3 Rechtsnorm und Vertrag 1

§ 3 Rechtsnorm und Vertrag1 Die Rechtsnorm ist die einseitige Anordnung staatlicher Rechtssetzungsbehörden, mit denen Personen Rechte eingeräumt oder ...
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§ 3 Rechtsnorm und Vertrag1 Die Rechtsnorm ist die einseitige Anordnung staatlicher Rechtssetzungsbehörden, mit denen Personen Rechte eingeräumt oder Pflichten auferlegt werden oder die organisatorische Regeln im weitesten Sinn aufstellen. Der Vertrag ist demgegenüber ein zweiseitiger Akt, der auf Verständigung der Beteiligten beruht. Deren Interessen müssen nicht identisch sein, sind es im Privatrecht in der Regel auch nicht. Der Käufer hat ein Interesse am Gegenstand, der Verkäufer am Erlös. Im Verwaltungsrecht fallen die Interessen ebenfalls häufig auseinander, können sich aber auch decken. Ein Naturschutzvertrag zwischen dem Kanton und dem Grundeigentümer vereinigt unterschiedliche Interessen (öffentliches Interesse am Schutz der Natur, privates Interesse an der finanziellen Abgeltung dafür, dass der Private auf eine Bewirtschaftung verzichtet). Ein Naturschutzvertrag zwischen dem Kanton und einem Naturschutzverband weist gleichgerichtete Interessen aus. a)

1.

Das Rechtsgeschäft

Massgebende Elemente: - Willensäusserung der Beteiligten. - Willen der Beteiligten, durch das Geschäft Rechtsfolgen herbeizuführen. - Empfangsbedürftigkeit: Der Wille der einen Partei benötigt einen Adressaten (Ausnahme z.B. das Testament). • Einseitige Rechtsgeschäfte, z.B. die Erteilung einer Vollmacht. • Zweiseitige Rechtsgeschäfte, in erster Linie der Vertrag. - Einseitiger Vertrag, z.B. Schenkungsversprechen - Zweiseitiger Vertrag • Vollkommen zweiseitig, z.B. Kauf, Miete, Arbeits-, Werkvertrag. Leistung und Gegenleistung sind gleichwertig. • Unvollkommen zweiseitiger Vertrag, z.B. zinsloses Darlehen. Leistung und Gegenleistung sind nicht gleichwertig. Vertragsschluss: Offerte → Akzept = Konsens. Eine Änderung der Offerte durch deren Empfänger bedeutet eine neue Offerte; der Erstofferierende wird zum Akzeptierenden. b)

2.

Treu und Glauben

Art. 9 BV «Schutz vor Willkür und Wahrung von Treu und Glauben

1

Auszug aus dem Skript GZ Rechtsordnung, Prof. A. Ruch ETH, 2000 (vergriffen).

Jede Person hat Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden.» Art. 2 ZGB Handeln nach Treu und Glauben 1

Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.

2

Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz.

Vorgeschrieben ist der schonende Gebrauch der Rechte. Wer mit einem andern in dauernden Geschäftsbeziehungen steht, muss dem andern melden, wenn dieser ihm einen leeren Umschlag schickt. Der Professor darf kein veraltetes Examensmerkblatt verteilen und nach einem andern «Merkblatt» prüfen. Die Auslegung der Verträge muss sich danach richten, wie die Verträge «vom Empfänger in guten Treuen verstanden werden durften und mussten» (BGE 113 II 50). Kein Verstoss gegen Treu und Glauben liegt vor, wenn die Behörde einem Privaten die Vorteile nicht gewährt, die er vorher einem andern fälschlicherweise gewährt hat. Es gibt keine Gleichbehandlung im Unrecht. c)

3.

Verbot des Rechtsmissbrauchs

Art. 2 Abs. 2 ZGB (s. oben Ziff. 2). Im Vordergrund steht das Schikaneverbot. Der Rechtsvortritt im Strassenverkehr darf nicht «à tout prix» durchgesetzt werden. Wenn eine Scheidungsrente bis zur Wiederverheiratung vom Gericht zugesprochen worden ist, darf der Begünstigte nicht über Jahre im eheähnlichen Konkubinat leben, um die Rente weiter beziehen zu können. d)

4.

Culpa in contrahendo

Wer Vertragsverhandlungen führt, darf den andern nicht über die wahren Absichten täuschen. Er muss die Verhandlungen ernsthaft führen, wenn der andere erkennbar davon ausgeht, dass er das tue. Wer sich um eine Anstellung bewirbt, darf nicht an mehreren Orten Arbeitsverträge bis zum Vertragsschluss aushandeln. e)

5.

Verstoss gegen die guten Sitten

Gegen die guten Sitten verstösst z.B. eine Verabredung einer Vergütung dafür, dass ein aussichtsloser Rekurs zurückgezogen wird. f)

6.

Wirkungen der Verträge

Verträge entfalten Wirkungen nur unter den Vertragsparteien. Dritte können nicht belastet werden. Wenn A und B einen Vertrag schliessen, in dem A zusichert, C werde einen Vortrag halten

(Vertrag zu Lasten eines Dritten), so kann C dadurch nicht verpflichtet werden, und A schuldet, wenn C nicht auftritt, lediglich Schadenersatz. g)

7.

Vertrag als Rechtsnorm

Der Vertrag ist üblicherweise ein individuell-konkreter Akt. Ausnahmsweise gibt es Verträge, die generell-abstrakte Rechtsnormen sind bzw. enthalten: - Allgemeinverbindlich erklärte Gesamtarbeitsverträge Art. 110 BV / Arbeit 1

Der Bund kann Vorschriften erlassen über:

a. den Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer; b. das Verhältnis zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite, insbesondere über die gemeinsame Regelung betrieblicher und beruflicher Angelegenheiten; c. die Arbeitsvermittlung; d. die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen. 2

Gesamtarbeitsverträge dürfen nur allgemeinverbindlich erklärt werden, wenn sie begründeten Minderheitsinteressen und regionalen Verschiedenheiten angemessen Rechnung tragen und die Rechtsgleichheit sowie die Koalitionsfreiheit nicht beeinträchtigen.

3

Der 1. August ist Bundesfeiertag. Er ist arbeitsrechtlich den Sonntagen gleichgestellt und bezahlt.

Bundesgesetz vom 28. September 1956 in Ausführung von Art. 110 Abs. 1 lit. d BV Der GAV stellt eine Ausnahme vom Gesetzgebungsmonopol des Staates dar. Die Regeln des GAV gelten unmittelbar für die Einzelnen; widersprechende Einzelarbeitsverträge sind ungültig.

- Allgemeinverbindlich erklärte Standard-Mietverträge Art. 109 BV / Mietwesen 1

Der Bund erlässt Vorschriften gegen Missbräuche im Mietwesen, namentlich gegen missbräuchliche Mietzinse, sowie über die Anfechtbarkeit missbräuchlicher Kündigungen und die befristete Erstreckung von Mietverhältnissen. 2 Er kann Vorschriften über die Allgemeinverbindlicherklärung von Rahmenmietverträgen erlassen. Solche dürfen nur allgemeinverbindlich erklärt werden, wenn sie begründeten Minderheitsinteressen sowie regionalen Verschiedenheiten angemessen Rechnung tragen und die Rechtsgleichheit nicht beeinträchtigen.

Bundesgesetz vom 23. Juni 1995 in Ausführung von Art. 109 Abs. 2 BV.

- Staatsverträge siehe § 8 - Allgemeine Geschäftsbedingungen

Die AGB sind rechtlich keine Rechtsnormen, weil sie jeweils individuell akzeptiert werden. Faktisch indessen wirken die AGB wie Rechtsnormen. h)

8.

Subsidiarität der Rechtsnorm

- Zwingendes Recht Die Rechtsnorm geht Vereinbarungen, die von ihr abweichen oder ihr widersprechen, vor. Beispiel: Haftung bei Absicht und grober Fahrlässigkeit in der Nichterfüllung eines Vertrags. Art. 100 Abs. 1 OR Wegbedingung der Haftung Eine zum voraus getroffene Verabredung, wonach die Haftung für rechtswidrige Absicht oder grobe Fahrlässigkeit ausgeschlossen sein würde, ist nichtig. Auch ein zum voraus erklärter Verzicht auf Haftung für leichtes Verschulden kann nach Ermessen des Richters als nichtig betrachtet werden, wenn der Verzichtende zur Zeit seiner Erklärung im Dienst des andern Teiles stand, oder wenn die Verantwortlichkeit aus dem Betriebe eines obrigkeitlich konzessionierten Gewerbes folgt. Vorbehalten bleiben die besonderen Vorschriften über den Versicherungsvertrag.

Öffentliches Recht ist in der Regel zwingend. Es lässt vereinzelt aber Abweichungen zu. - Dispositives Recht Die Rechtsnorm gilt subsidiär für den Fall, dass keine Verreinbarung getroffen worden ist. Art. 364 Abs. 3 OR, Werkvertrag 1

Der Unternehmer haftet im allgemeinen für die gleiche Sorgfalt wie der Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis.

2

Er ist verpflichtet, das Werk persönlich auszuführen oder unter seiner persönlichen Leistung ausführen zu lassen, mit Ausnahme der Fälle, in denen es nach der Natur des Geschäftes auf persönliche Eigenschaften des Unternehmers nicht ankommt.

3

Er hat in Ermangelung anderweitiger Verabredung oder Übung für die zur Ausführung des Werkes nötigen Hilfsmittel, Werkzeuge und Gerätschaften auf seine Kosten zu sorgen. § 270 Abs. 3 PBG Kanton Zürich

1

Alle andern Gebäude dürfen, sofern nicht der Grenzbau vorgeschrieben oder erlaubt ist, die im Abstand von 3,5 m parallel zur Grenze verlaufende Linie nicht überschreiten.

2

Der Abstand von 3,5 m gilt ohne Rücksicht auf Lage und Tiefe der beteiligten Grundstücke seitlich innerhalb von 20 m ab der Verkehrsbaulinie oder der sie ersetzenden Baubegrenzungslinie; ab 12 m über dem gewachsenen Boden vergrössert er sich weiter hinten und rückwärtig um das Mass der Mehrhöhe, unter Vorbehalt der Bestimmungen für Hochhäuser, jedoch höchstens auf 16,5 m.

3

Durch nachbarliche Vereinbarung kann unter Vorbehalt einwandfreier wohnhygienischer und feuerpolizeilicher Verhältnisse ein Näherbaurecht begründet werden.

- Relativ zwingendes Recht

Von der gesetzlichen Vorschrift kann nur zu Gunsten, nicht zu Lasten einer, in der Regel der schwächeren, Partei abgewichen werden. Beispiel: Dauer der Ferien des Arbeitnehmers.