheidungsfindung, in der Patienteninteressen ausreichend berücksichtigt werden.

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Burkhard Gusy, Jochen Drewes

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Vertrauen stellt eine grundlegende Bedingung des Zusammenlebens von Menschen dar. Trotz oder gerade wegen dieser zentralen Bedeutung sowie einem wachsenden wissenschaftlichen Interesse an diesem Begriff finden sich in der einschlägigen Literatur unzählige Definitionen, von denen allerdings bisher keine allgemein akzeptiert ist [8]. Es können jedoch einige gemeinsame Merkmale der verschiedenen Definitionen identifiziert werden. So wird das Vorliegen eines Risikos und einer Vulnerabilität als Grundbedingung für das Entstehen von Vertrauen verstanden. Vertrauen setzt eine Situation voraus, die für den Vertrauenden unkontrollierbar, riskant, unsicher ist. Vertrauen in einer solchen Situation beinhaltet eine optimistische Ergebnis-Erwartung und eine positive Bewertung der Motive, der Intentionen und des zukünftigen Verhaltens der zu vertrauenden Person [13]. Je riskanter die Situation für den Vertrauenden ist, je größer und weitreichender die Folgen eines potenziellen Bruchs des Vertrauens wären, umso stärker ist in der Regel auch das Vertrauen ausgeprägt. Gerade in der Arzt-Patient-Beziehung sind diese Voraussetzungen von Vertrauen gegeben. Der Patient befindet sich gegenüber dem Arzt in einer vulnerablen, riskanten, unsicheren Situation. Er muss auf die Kompetenzen und ihm gegenüber wohlmeinenden Motive und Intentionen des Arztes vertrauen. Entsprechend können wir das Vertrauen des Patienten in seinen Arzt (PatientArzt-Vertrauen) definieren, als eine auf die Zukunft gerichtete, überdauernde Erwartung, dass sich der Arzt dem Patienten gegenüber kompetent, wohlwollend, verlässlich und integer verhält, vor allem in Situationen, die durch Vulnerabilität und einen Mangel an Kontrolle des Patienten gekennzeichnet sind. Andere Autoren konzipieren das Patient-Arzt-Vertrauen zum Beispiel als die Überzeugung, dass der Arzt im besten Interesse des Patienten arbeitet oder als die optimistische Akzeptanz einer vulnerablen Situation, in der der Patient überzeugt ist, dass der Arzt in seinem Interesse handelt [8]. Diese Definitionen sind weniger differenziert als die von uns vorgelegte, stimmen aber stark mit den Konzeptualisierungen von Patienten überein, die gebeten wurden zu erläutern, was sie unter Vertrauen in der Arzt-Patient-Beziehung verstehen. So definieren Patienten Vertrauen zum Beispiel als die Erwartung, dass der Arzt als Fürsprecher ihrer Interessen fungiert, aufrichtiges Interesse am Patienten zeigt oder diesen respektvoll behandelt [6]. Vertrauen in der Arzt-Patient-Beziehung wird sowohl ein intrinsischer als auch ein instrumenteller Wert zugewiesen. Vertrauen stellt auf der einen Seite eine Kerncharakteristik der Beziehung zwischen Patient und Arzt dar, die ihr

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34.1 Vertrauen in der Arzt-PatientBeziehung – ein Überblick

Sinn, Bedeutung und Substanz verleiht. Instrumentellen Wert erhält das Patient-Arzt-Vertrauen durch eine Reihe erwünschter Einstellungen und Verhaltensweisen von Patienten. Zusammenhänge mit der Bereitschaft, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, dem Offenbaren sensibler Informationen, der Adhärenz, der Zufriedenheit mit dem Arzt sowie der Bereitschaft, den Arzt zu wechseln, sind bereits empirisch belegt [8]. Vermittelt über Prozessvariablen, führt Vertrauen auch zu verbesserten Behandlungsergebnissen [13]. Entsprechend weitreichend dürften die Probleme sein, die ein Vertrauensbruch bzw. ein generell niedriges Vertrauen dem Arzt gegenüber mit sich bringen. Die Unterscheidung zwischen Patientenzufriedenheit und Patientenvertrauen ist von besonderer Wichtigkeit für das Verständnis von Vertrauen, vor allem, weil beide Konstrukte in einem engen Zusammenhang stehen. Zufriedenheit und Vertrauen unterscheiden sich dabei vor allem hinsichtlich der Zeitperspektive. Während Zufriedenheit eine starke evaluative Komponente umfasst, die sich auf die Vergangenheit bezieht, ist Vertrauen eine Erwartung, die auf die Zukunft gerichtet ist.

34.2 Instrumente zur Erfassung von Vertrauen des Patienten in seinen Arzt Zum gegenwärtigen Zeitpunkt liegen eine Reihe von englischsprachigen Instrumenten zur Messung des Vertrauens des Patienten zu seinem Arzt vor [1, 7, 9, 14, 15], von denen nur für die Trust in Physician Scale eine deutschsprachige Version (ViA, [5]) existiert. Eigenentwicklungen im deutschen Sprachraum gibt es mit der „Kölner Vertrauensskala“, und einem weiteres Instrument, welches die Autoren dieses Artikels entwickelt haben (Vertrauen von Patienten in ihren Arzt). In der folgenden Übersicht werden sechs Instrumente vorgestellt: ● Trust in Physician Scale (TPS) [1] ● Safran Trust Subscale (STS) [15] ● General Trust in Physician (GTP) [7] ● Patients Trust in their Physician PTP [14] ● Kölner Vertrauensskala [16] ● Vertrauen von Patienten in ihren Arzt [3] Anderson und Dedrick (1990) fokussierten die Interpersonal Trust Scale von Rotter (1967) auf die Arzt-Patient-Beziehung. Vertrauen wird darin gefasst als die persönliche Überzeugung in die Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit der Aussagen und Handlungen des behandelnden Arztes [1]. Ursprünglich hatte

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das Instrument 25 Items, die sich auf drei Dimensionen verteilten: die Zuversicht, dass der Arzt im Interesse der Patienten interveniert, der Glaube an das Wissen und die Fertigkeiten eines Arztes und die Verlässlichkeit der Informationen des Arztes. Von den 25 Items wurden nach Itemanalysen elf in die Endversion übernommen. Fragen, die das Behandlungsergebnis oder die -zufriedenheit erfassten oder psychometrischen Anforderungen nicht genügten, wurden ebenso ausgeschlossen. Die elf Items sind nur einer Dimension zugeordnet. In einer anschließenden Validierungsstudie wurden Zusammenhangsmaße zwischen der Vertrauensskala und den verschiedenen Dimensionen des „Health Locus of Control“ sowie des „Desire of Control“ Instruments berechnet. Die Autoren bewerten die Höhe und Richtung der gefundenen Korrelationen als Bestätigung für die Konstruktvalidität ihres Instruments. Kao et al. [11] nutzten das Instrument von Anderson und Dedrick als Vorlage, formulierten einige Items sprachlich um und erweiterten den Inhaltsbereich um die Überweisung des Hausarztes an Fachärzte zur Weiterbehandlung sowie die Vermittlung von Wissen zu Behandlungsalternativen. Die nunmehr 16 Fragen umfassende Skala erwies sich nach Darstellung der Autoren als eindimensional mit hoher interner Konsistenz (Cronbachs Alpha = 0,90). Eine deutsche Version dieses Instruments legten Glattacker, Gülich, Farin und Jäckel [5] vor. Der Primary Care Assessment Survey (PCAS) von Safran et al. [15] umfasst sieben Domänen der medizinischen Primärversorgung mit elf Subskalen. Eine dieser Subskalen misst das Vertrauen des Patienten in seinen behandelnden Arzt. Dieses wird definiert als die Überzeugung des Patienten in die Integrität, die Kompetenz und die anwaltliche Rolle des Arztes bezogen auf die Patienteninteressen. Die Skala erwies sich in Faktorenanalysen als homogen, die Reliabilität ist mit einem Cronbachs Alpha von 0,86 als sehr gut einzustufen. Hall et al. [7] stellen ein Instrument vor (GTP), welches das Vertrauen in Ärzte allgemein erfasst. Redlichkeit, Kompetenz, Offenheit und Vertraulichkeit sind das Vertrauen konstituierende Aspekte. Auch diese im Ergebnis von 25 auf elf Items verkürzte Version erwies sich als eindimensionale, hoch reliable Skala, die in weiteren Studien eingesetzt wurde. Die ursprünglich benannten vier Aspekte sind in der Endversion jeweils mindestens durch ein Item vertreten. Im gleichen Jahr veröffentlichten Hall et al. [9] die ebenfalls eindimensionale, hoch reliable Wake Forest Physician Trust Scale mit zehn Items (Cronbachs Alpha = 0,93), in der die Item-Inhalte weitgehend ähnlich, die Formulierungen hingegen auf einen spezifischen Arzt statt auf „Ärzte allgemein“ ausgerichtet sind. Das am weitesten ausdifferenzierte Instrument zur Erfassung von Vertrauen des Patienten in seinen Arzt mit 51 Items legten Leisen et al. [14] vor. Wohlwollen und fachliche Kompetenz sind die beiden zentralen Dimensionen von Vertrauen. Wohlwollen beinhaltet die Berücksichtigung der Erfahrungen und

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des sozialen Kontexts des Patienten (1), Mitgefühl (2), klare und vollständige Kommunikation (3), partnerschaftliche (4), respektvolle und aufrichtige (5) Interaktion sowie Vertraulichkeit (6). Unter fachlicher Kompetenz fassen die Autoren eine sorgfältige Diagnose (1), eine adäquate, effektive Behandlung (2) sowie von Patienten präferierte Merkmale der Person des Arztes (wie z. B. Alter, Geschlecht) (3) und der Praxis (z. B. höfliche Mitarbeiter) (4). Die Reliabilitäten der Subskalen sind zufriedenstellend (Cronbachs Alpha > 0,80), die Faktorstruktur mit Wohlwollen und fachlicher Kompetenz als Faktoren zweiter Ordnung ist ebenso mit den Daten vereinbar. Für das mit 51 Items auch nach Einschätzung der Autoren zu lange Instrument wurde eine leider bis dato nicht publizierte Kurzversion in Aussicht gestellt. Die beiden ausschließlich in deutscher Sprache vorliegenden Instrumente zum Vertrauen des Patienten in seinen Arzt stammen von Scheibler et al. [16] und von Drewes & Gusy [3]. Die Kölner Vertrauensskala ist eine Subskala des Kölner Patientenfragebogens (KPF) und erfasst das Vertrauen in die behandelnden Krankenhausärzte. Verschiedene Aspekte des Vertrauens werden mit jeweils einem Item erfragt (z. B. „Die Ärzte waren offen und ehrlich zu mir.“). Das zu messende Vertrauen wird in einem Item auch direkt angesprochen. Die aus fünf Items bestehende Skala erwies sich in Faktorenanalysen als eindimensional und sehr zuverlässig (Cronbachs Alpha = 0,93). Für die Skala von Drewes und Gusy [3] wurde die Mehrzahl der Items theoriegeleitet neu entwickelt. Vertrauen wird dabei im Sinne der im zweiten Abschnitt genannten Definition verstanden. Die Skala umfasst in der Endversion 11 Items mit guten Verteilungseigenschaften, Faktorladungen von 0,70 und größer auf einem gemeinsamen Faktor sowie eine sehr gute Reliabilität (Cronbachs Alpha = 0,93). Validierungsstudien zu dieser Skala stehen noch aus (▶ Tab. 34.1). Diese Auflistung zeigt, dass es überwiegend englischsprachige Instrumente zur Erfassung von Vertrauen des Patienten in seinen Arzt gibt, die in empirischen Studien eingesetzt werden können. Für den deutschen Sprachraum gibt es mittlerweile immerhin drei nutzbare Instrumente. Diese werden trotz der Bedeutung der Thematik für die Gesundheitsversorgung bislang nur wenig eingesetzt.

34.3 Empirische Befunde zum Vertrauen in der Arzt-Patient-Beziehung In bisherigen Studien, in denen das Vertrauen von Patienten gegenüber ihrem Arzt erfasst wurde, zeigt sich, dass dieses Vertrauen generell eher hoch ausgeprägt ist. Hall et al. [8] stellen fest, dass der Durchschnittswert auf einer

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Anderson & Dedrick (1990)

Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit der Aussagen und Handlungen des behandelnden Arztes

11/1

0,90

Kao et al. (1998) Deutsche Version: Glattacker et al. (2007)

Autor /en

Inhalt

Σ Items/Faktoren

Cronbachs Alpha

Weiterentwicklungen durch

0,86

Wake Forest Physician Trust Scale

0,89

11/1

> 0,80

51/10

0,93

5/1

0,93

11/1

Erwartung, dass sich der Arzt kompetent, wohlwollend, verlässlich und integer verhält Vertrauen meint die Erwartung, dass Personen ihre Verantwortung gegenüber anderen Personen wahrnehmen.

Wohlwollen (6 Faktoren); fachliche Kompetenz (4 Faktoren)

Allgemeines Vertrauen in Ärzte soll die Aspekte Redlichkeit, Kompetenz, Offenheit und Vertraulichkeit abbilden

Überzeugung des Patienten in die Integrität, die Kompetenz und die anwaltliche Rolle des Arztes

8/1

Drewes & Gusy (2011)

Vertrauen von Patienten in ihren Arzt

Scheibler et. al. (2011)

Kölner Vertrauensskala

Leisen (2001)

Patients Trust in their physician

Hall et al. (2002)

General Trust in Physician Scale (GTP)

Safran et al. (1998)

Primary Care Assessment Survey (PCAS)

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Trust in Physician Scale

Übersicht über Messinstrumente, die Vertrauen des Patienten in den Arzt erfassen.

Name

Tab. 34.1

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Skala von 1 = starkes Misstrauen bis 5 = starkes Vertrauen in der Regel um den Wert 4 liegt und 90 % der befragten Patienten zumindest ein gewisses Maß an Vertrauen gegenüber ihrem Arzt berichten. Auch Hillen et al. [10] bestätigen diese grundsätzliche Tendenz in ihrem Review zum Arzt-Patient-Vertrauen in onkologischen Settings, verweisen aber auch auf Patientengruppen, die ein geringer ausgeprägtes Vertrauen aufweisen, wie z. B. Patienten, die auf Alternativtherapien zurückgreifen und Patienten in Palliativbehandlung. Für Deutschland liegen nur wenige Ergebnisse vor. Hillen et al. [10] berichten von einer kleinen internationalen Vergleichsstudie bei Onkologiepatienten, in denen das Vertrauen der deutschen Patienten gegenüber ihrem Arzt auf diversen Einzelitems am höchsten ausgeprägt war, deutlich höher als bei französischen, italienischen und britischen Patienten und knapp höher als bei den US-amerikanischen Patienten. Auch in einer umfangreichen Studie mit chronisch kranken Patienten in Deutschland äußerten über 80 % der Befragten großes Vertrauen zu ihrem Arzt [19]. Obwohl die meisten Studien hohe Vertrauenswerte berichten, wird aufgrund der Umstrukturierungen des Gesundheitssystems in vielen westlichen Industrieländern eine Erosion des Patient-Arzt-Vertrauens befürchtet. Mangels systematischer Langzeitstudien existieren international jedoch keine empirischen Belege für diese Hypothese. Eine Reihe von Studien beschäftigt sich mit Prädiktoren des Patient-ArztVertrauens. Dabei kommen Merkmale des Patienten, des Arztes sowie situationale Aspekte bzw. Merkmale der Arzt-Patient-Beziehung als möglichen Variablen, die mit dem Vertrauen in Zusammenhang stehen infrage. Von den untersuchten Eigenschaften des Patienten stand dem Review von Hall et al. [8] zufolge nur das Alter der Patienten in einem moderat positiven Zusammenhang mit dem Grad des Vertrauens. Andere Variablen, wie Geschlecht, ethnische Herkunft oder Bildungshintergrund, weisen über verschiedene Studien hinweg nur geringe bzw. inkonsistente Zusammenhänge auf. Dasselbe gilt für Persönlichkeitseigenschaften bzw. Einstellungen wie generelles Vertrauen, Zynismus oder die Präferenz für direktive bzw. gemeinsame Entscheidungsfindung, die offenbar in keinem oder nur in geringem Maß in Zusammenhang mit dem Vertrauen in der Arzt-Patient-Beziehung stehen. Auf der Seite des Arztes kommen den zwischenmenschlichen Fähigkeiten und dem Kommunikationsstil, neben der wahrgenommenen technischen Kompetenz, große Bedeutung zu. Demografische Merkmale, wie Alter und Ethnie des Arztes, spielen dagegen keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Zu dem am besten untersuchten Zusammenhang, der Länge bzw. Kontinuität der Beziehung zwischen Arzt und Patient, liegen ebenfalls inkonsistente Befunde vor, sodass wenn überhaupt nur ein geringer Zusammenhang mit dem Patient-Arzt-Vertrauen angenommen werden kann. Hall et al. [8] folgern

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daraus, dass das Vertrauen bereits relativ früh zu Beginn der Beziehung zwischen Patient und Arzt aufgebaut wird und in der Regel konstant bleibt. Entsprechend zeigen sich Aspekte der Arztwahl, wie z. B. die Wahrnehmung, dass die Wahl des Arztes eine freie, eigene Entscheidung war oder ob die Arztwahl auf einer Empfehlung anderer Patienten erfolgte, in einigen Studien als Prädiktoren des Vertrauens. Die Bedeutung des Konstrukts Vertrauen in der Arzt-Patient-Beziehung wird durch Befunde zu Zusammenhängen mit Prozess- und Ergebnisvariablen der ärztlichen Versorgung unterstrichen. Am besten untersucht ist der Zusammenhang von Vertrauen mit der Akzeptanz von und Adhärenz zu therapeutischen Maßnahmen [4, 2]. Studien konnten auch zeigen, dass Vertrauen die Inanspruchnahme medizinischer Versorgung erleichtert [2, 20]. Einen Zusammenhang mit Selbstwirksamkeitserwartungen finden Lee und Lin [13]. Haes et al. [6] berichten von verschiedenen Studien, die zeigen, dass Vertrauen zum Onkologen mit weniger Ängsten und Sorgen in Bezug auf den Verlauf der Behandlung und der Krankheit einhergeht. Auch die Kommunikation mit dem Arzt wird durch ein vertrauensvolles Verhältnis erleichtert. Deutliche Zusammenhänge finden sich zwischen verschiedenen Aspekten von Zufriedenheit und dem Arzt-Patient-Vertrauen, wie der Bereitschaft, den Arzt weiterzuempfehlen und der Intention, den Arzt nicht zu wechseln [9]. Besonders hoch ist der Zusammenhang zwischen Vertrauen und der Zufriedenheit mit dem Arzt. Thom und Kollegen [18] berichten von einer Korrelation in Höhe von r = 0,73. Die Autoren können in ihrem längsschnittlichen Design auch zeigen, dass der Zusammenhang zwischen Vertrauen auf der einen Seite und Adhärenz und Therapiekontinuität auf der anderen Seite stärker ist als der zwischen Patientenzufriedenheit und den beiden Prozessvariablen. Aufgrund derartiger empirischer Ergebnisse wird von verschiedenen Autoren die Frage aufgeworfen, inwieweit Vertrauen als gleichwertiges Element bei der Evaluation von ärztlichem Handeln erhoben werden sollte und ob das umstrittene Konzept der Patientenzufriedenheit nicht sogar besser durch die Erhebung von Patientenvertrauen ersetzt werden sollte. In dem bisher einzigen Versuch, das Vertrauen von Patienten durch die Veränderung von vertrauensrelevanten Verhaltensweisen von Ärzten zu steigern, konnten die Autoren keine signifikanten Effekte in Bezug auf das Vertrauen durch ihre eintägige Intervention messen [17].

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Das Thema Vertrauen in der Arzt-Patient-Beziehung wird auch in Deutschland zu einem zunehmend wichtigeren Thema der Versorgungsforschung; der Schwerpunkt liegt aktuell auf dem Vertrauen des Patienten in den Arzt. Die im Rahmen dieses Beitrags vorgestellten Messinstrumente machen das Thema empirisch fassbar; von dieser Möglichkeit wird bislang jedoch noch zu wenig Gebrauch gemacht. Dabei ist der Nutzen einer empirischen Messung von Vertrauen als Seismograf des sensiblen Verhältnisses von Arzt und Patient kaum zu unterschätzen. Trotz zunehmender Forschungsbemühungen ist der Forschungsbedarf hinsichtlich des Vertrauens in der Arzt-Patient-Beziehung groß. Es fehlen Längsschnittstudien, die Auskunft über die Auswirkungen von Veränderungen des Gesundheitssystems und neuen Versorgungskonzepten, wie zum Beispiel telemedizinische Anwendungen, auf das Vertrauen geben können. Populationsdifferenzierende Untersuchungen des Vertrauens von benachteiligten Gruppen, wie Patienten mit Migrationshintergrund oder Patienten mit einem niedrigen sozioökonomischen Status, können Ansatzpunkte für eine Verbesserung des Arzt-Patient-Verhältnis innerhalb dieser Patientengruppen geben. Auch konzeptuelle Studien werden benötigt, die zum Beispiel das Verhältnis der Konstrukte Patientenzufriedenheit und Patientenvertrauen differenzierter klären. Inhaltliche Fragestellungen sollten die Bedeutung des Patientenvertrauens für weitere zentrale medizinische Prozesse klären, wie zum Beispiel den PlaceboEffekt. Vertrauen kann darüber hinaus nicht nur in konkreten Interaktionen erfasst, sondern auch in Bezug auf spezifische Einrichtungen des Gesundheitssystems wie z. B. Krankenhäuser, Krankenversicherungen sowie das Gesundheitssystem global gemessen werden. Voraussetzungen hierfür wären allerdings in der Regel Längsschnitt- oder Kohortenstudien, mit denen sich Änderungen des Vertrauens im Zeitverlauf feststellen ließen.

34.5 Literatur [1] Anderson LA, Dedrick RF. Development of the Trust in Physician scale: a measure to assess interpersonal trust in patient-physician relationships. Psychol Rep 1990; 67: 1091–1100 [2] Calnan MW, Sanford E. Public trust in health care: the system or the doctor? Quality and Safety in Health Care 2004; 13: 92–97 [3] Drewes J, Gusy B. Vertrauen in der Arzt-Patient-Beziehung. Berlin; 2011, unveröffentlicht

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34.4 Schlussfolgerungen

[4] Dugan E, Trachtenberg F, Hall MA. Development of abbreviated measures to assess patient trust in a physician, a health insurer, and the medical profession. BMC Health Serv Res 2005; 5: 64 [5] Glattacker M, Gülich M, Farin E et al. Vertrauen in den Arzt („VIA”) - Psychometrische Testung der deutschen Version der „Trust in Physician Scale”. Phys Rehab Kur Med 2007; 17: 141–148 [6] Haes HCJM de, Smets EMA, Hillen MA. Cancer patients' trust in their physician – A review. PsychoOncology 2011; 20: 227–241 [7] Hall MA, Camacho F, Dugan E et al. Trust in the medical profession: Conceptual and measurement issues. Health Serv Res 2002; 37: 1419–1439 [8] Hall MA, Dugan E, Zheng B et al. Trust in physicians and medical institutions: what is it, can it be measured, and does it matter? Milbank Q 2001; 79: 613–639 [9] Hall MA, Zheng B, Dugan E et al. Measuring patients' trust in their primary care providers. Med Care Res Rev 2002; 59: 293–318 [10] Hillen MA, Haes HCJM de, Smets EMA. Cancer patients' trust in their physician – a review. PsychoOncology 2011; 20: 227–241 [11] Kao AC, Green DC, Davis NA et al. Patients’ trust in their physicians: effects of choice, continuity, and payment method. J Gen Intern Med 1998; 13: 681–686 [12] Kassebaum UB. Interpersonelles Vertrauen: Entwicklung eines Inventars zur Erfassung spezifischer Aspekte des Konstrukts [Dissertation]. Hamburg: Universität Hamburg; 2004 [13] Lee Y, Lin JL. The effects of trust in physician on self-efficacy, adherence and diabetes outcomes. Soc Science Med 2009; 68: 1060–1068 [14] Leisen B, Hyman MR. An improved scale for assessing patients' trust in their physician. Health Mark Q 2001; 19: 23–42 [15] Safran DG, Kosinski M, Tarlov AR et al. The Primary Care Assessment Survey: tests of data quality and measurement performance. Med Care 1998; 36: 728–739 [16] Scheibler F, Kasper J, Turjalei A et al. Entwicklung und Validierung der Skala „Vertrauen in den Arzt“ im Kölner Patientenfragebogen (KPF). Klinische Diagnostik und Evaluation 2011; 4: 63–77 [17] Thom DH, Bloch DA, Segal ES. An intervention to increase patients' trust in their physicians. Stanford Trust Study Physician Group. Acad Med 1999; 74: 195–198 [18] Thom DH, Ribisl KM, Stewart AL et al. Further validation and reliability testing of the Trust in Physician Scale. The Stanford Trust Study Physicians. Med Care 1999; 37: 510–517 [19] Vonneilich N, Altenhöner T, Böcken J et al. Soziale Ungleichheit in der wahrgenommenen Qualität der Arzt-Patienten-Beziehung bei chronisch Kranken. Gesundheitswesen 2011; 73: 211–216 [20] Whetten K, Leserman J, Whetten R et al. Exploring lack of trust in care providers and the government as a barrier to health service use. Am J Public Health 2006; 96: 716–721

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