2.2

Psychiatrische Nebenwirkungen von Antiepileptika

2.2.1

Einleitung

Alle Antiepileptika (AED) können das Denken, Fühlen und Verhalten eines Menschen mit (und ohne) Epilepsie beeinflussen. Diese psychotropen Effekte sind nicht schlicht idiosynkratisch zu erklären, sondern werden von der antiepileptischen Potenz des Medikamentes und der biologischen und psychologischen Prädisposition des Patienten bestimmt. Wenn bei einem Patienten mit Epilepsie eine psychische Störung auftritt, so ist immer eine multifaktorielle Genese zu bedenken. Die Pharmakotherapie ist dabei nur einer von vielen potenziellen Risikofaktoren. Wegen der komplexen Pathogenese sind ursachenbezogene epidemiologische Daten schwer zu ermitteln, und chronische Antiepileptika-Effekte sind kaum belegbar. In einer Serie konsekutiver Patienten mit schwer wiegenden psychiatrischen Komplikationen mit Major Depression oder schizophreniformer Psychose (Schmitz et al. 1999) waren 28% der Depressionen und 15% der Psychosen durch Antiepileptika getriggert (einschließlich Intoxikationen, forcierte Normalisierungen und Entzugssyndrome). Die exakt gleiche Rate von 28% iatrogen medikamentösen Auslösern wurde in einer Serie von 100 Epilepsiepatienten mit therapiebedürftigen Depressionen beschrieben (Kanner et al. 2001). In einer aktuellen japanischen Untersuchung lag der prozentuale Anteil von antiepileptikaassoziierten Psychosen sogar bei 40 %. Die Hälfte dieser Psychosen trat nach Behandlung mit dem in Deutschland noch nicht zugelassenen Zonisamid auf (Matsuura 1999). Unglücklicherweise ist es auch mit der Einführung neuer, wirksamer Therapiemethoden nicht gelungen, alle Patienten unmittelbar nach Erstmanifestation von Anfällen erfolgreich zu behandeln. Es sind besonders die schwer behandelbaren Patienten, die empfindlich psychiatrisch auf Antiepileptika reagieren können. Dieses Kapitel soll einen Überblick zum aktuellen Wissensstand über antiepileptikainduzierte psychiatrische Effekte vermitteln.

Ein wesentliches methodisches Problem, die Beziehung zwischen Antiepileptika und psychopathologischen Veränderungen differenziert zu analysieren, besteht in einer unzulänglichen Klassifikation und Terminologie. Diagnostische Kriterien für psychiatrische Nebenwirkungen sind leider nicht standardisiert. Die vier groben Kategorien, die in der Literatur benutzt werden, beschränken sich auf Psychosen, affektive Störungen, Verhaltensstörungen einschließlich Aggression und Enzephalopathien. Von einem nosologischen Gesichtspunkt aus betrachtet sind diese Störungsgruppen nicht sehr spezifisch. Unter dem Begriff der „Psychose“ können ebenso chronisch schizophrene Syndrome, wie kurze organisch delirante Episoden mit Verwirrtheit oder wahnhafte Depressionen verstanden werden. Daten aus klinischen Studien beschränken sich in der Regel auf eine Liste isolierter psychopathologischer Symptome, die mit leider nicht vereinheitlichten Kodierungssystemen erfasst werden, wie „Nervousness, Anxiety, Depressed Mood, Emotional Lability, Abnormal Thinking“. Die klinische Relevanz und der weitere psychiatrische Kontext bleiben völlig obskur. Es ist unangemessen, aufgrund solcher Symptome ein spezifisches psychiatrisches Syndrom wie z. B. eine Depression zu extrapolieren, obwohl dies häufig gemacht wird. 2.2.2

Konventionelle Antiepileptika

Hinsichtlich der konventionellen Antiepileptika (Tab. 2.2.2.1) beruht unser Wissen über deren negative psychotrope Effekte bei Epilepsiepatienten weitgehend auf Empirie, bzw. auf wenig repräsentativen Fallserien oder kasuistischen Mitteilungen in der Literatur. Eine Ausnahme bilden lediglich die Barbiturate, für die diverse Untersuchungen gezeigt haben, dass sowohl bei Kindern wie Erwachsenen das Risiko einer pharmakogenen Depression erhöht ist (Robertson et al. 1987, Brent 1986). Bei Schulkindern, die mit Barbituraten behandelt wurden, lag die Prävalenz für eine Major Depression bei 40% gegenüber nur 4% in

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97

2 Therapie

Tabelle 2.2.2.1 Typische psychiatrische Nebenwirkungen von klassischen Antiepileptika  

  

Primidon, Barbiturate – Depression, Entzugssyndrome, Aggression Phenytoin – toxische schizophreniforme Psychose, Enzephalopathie Ethosuximid – Alternative Psychose Carbamazepin – Depression, Manie (selten) Valproat – Enzephalopathie

einer mit Carbamazepin behandelten Kontrollgruppe (Brent et al. 1987). Bei Kindern können alle Antiepileptika eine Verhaltensstörung induzieren, die einem Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom ähnelt. Besonders häufig ist diese Nebenwirkung bei Barbituraten beschrieben worden. Reizbarkeit und aggressives Verhalten kommen besonders häufig bei lernbehinderten und mehrfach behinderten Patienten vor, die grundsätzlich empfindlicher auf Medikamentenänderungen reagieren als normal intelligente Patienten. Die nach Langzeitbehandlung auftretenden Entzugssyndrome sind im Einzelfall ähnlich den Benzodiazepinen auch bei ultralangsamem Absetzen nicht zu verhindern. Phenytoin kann bei hohen Serumkonzentrationen schizophrenieähnliche Psychosen induzieren (Mcdanal und Bolman 1975). Hierbei handelt es sich um dosisabhängige, also toxische und in der Regel reversible Syndrome, die bemerkenswerterweise ohne begleitende zerebelläre Intoxikationszeichen auftreten können, die bei den meisten Patienten die Toleranzgrenze anzeigen. Deshalb wird die toxische Genese leicht übersehen. In einer japanischen Untersuchung waren 20 von 45 antiepileptikainduzierten Psychosen mit Phenytoin assoziiert. Diese Psychosen traten in der Regel dosisabhängig auf (Kanemoto et al. 2001). Eine chronische Enzephalopathie unter Phenytoin ist unter dem Begriff „DilantinDementia“ beschrieben worden (Trimble und Reynolds 1976). Psychosen treten bei 2% aller Kinder auf, die mit Ethosuximid behandelt werden, in der Regel nach erfolgreicher Koupierung und häufig assoziiert mit einer Sanierung des EEGs im Sinne einer forcierten Normalisierung. Bei erwachsenen Patienten mit persistierenden Absencen ist das Psy-

choserisiko mit 8% unter Ethosuximid-Behandlung bedeutend höher (Wolf et al. 1984). Affektive Probleme sind eine seltene Komplikation unter Carbamazepin (Dalby 1975). Dabei handelt es sich sowohl um depressive Störungen als auch um manische Episoden. Letztere wurden als paradoxer Effekt aufgrund der antidepressiven Wirkung des Carbamazepins, das in seiner chemischen Struktur den trizyklischen Antidepressiva ähnelt, erklärt (Drake und Peruzzi 1986). Unter Valproat kann es zu akuten und chronischen Enzephalopathien kommen (Sackellares et al. 1979, Zaret und Cohen 1986, Schöndienst und Wolf 1992). Die akuten Enzephalopathien sind titrationsabhängig, treten in der Regel unter Polytherapie auf, gehen mit einem charakteristischen rhythmisch verlangsamten EEG einher und sind mit Absetzen des Valproats reversibel. Die chronische Valproat-Enzephalopathie kann neben kognitiven zu diversen zentralnervösen z. B. extrapyramidalmotorischen Symptomen führen und wird wegen der schleichenden Entwicklung häufig übersehen. 2.2.3

Neue Antiepileptika

In Deutschland wurden seit 1952 neun neue Antiepileptika zugelassen und bei weiteren Substanzen steht eine Zulassung bevor. Für diese so genannten „neuen“ Antiepileptika besteht im Unterschied zu den herkömmlichen Substanzen kein Mangel an Daten über negativ psychotrope Effekte bei Epilepsiepatienten (Abb. 2.2.3.1). Diese Daten beziehen sich auf die aus psychiatrischer Sicht wenig differenzierte Erfassung von Nebenwirkungen in klinischen Studien. Für die Beurteilung des psychiatrischen Nebenwirkungsrisikos einzelner Präparate sind diese Quellen leider wenig tauglich, weil psychiatrische Komplikationen weder systematisch noch differenziert dokumentiert werden. Die Studien sind kaum miteinander vergleichbar, auch wegen unterschiedlicher Einschlusskriterien (häufig werden gerade Patienten mit einer psychiatrischen Vorgeschichte von Studien ausgeschlossen). In der Vergangenheit war es häufig so, dass psychiatrische Nebenwirkungen erst nach der Zulassung eines Medikamentes deutlich wurden. Das liegt auch daran, dass innerhalb von Studien definierte Dosierungen über einen begrenzten Zeitraum selektierten Patientengruppen gegeben werden. Auch für die neuen Antiepileptika sind deshalb eine Reihe klinisch relevanter Fragen noch unbeantwortet (Tab. 2.2.3.1).

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98

2.2 Psychiatrische Nebenwirkungen von Antiepileptika

9

Angstzustand Depression emotionale Labilität Feindseligkeit, Reizbarkeit Agitation Nervosität

8 7 6 5 4 3 2 1 0

Gabapentin Levetiracetam Lamotrigin

Tiagabin

Topiramat

Vigabatrin

Zonisamid

Abb. 2.2.3.1 Inzidenz affektiver Stçrungen bei neuen Antiepileptika. Quelle: Produktinformationen der Hersteller, Cramer et al. 2003. Tabelle 2.2.3.1

Psychotrope Effekte neuer Antiepileptika positiv affektive Effekte

negativ affektive Effekte

Psychosen

offene Fragen

Vigabatrin



Depressionen

alternative Psychosen

welche Patienten sind gefhrdet?

Lamotrigin

antidepressiv, stimmungsstabilisierend

Insomnie, Tourette-Syndrom

selten

welche Patienten profitieren?

Felbamat

stimulierend

Agitiertheit

mçglich

keine kontrollierten Daten

Gabapentin

anxiolytisch

Aggression

sehr selten

keine kontrollierten Daten

Tiagabin



Verstimmungen

mçglich

welcher Zusammenhang besteht zu nonkonvulsiven Status epilepticus?

Topiramat

?

Verstimmungen, Depressionen

alternative Psychosen

sind die Verstimmungen unabhngig von kognitiven Stçrungen?

Oxcarbazepin

stimmungsstabilisierend



sehr selten

welche Patienten profitieren?

Levetiracetam

?

Aggression

mçglich

wenig Erfahrungen

2.2.3.1

Vigabatrin

Zum Vigabatrin, dem ältesten der Antiepileptika der neuen Generation, gab es bereits kurz nach der Zulassung Berichte über ernste psychiatrische Nebenwirkungen, die nach den Erfahrungen einer Londoner Arbeitsgruppe bei 7% der Behan-

delten auftraten (Sander et al. 1991). In einer detaillierten Analyse der Fallberichte von Patienten mit schwer wiegenden psychiatrischen Nebenwirkungen unter Vigabatrin, die in Europa an die damalige Herstellerin gemeldet worden waren, hatten Thomas et al. (1996) drei Muster differenziert: 1. Komplikationen nach mit Vigabatrin er-

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Nebenwirkungsrate (%) (Medikament minus Plazebo)

99

2 Therapie

Tabelle 2.2.3.2 Psychosen und Depressionen bei Vigabatrin: Beziehung zu Anfllen

alternativ

Psychosen n = 28

Depression n = 22

13 (46%)

0

postiktal

7

weniger Anflle

3

7 8

mehr Anflle

0

0

Anflle idem

0

7

unklar

5

0

Thomas et al. 1996

reichter Anfallsfreiheit, 2. postiktale Störungen, die nach Anfallsclustern und vorübergehender Anfallsfreiheit auftraten, und 3. Entzugssyndrome (Tab. 2.2.3.2). Die Autoren hatten festgestellt, dass Patienten, die Psychosen entwickelt hatten, häufig anfallsfrei geworden waren (13 von 28 Patienten) im Sinne einer alternativen Störung bzw. einer forcierten Normalisierung. Im Unterschied dazu war keiner der Patienten, die eine Depression entwickelt hatten, anfallsfrei geworden. Dies deutet darauf hin, dass vor allem die psychotogene Wirkung des Vigabatrins über seine antiepileptische Wirksamkeit erklärt werden kann, die depressogene Wirkung allerdings nicht durch die bekanntermaßen hohe antiepileptische Potenz vermittelt wird. Bei Kindern, insbesondere solchen mit Lernproblemen, sind als einschränkende Nebenwirkung des Vigabatrins Agitation und Aggressivität beschrieben worden, ein Syndrom ähnlich den Verhaltensstörungen, die unter Phenobarbital beschrieben wurden. In einer frühen französischen Studie lag die Inzidenz solcher Verhaltensprobleme bei 26% (Dulac et al. 1991). Nach diesen ersten Studien wurden die psychiatrischen Risiken des Vigabatrins lange kontrovers diskutiert. Inzwischen gibt es zwei Metaanalysen, die bestätigen, dass psychiatrische Nebenwirkungen tatsächlich häufiger als bei plazebobehandelten Patienten auftreten. In der Studie von Ferrie et al. (1996) wurden Psychosen und schwere Verhaltensstörungen, die zum Behandlungsabbruch führten, in sieben plazebokontrollierten europäischen Studien analysiert. Die Gesamtinzidenz dieser Komplikationen lag bei 3,4% in der Vigabatringruppe und bei 0,6 % in der Plazebogruppe mit bemerkenswerten Unterschieden in den verschiedenen Studien (Inzi-

denzraten variierten zwischen 1% und 12%). Dies bedeutet entweder, dass es unterschiedlich vulnerable Patientengruppen gibt, oder dass es Unterschiede bei der Sensitivität der Studienärzte für das Erkennen oder die Dokumentation psychiatrischer Nebenwirkungen gibt. In der zweiten Metaanalyse von Levinson und Devinsky wurden zehn internationale doppelblinde plazebokontrollierte Studien analysiert (1999). Psychiatrische Komplikationen wurden diagnostisch differenziert, indem psychopathologische Symptome bzw. Beschwerden syndromatisch zusammengefasst wurden. Depressionen kamen bei 12,1% der mit Vigabatrin behandelten Patienten vor. Im Unterschied dazu lag die Depressionshäufigkeit in der Plazebogruppe nur bei 3,5% (p < 0,001). Psychosen traten bei 2,5 % der Patienten auf, die mit Vigabatrin behandelt worden waren im Vergleich zu einer Inzidenz von 0,3 % in der Plazebogruppe (p < 0,05). Nur bei 2% der depressiven Patienten wurde Vigabatrin abgesetzt, woraus sich ableiten lässt, dass es sich in der Regel um relativ milde Manifestationen handelte. Man muss allerdings bedenken, dass die Studiendauer in der Regel nur bei drei oder vier Monaten lag, weshalb später auftretende Komplikationen nicht erfasst werden konnten. Es ist schade, dass diese nützliche und klärende Analyse erst zehn Jahre nach der Einführung in Europa publiziert wurde. Inzwischen haben die meisten Epileptologen Vigabatrin wegen der Häufigkeit irreversibler Gesichtsfeldeinschränkungen aus ihrem Repertoire gestrichen. Psychiatrische Nebenwirkungen können auch unter Vigabatrin-Monotherapie auftreten. In den Monotherapiestudien traten depressive Symptome bei 5% der mit Vigabatrin behandelten Patienten auf; im Unterschied dazu lag die Häufigkeit depressiver Beschwerden in der Kontrollgruppe, die mit Carbamazepin behandelt wurde, bei nur 1% (Brodie 1996). 2.2.3.2

Lamotrigin

Lamotrigin hatte schon sehr früh den Ruf eines positiv psychotrop wirkenden Medikaments erhalten, mit Verbesserungen von Stimmung, Antrieb und kognitiven Leistungen. Schwere psychiatrische Komplikationen sind selten und Psychosen und Depressionen mit konsekutivem Studienabbruch kamen in den Zulassungsstudien nur in Einzelfällen vor (Fitton und Goa 1995). Als unerwünschte Konsequenz der Antriebssteigerung klagen manche Patienten unter

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100

2.2 Psychiatrische Nebenwirkungen von Antiepileptika

2.2.3.3

Felbamat

Felbamat wird wegen seiner hämatologischen und hepatischen Toxizität inzwischen nur noch in einer kleinen Patientengruppe mit pharmakoresistentem Lennox-Gastaut-Syndrom eingesetzt. Nach Herstellerinformationen sind Psychosen sehr selten vorgekommen mit einer Inzidenz von 0,02% unter allen exponierten Patienten (Essex Pharma, persönliche Mitteilung). Felbamat kann zu einer Antriebssteigerung führen, mit konsekutiven Schlafstörungen und Verhaltensstörungen bei manchen Patienten, wiederum besonders häufig bei lernbehinderten Kindern (McConnell et al. 1996). Ketter et al. (1996) untersuchten die psychotropen Effekte von Felbamat gezielt. Sie schlossen aus ihrer Studie mit 30 pharmakoresistenten Epilepsiepatienten, dass sich die stimulierenden Effekte des Felbamats positiv oder negativ auswirken können, in Abhängigkeit von einer vorbestehenden Psychopathologie. So verschlechterten sich primär ängstliche Patienten, während andere Kinder von der Behandlung profitierten.

2.2.3.4

Gabapentin

Abgesehen von Müdigkeit traten in den kontrollierten Studien keine negativen psychotropen Effekte unter Gabapentin auf, dessen insgesamt günstiges Verträglichkeitsprofil (bei allerdings gleichzeitig schwacher Wirksamkeit) inzwischen allgemein anerkannt wird. Aber auch unter Gabapentin sind bei den bekanntermaßen prädisponierten Patientengruppen (lernbehinderte Kinder und Erwachsene) Verhaltensstörungen mit Aggressivität beschrieben worden (Lee et al. 1996, Wolf et al. 1995, Tallian et al. 1995). Es ist unklar, ob in diesen Fällen die grundsätzlich beim Gabapentin mögliche schnelle Eindosierung eine Rolle spielt. 2.2.3.5

Tiagabin

Ein spezifisches Behandlungsproblem unter Tiagabin ist die paradoxe Provokation von de novo nonkonvulsiven Status epilepticus aufgrund eines verhältnismäßig engen therapeutischen Fensters (Steinhoff und Schmitz 2002, Schapel und Chadwick 1996). Deshalb sollten grundsätzlich EEGAbleitungen durchgeführt werden, wenn psychische Störungen auftreten, insbesondere natürlich wenn qualitative Bewusstseinsveränderungen und Mutismus bereits klinisch einen Status epilepticus vermuten lassen. Leider ist diese Nebenwirkung erst nach Abschluss der ersten klinischen Studien erkannt worden, so dass es retrospektiv nicht möglich ist, zu entscheiden wie häufig psychiatrische Komplikationen durch einen Status epilepticus ausgelöst wurden, weil EEG-Ableitungen nicht systematisch durchgeführt wurden. In den plazebokontrollierten Add-on-Studien waren „Nervosität“ und „depressive Stimmung“ in den Tiagabin-Gruppen signifikant häufig aufgetreten (Leppik 1995) (12% versus 3%, 5% versus 1%). Die Inzidenz von als schwer wiegende Nebenwirkungen eingestuften Psychosen war nicht signifikant erhöht (2% versus 1%). Insgesamt waren 84 solcher Fälle dem Hersteller bis 1996 gemeldet worden. Bei 30 Patienten führte die Psychose zu einem Absetzen, bei 38 Patienten zu einer Reduktion des Tiagabins; bei 16 Patienten wurde Tiagabin unverändert weiter verordnet. Unter 19 Patienten, deren Krankengeschichten systematisch analysiert werden konnten (Schmitz 1996), waren sieben Psychosen postiktal aufgetreten, eine Psychose nach Absetzen von Tiagabin. Nur ein Patient hatte eine alternati-

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Schlafstörungen, die gelegentlich mit Unruhe, Reizbarkeit und Ängstlichkeit, gelegentlich auch Hypomanie, assoziiert sein können. Insomnie wurde bei 6% aller Patienten unter Monotherapie beobachtet, im Vergleich zu 2% der mit Carbamazepin behandelten Kontrollgruppe und 3% der mit Phenytoin behandelten Kontrollgruppe (Brodie et al. 1995). Nach ersten Berichten über Verhaltensstörungen bei mehrfach behinderten Patienten unter Lamotrigin wurde zunächst daran gezweifelt, dass es sich hier tatsächlich um eine Nebenwirkung handelt. Es wurde geargwöhnt, dass die Betreuer durch die verbesserte Aufmerksamkeit und die Aktivitätssteigerung ihrer Patienten nach Lamotrigin („Release Phenomenon“ Besag 2001) schlicht überfordert waren (Binnie 1997). Inzwischen haben Publikationen aber überzeugend dargestellt, dass Lamotrigin bei lernbehinderten Kindern und intelligenzgeminderten Erwachsenen Verhaltensstörungen mit Aggressivität triggern kann (Beran et al. 1998, Ettinger et al. 1998). Bemerkenswerterweise gibt es inzwischen auch einige Fallberichte über ein reversibles Tourette-Syndrom unter Lamotrigin, einschließlich der mit dem Syndrom assoziierten typischen Zwangsstörungen (Lombroso 1999).

101

102

2 Therapie

Tabelle 2.2.3.3

Risikofaktoren fr Depressionen und Psychosen unter Vigabatrin, Topiramat und Levetiracetam

psychiatrische Vorgeschichte +/+

+/+

+/+

Fieberkrmpfe

?/?

+/?

+/?

Status epilepticus

?/?

?/?

+/?

Titration/Dosis

+/–

+/–

–/–

Anfallsfreiheit

–/+ (13 Flle)

–/+ (10 Flle)

–/+ (4 Flle)

Schwere der Epilepsie

–/+

+/?

–/?

kognitive Nebenwirkungen

?/?

+/–

–/–

* Thomas et al. 1996 ** Mula et al. 2002 *** Mula et al. 2002 + signifikanter Zusammenhang, – kein Zusammenhang, ? nicht untersucht bzw. wegen zu kleiner Zahlen nicht zu beurteilen

ve Psychose mit Anfallskontrolle durch Tiagabin. Trimble beschrieb fünf Patienten mit reversiblen tiagabinassoziierten Psychosen, von denen zwei anfallsfrei geworden waren (Trimble 1998). 2.2.3.6

Topiramat

Topiramat ist ein hoch potentes Antiepileptikum mit breitem Wirkspektrum. Relativ häufig kommt es zu kognitiven Nebenwirkungen, die inzwischen seltener auftreten, weil das initial aggressive Titrationsschema zugunsten einer ebenso wirksamen langsamen Titration im niedrigen Dosisbereich aufgegeben wurde. Eine ungewöhnliche Nebenwirkung von Topiramat ist eine aphasische Störung mit sowohl amnestischen als auch motorischen Elementen, die als Ausdruck einer fokalen Neurotoxizität erklärt wird. In den kontrollierten Studien wurden bei 17 – 28% der Patienten Denkstörungen beschrieben („Abnormal Thinking“), wobei unklar blieb, ob es sich dabei um kognitive oder psychotische Probleme handelte (Janssen-Cilag 1996). Die Häufigkeit affektiver Störungen ist eindeutig dosisabhängig mit Inzidenzraten zwischen 9% und 19% bei Tagesdosierungen von 200 mg bzw. 1000 mg in einer klinischen Studie (Janssen-Cilag 1996). Ob diese hohe Inzidenz mit den ebenfalls unter Topiramat gehäuft auftretenden kognitiven Störungen erklärt werden können, ist nicht klar. In der Analyse von Mula et al. (2002) waren kognitive Beschwerden allerdings signifikant mit affektiven Störungen korreliert. In derselben Studie war auch ein Zusammenhang

zwischen schneller Eindosierung und hoher Anfangsdosis und dem Auftreten affektiver Störungen beschrieben worden, was insgesamt dafür spricht, dass es sich bei den affektiven Störungen um dosisabhängige toxische Probleme handelt. In den Topiramat-Zulassungsstudien waren Psychosen mit einer Inzidenz von 0,8 % nicht gegenüber Plazebogruppen erhöht. In einer systematischen Analyse von 94 Patienten eines englischen Zentrums waren Psychosen allerdings bei 12% der Behandelten aufgetreten, deutlich häufiger als bei Patienten, die in demselben Zentrum mit Lamotrigin (0,7 %) oder Gabapentin (0,5 %) behandelt worden waren, so dass man von einem selektionsabhängig erhöhten Psychoserisiko ausgehen muss (Crawford 1998). Patienten, die anfallsfrei werden, sind vermutlich besonders gefährdet (Tab. 2.2.3.3, Mula et al. 2003). Monotherapiestudien mit Topiramat haben inzwischen eine günstigere Gesamtverträglichkeit in niedriger Dosierung bei ausreichender Wirksamkeit belegt. Inwieweit durch eine vorsichtige Eindosierung (empfohlen wird heute eine Aufdosierung in zwei-wöchentlichen 25mg-Schritten) psychiatrische Nebenwirkungen in der Kombinationsbehandlung vermieden werden können, ist bisher nicht geklärt. Sicher kann das Risiko reduziert werden. Der klinische Eindruck zahlreicher Epileptologen spricht allerdings dafür, dass es Patienten gibt, die die Substanz auch in niedriger Dosierung nicht vertragen. Deshalb ist eine gute Aufklärung über potenzielle psychiatrische Nebenwirkungen, ein engmaschiges Monitoring bei Einstellung mit zügigem Ab-

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Vigabatrin* Topiramat** Levetiracetam*** Depressionen/Psychosen Depressionen/Psychosen Depressionen/Psychosen n = 22/28 n = 46/16 n = 13/6

2.2 Psychiatrische Nebenwirkungen von Antiepileptika

2.2.3.7

Levetiracetam

Levetiracetam ist das jüngste der in Deutschland zugelassenen Antiepileptika. Daten zu psychiatrischen Nebenwirkungen sind noch beschränkt und schwer wiegende Nebenwirkungen sind vermutlich relativ selten. In den klinischen Studien waren signifikante affektive Störungen mit einer Inzidenz von nur 2% und Psychosen mit 0,7 % sehr selten. In einer aktuellen englischen Analyse traten allerdings bei 10 % der 517 behandelten Patienten eines Zentrums psychiatrische Nebenwirkungen auf (Mula et al. 2003) unabhängig von der Eindosierungsgeschwindigkeit. Besonders häufig waren aggressive Verhaltensstörungen (Tab. 2.2.3.4), die vorwiegend – aber nicht ausschließlich – bei schon vor Behandlung reizbaren Patienten auftreten. In einer amerikanischen Untersuchung wurden speziell neu aufgetretene aggressive Verhaltensstörungen (mit objektiviert verbal oder physisch aggressivem Verhalten) unter Levetiracetam untersucht, die bei 18 von 460 konsekutiven Epilepsiepatienten (3,9 %) zu einer Reduktion oder zum Absetzen von Levetiracetam geführt hatten. Sieben dieser Patienten hatten bereits früher Episoden mit aggressiven Verhaltensstörungen gehabt (Mesad und Devinsky 2002). In der Bonner Universitätsklinik kam es bei 33 Patienten zu aggressiven Verhaltensstörungen (3,5 % aller Levetiracetam-Behandlungen). Bei zehn Patienten musste Levetiracetam reduziert oder abgesetzt werden. Bei neun Patienten waren die Verhaltensstörungen schwer ausgeprägt einschließlich tätlich aggressiver Handlungen mit psychiatrischer Notfallbehandlung bei zwei Patienten (Dinkelacker et al. 2003). Verhaltensstörungen mit aggressiven und in Einzelfällen sogar suizidalen Tendenzen unter Levetiracetam sind möglicherweise im Kindesalter besonders häufig mit einer Inzidenz von bis zu 68% (Estrada et al. 2002). Insbesondere bei primär bereits neuropsychiatrisch auffälligen Kindern kann es zu einer Exazerbation von Verhaltensstörungen kommen (Gustafson et al. 2002). In der Schweizer Epilepsieklinik gaben Verhaltensstörungen Anlass zum Absetzen bei 20 % der mit Levetiracetam behandelten Kinder (Sälke-Kellermann, mündliche Mitteilung). Kossoff et al. (2001) berichteten von vier jugendlichen Patienten, die unter Levetiracetam eine nach Absetzen reversible Psychose entwickelten.

Tabelle 2.2.3.4 Levetiracetam

Psychiatrische Nebenwirkungen von

Prvalenz

53/517 (10,1%)



Depression

13 (2,5 %)



Aggression

19 (3,5 %)



Psychose

6 (1,2 %)



emotionale Labilitt

12 (2,3 %)



anderes

3 (0,6 %)

Mula et al. 2003

Alle Kinder hatten vorbestehende Verhaltensauffälligkeiten und in allen Fällen war Levetiracetam sehr schnell eindosiert worden. Zwei der Patienten waren anfallsfrei geworden – so dass hier eine forcierte Normalisierung im Spiel gewesen sein mag – bei den anderen beiden Patienten war der Anfallsverlauf leider nicht beschrieben worden (Kossoff et al. 2001). 2.2.4

Risikofaktoren

Grundsätzlich sind Patienten mit einer biographischen oder genetischen Prädisposition (einer psychiatrischen Vorgeschichte oder positiven Familienanamnese für psychiatrische Erkrankungen) besonders für depressive oder psychotische Komplikationen von Antiepileptika prädestiniert (siehe Tab. 2.2.3.3). Dabei neigen Patienten mit früheren affektiven Störungen eher zu Depressionen, Patienten mit früheren psychotischen Episoden zu Psychosen. Mit anderen Worten, unabhängig von der Pathogenese und dem spezifischen Antiepileptikum reagieren Patienten mit einer individuell spezifischen Psychopathologie. In manchen Fällen beobachtet man substanzspezifische Empfindlichkeiten. Es gibt aber auch solche Patienten, die auf verschiedene Antiepileptika mit phänomenologisch identischen psychiatrischen Komplikationen reagieren. Bei diesen Patienten ist deshalb eine besonders vorsichtige Titration und ein engmaschiges Monitoring bei jeder Neueinstellung sinnvoll. Einige Untersuchungen haben gezeigt, dass Patienten mit besonders schweren Epilepsien ein erhöhtes Risiko für psychiatrische Nebenwirkungen haben. Mula et al. (2003) konnten zeigen, dass Patienten, die unter Topiramat Depressionen entwickeln, häufiger Hippocampussklerosen haben als Patienten, die Topiramat gut tolerieren; ein weiterer Hinweis für die Beziehung zwischen limbischer Epilepsie und Depressionsneigung.

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setzen bei Auftreten psychiatrischer Nebenwirkungen zu empfehlen.

103

2 Therapie

Eine besonders vulnerable Patientengruppe sind mehrfachbehinderte, lernbehinderte bzw. intelligenzgeminderte Erwachsene und mehr noch Kinder. Bei dieser Patientengruppe ist es zum einen schwierig, die Natur der Störung exakt zu definieren, weil sich Patienten schlecht äußern können und sich deshalb psychotische wie affektive Störungen in aggressiven Verhaltensstörungen äußern können. Grundsätzlich können aber auch primär nichtpsychiatrische unerwünschte Wirkungen wie Schwindel oder gastrointestinales Unwohlsein zu Verhaltensstörungen Anlass geben, eben weil Patienten sich nicht differenziert verbal beschweren können. Bei diesen Patienten ist bei medikamentösen Umstellungen eine besonders sorgfältige Beobachtung mit kontinuierlicher Verhaltensdokumentation sinnvoll, auch weil wir gelegentlich die Erfahrung machen, dass die Beobachtung einzelner Betreuer nicht immer für den Eindruck des Gesamtteams und der Angehörigen repräsentativ ist. 2.2.5

Mechanismen

Es gibt eine Reihe theoretischer Erklärungsmodelle für die Entstehung von psychiatrischen Nebenwirkungen von Antiepileptika: 1. eine dosisabhängige Toxizität, 2. dosisunabhängige oder idiosynkratische Effekte bei vulnerablen Patienten, 3. Medikamentenentzug und 4. Effekte, die über die antiepileptische Wirkung vermittelt werden. Die wichtigsten Mechanismen aus epidemiologischer und pathophysiologischer Perspektive sind pharmakodynamische mit dem biochemischen Wirkmechanismus verknüpfte Effekte und alternative Syndrome nach medikamentöser Unterdrückung epileptischer Aktivität („forcierte Normalisierung“). 2.2.5.1

Idiosynkratische, dosisunabhängige Effekte

Mit der Ausnahme des Levetiracetams sind durch experimentelle Untersuchungen die Wirkmechanismen der neuen Antiepileptika weitgehend aufgeklärt worden, wenn man vereinfachend drei Wirkprinzipien unterstellt:

1. Membranstabilisierung über eine Natriumkanalblockade, 2. Verstärkung GABAerger Inhibition und 3. Hemmung glutamaterger Exzitation (Tab. 2.2.5.1). Psychiatrische Nebenwirkungen sind besonders häufig bei der Gruppe der GABAergen Antiepileptika beschrieben worden: Vigabatrin, Tiagabin und Topiramat (Trimble 1997, 2000): Bei diesen drei Medikamenten waren bereits in den klinischen Studien affektive Symptome signifikant gegenüber Plazebokontrollgruppen gehäuft aufgetreten (Schmitz 1996, Janssen-Cilag 1996). Diese drei Antiepileptika sind, ebenso wie die Barbiturate, stark GABAerg wirksam und unterscheiden sich damit in ihrem Wirkungsmechanismus von den Antiepileptika, die kein erhöhtes depressogenes Risiko haben (Lamotrigin und Gabapentin). Diese Gemeinsamkeit ist wahrscheinlich nicht zufällig, sondern pathogenetisch relevant. Dass GABA in der Pathogenese von Depressionen eine Rolle spielt, ist bekannt (Petty 1995); der genaue Mechanismus ist allerdings weitgehend unverstanden. Kein Antiepileptikum ist hinsichtlich der Möglichkeit, psychiatrische Nebenwirkungen zu provozieren, völlig ungefährlich. Die amerikanische Arbeitsgruppe um Post hat eine Hypothese formuliert, nach der die Richtung des psychotropen Effektes eines Antiepileptikums von dem psychopathologischen Ausgangsstatus des Patienten bestimmt wird (Ketter et al. 1994). Die Autoren unterscheiden zwei Kategorien von Antiepileptika; die erste umfasst Substanzen, die GABAerg sind und sedierend sowie anxiolytisch wirken sollen (Barbiturate, Benzodiazepine, Valproat, Vigabatrin, Tiagabin, Gabapentin). Zu der zweiten Gruppe gehören Antiepileptika, die antiglutamaterg sind und antidepressiv sowie anxiogen wirken sollen (Felbamat, Lamotrigin). Topiramat wird aufgrund der multiplen Wirkmechanismen eine Zwischenstellung zugewiesen, und für Levetiracetam ist wegen des unbekannten Wirkmechanismus eine Zuordnung noch nicht möglich. Die Arbeitsgruppe postuliert, dass Patienten, die primär antriebsgesteigert bzw. agitiert oder ängstlich sind, von sedierenden Antiepileptika profitieren können, während sie sich psychopathologisch unter aktivierenden Antiepileptika verschlechtern (Abb. 2.2.5.1 und Tab. 2.2.5.2). Das Umgekehrte ist der Fall für Patienten, die primär antriebsgemindert bzw. sediert sind. Diese Hypothese ist in ihrer gegenwärtigen Formulierung si-

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2.2 Psychiatrische Nebenwirkungen von Antiepileptika

1. GABA-erg sedierend anxiolytisch antimanisch

Levetiracetam?

Barbiturate, Benzodiazepine Topiramat Valproat, Vigabatrin Tiagabin, Gabapentin

Tabelle 2.2.5.1

Abb. 2.2.5.1 Zwei Kategorien psychotroper Profile von AED (Ketter et al. 1999).

2. – – – –

anti-glutamaterg aktivierend anxiogen antidepressiv

Felbamat, Lamotrigin

Mechanismen neuer Antiepileptika, GABA-Agonismus und Depressionen Na+

Glutamatfl

GABA›

UAW: Depression*

Vigabatrin





+

+

Lamotrigin

+

+





Felbamat



+

(+)



Gabapentin





(+)



Tiagabin





+

+

Topiramat

+

+

+

+

Levetiracetam









*

signifikant erhçht in plazebokontrollierten Studien; UAW = unerwnschte Arzneimittelwirkungen

Tabelle 2.2.5.2

Ausgangsprofil und Wirkung von AED (Ketter et al. 1999) aktivierte Patienten

sedierte Patienten

sedierende AED

besser

schlechter

aktivierende AED

schlechter

besser

cher zu simplifizierend. Sie bietet aber einen vernünftigen Ansatz, nach dem individuell optimale Medikamente nicht nur auf der Basis der antiepileptischen Potenz, sondern auch unter Berücksichtigung des „passenden“ psychotropen Profils ausgewählt werden sollten (Tab. 2.2.5.3). 2.2.5.2

Forcierte Normalisierung

Das Konzept der forcierten Normalisierung ist vermutlich besonders für Psychosen relevant. Alternative Psychosen sind zwar mit allen neuen Antiepileptika beschrieben worden. Sie scheinen aber besonders häufig bei Vigabatrin und Topiramat aufzutreten und waren für 46 % aller Vigabatrinpsychosen bzw. 63% aller Topiramatpsychosen in zwei Fallserien verantwortlich. Und auch unter Levetiracetam sind in einer allerdings klei-

nen Fallserie Psychosen besonders häufig bei Anfallsfreiheit aufgetreten. Demgegenüber sind Fälle forcierter Normalisierung bei den anderen neuen Antiepileptika Lamotrigin, Gabapentin und Tiagabin (s. o.) eine Rarität. Es scheint demnach eine Beziehung zu existieren zwischen der Inzidenz alternativer Syndrome und Effizienz der Antiepileptika. Nach Metaanalysen der relativen Wirksamkeit von Antiepileptika versus Plazebo (Elferink und Van Zweeten Boot 1997) nach dem „Mean-Number-To-Treat“Prinzip (Anzahl der Patienten, die behandelt werden müssen, um auf einen Responder zu treffen) sind Vigabatrin, Topiramat und Levetiracetam stark wirksame Medikamente, während Gabapentin und Lamotrigin eher schwach wirksam sind (Abb. 2.2.5.2). Dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass diese Responderraten stark

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– – – –

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2 Therapie Abb. 2.2.5.2 Relative Wirksamkeit der neuen Antiepileptika („NumberNeeded-to-Treat“-Analyse) (Elferink und van Zwietenboot 1997, Rijckevel 2001).

20 18 16 14 12 10 8 6 4 0

n in in id at m bin pin nti atr am eta trig ga r b sam baze c pe i i o a a i a a p n r T b To Vig Zo eti car Lam Ga Ox Lev

Tabelle 2.2.5.3

Psychiatrische Risiken von Antiepileptika bei primr psychiatrisch aufflligen Patienten

Patient

Cave

mçgliche UAW

dysthym

PHB, VGB, TPM, TGB

fi Depression

paranoid

DPH, VGB, TPM

fi schizophrene Psychose

agitiert

LTG

fi Insomnie, Angst, Hypomanie

hypermotorisch

LTG

fi Gilles-de-la-Tourette-Syndrom

dysphorisch

LEV

fi Aggression

lernbehindert

alle AED

fi Verhaltensstçrung

PHB = Phenobarbitol, VGB = Vigabatrin, TPM = Topiramat, TGB = Tiagabin, DPH = Phenytoin, LTG = Lamotrigin, LEV = Levetiracetam, AED = Antiepileptika

durch die in Studien eingesetzten Dosierungen bestimmt werden, die z. B. beim Lamotrigin niedriger, beim Topiramat höher waren als heute empfohlen. 2.2.6

Zusammenfassung

Das Risiko für psychiatrische Nebenwirkungen von Antiepileptika scheint mit der Schwere der Epilepsie, Polytherapie, schneller Titration und hohen Dosierungen verbunden zu sein (Tab. 2.2.6.1). Patienten mit früheren psychiatrischen Störungen und familiärer Belastung für psychiatrische Erkrankungen scheinen besonders gefährdet zu sein. Es ist wichtig, Risikopatienten zu identifizieren, damit Patienten und Angehörige vor Umstellungen entsprechend aufgeklärt werden können, damit neue Medikamente (insbesondere die GABAergen hochpotenten

Antiepileptika) vorsichtig titriert und Patienten in der Umstellungsphase engmaschig kontrolliert werden. Psychiatrische Komplikationen sind in der Regel relativ mild und in den meisten Fällen voll reversibel, wenn sie frühzeitig erkannt und die notwendigen Konsequenzen gezogen werden. Unter den psychopathologischen Manifestationsformen dominieren Depressionen und aggressive Verhaltensstörungen. Schwerwiegende Psychosen sind relativ selten. Risikofaktoren für psychiatrische Komplikationen sind keine strenge Kontraindikation für bestimmte Antiepileptika. Es ist nicht immer notwendig, das verantwortliche Medikament ganz abzusetzen; mitunter genügt auch eine Dosisreduktion. In manchen hartnäckigen Fällen, in denen man mangels erfolgversprechender Alternativen nicht umstellen möchte, kann auch eine psychopharmakologische Begleitbehandlung mit Antidepressiva

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2

2.2 Psychiatrische Nebenwirkungen von Antiepileptika

1. zwei Hauptmechanismen: GABAerge Effekte (Depressionen) und forcierte Normalisierung (Psychosen) 2. psychiatrische Nebenwirkungen werden hufig bersehen (insbesondere affektive Stçrungen, forcierte Normalisierungen, und verzçgert auftretende Reaktionen) 3. die Richtung psychotroper Effekte wird vom psychopathologischen Ausgangsstatus bestimmt 4. psychiatrische Nebenwirkungen von Antiepileptika bei Epilepsiepatienten sind in der Regel reversibel

oder Neuroleptika ein sinnvoller Kompromiss sein. Um negative psychotrope Effekte spezifischer Antiepileptika individuell besser voraussagen und positiv pysychotrope Effekte therapeutisch nutzen zu können, sind weitere systematische Untersuchungen unbedingt wünschenswert. Leseempfehlung

Besag-FMC: Behavioural effects of the new anticonvulsants. Drug-Safety 2001; 24: 513 – 536 Ketter TA, Post RM, Theodore WH: Positive and negative psychiatric effects of antiepileptic drugs in patients with seizure disorders. Neurology 1999; 53 (Suppl 2): 53 – 67 Trimble MR: Neuropsychiatric consequences of pharmacotherapy. In: Engel J, Pedley TA (eds). Epilepsy. A Comprehensive Textbook. Philadelphia, New York: Lippincott-Raven, 1997: 2161 – 2170

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Tabelle 2.2.6.1 Synopsis: Psychiatrische Nebenwirkungen von Antiepileptika

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