2015 Abiturfeier Ansprache von Schulleiter Florian Fock

201 5 Ab itu r feier Ansprac he v o n S chulleit e r F l ori a n F oc k Liebe Eltern, liebe Freunde, Verwandte, liebe Festredner, vor allem aber lieb...
Author: Hilko Peters
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201 5 Ab itu r feier Ansprac he v o n S chulleit e r F l ori a n F oc k

Liebe Eltern, liebe Freunde, Verwandte, liebe Festredner, vor allem aber liebe Abiturienten! Endlich habt Ihr es geschafft, heute ist Euer Tag. Glücklicherweise ein Tag der Freude – auch wenn leider ein Mitschüler das Abitur nicht bestanden hat. Euch allen einen herzlichen Glückwunsch!

Schon nach der Auswertung der Ergebnisse der Abiturprüfungen zeigte sich, dass Ihr sehr gut vor-

bereitet wart und auch ohne Nachprüfung das Abitur schon in der Tasche hattet! Trotzdem haben

einige von Euch beschlossen, doch noch bis zu zwei Nachprüfungen in Kauf zu nehmen. Es hat sich

bei allen gelohnt. So auch bei Dir, liebe Jana, so dass Du nach zwei ausgezeichneten Nachprüfungen mit einem Abischnitt von 1,9 Jahrgangsbeste geworden bist. Herzlichen Glückwunsch!

Insgesamt hat Euer Jahrgang einen Schnitt von 2,7 erreicht – das bedeutet eine Verbesserung von durchschnittlich über einer halben Note. Dahinter stecken viele persönliche Anstrengungen und positive Entwicklungen, die nun in die unterschiedlichen Richtungen weiter gehen werden. Die

meisten von Euch haben schon sehr genaue Vorstellungen und Pläne für die Zukunft. Dafür wünsche ich Euch viel Glück und Erfolg!

Lieber Theo, Du bist – wie letztes Jahr Dein Bruder Lutz – der Dienstälteste Deines Jahrgangs. Mit

Dir haben Mia, Max und Philip als „Nordlichter“ und „Haus Albatros“-Bewohner ihre Internatszeit vor sechs Jahren an der Lietz begonnen. Ihr seid hier groß geworden.

Vielleicht seid Ihr froh, nun diesen Sandhaufen mitten in der Nordsee verlassen zu können, um sich neuen Herausforderungen des Lebens zu stellen. Und gleichzeitig weiß ich, dass Ihr in unterschied-

licher Ausprägung eine heimatliche Verbundenheit zur Hermann Lietz-Schule Spiekeroog und auch zur Insel Spiekeroog, entwickelt habt. Was aber bedeutet Heimat eigentlich heutzutage? In einer Zeit, in der man weltweit jederzeit über Skype, WhatsApp, Facebook oder was auch immer mit jedem beliebigen Ort zu jeder beliebigen Zeit Kontakt aufnehmen kann?

Ich möchte versuchen, die Bedeutung des Internatslebens als Heimat, oder zumindest als Teil Eurer Heimat, herauszuarbeiten. Ihr, lieber Knut, liebe Svea und liebe Lisa seid Kinder des Dorfes und

habt gleichzeitig alle Drei intensive Kontakte ins Internatsleben gepflegt. Das ist sehr schön und

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bestätigt die Tatsache, dass unser Internat und das Dorf eng verbunden sind. Ich spreche also im

weiteren Verlauf von Euch allen, die Ihr hier als Lietzer Abiturienten sitzt – egal ob Ihr im Dorf oder im Internat gewohnt habt.

Oft wird einem leider erst durch den Verlust von etwas deutlich, welche Bedeutung das Verlorene vorher eigentlich hatte. Eine Lebenskunst ist es hingegen, das zu schätzen was man gegenwärtig hat. Auch ohne das erst ein Verlust eintreten muss und man dem Verlorenen dann nur noch hin-

terhertrauern kann. Ihr seid jetzt an dem Punkt, dass Ihr etwas sehr Vertrautes verlasst und voller Spannung aufbrechen werdet. Was macht nun die Lietz, die ihr hinter Euch lasst zu einem Stück Heimat?

Man könnte sich dem Begriff Heimat dadurch annähern, indem man sich mit den Biographien Heimatloser auseinandersetzt. Was würde es bedeuten, als Schüler aufgrund von Krisen aus

seiner Heimat fliehen zu müssen? Statt sich in der Schule aufs Abitur vorzubereiten und Pläne für die Zukunft zu schmieden, mit Mühe und Not über das Meer oder einen Grenzzaun zu gelangen,

so wie man es vor allem während der letzten Jahre Eurer Schulzeit tagtäglich über die Medien aus der Ferne über Krisen und Kriegsgebiete verfolgen konnte? Und dann auch noch die Ablehnung

so mancher Menschen zu spüren, die diesen Schüler am liebsten wieder zurück ins Kriegsgebiet

jenseits der Grenze schicken würden, weil auch sie vielleicht selber zu viel Mühsal in ihrem Leben erlebt haben – in unseren westlichen entwickelten Ländern?

Wie es sich anfühlt, ausgegrenzt zu werden, haben einige von Euch während des Rollenspiels im

Januar anlässlich des Gedenktages an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar dieses Jahres erfahren. Euch wurde ein sogenannter „Dislike“-Button à la Facebook angeheftet, auf dem der Daumen nach unten zeigte. Beim Frühstück und Mittagessen im Speisesaal bekamt ihr zunächst

noch einen Extra-Tisch - Ihr saßt aber schon nicht mehr am Tisch Eurer Internatsfamilien. Abends wurdet Ihr dann des Speisesaals verwiesen.

Es war ja alles nur ein Spiel, aber mit sehr ernstem Hintergrund, während der Hochphase der

„Pegida-Bewegung“ in diesem Jahr. Bei der gemeinsamen Auswertung des Rollenspiels haben wir auch darüber diskutiert, ob und wie Ausgrenzung in unserem Internatsalltag stattfindet.

In diesem Internatsalltag spielte sich Euer heimatliches Leben viele Jahre ab. Zwar wurdet Ihr hier

nicht geboren – hier liegt also nicht Eure Herkunft. Aber hier spielte sich ein großer Teil Eurer Sozialisation ab: In der Auseinandersetzung mit der Insel, dem Internat und seinen Menschen und

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Strukturen haben sich Eure Persönlichkeiten weiterentwickelt. Ihr habt Euch gegenseitig kennengelernt durch Freundschaft, Reibung, Liebe, Liebeskummer, Freude und Ärger. Ihr habt mit Euren Lehrern zusammen gearbeitet, gegessen, gestritten, Konflikte geklärt, getanzt, seid gemeinsam verreist und habt auch vertrauliche Themen geteilt. Heimat entsteht durch Gemeinschaft.

Das alles klingt sehr emotionsgeladen. Und das ist der Alltag bei uns auch. Noch nach Jahrzehnten, wenn „Altbürger“ – die Ehemaligen des Internats – zu Besuch kommen, sind diese Emotionen da.

Die Verbindung der ehemaligen Schüler untereinander ist sehr groß. Während der jährlichen „Be-

rufsbörse“ habt Ihr nicht nur verschiedene Berufe, sondern auch persönliche Werdegänge ehemaliger Lietzer Internatsschüler kennen gelernt, die dem Internat immer noch sehr verbunden sind. Heimat bedeutet emotionale Bindung.

Und dann sind da die gemeinsamen Arbeiten, sei es am Deich, im Garten, oder im Beathaus – bei

den „Altbürgern“ wird oft begeistert vom Entladen des Kohlenschiffes berichtet. Die Betätigung im direkten Lebensumfeld führt zu einer hohen Identifikation, da man nicht nur Gast im Internat ist, sondern WG-Bewohner, der sein Umfeld mit gestaltet. Mitgestaltung ist natürlich auch mühsam

und dauert manchmal länger, als wenn man einfach einem Dienstleister einen Auftrag erteilt. Am Ende aber steht dann das perfekte Ergebnis, wie man zum Beispiel an der neuen Beathaustheke sehen kann. Die nächste Generation wird sich ja vielleicht den Beathausvorplatz vornehmen. Heimat eignet man sich durch Mitgestaltung an.

Auch wir, das Kollegium, sind Teil dieser Heimat – auch für uns Kollegen ist das Leben im Internat unsere Heimat, in der jeder einzelne von uns seine eigenen persönlichen Bedürfnisse hat.

Dabei sind die Kollegen immer für Euch da – sei es als betreuende Familieneltern, als Fachlehrer, als Freizeitanbieter oder auch als Tischfußballgegner. Auch wenn Ihr es nicht immer merkt, weil sich

viele Diskussionen unter Ausschluss der Schülerschaft abspielen und auch abspielen müssen, gilt

für diese vielen Rollen einheitlich das Fürsorgeprinzip. Hinter allen Entscheidungen – auch Ermah-

nungen oder Sanktionen – um die wir manchmal gemeinsam ringen, steht der Wunsch, Euch neben einem möglichst guten Abitur auch das nötige Handwerkszeug mit ins Leben zu geben, um mit

Freude und Klarheit die richtigen Wege zu finden und dabei krisenstabil zu sein. Oft bedeutet das

auch Unbequemlichkeiten, die aber notwendig sind, um weiter zu kommen. Kurz: Lietz ist wie ein

großes Nest und unsere Aufgabe ist es aus so manchem Nesthocker einen Nestflüchter zu machen, indem man die Neugier auf das Leben jenseits des Nestrandes lehrt. Hierin steckt sicherlich die größte Bindungskraft, die dauerhaft ist:

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Heimatgefühle entstehen durch Fürsorge.

Ihr seid nicht nur deshalb ein besonderer Jahrgang, weil Ihr am Schluss Eurer Schulzeit durch eine

gute Vorbereitung problemlos durchs Abitur gekommen seid. Ihr habt Euch auch außergewöhnlich stark für die Internatsgemeinschaft – sozusagen als Heimatpfleger – engagiert.

Dieses Engagement, das Ihr hier im Alltag gezeigt habt, verdient höchste Anerkennung! Und mit

einem solchen Engagement könnt Ihr Euch in Zukunft die Orte, die Ihr für den nächsten Lebensabschnitt ausgesucht habt, vielleicht als Heimat aneignen: zum Beispiel durch die Übernahme eines Ehrenamtes in der Studierendenvertretung oder durch das Engagement für Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen und nicht so auf das Leben vorbereitet wurden wie Ihr.

Vielleicht aber zieht es Euch auch ins Ausland. Schließlich habt Ihr hier auch Schüler aus China oder Frankreich kennen gelernt – im nächsten Schuljahr werden wohl auch ein russischer Schüler und

eine Spanierin dazu kommen. Dann seid Ihr selber darauf angewiesen Menschen zu treffen, die sich um Euch kümmern. Das dafür notwendige Selbstvertrauen, das Wissen um die eigenen Stärken

und den Umgang mit anderen Menschen, das habt Ihr hier in Eurer Lietzer – Spiekerooger Heimat gelernt. Ihr seid vorbereitet.

All das macht deutlich, dass die realen Auseinandersetzungen, die eine Heimat bietet, nicht ersetzt werden können durch schnelllebige virtuelle Medien und Kontakte. Damit ist die Grundidee der Lietz-Pädagogik nach über 80 Jahren aktueller denn je.

Liebe Eltern, es ist sicher nicht leicht, aus der Ferne die Entwicklung der eigenen Kinder zu begleiten – auch wenn die neuen Medien suggerieren man könnte überall und jederzeit präsent sein.

Wenn man sein Kind oder seine Kinder fern der eigenen Heimat in einem Internat anmeldet, dann geht das nur, wenn man großes Vertrauen darin hat, dass dort nicht nur schulische Leistungen

gefördert werden, sondern auch in der Gemeinschaft fürsorglich gearbeitet wird und die Werteerziehung mit den eigenen Vorstellungen übereinstimmt.

Sicher ist das eine oder andere Mal auch ein bisschen Wehmut dabei gewesen, wenn das eigene Kind gegen Ende der Ferien Richtung Internat aufbricht und man nicht mehr den gemeinsamen

Alltag teilt – auch wenn Sie als Eltern die Entwicklung Ihres Kindes im Lietzer Internatsalltag durch zahlreiche Gespräche, bei den Elternwochenenden mit den Veranstaltungen und gemütlichen

Abenden und natürlich auch über Ihre Kinder selbst zumindest etwas miterleben konnten oder Sie

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sich sogar direkt im Schulverein oder der Elternvertretung für den Internatsalltag engagiert haben. Ich möchte mich daher bei Ihnen bedanken für das Vertrauen das Sie uns geschenkt haben, in dem wir Ihre Kinder bis zum Abitur begleiten durften. Und wir können gemeinsam stolz darauf sein,

liebe Eltern und liebes Lehrerkollegium! Stolz darauf, dass wir es geschafft haben Euch, liebe Abiturienten, bis hierhin zu bringen. Damit meine ich nicht primär Euren Abischnitt, sondern die vielen durch die Landesschulbehörde oder die Kultusministerkonferenz nicht messbaren Eigenschaften, Werte oder auch sozialen Fähigkeiten, die Teil Eurer Persönlichkeiten geworden sind. Und das

zeichnet Euch, liebe Schüler als „Lietzer“ aus. Nutzt dieses Pfund, und übernehmt Verantwortung in und für die Gesellschaft, setzt Euch auch für andere Menschen ein, so wie Ihr es hier gelernt habt.

Unter Ihnen, liebe Eltern, sind auch eine Mutter und ein Vater, die uns im Lietz-Internat neun Jahre lang als Schülereltern begleitet haben. Vor neun Jahren war das Nationalpark-Haus Wittbülten

gerade eröffnet – im nächsten Frühjahr, am 5.3.2016 werden wir das 10 jährige Jubiläum feiern – die neue Mehrzweckhalle war in Planung und Smartphones gab es noch nicht. Vieles war anders, so manches aber doch wieder gleich.

Als Dankeschön für dieses langjährige Vertrauen haben wir für Sie, liebe Frau van den Berg und

lieber Herr van den Berg ein Geschenk vorbereitet. Die Idee und Zutaten sind unserem Alltag ent-

sprungen. Vielleicht hat Ihr Sohn Theo die eine oder andere Sanddornbeere bei einer „Praktischen

Arbeit“ gepflückt, die dann in dieser Marmelade veredelt wurde. Die Pralinen wurden in der „BackAG“ hergestellt. Zusätzlich gibt es einen „Wochenende im Internat“-Gutschein für die ganze Fami-

lie van den Berg. Ich habe nicht durchgezählt, wie oft Sie zu Fuß zur Schule gegangen sind, vielleicht auch mal bei Regen und Dunkelheit im trüben November zum Elternwochenende. Das möchten wir Ihnen beim nächsten Mal ersparen und durch eine Kutschfahrt ersetzen. Wellness im neuen Spie-

kerooger DünenSpa und Cocktails am Strand gehören natürlich auch dazu. Aber das wichtigste und nicht übertragbare I-Tüpfelchen wird sein, dass Sie sich aus dem reichhaltigen Angebot von Heidi die für Sie passende „Familien-PA“ aussuchen dürfen.

Liebes Ehepaar van den Berg, ich möchte Sie nun auf die Bühne bitten und Ihnen das Wort erteilen. Doch bevor ich das Mikrophon an Sie weiterreiche, möchte ich mich bei Euch, liebe Mitarbeiter und liebe Schüler, ganz herzlich bedanken. Danke, dass hier alle an einem Strang ziehen und wir es wieder geschafft haben parallel zu unserem sehr dichten Alltag dieses Fest ganz nach unseren Vorstellungen – also ohne Partyservice – auf die Beine zu stellen. Herzlichen Dank Euch allen!

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