2009. Ehrenamtliches Engagement: Ressourcen und Rahmenbedingungen 1

Martin Sauer BBE-Newsletter 4/2009 Ehrenamtliches Engagement: Ressourcen und Rahmenbedingungen1 Seit einigen Jahren wird die Förderung und Weiteren...
Author: Herbert Schmid
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Martin Sauer

BBE-Newsletter 4/2009

Ehrenamtliches Engagement: Ressourcen und Rahmenbedingungen1

Seit einigen Jahren wird die Förderung und Weiterentwicklung des Bürgerschaftliches Engagements von Seiten der Politik und vieler gesellschaftlicher Organisationen und Verbände intensiv vorangetrieben. Noch nie zuvor sind so viele wissenschaftliche Veröffentlichungen zu diesem Themenbereich erschienen. Ursache dafür sind u.a. die demografische Entwicklung und – nicht zuletzt in deren Folge – finanzpolitische Problemlagen, aber auch gesellschaftliche Veränderungen im Stellenwert von Berufsarbeit sowie Bürgern getragene Entwicklungen hin zu einer Zivilgesellschaft. Die Gefahr, dass dabei für das bürgerschaftliche Engagement Fehlentwicklungen und Gefährdungen entstehen, ist nicht von der Hand zu weisen. Im Folgenden möchte ich auf einige kritische Aspekte hinweisen.



Nur ein sehr weites Verständnis von ehrenamtlichem Engagement wird den vielfältigen Typen und Formen gerecht. Unter ‚bürgerschaftlichem Engagement’ wird üblicherweise ein individuelles Handeln verstanden, das in gesellschaftliche Organisationen oder staatliche Institutionen eingebettet ist. Politisches, soziales, kulturelles und geselliges Engagement sind darunter zusammengefasst, einschließlich des Engagements in öffentlichen Funktionen, in Selbsthilfegruppen, Bürgerinitiativen und des Engagements von Unternehmen. Das sind die Formen des Engagements, die auch vom Freiwilligensurvey und ähnlichen Untersuchungen erfasst werden. Die vielfältigen nicht-organisierten Formen von regelmäßiger oder spontaner Nachbarschaftshilfe, Unterstützung bei der Betreuung von Kindern oder der Pflege von alten Menschen usw. sind aber gesellschaftlich mindestens ebenso wichtig wie die organisierten Formen. Der Begriff der Ehrenamtlichkeit darf nicht von den gesellschaftlichen Organisationen – auch nicht der Kirche und ihrer Wohlfahrtsverbände – okkupiert werden! Die gesellschaftliche Förderung des ehrenamtlichen Engagements muss auch das unorganisierte Ehrenamt, das Ehrenamt außerhalb von Organisationen, im Blick haben. Eine humane Gesellschaft, eine Zivilgesellschaft, braucht beides!

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Kurzfassung des Impulsreferates bei der Ökumenischen Tagung zum ehrenamtlichen Engagement in Kirche und Gesellschaft ‚Um Gottes Willen? Wir engagieren uns’, 30.-31.01.2009 in Köln.



Ehrenamtliches Engagement lebt traditionell vom Mythos der Selbstlosigkeit. Untersuchungen zur Motivation ehrenamtlichen Handelns haben deutlich gemacht, dass fast immer mehrere Motive zusammen kommen – und dass immer auch ein Selbstzweck damit verbunden ist, ein Gegenwert erwartet wird. Der muss allerdings nicht materiell sein. Ehrenamtliches Engagement hat oft eine kompensatorische Funktion – sei es zu beruflichen Defiziten oder zu anderen Aspekten der eigenen Lebenssituation2. Zu den Rahmenbedingungen gut organisierter Ehrenamtsarbeit gehört es, diese Motive zu kennen und ernst zu nehmen und, so weit das möglich ist, dafür Sorge zu tragen, dass sie befriedigt werden. Dabei geht es nicht um Geldleistungen, sondern um immaterielle Formen des Gegenwertes. Das setzt eine sensible und individuelle Vorgehensweise voraus, denn ehrenamtlich Tätige brauchen ein klares Gefühl dafür, dass sich ihre Arbeit lohnt! Für die ‚Führung’ von freiwillig Engagierten sind andere Qualifikationen und Instrumente erforderlich als die in der ‚normalen’ Personalführung üblichen; die in hierarchischen Strukturen gebräuchlichen Mechanismen greifen nur sehr bedingt und das Motivations- und Disziplinierungsinstrument Vergütung entfällt. Die Berufsgruppen, die viel mit Ehrenamtlern zusammen arbeiten (z.B. Sozialpädagog/innen, Pflegekräfte, Kulturwirte, Chorleiter/innen …) werden für diese Herausforderungen bisher kaum gezielt aus- oder weitergebildet.



Ehrenamtliches Engagement benötigt vielfältige Organisationsformen hinsichtlich Zeitaufwand, Regelmäßigkeit und Verbindlichkeit. Die Form des Engagements muss der individuellen Lebenssituation und der Lebensphase angepasst sein und sich einigermaßen konfliktfrei verbinden lassen mit den sonstigen Verpflichtungen – oder auch mit dem Wunsch, nach dem Berufsleben endlich einmal nicht ständig in feste Verpflichtungen eingebunden zu sein. Gerade in Kirchengemeinden und Wohlfahrtsverbänden besteht die Gefahr, dass ein grenzenloser und unbefristeter Einsatz erwartet wird3 – ohne dass dieses verbal so benannt wird. Der Einstieg ins Ehrenamt wird in der Regel leichter sein, wenn die eingegangenen Verpflichtungen zeitlich überschaubar und befristet sind.



Soweit ehrenamtliches Engagement in gesellschaftlichen Organisationen geschieht, sollte die Frage der Erstattung von entstehenden Kosten gleich am Anfang geklärt werden (Fahrtkosten, Sachaufwendungen). Um den Verwaltungsaufwand gering zu halten, sind Pauschalbeträge sinnvoll. Der Gesetzgeber hat darüber hinaus den Versicherungsschutz im Jahre 2005 verbessert. Das ist gut und wichtig. Die sog. Übungsleiterpauschale, die ursprünglich für im Sport (eh-

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vgl. Müller-Kohlenberg Laienkompetenz im psychosozialen Bereich. Beratung – Erziehung – Therapie. Opladen 1996, S.122. 3

Götz Harbsmeier und Rudolf Weth haben darauf schon 1977 für die beruflich Tätigen hingewiesen, ihre Beobachtungen gelten aber ebenso für ehrenamtlich Tätige (in: Glaube und Werke in der totalen kirchlichen Arbeitswelt, Neukirchen-Vlyn 1977).

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renamtlich?) Engagierte eingeführt worden ist und unter die auch z.B. Aufwandsentschädigungen für die Pflege und Betreuung alter oder behinderter Menschen fallen, wurde zum 1.1.2007 auf 2.100 € erhöht. Auch diese um Beträge sind steuerfrei. Johannes Warmbrunn vom baden-württembergischen Sozialministerium hat darauf aufmerksam gemacht, dass eine Reihe von Trägern von Betreuungsangeboten Aufwandsentschädigungen für die Betreuung von Demenzkranken auf Stundenbasis gewähren, die in Einzelfällen deutlich über 10 Euro je Stunde betragen – eine Praxis, die er für höchst problematisch hält4. Ähnliches ist z.B. auch in der Kommunalpolitik sehr verberitet. Je geringer das eigene Einkommen ist – beispielsweise bei Hartz-IV-Empfängern, Studierenden, Beziehern kleiner Renten, Alleinerziehenden usw. –, desto mehr ist der Wunsch nach einer Verbesserung der Einkommenssituation nachvollziehbar. Trotzdem plädiere ich (wie auch Warmbrunn) für klare Verhältnisse: Wo Geld für Arbeitszeit bezahlt wird, handelt es sich nicht mehr um eine ehrenamtliche, sondern um eine bezahlte Tätigkeit. Auch die Diskussionen über die Anrechenbarkeit ehrenamtlicher Arbeit auf die Alterssicherung oder über Steuererleichterungen für bürgerschaftliches Engagement bewerte ich skeptisch. Fast alles spricht aus meiner Sicht gegen solche Regelungen: Es entsteht dadurch eine neue Bürokratie; eindeutige und als ‚gerecht’ empfundene Maßstäbe für die Anrechung wird es kaum geben können; derartige Regelungen könnten nur für ehrenamtliche Arbeit gelten, die im Rahmen von anerkannten Organisationen stattfindet – Nachbarschaftshilfe z.B. würde diskriminiert. Bezieher höherer Einkommen würden damit möglicherweise größere Vorteile haben als Geringverdiener, womit die gesellschaftliche Umverteilung in eine weitere Schieflage kommen würde. Und schließlich spricht aus motivationspsychologischer Sicht einiges dagegen: „Intrinsische Motivation wird gefährdet, wenn wir sie extrinsischer Kontrolle oder Belohnung unterwerfen;“ Dieses sei, so die Hamburger Sozialpsychologen Mieg und Wehner, besonders der Fall bei Bezahlung. Sie zitieren eine häufige Aussage von freiwillig Engagierten: „Würde ich dafür bezahlt, würde ich es nicht machen.“5 Wo Geld für Arbeitszeit gezahlt wird, handelt es sich nicht mehr um ehrenamtliche Tätigkeit, sondern um – möglicherweise schlecht bezahlte und Tariflöhne unterlaufende – Erwerbsarbeit. Und das muss man dann auch so nennen! •

In einer Gesellschaft, der die bezahlte Arbeit mehr und mehr aus geht, muss allerdings über einen neues Verständnis von Arbeit nachgedacht werden: Familiäre Erziehungsarbeit, die Pflege betreuungsbedürftiger Angehöriger und Nachbarn, ehrenamtliches Engagement in Verbänden, Vereinen und Parteien, in

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Johannes Warmbrunn, Aufwandsentschädigung für niedrigschwellige Betreuungsangebote für Demenzkranke in den Bundesländern; in: BBE-Newsletter 2/2009 5 Mieg, H.A. / Wehner, Th (2002): Frei-gemeinnützige Arbeit. Eine Analyse aus Sicht der Arbeits- und Organisationspsychologie. Harburger Beiträge Nr. 33, Hamburg 2002, S. 15f

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Kultur und Sport müssen im gesellschaftlichen Ansehen wie bezahlte Arbeit gewertet werden. Besonders interessant scheint mir das bedingungslose Grundeinkommen zu sein, wie es in unterschiedlichen Facetten z. Z. politisch diskutiert wird6. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde eine materielle Basis für ehrenamtliches Engagement bieten und die Wahlmöglichkeiten zwischen bezahlter Arbeit, Familienarbeit, bürgerschaftlichem Engagement oder Kulturarbeit sehr erleichtern. •

Ehrenamtlich Engagierte haben allen Grund zum Selbstbewusstsein: Ehrenamtliche Arbeit ist häufig nicht weniger effektiv als berufliche (bezahlte) Arbeit – aber sie ist anders. In einer Auswertung von 230 internationalen Studien über die Wirksamkeit von Laienhelfern im psychosozialen Bereich hat die Osnabrücker Professorin Hildegard Müller-Kohlenberg schon 1996 festgestellt: „Zwischen unausgebildeten HelferInnen im psychosozialen Bereich und den Angehörigen entsprechender akademischer Berufsgruppen – wie (klinischen) PsychologInnen, (Sozial-)PädagogInnen oder PsychotherapeutInnen – besteht hinsichtlich der Wirksamkeit ihrer Hilfeleistung kein nennenswerter Unterschied. Eine akademische Ausbildung bewirkt nicht die Steigerung der Hilfequalität, die man erwartet.“7 Während Professionelle besonders in der Klärung von Ursachen ausgebildet sind, haben Laien besondere Stärken in der Lösung von Problemen und in der Beziehungsgestaltung. Laienhelfer können eine intensivere, echtere und persönlichere Beziehung, häufig über einen längeren Zeitraum, anbieten als Professionelle. Für Menschen, die schwierige und unbefriedigende Beziehungserfahrungen haben, kann dieses eine grundlegend neue und heilsame Erfahrung sein. Es gibt keinen Grund, ehrenamtlich Engagierte in einen Status der Minderwertigkeit zu bringen oder sie darin zu halten.



Das Verhältnis von ehrenamtlich Engagierten und beruflich Tätigen ist oft nicht einfach8. Viele beruflich Tätige haben die Sorge, das Ehrenamt werde zum Ausgleich für Sparmaßnahmen und für den Stellenabbau im Sozial- und Gesundheitswesen missbraucht und führe letztlich zur Qualitätsabsenkung und zur Deprofessionalisierung. Manchmal sind beruflich Tätige auch neidisch auf Ehrenamtliche, wenn diese für die ‚attraktiven Tätigkeiten’ - z.B. im Betreuungs- und Freizeitbereich – eingesetzt werden, während für sie selbst nur die harte Knochenarbeit etwa in der Pflege bleibt. Diese Fragen müssen offensiv und ehrlich bearbeitet werden! Sonst spüren Ehrenamtler die Ablehnung und nehmen sie gar persönlich.

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vgl. z.B. Janert, Josefine (2008): Warum noch arbeiten?; in: Psychologie heute, März 2008, S.63ff vgl. Müller-Kohlenberg a.a.O., S.11 8 vgl. Witte, K. (2007): Freiwillige in Organisationen – störend oder bereichernd? Merkmale einer gelingenden Integration; in: Organisationsberatung – Supervision – Coaching, Heft 2/2007, S. 131ff 7

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Aufgaben und Verantwortlichkeiten von Hauptamtlichen und von Ehrenamtlichen müssen klar geschrieben und begrenzt werden und dürfen nicht in Konkurrenz zueinander stehen. Eine solche Klärung ist in jeder Einsatz- und Dienststelle erforderlich. Ehrenamtler brauchen darüber hinaus in den Organisationen, in denen sie mitarbeiten, kompetente Ansprechpartner. •

Angesichts der demografischen Entwicklung wird es m. E. – etwa bei der Unterstützung und Pflege alter Menschen im Stadtteil (Quartier) – zu einem neuen, gut koordinierten Miteinander von haupt- und ehrenamtlicher Arbeit kommen müssen. Haupt- und Ehrenamtliche werden dabei aufeinander angewiesen sein und sich in unterschiedlichen Rollen, aber als gleichwertige Partner ergänzen und ohne hierarchisches Gefälle auf Augenhöhe begegnen. Für solche Aufgaben im Quartiermanagement oder der Ehrenamtskoordination sind allerdings soziale Fachkräfte bisher kaum aus- oder weitergebildet. Solche Arbeit im Gemeinwesen, in der Nachbarschaft, in der Kirchengemeinde, im Quartier kann sehr unterschiedlich organisiert sein. Die Bertelsmann-Stiftung hat in ihrem Netzwerk Song ‚Soziales Neu gestalten’ vielfältige Erfahrungen dazu zusammengetragen und in einer Schriftenreihe veröffentlicht9.



Wer ehrenamtlich tätig ist, hat einen Anspruch auf Fortbildung und eine beratende Begleitung, ggf. auch auf Supervision. Zugang zu geeigneten, kostenlosen Maßnahmen müssen auch diejenigen ehrenamtlich Engagierten erhalten, die nicht innerhalb einer Organisation arbeiten. Freiwilligenagenturen können hier als Koordinatoren für ein ausreichendes regionales Angebot tätig werden und Ehrenamtler in ihrem Qualifikationswunsch beraten. Bundeseinheitliche Standards sind anzustreben10. Dafür sollten zukünftig in weit größerem Umfang als bisher staatliche Mittel zur Verfügung stehen – das erscheint mir wesentlich sinnvoller als zusätzliche Rentenpunkte oder Steuererleichterungen für bürgerschaftliches Engagement. Solche Fortbildungen oder beratende Begleitung sollten nicht nur von hauptamtlichen Bildungsprofis durchgeführt werden; hier sollten auch erfahrene Ehrenamtler einbezogen werde, die oft besonders überzeugend und motivierend sein können.

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www.zukunft-quartier.de vgl. Pott, L. / Stillger, G. (2007): Bürgerschaftliches Engagement braucht Qualitätsstandards – Ein Pilotprojekt der Arbeiterwohlfahrt; in: Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit Nr. 6/2007, S. 13ff

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Prof. Dr. Martin Sauer ist Professor für Sozialmanagement und Personalarbeit an der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld.

Kontakt: [email protected]

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