2007. Januar. DeutscherAnwaltVerein. DeutscherAnwaltVerlag

DeutscherAnwaltVerein Aufsa¨tze Kilger: Ausbildung des Anwalts Schwung: Rolle des Syndikusanwalts Esser: Anwalt und Rentenversicherung 1 14 17 Komm...
Author: Stefanie Fertig
11 downloads 2 Views 3MB Size
DeutscherAnwaltVerein Aufsa¨tze

Kilger: Ausbildung des Anwalts Schwung: Rolle des Syndikusanwalts Esser: Anwalt und Rentenversicherung

1 14 17

Kommentar

Schons: Erfahrungen mit § 34 RVG

22

Thema

Zentralabitur für Fachanwälte?

23

Anwaltsblattgespra¨ch

Ewer: Spartenausbildung

24

Aus der Arbeit des DAV

Max-Friedlaender-Preis Syndikusanwaltstag

29 37

Dokumentation

Gesetzentwurf zur Spartenausbildung

45

Rechtsprechung

BGH: Wahl der Anwälte beim BGH BGH: Unterschrift bei Fax

1/2007 Januar

83 86

DeutscherAnwaltVerlag

MN

Editorial Freiheit – unsere Aufgabe in Europa

Hartmut Kilger Rechtsanwalt, Pr sident des Deutschen Anwaltvereins.

Europa zu bauen, ist unsere Aufgabe. Die Freiheit zu erhalten, ebenso. Wie unser Anwaltsberuf aussehen wird, hängt von der Entwicklung ab, die Europa in den nächsten Jahren nimmt. Das gilt nicht nur für Ausbildung, Kammerwesen und Vergütungsordnung. Im Bereich der Ausbildung ist dies allerdings offenkundig. Die Bundesrechtsanwaltskammer ist dem Appell der Justizministerin des Landes Nordrhein-Westfalen gefolgt, auf den europäischen Bologna-Zug aufzuspringen. Damit setzt sich immer mehr die Einsicht durch, dass die Deutsche Juristenausbildung in der bisher gewählten Isolation Europa gegenüber keinen Bestand haben kann. Dies macht umso dingendlicher, was der DAV seit Jahren fordert: eine echte Anwaltsausbildung. In diesem Heft veröffentlicht er deswegen den vom Vorstand hierzu beschlossenen Gesetzgebungsvorschlag (ab Seite 45). Der Entwurf bildet den Endpunkt einer langen Diskussion. Zur Ausbildung ist nun wirklich alles gesagt. Jetzt muss gehandelt werden. Und es wäre ein höchst gefährlicher Irrtum anzunehmen, der Bachelor-Trip würde die Diskussion um eine Anwaltsausbildung überflüssig machen – eine dann unübersehbare Schwemme wirklich halbgebildeter Juristen auf dem Anwaltsmarkt wäre die Folge. Die anwaltliche Unabhängigkeit wäre dahin. Wichtiger Bestandteil unseres Berufes ist unsere anwaltliche Selbstverwaltung, wie sie für den DAV schon immer eine Selbstverständlichkeit ist. Sie ist Teil der freien Advokatur. Sachnähere Einrichtungen können sachgerechter agieren als ferne Bürokratien. Diese nur der Rechtsaufsicht unterworfene Selbstverwaltung ist gefährdet. In

Europa wird konkret die Frage aufgeworfen, ob denn ein solches Kammersystem heute noch geeignet sei, die Interessen der Allgemeinheit angemessen im Auge zu behalten. Das ist im Anwaltsblatt in einzelnen sachkundig belegt worden (zuletzt Hellwig in AnwBl 2006, 505 ff.). Bei den Wirtschaftprüfern sitzt der Staat bereits mit am Vorstandstisch der Kammer. Solchen Gefahren zu begegnen ist selbstverständliche Aufgabe des DAV. Ihnen kann nur begegnet werden, wenn eine genaue Definition des Aufgabenbereichs der Kammern erfolgt. Der DAV hat hierzu mit dem Entwurf einer Novellierung der BRAO einen detaillierten Vorschlag unterbreitet (siehe Anwbl 2006, 721 ff.). Da hilft es nicht weiter, wenn eingewandt wird, den DAV ginge das alles nichts an, er störe nur die Harmonie. Es ist unsere Aufgabe, abseits vom Getöse in Ruhe und mit tiefem Ernst daran zu arbeiten, dass die anwaltliche Selbstverwaltung bei aller notwendigen Modernisierung in ihrer bewährten Form erhalten bleibt. In fast allen europäischen Ländern sind die Kammern den sachfremden Zugriffen schutzlos von außen ausgesetzt. Nur ganz allein in Deutschland steht ihnen in Gestalt des DAV ein nationaler Verband von Gewicht zur Seite. Es wäre ein historischer Fehler, würde diese Chance nicht genutzt. Die Unabhängigkeit vom Staat wäre dahin. Der große Gedanke ist, den Wettbewerb von bestehenden Fesseln zu befreien. Allerdings kann er auch das Kind mit dem Bade ausschütten: jede Deregulierung kam zu neuen Regulierungen auf anderem Felde führen. Ein Beispiel aus unserem Bereich: Nach dem Kahlschlag in Italien ist Deutsch-

land das einzig verbleibende Land mit einem Vergütungsgesetz. Dessen Beseitigung wäre zwar vordergründig Deregulierung – in Wahrheit würden dem Minderbemittelten neue Fesseln angelegt: er würde keinen guten Anwalt mehr finden. Denn dessen Honrar würde steigen. Der Zugang zum Recht ist aber Freiheitsrecht. Manch europäisch Begeisterter übersieht, dass Deregulierung auch Freiheiten beschränken kann. Nimmt man hinzu, welche Gefahren hinter nationalen und globalen Sicherheitsbestrebungen lauern, dann wissen wir, was wir Anwälte zu tun haben: den Gedanken der anwaltlichen Unabhängigkeit und den der Freiheit aller Bürger am Leben zu halten. Die in der europäischen Geschichte so lange gewachsene Freiheit wandelt auf schmalem Grad; sie darf nicht abstürzen! Wir bejahen und begrüßen den Weg zu Europa. Ihm wird der diesjährige Anwaltstag in Mannheim gewidmet sein. Aber wir stehen auch dafür, dass gut gemeinte Deregulierung im Wettbewerb nicht zu einer Überregulierung auf vielen anderen Feldern führt, die die Freiheit der Bürger erdrosselt. Das wäre nicht unser Europa. Darum stehen wir nicht abseits, sondern arbeiten in Europa mit.

AnwBl 1 / 2007

I

Anwaltsblatt Jahrgang 57, 1 / 2007 Im Auftrag des Deutschen Anwaltvereins herausgegeben von den Rechtsanw lten: Felix Busse Dr. Peter Hamacher Dr. Michael Kleine-Cosack Wolfgang Schwackenberg

Editorial I

Freiheit – unsere Aufgabe in Europa

Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Pr sident des Deutschen Anwaltvereins

Gastkommentar 27

Wie viel Staat darf es sein?

28 29 30 31 32 32 33 34 35 36 36 37 38 40 41 41 42 42

Reform der Juristenausbildung Max-Friedlaender-Preis an Roman Herzog Berliner Anwaltsverein: Anwaltstage Chinesische Justizdelegation im DAV-Haus Deutsche Anwaltauskunft: Podcasts im Internet DAV-Pressemitteilungen DAV-Werbekampagne: Örtliche Anwaltvereine DAV-Gesetzgebungsausschüsse XXV. Forum Junge Anwaltschaft AG Sozialrecht: 20jähriges Jubiläum AG Sozialrecht: Rechte vor dem Sozialgericht AG Syndikusanwälte: 13. Syndikusanwaltstag AG Strafrecht: Herbsttagung/Ehrenpreis AG Anwältinnen: Anwältinnenkonferenz AG Verkehrsrecht: Homburger Tage 2006 AG Arbeitsrecht: Herbsttagung Anwaltverein Bochum: Arbeitsvertragsgesetz Bayerischer Anwaltverband: Fortbildung/ Rechtstage AG Versicherungsrecht: Jahresbericht/ Veranstaltungen AG Erbrecht: Mitgliederversammlung AG Verkehrsrecht: Veranstaltungen Personalien: Dr. Jürgen Chemnitz {

Berichte aus Berlin und Br ssel IV VI

VIII

Von Aktionismus und sachlicher Arbeit Stefan Schnorr, Berlin

Aufräumen zum Jahresende

Ass. iur. Ilka W lfle, Br ssel

Informationen

Aufs tze 1

Wie der angehende Anwalt ausgebildet sein muss

6

Ist der deutsche Jurist für die Globalisierung gerüstet?

Rechtsanwalt Hartmut Kilger, T bingen

Rechtsanwalt Dr. Paul Hobeck, M nchen

9

Spartenausbildung und die Freiheit des Berufszugangs Corporate Governance/Compliance und der Syndikusanwalt Rechtsanwalt Dr. Siegfried Schwung, Stuttgart

17

Befreiung von der Rentenversicherungspflicht Rechtsanwalt Dr. Albert Esser, Frankfurt am Main

43 44 44 44

Dokumentation

Kommentar 22

23

24

Rechtsanwalt und Notar Herbert P. Schons, Duisburg

Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Spartenausbildung in der Juristenausbildung

Thema

Mitteilungen

Neue Wege zum Fachanwalt: Qualität prüfen?

Europa

Von Kunden, die nicht Nein sagen ...

45

60

Vertragsrecht: Fortschritt oder Stillstand?

Anwaltsblattgespr ch

63

Blick ins Ausland

Ausbilden wird zu einer unternehmerischen Entscheidung – es geht um die Sicherung der anwaltlichen Qualität

64

Rechtsanwalt Philipp Wendt, Berlin

Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolfgang Ewer, Kiel

II

Dr. Wolfgang Janisch, Deutsche Presse-Agentur

Aus der Arbeit des DAV

Rechtsreferendar Matthias Hucke, Berlin

14

Redaktion: Dr. Nicolas L hrig (Leitung) Udo Henke Philipp Wendt Rechtsanw lte

AnwBl 1 / 2007

Notar Dr. Jens Jeep, Hamburg

Dokumentationszentrum Berufsrecht

Das anwaltliche Umgehungsverbot

Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Hartung, M nchengladbach

RVG-Frage des Monats 67

Formbedürftigkeit der Gebührenvereinbarung für anwaltliche Beratung Rechtsanwalt und Notar Dr. Guido Toussaint, Berlin

Anwaltspraxis 70

Die Zukunft hat begonnen – das EHUG Richter am Amtsgericht Prof. Dr. Peter Ries, Berlin

Prozessrecht 74

Die Höhe von Verzugs- und Prozesszinsen

Rechtsanwalt Dr. J rg Risse und Rechtsanwalt Dr. Ragnar Harbst, Frankfurt am Main

Soldan Institut 78

Witze über Anwälte als sozialwissenschaftliches Phänomen B cherschau

79

Anwaltsrecht

Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian

Haftpflichtfragen 81

Beweis und Beweislast im Regressprozess

Rechtsanwalt Bertin Chab, Allianz Versicherungs-AG M nchen

Rechtsprechung Anwaltsrecht 83

BGH: Zulassung zur Anwaltschaft beim BGH mit Anmerkung der Redaktion

Anwaltshaftung 86 87

BGH: Unterschrift bei Fax und Computerfax BGH: Parteibestimmung bei falschem Rubrum Anwaltsverg tung

88 90 91

OLG Braunschweig: Gebühren des Prozessanwalts in der Gerichtsmediation AG München: Mittelgebühr im OWi-Verfahren AG Berlin-Mitte: Gebühr bei Bevollmächtigten Rechtsberatungsgesetz

92

OLG Karlsruhe: Unzulässige Testamentsberatung durch eine Bank Prozesskostenhilfe

94

BGH: Bezugspunkt der Aussicht auf Erfolg Prozessrecht

95

BGH: Pflichten des Gerichts bei Hinweisen

96

Fotonachweis, Impressum

XX XXII XXX

Deutscher Anwaltverlag aktuell Bücher & Internet Deutsche Anwaltakademie aktuell

Schlusspl doyer XXXII

Nachgefragt, Comic, Mitglieder Service

MN

Bericht aus Berlin

Von Aktionismus und sachlicher Arbeit Der Druck, der den Gesetzgeber Ende letzten Jahres erreicht hat, war schon gewaltig. Nach dem Amoklauf eines Schülers in Emsdetten wurden etwa Gesetzesinitiativen zum Verbot von KillerComputerspielen angekündigt, obwohl Experten von einem solchen Verbot reichlich wenig halten und es kaum etwas bringen würde. Und nach dem Versagen der Bremer Jugendverwaltung im Fall des getöteten zweijährigen Kevin überschlugen sich Politiker regelrecht mit Forderungen nach sofortigen gesetzlichen Maßnahmen, als ob diese eine Garantie dafür wären, dass sich derart schreckliche Ereignisse künftig verhindern ließen. Klar ist: wo wirkliche Gesetzeslücken offenkundig werden, müssen sie nach sorgfältiger Prüfung geschlossen werden. Absolute Sicherheit können Gesetze aber nie gewährleisten, menschliches Versagen lässt sich nicht gesetzlich verhindern. Purer Aktionismus verschafft zwar populäre Schlagzeilen, hilfreich ist er nicht. Dem sollte sich auch der Gesetzgeber stets bewusst sein. Verbot heimlicher Gentests Manchmal bedarf es jedoch eines Anstoßes zum Tätigwerden. So scheint in die jahrelange Diskussion um ein Gendiagnostikgesetz Bewegung zu kommen, nachdem das Bundesverfassungsgericht in Kürze über die Verwertbarkeit heimlicher DNA-Test zur Vaterschaftsanfechtung entscheidet. Anlässlich der Verhandlung kündigte die Bundesjustizministerin an, sie wolle die gerichtliche Vaterschaftsanfechtung deutlich erleichtern, damit für heimliche Tests erst gar kein Bedürfnis bestehe. Gleichzeitig möchte die Ministerin jegliche heimliche Gentests unter Strafe stellen, egal von wem sie beauftragt werden. Ob eine Strafandrohung erforderlich ist, ist jedoch heftig umstritten. Das Bedürfnis für ein Gendiagnostikgesetz selbst steht aber außer Frage. Die bevorstehende Karlsruher Entscheidung dürfte den Handlungsdruck erhöhen. Grundrechtsschutz bei Ermittlungen Sehr viel Zeit hat sich das Bundesjustizministerium mit der Reform der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen geIV

AnwBl 1 / 2007

nommen; inzwischen liegt aber ein Referentenentwurf vor. Bei der Telefonüberwachung soll der Katalog auf Taten begrenzt werden, die im Höchstmaß mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind. Neu aufgenommen werden u. a. Korruptionsund Menschenhandelsdelikte sowie die Verbreitung von Kinderpornographie. Für alle verdeckten Ermittlungsmaßnahmen soll der Ermittlungsrichter am Sitz der Staatsanwaltschaft zuständig sein. Die Betroffenen müssen über die Maßnahme benachrichtigt werden und erhalten nachträglichen Rechtsschutz auch ohne besonderes Rechtsschutzbedürfnis. Alle Erkenntnisse aus verdeckten Ermittlungsmaßnahmen sollen unverzüglich gelöscht werden, wenn sie nicht mehr benötigt werden. Erweitert werden soll der Schutz von Berufsgeheimnisträgern: für Seelsorger, Verteidiger und Abgeordnete sind umfassende Erhebungs- und Verwertungsverbote vorgesehen. Bei Ärzten, Anwälten und Journalisten sind Ermittlungsmaßnahmen nur nach sorgfältigen Abwägung im Einzelfall zulässig. Die bisherige „Verstrickungsregelung“ bleibt, gilt aber nur unter erschwerten Bedingungen. Nach dem Entwurf müssen künftig zudem – wegen europarechtlicher Verpflichtungen zur Vorratsdatenspeicherung – alle Telekommunikationsverbindungsdaten für 180 Tage gespeichert werden, auch wenn sie etwa wegen einer Flatrate zu Abrechnungszwecken nicht benötigt werden. Der Kabinettsbeschluss ist für das Frühjahr geplant, das Gesetzgebungsverfahren soll 2007 abgeschlossen werden. Justizmodernisierung Bereits verabschiedet wurde unterdessen das Zweite Justizmodernisierungsgesetz (vgl. AnwBl 10/06 S. IV). Zahlreiche Änderungswünsche des Bundesrates wurden dabei berücksichtigt. So ist im Jugendstrafverfahren bei besonderer Schutzbedürftigkeit des Verletzten die erstinstanzliche Zuständigkeit der Jugendkammer vorgesehen, um ihm eine zweite Tatsacheninstanz zu ersparen. Außerdem kann das Gericht künftig auch im vereinfachten Jugendverfahren den Angeklagten zur mündlichen Verhandlung vorführen lassen. Gegenüber Jugendlichen wurde die Nebenklage des Verletzten eröffnet, aber nur bei Verbrechen mit schwerwiegender Schädigung des Opfers. Entfallen ist in dem Gesetz die zunächst geplante

Fortbildungspflicht von Richtern, da der Bund nach der Föderalismusreform nur noch eine Regelungskompetenz für Bundesrichter hat. Ferner wurde durch eine Ergänzung des Richtergesetzes klargestellt, dass zum Rechtsreferendariat in Deutschland auch Bewerber mit im EU-Ausland erworbenen Universitätsabschlüssen zuzulassen sind, wenn sie die Voraussetzungen für das Referendariat erfüllen. Stalking-Bekämpfung Beschlossen hat der Bundestag auch ein Gesetz zur Stalking-Bekämpfung, das den Bundesrat im Februar passiert. Der Regierungsentwurf wurde umfassend verändert, das beschlossene Gesetz entspricht nun weitgehend dem Bundesratsentwurf. So kann nach § 238 StGB das Nachstellen einer Person mit bis zu drei Jahren, in schweren Fällen bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden. Das Nachstellen muss unbefugt und beharrlich erfolgen und die Lebensgestaltung des Opfers schwerwiegend beeinträchtigen. Unter Strafe gestellt werden verschiedene Fallgruppen, über einen Auffangtatbestand aber auch vergleichbare Handlungen. Der Forderung des Bundesrats entsprechend wurde zudem mit durch eine Ergänzung des § 112 a StPO die Möglichkeit geschaffen, in schweren Fällen eine Deeskalationshaft gegen Stalker anzuordnen. Heißer Dezember Überhaupt hat der Bundestag im Dezember ein Mammutprogramm absolviert. Beschlossen wurden etwa Änderungen im Wohnungseigentumsgesetz, die Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft und der Pfändungsschutz der Altersvorsorge.

Stefan Schnorr Der Autor ist Ministerialrat und arbeitet im Referat Justiz der Vertretung des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund und der Europ ischen Union.

MN

Bericht aus Br ssel

Aufräumen zum Jahresende Weg frei für die Dienstleistungsrichtlinie Fast sechs Ratspräsidentschaften haben sich mit einer der wichtigsten Gesetzesinitiativen der letzten Jahre beschäftigt: der Dienstleistungsrichtlinie (siehe zuletzt den „Bericht aus Brüssel“ in Anwaltsblatt 7/2006). Auch wenn die sektoralen anwaltlichen Richtlinien ausdrücklich Vorrang haben, wird die Anwaltschaft von der Richtlinie betroffen sein. Daneben hat zum Jahresende 2006 das für die Anwaltschaft wichtige Gesetzgebungsverfahren zum Europäischen Mahnverfahren seinen Abschluss gefunden. Dienstleistungsrichtlinie Im November 2006 hat die lang umstrittene Richtlinie die entscheidende Hürde im Europäischen Parlament genommen. Die Abgeordneten billigten am 15. November 2006 in zweiter und letzter Lesung den Gemeinsamen Standpunkt des Rates mit nur drei technischen Änderungsanträgen, die für Rechtsanwälte jedoch nicht von Bedeutung sind. Am 11. Dezember 2006 hat der Rat die vom Parlament angenommenen Änderungsanträge anerkannt und die Richtlinie verabschiedet. Sie tritt einen Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft. Anschließend haben die Mitgliedstaaten drei Jahre Zeit, um die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Inwieweit wirkt sich die Richtlinie nun auf Rechtsanwälte aus? Im Ergebnis sind die Rechtsanwälte im Anwendungsbereich der Richtlinie geblieben, jedoch mit Vorrang der anwaltlichen Dienstleistungs- und Niederlassungsrichtlinie (77/249/EWG und 98/5/EG). Alle wichtigen Fragen, insbesondere die Beibehaltung der bisherigen berufsrechtlichen Regelungen sind demnach aus Sicht des DAV geklärt. Dennoch werden für die Rechtsanwälte noch viele Einzelfragen mit der Umsetzung auftreten, denn Gebiete, die von den anwaltlichen Berufsrichtlinien nicht abgedeckt werden, fallen in den Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie. In Deutschland sind die Rechtsanwälte unter anderen im Bereich VI

AnwBl 1 / 2007

Werbung von der Richtlinie betroffen. Werbemöglichkeiten sind in den nationalen berufsständischen Vorschriften geregelt. Insbesondere die deutschen Regeln (§ 43 b BRAO) sind im Gegensatz zu denen anderer Mitgliedstaaten – wie zum Beispiel Griechenland – sehr offen ausgestaltet. Artikel 24 der Richtlinie untersagt ein totales Werbeverbot für reglementierte Berufe, allerdings ist Werbung nur dann zulässig, wenn sie die Anforderungen der berufsrechtlichen Regeln erfüllt, die insbesondere die Unabhängigkeit, die Würde, die Integrität und die Wahrung des Berufsgeheimnisses gewährleisten müssen. Dies entspricht im Wesentlichen der deutschen Regelung. Für deutsche Rechtsanwälte ergeben sich dadurch Werbemöglichkeiten in Ländern, in denen bislang noch strengere Regeln als in Deutschland bestanden. Anwälte werden zudem in verstärktem Maße Informationen für ihre Mandanten bereitstellen müssen, beispielsweise auf ihrer Website (Artikel 22). Europäisches Mahnverfahren Das europäische Mahnverfahren steht vor der Tür. Im Oktober 2006 hat das Europäische Parlament in zweiter Lesung den gemeinsamen Standpunkt des Rates zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens mit nur zwei Änderungsanträgen gebilligt. Der Rat hat am 11. Dezember 2006 der modifizierten Fassung zugestimmt und damit das Gesetzgebungsverfahren zum Abschluß gebracht. Die Veröffentlichung der Verordnung im Amtsblatt ist für Januar 2007 geplant. Gültigkeit erlangt sie jedoch erst zwei Jahre nach der Annahme durch den Rat mit Ausnahme der Artikel 28–31, die bereits nach 18 Monaten anwendbar sein sollen. Diese enthalten jedoch keine für Rechtsanwälte relevanten Regelungen. Einer Umsetzung in nationales Recht bedarf es im Gegensatz zu einer Richtlinie nicht, da Verordnungen unmittelbare Wirkung haben. Nicht anwendbar ist die Verordnung aufgrund einer Ausnahmeregelung in Dänemark. Vereinfachtes Einziehen von Forderungen Inwieweit können die Rechtsanwälte von einem Europäischen Mahnverfahren profitieren? Viele Rechtsanwälte kennen das Problem: Ein Mandant möchte eine unbestrittene Geldforderung eintreiben. Der zahlungsunwillige

Schuldner hat seinen Wohnsitz jedoch im Ausland. Der damit verbundene Aufwand und auch die Kosten führen nicht selten zu unüberwindbaren Hindernissen, die nun mit Hilfe des Europäischen Mahnverfahrens passierbar gemacht werden sollen. Dessen Ziel ist es, EU-weit unstreitige Forderungen mittels eines so genannten Europäischen Zahlungsbefehls, der im deutschen Recht mit dem Mahnbescheid zu vergleichen wäre, leichter einfordern zu können. Der Anwendungsbereich des Europäischen Mahnverfahrens ist auf grenzüberschreitende Sachverhalte beschränkt. Dies entspricht auch der erklärten Meinung des DAV in seiner Stellungnahme zum Grünbuch über ein Europäisches Mahnverfahren (Nr. 23/03). Ähnlich wie im deutschen Mahnverfahren muss der Gläubiger ein Formular ausfüllen, welches an das Gericht im Sitzland des Schuldners übermittelt wird. Das ausländische Gericht kann dann unmittelbar die Vollstreckbarkeit erwirken. Die Eintreibung der offenen Forderung erfolgt anschließend durch den Gerichtsvollzieher. Der Schuldner kann sich jedoch mit der Einlegung eines Einspruchs gegen den Europäischen Zahlungsbefehl zur Wehr setzen. Weder bei der Antragstellung noch bei der Einlegung des Einspruchs ist ein Anwaltszwang vorgesehen, was im Ergebnis zu einer Schwächung der anwaltlichen Position führt.

Ass. iur. Ilka W lfle, Br ssel Die Autorin ist Referentin im DAV B ro Br ssel.

MN

Informationen

DAV-Pressemitteilung

Bundesgerichtshof

Entscheidung des EuGH zu Mindestgebühren

Sammelklage einer Verbraucherzentrale

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit seinem Urteil vom 5. Dezember 2006 (Az: C 94/04 und C 202/04) in den Verfahren der italienischen Rechtsanwälte Cipolla und Meloni festgestellt, dass nationale Regelungen zu anwaltlichen Mindestgebühren gerechtfertigt sein können. Für die deutsche Anwaltschaft wird die im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) enthaltene Regelung zur Mindestgebühr bei der Prozessführung nach Ansicht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) auch in Zukunft Bestand haben. „Der EuGH hat anerkannt, dass Mindestgebühren dem Verbraucherschutz und einer geordneten Rechtspflege dienen“, so Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Präsident des DAV. Die in dem Urteil betonte nationale Zuständigkeit für die Überprüfung des Gebührenrechts sei zu begrüßen. In Italien herrscht mit 128.000 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten wie in Deutschland mit seinen 148.000 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ein harter Wettbewerb. Nach Ansicht des EuGH führe in solchen Situationen ein Konkurrenzkampf mit Billigangeboten zu einem Verfall der Qualität. Mindestgebühren sicherten eine gleichbleibende Qualität, die mit Billigangeboten und Dumpingpreisen nicht erreicht werden kann, so der EuGH.

Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 5. Dezember 2006 das derzeit laufende Verfahren für die Auswahl neuer Rechtsanwälte beim BGH als rechtmäßig bestätigt. Die Einzelheiten des Verfahrens gehen aus einem weiteren Beschluss vom 11. September 2006 hervor, der in diesem Heft ab Seite 83 veröffentlicht wird. Der Beschluss vom 5. Dezember 2006 liegt noch nicht vor.

Eine Verbraucherzentrale kann an sie abgetretene Ansprüche einer Vielzahl von Sparkassenkunden geltend machen und verstößt dadurch nicht gegen das Rechtsberatungsgesetz (RBerG). Sie braucht keine Erlaubnis nach dem RBerG. Die Abtretung zur Einziehung der Forderungen ist von Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG gedeckt. Das hat der BGH in einem Urteil vom 14. November 2006 (XI ZR 294/05) entschieden. Die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes Art. 1 § 3 Nr. 8, 2. Var. RBerG sind – wie es in der Pressemitteilung heißt – gegeben, weil die Abtretung zu Einziehungszwecken im Interesse des Verbraucherschutzes erforderlich ist. Die Klägerin machte Ansprüche auf Auszahlung/Wiedergutschrift wegen missbräuchlicher Verwendung abhanden gekommener ec-Karten geltend. Die Sicherheit des Verschlüsselungssystems bei der Vergabe der PIN-Nummern zu ec-Karten berühre ein kollektives Verbraucherinteresse, weil auf der Sicherheit des Systems die Beweislastverteilung beim Missbrauch entwendeter Kreditkarten aufbaue. Eine effektivere Verfolgung des Verbraucherinteresses durch die klagende Verbraucherzentrale liege vor, weil der Verbraucher selbst sein Recht möglicherweise nicht einklagen würde. Bei den Einzelforderungen i. H. v. 500 E bis 1.000 E ergebe sich ein Missverhältnis zu den voraussichtlichen Prozesskosten, insbesondere zu den Kosten eines wahrscheinlich erforderlichen Sachverständigengutachtens über die Sicherheit des Verschlüsselungssystems der Beklagten. Außerdem habe die Klägerin eine bessere Marktübersicht und einen breiteren Zugang zu fachkundigen Informationen als der einzelne Sparkassenkunde und könne deshalb zu technischen Einzelheiten der von ihr behaupteten Sicherheitslücken und zu parallel verlaufenden Schadensfällen besser vortragen. Die Entscheidungsgründe des Urteils des BGH vom 14. November 2006 (XI ZR 294/05) waren bis zum Redaktionsschluss noch nicht veröffentlicht worden.

Quelle: Pressemitt. des BGH Nr. 171/2006 vom 5. Dezember 2006

Quelle: Pressemitt. des BGH Nr. 159/2006 vom 14. November 2006.

Quelle: DAV-Pressemitteilung Nr. 46/06

Bundesgerichtshof

Wahl der Rechtsanwälte beim BGH

VIII

AnwBl 1 / 2007

MN

Informationen

Rat der Europa¨ischen Anwaltschaften

Universita¨t Hannover

Anwaltverein Stuttgart

Neues Präsidium gewählt: Ein Schotte an der Spitze

Studentenfutter – Anwälte berichten

2. Stuttgarter Anwaltstag: Die Kraft des Anwalts

Das Präsidium des Rats der Europäischen Anwaltschaften (CCBE) ist für 2007 neu besetzt worden. Auf der Vollversammlung des CCBE am 25. November 2006 in Brüssel wählten die nationalen Delegationen zum ersten Mal eine Frau in das Präsidium: Die Dänin Anne Birgitte Gammeljord (Bild unten) wird Zweite Vizepräsidentin. Damit wird sie bei Zustimmung der Delegationen im Jahr 2009 Präsidentin des CCBE sein. Gammeljord ist Vorsitzende der CCBE-Arbeitsgruppe zu Dienstleistungen. Präsident des CCBE ist im kommenden Jahr Colin Tyre (Bild oben) aus Großbritannien, Erster Vizepräsident der Ungar Péter Köves. Tyre löst den bisherigen Präsidenten Manuel Cavaleiro Brandão ab. Unter dessen Präsidentschaft wurden im Jahr 2006 insbesondere die CCBE-Berufsregeln überarbeitet und universelle Prinzipien des Berufsethos der Anwaltschaft („Core principles“) festgesetzt. Der neue CCBE-Präsident Tyre praktiziert seit 1987 als Advocate (schottisches Pendant zum englischen Barrister). Zuvor war er insbesondere an der Universität von Edinburgh tätig. Seit 2003 ist er Mitglied der Scottish Law Commission, dem Gremium, das der Regierung Vorschläge für die Rechtsreform in Schottland unterbreitet. Während seiner Präsidentschaft möchte Tyre sich für die „Koordinierung und Harmonisierung“ der Ausbildung einsetzen. Ferner plädiert er für „die Bewahrung einer starken, unabhängigen Anwaltschaft, die im allgemeinen Interesse und entscheidend für den Schutz der Grundrechte ist“.

Die Juristische Fakultät der Leibniz Universität Hannover bietet seit dem Jahre 2003 einen anwaltsorientierten Ergänzungsstudiengang, das Advo-Zertifikatsstudium, an. Ziel ist es die Studierenden auf den Rechtsanwaltsberuf vorzubereiten. Neben den regulären Vorlesungsveranstaltungen werden ab diesem Wintersemester regelmäßig Vortragsreihen des Instituts für Prozessrecht und anwaltsorientierte Ausbildung zu ausgewählten Themen wie „Unternehmer im Gespräch“ in das Programm aufgenommen. Den Studierenden soll so „aus erster Hand“ unternehmerisches Denken und die praktischen Bedürfnisse ihrer zukünftigen Mandanten vermittelt werden. Kennzeichnend für die Vortragsreihe ist, dass jeweils herausragende Praktiker über ihren Berufsalltag berichten. Dabei stellt sich der Referent nach seinem Vortrag zunächst der Diskussion und anschließend dem Gespräch bei Brot & Wein. Noch anstehende Veranstaltungen im Wintersemester sind: 9 9. Januar 2007: Rechtsanwalt Dr. Nikolaus Schrader, „Kanzleien stellen sich vor“ 9 16. Januar 2007: Rechtsanwälting Margarete Fabricius-Brand, „Rechtsanwältinnen“ 9 23. Januar 2007: Rechtsanwältin Dr. Angela Dageförde, „Rechtsanwältinnen“ 9 30. Januar 2007: Rechtsanwalt Christoph Rumpf, „Politische Prozesse“

„Die Kraft der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in der Gesellschaft“ – unter diesem Motto steht der 2. Stuttgarter Anwaltstag am 2. Februar 2007. Der Erfolg des ersten regionalen Anwaltstages im Januar 2005 hat den Stuttgarter Anwaltverein angespornt, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte aus der Region wieder zu einer bunten Mischung aus Fortbildung, Generalthema und geselligem Beisammensein einzuladen. „Was wollen Richter gestalten, wenn Anwälte keine Fälle bringen?“, wird Dr. Michael Streck, ehemaliger Präsident des Deutschen Anwaltvereins und Referent des Generalthemas provokativ fragen. „Der Kampf ums Recht ist ausschließlich Anwalts Sache“, wird er antworten. Selbstbewusst sollen die Teilnehmer den 2. Stuttgarter Anwaltstag nach Zentralvortrag und Fortbildungsprogramm verlassen. Im Fortbildungsprogramm wird es um das Unterhaltsänderungsgesetz, aktuelle Entwicklungen im Arbeitsrecht, die ZPO-Reform sowie um Praxisfragen des RVG gehen. Der Justizminister des Landes Baden-Württemberg, Prof. Dr. Ulrich Goll, wird ebenso wie der neu gewählte Stuttgarter Kammerpräsident, Frank E. R. Diem, ein Grußwort an die Teilnehmer richten.

Rechtsanwa¨ltin Anne Weber LL. M., Bru¨ssel

Informationen zum Rat der Europäischen Anwaltschaften unter www.ccbe.org.

X

AnwBl 1 / 2007

Die Vorträge sind öffentlich und finden jeweils dienstags um 18.00 Uhr im Raum II/203, Königsworther Platz 1, 30167 Hannover statt. Weitere Informationen können im Internet unter www.jura.uni-hannover.de/ipa, per E-Mail unter [email protected] oder per Post Leibniz Universität Hannover, Institut für Prozessrecht und anwaltsorientierte Ausbildung, Geschäftsführender Direktor Professor Dr. Christian Wolf, Königsworther Platz 1, 30167 Hannover angefordert werden.

Information und Anmeldung: www.anwaltvereinstuttgart.de oder E-Mail: [email protected] oder Telefon: 0711-2 36 93 06.

Anwaltsblatt

Jahresregister kommt mit Februarheft 2007 Das Jahresregister des Anwaltsblatts für den Jahrgang 2006 wird mit dem Februarheft 2007 verteilt werden. Einbanddecken für den Jahrgang können über den Deutschen Anwaltverlag, Wachsbleiche 7, 53111 Bonn (Telefon 02 28/ 9 19 11 -0, Telefax 0228 / 919 1123) bestellt werden.

Anwaltsblatt Jahrgang 57, 1 / 2007 Im Auftrag des Deutschen Anwaltvereins herausgegeben von den Rechtsanw lten: Felix Busse Dr. Peter Hamacher Dr. Michael Kleine-Cosack Wolfgang Schwackenberg

Redaktion: Dr. Nicolas L hrig (Leitung) Udo Henke Philipp Wendt Rechtsanw lte

Wie der angehende Anwalt ausgebildet sein muss*

I. Schon wieder ein Aufsatz zum Ausbildungsthema? Wozu, wird sich der Leser fragen, soll man einen Artikel über Juristenausbildung lesen? Hatten wir nicht gerade eine Reform? Und trifft nicht zu, was oft zitiert wird: es ist alles gesagt, nur noch nicht von Jedem. Sollte man nicht zu Dingen, zu denen alles gesagt ist, besser schweigen ? Ich jedenfalls kann nicht schweigen. Deswegen muss ich in diesem Beitrag auch persönlich werden. Ich nutze diesen Beitrag, um die Argumente meiner eigenen eindeutigen Position erneut darzulegen. Denn es ist zwar alles gesagt, aber nichts getan. Der Leser kann anhand der nachfolgenden Aussagen seine eigene Position verorten. Er mag danach selbst entscheiden, ob er weiter lesen will.

Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Tu¨bingen

Der Autor plädiert für ein Umdenken in der Juristenausbildung. Anwalt soll nur noch werden, wer auf diesen Beruf vorbereitet worden ist. Der DAV-Gesetzentwurf zur Einführung einer Spartenausbildung in der Juristenausbildung wird ab Seite 45 in diesem Heft dokumentiert. *

Der Aufsatz ist im Oktober 2006 zuerst in der Festschrift für Karl Peter Mailänder zum 70. Geburtstag am 23. Oktober 2006 (Verlag De Gruyter) erschienen. Prof. Dr. Karl Peter Mailänder, M.C.J., ist Rechtsanwalt in Stuttgart.

Die ehernen Tafeln

Die unangenehmen Wahrheiten

9

Du sollst nicht am Einheitsjuristen rütteln. Er gewährleistet die gleiche Augenhöhe zwischen allen Juristen.

9

Den Einheitsjuristen gibt es nicht mehr. Kein höherer Richter sieht sich auf gleicher Augenhöhe mit dem kleinen Advokaten an der Straßenecke gegenüber.

9

Die deutschen Juristen werden im Ausland bewundert.

9

In der EU kann man beobachten, wie die Juristen anderer Ländern, vor allem aus Großbritannien, den Deutschen den Rang ablaufen.

9

Du sollst nicht die Elite des Staates in Zweifel ziehen, die die Juristen noch immer darstellen.

9

Juristen als Elite des Staates sind eine nostalgische Reminiszenz. Sie bilden sie nicht einmal mehr in der Wirtschaft.

9

Jeder Jurist zeichnet sich durch die Befähigung zum Richteramt aus.

9

Die Befähigung zum Richteramt nützt nur dem, der Richter werden kann. Über 97 % aller Juristen ist dieser Weg verschlossen.

9

Der vom Staat bezahlte Referendarsdienst stellt sicher, dass der mit der Befähigung zum Richteramt ausgestattete Einheitsjurist die Elite des Staates bilden kann.

9

Der bezahlte Referendarsdienst ist eine staatliche Subvention, die zu massiven Fehlsteuerungen im Markt des Zugangs zur Juristenschaft geführt hat.

9

Die Breite der juristischen Ausbildung sichert den Zugang zu profilierten und leitenden Stellungen in einer Vielzahl von Branchen.

9

In einer Vielzahl von Branchen wird eine bloß juristische Ausbildung nicht mehr als ausreichend, oft sogar als hinderlich angesehen.

9

Die deutschen Fakultäten sichern einen hohen wissenschaftlichen Standard der Juristen.

9

Viele Studenten erwerben ihr Examenwissen nicht mehr in den Fakultäten, sondern beim Repetitor. Die Examina sichern wissenschaftlichen Standard nicht.

9

Es sollte anerkannt werden, dass jeder Referendar heute beim Anwalt 12 Monate Anwalt lernen kann.

9

Jeder Referendar könnte tatsächlich 12 Monate Anwalt lernen. Aber dies nützte ihm fürs Examen nichts. Deswegen nutzt die große Mehrheit die Anwaltsstation höchst unanwaltlich als ExamensPauk-Station.

Wie der angehende Anwalt ausgebildet sein muss, Kilger

AnwBl 1 / 2007

1

MN

Aufsätze

Die ehernen Tafeln

Die unangenehmen Wahrheiten

9

Der Bologna-Prozess betrifft die Juristen nicht. Das hat sogar der Koalitionsvertrag der Großen Koalition 2005 betont.

9

Die Karawane des Bologna-Prozesses zieht auch ohne die deutschen Juristen weiter. Den Bachelor of Laws gibt es heute schon.

9

Wir hatten – in Gestalt der „anwaltsorientierten Juristenausbildung“ – gerade eine Reform. Deren Auswirkungen sollte man erst abwarten.

9

Eine „anwaltsorientierte Juristenausbildung“ lenkt von der wirklichen Anwaltsausbildung ab. Wer weiter wartet, verhindert sie.

9

„Was soll die Diskussion? Wer vorankommen will, beißt sich durch! Aus mir ist schließlich auch etwas geworden.“

9

Wer so argumentiert, vergeht sich an der jungen Generation. Er projiziert unzulässig die märchenhaften Verhältnisse seiner Studentenzeit in die heute äußerst schwierige Situation.

Wer die Aussagen auf der linken Seite für richtig hält, braucht nicht weiter zu lesen. Er befindet sich in guter Gesellschaft: ein großer Teil der etablierten Juristenschaft denkt ebenso. Die Aussagen auf der rechten Seite markieren meine Meinung: die Tafeln sind ehern, aber inhaltsleer. Ihre Grundgedanken gehören der Historie an. Im Raum der Gegenwart stoßen sich die Sachen hart: 1. Es ist unstrittig, dass es hervorragende junge Juristen gibt. Sie gehören tatsächlich zu einer Elite. Für sie müsste nichts geändert werden; sie beißen sich immer durch. Aber es ebenso unstrittig, dass es viele schlecht ausgebildete Juristen gibt. Das dokumentiert das System selbst dadurch, dass es zwei Dritteln aller Abgänger nur „ausreichend“ als Examensnote bescheinigt. Unstrittig ist vor allem aber, dass nicht sichergestellt werden kann, dass, wer Anwalt werden muss, auch Anwalt gelernt hat. 2. Erst recht sind die Zahlen unstrittig. Jedes Jahr bestehen rund 10.000 Volljuristen das Zweite Staatsexamen. In die Justiz gelangen weniger als 4 % hiervon, in manchem Ländern sogar inzwischen 0 %. In die Verwaltung schaffen es (die Zahlen sind unsicher) höchstens 10 % und in die Wirtschaft (diese Zahlen sind noch unsicherer) 15 %. Die restlichen mehr als 75 % (vorsichtig gerechnet) können nur Anwalt werden. Hierzu gehören – ausnahmslos – alle diejenigen, die der Besorgnis nach Ziffer 1 ausgesetzt sind. Was die Kombination von 1. und 2. auf Dauer für eine Sprengwirkung hat, ist offenkundig. Die unangenehmen Wahrheiten sind deswegen das Thema der Anwälte; Reform der Juristenausbildung ist Anwaltsthema. Gäbe es Anwälte nicht, könnte die Diskussion beendet werden. Ohne Anwälte allerdings wäre kein Rechtsstaat. Dieser ist auf eine Reform der Juristenausbildung dringend angewiesen. Und wenn nicht bald etwas geschieht, wird es gefährlich.

II. Hatten wir nicht schon Reformen? Dass die Erfindung des aus zwei Stufen bestehenden Ausbildungssystems über zwei Staatsexamina, einen staatlichen Referendarsdienst und die Krönung durch die Befähigung zum Richteramt im 18. und 19. Jahrhundert, maßgeblich geprägt durch Preußen, ein enormer Erfolg gewesen ist, braucht nicht betont zu werden. Dass über seine Reformbedürftigkeit seit über 100 Jahren ohne nennenswertes Ergebnis diskutiert wird, ist ebenso klar. Dass das Erfolgsmodell einen schrecklichen Einbruch im Dritten Reich und eine blamable Darstellung zu dessen Bewältigung in der Nachkriegszeit gegeben hat, ist ebenso wahr. Natürlich waren es die 68-er, die nicht zuletzt deswegen an den ehernen Tafeln schon einmal gerüttelt haben. Sie 2

AnwBl 1 / 2007

hatten nach den Loccumer Beschlüssen die einstufige Juristenausbildung durchgesetzt – das einzige wirkliche Experiment in der über zweihundertjährigen Geschichte des vorhandenen Ausbildungssystems. Als es um die Bewertung des Experiments ging, standen sich die Fronten schon einmal diametral gegenüber – obwohl über den Erfolg der einstufigen Juristenausbildung heute kaum noch gestritten werden kann: kennen wir doch höchst fähige Juristen, die sie durchlaufen haben. Aber die Bewahrer haben das Experiment in der Mitte der achtziger Jahre eingestampft – es blieb eine Episode. Man kehrte zu den Tafeln zurück. Das änderte sich auch nicht durch den weithin hallenden Aufruf von Großfeld über „das Elend des Jurastudiums“ im Jahre 1985. Denn es dauerte nicht lange: die Wiedervereinigung verlangte danach, vielen neuen Juristen das bisherige Erfolgsmodell zu vermitteln. Allerdings wurden in den Neunzigern die Verhältnisse beängstigend, so dass schließlich sogar die Runde der Justizminister in einem „Kamingespräch“ beschloss, eine grundlegende Systemreform anzugehen. Immerhin hat der damalige Justizminister Behrens auf dem Juristentag in Bremen 1998 die Einführung einer Spartenausbildung – also die Abschaffung des Einheitsjuristen – propagiert. Allerdings vergeblich: quasi über Nacht änderte sich die Zusammensetzung der Justizministerkonferenz – und man beschloss, nur noch „systemimmanent“ zu reformieren. Das führte zu der heute geltenden „anwaltsorientierten Juristenausbildung“. Sie ist schon von der Anlage her eine Farce: die „anwaltsorientierte Juristenausbildung“ führt nämlich zur „Befähigung zum Richteramt“, – welche nur einer verschwindenden Minderheit den Zugang zum Richteramt eröffnet. Ich nenne dies eine groteske „Ausbildungspirouette“. Seit 1987 habe ich in dem damals noch gemeinsamen Ausbildungsausschuss von BRAK und DAV gearbeitet. Er hat 1991 ein grundlegendes Reformmodell (erste und zweite Stufe) vorgelegt: es wurde durch die Wiedervereinigung zur Makulatur. Die gemeinsamen Arbeiten in den neunziger Jahren sind umfangreich und grundlegend gewesen. Die Anwaltschaft wäre auf einen Systemwechsel vorbereitet gewesen. Nachdem absehbar war, dass ein solcher nicht kommen würde, habe ich mit meinen Mitstreitern im Deutschen Anwaltverein die DAV-Ausbildung auf den Weg gebracht: sie bietet an, was im vorhandenen System an Anwaltsausbildung systemimmanent möglich ist. Ihre Existenz und das Aufkommen des Bachelor-Themas haben die Diskussion am Leben erhalten, obwohl mit dem „Reform-Gesetz“ von 2002 allgemeine Meinung war, es sei jetzt genug reformiert. Im November 2005 hat die Justizministerkonferenz beschlossen, die Möglichkeiten einer „Spartenausbildung“ durch eine interministerielle Arbeitsgruppe untersuchen zu lassen. Es Wie der angehende Anwalt ausgebildet sein muss, Kilger

MN

Aufsätze

besteht also erneut die Chance einer Bewegung. Deswegen wäre Schweigen falsch: die wirkliche, seit über 20 Jahren fällige Reform steht noch aus.

III. Wie sollte ein Anwalt ausgebildet sein? Wer über das gestellte Thema nachdenkt, muss die Frage beantworten: wie sollte ein Anwalt ausgebildet sein? Denn erst dann, wenn darüber Einigkeit besteht, kann beurteilt werden, ob das jetzige oder ein anderes Ausbildungssystem das Notwendige leistet. Wie ein Anwalt ausgebildet sein sollte, lässt sich detailliert darstellen: a) Am Anfang sollte eine Grundausbildung stehen – gemeinsam mit allen Juristen. Sie hat zwei Hauptteile: die Grundlagenfächer einerseits und die Kernfächer in paradigmatischer Auswahl andererseits. Dazu gehören weiter eine moderate Vermittlung von Schlüsselqualifikationen und Sprachkenntnissen. Eine solche Ausbildung sollte in erster Linie wissenschaftliche Ausbildung sein. Das bedeutete einerseits die verpflichtende Teilnahme an der Vermittlung der Grundlagenfächer: Rechtsphilosophie, Rechtsgeschichte, Rechtssoziologie und Methodenlehre – auch wenigstens beispielhaft Römisches Recht. Deswegen hielte ich die Rückkehr zum obligatorischen, wenigstens kleinen Latinum für notwendig. Die Wissenschaftlichkeit wird aber auch andererseits in Vorlesungen und Übungen zu den Kernfächern vermittelt. Der Anwalt ist kein Rechtsanwendungsingenieur. Professionelle Rechtsanwendung bedeutet mehr denn je den Einsatz der ganzen Persönlichkeit: Wertungen, Auslegungen, Beurteilungsspielräume sind an der Tagesordnung. Die Betonung der notwendigen wissenschaftlichen Grundlegung steht deswegen obenan. Allerdings steht Wissenschaft nicht im luftleeren Raum. Deswegen ist die Konfrontation nicht nur mit der Sache, sondern auch mit der eigenen Person notwendig. Philosophie leistet sie ohnehin. Aber auch die Beschäftigung mit den Techniken der „Schlüsselqualifikationen“ und der fremden Sprachen gehören dazu. Eine solche erste Stufe sollte – wie die Erfahrung gezeigt hat – vier Jahre in Anspruch nehmen. Am Ende sollte ein Staatsexamen stehen – wobei eine Mischung mit einem Universitätsexamen nicht schaden muss. Anmerkung: Es ist erkennbar, dass dieses Konzept zu weiten Teilen den heutigen Zustand der Juristenausbildung an den Universitäten abbildet. Das gilt vor allem in der Form, die sie durch die letzte Reform erhalten hat. Die Einrichtung der Schwerpunktfächer kann – wenn sie sinnvoll eingesetzt werden – förderlich sein. Diese Ausbildung kann auch durchaus „anwaltsorientiert“ heißen: soll sie doch zwar nicht zum Anwalt ausbilden, so soll sie doch dem Studenten die Orientierung ermöglichen, welchen Weg er nach der ersten Stufe einschlagen will: er soll am Ende „über den Anwalt orientiert“ sein. Allerdings wären am vorhandenen Konzept einige massive Einschnitte nötig. Dem Verschwinden der Wissenschaftlichkeit aus der Juristenausbildung muss Einhalt geboten werden. Es ist schlechthin unerträglich, wenn Juristen ins erste Examen gehen, die nichts von den Grundlagenfächern gelernt, keine Vorlesungen gehört und sich Wie der angehende Anwalt ausgebildet sein muss, Kilger

ihr Examenswissen beim Repetitor angepaukt haben. Auch wäre eine Zwischenprüfung notwendig, die ihren Namen verdient. Das heißt im Ergebnis: was zur Ausbildung eines Anwalts gehört, ist in der Universität nach wie vor angelegt. b) Danach sollte eine Vertiefungsausbildung folgen, die auf den Beruf vorbereitet, in unserem Fall also auf den Anwaltsberuf. Sie würde erfordern: 9 Erstens: Eine praktische Anwaltsausbildung. Sie kann nur beim Anwalt – und nirgends anderswo – stattfinden. Praxis heißt: wirkliche Praxis, also Arbeit beim Anwalt die ganze Woche. Nur das wirkliche Eintauchen in den Beruf gewährleistet den wirklichen Lerneffekt. Diese Ausbildung darf nicht durch ablenkende Arbeitsgemeinschaften und ähnliche Nebentätigkeiten durchsetzt werden – sie muss auch am Stück geleistet werden können. Das schließt nicht aus – dass wegen des Spezialistentums – der Wechsel von einem Anwalt zum anderen in dieser Zeit möglich sein sollte. Dennoch sollte der Blick für die Tätigkeit des Generalisten in dieser Zeit nicht verloren gehen. Anmerkung: Es ist klar, dass eine solche Ausbildung nicht innerhalb der Regie der Justiz erfolgen kann. Sie muss von der Anwaltschaft selbst geleistet werden. Der schlagendste Beleg hierfür ist, dass die Anwaltschaft diese Art der Ausbildung schon immer angeboten hat: die jungen Kolleginnen und Kollegen in den Kanzleien sind als Assessoren ihre Nutznießer gewesen. Die Anwaltschaft hat auf diese Weise ihren Nachwuchs schon immer selbst ausgebildet – und das hat auch ihren Erfolg ausgemacht. Nur – leider – hat dieses Erfolgsmodell aus zwei Gründen keine Zukunft: – Der weitaus größte Teil der jungen Anwältinnen und Anwälte findet keine Stelle mehr. Er muss selbst beginnen und hat keine Chance, vom ältern Kollegen zu lernen, was vorher nicht gelernt worden ist. Das heißt: die Anwaltschaft muss an anderer Stelle die Chance wahrnehmen, ihren Nachwuchs auszubilden. – Wenn erst Assessoren damit beginnen müssen, Anwalt wirklich zu lernen, dann ist dies – unter dem Blickwinkel der europäischen Konkurrenz – viel zu spät. Die Berufsfertigkeit muss früher liegen. Das heißt: die Phase wirklichen praktischen Lernens muss aus den beruflichen Anfangsjahren heraus in die Ausbildungszeit vorverlegt werden. Diese praktische Anwaltsausbildung muss 12 Monate dauern. Lange Untersuchungen haben gezeigt, dass diese Mindestzeit nicht unterschritten werden darf. Einen Einblick, auch über die Laufzeit der Mandate, hat nur, wer wenigstens ein Jahr die Praxis von der Pike kennen gelernt hat. Wie eine solche Praxisphase gestaltet werden kann, hat der DAV durch sein Ausbildungshandbuch für die DAV-Ausbildung aufgezeigt. Die Vorarbeit hierfür ist geleistet. 9 Zweitens: Darüber hinaus benötigt der Anwalt auch eine theoretische Anwaltsausbildung. Denn es ist klar, dass im Studium nicht das spezielle theoretische Rüstzeug vermittelt werden konnte, welches ein Anwalt braucht: Berufs- und Haftungsrecht, Vergütung und Betriebswirtschaft, Versicherung und Marketing. Die notwendige Fülle an Kenntnissen auf diesem Sektor ist so umfangreich geworden, dass eine Unterrichtszeit von 3 Monaten nicht unterschritten werden kann. Hierbei ist durchaus an konsequenten „verschulten“ AnwBl 1 / 2007

3

MN

Aufsätze

Unterricht mit vollem Wochendeputat gedacht. Die notwendigen Curricula hierzu sind ausgearbeitet und liegen vor: auch hier ist die Vorarbeit geleistet. Es ist klar, dass Kontrollen notwendig sind, um sicherzustellen, dass das vermittelte Wissen auch angekommen ist. Anmerkung: In der gegenwärtigen „anwaltsorientierten“ Juristenausbildung wird dieser Stoff in einem von den Kammern organisierten Kursus von 3 Wochen vermittelt. Ich habe in Baden-Württemberg an dessen Konzipierung auf Landesebene mitgewirkt: ein solcher Kurs ist sinnvoll, wenn es darum geht, alle Juristen in der Ausbildung einmal damit zu konfrontieren, was einen Anwalt in seinem Berufsleben betreffen kann. Deswegen sind solche Kurse sinnvoll – nur nicht für die, die Anwälte werden wollen. Für sie müssen für denselben Stoff wenigstens drei Monate zur Verfügung stehen. Die gegenwärtigen Kurse sollten deswegen für andere juristische Ausbildungen weitergeführt werden, wenn es zu einer Sparten- und damit z. B. auch zu einer speziellen Richterausbildung kommen sollte. Drittens: Weiter benötigt der angehende Anwalt auch den Blick in die anderen Berufe. Es wäre ein Irrtum zu glauben, eine Anwaltsausbildung würde auf den Blick in das richterliche Beratungszimmer verzichten. Er ist dringend notwendig – ebenso wie der, den der angehende Richter während seiner Ausbildung auf die Anwaltspraxis werfen muss. Aber für den Blick in die anderen Bereiche der Rechtspflege reichen 6 Monate völlig aus – dazu sind nicht 15 Monate wie bisher erforderlich. 9 Viertens: Schließlich wäre für jeden Anwalt ein Auslandsaufenthalt von wenigstens drei Monaten sehr wünschenswert. Ich weiß um die damit verbundenen Schwierigkeiten. Aber die Sicht darauf, wie andere Rechtsordnungen dasselbe Problem auf möglicherweise völlig andere Weise zu lösen in der Lage sind, ist heilsam: sowohl in der Schulung des Blicks auf die Relativität des einheimischen Rechts wie auch auf dessen Wert – ein in Zeiten der globalen Rivalitäten der Rechtskreise nicht zu vernachlässigender Umstand. Mindestens der Anspruch auf die Notwendigkeit auf einen Auslandsaufenthalt sollte in einem Konzept einer Anwaltsausbildung aufrechterhalten werden – die Realität wird ihre eigenen Opfer in dieser Hinsicht fordern. 9 Fünftens: Am Ende sollte eine Prüfung stehen. Sie sollte von der Anwaltschaft organisiert sein. Allerdings muss dem Umstand Rechnung getragen werden, dass der Anwaltsberuf kein föderaler, sondern ein bundeseinheitlicher Beruf ist. Auch sprechen eine Reihe von Gründen dagegen, die Prüfung dem Berufsstand allein zu übertragen. Alle diese Gründe könnten für ein Staatsexamen sprechen. Wie Staatsexamina unter federführende Beteiligung des Berufs selbst organisiert und durchgeführt werden, führt der Berufsstand der Steuerberater vor. Hier braucht nichts Neues erfunden werden. c) Bei einer Grundausbildung (Studium) von vier Jahren und einer Vertiefungsausbildung (Anwaltsreferendar) von zwei Jahren ergibt sich somit eine Gesamtdauer von 6 Jahren. Damit wäre eine wesentliche Verkürzung erreicht. Zwar kommen in den heutigen Zeiten des Freischusses zwar auch so kurze Gesamtzeiten vor. Aber heute ist der Assessor nicht fertig zum Anwalt ausgebildet: er benötigt noch zwei Jahre, um in einer Kanzlei zu lernen. Die hier beschriebene Vorstellung wird aber gewährleisten, dass der zweitexaminierte 9

4

AnwBl 1 / 2007

Absolvent den Beruf wirklich gelernt hat, und damit auch, was für viele alternativlos ist, selbständig in den Anwaltsberuf gehen kann. Voraussetzung ist allerdings, dass zwischen erster und zweiter Stufe keine wesentlichen Wartezeiten entstehen und dass die Examenszeiten nicht ungehörig viel Leerlauf verursachen. In beiden Bereichen bestehen heute z. T. skandalöse Zustände. Dass es immer noch hingenommen wird, dass Referendare bis zu einem Jahr auf den Beginn des Referendarsdienstes warten müssen, ist unbegreiflich. Fest steht: die Organisationskraft der Anwaltschaft wird – wenn sie in der zweiten Stufe die Regie führt – bessere Ergebnisse zeitigen. d) Die Frage, was ein Anwalt gelernt haben sollte, darf schließlich nicht vergessen, was geschehen soll, wenn der Anwalt später einen anderen Beruf, z. B. den des Richters, ergreifen wollte. Die Antwort kann nur lauten: natürlich muss dies möglich sein. Diese „Durchlässigkeit“ ist ein ganz wesentliches Element einer künftigen Berufsausbildung – in den erwähnten Modellen ist sie längst ausgearbeitet. Es ist nicht so, dass eine Spartenausbildung den eingeschlagenen Berufsweg zementiert. Das Gegenteil ist der Fall. Denn was bietet die Wirklichkeit heute? Es gibt zwar Justizverwaltungen, die den Richternachwuchs bevorzugt aus den Reihen der Anwaltschaft rekrutiert. Aber dieses Modell betrifft nur einen verschwindend kleinen Personenkreis; gibt es doch, wie aufgezeigt, nur noch ganz wenige Richterstellen. Aber hat man je gehört, dass Richter später Anwälte werden – oder dass ein nennenswerter Wechsel mit der höheren Beamtenschaft stattfindet? Kommt es aber zu konkurrierenden Examina (Anwalts-. Richter-, Beamtenexamen) mit späterer Durchlässigkeit, kann der entstehende Wettbewerb die angestrebte Wechslerfreude befördern.

IV. Konsequenz: Anwaltsausbildung Die Darstellung zeigt: das gegenwärtige System, auch das einer „anwaltsorientierten Juristenausbildung“ kann nicht vermitteln, was ein Anwalt gelernt haben muss. Es muss also ein Systemwechsel stattfinden. Er kann nur zu einer Anwaltsausbildung führen. 1. Zwar bietet die erste Stufe (Studium an der Universität) Chancen, vor allem in der durch die Reform restrukturierten Form. Allerdings sollten die Anstrengungen nicht in erster Linie in deren „Anwaltsorientierung“ liegen. Vielmehr wäre nötig, zu erreichen, dass der Anspruch der Wissenschaftlichkeit wieder jede Studentin und jeden Studenten erreicht. Weiter sollte auf eine wirkliche Zwischenprüfung gedrungen werden, damit ungeeignete Kandidaten am Beginn des Ausbildungsweges (und nicht, wenn es zu spät ist, an dessen Ende) gezwungen wären, sich über andere Berufswege Gedanken zu machen. 2. Aber die zweite Stufe kann nicht entfernt leisten, was erforderlich wäre: 12 Monate echte Praxis beim Anwalt und 3 Monate Theorieunterricht. Hier ist ein ganz neues System erforderlich. Es kann nur in einer Anwaltsausbildung liegen. Um sich vor dieser Konsequenz zu drücken, gibt es viele Abhilfevorschläge, die die bestehenden Probleme auf andere Weise lösen wollen. a) Von der einen Seite wird eine Reduzierung der Zahl der Studierenden ins Gespräch gebracht – dann wäre in der zweiten Stufe für eine wirkliche Ausbildung Luft. Das ist jeWie der angehende Anwalt ausgebildet sein muss, Kilger

MN

Aufsätze

doch ganz vergeblich. Es nützt nichts, Abiturienten mit einer Warnung vor dem Anwaltsberuf anzusprechen – man erreicht dadurch eher das Gegenteil. Die Faszination des Erfolgs guter Anwälte wird bei der jungen Generation immer wirksam bleiben. Ebenso sinnlos ist es, auf einen numerus clausus zu hoffen. Die kürzliche Heraufsetzung des CNWWerts hat letztlich gar nichts bewirkt. Ohnehin sind Studiensperren problematisch, wie das Fach Medizin gezeigt hat. Manche schließlich wiegeln mit der Behauptung ab, die Studentenzahlen würden von allein zurückgehen. Vergebliches Hoffen – die Zahlen werden eher zunehmen. Die Forderung wenigstens nach einer effizienten Zwischenprüfung könnte hier eine Milderung zu erreichen – Erfahrung mit der ihrer Einführung und Abschaffung in der Vergangenheit stimmen allerdings skeptisch. Zum einen kosten sie Geld, zum anderen ist die Zahl der Studenten Finanzierungsgrundlage der Universitäten. b) Die Vorstellung, man brauche nur den gegenwärtigen Referendarsdienst entsprechend anzupassen, ist ganz unrealistisch. Solange die „Befähigung zum Richteramt“ das Ziel ist, wird die Justiz die Zügel nicht aus der Hand geben. Das liegt in der Natur der Sache – es ergibt sich auch aus den Erfahrungen, die mit dem gegenwärtigen Drei-Wochen-Kurs gemacht wurden: die Rechtsanwaltskammern dürfen ihn zwar komplett bezahlen. Ihr Mitspracherecht bei der Organisation ist eher dürftig. 12 Monate echte Praxis beim Anwalt und 3 Monate Theorieunterricht durch Anwälte kann nur die Anwaltschaft in eigener Regie durchführen, wenn sie erfolgreich sein sollen. c) Von einer letzten Seite wird eine Radikalkur am Ende der Ausbildung vorgeschlagen: die Forderung nach der Wiedereinführung des Anwaltsassessoriats feiert immer wieder fröhliche Urständ. Dieser Vorschlag ist gänzlich indiskutabel. Er ist erstens verfassungsrechtlich ausgekocht und zweitens mit Blick auf Europa nicht vertretbar: eine Verlängerung der Ausbildungszeit bis zum fertigen Anwalt kommt keinesfalls in Betracht. d) Nein – es kann nur eine Lösung geben: der Referendarsdienst selbst muss abgeschafft werden. Denn es gibt ein weiteres wichtiges Argument: der Anwalt muss lernen, selbständig zu werden. Das ist wichtigster Teil seiner Ausbildung. Anwalt ist Freier Beruf – und angesichts der heutige Zwänge für einen Großteil von Anfang an. Es gehört zu den Mysterien unserer Zeit, dass immer noch der Anspruch aufrechterhalten wird, Freier Beruf könne in einem Dienstverhältnis beim Staat gelernt werden! Dort kommt das Gehalt jeden Monat von allein – gleich was man geleistet hat: Gift für einen Freiberufler! Selbständig werden heißt auch: entscheiden lernen. Der automatische Übergang vom Studium in einen bereit gestellten Referendarsplatz vertagt Entscheidungen auf einen Lebensabschnitt, in dem andere schon lange Berufserfahrungen hinter sich haben – auch andere Akademiker. Deswegen ist klar: die durch die Gießkanne an alle gezahlten Referendarsgehälter sind staatliche Subvention, die zu massiven Fehlsteuerungen im Markt führen. Diese Subvention muss gestrichen werden. e) Das bedeutet allerdings auch: niemand hat mehr Anspruch auf einen Referendarsplatz. Wer Anwalt werden will, muss sich vielmehr einen solchen suchen. Die Behauptung, die Anwaltschaft würde solche nicht anbieten können, ist abwegig. Bereits in der DAV-Ausbildung hat sich eine hohe Bereitschaft in der Kollegenschaft gezeigt. Vor allem wird verkannt, dass die Anwaltschaft ja auch bisher den Nachwuchs Wie der angehende Anwalt ausgebildet sein muss, Kilger

– nur eben nicht zu Tausenden jährlich – ausgebildet hat. Schließlich ist der Anwaltsreferendar nicht mehr – wie der Rechtsreferendar bisher – das fünfte Rad am Wagen. Er ist vielmehr voll einsatzfähig in der Kanzlei – eben von Montag bis Freitag. Das sichert auch den Lebensunterhalt des Anwaltsreferendars. Er bekommt bei seinem Ausbildungsanwalt ein Gehalt. Die immer wieder gehörte Behauptung, die Abschaffung des Referendarsdienstes sei aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich, jeder müsse auf Staatskosten als Referendar weiterkommen, ist falsch. Das vorgeschlagene Modell wird bei den Steuerberatern ohne Probleme seit langem praktiziert, ohne dass jemand auf die Idee gekommen wäre, das sei verfassungswidrig. f) Dass die Stationen bei anderen Stellen der Rechtspflege einen gesonderten Abrechnungsmodus erfordern ist klar. Das wird von der Anwaltschaft zu organisieren sein – wie auch umgekehrt der Besuch von Richterreferendaren in Anwaltskanzleien. Ein Hindernis ist diese Thematik nicht. Anwaltsausbildung heißt also: verbessertes vierjähriges Studium nach obigen Vorschlägen mit einem Abschluss, der den künftigen echten Einheitsjuristen darstellt. Anschließend Entscheidung, dass der Berufsweg z. B. des Anwalts eingeschlagen werden soll. Suche nach einem Ausbildungsplatz bei einem Anwalt, der seinen Anwaltsreferendar bezahlt. 12 Monate echte Praxis, 3 Monate theoretische Anwaltsgrundlagen, 6 Monate andere Stationen und wenn irgend möglich 3 Monate Ausland. Bundeseinheitlicher Abschluss mit späterer Durchlässigkeit in andere juristische Berufe. Diese Lösung wird kommen. Die Frage ist nur, wie lange es noch dauern wird. Es sollte schnell gehen. Denn es muss gesichert werden, dass jeder, der Anwalt wird, auch Anwalt gelernt hat. Das wird das überkommene System nie sicherstellen können. Deswegen müssen wir immer wieder von einer Reform der Juristenausbildung reden.

V. Nachtrag Seit Erstellung dieses Textes ist ein halbes Jahr vergangen. Inzwischen hat die Justizministerin des Landes NordrheinWestfalen auf der Hauptversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer sich dafür ausgesprochen, auf den Bachelor/ Master-Zug aufzuspringen. Die Bundesrechtsanwaltskammer hat eine Kehrtwendung vorgenommen und ist ihr gefolgt. Nichts belegt deutlicher, wie bewegt die Ausbildungsdiskussion heute ist. Damit bewahrheitet sich, was immer klar war: Die Reform des Jahres 2003 konnte nicht einmal für kurze Zeit das letzte Wort darstellen. Ein (in den Einzelheiten allerdings sehr sorgfältig auszuarbeitendes) Eingehen auf die Bachelor-Diskussion macht eine Antwort auf die Frage nach einer eigenen Anwaltsausbildung nicht etwa obsolet Sie wird dadurch noch umso dringlicher! Hartmut Kilger, T bingen

Der Autor ist Rechtsanwalt. Er ist Pr sident des Deutschen Anwaltvereins.

AnwBl 1 / 2007

5

MN

Aufsätze

Ist der deutsche Jurist für die Globalisierung gerüstet?* Rechtsanwalt Dr. Paul Hobeck, Mu¨nchen

Die Juristenausbildung ist – trotz aller Reformversuche in den vergangenen Jahrzehnten – nie aus der Kritik gekommen. Doch was muss ein Jurist heute lernen? Was erwartet die Praxis? Der Autor – Syndikusanwalt in einem weltweit tätigen Unternehmen – hat einen Katalog von Anforderungen erstellt. Der Beitrag zeigt, wie sich die Berufswelt von Juristen gewandelt hat – und was eine zeitgemäße Juristenausbildung leisten muss.1

I. Primärtugend: Wissen Heute ist Veränderung das Beständige in der Arbeitswelt. Dies gilt auch für die Juristen, seien sie in der Justiz, in der Anwaltschaft oder in der Wirtschaft tätig. Veränderungen gab es schon immer. Die Dynamik der Veränderungsprozesse hat aber in den letzten Jahren deutlich an Fahrt gewonnen und erfordert von uns allen ein Höchstmaß an Anschlussfähigkeit, um nicht irgendwann als Verlierer dazustehen. 1. Als ich vor über 30 Jahren mein Studium beendete, zeichnete sich dieser Veränderungsprozess als leichtes Wetterleuchten bereits ab, hatte aber kaum nennenswerte Auswirkungen auf die universitäre Ausbildung oder auf das anschließende Referendariat. Wir, die damaligen Absolventen, waren seinerzeit stolz darauf, eine wissenschaftlich fundierte Ausbildung an der Universität erhalten zu haben und gingen mit großer Neugierde in den zweiten Ausbildungsabschnitt, der uns zum Volljuristen qualifizieren sollte. Große Wahl-/ Abwahlmöglichkeiten im Fächerkanon gab es weder an der Universität noch im Referendariat. Eine Spezialisierung bereits in der Ausbildung war nicht angesagt. Die universitäre juristische Ausbildung war seinerzeit geprägt von der Vermittlung eines sicheren Grundlagenwissens, nämlich 9 der juristischen Methodik eines kritischen und analytischen, problembezogenen und problemlösenden Denkens, 9 der Entscheidungsinstrumentarien, wie sie von Dogmatik und Praxis geformt werden, 9 und der didaktischen Sicherheit, sich über neue Rechtsgebiete einen Überblick zu verschaffen und sich zielgerichtet in sie einzuarbeiten. Diese Fähigkeiten – ich möchte sie heute gerne als die Primärtugenden bezeichnen – halte ich auch heute noch für die zentralen Werte der juristischen universitären Ausbildung. Das wissenschaftlich vertiefte Eindringen in die Rechtsmaterie verleiht Selbständigkeit und Souveränität und somit die Anschlussfähigkeit, die an der gründlichen deutschen Juristenausbildung so geschätzt wurde und auch heute noch geschätzt wird. Und das ist gut so. 2. Die heutigen Absolventen des juristischen Studiums haben sich bewusst oder unbewusst für die Ausbildung zum Volljuristen entschieden. Sie haben mit der ersten Staats6

AnwBl 1 / 2007

prüfung noch nicht einen „berufsfertigen“, d. h. berufsqualifzierenden, Abschluss wie z. B. den eines Diplomjuristen oder eines Wirtschaftsjuristen erlangt. Der eine oder die andere wird dies eventuell bedauern, weil mit dem Referendariat nochmals eine große Kraftanstrengung folgt. Die Hürde des zweiten Staatsexamens ist noch zu meistern. Für ein solches Bedauern besteht aber keinerlei Anlass. Die Erfahrungen der letzten 10 Jahre zeigen deutlich, dass sich ein eigenständiges Berufsbild für Diplom-/ Diplomwirtschaftsjuristen nicht herausgebildet hat, das auch nur annähernd demjenigen des Volljuristen gleich käme. Diplomjuristen streben vor allem in Wirtschaftsunternehmen, um dort im Schwerpunkt kaufmännische Aufgaben wahrzunehmen oder bei der Vertragsgestaltung als Contract Manager, bei der Vertragsabwicklung als Claim Manager tätig zu sein. Dies sind sicher nicht unwichtige Aufgaben. Von dort führt aber kein Weg in die Rechtsabteilung, und der Aufstieg in höhere Positionen wird schwierig sein. Eine gewisse Parallele besteht zu dem anglo-amerikanischen Berufsbild des Para-Legals, einer zuarbeitenden – dienenden – Funktion für Rechtsabteilungen oder zugelassene Attorneys. Für deutsche Verhältnisse mag man eine Parallele bilden zum Rechtspfleger, also zur Tätigkeit im gehobenen Dienst: Unverzichtbar, aber eben ohne Chance des Aufstiegs in den Höheren Dienst. 3. Skeptisch bin ich aus denselben Gründen auch mit den neuen Überlegungen zum Bachelor-/Masterabschluss für Juristen (Stichwort Bologna-Prozess: EU-weite Umstellung aller Studiengänge auf Bachelor-/Masterabschluss). Wenn wir die Anforderungen an die Vermittlung der Primärtugenden in der universitären Ausbildung ernst nehmen und als Herausforderung verstehen, den juristischen Nachwuchs auf Dauer berufsfähig und nicht nur berufsfertig zu machen, kann dies nur zu einer Absage an den Bologna-Prozess für die Juristen führen. Zwar sind die Studiengänge mit staatlichem Abschluss, insbesondere also Medizin, Jura und Lehramt, derzeit von diesem Prozess noch ausgenommen; aber man sollte sich den Anfängen widersetzen. Es ist zweifelhaft, welches Berufsbild sich für den „berufsfertigen“ Bachelor mit seinem Abschluss eignen könnte. Die Parallele zu dem Studiengang Diplom-/Diplomwirtschaftsjuristen drängt sich auf. Zudem stellen sich Fragen nach Auswahlkriterien für die Zulassung zum Masterstudium und zu der – wohl weiterhin erforderlichen – berufspraktischen Ausbildung für die „klassischen“ juristischen Berufe. Solange die Befähigung zum Richteramt Voraussetzung für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs und die Anstellung im Höheren Verwaltungsdienst ist, kann wohl von einem staatlichen Vorbereitungsdienst nicht abgesehen werden. Würde man sich jedoch für eine Änderung dieser Zulassungsvoraussetzung entscheiden, wäre es notwendig, die praktische Ausbildung, d. h. das heutige Referendariat nach Berufssparten durchzuführen. Der deutsche Einheitsjurist würde wieder auf dem Prüfstand stehen und die Diskussion zum Einheitsjuristen wieder aufleben. Ich glaube nicht, dass wir den Einheitsjuristen aufgeben sollten. Allerdings: Unter dem Dach des Einheitsjuristen erscheinen mir neue und verstärkte Schwerpunktbildungen als sehr sinnvoll. Dabei sollte sicher berücksichtigt werden, dass künftig nur noch wenige Juristen mit spezifisch innerdeut*

Der Beitrag geht auf einen Vortrag auf der Absolventenfeier 2005 der Juristischen Fakultät der Friedrich Alexander Universität Erlangen-Nürnberg zurück. Die Vortragsform ist beibehalten worden.

Ist der deutsche Jurist f r die Globalisierung ger stet?, Hobeck

MN

Aufsätze

schen Fragen beschäftigt sein werden. Die deutschen Juristen müssen sich darauf einstellen, dass sie in einem immer mehr von der EU geprägten Rechtsrahmen arbeiten werden; dazu kommt für den modernen Wirtschaftsverkehr die Internationalisierung/Globalisierung. 4. Kommen wir zurück zu den juristischen „Primärtugenden“ der Rechtskenntnis und des kritischen, analytischen Denkens. In der Referendarzeit werden die Primärtugenden weiter entwickelt und in der Praxis erprobt. Mehr als bisher wird dann die Arbeit am Sachverhalt wichtig sein. „Da mihi factum, dabo tibi ius“, sagt der Richter: Geben Sie mir die Entscheidungsgrundlage, dann gebe ich Ihnen die Rechtsentscheidung. Die Wenigsten von Ihnen werden als Richter arbeiten; nach der heutigen Statistik werden 70 % von Ihnen als Rechtsanwälte oder Wirtschaftsjuristen tätig sein. Jedenfalls für diese ist die analytische, kritische Arbeit am Sachverhalt zentraler Teil des Berufs. Wir sind in unserer täglichen Arbeit immer wieder erstaunt, wie schwer es z. B. den Technikern/Naturwissenschaftlern fällt, einen entscheidungserheblichen Sachverhalt herauszuarbeiten und prägnant darzustellen. Dies kann nicht daran liegen, dass Techniker/ Naturwissenschaftler nicht streng logisch zu denken verstünden. Die Arbeit am Sachverhalt und dessen überzeugende Darstellung setzen aber eine gleichsam andere Logik voraus, die offensichtlich besonders durch die juristische Ausbildung erworben werden kann. Im zweiten Ausbildungsabschnitt werden die angehenden Volljuristen verstärkt lernen müssen, auch komplexe Lebenssachverhalte, die streitig vorgetragen werden, auf ihren juristischen Kerngehalt zu ergründen. Die gründliche Sachverhaltsaufbereitung ist das A und O einer fundierten Rechtsentscheidung. Gehen Sie mit großer Neugierde an diese Arbeit, hinterfragen Sie permanent die Ausführungen der Gegenseite (aber auch des eigenen Mandanten) und Ihre eigene Position. Seien Sie insoweit ein ungläubiger Thomas, um der Wahrheit näher zu kommen. Das dialektische wissenschaftliche Handwerkszeug der Jurisprudenz hierfür haben Sie bereits erworben. Nutzen Sie die Zeit und stellen Sie sich nicht immer die Frage nach der Examensrelevanz, wenn Sie über den Tellerrand hinaus schauen sollten, schauen könnten.

II. Sekundärtugend: Können Dies bringt mich zu den Sekundärtugenden. Auf diese sollten Sie sich auch schon während der Referendarzeit konzentrieren. Dazu passt ein Gedicht von Erich Kästner: Wissen ist Macht, Wie schief gedacht. Wissen ist wenig, Können ist König. Das ist vielleicht etwas überpointiert. Sie werden für einen juristischen Beruf schon auch ein gediegenes juristisches Wissen brauchen. Aber es lenkt den Blick auf die wichtige Frage, welche Qualifikationen Sie zusätzlich beherrschen müssen, um in Ihrem Beruf erfolgreich zu sein. 1. Die erste Sekundärtugend ist das Formulieren von Verträgen. Eine hohe juristische Kunst, leider wenig geübt in der Ausbildung, aber unverzichtbar im späteren Beruf. Vertragswerke von vielen hundert Seiten sind insbesondere im Großanlagengeschäft und bei Joint Venture-VerträIst der deutsche Jurist f r die Globalisierung ger stet?, Hobeck

gen oder Gesellschaftsgründungen keine Seltenheit. Der Vertrag ist das wichtigste rechtliche Instrument im Wirtschaftsverkehr, trotzdem wird das Entwerfen und Ausarbeiten von Verträgen heute so gut wie nicht gelehrt. Das Anwaltsinstitut der Fakultät füllt hierbei eine große Lücke, und es ist zu hoffen, dass die Resonanz durch die Studierenden deutlich ansteigen wird. Als ich vor nunmehr 30 Jahren nach der Referendarzeit in das Berufsleben eintrat, war die Rechtsabteilung ganz überwiegend mit deutschsprachigen Verträgen, denen deutsches Recht zugrunde lag, beschäftigt. Dies hat sich sehr grundlegend geändert. Heute steht das Exportgeschäft im Vordergrund, nicht nur bei großen, sondern auch bei mittelständischen Unternehmen. Im Exportgeschäft gelingt es uns fast nie, ausländische Kunden davon zu überzeugen, dass sie ihren Verträgen mit uns deutsches Recht zugrunde legen sollen. In aller Regel müssen wir das Recht des Kundenlandes akzeptieren – was in erster Linie bedeutet, dass unsere Lieferverträge umfassend und gut gestaltet sein müssen. 2. Und diese Verträge sind nicht deutschsprachig, sondern – meistens – englischsprachig. Die zweite Sekundärtugend besteht deshalb in der Beherrschung von Fremdsprachen. Zu Beginn meiner Berufstätigkeit wurde bei Bewerbungen nach Sprachkenntnissen nicht gefragt; wer vom Humanistischen Gymnasium kam, hatte meist nur bescheidene Englischkenntnisse anzubieten. Dies könnte heute nicht mehr geschehen, da alle Kolleginnen und Kollegen, die bei uns eingestellt werden, die heutige „Lingua Franca“, d. h. Englisch, beherrschen müssen. Die universitäre Ausbildung hat richtigerweise die Sprachausbildung in den Pflichtkursen aufgenommen. Weniger zu den Sekundärtugenden als zu den Selbstverständlichkeiten gehört die Beherrschung der deutschen Sprache. Die Sprache ist das wichtigste Instrument des Juristen. Umso erstaunlicher ist es, wie häufig wir Bewerbungen bekommen, die bemerkenswerte Schwächen in der Grammatik oder Orthographie erkennen lassen. Anscheinend sind die Verfasser sich nicht darüber im Klaren, wie aufmerksam sprachliche Fehler zur Kenntnis genommen werden, und wie nachteilig sie sich auf die Beurteilung des Verfassers auswirken. Erstaunlich häufig ist im Übrigen auch bei juristischen Ausarbeitungen eine eher schlichte Umgangssprache anzutreffen. Ob dies allein mit dem heutigen allgemeinen Gebrauch des e-Mail-Verkehrs zusammenhängt, möchte ich nicht vertiefen. Auffallend wenig wird anscheinend darüber nachgedacht, wie die eigene Aussage auf den Empfänger wirkt. 3. Die dritte Sekundärtugend betrifft den Bereich Verhandlung, Rhetorik, Präsentation. In diesem Bereich sind die deutschen Juristen den anglo-amerikansichen Juristen deutlich unterlegen. Vielleicht konzentriert sich die Ausbildung amerikanischer Juristen etwas zu sehr auf die äußere Form und die Darstellung; umgekehrt kommt sie bei der Ausbildung der deutschen Juristen aber deutlich zu kurz. Ich kann Sie nur ermutigen, Ausbildungsangebote wie Verhandlungsseminare und die ausgezeichnete Literatur wie die Veröffentlichungen von Haft und Risse intensiv zu nutzen. Zum Verhandeln gehört die Moderation, die Vermittlung, die Schlichtung. Auch dabei sollte es sich um eine Kernkompetenz der Juristen handeln. Der Anwalt, der seine AnwBl 1 / 2007

7

MN

Aufsätze

wichtigste Aufgabe im kunstvollen Prozessieren sieht, hat jedenfalls heute seinen Beruf grundlegend missverstanden. In der Anwaltspraxis kommt nur ein geringer Prozentsatz aller Mandate vor Gericht; die meisten Streitigkeiten werden außergerichtlich beigelegt. Der moderne, erfolgreiche Anwalt wird deshalb mit den modernen Methoden der außergerichtlichen Streitbeilegung vertraut sein müssen. Dazu gehört als ein wichtiges Instrument die Mediation. Insoweit ist beachtlich, dass als Minimalkonsens bei der Diskussion um die Große Justizreform derzeit die Verstärkung der Mediation (also der einvernehmlichen Streitbeilegung mit Hilfe eines Dritten anstelle einer Streitentscheidung durch das Gericht) festgelegt wurde. Dazu bedarf es besonderer Fähigkeiten, die es zu erlernen gilt. Als Grundfertigkeit gehört dazu, dass man die Verhandlungstechniken nach dem Harvard-Konzept verstanden hat und beherrscht. Nur wer auf die Interessenslage der streitenden Parteien hinter den Streitpositionen eingeht, kann eventuell bestehende Möglichkeiten nutzen, die Parteien zu einem Kompromiss hinzuführen. Das Thema Mediation ist dabei nicht auf die klassischen Konfliktfelder Arbeitgeber/Arbeitnehmer oder familienrechtliche Auseinandersetzungen beschränkt, sondern hilfreich bei allen Wirtschaftskonflikten. Wir führen derzeit drei größere Mediationsverfahren mit Gegenstandswerten zwischen 50–500 Mio. Euro durch. Hierzu bedarf es aber einer besonderen Ausbildung. Der Deutsche Anwaltverein bietet – neben vielen anderen Institutionen – hierzu Kurse über die Deutsche Anwaltakademie an. 4. Bei diesen Sekundärtugenden geht es weniger um das Wissen als um das Können. Beides ist erlernbar. Zugegeben: Im Studium sind die Angebote, die auf das Können ausgelegt sind, noch ausbaufähig. Noch immer scheint mir der Fokus auf zu viel an reiner Wissensvermittlung zu liegen, obwohl fundiertes Grundlagenwissen genüge sein könnte. Treffend hat dieses Phänomen der ehemalige Leiter des Bayerischen Landesjustizprüfungsamtes, Professor Kaufmann in einem Festvortrag vor über 10 Jahren bei den Atzelsberger Gesprächen zur 250-Jahr Feier der Juristischen Fakultät der Universität ErlangenNürnberg formuliert: „Wer seinen Rucksack mit ein paar Zentnern Entscheidungssammlungen und ebensoviel peripherem Einzelwissen volllädt, braucht sich nicht zu wundern, wenn er ins Keuchen kommt oder zusammenbricht. Ob hierfür die angebliche Stofffülle, die Explosion der Gesetzgebung, der so oft amorphe Charakter der Einzelgesetze, wissenschaftliche Überinterpretation oder zu viel Bemühen um Einzelfallgerechtigkeit verantwortlich sind, mag offen bleiben. Jedenfalls sind aber die Universitäten gefordert, dem entgegenzuwirken und Grundsatz, Struktur und Methode noch mehr in den Vordergrund zu rücken.“ Darüber hinaus scheint mir, dass Dogmatik zu fachgebunden gelehrt und die Verbindungslinien zu parallelen oder auch konträren Erscheinungen in anderen Rechtsbereichen zu wenig betont, also „die Einheit der Rechtsordnung“ zu wenig auf die zentrifugalen und zentripetalen Kräfte untersucht werden. Nur wer die hinter den einzelnen fachgebundenen Fächern liegenden grundsätzlichen rechtlichen Strukturelemente erkennt, kann diese im Sinne einer juristischen Differentialprognose auch für andere Rechtsgebiete, andere ausländische Rechtssysteme nutzen. Um es noch einmal deutlich zu machen: Das juristisch-wissenschaftliche Handwerkszeug muss beherrscht werden, um sich der verändernden Umwelt schnell anpassen zu können. 8

AnwBl 1 / 2007

Die Lehre muss sich aber neben der Vermittlung dieser Primärtugenden auch verstärkt um die Sekundärtugenden bemühen. Hier ist immer wieder festzustellen, dass die deutsche Ausbildung sich zu stark auf die Schriftlichkeit konzentriert und die Fertigkeit, ein Rechtsgespräch, eine Disputation zu führen, zu wenig gelehrt wird. Erfreulich ist, dass die juristische Fakultät dieses erkannt hat und im Rahmen ihres Anwaltsinstitutes seit zwei Jahren Rhetorik- und Verhandlungskurse anbietet. Das Angebot wird mit steigendem Interesse von der Studentenschaft auch angenommen. Insoweit ist zu hoffen, dass die Klagen des Bonner Staatsrechtsrechtlers und Verfassungsrichters Udo di Fabio: „Selbst vor dem Bundesverfassungsgericht plädieren manche Juristen ohne rhetorisches Talent“, bald der Vergangenheit angehören.

III. Wie Primär- und Sekundärtugenden zusammenhängen Wenn Sie die Primärtugenden nicht vergessen und sich in den Sekundärtugenden üben, werden Sie gut gerüstet für die Globalisierung sein. Worauf begründet sich diese eindeutige Antwort? Unsere wissenschaftliche Ausbildung an der Universität genießt auch heute noch einen exzellenten Ruf und gibt uns mit dem zweiten Ausbildungsabschnitt zum Volljuristen/ Einheitsjuristen mit dem Abschluss „Befähigung zum Richteramt“ in der Welt ein Alleinstellungsmerkmal, um das wir beneidet werden. Aber auch innerhalb der Berufsgruppe der Juristen gibt es uns die Sicherheit, dass sich alle wegen der gleichen Ausbildung auf gleicher Augenhöhe bewegen. Insoweit kann ich nur warnen, ohne Not und ohne zwingende Gründe dieses Alleinstellungsmerkmal unserer heutigen Ausbildung in Frage zu stellen. Bei unserer letzten Rechtsabteilungstagung hatten sich 320 Juristen aus 33 Ländern in Würzburg versammelt, um gemeinsame Rechtsthemen des globalisierten Wirtschaftsverkehrs zu erörtern. Deutsche Rechtsfragen spielten hierbei keine Rolle mehr, rechtssystemübergreifende Themen und die Andersartigkeit, in fremden Jurisdiktionen mit Rechtsproblemen umzugehen, standen im Vordergrund. Hierbei ist das Können gefordert, mit dem erlernten Handwerkszeug Wirkweisen sowie Regelungsmechanismen anderer Systeme zu begreifen und nutzbringend für den eigenen Mandanten einzusetzen. Seien Sie also wach, neugierig, kritisch und selbstkritisch, lernbereit. Vergessen Sie das Wissen nicht, und verbessern Sie Ihr Können. Dann werden Sie keine Schwierigkeiten haben, sich in der modernen, globalisierten, sich schnell ändernden Umwelt erfolgreich als deutsche Juristen zu behaupten. Dann können Sie der König werden, dessen Können Erich Kästner beschworen hat. Dr. Paul Hobeck, M nchen

Der Autor ist Rechtsanwalt. Er ist als Syndikusanwalt f r die Siemens AG in der Funktion des General Counsel t tig.

Ist der deutsche Jurist f r die Globalisierung ger stet?, Hobeck

MN

Aufsätze

Spartenausbildung und die Freiheit des Berufszugangs Zur Vereinbarkeit des DAV-Spartenmodells in der Juristenausbildung mit Art. 12 GG* Rechtsreferendar Matthias Hucke, Berlin

Der Deutsche Anwaltverein schlägt ein Anwaltsreferendariat im Anschluss an das juristische Studium vor. Anders als das bisherige generalistisch ausgelegte Referendariat soll das Anwaltsreferendariat gezielt auf den Beruf des Rechtsanwalts vorbereiten. Ausgebildet soll aber nur der Jurist werden, der auch einen Ausbildungsplatz in einer Kanzlei findet. Der Beitrag untersucht, ob ein solches Spartenmodell mit Art. 12 GG vereinbar ist.

A. Anlass und Gegenstand Anlass und Gegenstand der gutachtlichen Stellungnahme sind die Vorschläge des Deutschen Anwaltvereins zur Reform des juristischen Vorbereitungsdienstes durch Einrichtung einer gesonderten Anwaltausbildung und weiterer Ausbildungsgänge (Spartenausbildung).1 Danach soll die bisherige staatliche Ausbildung, die erst nach dem zweiten Staatsexamen eine berufsspezifische Aufteilung der bis dahin erfolgten Einheitsausbildung vorsieht, durch die Einrichtung getrennter Ausbildungsgänge des juristischen Vorbereitungsdienstes ersetzt werden. I. Dreiteilung des Referendariats Die Vorschläge sehen insbesondere die Dreiteilung des Referendariats in ein Justizreferendariat (mit dem Ziel der Befähigung zum Richteramt), ein Verwaltungsreferendariat (mit dem Ziel der Befähigung zum höheren Verwaltungsdienst) und ein Anwaltsreferendariat (mit dem Ziel der Befähigung zur Ausübung des Berufs des Rechtsanwalts und Notars) vor. Zum juristischen Vorbereitungsdienst wird nur zugelassen, wer einen entsprechenden Ausbildungsplatz nachweisen kann; ein Anspruch auf einen Ausbildungsplatz besteht jedenfalls im Anwaltsreferendariat nicht. Das Ausbildungsverhältnis in der praktischen Ausbildung ist privatrechtlicher Natur und besteht zwischen der Ausbildungsstelle (Rechtsanwalt oder Rechtsanwältin) und dem Anwaltsreferendar bzw. der Anwaltsreferendarin. II. Ziel der Reformvorschläge Ziel dieser Reformvorschläge ist, die quantitativen Probleme der derzeitigen Ausbildungssituation sowie qualitative Defizite des Vorbereitungsdienstes zu lösen. Durch Überantwortung der Ausbildung der zukünftigen Anwaltschaft auf die tätigen Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen und durch Fixierung der praktischen Ausbildungsinhalte durch ein entsprechendes Curriculum sowie die Ausrichtung der theoretischen Ausbildung auf die Anforderungen des Anwaltsberufes soll die qualitative Diskrepanz zwischen Berufsausbildung und Berufserwartung geschlossen werden. Die Prüfungsanforderungen sollen insgesamt erhöht werden. Spartenausbildung und die Freiheit des Berufszugangs, Hucke

Darüber hinaus soll die Überschwemmung der Anwaltschaft und damit letztlich des Rechtsmarktes mit nicht oder schlecht auf den Beruf vorbereiteten Junganwälten durch die Selbstregulierung anhand des tatsächlichen Nachwuchsbedarfes und mittels Öffnung eines Ausbildungsmarktes verhindert werden. Dies soll dem Schutz des Rechtssuchenden und damit der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege insgesamt dienen.

B. Gutachtliche Stellungnahme I. Vereinbarkeit des Spartenmodells in der Juristenausbildung mit dem Grundgesetz 1. Gesetzliche Grundlagen Zur Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der vorgesehenen Spartenausbildung im juristischen Vorbereitungsdienst ist auf die Vorschriften des E-BRAusbiG2 sowie auf die entsprechend zu ändernden Rahmenvorschriften des Deutschen Richtergesetzes (DRiG) und entsprechend der Normenhierarchie auf die jeweiligen Ausbildungs- und Prüfungsordnungen für Juristinnen und Juristen (JAO) abzustellen. 2. Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht, hier Verfassungsrecht Bei der Frage nach der Vereinbarkeit der Spartenausbildung mit dem Grundgesetz kommen die Grundrechte der Absolventen des ersten juristischen Staatsexamens und den somit potentiellen Teilnehmern des juristischen Vorbereitungsdienstes in Betracht. Betroffene Grundrechte können die allgemeine Handlungsfreiheit nach Artikel 2 Abs. 1 GG und als speziellere Norm die Berufsfreiheit gemäß Artikel 12 Abs. 1 GG sein. a) Berufsfreiheit, Artikel 12 Abs. 1 GG aa) Schutzbereich der Berufsfreiheit Die Berufsfreiheit schützt die Teilaspekte der Berufswahl und der Berufsausübung. Zur Berufswahlfreiheit gehört unter anderem die Entscheidung, einen bestimmten Beruf wählen zu können. Die Ausübung eines Berufes betrifft die gesamte berufliche Tätigkeit, d. h. Form, Mittel, Umfang und Inhalt. Daneben schützt Artikel 12 Abs. 1 GG über den Wortlaut hinaus die gesamte Freiheit der berufsbezogenen Ausbildung.3 Die Berufsfreiheit gilt grundsätzlich auch für Berufe, die im öffentlichen Dienst ausgeübt werden.4 Allerdings ist hier Artikel 33 Abs. 4, 5 GG zu beachten, der Sonderregelungen ermöglicht. Die Berufsfreiheit erstreckt sich immer auch auf öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse, die zugleich Berufsausbildung im Sinne des Artikels 12 Abs. 1 GG sind, wie beim Vorbereitungsdienst des Rechtsreferendars.5 *

Der Beitrag beruht auf einer gutachtlichen Stellungnahme für den Deutschen Anwaltverein.

1

Vgl. Entwurf eines Bundesrechtsanwaltausbildungsgesetzes (BRAusbiG) in diesem Heft ab Seite 45, s. auch Vorschläge des Deutschen Anwaltvereins zur Reform des juristischen Vorbereitungsdienstes durch Einrichtung einer gesonderten Anwaltsausbildung und weiterer Ausbildungsgänge (Spartenausbildung) in der Fassung vom 23. September 2004. Im Internet unter http://www.anwaltverein.de/ anwaltausbildung/modell.pdf. Der Entwurf des Deutschen Anwaltvereins für ein Gesetz zur Einführung der Spartenausbildung in der Juristenausbildung (E-BRAusbiG) findet sich in diesem Heft ab Seite 45. Jarass/Pieroth, Kommentar zum GG, 7. Auflage 2004, Artikel 12 Rn. 70. BverfGE 7, 377, 397 f. – Apothekenurteil.. BverfGE 37, 342, 352 ff.

2

3 4 5

AnwBl 1 / 2007

9

MN

Aufsätze

Wegen der Bedeutung des Berufes für die Persönlichkeit des Menschen und dessen sozialen Status, ist außerdem der enge Zusammenhang der Berufsfreiheit zu den Artikeln 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG zu beachten.6 bb) Eingriff in den Schutzbereich der Berufsfreiheit durch die Spartenausbildung Die Aufteilung des juristischen Vorbereitungsdienstes in beruflich relevante Sparten stellt einen unmittelbaren Eingriff in die Berufsfreiheit der Betroffenen dar. (1) Unmittelbarer Eingriff Der erfolgreiche Hochschulabgänger des rechtswissenschaftlichen Studiums muss sich vor Beginn des juristischen Vorbereitungsdienstes für eine Ausbildungssparte entscheiden, die auch für den späteren Berufsweg maßgebend ist. Die Ausbildung des Rechtsreferendars oder der Rechtsreferendarin zum sogenannten „Einheitsjuristen“, der mit Abschluss des zweiten Staatsexamens grundsätzlich alle Berufe eines Volljuristen ergreifen kann und nur durch Faktoren der Kapazität und des Stellenmarktes begrenzt ist, fällt damit in der jetzigen Form weg. Die erstrebte Berufsausbildung – jedenfalls in Hinsicht auf den Anwaltsberuf – bedarf des Nachweises eines Ausbildungsplatzes. Einen Anspruch auf einen solchen Ausbildungsplatz, wie er im derzeitigen System des öffentlich-rechtlich ausgestalteten Vorbereitungsdienstes als Teilhabeanspruch besteht, gibt es nicht. Damit sind materielle und nicht als Teilhabeanspruch ausgestaltete Voraussetzungen der Zulassung zum Anwaltsberuf ein Ausbildungsplatz und die Ausbildung bei einem Rechtsanwalt bzw. einer Rechtsanwältin. Hinzu kommt, dass durch die Festlegungen des Spartenmodells Berufsbilder fixiert werden, etwa die des Anwaltsjuristen und Verwaltungsjuristen, die es in der jetzigen Form nicht gibt. Weil die staatlich fixierten Berufe nur in der gesetzlich festgelegten Form wahrgenommen werden können, greifen solche Fixierungen regelmäßig in den Schutzbereich der Berufsfreiheit ein.7 Die Aufteilung des juristischen Vorbereitungsdienstes in Sparten und die daraus folgende Fixierung spartenbezogener Berufe sowie das Erfordernis einer Anwaltsausbildung und eines entsprechenden Ausbildungsplatzes als Zulassungsvoraussetzungen zum Anwaltsberuf stellen eine Beeinträchtigung der in Artikel 12 Abs. 1 GG verbürgten Berufsfreiheit dar. Als hoheitliche Maßnahme, die in generell regelnder Art für den Adressaten die Abwehrkomponente des Grundrechts berührt, handelt es sich um einen unmittelbar wirkenden Eingriff. (2) Eingriff in die Berufswahlfreiheit Die Vorgaben des Spartenausbildungsmodells stellen einen unmittelbaren Eingriff in die Berufswahlfreiheit der geprüften Rechtskandidaten dar. Berufswahl und Berufsausübung sind zwei Teilaspekte der einheitlichen Berufsfreiheit und oftmals nur schwer voneinander zu trennen.8 Beide Bereiche bezeichnen vielmehr sich berührende und ineinander übergehende Phasen einer einheitlichen Freiheitsgewährleistung. Ebenso verhält es sich mit der Freiheit berufsbezogener Ausbildung, die mit der Wahl des Berufs einhergeht und Voraussetzung der Berufsausübung ist.9 10

AnwBl 1 / 2007

Berufsausübungsregelungen beziehen sich vor allem auf die Bedingungen und Modalitäten, unter denen sich die berufliche Tätigkeit vollzieht.10 Beschränkungen, welche die Zulassung zu dem erstrebten Beruf zum Gegenstand haben, betreffen dagegen die Berufswahl. In der Spartenausbildung sind die Ausbildung bei einem Anwalt und der Nachweis eines entsprechenden Ausbildungsplatzes materielle Hürden der Zulassung zum Anwaltsberuf. Sie stellen daher eine die Berufswahl betreffende Zulassungsbeschränkung dar. Die in Frage stehenden Belastungen finden zwar vorliegend bereits in der Phase der Berufsausbildung statt, der Schwerpunkt ihrer Wirkung liegt aber vor allem in der Festlegung des weiteren Berufsweges und damit in der Berufswahl des Betroffenen. (3) Subjektive Zulassungsbeschränkung Die Berufswahlbeschränkungen der Spartenausbildung sind subjektive Zulassungsvoraussetzungen für den Anwaltsberuf. Sie knüpfen an die persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten des Berufsanwärters an, die nur durch eine Ausbildung bei einem Anwalt respektive die vorherige Erlangung eines entsprechenden Ausbildungsplatzes erlangt werden können. Ob der Betreffende auf diese Eigenschaften Einfluss hat, ist für subjektive Zulassungsbeschränkungen nicht entscheidend.11 Zu den subjektiven Zulassungsvoraussetzungen, die Teil der rechtlichen Ordnung eines Berufsbildes sind, zählt klassischerweise eine vorgeschriebene Ausbildung.12 Objektive Zulassungsvoraussetzungen beschränken dagegen den Zugang zum Beruf, indem sie an Bedingungen anknüpfen, die mit der persönlichen Qualifikation des Berufsanwärters nichts zu tun haben und auf die er keinen Einfluss nehmen kann.13 Solche objektiven Zulassungsvoraussetzungen sind insbesondere die Bedürfnisprüfung und die Festsetzung einer Höchstzahl von Berufsangehörigen. Beides wird mit den Regelungen der Spartenausbildung grundsätzlich jedoch nicht vollzogen. Eine obligatorische Prüfung eines entsprechenden Bedürfnisses von staatlicher Seite vor Zulassung zum Anwaltsreferendariat oder später zum Anwaltsberuf selbst findet gerade nicht statt. Die Regulierung des Bedürfnisses wird im Gegenteil dem freien Markt überantwortet, auf den der Staat nur geringe Einflussmöglichkeiten hat. Daher kann auch von einer staatlichen Kontingentierung der Ausbildungsplätze oder der Anwaltszulassung keine Rede sein. Staatliche Maßnahmen im Rahmen von subjektiven Zulassungsvoraussetzungen können sich aber als objektive Berufswahlbeschränkungen darstellen, wenn sie sich ihrer Intensität nach faktisch wie solche auswirken.14 Übersteigt daher die Anzahl der Bewerber die Zahl der vorhandenen Ausbildungsplätze deutlich und dauerhaft, kann die subjek-

6 7 8 9 10 11 12 13 14

BVerfGE 7, 377, 397, mit der Betonung des Bezugs der Berufsfreiheit „zur Persönlichkeit des Menschen im ganzen“. BVerfGE 21, 173, 180 f.; 75, 246, 266 f. BVerfGE 7, 377, 402. Dazu BVerfGE 33, 303, 329 f.; 58, 257, 273. Jarass/Pieroth, aaO Rn 20 a. Umbach in: Umbach/Clemens, Kommentar zum GG, 2002, Artikel 12 Rn. 85. Wieland, in: Dreier, Kommentar zum GG, 1996, Artikel 12 Rn. 75. BVerfGE 7, 377, 406. Scholz, in: Maunz/Dürig/Herzog, Kommentar zum GG, Artikel 12 Rn 335.

Spartenausbildung und die Freiheit des Berufszugangs, Hucke

MN

Aufsätze

(2) Verhältnismäßigkeit des Spartenmodells als Eingriff in die Berufsfreiheit Der Eingriff in den Schutzbereich des Artikels 12 Abs. 1 durch Einführung der Spartenausbildung im juristischen Vorbereitungsdienst ist auch verhältnismäßig in der Erreichung des legitimen Zweckes.

Ziel und Inhalt der Ausbildung des Vorbereitungsdienstes, „die Berufsausübung insbesondere als Anwalt, Richter, Staatsanwalt und Verwaltungsbeamter [...] kennenzulernen“. Diese Gleichrangigkeit der verschiedenen Ausbildungsziele entspricht jedoch nicht der tatsächlichen Situation auf dem juristischen Arbeitsmarkt und insbesondere der Situation der Absolventen des zweiten Staatsexamens als Berufsanfänger. Während im Bereich der Justiz und dem öffentlichen Dienst nur ca. 10 % der Absolventen einen Arbeitsplatz finden können, werden 75–80 % Anwälte bzw. müssen diesen Berufsweg mangels Stellenalternativen einschlagen (die restlichen Absolventen finden einen Arbeitsplatz in der freien Wirtschaft). Die große Mehrheit der ausgebildeten Juristen kann die Ausbildungsziele der Befähigung zu Tätigkeiten in Justiz und Verwaltung daher gar nicht verwirklichen. Dennoch müssen sie sich die dafür erforderlichen Fähigkeiten im Vorbereitungsdienst aneignen. Wegen der Justizlastigkeit der Prüfungsanforderungen führt die Einheitsausbildung außerdem dazu, dass sich die Lernbemühungen der Referendare weitgehend auf justizbezogene Inhalte konzentrieren. So fokussieren die meisten in der Regel ihre Lernanstrengungen auf das Erzielen eines guten Examensergebnisses. Dazu wird oft genug die Ausbildungszeit der Anwaltsstation für die Vorbereitung auf das zweite Staatsexamen verwendet – das sogenannte „Tauchen“ – zum Teil sogar zu 100 %, was auch auf das Fehlen eines verbindlichen Curriculums zurückzuführen ist. Diese Praxis geht auf Kosten der Berufsvorbereitung zum Anwaltsberuf. Nicht zuletzt weil die Berufswahlentscheidung bis zum Ende des juristischen Vorbereitungsdienstes hinausgezögert werden kann, fehlen das Bewusstsein und die Bereitschaft der Referendare zu einer praxisnahen Ausbildung. Zudem mangelt es an einer verbindlichen Festschreibung der praktischen Ausbildungsinhalte, so dass eine einheitliche Ausbildung zum Beruf des Rechtsanwaltes nicht gewährleistet ist, sondern vom Engagement und der Ausbildungsbereitschaft der jeweiligen Kanzlei abhängt, in der die Anwaltstation abgeleistet wird. Auch folgen die anwaltsbezogenen theoretischen Inhalte im juristischen Vorbereitungsdienst nur unzureichend den Anforderungen des tatsächlichen Berufes. Kenntnisse, die der Arbeit als selbständiger oder angestellter Rechtsanwalt in der täglichen Praxis neben den materiellrechtlichen Inhalten abverlangt werden, werden kaum oder gar nicht vermittelt, so etwa die Bereiche der Mediation und Streitbeilegung, rhetorische Fähigkeiten und Verhandlungstechniken, Prozesstaktik, Buchführung und Steuern, Gründung einer oder Eintritt in eine Anwaltskanzlei sowie Unternehmensführung.

(a) Spartenmodell als erforderliches Mittel zum Schutz der Gemeinschaftsgüter Die bisherige staatliche Juristenausbildung folgt in ihrer Konzeption einer einheitlichen Ausbildung zum Volljuristen, der mit dem Erwerb des zweiten Staatsexamens grundsätzlich alle juristischen Berufe ausüben kann. Die Ausbildung ist trotz der Reform der Juristenausbildung aus dem Jahr 200220 mit der Verlängerung der Anwaltsstation auf neun Monate gleichermaßen auf die Befähigung zu Tätigkeiten in der Justiz, insbesondere zum Richteramt und dem Beruf des Staatsanwalts, und zu Berufen des höheren Verwaltungsdienstes und des Anwaltsberufes ausgelegt. Nach § 9 etwa des Berliner Gesetzes über die juristische Ausbildung21 ist

15 Vgl. Stufentheorie des Bundesverfassungsgerichts, BVerfGE 7, 377, 399 ff.; 54, 237, 246. 16 BVerfGE 7, 377 ff.; 25, 1, 12. 17 Vgl. BverGE 13, 97, 107 zum Handwerk. 18 Zu Beispielen für durch die Rechtsprechung bisher bestätigten überragend wichtigen Gemeinschaftsgüter vgl. etwa BVerfGE 7, 377, 414 (Volksgesundheit); 21, 245, 251 (Minderung der Arbeitslosigkeit); 40, 196, 218 (Bestand, Funktionsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit der Bahn); BGHZ 57, 237, 240 (Stellung des Rechtsanwalts als unabhängiges Rechtspflegeorgan). 19 BVerfGE 13, 97, 107: „Der Gesetzgeber kann auch Gemeinschaftsinteressen zum Anlaß von Berufsregelungen nehmen, die ihm nicht in diesem Sinne ’vorgegeben’ sind, die sich vielmehr erst aus seinen besonderen wirtschafts-, sozial- und gesellschaftspolitischen Vorstellungen und Zielen ergeben, die er also erst selbst in den Rang wichtiger Gemeinschaftsinteressen erhebt.“ 20 Gesetz zur Reform der Juristenausbildung vom 11.7.2002, BGBl. I, 2592. 21 Gesetz über die juristische Ausbildung in der Fassung vom 4.11.1993, zuletzt geändert durch Gesetz vom 4.7.2002 (GVBl. S. 188).

tive Zulassungsvoraussetzung auch als objektive Berufswahlregelung zu qualifizieren sein. Denn dann würde den Berufsbewerbern durch die Regelungen des Spartenmodells eine zahlenmäßige Grenze bei der Berufswahl gesetzt. cc) Rechtfertigung des Eingriffs in die Berufsfreiheit Über seinen Wortlaut hinaus, gilt der Schrankenvorbehalt des Artikels 12 Abs. 1 Satz 2 GG für die gesamte Berufsfreiheit.15 Eine hinreichend bestimmte gesetzliche Regelung vorausgesetzt, orientiert sich die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Berufsfreiheit an der Stufe dieses Eingriffs.16 (1) Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter Der hier erfolgende Eingriff auf der Stufe der subjektiven Wahlregelung ist zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter zulässig. Als wichtige Gemeinschaftsgüter werden mit der Spartenausbildung die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege durch Wahrung des Leistungsstandes der Anwaltschaft und der Verbraucherschutz des Rechtssuchenden gewährleistet. Die Erhaltung und Pflege eines hohen Leistungsstandes ist bereits für andere Berufszweige höchstrichterlich als wichtiges Gemeinschaftsgut bestätigt worden.17 Und ebenso wie die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege als solche und der Verbraucherschutz handelt es sich als allgemein anerkannte Interessen der Gemeinschaft nicht nur um wichtige Rechtsgüter, die zur Rechtfertigung von Eingriffen in die Berufsfreiheit dienen können. Eine ausreichend ausgebildete Anwaltschaft ist vielmehr für die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege unverzichtbar und stellt ebenso wie diese ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut dar, das selbst zur Rechtfertigung objektiv wirkender Zulassungsbeschränkungen herangezogen werden kann.18 Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber in der Bestimmung wichtiger Gemeinschaftsgüter weitgehend frei ist. Er hat insofern eine Einschätzungs- und Gestaltungsprärogative; eine gerichtliche Überprüfung ist nur auf offensichtliche Fehler beschränkt.19 Und auch hinsichtlich der Bewertung drohender Gefahren für die Gemeinschaftsgüter steht dem Gesetzgeber ein an den vorhandenen Fakten orientierter Prognosespielraum zu.

Spartenausbildung und die Freiheit des Berufszugangs, Hucke

AnwBl 1 / 2007

11

MN

Aufsätze

Die Zahl der zugelassenen Anwälte hat sich seit 1990 (56.938) mehr als verdoppelt; im Jahr 2006 waren 138.131 Zulassungen registriert. Jährlich steigt die Zahl der zugelassenen Anwälte um ca. 6.000 netto; dies entspricht einem Wachstum von 4 % pro Jahr. Vor allem junge Juristen machen sich nach Abschluss des zweiten Examens selbständig, weil der Nachwuchsbedarf in bestehenden Anwaltspraxen weit hinter dem jährlich wachsenden Angebot zurückbleibt. Diese Junganwälte können somit auch nicht Versäumnisse in der Ausbildung durch das Sammeln von Erfahrungen in einer Kanzleigemeinschaft nachholen. Gerade der Qualifikation dieser Teile der Anwaltschaft dient das Spartenmodell durch eine auf den Beruf zugeschnittene und schwerpunktgerechte Ausbildung zur Sicherung des Leistungsstandes der Gesamtheit. Entscheidend ist letztlich, dass die Komplexität des Anwaltberufes und seine tatsächliche Stellung als eigenständiges Berufsbild eine ausreichende Ausbildung und Vorbereitung erfordert. Ein bloßes „Kennenlernen“ neben anderen Berufen ist nicht mehr ausreichend. Notwendig ist die gezielte Ausbildung zum Beruf des Rechtsanwalts. Zur Sicherung des Leistungsstandes der Anwaltschaft und damit der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege ist die Spartenausbildung somit nicht nur ein geeignetes Mittel, sondern mangels gleich wirksamer Alternativen auch erforderlich. (b) Beachtung der Mittel-Zweck-Relation Die Beeinträchtigungen der Grundrechtsträger durch das Spartenausbildungsmodell stehen auch nicht außer Verhältnis zu den angestrebten Zwecken des Schutzes des Leistungsstandes der Anwaltschaft, der Rechtspflege und der Verbraucher. Denn die Ausübung des Anwaltberufes ist ohne die Erfüllung berufsbezogener Voraussetzungen unsachgemäß und bringt Gefahren und Schäden für die Allgemeinheit mit sich. (aa) Artikel 12 Abs. 1 GG ist kein Leistungsrecht Hinsichtlich der möglichen Überschreitung des Angebots an Ausbildungsplätzen durch den Bedarf der Ausbildungsplatzsuchenden ist darauf hinzuweisen, dass Artikel 12 Abs. 1 GG weder einen Anspruch auf einen Arbeitsplatz noch auf einen Ausbildungsplatz im Sinne eines subjektiven Rechts begründet.22 Die Berufsfreiheit ist als freiheitliches Abwehrrecht konzipiert und begründet kein Leistungsrecht. Insoweit unterscheidet sich die Situation der Betroffenen nicht von anderen, die sich auf dem Ausbildungsplatzmarkt gegenüber Mitbewerbern durchsetzen müssen und den Marktfaktoren von Angebot und Nachfrage unterworfen sind. Auch die vorherige universitäre Ausbildung ändert daran nichts, weil hier kein Anwartschaftsrecht auf einen weiterführenden Ausbildungsplatz oder eine Arbeitsstelle erworben wird. Die Lage der Hochschulabsolventen mit dem Ziel der weiteren Ausbildung zum Rechtsanwalt ist vielmehr vergleichbar mit der des Wirtschaftsprüfers und des Steuerberaters. Beide Berufe setzten in der Regel ein abgeschlossenes Hochschulstudium und eine anschließende berufspraktische Tätigkeit bzw. Ausbildung voraus. Diese Tätigkeit erfordert wiederum eine entsprechende Anstellung bei einer ausbildungsbereiten Stelle, die sich der Berufsanwärter selbst suchen muss und auf die kein Anspruch besteht. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass im Rahmen der Schaffung des Titels des Diplomjuristen, der Einführung des Bachelor- und Mastersystems und der Reform des 12

AnwBl 1 / 2007

Rechtsberatungsgesetzes neue berufliche Perspektiven für Juristen entstehen, die eine etwaige Überzahl an Absolventen des ersten Staatsexamens ohne Ausbildungsplatz auffangen können. Die Beendigung des Hochschulstudiums und erfolgreiche Ablegung des ersten juristischen Staatsexamens wird sich daher in Zukunft mehr und mehr als bereits abgeschlossene Berufsausbildung darstellen. Möglichen Bedenken, mit den Regelungen des Spartenmodells würde eine staatliche Bedarfsorientierung im Anwaltsberuf stattfinden, ist zu entgegnen, dass die Regulierung des Kräftebedarfs gerade dem freien Markt überlassen wird, wie dies in anderen Berufszweigen auch geschieht. Doch selbst staatliche Bedarfsregelungen sind unter kapazitativen Gesichtspunkten bereits höchstrichterlich als zulässig erachtet worden: „Dem Gesetzgeber kann es daher nicht verwehrt sein, sich auch am vordringlichen Kräftebedarf für die verschiedenen Berufe zu orientieren, sofern es nicht gelingt, individuelle Nachfrage und gesamtgesellschaftlichen Bedarf durch das Mittel der Studienberatung in Deckung zu bringen.“23 Kann damit der Berufszugang sogar von staatlicher Seite und bereits im Vorfeld – etwa durch Einführung eines bundesweiten Numerus Clausus – am Maßstab des Kräftebedarfs reguliert werden, können der weit weniger einschneidenden Maßnahme der Selbstregulierung durch den Markt keine verfassungsrechtlichen Bedenken entgegenstehen. (bb) Keine Pflicht der Rechtsanwälte zur Ausbildung Eine Pflicht der Rechtsanwälte zur Ausbildung der Anwaltreferendare besteht jedenfalls nicht. Artikel 12 Abs. 1 GG begründet keinen Leistungsanspruch und entfaltet auch keine entsprechende mittelbare Drittwirkung.24 Der Anspruch auf einen Ausbildungsplatz kann nur gegen den Staat und nur im Rahmen eines Teilhaberechtes bei staatlichem Monopol entstehen. In der Spartenausbildung könnte daher das Recht auf einen Ausbildungsplatz allenfalls insoweit bestehen, als die Rechtsanwaltskammern als Körperschaften des öffentlichen Rechts monopolisierter Träger der Ausbildung sind. Doch selbst diese öffentlich-rechtliche Ausgestaltung des Rahmenverhältnisses steht einem privatrechtlich ausgestalteten Ausbildungsvertrag zwischen dem Anwaltreferendar und dem ausbildenden Rechtsanwalt während der entsprechenden Ausbildungsabschnitte nicht entgegen. Wird der Zugang zum Anwaltsreferendariat von der Voraussetzung abhängig gemacht, dass der/die Bewerber/in einen Ausbildungsplatz bei einem/einer ausbildungsbereiten Rechtsanwalt/anwältin nachweist, besteht der Teilhabeanspruch auch nur bei Erfüllung der für alle Bewerber gleich geltenden Bedingung dieses Nachweises. Ein Durchgriff des Teilhabeanspruchs im Sinne eines obligatorischen Anspruchs auf einen Ausbildungsplatz bei einem/einer Rechtsanwalt/anwältin findet nicht statt. (cc) Der Gesetzgeber ist in der Gestaltung des Ausbildungsverhältnisses und in der Berufsbildprägung frei. Auch der privatrechtlichen Ausgestaltung des Vorbereitungsdienstes oder einzelner Abschnitte stehen als solcher keine verfassungsrechtlichen Bedenken entgegen. Das Bundesver22 BVerwGE 8, 170, 171 f.; Scholz, in: Maunz/Dürig/Herzog, aaO, Rn 44; Umbach, in Umbach/Clemens, aaO, Rn 35. 23 BVerfGE 33, 303, 335 – N.C.-Rechtsprechung. 24 Rittstieg, in: Reihe Alternativkommentare, aaO, Rn 146 ff.

Spartenausbildung und die Freiheit des Berufszugangs, Hucke

MN

Aufsätze

fassungsgericht hat in diesem Zusammenhang für die Ausbildung des Rechtsreferendars bereits festgestellt: „Der Staat ist prinzipiell frei, ob und wie er den Vorbereitungsdienst für Anwärter auf bestimmte Berufe organisieren und gestalten will. Für die Mehrzahl der Berufe hat er bisher auf eine gesetzliche Regelung der Ausbildung verzichtet und sich darauf beschränkt, Schulen der verschiedensten Art zur Verfügung zu stellen und darauf zu vertrauen, daß der erfolgreiche Abschluss der Schulausbildung und eine weitere freie Ausbildung innerhalb der Berufe und Berufsorganisationen dem Bedürfnis nach geeignetem Nachwuchs genügt. [...] Dieser Vorbereitungsdienst muß nicht so organisiert sein, daß der Referendar im Beamtenverhältnis steht. Er kann auch so geregelt werden, daß er innerhalb eines privat-rechtlichen Angestelltenverhältnis [...] abgeleistet wird. Es ist Sache des Gesetzes oder der staatlichen Organisationsgewalt, welche Form gewählt wird oder welche Formen nebeneinander zugelassen werden.“25 Neben dieser weitgehenden Freiheit zur Ausgestaltung des Ausbildungsverhältnisses im juristischen Vorbereitungsdienst ist auch auf den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers in der Berufsbildprägung hinzuweisen. Werden durch die Spartenausbildung auch die verschiedenen Berufe des Anwalts-, Verwaltungs- und Justizjuristen geprägt, entspricht dies der Prärogative des Gesetzgebers: „Dem Gesetzgeber steht die Befugnis zu, Berufsbilder festzulegen und damit die freie Berufswahl in diesem Bereich zu verengen.“26 (dd) Keine übermäßigen Belastungen wegen Durchlassmöglichkeiten Die Vermeidung übermäßiger Belastungen der Grundrechtsträger wird in der Spartenausbildung durch weitreichende Durchlassmöglichkeiten gewährleistet. So kann etwa zum mündlichen Anwaltsexamen auch zugelassen werden, wer das zweite juristische Staatsexamen nach Absolvierung des Verwaltungs- oder Justizreferendariats abgelegt hat, mindestens acht Monate Ausbildung bei einem/einer Rechtsanwalt/ anwältin (auch im Rahmen des Referendariats) ausgebildet wurde und den erfolgreichen Abschluss der theoretischen Anwaltausbildung nachweist. Darüber hinaus ist neben dem Bestehen der Anwaltsprüfung auch das Bestehen der zweiten juristischen Staatsprüfung nach dem Justiz- oder Verwaltungsreferendariat als Voraussetzung zur Zulassung zum Anwaltsberuf möglich, wenn eine dreijährige volljuristische Tätigkeit nachgewiesen werden kann.27 Auch ist vorgesehen, den Wechsel zwischen den Ausbildungssparten zuzulassen, wenn der Betreffende einen entsprechenden Ausbildungsplatz nachweist. Die Anrechenbarkeit der Ausbildungsabschnitte wird entsprechend gesetzlich festgelegt. 25 BVerfGE 39, 334, 371 f. 26 BVerfGE 13, 97, 98. 27 Die Anforderung einer mehrjährigen Berufserfahrung besteht bereits etwa im Rahmen der Zulassung europäischer Rechtsanwälte in Mitgliedstaaten der Europäischen Union; vgl. z. B. das Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland (EuRAG), § 11 Abs. 1, BGBl I 2000, 182, 1349, in Umsetzung der RL 98/5/EG vom 16.2.1998. 28 Scholz, in: Maunz/Dürig, aaO, Rn 261. 29 BVerfGE 9, 339, 351. 30 Scholz, in: Maunz/Dürig, aaO, Rn 256.

Spartenausbildung und die Freiheit des Berufszugangs, Hucke

Die Vermeidung übermäßiger Belastungen kann außerdem dadurch vermieden werden, dass der Staat subsidiär die Ausbildung im Rahmen des Justiz- und Verwaltungsreferendariats übernimmt, bis der Nachweis eines/einer ausbildungsbereiten Rechtsanwalts/anwältin gelingt. Auch die Vermittlung vorhandener Ausbildungsplätze durch die Rechtsanwaltskammern ist denkbar. (ee) Der verfolgte Zweck überwiegt die Beeinträchtigungen Wegen der hohen Bedeutung des Anwaltberufes als unabhängiges Organ der Rechtspflege und der drohenden und schweren Gefahren durch eine unzulängliche Ausbildung überwiegt der Schutz der Gemeinschaftsgüter, der durch die Einführung des Spartenmodells verfolgt wird, den sich ergebenden Beeinträchtigungen. Der Beruf des Rechtsanwalts als freier Beruf der Rechtspflege ist durch ein hohes Maß an Gemeinwohlverantwortung gekennzeichnet.28 Das Bundesverfassungsgericht hat zum freien Beruf als solchen festgestellt, dass dieser „durch ein hohes Maß an Verantwortlichkeit und eigenem Risiko in wirtschaftlicher Beziehung, eigener Verantwortlichkeit vor allem bei der Ausübung des Berufs selbst“ qualifiziert wird.29 Maßgebend ist außerdem die besondere Verantwortung für die Allgemeinheit, ein spezifisches Vertrauensverhältnis zum Mandanten und die spezielle Sachkunde des Berufsträgers.30 Wegen der besonderen Stellung des Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege und der drohenden Gefahren durch unzureichende Ausbildung und Sachkunde überwiegt daher der verfolgte Schutz der Gemeinschaftsgüter die Beeinträchtigungen der Grundrechtsträger. ff) Zwischenergebnis: Eingriff in den Schutzbereich der Berufsfreiheit gerechtfertigt Die Berufsfreiheit nach Artikel 12 Abs. 1 GG wird durch die Maßnahmen der Spartenausbildung nicht verletzt. Der Eingriff in den Schutzbereich zum Schutze wichtiger und überragender Gemeinschaftsgüter ist verhältnismäßig und damit gerechtfertigt. b) Keine weiteren Grundrechte betroffen Andere betroffene Grundrechte kommen nicht Betracht. Die allgemeine Handlungsfreiheit des Artikels 2 Abs. 1 GG wird von der spezielleren Berufsfreiheit verdrängt. II. Ergebnis Die Regelungen des Spartenmodells in der Juristenausbildung verstoßen nicht gegen die Berufsfreiheit aus Artikel 12 Abs. 1 GG und ist insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar.

Matthias Hucke, Berlin

Der Autor ist Rechtsreferendar. Er promoviert zur Zeit zum Thema „Universalit t der Menschenrechte“ an der Humboldt-Universit t zu Berlin.

AnwBl 1 / 2007

13

MN

Aufsätze

Corporate Governance/ Compliance und der Syndikusanwalt Die Rolle des Leiters der Rechtsabteilung einer börsennotierten Gesellschaft* Rechtsanwalt Dr. Siegfried Schwung, Stuttgart

Die Aufgaben des Chefsyndikus einer börsennotierten Gesellschaft haben sich in den vergangenen fünf Jahren erweitert: Er muss proaktiv die Umsetzung und Einhaltung von Rechtsvorschriften und Verhaltensregeln sicherstellen. Unter den Schlagworten „Corporate Governance“ und „Compliance“ ist ein neues Geflecht von Vorgaben entstanden oder neu ins Bewußtsein gerückt. Zugleich sind die Anforderungen im strafrechtlichen Bereich, insbesondere durch die Ausdehnung von § 266 StGB, verschärft worden. Der Beitrag gibt einen Überblick über die gewandelten Aufgaben. Der Syndikusanwalt als Vertreters des Unternehmens (und nicht partikularer Einzelinteressen der Organmitglieder, der Aktionäre, der Mitarbeiter oder gar der Aufsichtsbehörden) ist schon aufgrund seiner Rolle im Unternehmen gegenüber der Geschäftsleitung ist weisungsfrei. Der anwaltlichen Tätigkeit im Bereich der Corporate Governance und Compliance ist die Unabhängigkeit immanent.

I. Aufgabenstellung des Syndikusanwalts Die Rolle des Leiters der Rechtsabteilung ergibt sich ohne weiteres aus der ihm gestellten Aufgabe bei der Schaffung bzw. Weiterentwicklung und Umsetzung der Corporate Governance in dem von ihm beratenen Unternehmen. 1. Aufgabe Zu bestimmen ist zunächst die Zielsetzung oder moderner ausgedrückt die „Corporate Governance Mission“1. Traditionell sind die Grundsätze einer ordentlichen Führung des Unternehmens durch die Gesellschaftsverwaltung (Vorstand und Aufsichtsrat) festzulegen. Zunehmend hat die Interaktion mit den Aktionären an Bedeutung gewonnen. Es soll auch mehr Transparenz bei der Unternehmensführung gewährleistet werden. Bisweilen steht schließlich das gesetzeskonforme und ethische Verhalten des Unternehmens bzw. seiner Organe und Mitarbeiter im Vordergrund. Auf den Punkt gebracht geht es daher bei der „Corporate Governance Mission“ im engeren Sinne um die Schaffung einer Unternehmenskultur der „Ethical Governance and Corporate Sustainability“, das Bemühen um „Best Practice“ bei der Unternehmensführung und -kontrolle sowie die sachgerechte „Balance of Powers“ der maßgeblichen Organe oder weitergefasst sämtlicher „Stakeholders“. Wichtiger Bestandteil der guten Unternehmensführung und -kontrolle, jedoch immer mehr als eigenständiges Element erscheint prominent die „Compliance“, also die strikte Einhaltung aller rechtlichen sowie unternehmensintern definierten ethischen Vorgaben als Unternehmensziel. Für die an der deutschen Börse notierten Gesellschaften wird die Diskussion durch den Deutschen Corporate Gover14

AnwBl 1 / 2007

nance Kodex von 2002 (zuletzt geändert am 12. Juni 2006) geprägt, dessen Fokus auf dem Schutz des anonymen Anlegerpublikums vor unzulänglicher Unternehmensführung durch die Gesellschaftsverwaltung liegt. Im Gegensatz hierzu hat etwa der Governance Kodex für Familienunternehmen von 2004 eher die Bewahrung des Unternehmens vor seinen Eigentümern im Auge. Hauptsächliches Anliegen beider Codices ist also im enger verstandenen Sinne der Corporate Governance die „Balance of Powers“. Insoweit stellt sich für die Funktion des Syndikus die Ausgangsfrage, wessen Interessen er eigentlich zu vertreten hat. Auch beim zunehmend die Corporate Governance im weiteren Sinne beherrschenden Betätigungsfeld der „Compliance“ muss der Standort des Syndikusanwalts klar bestimmt werden. Hilfreich erscheint die Definition des General Counsel Roundtable der International Bar Association (IBA) zur „Compliance“: “The decisions made and the process created to protect the company from economic and reputational harm stemming from civil or criminal allegations made by private parties or government regulators for arguably improper, unethical, or illegal action or inaction“. Mit der „Compliance“ soll also unzweifelhaft die Gesellschaft als solche geschützt werden. Soweit gesetzmäßiges Verhalten des Unternehmens bezweckt wird, ist dies für den in Deutschland als Rechtsanwalt zugelassenen Syndikus allein schon aufgrund seiner Funktion als unabhängiges Organ der Rechtspflege gemäß § 1 BRAO zwingend geboten. Wie noch aufzuzeigen sein wird, folgen für auch in den USA börsennotierte Gesellschaften zahlreiche konkrete Anforderungen der „Compliance“ unmittelbar oder mittelbar aus dem Sarbanes-Oxley Act von 2002 (SOX). Während einerseits wieder auf Erleichterungen gehofft wird, kann man durchaus auch mit einer weiter verfeinerten Regulierung rechnen. Vor dem Hintergrund der Bilanzskandale Enron und Worldcom lässt sich als Motiv hierfür die Wiederherstellung des Vertrauens der Investoren am Finanzmarkt ausmachen, was durch die strikte Einhaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen gewährleistet werden soll. Als Schutzgut jedweder Regulierung erscheint mithin die öffentliche Ordnung. Unmittelbares Regelungsanliegen ist dafür ebenfalls das rechtstreue Verhalten des Unternehmens, nämlich durch seine Organe und Angestellte. Aus der Sicht des Unternehmens geht es darum, Sanktionen oder Imageschäden zu vermeiden, die bei Gesetzesverstößen eintreten können, wie es auch dem Verständnis der „Compliance“-Definition der IBA entspricht. Dem Syndikusanwalt fällt dabei eine Schlüsselrolle zu. 2. Rollenverständnis Die Aufgabe des Syndikusanwalts kann sich nur aus der Interessensvertretung des Unternehmens heraus verstehen. Bei einer juristischen Person, die durch seine Organe handelt und bisweilen auch von anderen „Stakeholders“ getrieben wird, kommt es auf das richtige Rollenverständnis in diesem komplexen Beziehungsgeflecht an. Wenn der Syn*

Der Beitrag beruht auf einem Vortrag, der am 29. April 2006 in Bandol im Rahmen des 10. Deutsch-Französischen Seminars der L’Association des Avocats Conseils d’Entreprises und der Arbeitsgemeinschaft für Internationalen Rechtsverkehr im DAV gehalten wurde.

1

Im Weiteren werden zunehmend englische Begriffe verwendet; dies rührt daher, dass die Corporate Governance – und vor allem die „Compliance“-Diskussion aus dem Umfeld der amerikanischen Kapitalgesellschaften vornehmlich als Folge der zunächst dort aufgetretenen Skandale (Enron, Worldcom) neu belebt worden ist.

Corporate Governance und der Syndikusanwalt, Schwung

MN

Aufsätze

dikusanwalt Interessensvertreter des Unternehmens ist, kann er weder die Angelegenheiten der Organe noch der Aktionäre wahrnehmen. Er berät so etwa Vorstand und Aufsichtsrat als Organe der Gesellschaft, nicht aber soweit sie persönliche Belange aufgrund ihrer Ernennung bzw. Wahl verfolgen sollten. In der Praxis macht die Beratung von Organausschüssen und der ausführenden Unternehmensabteilungen einen großen Teil der Tätigkeit aus. Im Rahmen der Darstellung der „Compliance“, bei der der Syndikusanwalt als Wächter des Rechts im Unternehmen fungiert, ist er Teil des internen Schutzsystems und demnach Berater und Manager zugleich. Wie bereits angedeutet, dürfen bei einer guten Unternehmensführung und insbesondere bei einer funktionierenden „Compliance“ auch sonstige „Stakeholders“ nicht außer Betracht gelassen werden. Hervorzuheben sind zunächst einmal gerade auch in Ansehung des deutschen Mitbestimmungsrechts die Mitarbeiter sowie im Hinblick auf die zunehmende Regulierungsdichte die hierfür zuständigen Behörden. Das Zusammenwirken hat der Syndikusanwalt unabhängig gemäß der geltenden Rechtslage zu beurteilen. 3. Bewährung beim Interessenswiderstreit Nach alledem liegt es nahe, dass der Syndikusanwalt sich insofern in einer wenig beneidenswerten Situation befindet: Bei allfälligen Konflikten muss er sich strikt auf seine Rolle als Anwalt der Gesellschaft besinnen. Einige Interessenswiderstreite sollen der Illustration dienen. Im Verhältnis Organmitglieder zu Gesellschaft sei auf die Anstellungsbedingungen des Vorstandes hingewiesen, für die § 87 AktG die Angemessenheit der Bezüge statuiert, während im Verhältnis Organmitglieder zu Aktionären die Transparenz der Vergütung ein immerwährendes Thema ist (für nach dem 31. Dezember 2005 beginnende Geschäftsjahre durch das Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz in § 285 S. 1 Nr. 9 lit. a HGB näher geregelt). Im Verhältnis Organ zu Organ kann der Umfang der Überwachungsrechte des Aufsichtsrates streitig sein. Ebenfalls um Einflussrechte geht es im Verhältnis der Aktionäre zur Gesellschaft, vornehmlich in der Hauptversammlung. Unlängst hat ja der Gesetzgeber zur Vermeidung von Missbräuchen durch das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts v. 22. September 2005 (UMAG) in § 131 AktG Beschränkungen des Frage- und Rederechts vorgesehen. Bei den sonstigen „Stakeholders“ ist als erstes an das Ausmaß der Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer zu denken. Ein häufig behandelter Konflikt entsteht, wenn potentielle Investoren (bei Kapitalmarkttransaktionen für das breite Publikum vertreten durch Investmentbanken) bzw. Käufer von Vermögensteilen des Unternehmens eine „Due Diligence“ durchführen wollen und dieses Ansinnen mit der Geheimhaltungspflicht des Vorstandes gemäß § 93 Abs. 1 S. 3 AktG kollidiert. 4. Anforderungsprofil und Haftung Es versteht sich von selbst, dass der Syndikusanwalt in dieser herausfordernden Stellung mit einer persönlichen „Compliance“-Integrität ausgestattet sein muss. Besonders gilt das natürlich für den Leiter der Rechtsabteilung. Kennzeichnend erscheint nicht nur das verlautbarte Postulat, für das gesetzeskonforme Verhalten des Unternehmens zu stehen, sondern auch die spürbare innere Einstellung, dass dem Wohle des Unternehmens am besten bei einer guten UnternehCorporate Governance und der Syndikusanwalt, Schwung

mensführung und funktionierenden „Compliance“ gedient ist. Dem als Rechtsanwalt zugelassenen Syndikus sollte zudem seine Verpflichtung zur Rechtstreue, die aus seiner Stellung als Organ der Rechtspflege folgt, dafür Grund genug sein. Der ihm hier zugewiesenen Rolle der anwaltlichen Tätigkeit ist übrigens die Weisungsfreiheit gegenüber der Geschäftsleitung bzw. seine Unabhängigkeit immanent. Nicht zu vernachlässigen sind die persönlichen Haftungsgefahren, die bei Mitwirkung an Rechtsverletzungen drohen. Zur Illustration taugen zwei Verfahren der Securities and Exchange Commission (SEC) der Vereinigten Staaten. 2005 ist die amerikanische Wertpapieraufsichtsbehörde wegen unterlassener Registrierung von Stock Options gegen den Chefsyndikus von Google, Inc. vorgegangen. Jener hatte angeblich zu Unrecht zwei Ausnahmetatbestände für erfüllt erachtet, um auf eine Registrierung der Wertpapiere verzichten zu können. 2006 ist ein Syndikusanwalt von General Re Corporation, Inc. wegen vermeintlich zum Schein strukturierter Rückversicherungen, um angeblich der American International Group in der Bilanz den Ausweis höherer Rückstellungen zu ermöglichen, wegen Beihilfe zum „Wertpapierbetrug (securities fraud)“ belangt worden. Im deutschen Strafrecht muss ebenfalls an die Mitwirkung bei „Kreditbetrug“ bzw. Bilanzdelikten (§§ 265 b Abs. 1, 283 Abs. 1 Nr. 7 u. 283 b Abs. 1 Nr. 3 StGB) gedacht werden. Eingedenk des kürzlich eingestellten Verfahrens gegen Josef Ackermann u. a. im Zusammenhang mit der Übernahme von Mannesmann durch Vodafone zur Untreue gemäß § 266 StGB kann insbesondere für Syndikusanwälte selbst schnell die Teilnahme an der Verwirklichung des vom BGH weit ausgedehnten Tatbestandes bzw. der Verletzung der maßgeblichen Vermögensbetreuungspflicht strafrechtliche Relevanz gewinnen.

II. Tätigkeitsfelder An der Spitze der wesentlichen Tätigkeitsfelder steht fraglos die Beratung bei der Strukturierung und Anwendung der Unternehmensverfassung, wie sie in der Satzung, den Geschäftsordnungen der Organe sowie Unternehmensverträgen und im allgemeinen Konzernrecht niedergelegt ist. Im näheren Zusammenhang damit ist die Begleitung von Organversammlungen (Hauptversammlung, ggf. Vorstands-, Aufsichtsrats- und Ausschusssitzungen) zu sehen. Das wachsende Bewusstsein einer guten Unternehmensführung hat – amerikanischen Vorbildern folgend – die verschiedensten unternehmensinternen Richtlinien hervorgebracht. Bekanntestes Beispiel ist wohl ein Verhaltenskodex für die Mitarbeiter, in dem den abstrakt definierten Unternehmenswerten in einem konkreten Pflichtenkatalog Geltung verschafft werden soll. Bei der Erstellung solcher Richtlinien als unternehmensinternes Regelwerk („soft law“) mitzuwirken und sich bei der Umsetzung, z. B. durch Management- und Mitarbeiterschulungen, einzubringen, fällt auch in die Zuständigkeit von Rechtsabteilungen. Gerade aus den von der United States Sentencing Commission aufgrund von § 805 (a) SOX zur Prävention krimineller Verhaltensweisen im Unternehmen erlassenen „2004 Federal Sentencing Guidelines“ ergibt sich für die Geschäftsleitung die Anforderung eines pro-aktiven Vorgehens bei der Etablierung und Umsetzung von „Corporate Compliance and Ethic Programs“; hierfür sind maßgeschneiderte Trainingsprogramme durchzuführen. AnwBl 1 / 2007

15

MN

Aufsätze

Die zunehmende Regulierung einer „Compliance“-Organisation mit der Institutionalisierung maßgeblicher Tätigkeiten in vorbereitenden Ausschüssen bedingt im Hinblick auf die strikte Wahrung rechtmäßigen Verhaltens zwangsläufig die Berufung von Syndizi. Beispielhaft seien das „Disclosure Committee“, das über die Bekanntgabe kursrelevanter Tatsachen an die Bereichsöffentlichkeit befindet, und der Prüfungsausschuss („Audit Committee“) angeführt. Die kapitalmarktrechtlichen Pflichtmitteilungen bzw. Publizität erfassen ebenso die Geschäftsberichte sowie die Entsprechenserklärung gemäß § 161 AktG, in der die Einhaltung des Corporate Governance Kodex bestätigt oder ggf. eine Abweichung erklärt werden muss („comply or explain“). Eine weitere Formalisierung ist im Umgang mit den Abschlussprüfern gegeben. Zumindest soweit es die Darstellung von Risiken aus Rechtsstreitigkeiten und behördlichen Verfahren betrifft, können „Audit Response Letters“ nur von der Rechtsabteilung verantwortet werden. Es handelt sich übrigens um eine klassische Domäne des „Inhouse“-Juristen, die eine Erledigung durch außenstehende Anwälte erlässlich erscheinen lässt. Er kann auch in die internen Kontrollstrukturen zur Finanzberichtserstattung und der andauernden Überprüfung ihrer Wirksamkeit (§ 404 SOX) eingebunden sein. So ist zur Rechnungslegung insgesamt ein merklicher Verantwortungszuwachs beim Syndikusanwalt im Hinblick auf die Publizität festzustellen. Weitere Tätigkeitsfelder sind die Mitwirkung bei etwaigen behördlichen Untersuchungen, z. B. durch das Bundesaufsichtsamt für Finanzdienstleistungen oder, im Fall der Notierung von Wertpapieren an amerikanischen Börsen, die SEC auf dem Gebiet des Anlegerschutzrechts. Der Syndikusanwalt wird sich zudem als Teil des von § 91 Abs. 2 AktG geforderten und gemäß § 317 Abs. 4 HGB durch die Abschlussprüfer zu beurteilenden Überwachungssystems als Risikomanagement wiederfinden. Er ist hier sowohl Berater als auch umsetzender Akteur des umfassenden Informations-, Überwachungs- und Kontrollgefüges. Dazu zählt schließlich die in Bezug auf ihre Anforderungen durch das UMAG anwendungsfreundlicher gestaltete Sonderprüfung gemäß § 142 AktG. Die Darstellung der Tätigkeitsfelder soll durch einige praktische Einzelthemen zur Corporate Governance im engeren Sinne weiter veranschaulicht werden. Von ihnen hat jedes bereits umfängliche literarische Behandlung erfahren, so dass es bei einer reinen Aufzählung dieser Beispiele sein Bewenden haben soll: Inkompatibilitäten bei Aufsichtsratsmandaten (§ 100 Abs. 2 AktG), Zulässigkeit bzw. Genehmigungsfähigkeit von allgemeinen betriebswirtschaftlichen Beratungsaufträgen an Aufsichtsratsmitglieder (§§ 113, 114 Abs.1 AktG), Selbstbehalt D&O-Versicherung (Ziff. 3.8 Abs. 2 Dt. Corp. Govern. Kodex), variable am Unternehmenserfolg orientierte Vergütung des Aufsichtsrates (Ziff. 5.4.7 Abs. 2 Dt. Corp. Govern. Kodex), Internetübertragung der Hauptversammlung und Online-Teilnahme der Aktionäre (Ziff. 2.3.4 Dt. Corp. Govern. Kodex), Haftung des Vorstands, „Business judgment rule“ wie durch das UMAG kodifiziert (§ 93 Abs. 1 S. 2 AktG), Neutralität des Vorstands und „Europäisches Verhinderungsverbot“ bei Übernahmeangeboten (§ 33 WpÜG und seit 14. Juli 2006 gültig § 33 a WpÜG), dualistisches oder monistisches Verwaltungssystem (§§ 15 ff. od. §§ 20 ff. SEAG „Societas Europaea“). Zur Corporate Governance im weiteren Sinne, also mit Augenmerk auf die „Compliance“, müssen die immer wieder unter dem Thema „Strafrecht im Unternehmen“ behandelte Vorteilsgewährung (§ 333 StGB) und Bestechung von Amts16

AnwBl 1 / 2007

trägern (§ 334 StGB) sowie Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 299 StGB) beispielhaft Erwähnung finden. Wie in dem Lederspray-Urteil des BGH aus dem Jahr 1990 deutlich geworden, kann indes auch die strafrechtliche Verantwortung (§ 229 StGB) auf dem Gebiet der Produktsicherheit zum Tragen kommen. Des Weiteren lassen sich ergänzen: Verstöße gegen das Exportkontrollrecht (§ 34 AWG), Verbote wettbewerbsbeschränkender Absprachen (z. B. Submissionskartelle) oder anderer kartellrechtlich sanktionierter Verhaltensweisen (§§ 1, 19 ff., 81 GWB) und des Insider Tradings (s. zu „Directors Dealings“ neuerdings auch §§ 14, 15 a, 38 WpHG). Zum geplanten strafbewehrten Bilanzeid sei auf §§ 264 Abs. 2 S. 3, 289 Abs. 1 S. 5, 297 Abs. 2 S. 4, 315 Abs. 1 S. 6 und 331 Nr. 3 a HGB-E (Regierungsentwurf Transparenzrichlinie-Umsetzungsgesetz „TUG“ vom 28. Juni 2006) aufmerksam gemacht. Man kann geradezu von einer zunehmenden Verstrafrechtlichung des Handelns im Unternehmen sprechen. Hinzuweisen ist endlich auf die besonderen amerikanischen „Compliance“-Regeln des „Whistleblower“-Verfahrens und -schutzes (§§ 301, 806 SOX), „Up the Ladder Reporting“ von Anwälten (§ 307 SOX), Dokumentenaufbewahrung (§§ 802, 1102 SOX) sowie der „CEO/CFO-Certifications“ – amerikanischer Bilanzeid (§§ 302, 906 SOX). Wie unschwer zu erkennen ist, handelt es sich um ein Bouquet von Frischblumen, d. h. von Themen, die vor 5 Jahren weitgehend überhaupt nicht aktuell waren. Der Strauß blüht bei Maßgeblichkeit amerikanischer Vorschriften infolge vom Unternehmen in den USA ausgegebener Wertpapiere besonders kräftig. Das Aufkommen der mehr oder weniger neuen Betätigungsfelder verschafft dem Leiter der Rechtsabteilung einer börsennotierten Gesellschaft nicht nur eine neu definierte Schlüsselrolle im Unternehmen, sondern erweitert auch sein anwaltliches Berufsbild.

III. Schnittstellen mit anderen Abteilungen und mit externen Beratern Die Berührungspunkte der Syndikusanwälte bei ihrer Tätigkeit im Rahmen der Corporate Governance einschließlich „Compliance“ ergeben sich konsequent aus den Aufgaben. Im Kern bestehen die engsten Beziehungen mit dem Hauptsekretariat, der Bilanzabteilung, Investors Relation, Treasury und, soweit vorhanden, dem „Business Practices Office“/„Compliance Officer“, während nach außen die Mandate an Wirtschaftsprüfer und in Einzelfällen eingeschaltete externe Rechtsanwälte gesteuert werden müssen. Wie bereits herausgestellt, Corporate Governance und „Compliance“ sind zuvorderst eine unternehmensinterne Angelegenheit, die ausreichend Stoff für starke Rollen der innerhalb des Unternehmens Beteiligten bietet. Es hat sich zudem extern ein reges Beratungsgeschäft auf diesem Gebiet entwickelt; dies sollte aber nur komplementär zum Tragen kommen.

Dr. Siegfried Schwung, Stuttgart

Der Autor ist Rechtsanwalt. Er ist als Syndikusanwalt General Counsel Truck Group Produkt der Daimler Chrysler AG und Mitglied des Gesch ftsf hrenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Syndikusanw lte im DAV.

Corporate Governance und der Syndikusanwalt, Schwung

MN

Aufsätze

Befreiung von der Rentenversicherungspflicht Aktuelle Entwicklung des Befreiungsrechts nach § 6 SGB VI* Rechtsanwalt Dr. Albert Esser, Frankfurt am Main

Rechtsanwälte und Mitglieder anderer verkammerter freier Berufe sind kraft Gesetz Mitglied in berufständischen Versorgungswerken. Angestellte Berufsträger können sich für ihre Tätigkeit von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreien lassen. Grundsätzlich ist das kein schwieriges Verfahren. Aber bei Syndikusanwälten gibt es immer wieder Probleme mit Behörden und Sozialgerichten. Der Autor untersucht das Befreiungsrecht nach § 6 SGB VI (Wortlaut auf Seite 20) und vergleicht die unterschiedlichen Anforderungen die an Syndikusanwälte auf der einen sowie an als Pharmaberater arbeitende Ärzte und Apotheker auf der anderen Seite gestellt werden. Entscheidend ist eine berufsspezifische Tätigkeit. Die Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI ermöglicht es unter bestimmten, dort näher genannten Bedingungen, angestellt oder selbständig tätigen Mitgliedern der sog. freien Berufe von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit zu werden. Wichtigste Voraussetzung ist dabei die Ausübung einer Tätigkeit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung (berufsständische Versorgungseinrichtung) ihrer Berufsgruppe und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind. In der täglichen Praxis bereitet das Befreiungsrecht der Mehrzahl der Angehörigen der verkammerten freien Berufe keine Probleme. Wenn Konflikte auftreten, steht in der Regel die Frage im Mittelpunkt, ob die angestellte Tätigkeit, für die eine Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht erlangt werden soll, eine Tätigkeit ist, wegen der die Kammermitgliedschaft besteht oder ob die Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer mit dieser Tätigkeit in keinem unmittelbaren Zusammenhang steht. Heute unstreitig wirkt nämlich die Befreiung nach § 6 SGB VI tätigkeits- und nicht personenbezogen1. Dies bedeutet, dass nur für die freiberufliche Tätigkeit, wegen der die Mitgliedschaft in der Kammer besteht, eine Befreiung erlangt werden kann2. Der Arzt, der sich neben seiner ärztlichen Tätigkeit noch als angestellter Taxifahrer verdingt, leistet hierfür Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung. Nicht immer verlaufen die Trennlinien so deutlich wie in dem vorgenannten Beispiel. Grund hierfür ist vielfach die Wandlung bzw. Erweiterung des klassischen Berufsbilds der freiberuflichen Tätigkeit. Es stellt sich dann die Frage, ob die ausgeübte Tätigkeit unter das Berufsbild des freien Berufs zu subsumieren ist und damit die tätigkeitsbezogene Befreiung Wirkung entfaltet oder, ob eine berufsfremde Tätigkeit vorliegt, für die Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung abzuführen sind. Typische Konfliktfälle sind für die Angehörigen der Heilberufe die Tätigkeit als Pharmaberater und bei den RechtsBefreiung von der Rentenversicherungspflicht, Esser

anwälten die Angestellten bei nichtanwaltlichen Arbeitgebern, die sog. Syndikusanwälte.

I. Ein Überblick Einige exemplarische Entscheidungen sollen den Stand der aktuellen Rechtsprechung darstellen. 1. Pharmaberater In der Regel erhalten als angestellte Pharmaberater arbeitende Ärzte, Tierärzte oder Apotheker für diese Tätigkeit keine Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 SGB VI. Die Deutsche Rentenversicherung Bund vertritt die Auffassung, die einem Arzt erteilte Befreiung von der Versicherungspflicht gelte nicht für die Tätigkeit als Pharmaberater. Es wird behauptet, die Tätigkeit als Pharmaberater sei eine nichtärztliche Beschäftigung, ohne dies näher zu begründen3. Der gleichen Ansicht sind überwiegend die Sozialgerichte. Das Sozialgericht Berlin hat kürzlich ohne sich inhaltlich mit dem Thema auseinander zu setzen, einen als Pharmaberater tätigen Arzt als nicht befreiungsfähig angesehen4. Dasselbe Gericht hat einem Apotheker, der als Pharmaberater tätig war, die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht verwehrt und nimmt zur Begründung Bezug auf §§ 1 und 3 BApO5. Danach ist der Apotheker dazu berufen, die Bevölkerung ordnungsgemäß mit Arzneimitteln zu versorgen und dient damit der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes. Ausübung des Apothekerberufs ist die Ausübung einer pharmazeutischen Tätigkeit, insbesondere die Entwicklung, Herstellung, Prüfung oder Abgabe von Arzneimitteln unter der Berufsbezeichnung „Apotheker“ oder „Apothekerin“. Auch wenn der Pharmaberater die von ihm aufgesuchten Ärzte über Wirkung und Risiken der Medikamente berate, geschehe dies lediglich unter dem Gesichtspunkt der Verkaufsförderung, eine objektive Auseinandersetzung mit Konkurrenzprodukten könne nicht gewährleistet werden. Eine Tätigkeit als Apotheker läge nicht vor. Das Sozialgericht Wiesbaden hingegen hat die damalige Bundesversicherungsanstalt für Angestellte dazu verpflichtet, eine Tierärztin, die als Pharmaberaterin tätig war, für diese Tätigkeit von der Versicherungspflicht zu befreien6. Das Gericht hat ebenfalls auf die Berufsordnung Bezug genommen, vorliegend die Berufsordnung der Landestierärztekammer Hessen. Danach ist unter tierärztlicher Berufsausübung jede Tätigkeit zu verstehen, bei der während des veterinärmedizinischen Studiums erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten verwertet werden7. Da bei der Ausübung des Berufs der Pharmaberaterin die während des veterinärmedizinischen Studi*

Der Beitrag ist zuerst erschienen in der Festschrift zum 20jährigen Bestehen der Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht im DAV.

1

Die Vorgängernorm des § 7 Abs. 2 AVG stellte eine personenbezogene Befreiung dar: „Auf Antrag werden ferner von der Versicherungspflicht befreit Personen, die auf Grund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglieder einer öffentlich-rechtlichen Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe sind, ...“. Der Passus „für die Beschäftigung ..., wegen der sie“ wurde erst mit Wirkung zum 1.1.1996 in § 6 Abs. 1 SGB VI eingefügt; interessanterweise enthält die Gesetzesbegründung keine näheren Hinweise zu der Einfügung. Deutsche Rentenversicherung, SGB VI (11. Aufl.), § 6 Nr. 2.5. SG Berlin, Urteil v. 8.3.2005 (AZ: S 87 KR 742/03). SG Berlin, Urteil v. 17.3.2004 (AZ: S 89 KR 2054/02). SG Wiesbaden, Urteil v. 11.10.2004 (AZ: S 12 KR 414/00). § 2 Berufsordnung der Landestierärztekammer Hessen.

2

3 4 5 6 7

AnwBl 1 / 2007

17

MN

Aufsätze

ums erworbenen Kenntnisse verwandt würden, stelle die Ausübung des Berufs eine tierärztliche Tätigkeit dar. Die gesetzliche Rentenversicherung könne ihrerseits kein engeres Berufsbild ihrer Entscheidung zu Grunde legen, als es der Berufsstand selbst kenne. Das Sozialgericht Mannheim hat aktuell entschieden, dass die Tätigkeit des Arztes, Apothekers bzw. Veterinärmediziners auch die Tätigkeit als Pharmaberater umfasst8. Dies ergebe sich aus dem Berufsbild der Berufsgruppen und ihren Berufsordnungen. So lege § 1 Abs. 1 der Nordrhein-Westfälischen Berufsordnung für Ärzte fest, dass Ärzte der Gesundheit des einzelnen Menschen und der Bevölkerung dienen. Die ärztliche Tätigkeit umfasst nach Ansicht des Gerichts nicht nur die Behandlung von Patienten, sondern alle Verrichtungen, bei denen auf Grund medizinischer Kenntnis in ärztlicher Verantwortung gehandelt wird und damit auch die Tätigkeit in Forschung, Wissenschaft und Gesundheitswesen. Maßgeblich sei lediglich, dass die medizinische Fachkenntnis für die Ausübung der jeweiligen Tätigkeit genutzt werden müsse. Auch das VG München hatte sich mit der Frage, ob ein als Pharmaberater arbeitender Apotheker die Tätigkeit eines Apothekers ausübt, auseinander zusetzen: Eine Apothekerin hatte sich gegen die Verpflichtung zur Zahlung des Kammerbeitrags mit der Begründung gewandt, nicht als Apothekerin, sondern als Pharmaberaterin tätig zu sein. Das Gericht hat jedoch die Auffassung vertreten, die Tätigkeit als Pharmaberater entspreche dem Berufbild des Apothekers9. Das Berufsbild des Apothekers habe sich in den letzen 20 Jahren entscheidend verändert und habe sich von der in einer öffentlichen Apotheke ausgeübten Tätigkeit auf Beschäftigungen und Funktionen im Krankenhaus, in der pharmazeutischen Industrie, in Prüfinstituten, in der Bundeswehr, in der Verwaltung bei Behörden und Körperschaften, an der Universität sowie in Lehranstalten und Berufsschulen gewandelt. Der Apotheker erbringe dabei in sämtlichen genannten Tätigkeitsfeldern unterschiedliche aber gleichwohl pharmazeutische Leistungen. Auch der Einsatz bei der Entwicklung von Marketingmaßnahmen und die Beobachtung von Wettbewerbsaktivitäten sowie bei der Erarbeitung von Marketingstrategien sei wesentliches Inhaltselement einer pharmazeutischen Tätigkeit in der Industrie. 2. Syndikusanwalt Die Rechtsprechung zur Problematik der Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für eine Syndikusanwaltstätigkeit betrifft durchgehend Fälle, in denen den angestellt Tätigen von den Arbeitgebern im Rahmen des Befreiungsverfahrens nicht bestätigt wird, dass sie als Rechtsanwälte für den nichtanwaltlichen Arbeitgeber arbeiten. Diese Bestätigung und seit 2005 eine detaillierte Tätigkeitsbeschreibung, aus der hervorgeht, dass der angestellte Rechtsanwalt rechtsgestaltend, rechtsberatend, rechtsentscheidend und rechtsvermittelnd tätig ist, wird im Befreiungsverfahren gefordert. So hat das BayLSG entschieden, dass ein bei einer Bank im Vorstandssekretariat als Jurist beschäftigter Anwalt, dem der Arbeitgeber die Tätigkeit als Rechtsanwalt nicht bestätigen wollte, keine Befreiung gem. § 6 Abs. 1 SGB VI erlangen kann10. Das Gericht führt aus, um einer Tätigkeit bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber anwaltliche Qualität zu verleihen, müssten besondere Voraussetzungen wie Unabhängigkeit, Weisungsunabhängigkeit in der Vertretung seines Rechtsstandpunkts und die Freiheit zur Ablehnung von Man18

AnwBl 1 / 2007

daten gewährleistet sein; diese Voraussetzungen sah es in dem streitigen Fall nicht gegeben. Das LSG Baden-Württemberg hat einem als Schadenssachbearbeiter bei einer Versicherung tätigen Rechtsanwalt für diese Tätigkeit die Befreiung von der Versicherungspflicht verweigert11. Auch hier war dem Schadenssachbearbeiter vom Arbeitgeber nicht bestätigt worden, als Rechtsanwalt tätig zu sein. Allerdings hat das LSG auf diesen Umstand seine Entscheidung nicht gestützt, sondern ausgeführt, entscheidend für die Ablehnung der Befreiung sei der Umstand, dass der Kläger bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber tätig sei. Gänzlich unabhängig von der konkreten Tätigkeit könne eine Angestelltentätigkeit bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber nie zur Befreiung nach § 6 Abs. 1 SGB VI führen, da es sich nicht um eine anwaltliche Tätigkeit handeln könne. Dies ergebe sich aus einer Gesamtbetrachtung der §§ 46 und 3 BRAO. Einige Beachtung hat die nicht rechtskräftige Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen vom 19. März 2004 gefunden12. Wieder war einem Rechtsanwalt, der diesmal als „Abteilungsjurist“ in der Abteilung Haftpflicht einer Versicherung tätig war, die Bestätigung des Arbeitgebers über die rechtsanwaltliche Tätigkeit versagt worden. Das LSG hat sich eingehend mit der Problematik der Befreiungsfähigkeit der Syndikusanwälte auseinander gesetzt und im Rahmen eines obiter dictum festgestellt, bei angestellten Rechtsanwälten könne eine anwaltliche Tätigkeit nur dann vorliegen, wenn sie bei einem Arbeitgeber tätig sind, der selbst Rechtsanwalt ist. Zur Begründung wird im Wesentlichen auf das anwaltliche Berufsbild verwiesen, das nach Auffassung des Gerichts die Tätigkeit als Syndikusanwalt nicht dem Bild des unabhängigen freiberuflich tätigen Rechtsanwalts entspreche. Mit der gleichen Argumentation hat das LSG NordrheinWestfalen im Fall eines Rechtsanwalts, der als Schadenssachbearbeiter für Haftpflichtschäden bei einer Versicherung tätig war und der ebenfalls keine Bestätigung des Arbeitgebers vorweisen konnte, für ihn anwaltlich tätig zu sein, die Befreiungsmöglichkeit verneint13. Interessant ist in diesem Zusammenhang die europäische Rechtsprechung. Bei der Frage, ob das Anwaltsprivileg auch für Syndikusanwälte Geltung erlangt, hat der EuGH in der Vergangenheit in ständiger Rechtsprechung entschieden, dieses Privileg umfasse nur den Schriftverkehr zwischen Unternehmen und externen Anwälten14. Neuerdings deutet sich jedoch eine Änderung an. In einem Beschluss des EuG 1. Instanz im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes führt dessen Präsident aus, dass nicht auszuschließen sei, dass das Anwaltsprivileg auch auf die Korrespondenz mit Syndikusanwälten erstreckt werden könne15. Dies käme in Betracht, wenn Unternehmensjuristen zugleich eine Anwaltszulassung besäßen und daher externen Standesregeln unterlägen. Das Anstellungsverhältnis schließe nicht die für das Anwaltsprivileg entscheidende Unabhängigkeit aus. Dies bedeutet, die Syndikusanwaltstätigkeit ist eine anwaltliche Tätigkeit. 8 9 10 11 12 13 14 15

SG Mannheim, Urteil v. 13.1.2006 (AZ: S 8 R 2469/04). Bay VG München, Beschluss v. 24.8.2005 (AZ: M 16 K 05.1193). BayLSG, Urteil v. 7.4.2004 (AZ: L 13 RA 45/03). LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 20.9.2005 (AZ: L 3 R 5557/04). LSG NRW, Urteil v. 19.3.2004 (AZ: L 4 RA 12/03). LSG NRW, Urteil v. 22.8.2005 (AZ: L 3 RA 72/04). EuGH, Rs. 155/79, AM&S Europe Ltd. ./. Kommission, Slg. 1982 S. 1575. Beschluss v. 27.9.2004, Rs. Akzo Nobel ./. Kommission (T-125/03 und T-253/03).

Befreiung von der Rentenversicherungspflicht, Esser

MN

Aufsätze

II. Bewertung Diese beispielhaft geschilderten Fälle, die alle zu dem neuen, seit dem 1. Januar 1996 in Kraft befindlichen § 6 Abs. 1 SGB VI ergangen sind, belegen eine erstaunliche Unsicherheit in der Rechtspraxis. Diese Unsicherheit gipfelte für die Syndikusanwälte in der Situation, dass die gesetzliche Rentenversicherung im Jahr 2005 zeitweise keinerlei Befreiungen mehr ausgesprochen und die Befreiungsanträge über einen längeren Zeitraum mit dem Hinweis auf eine noch nicht getroffene Entscheidung „im Hause“ unbeantwortet gelassen hat. Erst nach einem intensiven Meinungsbildungsprozess hat sich noch die damalige Bundesversicherungsanstalt für Angestellte darauf geeinigt, Syndikusanwälte auf Antrag dann von der Versicherungspflicht zu befreien, wenn sie eine ausführliche Tätigkeitsbeschreibung ihres Arbeitgebers vorlegen, aus der hervorgeht, dass sie für ihren Arbeitgeber als Rechtsanwälte rechtsgestaltend, rechtsberatend, rechtsentscheidend und rechtsvermittelnd tätig sind und der Arbeitgeber bestätigt, dass der Angestellte als Rechtsanwalt beschäftigt wird16. Bei einer Betrachtung der Thematik fällt zunächst ins Auge, dass das von den Gerichten vielfach geforderte Merkmal der berufsspezifischen Tätigkeit dem bloßen Wortlaut des § 6 Abs. 1 SGB VI nicht zu entnehmen ist. Andererseits besteht kein Zweifel, dass es sozialrechtlich nicht auf einen rein personenbezogenen Tatbestand ankommen soll, sondern dass die Befreiungsvorschrift tätigkeitsbezogen ist. Der angestellte Freiberufler wird für die Tätigkeit befreit, wegen der er gesetzliches Mitglied der berufsständischen Kammer ist. Diese Tätigkeit und damit zusammenhängend die Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der Kammer ist eine Frage des Berufsrechts, nicht des Sozialrechts und kann daher nicht von § 6 Abs. 1 SBG VI geregelt werden. Eine Auflösung der zuweilen unübersichtlichen Situation ist im Berufrecht der jeweiligen Berufsgruppe zu suchen. 1. Pharmaberater Das Berufsrecht der Ärzte, Tierärzte und Apotheker lässt eine Tätigkeit der jeweiligen Berufsträger als Pharmaberater unzweifelhaft zu. Die gegenteilige Auffassung geht von einem überholten, nicht mehr zeitgemäßen Berufsbild aus, wie das VG München und das SG Mannheim in den o. g. Entscheidungen ausführlich darlegen. Die Befreiungspraxis der gesetzlichen Rentenversicherung bedarf einer Änderung. 2. Syndikusanwalt Im rechtsanwaltlichen Berufsrecht ist die Suche nach der Definition einer rechtsanwaltlichen Tätigkeit, die eine Kammermitgliedschaft begründet, vergeblich. Die Kammermitgliedschaft knüpft allein an formale Voraussetzungen (insbesondere die Befähigung zum Richteramt) an, ohne dass primär Tätigkeiten ins Blickfeld genommen sind. Der Status des Rechtsanwalts und damit zugleich seine Zugehörigkeit zu einer Rechtsanwaltskammer, ist grundsätzlich personenund nicht tätigkeitsbezogen. Auch ein Rechtsanwalt, der seinen Beruf (z. B. mangels jeden Mandats) nicht ausübt, ist und bleibt Rechtsanwalt und damit Mitglied der Kammer17. Es entspricht dem Berufsbild der freien Anwaltschaft, dass nur in Grenzfällen an Tätigkeiten angeknüpft wird, z. B. wenn diese mit der Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege nicht vereinbar sind18. Befreiung von der Rentenversicherungspflicht, Esser

In der sozialgerichtlichen Rechtsprechung wird immer wieder vertreten und auch vom LSG Nordrhein-Westfalen im Rahmen seiner oben dargestellten Entscheidungen angeführt, die Tätigkeit als angestellter Anwalt bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber sei mit der Stellung als unabhängigem Organ der Rechtspflege unvereinbar. Stützen dieser Argumentation sollen die sog. Doppelberufsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts19 und verschiedene Entscheidungen des BGH20 sein. Diese Entscheidungen können jedoch kaum zur Untermauerung herhalten: Durch die sog. Doppelberufsentscheidung wird nur dem verfassungsrechtlich geschützten Recht aus Art. 12 GG zum Durchbruch verholfen, auch mehrere Berufe nebeneinander wählen zu können. Über die Frage, ob der jeweilige Zweitberuf eine anwaltliche Tätigkeit darstellt, sagt diese Entscheidung und die ihr zu Grunde liegende Problematik nichts aus21. Der BGH hat mehrfach im Zusammenhang mit der Verleihung von Fachanwaltsbezeichnungen die Tätigkeit als Syndikus behandelt. Diese Rechtsprechung ist nicht einheitlich. Zwar hat der BGH in seinem Beschluss vom 13. März 2000 ausgeführt, die Tätigkeit als Syndikus sei keine anwaltliche22. Bereits ein Jahr später ist der BGH von dieser Linie jedoch wieder abgewichen. Im Beschluss vom 18. Juni 2001 knüpft der BGH an die erste Entscheidung an und bestätigt ausdrücklich seine Auffassung, dennoch gibt der Senat dem Antragsteller, der eine Fachanwaltsbezeichnung unter Zugrundelegung seiner Tätigkeit als Syndikus verliehen haben wollte, recht; es könne nicht verkannt werden, dass der Anwalt aus seiner Syndikustätigkeit umfangreiche Kenntnisse und praktische Erfahrungen auf seinem Fachgebiet erworben habe, die bei der Entscheidung seines Antrags Berücksichtigung finden könnten23. Ohne es zuzugestehen hat der BGH damit seinen Ausgangspunkt, wonach die Syndikustätigkeit keine anwaltliche Tätigkeit sei und die Voraussetzungen für den Erwerb von Fachanwaltsbezeichnungen nicht erfülle, aufgegeben24. Bestätigt wird diese Linie durch den Beschluss des BGH vom 13. Januar 2003, jedoch leugnet das Gericht wiederum eine Änderung seiner Rechtsprechung aus dem Jahr 200025. Die Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht und BGH vermögen also die Frage nach der Klassifizierung einer anwaltlichen Tätigkeit nicht zu beantworten. Die wohl h. M. ist sich mit der Verwaltungspraxis der gesetzlichen Rentenversicherung einig, dass derjenige eine anwaltliche Tätigkeit ausübt, der rechtsberatend, rechtsentscheidend, rechtsgestaltend und rechtsvermittelnd tätig ist26. Dies gilt auch für den Syndikusanwalt. Das Ergebnis deckt sich auch mit der anwaltlichen Berufsordnung. Beachtung 16 Ausführlich hierzu Kirchhoff, AnwBl 2005, 618 ff. 17 Solange die Zulassung nicht gem. § 13 BRAO auf Grund rechtskräftiger Entscheidung erlischt, nach § 14 BRAO zurückgenommen oder widerrufen wird oder ein Beendigungsgrund nach §§ 34, 35 BRAO bei einem bestimmten Gericht vorliegt, ohne dass der Anwalt bei einem zweiten Gericht zugelassen wäre. 18 Kilger, AnwBl 99, 571 ff. 19 BVerfG, Beschluss v. 04.11.1992, BverfGE 87, 287 = NJW 1993, 317. 20 BGH, Beschluss v. 13.3.2000, MDR 2000, 671; Beschluss v. 18.6.2001, NJW 2001, 3130. 21 Pr tting in: ABV (Hrsg.), Anwaltliche Tätigkeit und berufsständische Versorgung, 2003, S. 16. 22 BGH, Beschluss v. 13.3.2000, MDR 2000, 671. 23 BGH, Beschluss v. 18.6.2001, NJW 2001, 3130. 24 Prütting in: ABV (Hrsg.), Anwaltliche Tätigkeit und berufsständische Versorgung, 2003, S. 25. 25 BGH, Beschluss v. 13.1.2003, NJW 2003, 883. 26 Hamacher, AnwBl 2005, 551; Jung/Prossliner in: Doetsch/Jung/Lenz, AnwaltsVorsorge, 2004, S. 67; Kirchhoff, AnwBl 2005, 618; Lindenau, KammerMitteilungen der RAK Düsseldorf 2005, 117; Kilger/Prossliner, NJW 2004, 821; Wirges, NZW 2006, 19; Offermann-Burckart, KammerMitteilungen der RAK Düsseldorf 2005, 142.

AnwBl 1 / 2007

19

MN

Aufsätze

verdient hier der Gesetzeswortlaut des § 46 BRAO. Die amtliche Überschrift verweist auf „Rechtsanwälte in ständigem Dienstverhältnis“. Offenbar hat diese Überschrift zur selbstverständlichen Voraussetzung, dass ein Rechtsanwalt als solcher auch in einem ständigen Dienstverhältnis stehen kann. Es besteht Einigkeit, dass die Prozesshandlung eines Syndikusanwalts, der entgegen der Regelung des § 46 BRAO vor Gericht für seinen Arbeitgeber auftritt, in ihrer Wirkung hiervon nicht berührt wird27. Weiter ist unbestritten, dass dem Syndikus Anwaltsprivilegien zustehen. So hat der Syndikus im Prozess gegen seinen Arbeitgeber ein Zeugnisverweigerungsrecht, auch das Beschlagnahmeprivileg nach § 97 StPO wird ihm in der Regel zugebilligt, wenn er in seinem Unternehmen tätig ist28. Diese zutreffende Ansicht vertritt auch das LSG Bayern in seinem o. g. Urteil vom 7. April 200429. Wenig überzeugend wirkt der immer wieder vorgebrachte Hinweis auf die angeblich fehlende Unabhängigkeit des Syndikusanwalts. In ihrem Kern bedeutet diese Unabhängigkeit eine Unabhängigkeit vom Staat30. Die sozialge-

richtliche Rechtsprechung stellt jedoch vielmehr die Unabhängigkeit gegenüber dem Mandanten in den Mittelpunkt. Hierbei lohnt ein Blick auf die Interessenlage des selbständigen Anwalts, der offensichtlich als Richtschnur dient. Der selbständige Anwalt wird zunächst im Interesse seines Mandanten tätig. Er ist ihm gegenüber vertraglich verpflichtet aber auch aus eigenem Interesse am Erfolg des Mandanten interessiert. Der Erfolg des Mandanten bürgt nämlich gleichzeitig für den Erfolg des Anwalts selbst, er sichert ihm das Einkommen und die Chance, erneut mandatiert zu werden. Schließlich besteht neben Mandanten- und Eigeninteresse noch ein Interesse an der Rechtspflege. Vergleicht man diese Interessenkonstellation des selbständigen Anwalts mit derjenigen des Syndikusanwalts, sind kaum Unterschiede fest27 28 29 30

BAG, NZA 1996, 661. Pr tting, AnwBl 2001, 313. BayLSG, Urteil v. 7.4.2004 (AZ: L 13 RA 45/03). Feuerich/Braun, BRAO, § 1 Rdrn. 15; Henssler/Pr tting/Koch, BRAO, § 1 Rdnr. 45; Kleine-Cosack, BRAO, § 1 Rdnr. 5.

Wortlaut

_____________________________________________________________________________________________

§ 6 SGB VI Befreiung von der Versicherungspflicht (1) Von der Versicherungspflicht werden befreit 1. Beschäftigte und selbständig Tätige für die Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, wenn a) am jeweiligen Ort der Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit für ihre Berufsgruppe bereits vor dem 1. Januar 1995 eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestanden hat, b) für sie nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zur berufsständischen Versorgungseinrichtung zu zahlen sind und c) aufgrund dieser Beiträge Leistungen für den Fall verminderter Erwerbsfähigkeit und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepasst werden, wobei auch die finanzielle Lage der berufsständischen Versorgungseinrichtung zu berücksichtigen ist, 2. (...) Die gesetzliche Verpflichtung für eine Berufsgruppe zur Mitgliedschaft in einer berufsständischen Kammer im Sinne des Satzes 1 Nr. 1 gilt mit dem Tag als entstanden, an dem das die jeweilige Kammerzugehörigkeit begründende Gesetz verkündet worden ist. Wird der Kreis der Pflichtmitglieder einer berufsständischen Kammer nach dem 31. Dezember 1994 erweitert, werden diejenigen Pflichtmitglieder des berufsständischen Versorgungswerks nicht nach Satz 1 Nr. 1 befreit, die nur wegen dieser Erweiterung Pflichtmitglieder ihrer Berufskammer geworden sind. Für die Bestimmung des Tages, an dem die Erweiterung des Kreises der Pflichtmitglieder erfolgt ist, ist Satz 2 entsprechend anzuwenden. Personen, die nach bereits am 1. Januar 1995 geltenden versorgungsrechtlichen Regelungen verpflichtet sind, für die Zeit der Ableistung eines gesetzlich vorgeschriebenen Vorbereitungsoder Anwärterdienstes Mitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung zu sein, werden auch dann nach Satz 1 Nr. 1 von der Versicherungspflicht befreit, wenn eine gesetzliche Ver-

20

AnwBl 1 / 2007

pflichtung zur Mitgliedschaft in einer berufsständischen Kammer für die Zeit der Ableistung des Vorbereitungs- oder Anwärterdienstes nicht besteht. Satz 1 Nr. 1 gilt nicht für die in Satz 1 Nr. 4 genannten Personen. (1 a) (...) (1 b) Versicherte nach § 3 Satz 1 Nr. 3a werden von der Versicherungspflicht befreit, wenn sie im letzten Kalendermonat vor dem Bezug von Arbeitslosengeld II nicht versichert waren und 1. während der Dauer des Bezugs von Arbeitslosengeld II weiterhin Mitglied in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung bleiben oder 2. eine selbständige Tätigkeit ausgeübt und mit einem öffentlichen oder privaten Versicherungsunternehmen einen Lebensoder Rentenversicherungsvertrag abgeschlossen haben, der so ausgestaltet ist, dass Leistungen für den Fall der Invalidität und des Erlebens des 60. oder eines höheren Lebensjahres sowie im Todesfall Leistungen an Hinterbliebene erbracht werden und für die Versicherung auch während des Bezugs von Arbeitslosengeld II monatlich mindestens ebenso viele Beiträge aufgewendet werden, wie bei einer freiwilligen Versicherung in der Rentenversicherung zu zahlen sind. (2) Die Befreiung erfolgt auf Antrag des Versicherten, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 und 3 auf Antrag des Arbeitgebers. (3) Über die Befreiung entscheidet der Träger der Rentenversicherung, nachdem in den Fällen 1. des Absatzes 1 Nr. 1 die für die berufsständische Versorgungseinrichtung zuständige oberste Verwaltungsbehörde, 2. des Absatzes 1 Nr. 2 die oberste Verwaltungsbehörde des Landes, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat, das Vorliegen der Voraussetzungen bestätigt hat. (4) Die Befreiung wirkt vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an, wenn sie innerhalb von drei Monaten beantragt wird, sonst vom Eingang des Antrags an. (5) Die Befreiung ist auf die jeweilige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit beschränkt. Sie erstreckt sich in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 und 2 auch auf eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit, wenn diese infolge ihrer Eigenart oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist und der Versorgungsträger für die Zeit der Tätigkeit den Erwerb einkommensbezogener Versorgungsanwartschaften gewährleistet.

Befreiung von der Rentenversicherungspflicht, Esser

MN

Aufsätze

zustellen. Auch der Syndikusanwalt ist sowohl im Eigeninteresse als auch im Interesse des Arbeitgebers daran interessiert, mit der Rechtsberatung, -gestaltung, -entscheidung und -vermittlung erfolgreich zu sein. Beim selbständigen Anwalt hat der Gesetzgeber, um ein übermäßig starkes Eigeninteresse zu vermeiden, das Erfolgshonorar verboten. Vergleichbar ist die Situation des Syndikusanwalts, der seine rechtsanwaltliche Tätigkeit durch das Arbeitsentgelt vergütet bekommt und ebenfalls nicht im engeren Sinn erfolgsabhängig arbeitet; selbst ein streitwertabhängiges Interesse entfällt bei ihm31. Noch augenfälliger wird die Vergleichbarkeit der Situation des Syndikusanwalts mit einem bei einem Rechtsanwalt angestellten Anwalt. Beide üben ihre Tätigkeit in einem Über- und Unterordnungsverhältnis aus. Beide unterliegen fachlichen und persönlichen Weisungen ihrer Vorgesetzten32. Insgesamt geht das LSG Nordrhein-Westfalen von einem überkommenen Berufsbild des Rechtsanwalts aus, wenn es ausführt, die Tätigkeit als Syndikusanwalt widerspreche der Anschauung der Allgemeinheit vom unabhängigen freiberuflich tätigen Anwalt33. Innerhalb der Anwaltschaft ist anerkannt, dass die Tätigkeit als Syndikus eine anwaltliche Tätigkeit ist34. Wie gezeigt bietet das anwaltliche Berufsrecht keinen gegenteiligen Anhaltspunkt. Zuletzt versucht das LSG Nordrhein-Westfalen die Ablehnung der Befreiungsfähigkeit der Syndikusanwälte mit einem Argument ohne Bezug auf das Wesen der anwaltlichen Tätigkeit zu stützen. Die Befreiung des Syndikusanwalts eröffne die Möglichkeit, die Solidargemeinschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung zu verlassen und sich stattdessen in einer eigenen Gruppe mit günstigerer Risikostruktur abzusichern. § 6 Abs. 1 SGB VI wolle aber gerade eine fortschreitende Auszehrung des beitragspflichtigen Personenkreises durch eine Ausweitung berufsständischer Versorgungswerke verhindern35. Abgesehen davon, dass die angeblich günstigere Risikostruktur der Versicherten von berufsständischen Versorgungswerken vom Gericht gänzlich unsubstantiiert behauptet wird, liegt diese Interpretation von Sinn und Zweck des § 6 Abs. 1 SGB VI neben der Sache. Das Hessische LSG hat in seinem Urteil vom 29. Juni 200636 festgestellt, dass den Materialien zum Befreiungsrecht nach § 6 Abs. 1 SGB VI ein Zwang zur restriktiven Auslegung nicht zu entnehmen sei. Das Ziel der Regelung sei es gewesen, die Abwanderung weiterer Berufsgruppen aus dem System der gesetzlichen Rentenversicherung zu verhindern. Hingegen ergebe sich kein Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber den Eintritt der bisher bereits in der berufsständischen Versorgung versicherten Personen in dieses Alterssicherungssystem und ihren Austritt aus der gesetzlichen Rentenversicherung erschweren wollte. Die eingangs dargestellten sozialgerichtlichen Entscheidungen sind im Ergebnis nicht zu beanstanden. Den zu entscheidenden Sachverhalten ist allen gemein, dass die Arbeitgeber ihren Angestellten nicht bestätigen konnten, als Rechtsanwälte für sie tätig zu sein. Damit haben sie zum 31 32 33 34

Pr tting, AnwBl 2001, 313. Ettwig, SGb 2005, 441. LSG NRW, Urteil v. 19.3.2004 (AZ: L 4 RA 12/03). Der Vorstand des DAV hat bereits 2004 durch Beschuss festgestellt, dass anwaltliche Tätigkeit auch dann vorliegt, wenn ein angestellter Anwalt für ein Unternehmen, bei dem er angestellt ist, rechtsgestaltende, rechtsberatende oder rechtsentscheidende Tätigkeiten erbringt. 35 LSG NRW, Urteil v. 19.3.2004 (AZ: L 4 RA 12/03); LSG NRW, Urteil v. 22.8.2005 (AZ: L 3 RA 72/04). 36 Hess. LSG, Urteil v. 29.6.2006 (AZ: L 8 KR 205/05). 37 So auch Kilger/Prossliner, NJW 2006, 3108, 3110.

Befreiung von der Rentenversicherungspflicht, Esser

Ausdruck gebracht, dass ihre Mitarbeiter für sie nicht rechtsgestaltend, rechtsberatend, rechtsentscheidend und rechtsvermittelnd tätig sind. In diesen Fällen war eine Befreiung zu versagen, da keine rechtsanwaltliche Tätigkeit ausgeübt wurde. Soweit jedoch über die Entscheidung des Einzelfalls hinaus die grundsätzliche Befreiungsfähigkeit der Syndikusanwälte bestritten wird, ist dem zu widersprechen.

III. Aktuelles Problem: örtliche Zuständigkeit der Kammer Aktuell treten vereinzelt Probleme mit der Handhabung des Befreiungsrechts insbesondere bei Rechtsanwälten und Architekten auf. So werden wiederholt Befreiungen versagt, wenn das Mitglied nicht im Zuständigkeitsbereich der Rechtsanwaltskammer bzw. der Architektenkammer, bei der es zugelassen/eingetragen ist, seine angestellte Berufstätigkeit ausübt. Einem Rechtsanwalt, der etwa in Frankfurt/Main zugelassen ist, aber in Mainz als angestellter Anwalt arbeitet, erhält einen abschlägigen Bescheid mit der Begründung, die Beschäftigung müsse in dem Bundesland ausgeübt werden, in dem auch das Versorgungswerk errichtet sei. Diese Auffassung ist falsch. § 6 Abs. 1 SGB VI enthält keinerlei Aussage zur örtlichen Zuordnung der Kammerpflichtmitgliedschaft. Vielmehr ist auf das jeweilige Berufsrecht abzustellen37. In ihrer Mehrzahl stellen etwa die Architektengesetze der Länder für die Eintragung gar nicht auf den Beschäftigungs-, sondern auf den Wohnort ab. Der Rechtsanwalt hingegen ist gem. § 56 Abs. 2 BRAO verpflichtet, seiner Kammer das Eingehen eines Beschäftigungsverhältnisses anzuzeigen. Bestehen seitens der Kammer keine Bedenken gegen die Ausübung der Syndikustätigkeit am fernen Beschäftigungsort, kann die Befreiung nach § 6 Abs. 1 SGB VI nicht versagt werden.

IV. Fazit Ärzte, Tierärzte oder Apotheker, die als Pharmaberater tätig sind, üben jeweils eine berufsspezifische Tätigkeit aus. Die Tätigkeit als Syndikusanwalt ist eine anwaltliche Tätigkeit. Das Berufsrecht der jeweiligen verkammerten freien Berufe ist diesbezüglich eindeutig. Die gesetzliche Rentenversicherung und die Sozialgerichte dürfen bei der Auslegung von § 6 Abs. 1 SGB VI kein Berufsbild zugrunde legen, welches enger geschnitten ist, als es von den jeweiligen Berufsgruppen in den Grenzen ihrer berufsständischen Autonomie festgelegt worden ist. Zweck des § 6 Abs. 1 SGB VI ist es nicht, der gesetzlichen Rentenversicherung durch die Versagung der Befreiung von Angehörigen grundsätzlich bereits in der berufsständischen Versorgung versicherter Personen zusätzliche Beitragszahler zuzuführen.

Dr. Albert Esser, Frankfurt am Main

Der Autor ist Rechtsanwalt und Gesch ftsf hrer des Versorgungswerks der Rechtsanw lte im Lande Hessen.

AnwBl 1 / 2007

21

MN

Kommentar Von Kunden, die nicht Nein sagen ...

Herbert P. Schons, Duisburg

Rechtsanwalt und Notar, Mitglied des Ausschusses RVG und Gerichtskosten des Deutschen Anwaltvereins

... und von Verkäufern, die nicht verkaufen wollen. Das ist mein persönliches Fazit zum neuen § 34 RVG. Ein halbes Jahr ist vergangen seitdem der Gesetzgeber die Anwaltschaft laut Römermann in das Nirwana ihrer eigenen Hilflosigkeit entlassen hat. Kein schlechter Zeitpunkt für eine erste Bilanz. Zunächst einmal: Der schöne Satz, dass nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird, scheint sich auch hier bewahrheitet zu haben. Es gibt jedenfalls weder von Rechtsanwälten, noch von Rechtschutzversichern, noch von den Mandanten Klagen oder Unverständnis. Ganz im Gegenteil: Insbesondere die Mandanten bewerten es positiv, wenn der Rechtsanwalt von Anfang an das Thema Kosten offensiv angeht. Allein der dezente Hinweis auf die unklare Rechtslage, wenn man ohne Vereinbarung – nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts – abrechnen müsse, ist für den Klienten Anlass genug, einer Gebührenvereinbarung grundsätzlich positiv gegenüber zu treten. Aber auch bei der Höhe scheint es – und dies spricht für das Fingerspitzengefühl der Rechtsanwälte bei der Preisgestaltung – wenig Probleme zu geben. Für ein erstes Beratungsgespräch wird ein vereinbarter Preis bis hin zur Kappungsgrenze von 190 E zzgl. Umsatzsteuer vom Mandanten in der Regel recht schnell akzeptiert. Aber auch die zweite Kappungsgrenze von 250 E erfreut sich bundesweit einer Akzeptanz, wenn es um Beratungsleistungen geht, die über ein erstes Beratungsgespräch hinaus gehen. Wer höhere Pauschalen vereinbaren will oder nach Zeitaufwand abrechnet, hat meistens ohnehin ein 22

AnwBl 1 / 2007

Klientel, das nicht – nur – auf einen Rechtschutzversicherungsvertrag zurückgreifen muss. Aber auch in einer Allgemeinpraxis – das zeigen die Erfahrungen – lässt sich nach Zeitaufwand abrechnen. Da wo verhandelt und vereinbart wird, ist das „Verkaufsgespräch“ also in der Regel schnell und für beide Seiten erfreulich abgeschlossen. Der neinsagende Kunde scheint also eher die Ausnahme zu sein. Die Rechtsanwälte ihrerseits scheinen sich in weiten Teilen allerdings noch etwas unwohl in der Haut des „Verkäufers in eigener Sache“ zu füh-

„Die neue Freiheit bereitet weniger Probleme als erwartet.“ len. In Einzelgesprächen erfährt man, dass sie es eher peinlich finden, das Preisgespräch an den Anfang der Beratung zu stellen. Sie wollen nicht den Eindruck erwecken, die Vergütung stehe im Mittelpunkt ihres Interesses. Manche wollen sich die Mühe eines Preisgespräches auch sparen, wenn ein weitergehender Auftrag im Sinne von Nr. 2300 VV oder gar ein unmittelbarer Verfahrensauftrag im Raume steht. Sie wollen sich sofort in das sichere Fahrwasser der gesetzlichen Vergütung begeben. Doch hier werden Gebühren verschenkt, wenn man auf die Vereinbarung einer nicht anzurechnenden Ratsgebühr ohne Not verzichtet. Auch ist die Abgrenzung zwischen Ratsgebühr und Geschäftsgebühr nur schwer vorzunehmen (etwa beim Entwerfen von Urkunden) und wer dann auf eine vereinbarte

Vergütung in der Erwartung der gesetzlichen Gebühr verzichtet hat, wird sich schwer tun, die Beratungstätigkeit nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu berechnen. Und was ist, wenn der weitergehende Mandatsauftrag ausbleibt? Eine dritte Gruppe von Anwälten berichtet von der hohen Akzeptanz, die die gesetzliche Regelung bis zum 30. Juni 2006 bei den Mandanten via Vereinbarung genießt. Statt einen Preis auszuloten und auszuhandeln, schlägt man dem Mandanten vor, über eine entsprechende Vereinbarung die alte Gesetzeslage der Beratungsvergütung zugrundezulegen, Nr. 2100 VV, abhängig vom Gegenstandswert, also wieder in Kraft treten zu lassen. Dies entspricht in etwa auch der Handhabung einiger Rechtschutzversicherungen, wenn man davon absieht, dass diese nunmehr eine Deckelung der Vergütung auf 190 E bzw. 250 E zzgl. Umsatzsteuer vornehmen. Alles in allem bereitet § 34 RVG weniger Probleme, als dies anfänglich noch zu vermuten war. Eine Befürchtung ist allerdings eingetreten: Rechtsanwälte versuchen ihre Wettbewerbschancen auf dem umkämpften Beratungsmarkt durch Preisdumping zu verbessern. Nach dem Motto: Wo es keine gesetzliche Vergütung mehr gibt, kann eine solche auch nicht berufswidrig unterboten werden (vgl. § 4 Abs. 2 S. 3 RVG). So wird in Zeitungsannoncen Beratung auf allen Rechtsgebieten (!) für 20 E, für 9,99 E, ja gar für 0 E angeboten. Man kann nur hoffen, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung solchen Auswüchsen Einhalt gebietet. Eine andere Gefahr – gewissermaßen mit umgekehrten Vorzeichen – lauert bei den Missbrauchsmöglichkeiten einer Vergütungsvereinbarung (siehe nur OLG Düsseldorf AnwBl 2006, 770). Damit trägt jeder Rechtsanwalt, der eine vereinbarte Vergütung abrechnet, eine hohe Verantwortung nicht nur dem eigenen Klienten gegenüber, sondern auch gegenüber der gesamten Anwaltschaft, die unter Missbräuchen insgesamt zu leiden hätte. Es wäre schade um die Möglichkeiten einer Gebührenbzw. Vergütungsvereinbarung, die vom rechtssuchenden Publikum erstaunlich schnell und positiv aufgenommen wurde. Nur der redliche Verkäufer in eigner Sache wird auf Sicht die Kunden mit einem uneingeschränkten Ja zur Vereinbarung behalten.

MN

Thema

Neue Wege zum Fachanwalt: Qualität prüfen? Ausschuss der Satzungsversammlung: Zentralabitur und kein obligatorischer Fachanwaltskurs Rechtsanwalt Philipp Wendt, Berlin

Der Titel Fachanwalt signalisiert Spezialkenntnisse und praktische Erfahrung. Doch offenbar steckt in dem Titel nicht (mehr) das drin, was er verspricht. Ein Ausschuss der Satzungsversammlung der Anwaltschaft diskutiert ein neues Prüfungssystem. Das bisherige Nachweissystem ist rein formal: Wer Fachanwalt werden will, muss in der Regel einem Lehrgang von 120 Zeitstunden absolvieren und mindestens drei schriftliche Aufsichtsarbeiten (mit mindestens 15 Stunden Prüfungszeit) schreiben. Dazu kommt der Nachweis besonderer praktischer Erfahrung. Die Antragsteller müssen Falllisten aus dem jeweiligen Rechtsgebiet vorlegen. Doch mit der wachsenden Zahl der Fachanwaltschaften ist dieses System in die Kritik geraten. In der Tat: Der bloße Nachweis bestimmter Voraussetzungen reicht für die Verleihung des Titels. Die Fachausschüsse der regionalen Rechtsanwaltskammern haben keine Möglichkeit, die fachliche Qualifikation des Bewerbers materiell zu überprüfen. So will es die BRAO. Legt der Kandidat drei Klausuren vor, die der Lehrgangsanbieter mit „bestanden“ bewertet hat, so ist der Fachausschuss der Kammer hieran gebunden. Selbst wenn sich aus den Klausuren Zweifel an der fachlichen Qualifikation ergeben, kann der Ausschuss dies nicht zum Anlass dafür nehmen, die Bewerberin oder den Bewerber zu einem Fachgespräch zu laden. Das hat der BGH ausdrücklich entschieden (BGH NJW 2003, 741 f.; siehe auch BGH AnwBl 2005, 499). Seit einiger Zeit wird deshalb diskutiert, dieses Nachweissystem durch eine Fachanwaltsprüfung zu ersetzen. In einem Diskussionsentwurf schlägt der Vorstand des Deutschen Anwaltvereins vor, über ein echtes Prüfungsgespräch nachzudenken (zum Diskussionsentwurf siehe AnwBl 2006, S. 746 ff). Der bisherige Nachweis der theoretischen Kenntnisse und praktischen Erfahrungen könnte allein Zulassungsvoraussetzung zur Prüfung sein. Die Satzungsversammlung denkt ebenfalls über eine Reform nach. Sie hatte dem für die Fachanwaltschaften zuständigen Ausschuss im April 2006 aufgegeben, eine große Reform der Fachanwaltsordnung vorzubereiten. Ziel sollte die Einführung einer Qualitätsprüfung sein. Dabei war der Satzungsversammlung bewusst, dass eine Änderung des derzeitigen Systems nur nach einer Änderung der BRAO möglich ist – und damit nicht in der Kompetenz der Satzungsversammlung liegt. Diese kann also nur an den Gesetzgeber appellieren. Bundeseinheitliche Klausuren Der Ausschuss 1 der Satzungsversammlung hat nun konkrete Vorschläge für eine Qualitätsprüfung erarbeitet. Das den Überlegungen zugrunde liegende Konzept eines Unterausschusses und das Protokoll der Sitzung des Ausschusses 1 der Satzungsversammlung vom 6. November 2006 liegen der Anwaltsblatt-Redaktion vor. Kern der Vorstellungen ist es, dass die Klausuren künftig nicht mehr von den Lehrgangsanbietern gestellt und bewertet werden. Es sollen bundeseinheitliche Klausuren geschrieben werden, die von den Neue Wege zum Fachanwalt: Qualit t pr fen?, Wendt

Fachausschüssen der Rechtsanwaltskammern korrigiert werden. An mindestens zwei Klausurterminen im Jahr – so heisst es in dem Ausschussprotokoll – sollen für jedes Fachgebiet je drei fünfstündige Klausuren angeboten werden. Die Klausuren mit Lösungsskizzen sollen von einer Aufgabenkommission erstellt und an die regionalen Kammern versandt werden. Die Korrektur der Klausur wird von den Prüfungsausschüssen bei den regionalen Rechtsanwaltskammern vorgenommen. Sie sollen sich an den Lösungsskizzen und Bewertungsschemata der Aufgabenkommission orientieren. Den Nachweis der theoretischen Kenntnisse hat erbracht, wer drei Klausuren bestanden hat. Der Besuch eines Fachanwaltslehrgangs soll – so hat es der Ausschuss 1 in seiner Sitzung am 6. November 2006 entschieden – nicht mehr obligatorisch sein. Jedem Antragsteller bliebe es selbst überlassen, sich das zum Bestehen der Klausuren erforderliche Wissen anzueignen. Keine Änderungen sehen die Pläne des Ausschusses 1 beim Nachweis der besonderen praktischen Erfahrungen durch die bekannten Fall-Listen vor. Der Ausschuss 1 tritt das nächste mal am 29. Januar 2007 zusammen. Bis dahin sollen noch die Kosten des zentralen Prüfungssystems geklärt werden. Danach könnte die 3. Satzungsversammlung die Vorstellungen des Ausschusses noch in einer letzten Sitzung im Frühjahr 2007 diskutieren, bevor im Laufe des Jahres die 4. Satzungsversammlung von der Anwaltschaft gewählt wird. Paradigmenwechsel Das bisherige Nachweissystem ermöglicht sehr jungen Anwältinnen und Anwälten den Erwerb der Fachanwaltschaft. Die Fachanwaltschaft ist Grundlage der Spezialisierung. In der Praxis muss die Qualifikation vertieft werden. Ausgehend von den großen, an den Verfahrensordnungen ausgerichteten Fachanwaltschaften macht das Sinn. Niemand lernt mit 120 Unterrichtstunden und einer 3-jährigen Praxis das Sozialrecht. Im Verwaltungsrecht kann schon niemand ernsthaft erwarten, das die Fachanwältin, der Fachanwalt auch nur versucht, das gesamte öffentliche Recht zu beherrschen. Der Wechsel vom Nachweissystem hin zu einem Prüfungsmodell wäre neu. Zur Änderung der BRAO müsste der Bundesgesetzgeber tätig werden. Ob das Bundesjustizministerium Anregungen der Satzungsversammlung aufgreift, ist offen. Dass die Anwaltschaft aber über ihr anwaltliches Berufsrecht nachdenkt, wird – so heißt es im Bundesjustizministerium – begrüßt. Philipp Wendt, Berlin

Der Autor ist Rechtsanwalt. Er ist Gesch ftsf hrer des Deutschen Anwaltvereins und Mitglied der Anwaltsblatt-Redaktion. Der Beitrag beruht auf Recherchen der Redaktion.

AnwBl 1 / 2007

23

MN

Anwaltsblattgespräch

Ausbilden wird zur unternehmerischen Entscheidung – es geht um die Sicherung der anwaltlichen Qualität Anwalt soll nur werden, wer Anwalt gelernt hat: Das Anwaltsblatt stellt den DAV-Gesetzentwurf für ein Anwaltsreferendariat vor Ist nicht aus jedem Juristen noch ein guter Anwalt, eine gute Anwältin geworden? Warum sollte die heutige Ausbildung schlecht sein? Zwei nicht leichte Examina, ein Studium und ein Referendariat – ist das nicht mehr als genug? Der Deutsche Anwaltverein plädiert seit langem für die Abschaffung des klassischen Referendariats. Es soll durch ein Richter-, ein Verwaltungs- und ein Anwaltsreferendariat ersetzt werden. Für die Anwaltsausbildung hat der Deutsche Anwaltverein (DAV) nun einen Gesetzentwurf zur Einführung einer Spartenausbildung vorgestellt (der ab Seite 45 in diesem Heft dokumentiert wird). Über die Ziele des Deutschen Anwaltvereins und den Entwurf sprach das Anwaltsblatt mit DAV-Vizepräsident Prof. Dr. Wolfgang Ewer. Der Anwalt aus Kiel hat die Arbeitsgruppe geleitet, die den Entwurf erarbeitet hat. Anwaltsblatt: Die Spartenausbildung ist das Ende des klassischen Einheitsjuristen. Ist das gewollt? Ewer: Ja und Nein. Der DAV-Entwurf gibt eine formell einheitliche Ausbildung auf. Das ist richtig. Die bisherige Ausbildung wird den sehr unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten jedoch längst nicht mehr gerecht. Der überwiegende Teil der Absolventen des zweiten Examens wird in die Anwaltschaft gedrängt – häufig ohne Alternative: in vielen Fällen, ohne es zu wollen, in einer Reihe von Fällen, ohne es zu können. Der DAV will eine Ausbildung schaffen, die die jungen Kolleginnen und Kollegen qualifiziert auf ihre beruflichen Aufgaben in der Anwaltschaft vorbereitet. Das kommt einem Ende des klassischen Einheitsjuristen gleich. Deshalb das „Ja“. Auf der anderen Seite soll eines erhalten bleiben: Nämlich die Gleichwertigkeit der Ausbildung. Anwalt und Richter sollen sich weiterhin auf Augenhöhe begegnen können. Der DAV-Vorschlag sieht am Ende der Anwaltsausbildung genau wie die Justizausbildung ein Staatsexamen vor. Deshalb ein „Nein“. Anwaltsblatt: Aber wenn das gemeinsame Referendariat und das gemeinsame Examen fehlen, sind Anwalt und Richter dann noch auf Augenhöhe? Ewer: Wenn die Ausbildung gleichwertig ist, wenn es die gleichen Prüfungsinstanzen gibt (und die Prüfungen sollen durch die Justizprüfungsämter der Länder abgenommen werden), wird es kein Examen 1. Klasse und 2. Klasse geben. Dann werden alle auf Augenhöhe sein. Anwaltsblatt: Besteht nicht die Gefahr, dass der junge Anwalt zwar ein „voller“ Anwalt ist, aber aus Sicht der Rechtsuchenden ein Volljurist minderer Güte? Ewer: Das glaube ich nicht. Die Bürger werden den Anwalt in erster Linie daran messen, – was er für sie leistet. Ich bin mir sicher, dass dieses Maß durch die Anwaltsausbildung deutlich gehoben und optimiert wird. Anwaltsblatt: Also es geht um Qualitätssicherung? Ewer: Genau. Ein erheblicher Schub bei der Qualität der Ausbildung wird sich aus mehreren Gründen ergeben. Es spricht einiges dafür, dass nur der einen Ausbildungsplatz finden wird, der auch in erheblichem Umfang die persönlichen Voraussetzungen für die Ausbildung und den Beruf 24

AnwBl 1 / 2007

mitbringen wird. Die hohen Anforderungen an die Auszubildenden werden dazu führen, dass diese auch von sich aus gegenüber der Ausbildungskanzlei eine gute Ausbildung einfordern werden. Schließlich unterliegen – das sieht der Entwurf vor – auch die Ausbilder gewissen Eignungsanforderungen. Und schließlich wird die Vermittlung des Stoffes durch eine Dokumentationspflicht kontrolliert. Anwaltsblatt: Wird es noch die Möglichkeit geben, zwischen den Berufen zu wechseln? Ewer: Das sieht der DAV-Entwurf ganz ausdrücklich vor. In § 8 des Entwurfs wird ein Wechsel in das Anwaltsreferendariat während der laufenden Ausbildung geregelt. Ein möglicher Wechsel von Richter- oder Verwaltungsjuristen in den Anwaltsberuf kann nur durch die Änderung der Bundesrechtsanwaltsordnung erfasst werden, die die Zugangsvoraussetzung zum Anwaltsberuf regelt. Die Möglichkeit eines solchen Wechsels ist sinnvoll, um die erforderliche Durchlässigkeit zu gewährleisten. Anwaltsblatt: Besteht aber nicht die Gefahr, dass derjenige, der Anwalt gelernt hat, am Ende auch nur noch Anwalt sein kann? Ewer: Diese Gefahr ist natürlich gegeben. Aber es ist zum einen ja schon heute so, dass der Wechsel aus der Anwaltschaft in die Justiz jedenfalls in etwas vorgerücktem Alter eher die Ausnahme ist. Er kommt praktisch nicht mehr vor. Und zum zweiten ermöglicht diese Ausbildung in hohem Umfang eine wirklich sehr qualitätvolle anwaltliche Arbeit – und gerade an solchen Anwaltspersönlichkeiten wird auch die Justiz Interesse haben. Anwaltsblatt: Mehr Lebenspraxis in der Ausbildung ist eine ganz alte Forderung in der Reformdiskussion. Gerade das Referendariat ist in den vergangen Jahren anwaltsnäher geworden. Auch heute schon müssen neun Monate beim Anwalt verbracht werden. Der DAV-Entwurf sieht nun mindestens 14 Monate Ausbildung beim Anwalt vor. Ist das die wesentliche Verbesserung, der Durchbruch? Ewer: Die wesentliche Verbesserung ist nicht allein die Erhöhung um fünf Monate. Die wesentliche Verbesserung ist die rechtliche Strukturierung der Inhalte dieser Ausbildung. Es werden alle wesentlichen Kernaufgaben erfasst, die zum Anwaltsberuf gehören. Die Vermittlung dieser Kenntnisse muss systematisch dokumentiert werden. Anwaltsblatt: Das bedeutet? Ewer: Wie in anderen Ausbildungsberufen werden Hefte geführt werden, in denen genau dokumentiert wird, wie welche vorgeschriebenen Bereiche abgedeckt worden sind. Anwaltsblatt: Da kann aber geschummelt werden. Ewer: Schummeleien lassen sich nie zu hundert Prozent vermeiden. Indes wird ein derartiges Dokumentationssystem zusammen mit einem staatlichen Anwaltsexamen Scheinausbildungen regelmäßig verhindern können. Anwaltsblatt: Der DAV-Entwurf sieht 20 Monate Praxis (einschließlich Gerichtsstation in Zivilsachen und einer Wahlstation) vor. Daneben wird es einen Theorieblock von vier Monaten geben. Was lernt der Anwalt dort, was er nicht auch im Studium oder in der Station hätte lernen können? Spartenausbildung, Ewer

MN

Anwaltsblattgespräch

Ewer: Die Anwaltschaft wird erkennen, dass es eine sinnvolle Regelung ist. Und das es eine Regelung ist, die nicht aus dem Rahmen fällt. Zur Zeit haben wir eine reine juristen- und keine berufsspezifische Anwaltsausbildung. Bei einer solchen Ausbildung wäre es überhaupt nicht nachvollziehbar, warum ein Berufsstand unter einer Reihe von Berufsständen die Kosten dieser Ausbildung tragen soll. Das aber Ausbildungen, die speziell zum Erwerb der Fähigkeiten für einen bestimmten Beruf angeboten werden, auch von den Berufsträgern anzubieten und zu finanzieren sind, ist üblich. Wir kennen es vom Malergesellen bis zum angehenden Facharzt. Das entspricht unserem marktwirtschaftlichen System. Gerade weil diese Kosten anfallen, wird es eben

„Wenn die Ausbildung gleichwertig ist, wenn es die gleichen Prüfungsinstanzen gibt, dann werden alle auf Augenhöhe sein.“

Verteidigt im Anwaltsblattgespr ch den DAV-Entwurf f r eine Spartenausbildung in der Juristenausbildung: Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolfgang Ewer (DAV-Vizepr sident).

Ewer: Er wird im Theorieblock im Wesentlichen nicht allgemeines Recht lernen. Das ist Sache des Studiums. Es wird im Theorieblock um anwaltsspezifisches Wissen gehen. Anwaltsblatt: Ein alter Spruch in der Ausbildungsdebatte lautet: „Gelernt wird, was geprüft wird“. Auf ein Anwaltsexamen als Staatsexamen verzichtet der Entwurf nicht. Im Examen prüfen nicht nur Anwälte. Ist das ein Risiko für eine praxisnahe Ausbildung? Ewer: Ein Examen ist immer ein Risiko. Aber das Examen ist eben als Anwaltsexamen ausgelegt. Es ist ein Examen, in dem die Inhalte der praktischen und theoretischen Anwaltsausbildung und nicht allgemeines juristisches Wissen geprüft werden. Das ist auch der Grund, warum etwa der schriftliche Teil des Anwaltsexamens am Ende der ersten Pflichtwahlstation abgelegt wird. Ich glaube, dass sowohl die inhaltliche Ausrichtung als auch der Umstand, dass in erheblichem Umfang Anwälte als Prüfer dort tätig sein müssen, dazu führt, dass tatsächlich auch das abgeprüft wird, was in der Anwaltsausbildung zu vermitteln ist. Anwaltsblatt: Die Anwaltschaft müsste bei einem Anwaltsexamen stärker mitwirken als bisher? Ewer: So ist es. Und zwar auf mehreren Ebenen. Auf der Ebene der praktischen Ausbildung, auf der Ebene der Mitwirkung an der theoretischen Ausbildung und im Prüfungsbereich. Anwaltsblatt: Die Finanzminister werden dem Deutschen Anwaltverein für seinen Gesetzentwurf applaudieren. In dem Entwurf heißt es, dass in den Justizhaushalten ein Einsparpotential von 233 Millionen Euro möglich sei. Das ist ein stattlicher Betrag. Im Ergebnis bedeutet das, dass die Kosten für das Anwaltsreferendariat von der Anwaltschaft getragen werden. Die Kanzleien müssen eine Mindestvergütung zahlen. Die Verwaltung des Anwaltsreferendariats sollen die Kammern übernehmen. Wollen die Anwälte das wirklich? Spartenausbildung, Ewer

auch so sein, dass aller Voraussicht nach Ausbildungsstellen nur in dem Umfang angeboten werden, in dem im Markt ein Bedarf für entsprechenden beruflichen Nachwuchs besteht. Anwaltsblatt: Aber ist es richtig, den Staat aus seiner finanziellen Verantwortung zu entlassen? Ewer: Es ist sinnvoll, eine marktwirtschaftliche Orientierung vorzunehmen. Ich mag noch so großes Interesse daran haben, Orthopäde werden zu wollen, ich werde dies nur können, wenn ich einen entsprechenden Facharztausbildungsplatz habe. Und der wird mir nicht vom Staat oder von einem Dritten einfach so zur Verfügung gestellt werden, sondern er wird mir angeboten werden, wenn der Markt eine Nachfrage aufweist. Anwaltsblatt: In welchem Umfang Ausbildungsplätze angeboten werden, hängt auch von der Mindestvergütung der Referendare ab. Der DAV-Entwurf spricht von einer Vergütung von 24/17 der monatlichen Bruttovergütung im Richterreferendariat. Wie sind Sie auf diesen Wert gekommen? Ewer: Dieser Wert hängt damit zusammen, dass die Gesamtdauer der Ausbildung 24 Monate beträgt und das der Anwaltsreferendar einen Teil dieser Zeit an dritter Stelle etwa im Bereich der Gerichtsbarkeit zubringt. Das Gesamtsalaire soll ihm für die diese Zeiten außerhalb der Anwaltskanzlei eine angemessene Lebensführung ermöglichen. Das erklärt den Schlüssel von 24/17. Anwaltsblatt: Die Vergütung könnte so hoch sein, dass sich gerade kleine Kanzleien einen Anwaltsreferendar nicht leisten können. Sind Sie sich dieser Tatsache bewusst? Ewer: Ja. Dieser Einwand ist nicht unberechtigt. Es wird so sein, dass nur ein relativ kleiner Teil der Einzelkanzleien zur Ausbildung bereit sein wird. Wer sich in einem Umsatzertragsbereich bewegt, der eine strenge Sparsamkeit gebietet, wird lieber billige juristische Hilfskräfte – vom abgebrochenen Studenten über den Diplomjuristen bis zu Fachhochschulabsolventen – einstellen. Warum soll ein Einzelanwalt die Last einer Anwaltsausbildung aufbürden, wenn er den zukünftigen Absolventen ohnehin keine attraktiven Konditionen bieten kann? Wir sind allerdings der Auffassung, dass nur diejenige Kanzlei, die einen wirklichen Bedarf für einen qualifizierten Anwalt hat, eine solche Ausbildung verantwortlich wird vornehmen können. AnwBl 1 / 2007

25

MN

Anwaltsblattgespräch

Anwaltsblatt: Ist das auch ein Element der Qualitätssicherung? Man kümmert sich um alles, was Geld kostet. Ewer: Ja. Es ist doch schon heute so, dass die Kanzleien erhebliche Aufwendungen haben, wenn Sie junge Kollegen einstellen. Die Defizite der heutigen Ausbildung müssen in den ersten bis zwei Berufsjahren ausgeglichen werden. Schon heute ist ein nicht unerheblicher Zeitanteil am Beginn des Beschäftigungsverhältnisses der Sache nach Ausbildungszeit. Sie wird von den Kanzleien oft zu ganz anderen Bedingungen als den hier genannten vergütet wird. Anwaltsblatt: Ausbilden wird also zu einer unternehmerischen Entscheidung? Ewer: Ausbilden wird zu einer unternehmerischen Entscheidung in sehr viel stärkerem Maße als jetzt. Anwaltsblatt: Sehen Sie ein Risiko, dass am Ende die Anwaltsreferendare als billige Arbeitskräfte ausgebeutet werden könnten, statt ausgebildet zu werden? Ewer: Nein, nicht wirklich. Der Entwurf stellt erstens hohe Anforderungen an den Inhalt der Ausbildung. Die Einhaltung dieser Anforderungen wird zweitens durch die Dokumentationspflicht kontrolliert und drittens wird die Ausbildungskanzlei die Mindestvergütung zahlen müssen. Wer billige Arbeitskräfte ausbeuten will, wird im Zweifel lieber Diplomjuristen oder sonstige Personen mit gewissen juristischen Vorkenntnissen einzustellen. Anwaltsblatt: Der Zugang zum Anwaltsberuf wird erschwert. Eine Marktabschottung? Ewer: Ich halte den Vorwurf der Marktabschottung wirklich für absurd. Ein System, dass Ausbildungsplätze in dem Maße zur Verfügung stellt, in dem auch Absolventen auf dem Markt benötigt werden, ist marktkonform. Das gilt nicht für das heutige System, nämlich eine staatlich finanzierte Ausbildung, völlig am real bestehenden Bedarf vorbei. Das ist das System, das künstliche Eingriffe in das Markgeschehen vornimmt. Anwaltsblatt: Wie wollen Sie sicherstellen, dass langfristig ausreichend Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden? Ewer: Wissen Sie, es liegt im Wesen eines marktwirtschaftlich orientierten Systems, dass Ausbildungsplätze nur in dem Umfang zur Verfügung gestellt werden, in dem auch Nachfrage nach entsprechend ausgebildeten Kräften besteht. Anwaltsblatt: Aber ist ein solcher Systemwechsel nicht unsozial? Ewer: Mit dem Einwand müssen wir uns sehr ernsthaft auseinandersetzen. Ich glaube aber, dass dieser Einwand nicht begründet ist. Würde es beim jetzigen System der Juristenausbildung bleiben, so hätte dies zur Folge, dass Juristen in den Anwaltsberuf gedrängt werden, die ihn weder verantwortlich ausüben können, noch dies eigentlich wollen. Ein Großteil dieser jungen Menschen wird im Anwaltsberuf auf keinen grünen Zweig kommen. An dem DAV-Entwurf kann ich im Ergebnis nichts Unsoziales erkennen. Vielmehr sollten wir die Folge des jetzigen Systems sehen. Wenn die Absolventen in den Anwaltsberuf hineindringen, die zu einer ordnungsgemäßen Berufsausübung nicht im Stande ist, leiden hierunter nicht nur das Renommée des Berufsstandes. Es gibt auch denjenigen politischen Kräften Auftrieb, die eine Freigabe der Rechtsberatung und eine Abschaffung des Anwaltsprivilegs fordern. Der letztlich Leidtragende wäre aber im Ergebnis der rechtsschutzsuchende Bürger. Anwaltsblatt: Aber wäre das neue System nicht unfair? Jura studieren dürfen alle, nach dem Studium gibt es aber 26

AnwBl 1 / 2007

Referendariatszweige, in die der Absolvent gar nicht aufgenommen wird. Ewer: Das wäre nicht nur unfair, sondern schlicht rechtswidrig, wenn die Möglichkeit eines solchen Referendariates Voraussetzung für einen berufsqualifizierenden Abschluss wäre. Das ist aber nicht der Fall. Inzwischen diplomieren sämtliche juristische Fakultäten, inzwischen gibt es eine Vielzahl anderer Betätigungsfelder außerhalb der Anwaltschaft in verschiedensten juristischen Aufgabenbereichen. Diese Tendenz dürfte sogar noch verstärkt werden, wenn eines Tages – vermutlich früher, als manche denken – Bachelor- und Masterabschlüsse auch in die Juristenausbildung Einzug halten. Ich persönlich stehe dem positiv gegenüber und bin sicher, dass nur der Master-Abschluss Grundlage für jede weitere zu volljuristischer Tätigkeit qualifizierende Ausbildung – mithin auch für die Spartenausbildung – sein kann. Anwaltsblatt: Zu Ende gedacht könnte das heißen, dass der Zustrom zur Anwaltschaft begrenzt wird, sich aber gleichzeitig ein neuer Rechtsberatungsberuf bildet – der dann vielleicht viel kundenorientierter, billiger und ohne Beschränkung des Berufsrechts auch Rechtsdienstleistung anbietet. Ewer: Ist das nicht längst Wirklichkeit? Wenn wir uns anschauen, wie schon bislang außerhalb des Anwaltsberufs bestimmte juristische Tätigkeiten ermöglicht werden, wenn wir wissen, dass eine Ausweitung dieser Bereiche wahrscheinlich gemeinschaftsrechtlich – ob wir es wollen oder nicht – unausweichlich ist, dann kann das von der Anwaltschaft durch die Ausbildung nur unmaßgeblich beeinflusst werden. Es beruht auf ganz anderen Triebkräften. Anwaltsblatt: Wann wird es eine solche Spartenausbildung in Deutschland geben? Ewer: Wenn ich mir den Prüfungsauftrag der Justizministerkonferenz anschaue und wenn ich an die fiskalischen Zwänge denke, dann könnte es schnell gehen, viel schneller als wir vielleicht denken. Natürlich liegt es auf der Hand, dass Übergangsregelungen gefunden werden müssen. Anwaltsblatt: Die Ausbildungsdiskussion kennt viele Modelle, die am Ende eigentlich keiner richtig gewollt hat. Woher nehmen Sie den Optimismus? Ewer: Der Gesetzesvorschlag des DAV ist das einzige Modell, das der bestehenden Lebenswirklichkeit gerecht wird. Es trägt wie kein anderes dem objektiven Bedarf Rechnung. Das lässt hoffen – auch im Interesse der erstrebten Qualitätsverbesserung. Das Gespra¨ch fu¨hrte Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lu¨hrig, Berlin

Prof. Dr. Wolfgang Ewer, Kiel

Der Gespr chspartner des Anwaltsblatts ist Rechtsanwalt und Vizepr sident des Deutschen Anwaltvereins. Er leitete die Arbeitsgruppe, die den DAV-Gesetzentwurf zur Einf hrung einer Spartenausbildung in der Juristenausbildung erarbeitet hat.

Spartenausbildung, Ewer

MN

Gastkommentar Wie viel Staat darf es sein?

Dr. Wolfgang Janisch, Karlsruhe Deutsche Presse-Agentur (dpa)

Der Staat unternimmt ein heikles Manöver. Er ist nämlich auf dem Rückzug und auf dem Vormarsch zugleich. Einerseits wird unter dem Diktat leerer Kassen privatisiert, was das Zeug hält. Die Kommunen werfen ihre Wohnungen auf den Markt, wenn sie nicht ausnahmsweise, wie jüngst in Freiburg, von den eigenen Bürgern daran gehindert werden. Die Länder stellen Verwaltungsbereiche auf den Prüfstand oder privatisieren Universitätskliniken. Auch der Bund zieht mit im großen Privatisierungsrennen, wenn ihn nicht – wie beim Schienennetz der Bahn – die Vorsicht oder, so geschehen bei der Flugsicherung, der Bundespräsident davon abhalten. Andererseits breitet der Staat sich aus. Nirgendwo ist das Vertrauen in den Staat, der sonst gern als bürokratisches Monster oder blutsaugender Fiskus gescholten wird, so sehr gewachsen wie auf dem Feld der inneren Sicherheit. Terrorbekämpfungsbefugnisse werden vom Bürger, auch wenn bürgerliche Freiheiten eingeschränkt werden, weitgehend klaglos hingenommen, die Sicherheitsbehörden dürfen sich einen immer umfassenderen Einblick in Telekommunikationsdaten und in die Privatsphäre verschaffen, wenn sie nicht gelegentlich – wie etwa bei der Rasterfahndung, beim Lauschangriff oder bei der vorbeugenden Telefonüberwachung – vom Bundesverfassungsgericht gebremst werden. Eine Anti-Terror-Datei wird vornehmlich als erfreulicher Effizienzgewinn, nicht als bedenklicher Machtzuwachs wahrgenommen.

Irgendwo zwischen diesen beiden Zugkräften steht der Strafvollzug – und diese heikle Position birgt naturgemäß das Risiko, zerrissen zu werden. Denn der teure Unterhalt der Gefängnisse drängt manche Länder zu Privatisierungsüberlegungen. Hessen hat es mit der Teilprivatisierung der Anstalt in Hünfeld vorgemacht, Baden-Württemberg will mit dem geplanten Gefängnis in Offenburg nachziehen. Wogegen erstmal nichts spricht, weil Wäscherei

„Die scheinbare Alternative ,Staat oder privat’ gibt es beim Strafvollzug nicht.“ oder Küche nicht unbedingt zu den hoheitlichen Kernaufgaben gehören, die man Beamten vorbehalten muss. Weil der Knast aber nicht nur geeignetes Privatisierungsobjekt ist, sondern auch Sicherheitsgarant, erfasst ihn nicht nur die staatliche Rückzugsdynamik: Eigentlich sollte er – weil er Sicherheit „produzieren“ soll – auch beim Vormarsch des Staates dabei sein. Der Tod eines Häftlings in Siegburg, aber auch die spektakuläre Kletteraktion eines Gefangenen in der Dresdner Vollzugsanstalt belegen, wie empört die Öffentlichkeit hier auf jedes Indiz staatlicher Laxheit reagiert. Damit wird eines deutlich: Die scheinbare Alternative „Staat oder privat“ besteht im Strafvollzug nicht wirklich. Die Länder können einzelne Aufgaben in private Hände geben, was im Übrigen längst geschieht: Die Vollzugsanstalt in Freiburg etwa, ein ganz normales staatliches Gefängnis, hat nicht nur Bäckerei und Einkauf, sondern auch Drogen- und Schuldnerberatung

an freie Anbieter vergeben. Die Hoheit über die „Kernaufgaben“ muss aber bei den Vollzugsbehörden bleiben – und es muss klar sein, wer Koch ist und wer Kellner. Das ist schwieriger, als es klingt. Denn allzu gern wird der Eindruck erweckt, Kernaufgabe seien im Wesentlichen Maßnahmen mit „Eingriffscharakter“ – also alles, was mit Schlüsseln und Gittern zu tun hat. Dagegen werden beispielsweise Arbeit, Ausbildung oder Betreuung zu den eher randständigen Dienstleistungen gezählt, obwohl sie – Stichwort Resozialisierung – mit dem Thema Sicherheit nicht weniger zu tun haben als die Höhe der Außenmauern. Denn bei fast jedem Gefangenen kommt der Tag, an dem er wieder in Freiheit kommt. Für die Sicherheit in einer Gesellschaft ist es von fundamentaler Bedeutung, wie gut der Straftäter auf diesen Tag vorbereitet ist. Das schließt private Kräfte im Gefängnis nicht aus. Es gibt kein Naturgesetz, dass Beamte per se die besseren Sozialarbeiter, Ausbilder oder Betreuer sind. Nur: Je mehr Teile des Vollzugs in private Hände gegeben werden, je großflächiger also die Privatisierung ausfällt, desto genauer müssen die rechtlichen und organisatorischen Vorgaben sein und desto schärfer die Aufsicht. Denn seine Verantwortung wird der Staat durch das Label „Privatisierung“ ja nicht los. Die hoheitliche Feinsteuerung der Resozialisierungsarbeit muss vor allem deshalb sehr präzise ausfallen, weil sich ihr Erfolg so schwer messen lässt. Wenn Baden-Württemberg – wie erwogen – den staatlichen Forderungseinzug einem Inkassounternehmen überträgt, dann lässt sich das Resultat auf dem Konto nachprüfen. Wenn das Land aber – wie gerade vollzogen – die der Vollzugsarbeit verwandte Bewährungshilfe an einen privaten Träger übergibt, dann ist die Evaluierung kompliziert. Es ist also nicht der Beamtenstatus, an dem sich Teilprivatisierungen innerhalb hoheitlicher Aufgabenfelder messen lassen müssen. Damit staatlich bleibt, was des Staates ist, muss das Handeln privater Träger transparent angelegt und wirksam kontrolliert werden.

AnwBl 1 / 2007

27

MN

Aus der Arbeit des DAV Reform der Juristenausbildung: Notwendigkeit oder Wunsch Symposium zum Bologna-Prozess in der Juristenausbildung

Aus der Arbeit des DAV 28

Juristenausbildung

29

Bayerischer Anwaltverband

30

Berliner Anwaltsverein

30

Berliner Anwaltsverein

31

DAV-Aktuell

32

Deutsche Anwaltauskunft

32

Notwendigkeit oder Wunsch Max-Friedlaender-Preis an Roman Herzog

„Ein Essen, keine Arbeitssitzung“ Anwaltliche Selbstverwaltung in Europa Chinesische Justizdelegation im DAV-Haus

Neues Werbeangebot: Podcasts im Internet

DAV-Pressemitteilungen

Keine Ausweitung der Geheimdienstbefugnisse / Konkretisierung beim RDG

33

DAV-Werbekampagne

34

DAV-Gesetzgebungsaussch sse

35

Weitere Unterst tzung f r die Werbekampagne

Stellungnahmen zu Gesetzesvorhaben

Forum Junge Anwaltschaft

Jubil um junger Juristen

36

AG Sozialrecht

36

DAV-Pressemitteilung

37

AG Syndikusanw lte

38

AG Strafrecht

39

Festschrift zum 20j hrigen Jubil um

Beschneidung der Rechte vor dem Sozialgericht Zwischen Tradition und Neuerung

Wohin geht der Strafprozess

AG Strafrecht

AG Anw ltinnen

41

AG Verkehrsrecht

42

„W r’ ich ein Mann doch mindestens nur“ Homburger Tage 2006

AG Arbeitsrecht

Die Praxis des Arbeitsrechts

Anwaltverein Bochum

Werben f r das Arbeitsvertragsgesetz

42

Bayerischer Anwaltverband

43

AG Versicherungsrecht

44

AG Erbrecht

44

AG Verkehrsrecht

44

Personalien

28

kurzem 1. Juristische Prüfung genannte Staatsexamen, das wegen der Fixiertheit auf die Falllösungstechnik eine wissenschaftliche Durchdringung unseres Rechtssystems unmöglich macht? Oder sind es die immer weiter wachsenden Anforderungen an Detailwissen, die den Blick für eine systematische Erfassung des Rechts versperren? Hartmut Kilger, Präsident des Deutschen Anwaltvereins, machte deutlich: „Gerade wir Praktiker brauchen mehr als nur Anwendungswissen. Wenn wir Analogien bilden, werten, Ermessensspielräume erfassen oder Normen kritisch hinterfragen müssen, dann geht das nicht ohne eine rechtswissenschaftliche Ausbildung.“ Ob die Anwaltsorientierung schon ins Studium gehört, wurde nicht vertieft diskutiert. Konsens war jedenfalls, dass ein Jurastudium keine berufsfertigen Absolventen hervorbringen könne. Das würde sich auch nicht ändern, wenn der Bologna-Prozess in der Juristenausbildung eingeführt würde. An dem „Ob“ der Umsetzung regte sich – zur Überraschung vieler Beobachter der Diskussion – nur ganz vereinzelt Widerspruch. So vereinzelt, dass er nach der vorzeitigen Abreise eines Vertreters eines Landesjustizministeriums gar nicht mehr vernehmbar war. Das „Wie“ der Reform allerdings ist umstritten, was nicht verwundert, wenn man sich vor Augen hält, dass

Ehrenpreis „pro reo“ an Journalisten

40

41

Die Diskussion über die Reform der Juristenausbildung nimmt wieder Fahrt auf. Beim Ersten Hamburger Symposium Mitte November 2006 wurde über die Einführung des Bologna-Prozesses in die Juristenausbildung diskutiert. Ein Jahr ohne Symposium zur Reform der Juristenausbildung ist kein gutes Jahr. 2006 waren es der Hamburgische Anwaltverein und die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen Hamburg, die zum Meinungsaustausch in die Grundbuchhalle des Hamburger Ziviljustizgebäudes geladen hatten, um über den Bologna-Prozess (vgl. Brügmann AnwBl 2005, 537) zu diskutieren. Nach einführenden Referaten von Sebastian Mock, wiss. Mitarbeiter an der Uni Hamburg und Mitautor einer rechtsvergleichenden Studie zu Bachelor- und Master-Studiengängen und von Dr. Jens Jeep, Streiter für eine Abschaffung des 2. Staatsexamens, hatten die mehr als 100 Anwesenden Gelegenheit zur Diskussion. In vier Arbeitsgruppen stellten Hochschullehrer wie Praktiker aus Anwaltschaft, Justiz, Verwaltung und der freien Wirtschaft schnell Einigkeit fest, was die Kritik an der herkömmlichen und durch das letzte Reformgesetz nur wenig veränderten Juristenausbildung angeht: Zu wenig wissenschaftliche Tiefe einerseits, zu wenig nötige Berufsvorbereitung andererseits. Über die Gründe wurde gestritten: Ist es das seit

Bayerischer Anwaltstag/ Rechtstage als regionale Treffpunkte

Neuer Auftritt im Internet / Veranstaltungshinweis Mitgliederversammlung Veranstaltungen

AnwBl 1 / 2007

1 1 Das Podium: Sebastian Trabhardt, Rechtsanwalt und Regionalbeauftragter des Forum Junge Anwaltschaft in Hamburg, Dr. Jens Jeep, Hamburgischer Notar, Prof. Dr. Wolfgang Ewer, Vizepr sident des DAV, Friedrich-Joachim Mehmel, Vors. der Arge sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen Hamburg, Peter Str bel, Rechtsanwalt und Vorsitzender des Ausbildungsausschusses der BRAK, Richard B hler, Pr sident des Landesjustizpr fungsamtes NRW, Wilhelm Rapp, Pr sident des Hanseatischen OLG und Pr sident des gemeinsamen Pr fungsamtes (v.l.n.r.). 2 Hartmut Kilger, Pr sident des DAV, und der Vorsitzende des Ausbildungsausschusses der BRAK Rechtsanwalt Peter Str bel diskutierten in einer Arbeitsgruppe.

2

MN

Aus der Arbeit des DAV

die Diskussion im Bereich der Juristenausbildung gerade erst begonnen hat. Eine Mehrheit zeichnete sich für eine Reform mit einem starken, die rechtswissenschaftlichen Grundlagen, das wissenschaftliche Handwerkszeug und die juristische Methodik betonenden Bachelorstudium ab. Bachelorabsolventen dürften keine Schmalspurjuristen werden. Die These, dass der Arbeitsmarkt keine Aufgaben für Juristen unterhalb der volljuristischen Berufe habe, wurde verworfen: Die fehlende Phantasie der an der Diskussion Beteiligten, deren Vorstellungshorizont sich in den Bahnen der klassischen reglementierten juristischen Berufe bewege, wurde genau so kritisiert wie dem Markt zugetraut wurde, entsprechende Betätigungsfelder zu entwickeln. Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolfgang Ewer, Vizepräsident des Deutschen Anwaltvereins und maßgeblicher Autor des DAV-Entwurfs für ein Gesetz zur Einführung der Spartenausbildung, machte auf dem Schlusspodium in der Grundbuchhalle deutlich, dass eine Reform der universitären Ausbildung ohne eine grundlegende Reform des Referendariats nicht machbar sei. „Wenn wir unserem Nachwuchs eine best möglich Ausbildung gewähren wollen, dann muss die Spartenausbildung eingeführt werden“, so Ewer. Die Spartenausbildung sei – bei aller Kritik an Details – alternativlos; nur mit ihr erreiche man, dass derjenige, der Anwalt werde, auch wirklich Anwalt gelernt habe. Fazit: Das prominent besetze Erste Hamburger Symposium zur Juristenausbildung hat eine dringend notwendige Diskussion belebt. Trotz der Aussage im Koalitionsvertrag der großen Koalition auf Bundesebene, dass Juristenausbildung und Bologna-Prozess inkompatibel seien, wurde klar, dass an der Umsetzung niemand vorbeikommt. Unklarheiten über das „Wie“ können nur beseitigt werden, wenn man über das „Wie“ verhandelt. Die Chancen der Umsetzung – darin bestand Einigkeit – überwiegen die Risiken. Und diese Chancen sollten alsbald genutzt werden. Rechtsanwalt Cord Bru¨gmann, Berlin

Der DAV-Gesetzentwurf für die Einführung einer Spartenausbildung in die Juristenausbildung wird in diesem Heft ab Seite 45 dokumentiert.

1 Bundespr sident a.D. Prof. Dr. Roman Herzog (r.) erh lt den Max-Friedlaender-Preis aus den H nden von Rechtsanwalt Anton Mertl (Pr sident des Bayerischen Anwaltverbandes). 2 Der Max-Friedlaender-Preis wurde von Barbara Zehne gestaltet. 3 Die Preisverleihung fand im Goldenen Saal des K nstlerhauses in M nchen statt.

1

2

3

Bayerischer Anwaltverband

Max-Friedlaender-Preis an Roman Herzog Festveranstaltung in München Der Max-Friedlaender-Preis ist in diesem Jahr zum sechsten Mal verliehen worden. Die Verleihung war ein Glanzpunkt im Veranstaltungsjahr des Bayerischen Anwaltverbandes. Im Goldenen Saal des Künstlerhauses in München wurde der Max-Friedlaender-Preis des Bayerischen Anwaltverbands am 10. November 2006 an Herrn Bundespräsidenten a. D. Professor Dr. Roman Herzog verliehen. Der Preis wird jährlich an eine verdiente Persönlichkeit mit Bezug zu Bayern und zur Justiz vergeben. Benannt ist der Preis nach dem Gründungspräsidenten des Bayerischen Anwaltverbandes, zugleich Vorstandsmitglied der Rechtsanwaltskammer München und des Deutschen Anwaltvereins, einem jüdischen Kollegen, der 1938 in letzter Minute vor seiner Verhaftung fliehen konnte. Die Laudatio würdigte das juristische und politische Leben des Preisträgers von seiner Habilitation im Staatsrecht bei Professor Theodor Maunz, seiner Tätigkeit in der Lehre (bis hin zum Dekan der Freien Universität Berlin) und seinen Stationen als Minister in verschiedenen Ressorts, Präsident

des Bundesverfassungsgerichts bis zum Bundespräsidenten. Spannend war die Rückschau auf die Äußerungen des Preisträgers zu Problemen, die uns heute noch auf den Nägeln brennen. „Einbürgerung nicht Mittel der Integration, sondern Konsequenz einer gelungenen Integration“, hatte er gefordert, 1993 eine Überholung des Grundgesetzes mit mehr Kompetenzen für die Länder und eine neue, offene Welt mit neuer Freiheit. Ob es tatsächlich sein müsse, dass jeder ausgebildete Jurist die Befähigung zum Richteramt erwerben muss, fragte Herzog 1997 und wies im gleichen Jahr in seiner „Ruck-Rede“ auf die Probleme im Bereich Steuern, Renten, Gesundheit, Bildung hin. Wir haben die Probleme nach fast 10 Jahren immer noch. Professor Herzog wiederholte in seiner Dankesrede seine frühere Kritik an Regierung, Opposition, aber auch am deutschen Volk, das sich seiner Fähigkeit zum Aufbau nicht mehr bewusst sei und im Vertrauen auf die Fähigkeit der Politik die Hände in den Schoß gelegt hätte. Die Juristen der Europäischen Union nannte er schlimmer als die Horden Dchingis-Khans, wenn sie die Beitrittsländer mit Gesetzen und Verordnungen von mehr als 85.000 Seiten überfielen. Von den Anwälten wünschte er sich, nicht alle Schlupflöcher auszunutzen, um jeden noch so verqueren Anspruch durchzusetzen. Rechtsanwalt Anton Mertl, Pra¨sident des Bayerischen Anwaltverbands

AnwBl 1 / 2007

29

MN

Aus der Arbeit des DAV

Berliner Anwaltsverein

Berliner Anwaltsverein

„Ein Essen, keine Arbeitssitzung“

Anwaltliche Selbstverwaltung in Europa auf dem Prüfstand

Der Berliner Anwaltsverein lud am 3. November 2006 wieder zu seinem alljährlichen Berliner Anwaltsessen ein. „Wir haben Sie zu einem Essen, nicht zu einer Arbeitssitzung eingeladen“ bemerkte der Vorsitzende des Berliner Anwaltsvereins, Rechtsanwalt und Notar Ulrich Schellenberg, bei seiner Begrüßung der 250 Gäste des diesjährigen Berliner Anwaltsessens. Wer daraufhin erwartete, dass ernste Themen vor den Türen des Festsaals im Hotel Palace Halt machen würden, irrte. Schellenberg fand klare Worte zu Einsparungen in der Justiz, zu Bestrebungen nach „kurzem Prozess“, und zum „Paradigmenwechsel“ im Bereich der Sicherheitsgesetze. Unter den Gästen des Abends waren nicht nur Berliner und ausländische Kolleginnen und Kollegen, sondern auch Justizminister und Senatoren mehrerer Bundesländer, zahlreiche Gerichtspräsidenten, Generalbundesanwältin Monika Harms, der Staatssekretär im Bundesjustizministerium Lutz Diwell sowie Spitzenpolitiker aus Berlin und dem Bund. Nicht nur den Freunden guten Essens bot dieser Abend vollen Genuss, sondern auch den Freunden der gedanklich und sprachlich brillanten Rede. Die Dinner-Speech hielt Prof. Dr. Dr. Norbert Gross, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof, zum Thema „Herr Rechtsanwalt, Sie haben das Wort!“. Gross ging in geistreichen Beobachtungen, Gedanken und Zitaten der Frage nach der Bedeutung von Mündlichkeit im gerichtlichen Prozess nach – vom „Kollegen Cicero“ bis zu den „Restbeständen der Mündlichkeit“ in der Gegenwart. Rechtsanwalt Christian Christiani, Berlin

1 Der Vorsitzende des Berliner Anwaltsverein Rechtsanwalt und Notar Ulrich Schellenberg (rechts) mit Walter Momper (Pr sident des Berliner Abgeordnetenhauses). 2 Die Generalbundesanw ltin Monika Harms (links) mit Rechtsanw ltin Verena Mittendorf (DAV-Vizepr sidentin). 3 Rechtsanw ltin Renate K nast (Bundestagsabgeordnete von B ndnis90/Die Gr nen) mit dem Rechtsanwalt beim BGH Prof. Dr. Dr. Norbert Gross, der die Dinner-Speech hielt.

30

AnwBl 1 / 2007

Anwaltskonferenz Zum sechsten Mal veranstaltete der Berliner Anwaltverein im November 2006 die Konferenz der Europäischen Rechtsanwaltschaften. Das Thema „Die Selbstverwaltung der Anwaltschaft – europäische Deregulierung und nationale Interessen“ war vor dem Hintergrund der derzeitigen Liberalisierungsentwicklungen im europäischen Berufsrecht höchst aktuell. Die Konferenz fand in Berlin im Haus der Deutschen Bank statt. Eröffnet wurde sie von Ullrich Schellenberg, dem Vorsitzenden des Berliner Anwaltvereins, und von Karin Schubert, der scheidenden Berliner Justizsenatorin. Justizsenatorin Schubert betonte in ihrem Grußwort die ideale Lage Berlins als Veranstaltungsort einer solchen Konferenz: in der Mitte Europas gelegen, zwischen Ost und West. Teilnehmer der Konferenz waren Vertreter von Anwaltsorganisationen aus 15 europäischen Ländern. In einem Tour de Table berichteten alle Teilnehmer von der aktuellen berufspolitischen Situation in ihrem jeweiligen Land.

1

2

3

4

5

6

4 Abendredner: Lutz Diwell (Staatsekret r im Bundesjustizministerium). 5 Abendrednerin: Die scheidende Berliner Justizsenatorin Karin Schubert. 6 Dankesch n: Ilona Pohl von der Gesch ftsstelle des Berliner Anwaltsvereins organisiert das Berliner Anwaltsessen seit dreißig Jahren.

Die Reformen in England und Wales Eröffnet wurde die Runde von Barbara Dohmann QC (Commercial Bar Association England) und Michael Thurston Patchett-Joyce (Mitglied des European Committee und der Bar Council of England and Wales) aus England mit einem Bericht über die von Sir David Clementi im Jahr 2004 angestoßene Debatte zur Umstrukturierung und Liberalisierung der Rechtsdienstleistungen in England und Wales. Das sogenannte Weißbuch der englischen Regierung habe im Oktober 2005 die Vorschläge von Clementi aufgegriffen und im Mai 2006 zur Vorlage eines Gesetzesentwurfs (Legal Services Bill) im Parlament geführt. Die darin geplanten Veränderungen sind auf Unzufriedenheiten mit der Arbeit der Law Society (der englischen Rechtsanwaltskammer) zurückzuführen. Dieser wird vorgeworfen, dass ihre gleichzeitige Zuständigkeit für Berufsaufsicht und politischer Interessenvertretung zu ei-

MN

Aus der Arbeit des DAV

1

2

3 1 Barbara Dohmann QC (Commercial Bar Associaton England). 2 Ulrich Hirt, ehmaliger Pr sident des schweizerischen Anwaltsverbandes. 3 Die Vertreter der EU-L nder an einem Tisch.

ner Interessenkollision führe und zudem wegen mangelnder Transparenz nicht an den Bedürfnissen der Verbraucher ausgerichtet sei. Das Gesetz sieht folgende Änderungen vor: Die Einrichtung eines Legal Services Board (LSB) als unabhängiger Aufsichtsbehörde mehrheitlich aus

Nichtberufsträgern bestehend, das die Berufsorganisationen (Law Society/Bar Council of England and Wales) mit Leitungsaufgaben betrauen kann, wenn diese nachgewiesen haben, dass sie organisatorisch und inhaltlich den Anforderungen des LSB genügen. Das LSB soll auch einen Verbraucher- und einen Beschwerdeausschuss einsetzen. Wie Patchett-Joyce berichtete, stehe der Gesetzesentwurf unter dem Motto „Putting Consumers First“. Dieses Motto sei in die Kritik geraten, da man nicht nur das Verbraucherinteresse im Blick haben dürfe, sondern auch das öffentliche Interesse beachten müsse, das viel weiter gefasst sei. Daher habe auch das englische Parlament zuletzt im Juli 2006 kritisch zum Gesetzentwurf Stellung bezogen. Geht es nur um Verbraucherschutz? Die Diskussion um die Verbraucherinteressen veranlasste Dr. Gerhard Benn-Ibler, Präsident des österreichischen Rechtsanwaltskammertages dazu, den Bürger nicht nur als Verbraucher in den Mittelpunkt zu stellen. Dieser habe einen Anspruch auf Erteilung von qualifiziertem Rechtsrat. Das Motto „Putting Consumers First“ greife auch seiner Ansicht nach zu kurz, da die Unternehmer, die auch Bürger seien, dabei unberücksichtigt blieben.

Er plädierte für den Erhalt der anwaltlichen Selbstverwaltung. In der Diskussion um die Übernahme der Regulierungsaufgaben der Anwaltschaft durch den Staat würde immer wieder auf die wettbewerbsrechtliche Argumentation innerhalb der EU verwiesen, die daraus resultiere, dass der Anwalt auch zunehmend Unternehmer sei. Auch Pekka Ruokonen vom finnischen Anwaltsverband plädierte für den Erhalt der anwaltlichen Selbstverwaltung. Ullrich Hirt, ehemaliger Präsident des schweizerischen Anwaltsverbandes, sah in der Bindung der Anwälte an bestimmte Kernwerte einen Wettbewerbsvorteil für die Anwaltschaft, da Nicht-Anwälte solche Kernwerte nicht zu beachten hätten. Einig waren sich alle Teilnehmer darin, dass die Selbstverwaltung der Anwaltschaft ein wichtiges, zu bewahrendes Institut sei. Ullrich Schellenberg betonte in seinem Schlusswort, dass die gesellschaftliche Akzeptanz der anwaltlichen Selbstverwaltung höher sei, wenn das Gemeinwohl im Mittelpunkt der Debatte stehe. Es sollte transparente und für die Öffentlichkeit nachvollziehbare Verfahren geben. Nur dann werde die Anwaltschaft ernst genommen. Rechtsanwa¨ltin Ghazaleh Nassibi, Berlin

DAV-Aktuell

_____________________________________________________________________________________________

Chinesische Justizdelegation im DAV-Haus Eine chinesische Justizdelegation aus Peking besuchte im Oktober 2006 den Deutschen Anwaltverein in Berlin. Der Besuch fand im Rahmen der Städtepartnerschaft Berlin – Peking statt und wurde über die Senatsverwaltung für Justiz in Berlin koordiniert. Zur Delegation gehörten vor allem Beamte, die in Personalabteilungen chinesischer Justiz- und Exekutivbehörden tätig sind. Die Mitglieder der Delegation hatten bereits zuvor an einem umfassenden Seminarprogramm teilgenommen. In diesem Rahmen wurden sie über Aus- und Fortbildung von Juristen, Personalrekrutierung und entwicklung im Bereich Justiz, Inneres und Polizei, Dienstaufsicht und Disziplinarrecht und Korruptionsbekämp-

fung im öffentlichen Sektor informiert. Der Besuch beim DAV sollte einige dieser Fragen aus anwaltlicher Sicht beleuchten. Nach ein paar einleitenden Sätzen zur Struktur des DAV wurden die Positionen des DAV zu verschiedenen Themen vorgestellt. Dabei wurde die bestehende Juristenausbildung und das DAV-Modell zur Spartenausbildung ebenso erörtert wie die Frage, wie die Anwaltschaft Nachwuchs gewinnt. Berichtet wurde über das Fortbildungssystem, das System der Fachanwaltschaften in Deutschland und die Regeln zum deutschen Berufsrecht. Es schloss sich eine sehr lebhafte Diskussion an. In dieser wurden einige Gemeinsamkeiten zwischen dem chinesischen und dem deutschen Rechtssystem deutlich, wie z. B. die Existenz von Prozesskosten- und Beratungshilfe.

Leider war die Zeit zu kurz, um mehr über das chinesische Justizsystem zu erfahren. Es bleibt zu hoffen, dass die begonnene Diskussion bei einem nächsten Besuch fortgesetzt werden kann. Rechtsanwa¨ltin Ghazaleh Nassibi, Berlin

Der Deutsche Anwaltverein empf ngt immer wieder ausl ndische Delegation, um f r die deutsche Anwaltschaft und anwaltliche Themen zu werben. Im Oktober war eine chinesische Delegation zu Gast.

AnwBl 1 / 2007

31

MN

Aus der Arbeit des DAV

Deutsche Anwaltauskunft

DAV-Pressemitteilungen

DAV-Pressemitteilung

Neues Werbeangebot: Podcasts im Internet

Keine Ausweitung der Geheimdienstbefugnisse

Konkretisierung beim RDG gefordert

Die Deutsche Anwaltauskunft, der Anwaltsuchdienst des DAV, in dem alle Mitglieder der örtlichen Anwaltvereine automatisch gelistet sind, bedient sich nun auch moderner Werbeformen. Nach TV-Sponsoring, regelmäßigen Verbrauchertipps, Hörfunkbeiträgen und Onlinewerbung werden nun auch moderne Podcasts erstellt. Dabei gibt es das „Urteil der Woche“, den „Podcast des Monats“ und Spezialthemen, wie beispielsweise zu Winterreifen, zum Reiserecht etc. Die Nutzer dieser Podcasts können diese auf ihre MP3-Player herunterladen oder direkt im Internet anhören. Verbreitet werden interessante und aktuelle Urteile der Gerichte und diese jeweils erläutert. Die Länge ist sehr verbraucherfreundlich zwischen 2 und 3 1/2 min. Die längeren „Podcasts des Monats“ der Deutschen Anwaltauskunft befassen sich mit verschiedenen Rechtsthemen und geben wichtige Hinweise für den Hörer. Dieses neue und moderne Medium eignet sich auch, andere Themen, wie beispielsweise den Steueranwaltstag, den Anwaltstag etc. darzustellen. Bereits kurz nach dem Start erreichen wir mehrere hundert Downloads pro Folge. Der Deutsche Anwaltverein glaubt, dass wir damit eine moderne Form gefunden haben, um die Deutsche Anwaltauskunft und damit das anwaltliche Know-how dem Nutzer dieser modernen Technik näher zu bringen. Im Rahmen der Podcasts wird immer auf die Deutsche Anwaltauskunft hingewiesen. Damit ist sichergestellt, dass die Nachfrage nach anwaltlicher Dienstleistung den Mitgliedern der örtlichen Anwaltvereine zugute kommt. Letztendlich handelt es sich dabei um nichts anderes als Hörfunkbeiträge, die einen Mehrwert für den Hörer darstellen und eine Verbindung zur Deutschen Anwaltauskunft herstellen.

Der Innenausschuss des Bundestages diskutierte im November 2006 im Rahmen einer öffentlichen Anhörung den Entwurf des Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetzes. Durch dieses Wortungetüm sollen die Terrorgesetze aus dem Jahr 2002 um weitere 5 Jahre verlängert und verschärft werden. Aus Sicht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) ist durch nichts begründet, dass das Gesetz überhaupt erforderlich ist. Eine gültige Evaluierung der alten Regelungen hat nicht stattgefunden. Die erneute Ausweitung der Befugnisse der Geheimdienste wird abgelehnt. Durch das Gesetz sollen die Anordnungsvoraussetzungen für die Auskünfte bei Post- und Telekommunikationsdienstleistern abgesenkt werden. Diese Regelungen hätten sich nicht bewährt, so die Gesetzesbegründung. „Der Gesetzgeber handelt deswegen nach der Maßgabe: Wir bauen Eingriffhürden und Kontrollmechanismen solange ab, bis die Normen sich ,bewähren‘“, sagte Rechtsanwältin Dr. Heide Sandkuhl, Vorsitzende des DAV-Ausschusses Gefahrenabwehrrecht. „Die neuen Befugnisse für die Geheimdienste sind unverhältnismäßig und gehen über die Aufgabe der Terrorabwehr erheblich hinaus.“, kritisiert Sandkuhl weiter. Künftig sollen Abfragen bei Post, Banken und bei Luftfahrtunternehmen auch bei Bestrebungen möglich sein, die zwar verfassungsfeindlich, vom Terrorismus aber weit entfernt sind. Mit der von der Bundesregierung vorgenommenen Selbstevaluierung der Terrorgesetze aus dem Jahr 2002 lässt sich die Erforderlichkeit des Gesetzes nicht begründen. Weder wurde externer Sachverstand hinzugezogen, noch lassen sich die Ergebnisse in irgendeiner Weise überprüfen. „Es reicht nicht aus, die Behörden zu fragen, welche Befugnisse sie sich sonst noch wünschen um die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung zu prüfen“, so Dr. Sandkuhl.

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat seine Stellungnahme zum Regierungsentwurf für ein Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG RegE) vorgelegt. Es müsse dabei bleiben, dass Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte diejenigen sind, die zur qualifizierten Rechtsberatung berufen sind und denen die rechtliche Beratung vorbehalten bleibt. Insbesondere bei der Definition des Begriffs der „Rechtsdienstleistung“ und bei der Abgrenzung der erlaubten „Nebenleistungen“ schlägt der DAV eine Konkretisierung und Klarstellung des Gesetzestextes vor. „Allen Reformüberlegungen muss ein wirksamer Schutz der Bürgerinnen und Bürger zugrunde liegen,“ so Rechtsanwalt Hartmut Kilger, DAVPräsident. Die neuen Regelungen müssen so konkret und eindeutig formuliert sein, dass über deren Auslegung nicht unnötig vor Gerichten gestritten werden muss. Hinsichtlich der Definition der Rechtsdienstleistung schlägt der DAV eine Ergänzung vor. Eine Rechtsdienstleistung liege immer dann vor, wenn geprüft wird, ob ein Lebenssachverhalt unter den Tatbestand einer rechtlichen Vorschrift fällt. Hierzu Kilger: „Wo Recht konkret auf den Einzelfall angewendet wird, findet Rechtsdienstleistung statt!“ Die bisher vorgeschlagene Formulierung sei hier zu eng. Sie würde dem Verbraucher den Schutz des Rechtsdienstleistungsgesetzes entziehen. Der DAV schlägt die Schaffung eines zusätzlichen Absatzes in dem betreffenden Paragraphen (§ 2 RDG RegE) vor. Die dabei vorgeschlagene Formulierung steht bereits in der Begründung zum Rechtsdienstleistungsgesetz. Um Streitigkeiten und gerichtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden, sollte diese Formulierung aus der Begründung in den Gesetzestext aufgenommen werden. Keine Rechtsdienstleistung wäre dann beispielsweise die rechtliche Bewertung von allgemeinen Lebenssachverhalten in Verbrauchersendungen und die Darstellung der Rechtssituationen in der Presse oder bloße Auskünfte über den Inhalt eines Gesetzes oder allgemeine Ausführungen über rechtliche Regelungen.

Rechtsanwalt Swen Walentowski, Berlin

Die Podcasts stehen im Internet unter www.anwaltverein.de/podcast.

Quelle: DAV-Pressemitt. Nr. 40/06

Eine ausführliche Stellungnahme des DAV zu dem Gesetzentwurf ist im Internet abrufbar unter www.anwaltverein.de/03/05/index.html.

32

AnwBl 1 / 2007

MN

Aus der Arbeit des DAV

DAV-Werbekampagne

_____________________________________________________________________________________________

Weitere Unterstützung für die Werbekampagne Örtliche Anwaltvereine mit eigenen Anzeigen Neben der bundesweiten Werbung für die deutsche Anwaltschaft findet diese immer mehr Unterstützung durch Anzeigen der örtlichen Anwaltvereine in ihren regionalen Tageszeitungen und auch durch Anzeigen von Mitgliedern der örtlichen Anwaltvereine aus den zur Verfügung gestellten Anzeigenmustern.

Der besondere Reiz für die örtlichen Anwaltvereine, eigene Anzeigen in ihren regionalen Tageszeitungen zu schalten, liegt in der gegenseitigen Unterstützung der Dachkampagne und der Maßnahmen des örtlichen Anwaltvereins. Es werden somit mehr Kontakte erreicht, weil die Anzeige in der örtlichen Zeitung auf die Dachkampagne „einzahlt“ und umgekehrt. Zur Unterstützung der örtlichen Anwaltvereine hat der DAV einen Anzeigenpool zur Verfügung gestellt, aus dem sich die örtlichen Anwaltvereine kostenlos bedienen können.

Darüber hinaus zahlt der DAV einen Werbekostenzuschuss zu den Anzeigen. Unter www.anwaltverein.de/werbe kampagne gibt es aber auch einen Anzeigenpool für die Mitglieder der örtlichen Anwaltvereine zur kostenfreien Verwendung. Übrigens: Anzeigen der Dachkampagne sind bisher in 58.714.603 Exemplaren von Zeitschriften bzw. Zeitungen (verbreitete Auflage) erschienen. Rechtsanwalt Swen Walentowski, Berlin

Die rtlichen Anwaltvereine schalten immer mehr Anzeigen in den regionalen Tageszeitungen.

Bezüglich der zulässigen Nebenleistung schlägt der DAV eine Konkretisierung vor. Die bisherige Regelung öffne der Willkür die Tür. Durch die Formulierung „zur vollständigen Erfüllung der mit der Haupttätigkeit verbundenen gesetzlichen oder vertraglichen Pflicht“ hat der Anbieter einer Dienstleistung die Möglichkeit, die Rechtsdienstleistung als Nebenleistung vertraglich festzulegen. Er könnte also durch seine Leistungsbeschreibung selbständig festlegen, dass eine gewisse Rechtsdienstleistung als zulässige Nebenleistung anzusehen wäre.

Rechtsdienstleistung als Nebenleistung einer gewerblichen Hauptleistung wie etwa Kauf, Dienstleistung etc. soll nach dem DAV nur erlaubt sein, wenn die Nebenleistung eindeutig zum Berufsoder Tätigkeitsbild des Dienstleisters gehört, beispielsweise wenn Reisebüros für die von ihnen vermittelten Reiseverträge für den Kunden die nötigen Pässe, Visa, Ein- und Ausfuhrgenehmigungen einholen. Weiter sollten Nebentätigkeiten dann erlaubt sein, wenn schon für die Haupttätigkeit Rechtskenntnisse erforderlich sind. So ist beispielsweise das Baurecht ein Bestand-

teil der Architektenausbildung. Deshalb dürfen Architekten auch die nachbarrechtlichen Belange einer Planung prüfen und die Beratung des Bauherrn in diesem Bereich übernehmen. Im Interesse einer klaren Rechtslage sollten diese Konkretisierungen vorgenommen werden. Quelle: DAV-Pressemitt. Nr. 43/06

Eine ausführliche Stellungnahme des DAV zu dem Gesetzentwurf ist im Internet abrufbar unter www.anwaltverein.de/03/05/index.html.

AnwBl 1 / 2007

33

MN

Aus der Arbeit des DAV

DAV-Gesetzgebungsausschu¨sse

Stellungnahmen zu Gesetzesvorhaben Der Deutsche Anwaltverein begleitet aktuelle Gesetzesvorhaben sowohl auf nationaler als auch auf europäischer und internationaler Ebene. Stellungnahmen des DAV werden von seinen 32 Gesetzgebungsausschüssen erarbeitet. Das Anwaltsblatt weist regelmäßig auf wichtige Stellungnahmen hin. Alle Stellungnahmen finden sich unter www.anwaltverein.de/03/05/index. html. Ausschuss Mietrecht und WEG 9 Änderung des Wohnungseigentumsgesetz Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat sich in einer zweiten Stellungnahme umfassend und weitgehend kritisch zu einzelnen Regelungen des Regierungsentwurfs zur WEG-Novelle geäußert. Kritisiert wird insbesondere die Festschreibung der Teilrechtsfähigkeit der Wohnungseigentumsgemeinschaft und die vorgesehene Beschränkung des Streitwertes auf das 5-fache des Eigeninteresse des Klägers. Der Gesetzentwurf gefährde mit der Streitwertbeschränkung die Qualität anwaltlicher Leistung und führe vorhersehbar zu einer Klageflut streitbereiter Wohnungseigentümer. Ausschuss Verwaltungsrecht 9 Erleichterung von Planungsvorhaben In der Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte begrüßt der DAV durch den Verwaltungsrechtsausschuss, dass sich der Gesetzgeber der Innenentwicklung der Städte annimmt. Die Verminderung der Flächeninanspruchnahme und die Beschleunigung wichtiger Planungsvorhaben seien wichtige Ziele. Zugleich führt der Ausschuss aber erhebliche Bedenken an. Insbesondere die Verkürzung der Frist für die Durchführung der Normenkontrolle auf ein Jahr und die formelle Präklusion für nicht im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung vorgebrachte Einwände wird abgelehnt.

34

AnwBl 1 / 2007

Ausschüsse Gefahrenabwehrrecht und Strafrecht 9 Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz Der neu gegründete DAV-Ausschuss Gefahrenabwehrrecht hat sich zusammen mit dem Strafrechtssausschuss in einer Stellungnahme zu dem Wortungetüm Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz geäußert. Die Erforderlichkeit der im Entwurf vorgeschlagenen Regelungen wird bezweifelt. Eine wirkliche Evaluierung der Terrorgesetze 2002 hat nicht stattgefunden. Die weitere Absenkung der Anordnungsvoraussetzungen für die Auskünfte bei Post- und Telekommunikationsdienstleistern lehnen die Ausschüsse ab. DAV und Berliner Anwaltsverein Brandenburgisches Polizeigesetz In einer gemeinsamen Stellungnahme kritisieren der Deutsche- und der Berliner Anwaltverein den Entwurf eines vierten Gesetzes zur Änderung des Brandenburgischen Polizeigesetzes. Der Entwurf enthalte handwerkliche Fehler und verweise auf Normen des StGB, die im Jahr 2005 aufgehoben wurden. Die Schutzvorschriften gegenüber der verdeckten Datenerhebung in das besonders zu schützende Vertrauensverhältnis zum Rechtsanwalt und den anderen in §§ 53, 53 a StPO genanten Berufen seien unzureichend. 9

Arbeitsrechtsausschuss 9 Änderung des AGG Der Arbeitsrechtsausschuss hat für den DAV noch zu dem Gesetz zur Änderung des Betriebsrentengesetzes und anderer Gesezte (BT-Drucksache 16/3007 vom 18. Oktober 2006) Stellung genommen, in dem sich versteckt eine erste Änderung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) findet. Die Änderungen beschränkt sich nicht auf redaktionelle Korrekturen. Durch Streichung von Vorschriften wird die Anwendbarkeit des Gesetzes weiter erschwert. Ausschuss Ausländer- und Asylrecht 9 Bleiberechtsregelung für Geduldete Aus Anlass der am 16. November 2006 in Nürnberg tagenden Konferenz der Innenminister und -sena-

toren der Länder hat der DAV in einer Stellungnahme seines Ausschusses Ausländer- und Asylrecht eine Bleiberechtsregelung für langfristig geduldete Ausländer gefordert, die besonders die Situation der in Deutschland aufgewachsenen Kinder berücksichtigt. Handelsrechtsausschuss Finanzmarkt-RichtlinieUmsetzungsgesetz (FRUG) Die Bundesregierung hat einen Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente und der Durchführungsrichtlinie der Kommission (Finanzmarkt-Richtlinie-Umsetzungsgesetz, FRUG) vorgelegt. Der Handelsrechtsausschuss nimmt zu den Regelungsvorschlägen Stellung. 9

Ausschuss Zivilverfahrensrecht und Erbrechtsausschuss 9 FGG-Reform Der Deutsche Anwaltverein nimmt unter Federführung des Ausschusses Zivilverfahrensrecht und unter Mitwirkung des Erbrechtsausschusses Stellung zu einem vom Bundesjustizministerium im Juli 2006 versandten Diskussionspapier und zur geplanten Verlagerung des § 1696 BGB in das FamFG im Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Zivilverfahrensrechtsausschuss 9 Prozesskostenhilfebegrenzungsgesetz Der Deutsche Anwaltverein kritisiert durch seinen Zivilverfahrensrechtausschuss mit deutlichen Worten den Entwurf eines Gesetzes zur Begrenzung der Aufwendungen für die Prozesskostenhilfe (BT-Drucksache 16/1994 vom 28. Juni 2006). In der Stellungnahme heißt es: „Der Gesetzentwurf erweist sich in wesentlichen Punkten als ein vom Diktat leerer Kassen gekennzeichneter Rundumschlag gegen die Schwachen unserer Gesellschaft.“ Die vorgesehen Beschränkungen führten dazu, dass der von Verfassungs wegen zu wahrende sozialstaatliche Charakter des Rechts kaum noch erkennbar bleibe.

MN

Aus der Arbeit des DAV

Forum Junge Anwaltschaft

XXV. Forum für den Berufseinstieg: Jubiläum junger Juristen Anwalt sponsert Referandar: „Praxis, die Schule machen sollte“ Die Themen bleiben fast unverändert, das Interesse ist ungebrochen, nur die Gesichter wechseln. So lässt sich die Historie der Veranstaltung „Erfolgreicher Einstieg in den Anwaltsberuf“, die in jubiläumsträchtiger 25. Auflage Anfang November in Nürnberg stattfand, zusammenfassen. Veranstaltet vom Verein Deutscher Anwaltakademie (DAA) und mitorganisiert vom jungen Forum im DAV trafen sich diesmal mehr als 200 vorwiegend junge Juristen vom Studenten über die Assessorin bis hin zum langjährigen Syndikus, der seine Karrierre jetzt als Rechtsanwalt fortsetzen will, um sich über (fast) alle Themen rund um den Berufseinstieg zu informieren. Wirtschaftsberatung oder Verbraucher? Spezialisierung oder Allgemeinkanzlei? Stadt oder Land? Allein oder gemeinsam? Darlehen oder nicht, oder vielleicht doch der Versuch der Eigenfinanzierung aus den ersten Mandaten? Der anwaltliche Existenzgründer muss eine Menge Entscheidungen zu Fragen fällen, über die er keinen Überblick hat. Schon deshalb wird das Existenzgründertreffen traditionell mit Erfahrungsberichten junger Kolleginnen oder Kollegen, die mit ihren Konzepten die unterschiedlichsten Wege gegangen sind, eröffnet. Sie haben diese Fragen irgendwann einmal für sich entschieden. Keine Patentrezepte Die beiden Eröffnungs-Vorträge waren einmal mehr ein Beleg dafür, dass es kein Patentrezept für den Berufseinstieg als Rechtsanwalt gibt. Mit Silke Waterschek aus Heilbronn und Christian Kolmer aus Pohlheim standen bei dem diesjährigen Herbstforum zwei junge Kollegen auf der Bühne, die beide mit einer Einzelkanzlei in den Beruf gestartet waren. Während Waterschek eine gute Planung, ein kleines KfW-Gründungsdarlehen, Werbung in der Regionalzeitung, Mandanten aus

der Kita und gedämpfte Kosten mit dem Büro im eigenen Haus auf dem Land favorisiert hatte konnte sich Kollege Kolmer durch die Kooperation mit einem Steuerberater, den er über seinen Versicherungsvertreter kennen gelernt hatte, konsolidieren. Gleich der erste Fall war seine persönliche Feuertaufe: Einfuhrumsatzsteuerhinterziehung. Ein Wort, dass man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen muss, vor allem wenn man noch nie etwas davon gehört hat. Der Erfolg sei mit den Projekten gekommen, die er gemeinsam mit dem Steuerberater angestoßen habe. Ein Beispiel gefällig? Erbschaftsberatung. Nach gut zweieinhalb Jahren verkauft er gerade seine Kanzlei, um in eine größere Sozietät einzusteigen, während Silke Waterschek als junge Mutter Kinder und Anwaltsalltag unter einen Hut bringt. Hilfe für die Kanzleigründung „Wer kann mich beraten und welche Ausstattung brauche ich am Anfang?“ Seit Jahren haben die Forumsteilnehmer die gleichen Fragen, berichtet die Vertreterin eines Ausstellers für Bürobedarf, die seit den Gründungstagen mit einem Stand beim Forum präsent ist. Auch die Aussteller wissen: Kontakte, Informationen und Erfahrungsaustausch – für junge Anwälte ist die Veranstaltung unverzichtbar. Die Teilnehmer sind dabei genauso verschieden wie ihre Erwartungen. Ein nicht mehr ganz so junger Kollege aus dem Frankfurter Raum, der schon ein gutes dutzend Arbeitsjahre als Syndikus erlebt hat, nutzt den Informationsquell genauso wie die Assessoren und Junganwälte, die die Mehrzahl der Teilnehmer stellen. „Die Veranstaltung bietet konkrete Informationen von Insidern, nicht nur das allgemeine ,Blabla’ wie beispielsweise das Jobcenter“, sagt Dirk Petrautzki aus Neustadt bei Coburg, Assessor in der Orientierungsphase. Auch die Mischung aus trockener Materie wie Haftung oder Berufsrecht mit spannenden Themen wie Medienarbeit findet er gelungen. Das Zwiegespräch von Medienmann Micha Guttmann vom WDR und DAV-Pressesprecher Swen Walentowski sei ein völlig unbekanntes Terrain aber überaus interessant gewesen. „Das Skript

zu den Grundlagen der Medienarbeit kommt in meinen Musterordner.“ Einen Grund für die angesprochene Zielgruppe, die Veranstaltung nicht zu besuchen, gibt es eigentlich nicht. Die Tagungsgebühr von gerade mal 55,00 Euro ist allein schon die Verpflegung während der 2-tägigen Veranstaltung wert. Gratis dazu gibt es dann wertvolle Informationen aus der Anwaltspraxis, Tipps zum Berufseinsteig und eine Menge Kontakte. Und dann geht es noch auf Schnäppchenjagd, bei der die Veranstaltung auch einen ganz konkreten, berechenbaren, monetären Nutzen hat. Das Forum junge Anwaltschaft im DAV verschenkt seinen Bestseller, den Ratgeber zum Berufseinstieg und die Aussteller auf der Veranstaltung locken mit Sonderpreisen. Engagement, Werbung und ein wenig Glück Das Fazit: Wer denkt sonst schon am Anfang darüber nach, dass die Kanzleikosten schon mal mit 40–50% zu Buche schlagen oder weiß, welche Haftungsfolgen bei dem gemeinsamen Briefkopf drohen? Jeder Kanzleigründer muss seinen Weg selbst finden, was nur durch die Analyse eigener Stärken und Schwächen geht. Überdurchschnittliches Engagement braucht es genauso wie ordentliche Werbung und die richtigen Kooperationen, da waren sich die Referenten einig. Und ein Quentchen Glück gehört auch noch dazu. Rechtsanwalt und Notar Thomas Elvers aus Ahrensburg, der zu Büroorganisation und Vermeidung typischer Anfängerfehler in einer Allgemeinkanzlei referierte, hatte seinem aktuellen Referendar die Veranstaltung gesponsert. Das hat bei ihm Tradition. Eigentlich eine sehr gute Idee. Wenn man es recht überlegt – angesichts des hohen Nutzwerts der Veranstaltung – sogar mehr als das: Eine Praxis, die Schule machen sollte. Rechtsanwalt Tobias Sommer, Berlin

Das XXVI. Forum Erfolgreicher Einstieg in den Anwaltsberuf findet am 16./17. Februar 2007 in Gelsenkirchen statt. Informationen und Anmeldung unter Tel.: 030-72 61 53-181.

AnwBl 1 / 2007

35

MN

Aus der Arbeit des DAV

AG Sozialrecht

Festschrift zum 20jährigen Jubiläum Herbsttagung in Leipzig Ihr Jubiläum feierte die Arbeitsgemeinschaft auf ihrer – alljährlich am ersten November-Wochenende stattfindenden – Herbsttagung. Zu den Höhepunkten gehörte ein Besuch beim Bundesverwaltungsgericht. Natürlich gab es bei der Hersttagung auch wieder ein Fachprogramm, mit dem aktuelle gesellschaftspolitische und sozialrechtliche Entwicklungen aufgegriffen wurden. Nachdem im letzten Jahr die Herbsttagung in Budapest stattfand, schloss sich dieses Jahr eine gelungene Inlandsveranstaltung in der Messestadt Leipzig an. Am 6. Dezember 2006 jährte sich die Gründung der Arbeitsgemeinschaft zum zwanzigsten Mal. 20 Jahre Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht im Deutschen Anwaltsverein ist wahrlich ein Grund stolz zu sein. Die Stadt Leipzig gab diesem Jubiläum einen würdigen Rahmen. In der Nikolai-Kirche Leipzig, bekannt durch die Montagsdemonstrationen der jüngeren Geschichte, wurde eigens für die Arbeitsgemeinschaft ein Orgelkonzert aufgeführt. Was ist Gerechtigkeit? Auf diesen gelungenen Auftakt folgte gleich ein weiterer Höhepunkt. Prof. Dr. Otto Ernst Krasney (Vizepräsident des Bundessozialgerichts a. D.) hielt an historischer Stätte, dem großen Saal des Bundesverwaltungsgerichts, einen Festvortrag über Gerechtigkeitsbegriffe. Mit einem Statement über Gerechtigkeit ist man schnell zur Hand. Aber was meint der Begriff „Gerechtigkeit“ eigentlich? Zeit für eine rechtsphilosophische Betrachtung und Anregung zum weiteren Gespräch im Kollegenkreis. Das Bundesverwaltungsgericht öffnete ausnahmsweise für die Arbeitsgemeinschaft alle Türen zur eigenen Erkundung. Mit Anekdoten und historischen Begebenheiten führte Michael Groepper (Richter am Bundesverwaltungsgericht) – kurz in die Entstehung des Bauwerkes, der Geschichte als Reichsgericht und Bundesverwaltungsgericht sowie seiner in jüngerer Zeit stattgefundenen perfekten Restauration ein. Das Gebäude mit seinen historischen Sitzungssälen, dem großen Sitzungssaal und der Präsidentenwohnung 36

AnwBl 1 / 2007

auf eigene Faust erkunden zu dürfen, war ein ganz besonderes Privileg. Die Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht hat anlässlich des Jubiläums eine Festschrift „20 Jahre Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht – Netzwerk Sozialrecht“ erstellt. Unter der redaktionellen Leitung der Rechtsanwälte Gottfried Krutzki und Martin Schafhausen konnten namhafte Autoren wie der Präsident des Deutschen Anwaltsvereins Hartmut Kilger, der Vorsitzende Richter am Bundessozialgericht Prof. Dr. Peter Utsching, Richter am Bundessozialgericht Dr. Wolfgang Spellbrink sowie Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, um nur einige zu nennen, für einen Beitrag gewonnen werden. Die fachliche Diskussion kam bei der Herbsttagung nicht zu kurz. Dr. Wolfgang Conradis stellte die aktuellen Entwicklungen im SGB II und XII vor. Prof. Dr. Christoph Hommerich sprach über Vergütungsvereinbarungen im Sozialrecht. Darüber hinaus war am folgenden Tag ganz aktuell der Entwurf des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes, referiert von Norbert Schuhmacher (Bundesvereinigung Lebenshilfe) Gegenstand der Diskussion. Weiterhin wurden Zuständigkeitsfragen im Rehabilitationsrecht durch Rechtsanwalt Krutzki und haftungsrechtliche Fragen im Heim durch Dr. Martin Runge (ärztlicher Direktor Aerpah-Kliniken, Esslingen-Kennenburg) aus ärztlicher und Rechtsanwalt Ronald Richter aus sozialrechtlicher Sicht referiert. Rechtsanwältin Bettina Schmidt beendete ihre Tätigkeit im geschäftsführenden Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft. Mit persönlichem Engagement hat sie die Arbeit der Arbeitsgemeinschaft unterstützt und gefördert. Die Mitgliederversammlung wählte Rechtsanwältin Constanze Würfel (Leipzig) neu in den geschäftsführenden Ausschuss. Gleichzeitig bestätigte sie den vorherigen Ausschuss bestehend aus Rechtsanwalt Ronald Richter (Vorsitzender), Rechtsanwältin Dr. Gudrun Doering-Striening (2. Vorsitzende), Rechtsanwalt Michael Klatt (Schatzmeister), Rechtsanwalt Martin Schafhausen und Rechtsanwältin Anne Schröder. Die nächste Herbsttagung findet 2007 in Barcelona statt. Rechtsanwa¨ltin Anne Schro¨der, Oldenburg

Ein Beitrag aus der Festschrift zum 20jährigen Jubiläum der AG Sozialrecht findet sich in diesem Heft ab Seite 17. Informationen zur Arbeitsgemeinschaft unter www.netzwerk-sozialrecht.de.

1

2 1 Ronald Richter, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft, mit Prof. Dr. Otto Ernst Krasney, Vizepr sident des BSG a. D. 2 Prof. Dr. Christoph Hommerich sprach zur Verg tungsvereinbarung im Sozialrecht.

DAV-Pressemitteilung

Anwälte gegen Beschneidung der Rechte vor dem Sozialgericht Ende Oktober 2006 hat der Bundesrat einen Gesetzentwurf für eine Justizreform im Bereich der Sozialgerichte vorgelegt. Die Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV) wendet sich entschieden gegen die Pläne, da damit erheblich in die Rechte der Kläger vor Sozialgerichten eingegriffen werde. Unter anderem soll das Recht der Kläger gestrichen werden, in strittigen Fällen einen bestimmten zusätzlichen Gutachter bei Gericht durchzusetzen. Mit den Vorschlägen der Reform hat sich auch der 1. Deutsche Sozialgerichtstag beschäft, der am 16. und 17. November 2006 in Berlin stattfand. Dort haben der DAV und seine Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht ihre Kritik bekräftigt. „Die Möglichkeit der Sozialversicherten, im Prozess selbst gewählte Gutachter benennen zu können, ist eine der wichtigsten Errungenschaften im sozialgerichtlichen Verfahren“, sagt Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Präsident des DAV, selbst Sozialrechtler. Quelle: DAV-Pressemitt: Nr. SozR 05/06

MN

Aus der Arbeit des DAV

AG Syndikusanwa¨lte

Zwischen Tradition und Neuerung: Europäische Themen in Berlin 13. Syndikusanwaltstag Die Arbeitsgemeinschaft der Syndikusanwälte hat im November 2006 den Syndikusanwaltstag erstmalig in Zusammenarbeit mit der ECLA (European Company Lawyers Association) veranstaltet. Mehr als 150 Teilnehmer aus Deutschland und anderen EU-Mitgliedstaaten waren nach Berlin gekommen, darunter viele Leiter von großen Rechtsabteilungen. Neben nationalen Themen wie den „Erfolgshonorar“ waren aufgrund der internationalen Ausrichtung diesmal auch europarechtliche Fragen wie die „Entwicklungen im Bereich Sammelklagen in Europa“ Thema der Konferenz. Die im Anschluss an die Referate lebhaft geführten Diskussionen ermöglichten den Austausch über unterschiedliche Rechtssysteme. Der erste Konferenztag war von nationalen Themen geprägt. Strafverteidiger Eberhard Kempf aus Frankfurt ging auf die strafrechtliche Verantwortung des Syndikusanwalts und dessen Aufgaben bei wirtschaftsstrafrechtlichen Brennpunkten wie Korruption und Untreue im Unternehmen ein. Die zivilrechtlichen Pflichten des Syndikusanwalts bei der Verfolgung von Ansprüchen des Unternehmens beleuchtete Michael Molitoris, Rechtsanwalt in München. Pro und Contra zum Erfolgshonorar Regen Anklang fand die Diskussion über die Zulässigkeit des – unter Anwälten heftig umstrittenen – Erfolgshonorars. Dr. Michael Kleine-Cosack, Rechtsanwalt aus Freiburg, sprach sich gegen das in Deutschland bestehende Totalverbot von Erfolgshonoraren aus. Es sei nicht nur verfassungswidrig, sondern auch auf europäischer Ebene nicht haltbar. Die Gegenposition in dieser Diskussion vertrat Dr. Roland Hartwig, Chefsyndikus der Bayer AG. Er wies darauf hin, dass es bei der Diskussion in Wirklichkeit um die Frage ginge, ob das Recht als Ware vermarktet werden solle, was zur Folge hätte, dass die Übernahme eines Mandats für den Rechtsanwalt zu einer Investitions-

1

2

3

4 1 Pl dierte f r eine Lockerung des Verbots des Erfolgshonorars: Dr. Michael Kleine-Cosack, Herausgeber des Anwaltsblatts. 2 Vertrat die Gegenposition: Dr. Roland Hartwig, Chefsyndikus der Bayer AG. 3 Berichtete ber die Erfahrungen in den Niederlanden: Jeroen Brouwer (ehemaliger Pr sident der niederl ndischen Anwaltskammer). 4 Moderierte die Diskussion zum Erfolgshonorar: Hans-Peter Benckendorff (Vorsitzender der AG Syndikusanw lte).

5

entscheidung werde. Über die Erfahrungen mit Erfolgshonoraren in den Niederlanden berichtete Jeroen Brouwer, ehemaliger Präsident der Niederländischen Rechtsanwaltskammer. Prof. Dr. Hanns Prütting von der Universität zu Köln stellte Elemente eines „Discovery-Verfahrens“ im deutschen Zivilprozessrecht vor. Er betontei, dass sich amerikanische Verhältnisse nur sehr schwer in ein richterund beweislaststrukturiertes deutsches Rechtssystem einfügen ließen. Auch der jährliche Themenblock zur „Erweiterung des Horizonts“ fehlte nicht beim 13. Syndikusanwaltstag. Dr. Jörg Risse, Rechtsanwalt in Frankfurt, sprach über die oft unterschätzte Bedeutung von „Soft Skills“ im Alltag des Syndikusanwalts und die für deren Umsetzung notwendigen psychologischen Erkenntnisse. Den zweiten Konferenztag eröffnete Corinna Ullrich von der Europäischen Kommission (Generaldirektion Binnenmarkt) mit einem Überblick über die neuesten Entwicklungen im Europäischen Unternehmensrecht. Die Problematik der feindlichen Firmenübernahme behandelten anschließend Dr.

5 Am ersten Abend der Konferenz wurde zu einem festlichen Abendessen in das Museum f r Kommunikation in Berlin eingeladen.

Florian Kästle, Rechtsanwalt in Frankfurt, im Hinblick auf das Unternehmens- und Übernahmerecht sowie Dr. Bernhard Trappehl, Rechtsanwalt in Frankfurt, aus der Perspektive des Arbeitsrechts. Volker Heinz, Rechtsanwalt und Notar in Berlin, referierte über die Mobilität von Unternehmen und stellte in diesem Zusammenhang sehr anschaulich die wesentlichen Unterschiede und Gemeinsamkeiten der englischen Limited und deutschen GmbH dar. Über Fallstricke in der englischen Vertragssprache berichtete Dr. Volker Triebel, Rechtsanwalt (Düsseldorf) und Solicitor (England und Wales), wobei vor allem seine nützlichen Hinweise und praktischen Tipps zur Vermeidung von Rechtsunsicherheit hervorzuheben sind. Gegen Ende der Konferenz griff Sabine Lochmann, ehemalige Präsidentin der ECLA ein weiteres wichtiges Thema auf, als sie über die Entwicklung in Europa im Bereich Sammelklagen referierte. Ass. iur. Ilka Wo¨lfle, Bru¨ssel

Der 14. Syndikusanwaltstags findet am 8. und 9. November 2007 in Berlin statt.

AnwBl 1 / 2007

37

MN

Aus der Arbeit des DAV

AG Strafrecht

Konflikt, Kommunikation oder Konsens: Wohin geht der Strafprozess? Herbsttagung Das 23. Herbstkolloquium der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht am 10. und 11. November 2006 in Dresden stand unter dem Motto „Konflikt – Kommunikation – Konsens“. Anlass für dieses rechtspolitisch hochaktuelle Thema war die wohl unausweichliche Kodifizierung des sog. „Deals“. Nach dringender Anregung des Bundesgerichtshofs ist die Politik entschlossen, die vielfach praktizierte und von der Strafrechtspraxis auch in vielen Fällen als sinnvoll und hilfreich angesehene Verständigung über Gang und Ergebnis eines Strafverfahrens zwischen Verteidigung, Gericht und Staatsanwaltschaft gesetzlich zu regeln. Das Bundesministerium der Justiz hatte im Mai 2006 einen Referentenentwurf zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vorgelegt. Sowohl auf wissenschaftlicher Ebene als auch aus rechtspolitischer Sicht wurde das Thema in der Veranstaltung aufgegriffen. Die Tagung zeigte, welche Gefahren den Mandanten und auch der Strafrechtspflege, ja dem ganzen ausgewogenen System der Strafprozessordnung im Zusammenhang mit der geplanten gesetzlichen Regelung des „Deals“ drohen. Prof. Dr. Edda Weßlau von der Universität Bremen setzte sich in ihrem Vortrag mit dem Konsensprinzip als Leitidee im Strafverfahren auseinander. Dabei ging sie der Frage nach der Legitimität der Legalisierung der Absprachenpraxis nach und zeigte in ihrem Thesenpapier Wege auf, die Einführung der Absprache als Erledigungstyp im Strafverfahren konzeptionell zu rechtfertigen. Zu dem von der BRAK genannten Konsensprinzip als Legitimationsgrundlage der Absprachen sagte sie, dass zwar das Konsensprinzip aus dem Strafverfahren nicht wegzudenken sei. Allerdings werden ihrer Auffassung nach Absprachenpraxis und Konsensprinzip häufig zu Unrecht gleichgesetzt. So könne das Konsensprinzip zwar eine Methode sein, Legitimationslücken zu schließen, soweit Richtigkeit aus erkenntnistheoretischen Grün38

AnwBl 1 / 2007

1

2

3

4

5

6 1 Sprach ber die geplante gesetzliche Regelung zum „Deal“: Prof. Dr. Edda Weßlau (Universit t Bremen). 2 Stellte die Sicht der Anwaltschaft zum „Deal“ dar: Dr. Stefan K nig, Vorsitzender des Strafrechtsausschusses des DAV. 3 Podiumsdiskussion zum „Deal“: Rechtsanwalt JR Prof. Dr. Franz Salditt, Prof. Dr. Edda Weßlau, Rechtsanwalt Dirk Lammer (Moderation), der s chsische Justizminister Geert Mackenroth, Vorsitzender Richter am BGH Prof. Dr. Klaus Tolksdorf. 4 Die Mitgliederversammlung verlieh Dr. Wilhelm Krekeler die Ehrenmitgliedschaft in der AG Strafrecht. 5 Prof. Norbert Gatzweiler (l., hier mit dem Vorsitzenden der AG Strafrecht Werner Leitner) wurde nicht nur die Ehrenmitgliedschaft der AG verliehen, sondern er wurde auch zum Ehrenvorsitzenden ernannt. „Damit ehrt die Arbeitsgemeinschaft erstmalig zwei Mitglieder der ersten Stunde, die sich um die Gr ndung

7 und die Konsolidierung der Arbeitsgemeinschaft – und damit und dar ber hinaus um die Konstituierung eines Berufsbildes und eines Berufsethos moderner Verteidigung – besondere Verdienste erworben und entscheidend zur Entwicklung der Arbeitsgemeinschaft beigetragen haben“, sagte Prof. Dr. Peter Rieß in seiner Laudatio. Rechtsanwalt Dr. Krekeler war seit 1984 bis zur Herbsttagung Mitglied im Gesch ftsf hrenden Ausschuss der AG. Prof. Gatzweiler hatte den Vorsitz innerhalb des Gesch ftsf hrenden Ausschusses von 1986 bis 1990 inne. Mitglied im Gesch ftsf hrenden Ausschuss war er von 1984 bis 1992 und 1994 bis 2000. 6 Die Herbsttagung fand im Internationalen Congress Centrum in Dresden statt. 7 Der s chsische Justizminister Geert Mackenroth hielt den Gesetzentwurf zum „Deal“ f r sinnvoll.

MN

Aus der Arbeit des DAV

den nicht gewährleistet werden könne. Wesentlich für die Absprachenpraxis sei jedoch nicht das Konsensprinzip, sondern das do-ut-des-Prinzip. Als weitere Legitimationsgrundlage der Absprachenpraxis nannte sie die Funktionstüchtigkeit der Strafjustiz im Hinblick auf die knappen Ressourcen der Justiz. Hierin käme ein radikaler Perspektivenwechsel zum Ausdruck. Bisher habe man als Ziel des Strafprozesses die Durchsetzung des materiellen Strafrechts gesehen. Wandel durch Handel im Strafprozess Dr. Stefan König führte in seinem Referat „Wandel durch Handel“ aus, dass die oft angegebene Belastung der Justiz nicht zur informellen Erledigung zwinge. Das Phänomen der Absprachen lasse sich jedenfalls nicht dadurch erklären. Dies untermauerte er durch eine Statistik zu den Erledigungszahlen vor dem Amts- und Landgerichten. Vielmehr sei ein Wandel im geänderten Rollenverhältnis der am Verfahren Beteiligten zu sehen. Die Bedingungen des Handels hätten sich geändert. Diese fänden nicht mehr in der Gerichtsklause gegenüber statt. Die am Verfahren beruflich Beteiligten hätten sich – allen voran die Verteidiger – professionalisiert. Ihre Kommunikation verlange nach Regularien. Die Rechtsprechung habe sich diesbezüglich sehr zurückhaltend gezeigt und nur in Ansätzen Regeln offener Kommunikation aufgezeigt. Für die Verteidigung ergebe sich ein Dilemma. „Professionelle Verteidigung braucht offene Kommunikation, braucht Beratungszuverlässigkeit, braucht Konflikt und Konsens – aber auch das schlechte Gewissen der Gerichte. Und (deshalb) das Prinzip der materiellen Wahrheit“, so König, der im Anschluss an seine Ausführungen auf den vom Strafechtsausschuss des DAV im August dieses Jahres vorgelegten Vorschlag für eine gesetzliche Regelung des Verfahrens verwies. Dem DAV gehe es um Kommunikation. In der Stellungnahme habe der Ausschuss das Modell eines formalisierten „Schuldinterlokuts“ aufgezeigt, durch das die Verknüpfung der Schuldfrage mit dem Rechtsfolgenausspruch verhindert werden soll. Dadurch solle der Sanktionsschere entgegengewirkt werden. (Stellungnahme Nr. 46/2006,www.anwaltverein.de) Am zweiten Tag diskutierten in einer angeregten Podiumsdiskussion „Das letzte Wort – Wie viel ,Deal‘ ver-

trägt der Strafprozess?“ über die Einführung der Absprachenpraxis und der bisherigen Praxis des „Deals“ der sächsische Justizminister Gert Mackenroth, Prof. Dr. Klaus Tolksdorf (Vors. Richter am BGH), Rechtsanwalt JR Prof. Dr. Franz Salditt und Dr. Edda Weßlau (Universität Bremen). Während sich Tolksdorf grundsätzlich gegen Absprachen aussprach, stufte Herr MackenAG Strafrecht roth den Gesetzesentwurf als akzepta- ______________________________ bel und sinnvoll ein. Die sich sowohl an die Vorträge als auch an die PodiEhrenpreis „pro reo“ umsdiskussion anschließenden Disan Journalisten kussionen zeigten, dass die Strafverteidiger keine durchweg einheitliche Die AG Strafrecht hat Meinung zum Deal haben. Die einen anlässlich ihrer Herbsttagung im begrüßen ihn, die anderen halten ihn November 2006 zum dritten Mal für unwürdig und wollen sich strikt an den Ehrenpreis „pro reo“ verliehen. die derzeit geltenden Regeln der StrafDer Preis wird jährlich an eine prozessordnung halten. Dritte wieStrafverteidigerin/einen Strafverteiderum wollen den Deal danach beurdiger oder eine Person des öffentliteilen, ob er ihren Mandanten nutzt chen Lebens für ihren herausoder nicht. ragenden Beitrag zur Förderung Ein weiteres Highlight der Verund Sicherung einer unabhängianstaltung bildeten die Festvorträge am gen, uneingeschränkten und wirkSamstagvormittag, welche sich mit samen Strafverteidigung verliehen. dem übergreifenden Thema „Der StrafDieses Jahr erhielt den Preis der verteidiger im Wandel der Zeit“ sowie Gerichtsberichterstatter der „Das Institut der Verteidigung im WanSüddeutschen Zeitung Erwin Tochdel im Zeit“ beschäftigten. Rechtstermann in Würdigung seines anwalt Dr. Eckhart Müller skizzierte in journalistischen Lebenswerkes. seinem Referat den Wandel des BeIn seiner Laudatio führte griffs vom „Organ der Rechtspflege“. Rechtsanwalt Prof. Dr. Günter Des Weiteren ging er auf Probleme der Widmaier aus: „Die Auszeichnung Konfliktverteidigung ein und beschrieb ,pro reo‘, die ihm heute verliehen wird, gilt seinem leidenschaftlidie Erwartungen und Anforderungen chen Engagement für eine gean den Verteidiger im Rahmen des rechte und faire Strafjustiz, eine „Deals“. Müller widmete seinen VorStrafjustiz mit Augenmaß und trag in memoriam Rechtsanwalt Martin Menschlichkeit, eine Strafjustiz, Amelung, einem Gründungsmitglied die mit verantwortungsbewusstem der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht, Kritikvermögen dem vernünftigen welcher am 20. April dieses Jahres verZweifel Raum lässt und nicht von storben war. Rechtsanwalt Dr. Krekeler vornherein überheblich den Alleinbeschrieb in seinem Vortrag die Verbesitz der Wahrheit für sich beanteidigung als im Zentrum eines versprucht. In mehr als 35 Jahren fassungsrechtlichen Spannungsfeldes seines Wirkens wurde Erwin Tochstehend, das zwischen den Strafverfoltermann nicht müde, mit dem gungsinteressen des Staates einerseits ,hochgemuten Griff nach der und den Abwehrinteressen des beWahrheit‘ mancher Richter ins Geschuldigten Bürgers andererseits bericht zu gehen.“ Fairness habe der Preisträger stehe. Er zeigte an einschlägigen Gesetauch von seinen Berufskollegen verzen auf, wie der jeweils tätige langt. So forderte er die Wahrung Gesetzgeber das aufgezeigte Spander rechtsstaatlichen Prinzipien, nungsverhältnis gesehen und die sich wie der „Unschuldsvermutung“ entgegenstehenden Interessenlagen in ein. Zeitlebens forderte er aber auch eine Beziehung zueinander gebracht die Strafverteidiger auf, ihre Kampund damit das Institut der Verteidifespflicht zu erfüllen. gung mit Rechten ausgestaltet oder Einschränkungen ihrer Rechte voreb genommen hat. Rechtsanwa¨ltin Tanja Brexl, Berlin

Foto: Erwin Tochtermann von der S ddeutschen Zeitung wurde ausgezeichnet.

AnwBl 1 / 2007

39

MN

Aus der Arbeit des DAV

AG Anwa¨ltinnen

„Wär’ ich ein Mann doch mindestens nur“ 4. Anwältinnenkonferenz in Münster „Die Anwältin als Unternehmerin“ lautete das Motto der 4. Anwältinnenkonferenz. Die Veranstaltung hat sich als Treffpunkt für Anwältinnen etabliert. Im Gedicht „Am Turme“ sieht Annette von Droste-Hülshoff aus luftiger Warte zu, wie sich ein Boot durch die aufgepeitschte See kämpft. Während der stürmische Wind ihr Haar durchweht, wünscht sie sich sehnsüchtig nicht etwa nur in das Boot hinein, nein sie möchte gleich das Steuerruder ergreifen. Dann schildert sie ihr Dilemma: „Wär’ ich ein Jäger auf freier Flur, Ein Stück nur von einem Soldaten, Wär’ ich ein Mann doch mindestens nur, So würde der Himmel mir raten; Nun muß ich sitzen so fein und klar, Gleich einem artigen Kinde, Und darf nur heimlich lösen mein Haar Und lassen es flattern im Winde!“ Mit diesem Gedicht leitet Mechthild Düsing, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Anwältinnen im DAV, die 4. Anwältinnenkonferenz in Münster ein. Das passt auch deswegen so gut, weil Annette von Droste-Hülshoff aus dem Münsterland stammt. Kurzerhand wird sie zur Schutzpatronin für die kommenden drei Tage vom 9. bis 11. November 2006 erklärt. Das Steuerruder ergreifen Die Konferenz steht unter dem Titel „Die Anwältin als Unternehmerin“ und, um im Bild zu bleiben, der Titel „Die Anwältin am Steuerruder“ hätte auch ganz gut gepasst. Nach festlichem Auftakt am Vorabend finden sich am Freitagmorgen rund 75 Teilnehmerinnen im Münsteraner Zwei-Löwen-Klub ein und erwarten als erste Vortragende die Wirtschaftsprofessorin Ulrike Detmers mit dem Thema: „Erfolgsfaktoren von Unternehmerinnen – wie Frauen die Macht ergreifen.“ Detmers hat Studien über Unternehmerinnen in leitenden Positionen betrieben und benennt nun die Faktoren, die für ihren Erfolg ursächlich gewesen seien. „Hervorzuheben ist unter anderem das erwerbsbiographische Kontinuum, was für viele Frauen letztlich nur durch den Verzicht 40

AnwBl 1 / 2007

auf Kinder zu erreichen war“, sagt Detmers. Wie weit entfernt man in Deutschland von einer paritätischen Verteilung herausgehobener Positionen ist, zeigt sie anhand der nackten Zahlen: Unter den 525 Vorstandsmitgliedern der größten deutschen Unternehmen befänden sich gerade sieben Frauen, sagt Detmers, beruhigt im gleichen Atemzug aber wieder: Trotz nahezu gleichem Bevölkerungsanteil gäbe es zunehmend mehr Frauen mit Abitur als Männer. Frauen befänden sich gerade im Bereich der Höherqualifizierten also auf dem Vormarsch. Detmers empfiehlt für den Auf- und Ausbau der eigenen Karriere ausdrücklich das „Netzwerken“. Netzwerke bilden Und da sind die Anwältinnen voll in ihrem Element, ist doch das Netwerken der ungeschriebene zentrale Programmbestandteil dieser Konferenz. Nachdem die Teilnehmerinnen im Plenum die gerade gehörten Erfahrungsberichte zweier prämierter Kanzleigründerinnen, Caren Hons und Dr. Kerstin Brixius, rege diskutiert haben, werden auf der ersten längeren Kaffeepause bereits munter die Visitenkarten ausgetauscht. Hier finden sich Arbeitsrechtlerinnen für gegenseitige Prozessvertretungen zusammen, dort spricht eine Gruppe Allgemeinanwältinnen offen über ihre Stundensätze, daneben verabreden sich zwei Anwältinnen zum gemeinsamen Besuch einer Fortbildungsveranstaltung. Netzwerken eben. Die Atmosphäre ist locker und offen. Offener als bei einer Veranstaltung mit Männern? Vielleicht. Dem letzten Thema des ersten Blocks widmen sich der Geschäftsführer der Westfälischen Notarkammer, Christoph Sandkühler, die Notarin Kornelia Rudolph-Alexander und die Präsidentin des Deutschen Juristinnen Bundes und Anwaltsnotarin Jutta Wagner. Sie referieren zum Thema „Frauen ins Notariat“. Die Feststellung der Notarinnen ist deutlich: Frauen seien in diesem wirtschaftlich durchaus interessanten Bereich noch deutlich unterrepräsentiert. Beste Chancen auf ein Notariat habe, wer von einem amtierenden Notar gefördert werde und da blieben die Männer halt gerne unter sich. Ob neuerliche Gesetzesänderungsvorschläge da Abhilfe schaffen können, bleibt wohl abzuwarten.

Rund 75 Rechtsanw ltinnen waren f r die 4. Anw ltinnenkonferenz nach M nster gekommen.

Praktische Hilfe im Kanzleialltag Freitagnachmittag. Der zweite Block beginnt. Handfeste Themen. „Vergütungsvereinbarung hieb- und stichfest“. Karin Scheungrab, Diplom-Rechtspflegerin aus Leipzig referiert sehr anschaulich über Honorargestaltungen. Viele hier sind gerade wegen dieser praktischen Themen gekommen. Sie kommen voll auf ihre Kosten. „Grafische Gestaltung in der Anwaltspraxis“ von Andreas Maria Scheungrab. Das Thema wirkt erst lustig, zum Schluss wirft man dann aber einen verstohlenen Blick auf die eigene Visitenkarte. Schließlich zeigt die Unternehmensberaterin Dr. Gabriele Kirch-Verfuß mit ihrem Vortrag „Wissensmanagement für die Anwaltskanzlei“ konkrete Möglichkeiten auf, angesammelte Informationen in einer Kanzlei gezielter nutzbar zu machen. Es schließt sich der gesellige Abend an. Bei orientalischem Essen, Musik und Tanz wird natürlich wieder „genetzwerkt“ – aber auch einfach nur ausgelassen gefeiert. Den Schluss- und zugleich Höhepunkt der Konferenz setzt dann am folgenden Samstag Dr. Renate Jaeger, Richterin am BVerfG a. D., mit spannenden Innenansichten von ihrer jetzigen Tätigkeit als Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Die 4. Anwältinnenkonferenz ist schließlich zu Ende. Was bleibt den Teilnehmerinnen von dieser Konferenz? Viele neue Erkenntnisse, eine Menge neuer Kontakte und die Lust auf mehr bei der nächsten Herbstkonferenz 2007 in Berlin – und die Erkenntnis, dass viele Anwältinnen von heute das Steuerruder bereits ergriffen haben. Annette von Droste-Hülshoff hätte es gefallen. Rechtsanwalt Manfred Aranowski, Berlin

Informationen zur AG Anwältinnen unter www.dav-anwaeltinnen.de.

MN

Aus der Arbeit des DAV

AG Verkehrsrecht

AG Arbeitsrecht

Homburger Tage 2006

Praxis des Arbeitsrechts

Seit 26 Jahren finden jährlich im Oktober die von der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht ausgerichteten Homburger Tage statt. Ein Schwerpunkt in diesem Jahr waren die europäischen Entwicklungen im Verkehrsrecht. Die Vollstreckung von Geldstrafen und Geldbußen in einem anderen EU-Staat ist nahezu undurchführbar. Dieses Problem soll mit einem EU-Rahmenbeschluss über die gegenseitige Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen aus dem Februar 2005 gelöst werden, der bis Ende März 2007 in nationales Recht umgesetzt werden soll. Die anstehende Umsetzung dieses EURahmenbeschlusses war zentrales Thema der Diskussionen der diesjährigen Homburger Tage. Das Ziel, Verkehrsverstöße grenzüberschreitend zu verfolgen wurde grundsätzlich begrüßt Nicht vergessen werden dürfe aber, dass in vielen EU-Ländern Maßstäbe bei der Feststellung von Verkehrsordnungswidrigkeiten gelten, die in Deutschland geltenden Verfassungsprinzipien widersprechen. Zu denken sei hier an die österreichische Regelung, nach der mittels des sogenannten „Amtsauges“ ein Polizist die Geschwindigkeit schätzen dürfe. Auch die Halter-Lenker-Auskunftspflicht wurde von den Teilnehmern der Tagung als höchstproblematisch bewertet. In einem weiteren Vortrag wurde die Anerkennung von EU-Führerscheinen behandelt, die unter Umgehung nationaler Bestimmungen über die Erforderlichkeit einer medizinisch-psychologisch Untersuchung im Heimatland erworben wurden. Die Themen und Referenten der Homburger Tage waren: 9 „Die Europäisierung des Verkehrsrechts“, Detlef Otto Bönke, Berlin. 9 „Aktuelle Probleme im Verkehrsverwaltungsrecht: EU-Fahrerlaubnis – Drogen – Rechtschutz“, MR Klaus-Ludwig Haus, Saarbrücken. 9 „Beweislastprobleme im Versicherungsprozess“, Richterin am BGH Dr. Sibylle Kessal-Wulff, Karlsruhe. 9 „Vorteilsausgleich bei Sach- und Personenschäden“, Richter am BGH Burkhard Pauge, Karlsruhe.

52. Tagung der AG – diesmal in Kopenhagen

Rechtsanwalt Philipp Wendt, Berlin

Das umfangreiche Fortbildungsprogramm der Arbeitsgemeinschaft ist im Internet unter www.verkehrsanwaelte.de abrufbar.

Bei schönem spätsommerlichen Wetter trafen sich Ende September 2006 über 320 Arbeitsrechtspraktiker – unter ihnen auch einige Richter des Bundesarbeitsgerichts bei der Herbsttagung der Arbeitgemeinschaft Arbeitsrecht in Kopenhagen. Neben der Kontaktpflege standen der Meinungsaustausch zwischen den Anwälten des „Arbeitnehmerlagers“ und des „Arbeitgeberlagers“ zu aktuellen Entwicklungen in der Arbeitsrechtspraxis im Mittelpunkt der Veranstaltung. Eingangs der Tagung dankte die Arbeitsgemeinschaft durch Rechtsanwalt Dr. Hans-Georg Meier ihrem Vorsitzenden, Dr. Jobst-Hubertus Bauer, für seinen besonderen Einsatz im Zusammenhang mit der kürzlich erschienenen Festschrift zum 25-jährigen Bestehen der Arbeitsgemeinschaft. Die außerordentlich gelungene Festschrift ist dank zahlreicher interessanter Beiträge sehr positiv aufgenommen worden. Drei Vorträge Passend zum Tagungsort referierte zunächst Rechtsanwältin Jette H. RonØe über das dänische Arbeitsmarktmodell. Dabei stellte sie insbesondere die Bedeutung der Tarifvertragsparteien in Dänemark und die von den Sozialpartnern gemeinsam geförderte Flexibilität des Arbeitsrechtssystems bei gleichzeitiger sozialer Absicherung durch den Staat dar. Einen allgemeinen Kündigungsschutz gibt es ebenso wenig wie umfassende Kündigungsschutzvorschriften in Tarifverträgen. Immer größere Bedeutung in der dänischen Praxis kommt jedoch – wie bei uns – dem Europarecht zu. Anschließend hielt Rechtsanwalt Jan H. Kern einen lebhaften und pointierten Vortrag über wichtige neue Entscheidungen des BAG zu Massenentlassungsanzeige, Befristung von Arbeitsverträgen und Betriebsübergang sowie über zwei Entscheidungen des BSG zur Sperrfrist hinsichtlich des Arbeitslosengeldanspruchs bei Abschluss von Aufhebungsverträgen. Aufgrund der zurückhaltenden Aktivität des Gesetzgebers gab es für

Rechtsanwalt Dr. Johannes Schipp im Anschluss nicht viel Neues aus der Gesetzgebung zu berichten. Zu Recht wies er auf zahlreiche augenfällige handwerkliche Mängel im AGG hin, die teilweise einer gewissen Komik nicht entbehren. Drei Workshops Das AGG war dann auch Thema des Workshops von Rechtsanwältin Dr. Ulrike Schweibert und Rechtsanwalt Ulrich Fischer, welche einige wichtige Aspekte des Gesetzes (z. B. Beschwerdestelle, Informations- und Schulungspflichten des Arbeitgebers, Verhaltensrichtlinien, Bewerbungsverfahren, Verhältnis zum KSchG) aus Sicht der Beratung von Arbeitgebern bzw. Arbeitnehmern vorstellten und mit dem Auditorium diskutierten. Ulrich Fischer plädierte dabei für eine maßvolle und vernünftige Handhabung des Gesetzes, insbesondere auch durch Anwälte der Arbeitnehmerseite. Letztere würden nämlich künftig nicht nur etwaige „Diskriminierte“ vertreten, sondern ggf. auch potenzielle „Diskriminierer“, die von arbeitsrechtlichen Sanktionen des Arbeitgebers betroffen werden. Dennoch kann man auf Arbeitgeberseite damit rechnen, dass künftig Kündigungsschutzklagen regelmäßig mit einem Entschädigungsantrag verbunden werden und dass sich Betriebsrat und Gewerkschaften des Themas der Diskriminierung verstärkt annehmen werden. Rechtsanwalt Dr. Elmar Schnitker leitete den zweiten Workshop über die „schuldbefreiende Übertragung von Pensionsverbindlichkeiten (Portabilität und ihre Grenzen)“. Er führte die Teilnehmer durch die Tiefen der Portabilitätsregelungen, insbesondere den durch das Alterseinkünftegesetz neu gefassten § 4 BetrAVG. Engagiert diskutierten die Teilnehmer des dritten Workshops auch das Thema „Tarifsozialplan“. Rechtsanwalt Axel Braun stellte dieses neue strategische Instrument der Gewerkschaft vor und referierte kritisch die billigende Entscheidungspraxis einiger Landesarbeitsgerichte. In seiner Kritik stellte er u.a. die berechtigte Frage, inwieweit ein Streik zur Durchsetzung eines Tarifsozialplans mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar sei, wenn die Ziele mittels der Instrumente der Betriebsverfassung (Interessenausgleich, Sozialplan) durchsetzbar seien AnwBl 1 / 2007

41

MN

Aus der Arbeit des DAV

und es durch konzertierte Aktionen von Gewerkschaft und Betriebsrat zu einer Störung der Kampfparität komme. Abgerundet wurde die gelungene Tagung am zweiten Veranstaltungstag durch den Vortrag von Burghard Kreft, Richter im 1. Senat des Bundesarbeitsgerichts, der einen umfassenden Überblick über die Facetten und Problemfelder des arbeitsrechtlichen Phänomens des „Gemeinschaftsbetriebs“ gab. Die anschließende Diskussion machte deutlich, dass der Gemeinschaftsbetrieb die Arbeitsrechtler noch einige Zeit beschäftigen wird. Schließlich wurde zum Ausgang der wie immer hervorragend organisierten Tagung noch mit einer alten Tradition gebrochen und eine neue begründet: Kollege Dr. Heeser durfte nicht mehr die erste Frage zum Vortrag stellen, wohl aber die letzte.

wurfs begleitet hat, erfolgte ein reger Gedankenaustausch zwischen Professoren, Anwälten, Richtern und Personalern über die Vor- und Nachteile eines solchen Vorhabens. Ziel der Bertelsmann Stiftung ist eine breit angelegte Diskussion des Entwurfes anzubieten, an deren Ende ein für Arbeitnehmer und Arbeitgeber ausgewogenes Arbeitsvertragsgesetz steht, das aus der Mitte der Zivilgesellschaft vorschlagen wird (mehr dazu unter www.ArbVG). Ein Vorhaben, das vom örtlichen Anwaltverein gern unterstützt wurde. Der Bochumer Verein wird auch weiterhin Veranstaltungen mit Kooperationspartnern seinen Mitgliedern anbieten.

Rechtsanwalt Dr. Mark Lembke, LL.M. (Cornell), Frankfurt am Main

Bayerischer Anwaltverband

Die 53. Tagung der AG Arbeitsrecht findet am 9. und 10. März 2007 in Hamburg statt.

Anwaltverein Bochum

Werben für das Arbeitsvertragsgesetz „Ein einheitliches Arbeitsvertragsgesetz“ unter diesem Motto hatten der Bochumer Anwalt- und Notarverein und die Bertelsmann Stiftung am 10. November 2006 Arbeitsrechtspraktiker aus der Ruhrgebietsregion zur Diskussion nach Bochum geladen. Die Veranstaltung sollte zur Information über den Entwurf für ein neues, einheitliches Arbeitsvertragsgesetz dienen. Prof. Peter Hanau stellte den in den vergangenen Monaten von den Professoren Dr. Martin Henssler und Dr. Ulrich Preis erarbeiteten Diskussionsentwurf vor (siehe zum Entwurf Beckmann AnwBl 2006, 394 und Clemenz AnwBl 2006, 555). Der Entwurf regelt die wichtigsten Aspekte des Individualarbeitsrechts in knapp 150 Paragraphen. In der anschließenden Diskussion unter der Moderation von Prof. Dr. Heinrich M. Stindt, der als Mitglied der Kommission Arbeitsvertragsrecht den Entwicklungsprozess des Gutacherent42

AnwBl 1 / 2007

densrecht seit der Reform und Ihre Auswirkung auf die tägliche Praxis der Schadensregulierung“ und „EU-Führerscheintourismus/Drogenproblematik im Fahrerlaubnisrecht“. Der zweite Themenblock beschäftigte sich auf Mietrechtsseite mit der „Rechtssprechung des Landgerichts I in Mietsachen – Insbesondere Räumungsverfahren und Mieterhöhung“. Referent war Wolfgang Schuldes, Vorsitzender Richter am Landgericht München I. Über „Aktuelles Kaufrecht in der Vertragsgestaltung“ referierte Prof. Dr. Stephan Lorenz von der Ludwig-Maximilian-Universität München. Petra Rottmann, Rosenheim

Rechtsanwalt Ju¨rgen Widder, Bochum

Bayerischer Anwaltverband

Zweiter Bayerischer Anwaltstag ein Erfolg Der zweite Bayerische Anwaltstag bildete den Abschluss eines erfolgreichen Tagungsjahres 2006. Der Bayerische Anwaltverband veranstaltete Mitte November in München in der Bayerischen Akademie für Werbung und Marketing seine bisher größte Weiterbildungsveranstaltung mit mehr als 220 Teilnehmern. Neben den Fachveranstaltungen für Miet-, Verkehrs- und allgemeinen Zivilrecht wurden auch Seminare zu den Themen „Kanzleisteuerung durch den Rechtsanwalt“ und „Pressearbeit für Rechtsanwälte“ angeboten. Den Auftakt bildete nach den Begrüßungsreden von Dr. Matthias Lung (Direktor der gastgebenden Akademie) Rechtsanwalt Anton Mertl (Präsident des Bayerischen Anwaltverbandes) das „Gedächtnistraining für Rechtsanwälte“ mit einem der profiliertesten Gedächtnistrainer Europas, Gregor Staub. Er verstand es nicht nur, seine Teilnehmer zu bewundernswerten Gedächtnisleistungen zu bringen, sondern sorgte durch seinen unterhaltsamen Seminarstil auch immer wieder für Lacher. Themen der Verkehrsrechtsvorträge von Angela Dietrichsen (Richterin am Bundesgerichtshof) und Rechtsanwalt Dr. Michael Ludovsky (ADAC) waren „Die BGH-Rechtssprechung zum Scha-

Rechtstage als regionale Treffpunkte Der Bayerische Anwaltverband bietet neben dem Bayerischen Anwaltstag jedes Jahr regionale Fachtagungen an. 2006 gab es Rechtstage im Erbrecht, Arbeitsrecht und im IT-Recht. Beim 2. Bayerischen Erbrechtag im Sommer 2006 fanden besonders die Thesen von Prof. Dr. med. Clemens Cording zur Klärung der Testierfähigkeit Beachtung. Danach wird der Focus der Begutachtung vom Krankheitsbild verstärkt auf die Kausalität der Erkrankung gerichtet werden müssen. Nur eine gründliche Erforschung der Einzelumstände und deren Würdigung durch den Gutachter könnten zu befriedigenden Ergebnissen führen. Rechtsanwalt und Fachanwalt für Erbrecht sowie Familienrecht Dr. Michael Bonefeld sprach u. a. über „Aktuelle Rechtsprechung und ausgewählte Probleme in Nachlasssachen“ und – „Ausgleichsprobleme im Erb- und Pflichtteilsrecht“. Den Auftakt zum 2. Bayerischen Arbeitsrechtag im Sommer 2006 bildete die Präsidentin des Landesarbeitsgerichtes Angelika Mack. Der Bayerische Arbeitsrechtstag bietet ein jährliches Diskussionsforum für arbeitsrechtliche Theorie und Praxis. Richter, Anwälte und Wissenschaftler behandeln Probleme und ihre Auswirkungen auf die Praxis und erarbeiten

MN

Aus der Arbeit des DAV

Lösungsvorschläge, die als Orientie- AG Versicherungsrecht didiert, steht jedoch dem Geschäftsführung für die Rechtspolitik wie auch für renden Ausschuss als Schriftleiter des die tägliche Praxis in anwaltlicher Berafür Versicherungsrecht Neuer Auftritt im Internet Spektrums tung und vor Gericht zu Rate gezogen auch weiterhin mit beratender Stimme werden können. Prof. Dr. Martin Franzur Seite. Für Dr. Georg Greißinger Umfangreiche Fortbildung zen sprach über „Neues Recht für die wurde Rechtsanwalt Arno Schubach, Bezugnahme auf Tarifverträge – kautelDer Vorsitzende der Arbeitsgemein- Koblenz in den Geschäftsführenden arjuristische Herausforderungen“. schaft Versicherungsrecht berichtet Ausschuss gewählt. Rechtsanwältin und Fachanwältin für über die Arbeit der AG in seinem GeArbeitsrecht – Dr. Claudia Rid infor- schäftsbericht 2005/2006. Fortbildungsveranstaltungen mierte über „Rechtsprobleme der ZeitDie Arbeitsgemeinschaft hat wieder nearbeit“. Über „Sozialrechtliche Begleitben dem Symposium im September fragen zur Beendigung von Mitgliederentwicklung eine Vielzahl von FortbildungsverArbeitsverhältnissen – Altersbefristung, Im Berichtsjahr hat sich die Zahl der anstaltungen angeboten. Dazu gehören Sperrzeitrecht und Arbeitslosmeldung“ Mitglieder nicht wesentlich gesteigert. auch Tagungen des Arbeitskreises berichtete Dr. Ulrich Koch (Richter am Die Arbeitsgemeinschaft hat 1.120 „orTransportversicherung in ZusammenBundesarbeitsgericht). dentliche Mitglieder“ sowie etwa 100 arbeit mit der AG Transport- und Juristen mit ständigem Gaststatus. Den Abschluss der FachtagungssaiHierbei handelt es sich überwiegend Speditionsrecht im DAV, des Arbeitsson bildete der 5. Bayerische IT-Rechtag um Syndikusanwälte von Versiche- kreises Personenversicherung, des Arim Oktober 2006. Der Schwerpunkt beitskreises Sachversicherungen, des rungsgesellschaften. lag in diesem Jahr auf der Gestaltung Arbeitskreises Vermögensschaden/ von IT-Projektverträgen. Nach dem BeGeschäftsführender Ausschuss Haftpflichtversicherung der freien Begrüßungswort des Präsidenten des rufe und des Arbeitskreises RechtsDer Geschäftsführende Ausschuss hat Bayerischen Anwaltverbandes Anton schutzversicherung. Mertl sprach Staatsminister Eberhard im Geschäftsjahr 2005/2006 drei Mal Der Vorsitzende des GeschäftsfühSinner (Mitglied des Bayerischen Land- getagt. An einer Sitzung hat auch der renden Ausschusses der ArbeitsgeBeirat teilgenommen. Im Vordergrund tags) über Softwareinnovation als Moder Beratungen des Ausschusses stanmeinschaft hat – wie in den vergangetor der Wirtschaft. Es referierten u. a. den die Vorbereitungen der Fortbilnen Jahren – gemeinsam mit der Rechtsanwalt Dr. Florian von Baum dungsveranstaltungen sowie des 11. Anwaltakademie den Winterintensivüber die „Gestaltung des ProjektvertraDAV-Symposiums in Baden-Baden und kurs Haftungs- und Versicherungsges aus Kundensicht“ und als Pandant dazu Rechtsanwalt Dr. Bernhard Hörl die Planung für das 12. DAV-Sym- recht in Obertauern gestaltet. Der über die „Gestaltung des Projektvertra- posium in Köln sowie die VVG-Reform. nächste Winterintensivkurs findet in Gemeinsam mit dem DAV-Gesetzges aus Anbietersicht“. Um den Rechtsder Zeit vom 12. März bis 16. März gebungsausschuss Versicherungsrecht anwälten den oben genannten wichti2007 in Groß-Arl (Österreich) statt. hat der Geschäftsführende Ausschuss gen technischen Hintergrund näher zu eine Stellungnahme zum VVG-Entwurf Fachanwaltskurse Versicherungsrecht bringen, bot Dipl.-Informatiker erarbeitet. Dr. Frank Sarre eine Übersicht über die Bei den Wahlen zum Geschäftsfüh- Die Arbeitsgemeinschaft führt weiterverschiedenen Vorgehensmodelle unter renden Ausschuss im September 2006 hin gemeinsam mit der Deutschen Andem Titel „V-Methode, RUP, Waterfall in Baden-Baden wurden mit Aus- waltakademie die Fachanwaltskurse oder was?“. Eine vergabe- und wett- nahme von Dr. Georg Greißinger die Versicherungsrecht durch. Der nächste bewerbsrechtliche Checkliste für IT- Mitglieder in ihrem Amt bestätigt. Dr. Fachlehrgang beginnt am 25. Januar Projekte der öffentlichen Hand gab Georg Greißinger hat nicht mehr kan- 2007 in Hannover. Prof. Dr. Dirk Heckmann den Zuhörern an die Hand. Gerade mit Blick auf AG Versicherungsrecht die neuen Fachanwaltschaften 2007 Urheber- und Medienrecht, sowie In- ______________________________________________________________ formationstechnologierecht wird der desgerichtshof a. D./VersicherungsVeranstaltungshinweis IT-Rechtstag bundesweit in seiner Beombudsmann, Rechtsanwalt Ralf Gedeutung als WeiterbildungsveranstalDie Arbeitsgemeinschaft Versiche- bauer/Straßbourg, Rechtsanwalt Dr. tung für Anwälte dieser Bereiche von rungsrecht bietet zum Thema „Die Jan Schröder, LL. M/Düsseldorf/Lonimmer größerer Bedeutung. Umsetzung der Vermittlerrichtlinie – don, Rechtsanwalt Dr. Hartmut Herausforderung für den Versiche- Lübbert/Freiburg. Anschließend finPetra Rottmann, Rosenheim rungsmarkt in Europa?“ eine Fach- det ein gemeinsames Abendessen der tagung am 17. Februar 2007 in Ober- Teilnehmer mit den Referenten statt. Informationen zu den Angeboten des Bayerischen nai bei Straßbourg/Frankreich an. Anwaltverbands unter Zu den Referenten gehören Rechtswww.bayerischer-anwaltverband.de. anwalt Dr. Jenssen/Verband DeutNähere Einzelheiten zum Programm und zur scher Versicherungsmakler, Prof. Anmeldung finden Sie unter www.anwaltverein.de/ Wolfgang Römer/Richter am Bun- 05/13/06.html.

AnwBl 1 / 2007

43

MN

Aus der Arbeit des DAV

Internet-Auftritt der AG Der geplante Internetauftritt ist bei der Mitgliederversammlung am 22. September 2006 in Baden-Baden vorgestellt worden. Neben den Informationen über die Arbeitsgemeinschaft, ihre Mitglieder und Organe wird die Arbeitsgemeinschaft auch über aktuelle Entscheidungen des BGH zum Versicherungsrecht zeitnah informieren: 9 Die Startseite führt den Benutzer auf die Fortbildungsveranstaltungen und eröffnet die Möglichkeit der Onlineanmeldung. 9 Es besteht eine Möglichkeit zur elektronischen Anwaltsuche auf der Grundlage des beim DAV gespeicherten Datenbestandes der Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft. Die Datenpflege kann von den Mitgliedern selbst über Online-Plattform des DAV vorgenommen werden. 9 Unter der Rubrik Fachanwalt besteht eine Verlinkung zu den Lehrgängen der Deutschen Anwaltakademie. 9 In einer neuen Rubrik wird wöchentlich eine Auswahl von aktuellen Urteilen des BGH voröffentlich werden. 9 Der Geschäftsführende Ausschuss, die Arbeitskreisleiter und der Beitrat sind mit ihren Kontaktadressen aufgeführt. 9 Es besteht ein elektronisches Beitrittsformular. Symposium 2007 Das 12. DAV Symposium Versicherungsrecht findet am 28./29. September 2007 in Köln statt. Rechtsanwalt Dr. H. W. van Bu¨hren, Ko¨ln

Informationen zur Arbeitsgemeinschaft unter http://argeversicherungsrecht.dav.de/.

AG Erbrecht

Mitgliederversammlung und Deutscher Erbrechtstag Die Arbeitsgemeinschaft Erbrecht im Deutschen Anwaltverein lädt zum 2. Deutschen Erbrechtstag und zur Mitgliederversammlung 2007 ein. Die Mitgliederversammlung findet am 17. März 2007, 14 Uhr im Hotel Palace, Budapester Straße 45, 10787 Berlin, statt. 44

AnwBl 1 / 2007

Der Deutsche Anwaltverein trauert um seinen früheren Geschäftsführer und Schriftleiter des Anwaltsblatts

Rechtsanwalt

Dr. Jürgen Chemnitz 23. April 1920 – 29. November 2006 Der Verstorbene war Geschäftsführer des Deutschen Anwaltvereins von 1953 bis 1985 und Schriftleiter des Anwaltsblatts. Nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Tätigkeit war Dr. Jürgen Chemnitz in großem Umfang ehrenamtlich tätig beim Geschäftsführenden Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins und betreute dort als Schriftleiter das Mitteilungsblatt. Der Deutsche Anwaltverein wird ihm immer ein ehrendes Andenken bewahren.

Hartmut Kilger Präsident Im Dezember 2006

Der Geschäftsführende Ausschuss gibt die Tagesordnung bekannt: 1. Geschäftsbericht des Vorsitzenden des Geschäftsführenden Ausschusses 2. Bericht des Schatzmeisters 3. Bericht des Kassenprüfers 4. Aussprache 5. Entlastung des Geschäftsführenden Ausschusses 6. Wahl der Kassenprüferin/des Kassenprüfers 7. Wahl des Geschäftsführenden Ausschusses 8. Änderung der Geschäftsordnung der Arbeitsgemeinschaft (§§ 2 Abs. 3, 6 Abs. 1) 9. Verschiedenes Anträge zur Tagesordnung sind spätestens 21 Tage vor der Mitgliederversammlung beim Geschäftsführenden Ausschuss eingehend unter der Anschrift: Arbeitsgemeinschaft Erbrecht im DAV, Littenstraße 11, 10179 Berlin, zu stellen und müssen von mindestens 10 Mitgliedern unterstützt werden. Eine Anzeige mit dem Programm des 2. Deutschen Erbrechtstages finden Sie in diesem Heft, weitere Informationen unter www.erbrecht-erb.de.

AG Verkehrsrecht

Veranstaltungen Regionale Veranstaltungen: 9 Brennpunkte der Personenschadenregulierung, Prokurist Herbert Lang, Allianz München; 3. Februar 2007, Neubrandenburg. 9 Fahreignung – Erteilung, Entziehung und Wiedererteilung der Fahrerlaubnis; Probleme und Lösungen rund um die MPU, Rechtsanwalt Frank R. Hillmann III, Oldenburg; Dipl.Psych. Axel Uhle, TÜV MPI, Saarbrücken; 10. Februar 2007, Nürnberg; 3. März 2007, Dresden. 9 Wahrheitsfindung und Technik der Befragung von Zeugen/innen, Richter am OLG Axel Wendler, Filderstadt 10. Februar 2007, Stuttgart; 3. März 2007, Homburg/Saar. 9 Klageanträge und typische Beweisprobleme im Haftpflichtprozess, Richter am BGH a. D. Dr. Manfred Lepa, Bonn; 24. Februar 2007, Düsseldorf. Anmeldungen (bitte schriftlich) und Informationen: AG Verkehrsrecht, Veranstaltungsorganisation, Gansweide 21, 53359 Rheinbach, Tel: 02226/91 20 91, Fax: – 95, [email protected]

MN

Dokumentation Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Spartenausbildung in der Juristenausbildung Gesetzentwurf des Deutschen Anwaltvereins (DAV)

Das Anwaltsblatt dokumentiert den im Oktober 2006 vorgelegten DAV-Gesetzentwurf zur Umsetzung der Spartenausbildung. Die Ablösung des herkömmlichen Referendariats durch je eigene Ausbildungsgänge für Anwälte, Richter und Verwaltungsjuristen ist eine Forderung, die der Deutsche Anwaltverein seit langem erhebt: Schon im Jahr 1998 verabschiedete der DAV ein Spartenausbildungsmodell, das seit dem die Diskussion um die postuniversitäre Juristenausbildung nachhaltig beeinflusst hat. Die Justizministerkonferenz hat sich zuletzt im Jahr 2005 ausführlich mit dem Spartenausbildungsmodell des DAV befasst und angekündigt, im Jahr 2008 eigene Vorschläge für die Umsetzung einer Spartenausbildung in die Juristenausbildung vorzulegen. Der DAV meint, dass die Diskussion nicht erst 2008 wieder aufgenommen werden sollte, da eine Steigerung der Qualität in der Ausbildung jedenfalls aus anwaltlicher Sicht nötiger denn je ist. Daher hat eine Arbeitsgruppe den vorliegenden Gesetzentwurf auf der Grundlage der Vorstandsbeschlüsse des DAV erarbeitet.* Der Gesetzentwurf zeigt, dass die Spartenausbildung ein praxistaugliches Modell ist, um das genannte Ziel zu erreichen. Die Kernpunkte des Gesetzentwurfs: 9 Das herkömmliche Referendariat wird abgeschafft. An seine Stelle treten drei Ausbildungsgänge: ein Anwaltsreferendariat für angehende Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, ein Justizreferendariat für zukünftige Richter und

Staatsanwälte sowie ein Verwaltungsreferendariat, das auf den höheren Verwaltungsdienst vorbereitet. 9 Auch weiterhin sollen wie bisher Stationen in den jeweils anderen Sparten absolviert werden. Selbstverständlich muss auch nach dem Spartenausbildungsmodell ein künftiger Rechtsanwalt lernen, wie ein Richter oder eine Verwaltungsjuristin arbeitet. 9 Zugang zum Anwaltsreferendariat erhält nur, wer anwaltliche Ausbildungsplätze nachweist. Damit wird eine Situation hergestellt, wie sie in praktisch jedem anderen Beruf auch besteht. 9 Ausbilden kann nur, wer seit mindestens fünf Jahren zur Rechtsanwaltschaft zugelassen ist, bereit und in der Lage ist, in den eigenen Kanzleiräumen einen Arbeitsplatz für den Anwaltsreferendar zur Verfügung zu stellen sowie bereit und in der Lage ist, eine vorgeschriebene Mindestvergütung zu zahlen. 9 Neben die 20-monatige praktische tritt eine viermonatige intensive theoretische Ausbildung. 9 Am Ende des Anwaltsreferendariats steht ein Anwaltsexamen. Der Anwaltsberuf erfordert andere Kenntnisse und Fähigkeiten als etwa der Richterberuf. Daher müssen auch andere Inhalte geprüft werden. Das Anwaltsexamen ist auch weiterhin ein Staatsexamen. So bleibt bei unterschiedlichen Inhalten der unterschiedlichen Staatsexamina ein gleiches Niveau gewahrt.

A. Problem und Ziel

juristin oder des Verwaltungsjuristen zu ergreifen, zurückgegangen sein könnte, sondern augenfällig gestiegene Bewerberzahlen bei jeder im Bereich von Justiz und Verwaltung ausgeschriebenen Stelle eher für die gegenteilige Entwicklung sprechen, muss davon ausgegangen werden, dass der signifikant gestiegene prozentuale Anteil der in den Anwaltsberuf eintretenden Absolventen der zweiten juristischen Staatsprüfung weder auf eine besondere Neigung noch auf eine besondere Eignung oder Befähigung zur Ausübung des Berufs der Rechtsanwältin oder des Rechtsanwalts zurückzuführen ist, sondern seine Ursache maßgeblich darin hat, dass den Betroffenen angesichts der Stellensituation im öffentlichen Dienst und teilweise auch aufgrund ihres eigenen Leistungs-, Eignungs- und Befähigungsbildes keine beruflichen Alternativen – insbesondere in Justiz und Verwaltung – offen stehen. Ist aber zu konstatieren, dass aus den dargestellten Gründen ein großer und tendenziell ansteigender Anteil solcher juristischer Berufsanfänger in den Anwaltsberuf gedrängt wird, die diesen eigentlich gar nicht anstreben und zu

In den letzten 20 Jahren hat sich die Zahl der Absolventen** der zweiten juristischen Staatsprüfung von 5.265 im Jahre 1985 (dazu: 555 Absolventen der einstufigen Ausbildung) auf 9.639 im Jahre 2004 erhöht. Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der zugelassenen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte von 48.658 auf 123.569 angestiegen. Ein ständig steigender prozentualer Anteil der ausgebildeten Volljuristen ergreift den Rechtsanwaltsberuf: Während in den 1980er Jahren durchschnittlich lediglich 57 % der Absolventinnen und Absolventen den Anwaltsberuf wählten, hat sich diese Zahl mittlerweile auf etwa 80 % erhöht. Vorsichtige Prognosen lassen es als wahrscheinlich erscheinen, dass die Anzahl der Rechtsanwältinnen in etwa 10 Jahren die 200.000 erreicht. Im Hinblick darauf,1 9 dass auf der einen Seite die Anzahl der Stellen für Volljuristen in Justiz und Verwaltung nicht nur nicht in gleichem Maße wie die Zahl der Absolventen der zweiten juristischen Staatsprüfung angestiegen ist, sondern teilweise – insbesondere in den letzten Jahren – sogar absolut gesunken ist und 9 dass auf der anderen Seite keinerlei Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Neigung der ausgebildeten Volljuristen, den Beruf der Richterin oder des Richters, der Staatsanwältin oder des Staatsanwalts und der VerwaltungsGesetzentwurf zur Einf hrung einer Spartenausbildung in der Juristenausbildung

*

Mitglieder der Arbeitsgruppe des DAV: Vizepräsident des DAV Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolfgang Ewer, Kiel (Vorsitzender); Vizepräsident des LG Osnabrück Antonius Fahnemann, Osnabrück; Vizepräsident der Rechtsanwaltskammer Nürnberg Rechtsanwalt Dr. Karl-Heinz Güllich, Lauf; Rechtsanwalt Dr. Joachim Schrey, Frankfurt a.M.; Rechtsanwalt Axel Thoenneßen, Düsseldorf ** Generische Maskulina werden dort verwandt, wo die durchgängige Verwendung von Paarformen den Text unübersichtlich machen würde. Soll das Maskulinum ausnahmsweise nicht generisch verwendet werden, wird dies besonders deutlich gemacht.

AnwBl 1 / 2007

45

MN

Dokumentation

seiner Ausübung auch keine besonderen Voraussetzungen mitbringen, so droht der Anwaltschaft ein zunehmender Qualitätsverfall, sofern nicht der bislang am Leitbild des Einheitsjuristen ausgerichtete und demgemäß einheitliche Vorbereitungsdienst als Voraussetzung für den Zugang zum Anwaltsberuf durch eine speziell auf diesen vorbereitende Spartenausbildung ersetzt wird, wobei für die Berufe der Richterin oder des Richters, der Staatsanwältin oder des Staatsanwalts sowie der Verwaltungsjuristin oder des Verwaltungsjuristen entsprechende Spartenausbildungen einzurichten sind.

B. Lösung Vor diesem Hintergrund bezweckt der vorliegende Gesetzentwurf die Schaffung der rechtlichen Voraussetzungen für die Errichtung einer Spartenausbildung für den Beruf der Rechtsanwältin und des Rechtsanwalts. Das insoweit zu schaffende duale Anwaltsreferendariat gliedert sich in eine vier Monate umfassende theoretische und eine zwanzig Monate umfassende praktische Anwaltsausbildung. Der Entwurf sieht vor, dass letztere bis auf die dreimonatige zivilrechtlich ausgerichtete Gerichtsstation sowie die ebenfalls dreimonatige erste Pflichtwahlstation zwingend bei Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten zu absolvieren ist. Da Ziel des Gesetzes die Gewährleistung einer qualitativ hochwertigen, berufsvorbereitenden Ausbildung – und damit auch die Vermeidung bloßer „Tauchstationen“ – ist, sieht der Entwurf vor, das Ausbilderinnen und Ausbilder in den anwaltlichen Stationen nur solche Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sein können, die 9 seit mindestens fünf Jahren zur Rechtsanwaltschaft zugelassen sind, 9 bereit und in der Lage sind, in den eigenen Kanzleiräumen einen Arbeitsplatz für die Anwaltsreferendarin oder den Anwaltsreferendar zur Verfügung zu stellen, 9 bereit und in der Lage sind, eine vorgeschriebene Mindestvergütung zu zahlen, welche die bis bislang vom Staat gezahlten Referendarbezüge ablöst. Zur Sicherstellung der Qualität der Ausbildung enthält der Entwurf flankierend weitere Regelungen, wie etwa eine den Ausbilderinnen und Ausbildern obliegende Dokumentationspflicht über die Inhalte der Ausbildung der jeweiligen Anwaltsreferendarin oder des jeweiligen Anwaltsreferendars. Da die Ausbildung in den anwaltlichen Ausbildungsstationen den Kern der praktischen Anwaltsausbildung ausmacht, setzt die Zulassung zum Anwaltsreferendariat neben dem Bestehen der das Studium der Rechtswissenschaften abschließenden ersten Prüfung oder einem gleichwertigen Abschluss den Nachweis von Ausbildungsverträgen mit Rechtsanwältinnen oder Rechtsanwälten oder mit einer Berufsausübungsgemeinschaft für alle zwingend im anwaltlichen Bereich zu absolvierenden Stationen der praktischen Anwaltsausbildung voraus. Der Umstand, dass ein Anspruch auf Abschluss entsprechender Ausbildungsverträge im Gesetzentwurf weder vorgesehen ist noch in verfassungsrechtlich wirksamer Weise begründet werden kann, kann dazu führen, dass einzelne Absolventen der das Jurastudium abschließenden ersten Prüfung deshalb nicht zum Anwaltsreferendariat zugelassen werden, weil sie innerhalb der im Gesetzentwurf vorgesehenen, an das Bestehen dieser Prüfung anknüpfenden Höchstfrist nicht die erforderlichen Ausbildungsplätze bei Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten nachweisen können. Dies ist verfassungsrechtlich unbedenklich, da sich aus der Berufswahlfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG 46

AnwBl 1 / 2007

weder ein unmittelbarer Anspruch gegen dritte Grundrechtsträger auf Gestellung eines Ausbildungsplatzes noch eine Pflicht des Staates auf Gewährleistung einer entsprechenden Ausbildungsmöglichkeit ergibt. Im Übrigen entspricht eine solche Ausgestaltung dem der Berufsausbildung für zahlreiche Berufe zugrunde liegenden sog. dualen System, nach dem der Zugang zu einer Ausbildung für einen bestimmten Beruf davon abhängt, dass es der Bewerberin oder dem Bewerber aufgrund der erforderlichen Eignung und Befähigung gelingt, einen vertraglich gesicherten Ausbildungsplatz in der Privatwirtschaft nachzuweisen. Schließlich stellt sich ein derartiges System im Gegensatz zu derzeitigen Juristenausbildung als marktkonform dar, weil davon auszugehen ist, dass die Anzahl der Ausbildungsplätze, die in den Kanzleien zur Verfügung gestellt werden, maßgeblich durch den objektiv bestehenden Bedarf an anwaltlichem Nachwuchs bestimmt werden wird. Da auch der Staat die Anzahl der Ausbildungsplätze für Verwaltungsberufe am insoweit bestehenden Personalbedarf orientiert und die Ausbildung einer den tatsächlichen Bedarf um ein Vielfaches übersteigenden Anzahl von Bewerberinnen und Bewerbern sich im öffentlichen wie im privaten Bereich als weder finanziell vertretbare noch unter sozialen Gesichtspunkten rechtfertigungsfähige Fehlallokation darstellt, ist die Einführung eines solchen, maßgeblich auf die Steuerungsmechanismen des Marktes abstellenden Systems auch durch vernünftige Belange des Gemeinwohls gerechtfertigt, obwohl es hierauf aus den zuvor dargestellten Gründen nicht ankommt.

C. Alternativen Keine.

D. Gesetzesfolgen I. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte 1. Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand Für Bund und Länder entstehen durch das Gesetz keine zusätzlichen Kosten. Vielmehr werden die Haushalte von Bund und Ländern dadurch entlastet, 9 dass zum Einen die bislang anfallenden Ausgaben für Referendargehälter in Höhe von etwa E 233 Mio. fast vollständig wegfallen, und 9 dass zum Anderen die Anzahl der im öffentlichen Bereich für den Vorbereitungsdienst vorzuhaltenden Ausbildungsplätze dadurch reduziert wird, dass im Rahmen des Anwaltsreferendariats mindestens 14 von 20 Monaten der praktischen Anwaltsausbildung in Anwaltskanzleien absolviert werden. 2. Vollzugsaufwand Der letztere Umstand führt auch zur Reduzierung des Vollzugsaufwands für die Verteilung der Referendarinnen und Referendare auf Ausbildungsplätze im öffentlichen Bereich. Bei den Justizprüfungsämtern der Länder wird kein zusätzlicher Vollzugsaufwand entstehen. II. Sonstige Kosten Durch die Regelungen des Gesetzes werden zusätzliche Kosten bei denjenigen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten entstehen, die Ausbildungsplätze für die praktische Anwaltsausbildung zur Verfügung stellen. Dies erscheint aber schon deshalb vertretbar, Gesetzentwurf zur Einf hrung einer Spartenausbildung in der Juristenausbildung

MN

Dokumentation

weil sich diesen mit der Wahrnehmung entsprechender Ausbildungsaufgaben die Chance auf eine Gewinnung qualifizierten beruflichen Nachwuchses eröffnet, 9 weil davon auszugehen ist, dass ein Abschluss von Ausbildungsverträgen nur in jeweils betriebswirtschaftlich vertretbarem Rahmen erfolgen wird, und 9 weil damit gesamtgesellschaftlich an anderer Stelle die oben dargestellte Kosteneinsparung einhergeht. Die Kosten, die bei den Rechtsanwaltskammern für die Verwaltung der Anwaltsausbildung anfallen, sind im Vergleich zu der von den Ländern derzeit zu leistenden Ausbildungsvergütung minimal. 9

E. Gender-Mainstreaming Die gleichstellungspolitischen Auswirkungen wurden gemäß § 2 des Bundesgleichstellungsgesetzes (BGleiG) und § 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) anhand der Arbeitshilfe der Interministeriellen Ar-

beitsgruppe „Gender Mainstreaming bei der Vorbereitung von Rechtsvorschriften“ geprüft. Belastungen durch die Geburt und Betreuung von Kindern kann durch Verlängerung der Höchstfrist für die Zulassung zum Anwaltsreferendariat nach § 5 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 des Entwurfs angemessen Rechnung getragen werden. Sonstige geschlechtsspezifische Auswirkungen sind nicht erkennbar. Die Regelungen sind entsprechend § 1 Abs. 2 Satz 1 BGleiG geschlechtergerecht formuliert worden.

F. Rechtsanwaltsausbildungsverordnung Das Gesetz enthält an verschiedenen Stellen Verordnungsermächtigungen. Sinnvoll erscheint die Ausarbeitung eines Musterentwurfs einer Rechtsanwaltsausbildungsverordnung, der der Justizministerkonferenz als gemeinsame Grundlage der Länderverordnungen dienen kann.

Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Spartenausbildung in der Juristenausbildung Vom ... Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

§9 § 10

Artikel 1

sung

Gesetz zur Ausbildung von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten (Bundesrechtsanwaltsausbildungsgesetz – BRAusbiG) Inhaltsübersicht

Teil 1 Allgemeine Vorschriften §1 §2 §3

Zweck des Gesetzes Begriffsbestimmungen Ziel des Anwaltsreferendariats

Teil 2 Zugangsvoraussetzungen, Dauer und Beginn §4 §5

Zugangsvoraussetzungen zum Anwaltsreferendariat Dauer und Beginn des Anwaltsreferendariats

Teil 3 Anwaltsausbildung §6 §7 §8

Praktische Anwaltsausbildung Theoretische Anwaltsausbildung Durchlässigkeit

Gesetzentwurf zur Einf hrung einer Spartenausbildung in der Juristenausbildung

Vergütung Beendigung des Referendariats, Widerruf der Zulas-

Teil 4 Anwaltsexamen § 11 § 12 § 13 § 14 § 15 § 16 § 17 § 18

Anwaltsexamen, Zweite Staatsprüfung Gegenstand des Anwaltsexamens Anwaltsexamen, Anmeldung/Zulassung Landesjustizprüfungsamt Prüfungsausschüsse für das Anwaltsexamen Prüfungsaufgaben Prüfungsergebnis Bewertung der Prüfungsleistungen, Prüfungsgesamt-

§ 19 § 20 § 21 § 22 § 23 § 24

noten Prüfungsentscheidungen, Einwendungen Bestehen Täuschungsversuch, Ordnungsverstoß Versäumnis und Unterbrechung Wiederholung des Anwaltsexamens Wiederholung des Anwaltsexamens zur Notenverbes-

§ 25

serung Wirkung des Anwaltsexamens

Teil 5 Übergangsvorschriften § 26

Übergangsvorschriften AnwBl 1 / 2007

47

MN

Dokumentation

Teil 1 Allgemeine Vorschriften

Teil 2 Zugangsvoraussetzungen, Dauer und Beginn

§1 Zweck des Gesetzes Dieses Gesetz regelt die postuniversitäre Ausbildung angehender Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte unter Berücksichtigung der Ausbildungsgänge für den Richterberuf und den höheren Verwaltungsdienst.

§4 Zugangsvoraussetzungen zum Anwaltsreferendariat (1) Voraussetzung für die Zulassung zum Anwaltsreferendariat ist 1. die im Geltungsbereich des Deutschen Richtergesetzes erfolgreich bestandene erste juristische Prüfung oder ein gleichwertiger Abschluss aus einem Staat im Geltungsbereich des Gesetzes über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland (EuRAG) und 2. der Nachweis von Ausbildungsverträgen mit Ausbildungsstellen für alle Stationen der praktischen Anwaltsausbildung mit Ausnahme der Ausbildungsstellen im Bereich des öffentlichen Dienstes. (2) 1Ein Anspruch auf anwaltliche Ausbildungsstellen besteht nicht. 2Wer die nötigen anwaltlichen Ausbildungsstellen nachweist, hat einen Anspruch darauf, dass ihr oder ihm von dem Land, in dem die gem. Abs. 4 für die Anwaltsausbildung zuständige Rechtsanwaltskammer ihren Sitz hat, Ausbildungsstellen für die vorgeschriebenen oder gewählten praktischen Ausbildungsstationen im Bereich des öffentlichen Dienstes bereit gestellt werden. (3) 1Wem gem. § 7 der Bundesrechtsanwaltsordnung die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen wäre, kann die Zulassung zum Anwaltsreferendariat verweigert werden. 2 Dasselbe gilt für diejenigen Personen, die das Anwaltsexamen bestanden oder endgültig nicht bestanden haben. (4) 1Die Rechtsanwaltskammer, in deren Bezirk der Sitz der ersten Ausbildungsstelle ist, prüft auf Antrag der Bewerberin oder des Bewerbers um die Aufnahme in das Anwaltsreferendariat, ob die Voraussetzungen der Abs. 1–3 vorliegen. 2 Ist das der Fall, hat sie die Bewerberin oder den Bewerber in die Liste der Anwaltsreferendarinnen und Anwaltsreferendare des Kammerbezirks aufzunehmen und ihr oder ihm dies schriftlich zu bestätigen.

§2 Begriffsbestimmungen Im Sinne dieses Gesetzes bedeutet 1. Anwaltsreferendariat die postuniversitäre, auf den Anwaltsberuf vorbereitende Ausbildung, 2. Richterreferendariat die postuniversitäre, auf den Richterberuf und den Beruf der Staatsanwältin oder des Staatsanwalts vorbereitende Ausbildung, 3. Verwaltungsreferendariat die postuniversitäre, auf den höheren Verwaltungsdienst vorbereitende Ausbildung, 4. Anwaltsreferendarin oder Anwaltsreferendar die Teilnehmerin oder der Teilnehmer am Anwaltsreferendariat, 5. Anwaltsexamen die zweite Staatsprüfung, mit der das Anwaltsreferendariat abgeschlossen wird, 6. Ausbildungsstelle die natürliche oder juristische Person, mit der die Anwaltsreferendarin oder der Anwaltsreferendar einen Ausbildungsvertrag über eine Station der praktischen Anwaltsausbildung schließt, 7. anwaltliche Ausbildungsstelle eine Rechtsanwältin oder ein Rechtsanwalt bzw. eine Berufsausübungsgemeinschaft von mehrheitlich Rechtsanwältinnen oder Rechtsanwälten, 8. Ausbilderin oder Ausbilder die natürliche Person, die die Anwaltsreferendarin oder den Anwaltsreferendar tatsächlich ausbildet. §3 Ziel des Anwaltsreferendariats (1) 1Das Anwaltsreferendariat soll die Anwaltsreferendarin oder den Anwaltsreferendar befähigen, den Anwaltsberuf nach dem Anwaltsexamen selbständig auszuüben. 2Der Anwaltsreferendar soll in die Lage versetzt werden, als unabhängiges Organ der Rechtspflege sowie als unabhängiger Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten seine Mandanten vor Rechtsverlusten zu schützen, sie rechtsgestaltend, konfliktvermeidend und streitschlichtend zu begleiten, vor Fehlentscheidungen durch Gerichte und Behörden zu bewahren und gegen verfassungswidrige Beeinträchtigung und staatliche Machtüberschreitung zu sichern. (2) Das Anwaltsreferendariat soll ferner die Anwaltsreferendarin oder den Anwaltsreferendar mit der Praxis der Justiz und der öffentlichen Verwaltung vertraut machen und ihr oder ihm Gelegenheit geben, die Rechtswirklichkeit in weiteren Gebieten kennen zu lernen. 48

AnwBl 1 / 2007

§5 Dauer und Beginn des Anwaltsreferendariats (1) 1Das Anwaltsreferendariat dauert 24 Monate. 2Es gliedert sich in eine praktische Anwaltsausbildung gemäß § 6 von insgesamt 20 Monaten und eine theoretische Anwaltsausbildung gemäß § 7 von insgesamt 4 Monaten. 3Das Anwaltsexamen findet während des Anwaltsreferendariats statt. (2) 1Die Zulassung zum Anwaltsreferendariat ist spätestens innerhalb von 5 Jahren nach dem Vorliegen einer der in § 4 Abs. 1 Nr. 1 genannten Voraussetzungen zu beantragen. 2In Ausnahmefällen kann der Zeitpunkt des Beginns des Anwaltsreferendariats um den Zeitraum, während dessen die Bewerberin oder der Bewerber an der Aufnahme des Anwaltsreferendariats gehindert war zuzüglich eines angemessenen Wiedereingewöhnungszeitraums, maximal um 24 Monate verschoben werden. 3Als Ausnahmefälle im Sinne von Satz 2 sind insbesondere anzusehen: 1. Schwangerschafts- und Kindererziehungszeiten sowie besondere soziale und familiäre Umstände, die nach Vorliegen der in § 4 Abs. 1 Nr. 1 genannten Voraussetzungen eingetreten und durch behördliche Bescheinigungen nachgewiesen sind, 2. die Erfüllung einer Dienstpflicht nach Art. 12 a Abs. 1 oder 2 des Grundgesetzes oder eine Tätigkeit als EntwickGesetzentwurf zur Einf hrung einer Spartenausbildung in der Juristenausbildung

MN

Dokumentation

lungshelferin oder Entwicklungshelfer im Sinne des Entwicklungshelfer-Gesetzes oder die Ableistung eines freiwilligen sozialen Jahres im Sinne des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres nach Vorliegen der in § 2 Abs. 1 Nr. 1 genannten Voraussetzungen oder 3. die erfolgreiche Absolvierung eines Promotionsstudiums oder der Erwerb eines ausländischen Hochschulgrades nach Vorliegen der in § 2 Abs. 1 Nr. 1 genannten Voraussetzungen. 4 Als Ausnahmefall ist ferner die nachgewiesene Schwerbehinderteneigenschaft anzusehen, für die jedoch die zeitliche Begrenzung gemäß Satz 2 letzter Halbsatz nicht gilt. 5Umstände, die einen Ausnahmefall darstellen können, werden nur berücksichtigt, wenn sie zusammen mit dem Antrag auf Aufnahme in die Liste der Anwaltsreferendarinnen und Anwaltsreferendare der zuständigen Rechtsanwaltskammer schriftlich dargelegt und nachgewiesen werden. 6Die Frist aus S. 1 verlängert sich um die Zeiten, in denen der Bewerber um die Aufnahme in das Anwaltsreferendariat als Richter, Staatsanwalt, im höheren allgemeinen Verwaltungsdienst oder nach Erfüllung der in § 4 Abs. 1 Ziff. 1 normierten Voraussetzungen im Umfang von mindestens der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit gem. § 72 a Abs. 1 Bundesbeamtengesetz juristisch tätig war.

Teil 3 Anwaltsausbildung §6 Praktische Anwaltsausbildung (1) 1Die praktische Anwaltsausbildung gliedert sich in folgende Stationen: 1. sechs Monate mit einem zivilrechtlichen Schwerpunkt bei einer anwaltlichen Ausbildungsstelle (erste Pflichtstation), 2. drei Monate bei einem erstinstanzlichen Gericht in Zivilsachen (zweite Pflichtstation), 3. zwei Monate mit einem strafrechtlichen Schwerpunkt bei einer anwaltlichen Ausbildungsstelle (dritte Pflichtstation), 4. drei Monate nach Wahl der Anwaltsreferendarin oder des Anwaltsreferendars bei – einer spezialisierten anwaltlichen Ausbildungsstelle (insbesondere bei einer Fachanwältin oder einem Fachanwalt), – einer Notarin oder einem Notar, – einem Gericht der Verwaltungs-, Finanz-, Arbeits- oder der Sozialgerichtsbarkeit, – einer Staatsanwaltschaft, – einer gesetzgebenden Körperschaft des Bundes oder eines Landes, bei einer staatlichen Verwaltungsbehörde oder einer Selbstverwaltungskörperschaft, – einer Steuerberaterin oder einem Steuerberater, – einer Wirtschaftsprüferin oder einem Wirtschaftsprüfer, – einem Unternehmen, – einer Gewerkschaft oder einem Arbeitgeberverband, – einer überstaatlichen oder zwischenstaatlichen Ausbildungsstelle, Gesetzentwurf zur Einf hrung einer Spartenausbildung in der Juristenausbildung

– einer anwaltlichen Ausbildungsstelle im Ausland oder – einer sonstigen Ausbildungsstelle im In- oder Ausland, bei der oder dem eine sachgerechte Ausbildung gewährleistet ist (erste Pflichtwahlstation), 5. sechs Monate bei einer anwaltlichen Ausbildungsstelle (zweite Pflichtwahlstation). 2 Die Station gem. Ziff. 2 kann auch vor der Station gem. Ziff. 1 und die Station gem. Ziff. 4 kann auch vor der Station gem. Ziff. 3 absolviert werden. 3Darüber hinaus darf die Reihenfolge der Stationen nicht verändert werden. (2) 1Die praktische Anwaltsausbildung dient der Vermittlung derjenigen Rechtskenntnisse und praktischen Erfahrungen, die zur Erreichung des Ziels des Anwaltsreferendariats erforderlich sind. 2Dies gilt insbesondere für den Umgang mit Mandantinnen oder Mandanten, Gerichten, Verwaltungsbehörden und Dritten, die einvernehmliche Streitbeilegung sowie die Organisation einer Anwaltskanzlei. 3Das Nähere über die inhaltliche Ausgestaltung der praktischen Anwaltsausbildung regelt die Rechtsanwaltsausbildungsverordnung. (3) 1Ausbilderinnen oder Ausbilder in den anwaltlichen Stationen können nur Rechtsanwältinnen oder Rechtsanwälte sein, die in der von ihrer Rechtsanwaltskammer zu führenden Ausbilderliste verzeichnet sind. 2In diese Liste dürfen nur Rechtsanwältinnen oder Rechtsanwälte aufgenommen werden, die 1. seit mindestens fünf Jahren zur Rechtsanwaltschaft zugelassen sind, 2. bereit und in der Lage sind, in den eigenen Kanzleiräumen einen Arbeitsplatz für die Anwaltsreferendarin oder den Anwaltsreferendar zur Verfügung zu stellen, 3. bereit und in der Lage sind, eine Mindestvergütung im Sinne des § 9 zu zahlen. (4) Dem Anwaltsreferendar oder der Anwaltsreferendarin ist während der praktischen Anwaltsausbildung ausreichend Gelegenheit zum Selbststudium zu geben. (5) Die Ausbilderin oder der Ausbilder hat nach Ende einer Station ein ausführliches Ausbildungszeugnis zu erstellen und der für die Anwaltsreferendarin oder den Anwaltsreferendar zuständigen Rechtsanwaltskammer zu übermitteln. (6) Die aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen müssen vorsehen, dass den Ausbilderinnen oder Ausbildern eine Dokumentationspflicht über die Bearbeitung der Ausbildungsinhalte auferlegt wird. §7 Theoretische Anwaltsausbildung (1) 1Die Anwaltsreferendarin oder der Anwaltsreferendar ist verpflichtet, für die Dauer von insgesamt 4 Monaten an einer theoretischen Anwaltsausbildung teilzunehmen. 2Sie muss wöchentlich mindestens 30 Zeitstunden umfassen. (2) 1Die theoretische Anwaltsausbildung gliedert sich in zwei Blöcke. 2Ein erster Block von 2 Monaten steht vor Beginn der ersten Pflichtstation. 3Ein zweiter Block von 2 Monaten steht zwischen der zweiten und der dritten Pflichtstation. (3) Ziel der theoretischen Anwaltsausbildung ist die Vorbereitung, Ergänzung und Vertiefung des in der praktischen Anwaltsausbildung zu Erlernenden. AnwBl 1 / 2007

49

MN

Dokumentation

(4) Die theoretische Anwaltsausbildung muss den inhaltlichen Anforderungen dieses Gesetzes und der Rechtsanwaltsausbildungsverordnung entsprechen. (5) Das Nähere regelt die Rechtsanwaltsausbildungsverordnung. §8 Durchlässigkeit (1) 1Ein Wechsel vom Richter- oder Verwaltungsreferendariat in das Anwaltsreferendariat während der laufenden Ausbildung ist möglich, wenn die Referendarin oder der Referendar die für das Anwaltsreferendariat notwendigen anwaltlichen Ausbildungsstellen nachweist. 2Der Nachweis erfolgt gegenüber der Rechtsanwaltskammer, in deren Bezirk die Ausbildung nach dem Wechsel fortgesetzt werden soll. (2) Eine Anrechnung von während der Ausbildung im Richter- oder Verwaltungsreferendariat bereits abgeleisteten praktischen Ausbildungsstationen findet statt, soweit die schon abgeleisteten Stationen denen im Sinne von § 6 Abs. 1 entsprechen. §9 Vergütung 1

Während der Stationen gem. § 6 Ziff. 1, 3, 4 und 5 erhält die Anwaltsreferendarin oder der Anwaltsreferendar von der Ausbildungsstelle eine Ausbildungsvergütung, die sich an der Vergütung für Referendarinnen und Referendare im Richterreferendariat orientiert. 2Die monatliche Brutto-Vergütung beträgt mindestens 24/17 der monatlichen BruttoVergütung für Referendarinnen und Referendare im Richterreferendariat. § 10 Beendigung des Anwaltsreferendariats, Widerruf der Zulassung (1) 1Das Anwaltsreferendariat endet mit Vollziehbarkeit der Entscheidung über das Bestehen oder das endgültige Nichtbestehen des Anwaltsexamens. 2Macht der Anwaltsreferendar oder die Anwaltsreferendarin von einer bestehenden Möglichkeit zur Wiederholung des Anwaltsexamens zur Notenverbesserung (§ 24) Gebrauch, so endet das Anwaltsreferendariat abweichend von Satz 1 mit der Vollziehbarkeit der dieses Anwaltsexamen abschließenden Entscheidung. (2) Die Zulassung zum Anwaltsreferendariat kann widerrufen werden, wenn 1. während des Anwaltsreferendariats ein Umstand eintritt oder nachträglich bekannt wird, der die Versagung der Aufnahme in das Anwaltsreferendariat gem. § 4 Abs. 3 rechtfertigen würde, oder 2. kein hinreichender Fortschritt in der Ausbildung festzustellen ist, insbesondere weil in zwei Ausbildungsabschnitten keine ausreichenden Leistungen erzielt wurden. (3) Ein bestandskräftiger Widerruf der Zulassung zum Anwaltsreferendariat bewirkt das Erlöschen des Ausbildungsvertrages. 50

AnwBl 1 / 2007

Teil 4 Anwaltsexamen § 11 Anwaltsexamen, Zweite Staatsprüfung (1) Das Anwaltsreferendariat wird mit dem Anwaltsexamen abgeschlossen. (2) Das Anwaltsexamen besteht aus einem schriftlichen und mündlichen Teil. (3) Das Anwaltsexamen dient der Feststellung, ob die Anwaltsreferendarin oder der Anwaltsreferendar das Ziel des Anwaltsreferendariats gem. § 3 erreicht hat und ihr oder ihm deshalb nach Kenntnissen und praktischem Geschick die Befähigung zum Anwaltsberuf zuzusprechen ist. § 12 Gegenstand des Anwaltsexamens (1) 1Der schriftliche Teil des Anwaltsexamens besteht aus sieben Aufsichtsarbeiten von jeweils fünf Stunden, die sich auf die Inhalte der praktischen und der theoretischen Anwaltsausbildung gemäß der Rechtsanwaltsausbildungsverordnung beziehen. 2Er wird am Ende der ersten Pflichtwahlstation gem. § 6 Abs. 1 Ziff. 1–4 abgelegt. (2) 1Der mündliche Teil des Anwaltsexamens besteht aus einem Aktenvortrag und fünf Prüfungsgesprächen. 2Er findet am Ende der Station nach § 6 Abs. 1 Ziff. 5 statt und bezieht sich auf das gesamte Anwaltsreferendariat. 3Je Prüfling sind für den Aktenvortrag und seine Erörterung 20 Minuten und je Prüfungsgespräch 15 Minuten vorzusehen. Die Vorbereitungszeit für den Aktenvortrag beträgt eine Stunde. § 13 Anwaltsexamen, Anmeldung/Zulassung (1) Die Anmeldung zum schriftlichen Teil des Anwaltsexamens setzt voraus, dass die Anwaltsreferendarin oder der Anwaltsreferendar der zuständigen Stelle des Landes (Landesjustizprüfungsamt) den Beginn der theoretischen Anwaltsausbildung im Sinne von § 7 Abs. 2 S. 1 nachgewiesen hat. (2) Die Zulassung zum schriftlichen Teil des Anwaltsexamens setzt voraus, dass die Anwaltsreferendarin oder der Anwaltsreferendar an der theoretischen Anwaltsausbildung gem. § 7 erfolgreich teilgenommen hat und die bis zum Zeitpunkt der Zulassungsentscheidung zu absolvierenden praktischen Stationen im Sinne von § 6 Abs. 1 absolviert hat. (3) Zum mündlichen Teil des Anwaltsexamens ist zuzulassen, wer 1. fünf Aufsichtsarbeiten mindestens mit der Note „ausreichend“ bestanden hat und 2. im Durchschnitt der Bewertungen der Aufsichtsarbeiten mindestens 3,5 Punkte erreicht hat. (4) 1Zum mündlichen Anwaltsexamen ist auch zuzulassen, wer die folgenden Voraussetzungen nachweist: 1. das Bestehen der zweiten Staatsprüfung nach Abschluss des Richter- oder Verwaltungsreferendariats und 2. den erfolgreichen Abschluss der theoretischen Anwaltsausbildung im Sinne von § 7. Gesetzentwurf zur Einf hrung einer Spartenausbildung in der Juristenausbildung

MN

Dokumentation

2

Darüber hinaus muss nach erfolgreichem Abschluss des Richter- oder Verwaltungsreferendariats nachgewiesen werden 1. eine mindestens achtmonatige praktische Ausbildung bei einer anwaltlichen Ausbildungsstelle im Rahmen des Richter- oder Verwaltungsreferendariats oder im Rahmen eines privatrechtlichen Ausbildungsverhältnisses, 2. eine Berufstätigkeit als Richterin oder Richter von mindestens drei Jahren oder 3. eine Berufstätigkeit im höheren Verwaltungsdienst von mindestens drei Jahren. § 14 Landesjustizprüfungsamt (1) 1Das Anwaltsexamen wird von dem Landesjustizprüfungsamt abgenommen, das in dem Land zuständig ist, in dem die für die Anwaltsreferendarin oder den Anwaltsreferendar zuständige Rechtsanwaltskammer ihren Sitz hat. 2 Das gilt auch für Wiederholungen des Anwaltsexamens im Sinne der §§ 23 und 24. (2) 1Das Landesjustizprüfungsamt stellt sicher, dass in regelmäßigen Abständen Prüfungsdurchläufe angeboten werden. 2Es stellt die Zeugnisse über das Bestehen des Anwaltsexamens aus und nimmt darin die jeweils zu bildende Prüfungsgesamtnote auf. (3) Für die Prüfung hat die Anwaltsreferendarin oder der Anwaltsreferendar bis zu einem von der für die Justizverwaltung zuständigen obersten Landesbehörde zu bestimmenden Zeitpunkt eine Gebühr von XXX Euro an diese zu zahlen. Zahlt der der Anwaltsreferendar oder die Anwaltsreferendarin die Gebühr nicht rechtzeitig, so gilt dies als Verzicht auf die Zulassung zur Prüfung. Tritt der die Anwaltsreferendarin oder der Anwaltsreferendar bis zu dem von der für die Justizverwaltung zuständigen obersten Landesbehörde zu bestimmenden Zeitpunkt von der Prüfung zurück, so wird die Gebühr nicht erhoben. Tritt die Anwaltsreferendarin oder der Anwaltsreferendar bis zum Ende der Bearbeitungszeit für die letzte Aufsichtsarbeit zurück, so ist die Gebühr zur Hälfte zu erstatten. (4) Die Einheitlichkeit der Prüfungsanforderungen und der Leistungsbewertung im Anwaltsreferendariat, dem Richterreferendariat und dem Verwaltungsreferendariat ist zu gewährleisten. § 15 Prüfungsausschüsse für das Anwaltsexamen (1) 1Im Landesjustizprüfungsamt werden Prüfungsausschüsse für das Anwaltsexamen gebildet. 2Sie bestehen aus fünf Mitgliedern einschließlich des vorsitzenden Mitgliedes. (2) 1Die Prüfungsausschüsse sind mehrheitlich mit Rechtsanwältinnen oder Rechtsanwälten zu besetzen, die von der Präsidentin oder dem Präsidenten des Landesjustizprüfungsamtes aus einer Vorschlagsliste der Rechtsanwaltskammern entnommen werden. 2Den Vorsitz des Prüfungsausschusses muss eine Rechtsanwältin oder ein Rechtsanwalt inne haben. Gesetzentwurf zur Einf hrung einer Spartenausbildung in der Juristenausbildung

§ 16 Prüfungsaufgaben (1) Die Prüfungsaufgaben des Anwaltsexamens sind der anwaltlichen Berufspraxis zu entnehmen. (2) Die Rechtsanwaltskammern haben das Recht und die Pflicht, bei der Stellung geeigneter Prüfungsaufgaben mitzuwirken. § 17 Prüfungsergebnis Das Ergebnis der schriftlichen Prüfungsleistungen ist der Anwaltsreferendarin oder dem Anwaltsreferendar spätestens zwei Monate vor Beginn der mündlichen Prüfung mitzuteilen. § 18 Bewertung der Prüfungsleistungen, Prüfungsgesamtnoten (1) In die Prüfungsgesamtnote des Anwaltsexamens gehen 1. die Bewertungen der Aufsichtsarbeiten (Durchschnitt aller sieben Arbeiten) mit 50 vom Hundert, 2. die Bewertung des Aktenvortrages mit 20 vom Hundert und 3. die Bewertungen der Prüfungsgespräche (Durchschnitt aller fünf Prüfungsgespräche) mit 30 vom Hundert ein. (2) 1Der Prüfungsausschuss muss den Gesamteindruck aller Prüfungsleistungen einschließlich der Leistungsergebnisse in der praktischen Anwaltsausbildung bei der Festsetzung der Prüfungsgesamtnote berücksichtigen. 2Er kann dabei von dem nach Abs. 1 errechneten Ergebnis um bis zu zwei Punkte abweichen. § 19 Prüfungsentscheidungen, Einwendungen (1) 1Jede schriftliche Prüfungsleistung wird von zwei Mitgliedern des Prüfungsausschusses, unter denen mindestens eine Rechtsanwältin oder ein Rechtsanwalt sein muss, für das Anwaltsexamen unabhängig von einander bewertet. 2 Weichen die Bewertungen um mehr als drei Punkte voneinander ab und wird eine Einigung nicht erzielt, so gilt der Mittelwert. 3Bei größeren Abweichungen setzt ein weiteres Mitglied die Note und die Punktzahl fest; dabei kann es sich für eine der bisherigen Bewertungen oder für eine dazwischen liegende Punktzahl entscheiden. (2) Für die sich bei der Anwendung des Absatzes 1 ergebenden Punktzahlen lautet die Note auf: sehr gut bei einer Punktzahl von 16,00 bis 18,00, gut bei einer Punktzahl von 13,00 bis 15,99, vollbefriedigend bei einer Punktzahl von 10,00 bis 12,99, befriedigend bei einer Punktzahl von 7,00 bis 9,99, ausreichend bei einer Punktzahl von 4,00 bis 6,99, mangelhaft bei einer Punktzahl von 1,00 bis 3,99, ungenügend bei einer Punktzahl von 0,00 bis 0,99. (3) 1Die übrigen Prüfungsentscheidungen werden durch den gesamten Prüfungsausschuss für das Anwaltsexamen getroffen. 2Die Prüfungsausschüsse treffen ihre Entscheidungen aufgrund mündlicher Beratung mit Stimmenmehrheit. 3Bei Stimmengleichheit geben die für den Prüfling günstigeren Stimmen den Ausschlag. AnwBl 1 / 2007

51

MN

Dokumentation

(4) 1Die Bewertungen der mündlichen Prüfungsleistungen werden mit der Bekanntgabe der Prüfungsgesamtnote durch den Prüfungsausschuss begründet. 2Der Prüfling kann binnen einer Frist von zwei Wochen eine schriftliche Begründung verlangen. (5) Der Prüfling kann schriftlich Einwendungen gegen die Bewertung seiner Prüfungsleistungen erheben. (6) 1Werden nur Einwendungen gegen die Bewertungen des schriftlichen Teils des Anwaltsexamens erhoben, so sind diese binnen eines Monats ab Bekanntgabe der Prüfungsgesamtnote geltend zu machen. 2Werden auch oder allein Einwendungen gegen die Bewertung der im mündlichen Teil des Anwaltsexamens erbrachten Leistungen erhoben, so beginnt die Frist im Falle eines Antrags im Sinne von Abs. 4 S. 2 mit Bekanntgabe der schriftlichen Begründung. (7) 1Während der Fristen nach Abs. 6 ist der Anwaltsreferendarin oder dem Anwaltsreferendar Gelegenheit zur Einsichtnahme in ihre oder seine Prüfungsakte zu gewähren. 2 Abs. 3 S. 2 gilt entsprechend, auch wenn nur Einwendungen gegen die Bewertung der im schriftlichen Teil des Anwaltsexamens erbrachten Prüfungsleistungen erhoben werden. (8) 1Dem Prüfling ist das Ergebnis der Befassung mit seinen Einwendungen durch einen mit Gründen versehenen schriftlichen Bescheid bekannt zu geben. 2Die Frist für die Durchführung des Vorverfahrens im Sinne von § 68 VwGO beginnt mit der Bekanntgabe dieses Bescheides zu laufen. § 20 Bestehen Das Anwaltsexamen ist bestanden, wenn 1. fünf Aufsichtsarbeiten mindestens mit „ausreichend“ bewertet worden sind, 2. der Durchschnitt der Bewertungen der Aufsichtsarbeiten mindestens 3,5 Punkte ergibt und 3. die Prüfungsgesamtnote mindestens „ausreichend“ lautet. § 21 Täuschungsversuch, Ordnungsverstoß (1) 1Versucht ein Prüfling, das Ergebnis des Anwaltsexamens durch Benutzung nicht durch die jeweilige Rechtsanwaltsausbildungsverordnung zugelassener Hilfsmittel, unzulässiger Hilfe Dritter oder sonstige Täuschung zu beeinflussen, so ist die betroffene Prüfungsleistung in der Regel mit der Note „ungenügend“ zu bewerten. 2Erfolgt dies zum fremden Vorteil, gilt dies auch für die eigene Prüfungsleistung. 3Im Fall eines besonders schweren oder wiederholten Täuschungsversuchs kann das gesamte Anwaltsexamen für nicht bestanden erklärt werden. (2) Wird eine besonders schwere Täuschung nach der Verkündung der Prüfungsgesamtnote bekannt, so kann das betreffende Anwaltsexamen innerhalb einer Frist von drei Jahren seit dem Tag der Bekanntgabe der Prüfungsgesamtnote für nicht bestanden erklärt werden. (3) 1Ein Prüfling, der erheblich gegen die Ordnung verstößt, kann von der Fortsetzung der Anfertigung der Aufsichtsarbeit oder der mündlichen Prüfung ausgeschlossen werden. 2Wird der Prüfling von der Fortsetzung der Anfertigung einer Aufsichtsarbeit ausgeschlossen, so gilt diese als 52

AnwBl 1 / 2007

mit „ungenügend“ bewertet. 3Im Fall eines wiederholten Ausschlusses von der Anfertigung einer Aufsichtsarbeit oder des Ausschlusses von der mündlichen Prüfung gilt das Anwaltsexamen als nicht bestanden. § 22 Versäumnis und Unterbrechung (1) 1Der Prüfling kann das Anwaltsexamen nach dem Zugang der Ladung zu den Aufsichtsarbeiten nur aus wichtigem Grund unterbrechen. 2Ein wichtiger Grund liegt nur vor, wenn der Prüfling nicht prüfungsfähig oder ihm das Erbringen der Prüfungsleistung nicht zumutbar ist. 3Der Grund ist dem Landesjustizprüfungsamt unverzüglich anzuzeigen und unverzüglich glaubhaft zu machen. 4Prüfungsunfähigkeit ist unverzüglich durch ein amtsärztliches Attest nachzuweisen. (2) 1Das aus wichtigem Grund unterbrochene Anwaltsexamen wird fortgesetzt 1. binnen eines Jahres in einem weiteren Prüfungsdurchgang mit den noch nicht angefertigten Aufsichtsarbeiten und 2. mit der mündlichen Prüfung, wenn alle Aufsichtsarbeiten angefertigt worden sind. 2 Abweichend von Satz 1 sind Aufsichtsarbeiten, die nach Absatz 3 Satz 1 oder nach § 21 Abs. 1 mit „ungenügend“ bewertet worden sind, nicht mehr anzufertigen. (3) 1Eine Aufsichtsarbeit, die ohne wichtigen Grund nicht oder nicht rechtzeitig abgeliefert wird, gilt als mit „ungenügend“ bewertet. 2Verweigert sich der Prüfling der mündlichen Prüfung, ohne dass ein wichtiger Grund vorliegt, so ist das Anwaltsexamen nicht bestanden. § 23 Wiederholung des Anwaltsexamens (1) 1Das Anwaltsexamen darf bei Nichtbestehen einmal wiederholt werden. 2Die Wiederholung muss binnen eines Jahres ab Bekanntgabe des Nichtbestehens beginnen. (2) 1Eine nochmalige Wiederholung des Anwaltsexamens kann das Landesjustizministerium gestatten, wenn eine außergewöhnliche Beeinträchtigung der Anwaltsreferendarin oder des Anwaltsreferendars in dem zweiten Prüfungsverfahren vorgelegen hat. 2Diese ist unverzüglich geltend und glaubhaft zu machen. § 24 Wiederholung des Anwaltsexamens zur Notenverbesserung (1) Eine Wiederholung des Anwaltsexamens darf bei bereits bestandener Prüfung einmal zur Notenverbesserung erfolgen. (2) Die Wiederholungsprüfung zur Notenverbesserung muss innerhalb von 12 Monaten nach Ablegung der ersten bestandenen Prüfung beginnen. § 25 Wirkung des Anwaltsexamens (1) Mit Bestehen des Anwaltsexamens wird die Befähigung zur Ausübung des Anwaltsberufs erworben. (2) 1Die Anwaltsreferendarin darf sich nach erfolgreicher Ablegung der Prüfung „Anwaltsassessorin“ nennen. 2Der Gesetzentwurf zur Einf hrung einer Spartenausbildung in der Juristenausbildung

MN

Dokumentation

Anwaltsreferendar darf sich nach erfolgreicher Ablegung der Prüfung „Anwaltsassessor“ nennen.

Teil 5 Übergangsvorschriften § 26 Übergangsvorschriften (1) 1Für Studierende, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes das Studium aufgenommen haben und sich bis zum [einsetzen: Tag und Monat des Inkrafttretens des Gesetzes wie Jahreszahl des zweiten auf das Inkrafttreten folgenden Jahres] zur ersten Prüfung gemeldet haben, finden die bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Vorschriften des Deutschen Richtergesetzes zum juristischen Vorbereitungsdienst Anwendung, wenn der Vorbereitungsdienst innerhalb von zwei Jahren nach Abschluss der ersten juristischen Prüfung angetreten wird. 2Das Landesrecht kann den Studierenden freistellen, nach neuem Recht in den juristischen Vorbereitungsdienst einzutreten. (2) 1Bis zum [einsetzen: Tag und Monat des Inkrafttretens des Gesetzes sowie Jahreszahl des zweiten auf das Inkrafttreten folgenden Jahres] können geprüfte Rechtskandidatinnen oder Rechtskandidaten, die sich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes für den Vorbereitungsdienst bereits angemeldet haben, den Vorbereitungsdienst nach § 5 b des Deutschen Richtergesetzes in der bisher geltenden Fassung aufnehmen. 2 Wer den Vorbereitungsdienst nach § 5 b des Deutschen Richtergesetzes in der bisher geltenden Fassung aufgenommen hat, kann ihn bis zu einem durch das Landesrecht zu bestimmenden Zeitpunkt nach dem bisherigen Recht beenden.

Artikel 2 Änderung der Bundesrechtsanwaltsordnung Die Bundesrechtsanwaltsordnung in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 3.03-8 veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 42 des Gesetzes vom 19. April 2006 (BGBl. I S. 866), wird wie folgt geändert: 1. § 4 Abs. 1 S. 1 erhält folgende Fassung: „Zur Rechtsanwaltschaft kann nur zugelassen werden, wer die Befähigung zur Ausübung des Anwaltsberufs nach dem Bundesrechtsanwaltsausbildungsgesetz erlangt hat oder wer bis zum [einsetzen: Datum Inkrafttreten BRAusbiG plus Übergangszeit] nach den bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Vorschriften den Vorbereitungsdienst abgeleistet und die 2. Staatsprüfung erfolgreich absolviert hat.“ 2. § 53 Abs. 4 S. 2 erhält folgende Fassung: „Sie kann auch andere Personen, welche die Befähigung zur Ausübung des Anwaltsberufes erlangt haben, oder Anwaltsreferendare, die seit mindestens 12 Monaten im Anwaltsreferendariat beschäftigt sind, zu Vertretern bestellen.“ 3. In § 55 Abs. 1 S. 1 wird „Befähigung zum Richteramt“ ersetzt durch „Befähigung zur Ausübung des Anwaltsberufs“. Gesetzentwurf zur Einf hrung einer Spartenausbildung in der Juristenausbildung

4. § 59 Abs. 1 wird zu Abs. 1 a und S. 1 erhält folgende Fassung: „Der Rechtsanwalt soll in angemessenem Umfang an der Ausbildung der Richter- und Verwaltungsreferendare mitwirken.“ 5. § 59 Abs. 1 wird wie folgt neu gefasst: „Der Rechtsanwalt soll die Anwaltsreferendare nach Maßgabe des Bundesrechtsanwaltsausbildungsgesetzes ausbilden.“ 6. § 59 Abs. 2 erhält folgende Fassung: „Auf den Anwaltsreferendar, der unter Beistand des Rechtsanwalts die Ausführung der Parteirechte übernimmt, ist § 157 Abs. 1 und 2 der Zivilprozessordnung nicht anzuwenden. Das gleiche gilt, wenn der Anwaltsreferendar den Rechtsanwalt in Fällen vertritt, in denen eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht geboten ist.“ 7. In § 73 Abs. 2 wird die Ziffer 9 a eingefügt mit folgendem Wortlaut: „die Ausbildung der Anwaltsreferendare gemäß den Bestimmungen des Bundesrechtsanwaltsausbildungsgesetzes sicherzustellen“ 8. In § 93 Abs. 1 S. 3 wird „Befähigung zum Richteramt“ ersetzt durch „Befähigung zur Ausübung des Anwaltsberufs“ 9. In § 101 Abs. 1 S. 2 wird „Befähigung zum Richteramt“ ersetzt durch „Befähigung zur Ausübung des Anwaltsberufs“

Artikel 3 Änderung sonstiger Gesetze [Die Gesetze, die Rechtsfolgen an die bisher in § 5 DRiG definierte „Befähigung zum Richteramt“ knüpfen, sind zu ändern. Anstelle der „Befähigung zum Richteramt“ muss es in Zukunft heißen: „Befähigung zum Richteramt oder zur Ausübung des Anwaltsberufes“.]

Begründung: I. Gesetzgebungskompetenz Das Gesetz stützt sich auf die Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Artikel 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (Gerichtsverfassung, Rechtsanwaltschaft, Notariat). Die Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung gemäß Artikel 72 Abs. 2 GG ist insbesondere zur Wahrung der Rechtseinheit gegeben. Die angestrebte Sicherung der flächendeckenden Qualität der Anwaltsausbildung sowie eine effektive und einheitliche Verwaltung der Ausbildung durch die Rechtsanwaltskammern kann nur durch eine bundeseinheitliche Regelung erreicht werden. Eine unterschiedliche rechtliche Behandlung der Anwaltsausbildung würde die Schaffung einheitlicher Ausbildungsstandards unmöglich machen und zu Ungleichbehandlungen führen. An der Gesetzgebungskompetenz des Bundes wird sich auch nach Umsetzung der Föderalismusreform nichts ändern. Die „Rechtsanwaltschaft“ wird Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung bleiben. Die Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG wird entfallen. AnwBl 1 / 2007

53

MN

Dokumentation

II. Zu Artikel 1 (Bundesrechtsanwaltsausbildungsgesetz) Zu Teil 1 (Allgemeine Vorschriften) Zu § 1 (Zweck des Gesetzes) Wie unter A. und B. der Einführung zu dem Gesetzesentwurf ausgeführt, dient das Bundesrechtsanwaltsausbildungsgesetz der Verbesserung der Qualität der postuniversitären Vorbereitung auf den Anwaltsberuf sowie der überfälligen Einführung von Marktmechanismen im Hinblick auf den Zugang zu der Ausbildung zur Rechtsanwältin oder zum Rechtsanwalt. Die vor mittlerweile vier Jahren beschlossene und seitdem in der Umsetzung befindliche jüngste Reform der Juristenausbildung (Gesetz zur Reform der Juristenausbildung vom 11. Juli 2002, BGBl. I, 2492 vom 17. Juli 2002) hat im Bereich des Referendariats abgesehen von der Verlängerung der Anwaltsstation nur minimale Änderungen gebracht. Die Reform hat weder die Qualität der Ausbildung verbessert noch war sie überhaupt konzipiert, das Problem des ungebremsten Zugangs zum Referendariat und damit zur Anwaltschaft zu lösen. Zu § 2 (Begriffsbestimmungen) Die Vorschrift enthält die grundlegenden Begriffsbestimmungen des Gesetzes. Insbesondere knüpfen die Begriffe in Ziff. 1 bis 3 an das herkömmliche Rechtsreferendariat an, das von der Spartenausbildung abgelöst wird. Die Grundkonzeption einer Ausbildung, die auf ein Universitätsstudium aufbaut und mit einer Staatsprüfung abgeschlossen wird, wird beibehalten. Nicht zuletzt soll der Begriffsbestandteil „-referendariat“ die Vergleichbarkeit der auf die klassischen reglementierten juristischen Berufe vorbereitenden Ausbildungsgänge deutlich machen. Aus demselben Grund wurde für die Teilnehmerin oder den Teilnehmer am Anwaltsreferendariat in Ziff. 4 der Begriff „Anwaltsreferendarin“ oder „Anwaltsreferendar“ gewählt. Der Begriff „Anwaltsexamen“ in Ziff. 5 zeigt, dass die das Anwaltsreferendariat abschließende Prüfung einerseits eine staatliche Prüfung ist und andererseits – in Abkehr vom herkömmlichen juristischen Staatsexamen – eine Prüfung darstellt, in der anwaltsrelevante Themen den Schwerpunkt bilden. Ziff. 6 und 7 differenzieren zwischen der Ausbildungsstelle als Vertragspartnerin der Anwaltsreferendarin oder des Anwaltsreferendars und der Ausbilderin oder dem Ausbilder, die oder der bestimmte Voraussetzungen erfüllen muss, um in den anwaltlichen Ausbildungsstationen des Anwaltsreferendariats ausbilden zu können. Zu § 3 (Ziel des Anwaltsreferendariats) Zu Absatz 1 § 3 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes gibt das wesentliche Ausbildungsziel der mit dem Gesetz zu schaffenden anwaltsberufsspezifischen Spartenausbildung wieder. Hinsichtlich der Berufsaufgaben und des Berufsbildes knüpft die Bestimmung an die Regelungen in § 1 BRAO und § 1 Abs. 3 BORA an. Das Tatbestandsmerkmal „selbständig“ umfasst nicht nur die Eigenverantwortlichkeit der Berufsausübung, sondern auch die Selbständigkeit im unternehmerischen Sinne, denn immer 54

AnwBl 1 / 2007

noch ist ein Großteil der Rechtsanwälte in Deutschland als selbständige Unternehmer tätig. Durch die ausdrückliche Ausrichtung der berufsvorbereitenden Ausbildung auch auf rechtsgestaltende, konfliktvermeidende und streitschlichtende Tätigkeiten wird sichergestellt, dass die Anwaltsausbildung auch für den Notarberuf eine bessere Vorbereitung darstellt als die herkömmliche einheitsjuristische Ausbildung; einer besonderen Spartenausbildung für den Notarberuf bedarf es daher nicht. Zu Absatz 2 Auch bei einer Aufgabe der herkömmlichen einheitsjuristischen Ausbildung muss gewährleistet sein, dass künftige Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte die in dieser Norm genannten Tätigkeitsfelder kennen lernen und dass ihnen Freiräume bleiben, um die Rechtswirklichkeit etwa in der Wirtschaft, in Verbänden, in Gesetzgebungskörperschaften oder bei ausländischen anwaltlichen Ausbildungsstellen kennen zu lernen. Dies gilt insbesondere auch mit Blick auf die gem. § 8 zu gewährleistende Durchlässigkeit. Mit der offenen Formulierung „in weiteren Gebieten“ wird bewusst Raum gelassen für die eigenverantwortliche Gestaltung der Freiräume, die das Anwaltsreferendariat vorsieht. Zu Teil 2 (Zugangsvoraussetzungen, Dauer und Beginn) Zu § 4 (Zugangsvoraussetzungen zum Anwaltsreferendariat) Zu Absatz 1 Zu Ziffer 1, 1. Alt. Zugangsvoraussetzung für das Anwaltsreferendariat bleibt grundsätzlich und unverändert zum heutigen Referendariat die 1. juristische Prüfung, unabhängig davon, ob vor der 1. Prüfung ein herkömmliches rechtswissenschaftliches Studium steht oder – nach Umsetzung des Bologna-Prozesses – eine veränderte Studienstruktur. Zu Nummer 1, 2. Alt. Dies stellt eine Umsetzung der Morgenbesser-Entscheidung des EuGH vom 13. November 2003 (Az.: C-313/01) dar. Bei der Prüfung der Gleichwertigkeit eines ausländischen Studienabschlusses sind die Rechtsanwaltskammern durch die Kriterien der Rechtsanwaltsausbildungsverordnung gebunden. Diese Kriterien entsprechen dem vom Koordinierungsausschuss Juristenausbildung der Justizministerkonferenz entwickelten bundesweit einheitlichen Verwaltungsverfahren zum Umgang mit Anträgen ausländischer Universitätsabsolventinnen und Universitätsabsolventen auf Zulassung zum Rechtsreferendariat. Zu Nummer 2 Da der Kern der praktischen Anwaltsausbildung in Gestalt von 14 der insgesamt 20 Monate (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes) außerhalb des öffentlich-rechtlichen Bereichs erfolgt, erscheint es folgerichtig, den Nachweis von Ausbildungsverträgen für diese Ausbildungsstationen zur Voraussetzung für die Aufnahme in das Anwaltsreferendariat zu machen. Eine ähnliche Pflicht zur Vorlage der Ausbildungsverträge und deren Erfassung durch die zuständige öffentlich-rechtliche Stelle findet sich im Berufsbildungsrecht (vgl. etwa §§ 35 f. BBiG). Gesetzentwurf zur Einf hrung einer Spartenausbildung in der Juristenausbildung

MN

Dokumentation

Zu Absatz 2 Zu Satz 1 Satz 1 normiert einerseits eine für nahezu alle Berufe, für die es kein staatliches Ausbildungsmonopol gibt, unhinterfragte Selbstverständlichkeit, andererseits bedeutet dies eine Abkehr vom System der herkömmlichen (Einheits-) Juristenausbildung. Alleine der Markt reguliert den Bedarf an Anwaltsreferendarinnen und Anwaltsreferendaren. Die Regelung ist im Hinblick auf Art. 12 GG unbedenklich (vgl. Bericht des Ausschusses der Justizministerkonferenz zur Koordinierung der Juristenausbildung vom 15.10.2005, S. 250 ff; Gutachten von Hucke „Zur Vereinbarkeit des DAV-Spartenmodells in der Juristenausbildung mit Art. 12 GG“, in diesem Heft ab Seite 9. Zu Satz 2 Satz 2 verpflichtet die Länder und den Bund, eine ausreichende Anzahl von Ausbildungsstellen für die Stationen in Justiz und Verwaltung bereit zu stellen. Die Anzahl der Ausbildungsstellen wird erheblich sinken; die Kostenersparnis für die Länder ist beachtlich. Nach vorsichtigen Berechnungen wenden die Länder zur Zeit allein für den Unterhalt der Referendarinnen und Referendare etwa E 233 Mio. jährlich auf. Ingesamt dürften die Aufwendungen der öffentlichen Hand für das Rechtsreferendariat rund 500 Mio. betragen. Nach Einführung einer Spartenausbildung müsste der Staat für den Unterhalt von Referendarinnen und Referendaren im Richter- und Verwaltungsreferendariat nur noch etwa E 30 Mio. aufwenden. Alleine im Hinblick auf den Unterhalt beträgt das Einsparpotential also mehr als E 202 Mio. Die Pflicht der Länder aus S. 2 korrespondiert mit einer in die anderen Spartenausbildungsmodelle aufzunehmenden Pflicht der Anwaltschaft, Richter- und Verwaltungsreferendare in Anwaltskanzleien auszubilden. Die BRAO ist entsprechend zu ändern. Zu Absatz 3 Wer aus den in § 7 BRAO normierten Gründen nicht zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden darf, soll im Regelfall auch nicht zum Anwaltsreferendariat zugelassen werden. Für eine Formulierung davon abweichender oder darüber hinausgehender eigenständiger Gründe für die Versagung der Zulassung zum Anwaltsreferendariat besteht kein Bedürfnis. § 2 Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes ist bewusst als „Kann“-Vorschrift ausgestaltet, da es bei Ausübung der hierdurch eingeräumten Befugnis zur Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen im Einzelfall gerechtfertigt sein kann, eine Bewerberin oder einen Bewerber, der oder dem zum entsprechenden Zeitpunkt die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft (noch) zu versagen wäre, gleichwohl zum Anwaltsreferendariat zuzulassen, wenn absehbar ist, dass nach Ablauf von 24 Monaten der bestehende Grund für die Versagung der Zulassung zur Rechtsanwalt entfallen sein wird oder zumindest mit gewisser Wahrscheinlichkeit entfallen sein kann.

zirk der Sitz der ersten Ausbildungsstelle liegt, zu konzentrieren, wenn die Ausbildung in den folgenden Stationen außerhalb dieses Kammerbezirks oder gar im Ausland stattfindet. Aus der „Ist“ – Formulierung in Satz 2 ergibt sich, dass die zuständige Rechtsanwaltskammer bei Vorliegen der in Abs. 1 bis 3 genannten Voraussetzungen im Sinne einer gebundenen Rechtsfolge verpflichtet ist, die Bewerberin oder den Bewerber zum Anwaltsreferendariat zuzulassen und hierzu in die Liste der Anwaltsreferendarinnen oder der Anwaltsreferendare des betreffenden Kammerbezirks aufzunehmen. Damit wird eine Bedarfssteuerung im Rahmen des Verfahrens über die Zulassung zum Anwaltsreferendariat ausgeschlossen. Zu § 5 (Dauer und Beginn des Anwaltsreferendariats) Zu Absatz 1 Die Bestimmung stellt klar, dass das Anwaltsexamen innerhalb der 24-monatigen Ausbildung stattfindet und verpflichtet gleichzeitig die Länder, ihre Staatsprüfungsverfahren so zu organisieren, dass Anwaltsreferendarinnen und Anwaltsreferendare unmittelbar nach Abschluss der 24-monatigen Ausbildung die Voraussetzungen für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erhalten. Damit verkürzt sich die Ausbildung im Vergleich zum herkömmlichen Referendariat, bei dem die mündlichen Prüfungen des zweiten Staatsexamens an die Wahlstation anschließen. Dies ist vertretbar, da die Ausbildung zeitlich intensiver sein wird als die herkömmliche Ausbildung der Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare. Jede Verkürzung der postuniversitären Ausbildung macht die künftigen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in Deutschland wettbewerbsfähiger für den europäischen Markt. Zu Absatz 2 Durch die in Abs. 2 statuierte Ausschlussfrist soll gewährleistet werden, dass zum Zeitpunkt der Aufnahme des Anwaltsreferendariats noch eine hinreichende Präsenz der im Studium erworbenen Rechtskenntnisse gegeben ist. Bei den Ausnahmefällen handelt es sich um Regelbeispiele, um die notwendige Flexibilität bei der Prüfung, ob ein Ausnahmefall vorliegt, zu erhalten. Eine Regelung, die die Verlängerung des Anwaltsreferendariats selbst ermöglicht, ist überflüssig, da in diesen Fällen die allgemeinen arbeitsrechtlichen Regelungen ausreichen. Nach Satz 6 kann auch derjenige die Zulassung zum Anwaltsreferendariat beantragen, der lediglich einer Teilzeitbeschäftigung nachgegangen ist. Allerdings muss es sich dabei mindestens um eine Beschäftigung handeln, die den Kriterien des § 72 a Abs. 1 Bundesbeamtengesetz entspricht. Zu Teil 3 (Anwaltsausbildung) Zu § 6 (Praktische Anwaltsausbildung) Allgemein: Die Ausbildung ist innerhalb des für den jeweiligen Ausbildungsgang vorgesehenen Zeitrahmens zu absolvieren. Die Anwaltsausbildung kann wie folgt verlaufen:

Zu Absatz 4 Aus verfahrensökonomischen Gründen erscheint es sinnvoll, die Entscheidung über die Zulassung zum Anwaltsreferendariat auch dann bei der Rechtsanwaltskammer, in deren BeGesetzentwurf zur Einf hrung einer Spartenausbildung in der Juristenausbildung

AnwBl 1 / 2007

55

MN Monat

Dokumentation

Ablauf 1

Erl uterung

Ablauf 2

Erl uterung

Erste juristische Pr fung; Nachweis der Zulassungsvoraussetzungen, Zulassung

1 2 3 4

Theoretische Ausbildung, § 7 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Erste Pflichtstation, § 6 Abs. 1 Ziff. 1

(Anwaltliche Ausbildungsstelle Zivilrecht)

Zweite Pflichtstation, § 6 Abs. 1 Ziff. 2

(Gericht Zivilsachen)

Erste Pflichtstation, § 6 Abs. 1 Ziff. 1

(Anwaltliche Ausbildungsstelle Zivilrecht)

Erste Pflichtwahlstation, § 6 Abs. 1 Ziff. 4

(Allgemein)

Dritte Pflichtstation, § 6 Abs. 1 Ziff. 3

(Anwaltliche Ausbildungsstelle Strafrecht)

Zweite Pflichtwahlstation, § 6 Abs. 1 Ziff. 5

(Anwaltliche Ausbildungsstelle)

5 6 7 8 9 10

Zweite Pflichtstation, § 6 Abs. 1 Ziff. 2

(Gericht Zivilsachen)

11

12 13 14 15 16 17 18 19 20

Theoretische Ausbildung, § 7 Abs. 1, Abs. 2 S. 2 Dritte Pflichtstation, § 6 Abs. 1 Ziff. 3

(Anwaltliche Ausbildungsstelle Strafrecht)

Erste Pflichtwahlstation, § 6 Abs. 1 Ziff. 4

(Allgemein)

Schriftliche Staatspr fung, §§ 11 Abs. 2, 12 Abs. 1 Zweite Pflichtwahlstation, § 6 Abs. 1 Ziff. 5

(Anwaltliche Ausbildungsstelle)

21 22 23 24

M ndliche Staatspr fung, §§ 11 Abs. 2, 12 Abs. 2

Zu Absatz 1 Zu Satz 1 Zu Ziffer 1–4 Der inhaltliche Schwerpunkt der praktischen Ausbildung liegt auf der Anwendung des Zivilrechts, da der überwiegende Teil der Anwaltschaft in diesem Rechtsbereich tätig ist. Anders als im herkömmlichen Referendariat ist es nunmehr möglich, sich bis zu 17 Monaten in Anwaltskanzleien ausbilden zu lassen. Der erwünschte Einblick in weitere juristische Berufe ist auch nach dem neuen Modell möglich. Sowohl die erste als auch die zweite Pflichtwahlstation ermöglichen eine individuelle Schwerpunktsetzung. Alle Anwaltsstationen können auch bei einem Rechtsanwalt abgeleistet werden, bei dem bereits vorhergehende Ausbildungsstationen abgeleistet worden sind. Zu Ziffer 5 Die zweite Pflichtwahlstation kann im In- oder im Ausland absolviert werden. Zu Satz 2 Die Reihenfolge der Stationsausbildung ist nur dort zwingend festgelegt worden, wo dies wegen der theoretischen Ausbildung und des Anwaltsexamens nötig war. 56

AnwBl 1 / 2007

Zu Absatz 2 Die Anwaltsreferendarinnen und Anwaltsreferendare sollen entsprechend der Zielvorgaben aus § 3 lernen zu beraten, vermitteln, gestalten und vertreten und unternehmerische Kenntnisse erlangen. Die konkrete Ausgestaltung der anwaltlichen Stationen ist dem DAV-Ausbildungshandbuch (DAV (Hrsg.), DAV-Anwaltausbildung. Bd. 1. Die praktische Ausbildung: DAV-Ausbildungshandbuch, Bonn 2005) entnommen und wird als Mindestcurriculum in der Rechtsanwaltsausbildungsverordnung vorgegeben. Die praktische Anwaltsausbildung soll folgende Bereiche umfassen: 1. das Schreiben von Anträgen und Begründungen, insbesondere von Klage- und Berufungsschriften 2. das Abfassen gutachterlicher Stellungnahmen 3. die Wahrnehmung von Gerichtsterminen einschließlich Partei-, Zeugeneinvernahme oder Sachverständigenanhörung 4. die inhaltliche Überprüfung von Verträgen oder Vertragsbedingungen 5. die Teilnahme an Versuchen außergerichtlicher Konfliktlösung 6. das Stellen von Anträgen im Zwangsvollstreckungs- bzw. Insolvenzverfahren 7. die Durchführung von Mandantenbesprechungen 8. das Berechnen von Prozesskostenrisiken Gesetzentwurf zur Einf hrung einer Spartenausbildung in der Juristenausbildung

MN

Dokumentation

9. das Formulieren von Schreiben über Prozessaussichten an Mandantinnen/Mandanten 10. das Abhalten von Plädoyers und Aktenvorträgen 11. das Erstellen von Honorarabrechnungen 12. das Stellen von Kostenfestsetzungsanträgen 13. das Durchführen von Dokumentenrecherchen für die Kanzlei 14. Einführung in die Kanzleibuchhaltung, insbesondere in die Fremdgeld-, Auslagen- und Honorarverwaltung und Einführung in die Besteuerung eines Anwaltsbüros Zu Absatz 3 Das Gesetz sieht bewusst davon ab, nähere materielle Voraussetzungen bezüglich der persönlichen und fachlichen Eignung der Ausbilderinnen oder der Ausbilder zu normieren, da derartige Anforderungen in der Praxis kaum überprüfbar sind. Durch die zusätzlichen Erfordernisse in Ziff. 2 und 3 wird regelmäßig ausgeschlossen sein, dass reine „Titularanwälte“ als Ausbilderinnen oder Ausbilder auftreten. Hingegen kann das Kriterium einer mindestens fünfjährigen anwaltlichen Tätigkeit auch durch eine auf Teilzeitbasis erfolgte Berufstätigkeit erfüllt werden. Der hohe Qualitätsanspruch der Ausbildung erfordert für die anwaltlichen Stationen eine Ausbildung, die weit überwiegend in den Kanzleiräumen der Ausbildungsstelle stattfindet. Nur so kann die nötige Einbindung in den Alltag der Kanzleiabläufe gewährleistet werden. Die Kommunikation mit der Ausbilderin oder dem Ausbilder sowie dem Kanzleipersonal ist ein integraler Bestandteil der Ausbildung. Zur Mindestvergütung gem. Ziff. 3 vgl. die Begründung zu § 9. Sollte eine Kanzlei nicht in der Lage sein, die Zahlung der Mindestvergütung aus eigenen Mitteln aufzubringen, dennoch aber eine hervorragende Ausbildung gewährleisten, genügt sie den Anforderungen von Ziff. 3, wenn sie dafür Sorge trägt, dass ihr Mittel Dritter, etwa einer Rechtsanwaltsausbildungsstiftung, zur Finanzierung der mit der Ausbildung verbundenen Kosten zur Verfügung gestellt werden. Zu Absatz 4 Die praktische Ausbildung erfolgt in der Regel an 5 Tagen in der Woche. Sie sollte drei Arbeitstage in der Woche nicht unterschreiten, damit das praktische Ausbildungsziel nicht gefährdet wird. Zu Absatz 6 Die Dokumentationspflicht kann dadurch erfüllt werden, dass ein Nachweisheft zu führen ist. Die Pflicht, ein solches Nachweisheft zu führen, hat sich in der DAV-Anwaltausbildung bewährt. Ein Nachweisheft ist nicht nur geeignet zur Kontrolle der Anwaltsreferendarin oder des Anwaltsreferendars, sondern dient auch zur (Selbst-)Kontrolle der Ausbilderin oder des Ausbilders, indem es dazu anhält, die ganze Bandbreite des Curriculums abzuarbeiten. Letztlich stellt ein Nachweisheft aber nur eine Möglichkeit dar, Ausbilder und Anwaltsreferendare anzuhalten, den Vorgaben des Curriculums genüge zu tun. Daher solle es den Ländern überlassen bleiben zu entscheiden, wie das Anliegen erfüllt wird. Gesetzentwurf zur Einf hrung einer Spartenausbildung in der Juristenausbildung

Zu § 7 (Theoretische Anwaltsausbildung) Zu Absatz 1 Die theoretische Anwaltsausbildung vermittelt angehenden Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten das Wissen, das sie neben praktischen Fähigkeiten, die sie in den Stationen erwerben, für die Ausübung des Anwaltsberufs benötigen. Sie wiederholen nicht das im rechtswissenschaftlichen Studium Erlernte, sondern beleuchten materielles Recht und Prozessrecht aus anwaltlicher Sicht. Die theoretische Anwaltsausbildung ist eine Vollzeitausbildung, deren Kosten von der Anwaltsreferendarin oder dem Anwaltsreferendar getragen werden müssen. Nebenbeschäftigungen zur Sicherung des Unterhalts sind wegen der in § 9 geregelten Mindestvergütung (vgl. Begründung zu § 9) nicht nötig. Zu Absatz 2 Die Lehrgangszeiten sind zeitlich getrennt von der praktischen Ausbildung. Damit wird gewährleistet, dass Anwaltsreferendarinnen und Anwaltsreferendare sich in der Praxis auf die Praxis konzentrieren können. Dies ist im Sinne einer qualitativ hochwertigen Ausbildung besonders wichtig, denn die Anwaltsreferendarinnen und Anwaltsreferendare dürfen nicht durch AGs und Lehrgänge daran gehindert sein, etwa Gerichts- oder andere Termine wahrzunehmen, wie das im heutigen System allzu häufig der Fall ist. Zu Absatz 3 Neben materiellen und prozessualen Kenntnissen umfasst die theoretische Anwaltsausbildung, wie sie in der Rechtsanwaltsausbildungsverordnung zu regeln ist, die im bisherigen System weitgehend fehlenden unternehmerischen Kenntnisse wie z. B. Buchführung, Organisation einer Kanzlei, Personalmanagement und das Anwaltsrecht, wobei das Anwaltsrecht mehr als nur das anwaltliche Berufsrecht im engeren Sinne umfasst. Diese Bereiche sind elementar für eine erfolgreiche Kanzleiführung. Des Weiteren werden auch Schlüsselqualifikationen in der theoretischen Anwaltsausbildung berücksichtigt. Zu Absatz 4 Alle Veranstalter der theoretischen Anwaltsausbildung können ihre Dienste anbieten. In solch einem freien Markt werden sich die besten Anbieter durchsetzen. Eine Akkreditierung von Anbietern würde einen unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand bedeuten. Zu Absatz 5 In der Rechtsanwaltsausbildungsverordnung müssen folgende Inhalte der theoretischen Anwaltsausbildung festgelegt sein: 1. im Umfange von zusammen ca. 70 Ausbildungsstunden juristische Rhetorik, Argumentationstechnik und Verhandlungsführung, Streitschlichtung, Mediation, die Kunst der Sachverhaltsermittlung, vorsorgende Rechtsberatung, 2. im Umfange von zusammen ca. 70 Ausbildungsstunden Rechts- und Vertragsgestaltung einschließlich der Methodenlehre und der exemplarischen Darstellung anhand typischer Anwendungsfälle, 3. im Umfange von zusammen ca. 85 Ausbildungsstunden das Berufsrecht des Rechtsanwalts und des Notars, AufAnwBl 1 / 2007

57

MN

4. 5.

6.

7.

Dokumentation

bau, Organisation und Führung einer Anwaltspraxis einschließlich der arbeits-, sozial- und steuerrechtlichen Implikationen, Kommunikationsmethoden, die Haftung des Rechtsanwalts und des Notars, Qualitätssicherung anwaltlicher und notarieller Dienstleistung, im Umfange von zusammen ca. 115 Ausbildungsstunden die Verfahrensrechte aus anwaltlicher Sicht, im Umfange von zusammen ca. 55 Ausbildungsstunden europäisches Gemeinschaftsrecht, insbesondere die europarechtlichen Bezüge des in deutsches Recht transformierten Gemeinschaftsrechts, internationales Privatrecht, im Umfange von zusammen ca. 30 Ausbildungsstunden Einführung in die Buchführung und das Bilanzwesen einschließlich des Rechts der Buchführung und des Jahresabschlusses, im Umfange von zusammen ca. 85 Ausbildungsstunden ein Rechtsgebiet nach Wahl der Anwaltsreferendarin oder des Anwaltsreferendars.

Zu § 8 (Durchlässigkeit) Zu Absatz 1 In diesem Gesetz wird nur ein Wechsel zum Anwaltsreferendariat während der laufenden Ausbildung geregelt. Ein möglicher Wechsel von Richtern oder Verwaltungsjuristen in den Anwaltsberuf kann nur durch Änderung der BRAO erfasst werden, die die Zugangsvoraussetzungen zum Anwaltsberuf regelt. Die Möglichkeit des Wechselns ist erforderlich und sinnvoll, um die in der Juristenausbildungsdiskussion vehement geforderte Durchlässigkeit zu gewährleisten. Eine Anrechnung von Lehrgangszeiten im Verwaltungsoder Richterreferendariat ist nicht möglich, da die theoretische Anwaltsausbildung insbesondere darauf abzielt, materielles Recht und Prozessrecht aus anwaltlicher Perspektive zu vermitteln. Zu § 9 (Vergütung) Die Mindestvergütung für Anwaltsreferendarinnen und Anwaltsreferendaren ist im Gesetz festgelegt, weil die Gefahr besteht, dass ein – zumindest in den Jahren nach Einführung der Spartenausbildung – deutliches Überangebot an potentiellen Anwaltsreferendarinnen und Anwaltsreferendaren zu unangemessen niedrigen Ausbildungsvergütungen führt. Die Orientierung an der Vergütung der Richter- und Verwaltungsreferendare kann den heutigen status quo sichern, da nicht davon auszugehen ist, dass bei Einführung der Spartenausbildung die Vergütung der Richter- und Verwaltungsreferendare das heutige Niveau unterschreiten wird. Die Norm sieht weiter eine im Vergleich zu den Richterund Verwaltungsreferendaren um den Faktor 24/17 erhöhte monatliche Brutto-Vergütung vor, da die Anwaltsreferendarinnen und Anwaltsreferendare in Zeiten der Lehrgänge und Pflichtstationen bei Gericht keine Vergütung erhalten. Somit ist gewährleistet, dass die Anwaltsreferendarinnen und Anwaltsreferendare in den Stationen, in denen sie in Anwaltskanzleien ausgebildet werden können (insgesamt 17 Monate), dieselbe Summe verdienen wie die Richter- und Verwaltungsreferendare in einer 24-monatigen Ausbildung. Ein Beispiel: Richterreferendar A erhält während seines Referendariats über einen Zeitraum von 24 Monaten eine monatliche Brutto-Vergütung in Höhe von E 1.000,00. Insgesamt erhält er demnach E 24.000,00. Anwaltsreferendarin B erhält während ihres 24-monatigen Anwaltsreferen58

AnwBl 1 / 2007

dariats über 17 Monate hinweg eine Brutto-Ausbildungsvergütung (erste Pflichtstation – 6 Monate; dritte Pflichtstation – 2 Monate; erste Pflichtwahlstation – 3 Monate; zweite Pflichtwahlstation – 6 Monate). Damit Anwaltsreferendarin B in diesen 17 Monaten ebenfalls eine BruttoAusbildungsvergütung von E 24.000,00 erhält, hat sie einen Anspruch auf eine Ausbildungsvergütung von E 1.411,76, als Formel dargestellt: E 24.000,00 = 24 17 * E 1.000.00 17. Abs. 1 sieht eine Mindestvergütung vor; eine feste Summe oder gar eine Maximalsumme würde den unterschiedlichen Leistungsfähigkeiten der Anwaltsreferendarinnen und Anwaltsreferendare nicht entsprechen. Im Übrigen gelten die allgemeinen sozialversicherungsrechtlichen Regelungen. Im Hinblick insbesondere auf Kranken- und Unfallversicherung bedeutet das, dass Anwaltsreferendarinnen und -referendare sich etwa in den Zeiten der theoretischen Ausbildung sowie ggf. während einer Auslandsstation privat versichern müssen. Zu § 10 (Beendigung des Referendariats, Widerruf der Zulassung Zu Absatz 1 Von einer Vollziehbarkeit der Entscheidung über das Bestehen oder das endgültige Nichtbestehen des Anwaltsexamens ist bei einer Bestandskraft oder Anordnung der sofortigen Vollziehung dieser Entscheidung auszugehen. Eine Vollziehung einer Entscheidung über das endgültige Nichtbestehen des Anwaltsexamens kommt dadurch in Betracht, dass ein eventueller Antrag der oder des Betroffenen auf nochmalige Zulassung zum Anwaltsreferendariat abgelehnt wird. Zu Absatz 2 Ziff. 1 ergänzt § 2 Abs. 3. Ziff. 2 greift in denjenigen Fällen ein, in denen absehbar ist, dass die Anwaltsreferendarin oder der Anwaltsreferendar sich als ungeeignet für den Anwaltsberuf erweist. Zu Teil 4 (Anwaltsexamen) Zu § 11 (Anwaltsexamen, Zweite Staatsprüfung) Das Anwaltsreferendariat soll wie bisher mit einer Staatsprüfung abgeschlossen werden. Dies gewährleistet die Vergleichbarkeit mit den Abschlüssen aus dem Richter- und Verwaltungsreferendariat, die ebenfalls mit einer Staatsprüfung abgeschlossen werden sollen. Zudem entspricht dies der Rolle des Rechtsanwalts als einem Organ der Rechtspflege. Das Anwaltsexamen unterscheidet sich als Folge der Aufgabe der einheitsjuristischen Ausbildung nur im Hinblick auf die Prüfungsinhalte von den Examina der übrigen Sparten. Zu § 12 (Gegenstand des Anwaltsexamens) Zu Absatz 2 Der Aktenvortrag soll in einem von der Anwaltsreferendarin oder dem Anwaltsreferendaren ausgewählten Rechtsgebiet gehalten werden, das in der theoretischen Anwaltsausbildung gelehrt wird. Die fünf Prüfungsgespräche sollen die folgenden Bereiche abdecken: Die anwaltliche Tätigkeit im Zivilrecht, im Strafrecht, im Verwaltungsrecht, im Rechtsgebiet des Aktenvortrags sowie das Anwaltsrecht. Gesetzentwurf zur Einf hrung einer Spartenausbildung in der Juristenausbildung

MN

Dokumentation

Zu § 13 (Anwaltsexamen, Anmeldung/Zulassung) Zu Absatz 4 Ein Wechsel zwischen den Berufen ist zu ermöglichen (Durchlässigkeit). Im Rahmen der Frage der Zulassung zur Anwaltsprüfung muss das Gesetz auch die Frage behandeln, unter welchen Voraussetzungen Absolventen des Richterund Verwaltungsreferendariats das Anwaltsexamen ablegen dürfen. Dabei muss sichergestellt werden, dass die „Wechslerinnen“ und „Wechsler“ entweder die für die anwaltliche Berufsausübung zwingend erforderliche Zeit einer praktischen Tätigkeit bei eine anwaltlichen Ausbildungsstelle sowie die theoretischen Kenntnisse der Anwaltslehrgänge nachweisen. Eine andere Möglichkeit ist, dass die „Wechslerinnen“ und „Wechsler“ bereits das Justiz- oder Verwaltungsreferendariat erfolgreich abgeschlossen und darüber hinaus drei Jahre in Justiz oder Verwaltung gearbeitet haben. Ein Wechsel aus der Wirtschaft in den Anwaltsberuf ist ohne Ableistung des Anwaltsreferendariats im Gesamten nicht möglich. Zu § 14 (Landesjustizprüfungsamt) Zu Absatz 1 Die Prüfung soll wie bisher von Landesjustizprüfungsämtern abgenommen werden. Hierdurch wird die Gleichwertigkeit der Staatsexamina in allen Sparten herausgestellt. Zu Absatz 2 Das Landesjustizprüfungsamt muss sicherstellen, dass regelmäßig genügend Prüfungsdurchläufe für das Anwaltsexamen angeboten werden, damit ein reibungsloser Durchlauf der Prüfung gewährleistet ist. Konkrete Vorgaben, wie viele Prüfungsdurchläufe jährlich durchzuführen sind, verbieten sich, da die Anzahl der Anwaltsreferendarinnen und Anwaltsre-ferendare in den Ländern sehr stark differieren wird. Bei angenommenen 3.000 Anwaltsreferendarinnen und Anwaltsreferendaren jährlich werden etwa in einem Land wie Thüringen lediglich gut 40 angehende Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ausgebildet werden, während in Nordrhein-Westfalen knapp 780 Anwaltsreferendarinnen und Anwaltsreferendare eingestellt werden. Zu Absatz 3 Diese Norm bekräftigt, dass unterschiedliche Ausbildungsund Prüfungsinhalte nicht zu einem unterschiedlichen Niveau der Prüfungsanforderungen und der Leistungsbewertungen führen dürfen Zu § 15 (Prüfungsabschlüsse für das Anwaltsexamen) Zu Absatz 1 Das Anwaltsexamen soll von einem eigens dafür eingerichteten Prüfungsausschuss abgenommen werden. Dass dieser Prüfungsausschuss mehrheitlich mit Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten zu besetzen ist, ist folgerichtig und rechtlich unbedenklich, vgl. die Entscheidung des EuGH vom 17. Februar 2003 (Az.: C-205/03). Zu § 16 (Prüfungsaufgaben) Zu Absatz 1 Die anwaltliche Blickrichtung des Gesetzes erfordert es, dass die Prüfungsaufgaben für das Anwaltsexamen der anwaltlichen Berufspraxis entnommen werden müssen. Gesetzentwurf zur Einf hrung einer Spartenausbildung in der Juristenausbildung

Zu Absatz 2 Die Rechtsanwaltskammern sammeln die Aufgaben, bereiten sie für die Prüfung auf und stellen sie den Landesjustizprüfungsämtern zur Verfügung. Diese Aufgabe muss bei den Rechtsanwaltskammern angesiedelt sein, weil nur die Anwaltschaft die Ausbildungs- und Prüfungsinhalte bestimmen kann. Zu § 18 (Bewertung der Prüfungsleistungen, Prüfungsgesamtnoten Zu Absatz 1 Für den Anwaltsberuf ist die Fähigkeit der mündlichen Kommunikation ebenso wichtig wie die Fähigkeit, sich schriftlich auszudrücken. Daher werden die schriftlichen und mündlichen Leistungen in der Gesamtnote in einem Verhältnis von 50 : 50 berücksichtigt. Zu Absatz 2 Abs. 2 konstituiert eine Verpflichtung für den Prüfungsausschuss, die Prüfungsgesamtnote nicht allein aufgrund der Ergebnisse des Anwaltsexamens zu errechnen. Vielmehr hat er insbesondere die Stationszeugnisse in seine Bewertung einzubeziehen. Zu § 20 ff. (Bestehen) Die Regelungen sind an vergleichbare Normen über die Juristenausbildung angelehnt. Sie entsprechen allgemeinen prüfungsrechtlichen Grundsätzen. Zu § 25 (Wirkung des Anwaltsexamens) Die Anwaltsreferendarinnen und Anwaltsreferendare erwerben nicht mehr – wie bisher – die Befähigung zum Richteramt, sondern die Befähigung zur Ausübung des Anwaltsberufs. Dieses neue Modell stellt eine Abkehr von der bisherigen einheitsjuristischen Ausbildung dar. Nur diejenigen, die eigens dafür ausgebildet worden sind, können Rechtsanwältinnen oder Rechtsanwälte werden. Nur so kann die Qualität anwaltlicher Dienstleistungen auch in Zukunft sicher gestellt werden. Zu Teil 5 (Übergangsvorschriften) Zu § 26 (Übergangsvorschriften) Für den Übergang des alten Ausbildungsmodells auf die Spartenausbildung wurde eine Stichtagslösung gewählt, die dem Ausgleich der betroffenen Interessen im Wege der praktischen Konkordanz dient. Die Übergangsvorschrift ermöglicht eine Umstellung des juristischen Ausbildungssystems innerhalb von vier Jahren ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Reformgesetzes und trägt dabei der verfassungsrechtlich notwendigen Übergangsgerechtigkeit Rechnung. III. Zu Art. 2 Die Bestimmungen der BRAO, die die Referendarausbildung betreffen, werden dem Bundesrechtsanwaltsausbildungsgesetz angepasst. IV. Zu Art. 3 Die Bestimmungen jener Gesetze, die an den Status der „Befähigung zum Richteramt“ anknüpfen, werden insoweit an das Bundesrechtsanwaltsausbildungsgesetz angepasst, als dort die „Befähigung zur Ausübung des Anwaltsberufes“ geschaffen wird. AnwBl 1 / 2007

59

MN

Mitteilungen

Europa _______________________________________________________

Fortschritt oder Stillstand? Was wird aus den Arbeiten am Europäischen Vertragsrecht? Notar Dr. Jens Jeep, Hamburg

Unter der Überschrift „Europäisches Vertragsrecht und Überarbeitung des gemeinschaftlichen Besitzstandes“ arbeiten seit nunmehr über eineinhalb Jahren Praktiker an den Entwürfen für einen Common Frame of Reference (CFR) des Europäischen Vertragsrecht – darunter auch viele deutsche Anwälte, Notare und Richter. Der CFR, der Gemeinsame Referenzrahmen soll als eine Art toolbox, als Werkzeugkasten dabei helfen, die bestehenden Richtlinien zum (Verbraucher)Vertragsrecht konsistenter und besser zu machen mit dem weiteren Ziel, als Grundlage einer 26. (Modell)Rechtsordnung eine Alternative zu den nationalen Vertragsrechten zu stellen. Der Autor berichtet über den aktuellen Stand der Arbeiten, die Anfang März auf einer Tagung in Stuttgart im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft fortgesetzt werden. Zuletzt hatten sich die Beteiligten im Frühsommer 2006 zu ihrer zweiten gemeinsamen Konferenz in Wien getroffen. Eines soll der CFR jedenfalls nicht sein, so beteuern alle Beteiligten, nämlich ein Europäisches Zivilgesetzbuch – auch wenn es, gleich der Pfeife von Magritte, die keine ist, so aussehen mag (siehe einführend Jeep/Vossius „Dies ist kein Europäisches Zivilgesetzbuch – oder etwa doch?, AnwBl 2005, 698). Die Schaffung einer ganzen Rechtsordnung oder jedenfalls ihres stabilen Rahmens in weniger als fünf Jahren, das mag manchem von Anfang an als großes, vielleicht zu großes Projekt vorgekommen sein – nicht ganz zu unrecht. Ein Projekt zudem, das in seiner Komplexität einem multidimensionalen Puzzle gleicht, an dem verschiedene Spieler zugleich an verschiedenen Stellen bauen – leider ohne dabei genau zu wissen, was die anderen machen und wie das fertige Objekt genau aussehen soll. Die Kommission: Ein Schwenk zur Acquis-Überarbeitung. Wollte die Kommission zuerst die toolbox, den CFR, dessen Qualität dann musterhaft anhand der Überarbeitung einer der bereits existierenden Verbraucherschutzrichtlinien überprüft werden sollte, wurde nun die Reihenfolge umgedreht: Bereits der erste Fortschrittsbericht zum CFR der Kommission im Herbst 2005 teilte mit, dass die Überarbeitung des gemeinsamen Besitzstandes im Verbraucherrecht, des acquis communautaire, von nun an im Vordergrund stehen sollte. Die Themen der Workshops wurden neu geordnet und die Forscher wurden angehalten, dies auch in den zur Verfügung gestellten Materialien für die nächsten Workshops zum Ausdruck zu bringen. Im Jahr 2006 ging es nunmehr um Kaufverträge, vorvertragliche Informationspflichten, Allgemeine Geschäftsbedingungen, das Widerrufsrecht und das Recht auf Schadensersatz – allesamt Themen, die auch näher am Konzept eines Allgemeinen Referenzrahmens lagen als noch die im letzten Jahr diskutierten Fragen 60

AnwBl 1 / 2007

der Ungerechtfertigten Bereicherung oder der Geschäftsführung ohne Auftrag. Auch personell wurde dieser Paradigmenwechsel sichtbar: Geleitet wurden die letzten Workshops nun nicht mehr von Dirk Staudenmayer, als Abteilungsleiter in der Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz (im Brüssler Alltag kurz DG SANCO genannt) für den CFR zuständig, sondern von seinem Kollegen Giuseppe Abbamonte. Dieser ist für die Überarbeitung des Verbraucher-Acquis verantwortlich und nutzt in dieser Funktion den direkten Draht zu den Experten aus der Praxis, wenngleich er in dieser unmittelbaren Praktikerbeteiligung im Vergleich zu den althergebrachten, eher mittelbaren europäischen Partizipationsmechanismen keine besonderen Vorteile zu erkennen scheint – was bedauerlich wäre und dem zum Teil hohen Niveau vieler Workshops nicht gerecht würde. In Bezug auf den weitergehenden CFR soll es zudem zu einer stärkeren Zusammenarbeit der Generaldirektionen Justiz, Binnenmarkt und Verbraucherschutz kommen, zwischen deren Kommissaren bereits eine erste Verständigung stattgefunden hat. Wie der CFR im Ergebnis aussehen soll, insbesondere im Vergleich zu den umfangreichen Entwürfen der Wissenschaftler, das ist nach Aussage der Kommission jedoch ebenso offen wie die weitere Workshop-Planung über das Jahr 2006 hinaus. Die Wissenschaftler: Auf dem Weg zum Europäischen Zivilgesetzbuch – mit schwarzen Linien am Rand. Die zwei mit der Erstellung des CFR in seiner Rohfassung beschäftigten Wissenschaftlergruppen nahmen sich des Wechsels in den Prioritäten insbesondere auf graphische Weise an: Die Materialien werden nun aufgeteilt in die Kategorieren „Acquis-Überarbeitung“, „Unmittelbar relevante Materialien für den Verbraucher-Acquis“ und „Wichtiger Hintergrund für den Verbraucher-Acquis“ – dargestellt durch dicke Linien am Rand, gestrichelte Linien oder fehlende Linien. Die Kategorie „Gar nicht relevant für den Acquis“ gibt es indes nicht, so dass der Lesestoff im Ganzen zwar nicht dramatisch verringert wurde, die Orientierung aber immerhin leichter fällt. Die Study Group um Prof. von Bar aus Osnabrück arbeitet derweil weiter an ihrem Großentwurf eines Europäischen Zivilgesetzbuchs – natürlich ohne Linien am Rand. Die zweite Gruppe, die Acquis-Group um Prof. Schulte-Nölke aus Bielefeld, kümmert sich um die Bezüge zu den existierenden Richtlinien. Die Wissenschaftler betonen, in ihrer Forschung frei zu sein und es macht sie ersichtlich wenig glücklich, wenn immer wieder der Eindruck entsteht, sie würden dies alles nur „im Auftrage“ der Kommission tun. Oder anders ausgedrückt: Dicke Striche am rechten Rand mag die Kommission in Auftrag geben, was links daneben steht, bestimmt sie jedoch nicht! Ebenfalls unter Leitung von Schulte-Nölke wird unter Hochdruck und mit etwas zeitlichem Verzug an einer umfassenden Datenbank gearbeitet, in der die existierenden Verbraucherschutz-Richtlinien mit den jeweiligen nationalen Umsetzungsgesetzen und der zugehörigen Rechtsprechung aufgelistet werden sollen. Darauf wartet vor allem Abbamonte im Rahmen der Acquis-Überarbeitung. Die Praktiker im CFR-Net: Viel In-, doch noch kein Output. Trotz vieler Verbesserung im Detail (längere Vorbereitungszeit, zum Teil etwas knappere Entwürfe, größere Nähe zu Fortschritt oder Stillstand?, Jeep

MN

Mitteilungen

vertragsrechtlichen Fragen) haben sich die Erfahrungen der Praktiker in den Workshops nicht uneingeschränkt ins Positive gewendet. Nach wie vor besteht ein großes Diskussionsbedürfnis über Sinn und Zweck des Projektes im Allgemeinen und die richtige Vorgehensweise im besonderen. Auch die Einladungspraxis zu den Workshops ist nicht wirklich transparent und es wäre wünschenswert, wenn die einzelnen beteiligten Organisationen selbst entscheiden könnten, wen sie aus den eigenen Reihen als Sachverständigen in die jeweilige Sitzung entsenden. Unter den Praktikern, die mit hohem zeitlichem Einsatz ihre Beiträge liefern, macht sich zudem Enttäuschung breit über den offenbar eher begrenzten Einfluss auf die Arbeiten der Wissenschaftler. Dabei überzeugte die Idee eines „comply or explain“-Prinzip (Übernahme der Vorschläge oder Erläuterung bei Nichtübernahme) im Grunde: Die Wissenschaftler stellen ihre Zwischenergebnisse vor, die Praktiker überprüfen diese an der vertragsgestaltenden und -anwendenden Realität, machen Verbesserungsvorschläge, die von der Kommission binnen zwei Monaten in Berichten zusammengefasst werden, auf die wiederum die Wissenschaftler binnen von sechs Monaten antworten, indem sie Vorschläge übernehmen oder aber – unter Angabe von Gründen – ablehnen. Soweit die Theorie. In der Praxis ist bisher jedoch keine dieser Antworten der Wissenschaftler bei den Praktikern angekommen, während die Wissenschaftler die in den ersten Workshops bearbeiteten Texte bereits in Buchform veröffentlicht haben – natürlich ohne dass die Praktikerbeiträge zu grundlegenden Änderungen geführt hätten. Dies ist insofern bedauerlich, als die Arbeit in den Workshops zumindest in Ansätzen das große Potential dieser Art der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis zeigt. Die Diskussionen unter den erfahrenen Rechtsanwender geben einen ersten Eindruck davon, wie eine europäische Rechtsentwicklung funktionieren kann, die frühzeitig die Betroffenen einbindet, und wie groß zum Teil die Übereinstimmung in den Ergebnissen ist, wenngleich die Wege dorthin national (noch) sehr unterschiedlich sind. Das Europäische Parlament: Ja zum Europäischen Vertragsrecht – aber nur mit uns. Das Europäische Parlament gilt schon seit seiner ersten Entschließung im Jahr 1989 als Antreiber der Idee eines weiter harmonisierten europäischen Zivilrechts. Dass dennoch eine gewisse Unzufriedenheit mit den bisherigen Arbeiten besteht, ist vor allem auf organisatorische Fragen zurückzuführen. Das Parlament fühlt sich nicht in der richtigen Weise eingebunden und bringt dies auch in seiner Entschließung vom März 2006 zum Ausdruck: In dieser wehrt es sich zwar nicht gegen die Idee eines Europäischen Zivilgesetzbuches, macht aber deutlich, dass ein solches von den politischen Instanzen geschaffen würden müsse, was deren frühzeitige Einbeziehung bedinge. Inhaltlich wird die Vertragsfreiheit betont, dennoch dürfe man nicht bei B2C (Business-to-Consumer) Verträgen halt machen, sondern müsse ein Recht für den gesamten Rechtsverkehr entwickeln, wenngleich im Einzelfall zwischen B2C und B2B (Business-to-Business) zu unterscheiden und eine zu große Regelungstiefe zu vermeiden sei. Binnenmarktausschuss und Rechtsausschuss wollen mit einer gemeinsamen Arbeitsgruppe nun noch intensiver an dem Thema arbeiten. Und Klaus-Heiner Lehne, der Berichterstatter des Rechtsausschusses und einer der Mitglieder dieFortschritt oder Stillstand?, Jeep

ses neu errichteten Projektteams ist sich persönlich sicher, dass hier „natürlich ein einem Text für ein mögliches Europäisches Zivilgesetzbuch gearbeitet“ wird, auch wenn dieses auf absehbare Zeit noch nicht verabschiedet werden würde. Aber wie der Gesetzgeber des Jahres 2015 oder 2020 darüber denke, das vermöge heute keiner zu sagen. Die Mitgliedstaaten: Kein Zivilgesetzbuch, aber ein besser koordinierter Verbraucherschutz. Schwer vorstellbar ist, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union alsbald auf ihr nationales Recht verzichten möchten. So hat denn auch der Wettbewerbsfähigkeitsrat im November 2006 begrüßt, dass kein Europäisches Zivilgesetzbuch gewollt und als erster Schritt die Überarbeitung des bestehenden Acquis vorgezogen worden sei. Auch wird die Unterscheidung zwischen B2B und B2C betont und der Wunsch nach Konzentration auf konkrete Verbesserungen zum Ausdruck gebracht. Eine Absage an den CFR scheint damit jedoch nicht verbunden, denn der Rat lädt die Mitgliedstaaten und die Interessenvertreter ein, sich weiter aktiv an den Arbeiten zum Gemeinsamen Referenzrahmen zu beteiligen. Auch die jüngst zu Ende gegangene finnische Ratspräsidentschaft steht einer zu detailreichen Regulierung des Vertragsrechts skeptisch gegenüber. Deutschland, das für das erste Halbjahr 2007 die Präsidentschaft übernommen hat, scheint einem horizontalen Ansatz innerhalb der Richtliniensetzung nicht abgeneigt zu sein und weist zu Recht darauf hin, dass es nicht genügt, Pflichten etwa hinsichtlich vorvertraglicher Informationen festzulegen, die Rechtsfolgen der Verletzung dieser Pflichten jedoch nicht zu regeln. Die Analyse und Überarbeitung der Richtlinien müsse daher auch allgemeine vertragsrechtliche Fragen mit einbeziehen, so dass der Referenzrahmen nicht auf das Verbraucherschutzrecht zu beschränken sei. In die Acquis-Überarbeitung sollte man daher auch weitere Richtlinien einbeziehe, etwa diejenigen zum Fernabsatz von Finanzdienstleistungen oder dem E-Commerce. Dem Dialog mit den Vertretern der Praxis wird seitens der deutschen Regierung erfreulicherweise ein besonderer Stellenwert beigemessen. Die Jahreskonferenz 2006 in Wien: Die Wogen glätten sich. Im Mai des letzten Jahres trafen sich Wissenschaftler, Praktiker, EU-Parlamentarier, Vertreter der Mitgliedstaaten und Mitglieder der Kommission zur zweiten großen Konferenz zum Europäischen Vertragsrecht. Die Stimmung war im Vergleich zum wegen der Terroranschläge verschobenen Vorjahrestreffen in London entspannter. Das mag nicht zuletzt am vollzogenen Prioritätenwechsel gelegen haben und vielleicht auch mit einer gewissen Gewöhnung an die Tatsache, dass ein genauer Überblick über das Projekt offenbar nicht zu erlangen ist, zusammenhängen. Während die große Sorge mancher Teilnehmer, hier könnte in weniger als vier Jahren ein komplettes neues Vertragsrecht seitens der Kommission aus dem Boden gestampft werden, beschwichtigt zu sein scheint, taucht doch noch immer die Frage nach dem WAS und dem WIE auf. Woran arbeiten wir hier eigentlich und tun wir dies auf die bestmögliche Weise? Einigkeit besteht insoweit, dass es gut ist, sich zuerst auf die handfestere Überarbeitung des Acquis zu konzentrieren und sich für das große Werk des CFR mehr Zeit zu lassen. Wie detailliert dieser Referenzrahmen aussehen und inwieweit er in die Vertragsfreiheit eingreifen sollte, darüber herrscht keine EinigAnwBl 1 / 2007

61

MN

Mitteilungen

keit, wenngleich der allgemeine Wunsch erkennbar ist, vor allem die gemeinsamen Grundlagen festzulegen und im Detail behutsam vorzugehen. Die Kommission sieht das Projekt derzeit vor allem durch die verbraucherschützende Brille von Giuseppe Abbamonte, der jedoch den CFR nicht als wichtigstes Element seine Aufgabe zu begreifen scheint. So stellte der Kommissionsvertreter in Wien beruhigt fest, dass die Acquis-Überarbeitung entgegen seiner Befürchtung nicht zur „Geisel des Gemeinsamen Referenzrahmens“ geworden sei. Ob es weitere Praktikerworkshops geben werde, wenn die Arbeit der AcquisGroup beendet ist und die ersten Ergebnisse vorliegen? Nein, von ihm aus nicht, Workshops gehörten zur CFR-Tätigkeit des Kollegen Staudenmayer. Es werde vielmehr ein Grünbuch zum Verbrauchervertragsrecht geben, voraussichtlich Ende 2006, Anfang 2007 – abhängig von der Geschwindigkeit des Übersetzungsdienstes. Die anschließende Konsultation findet dann offenbar auf den gewohnten Wegen statt, also auf Papier und bedauerlicherweise nicht im unmittelbaren Dialog der Praktiker miteinander, einem der großen Vorzüge des CFR-Projektes. Herauskommen wird voraussichtlich eine horizontale Richtlinie zum Verbrauchervertragsrecht, in der – dem AT des BGB gleich – all das geregelt wird, was sektorübergreifend geregelt werden kann. Quasi ein „Common Frame of Reference des Verbraucherrechts“. Flankiert werden dürfte dieser AT-CFR von sektoralen Richtlinien zu einzelnen Vertragsarten, also einer Art Verbraucherrecht-BT. Dies nennt Abbamonte den aus seiner Sicht vorzugswürdigen „mixed approach“ aus vertikaler und horizontaler Herangehensweise. Ausblick: Mit voller Kraft wohin? Zunächst nach Stuttgart. Am Puzzle des CFR wird also weiter gearbeitet, doch das einheitliche Bild ist noch nicht erkennbar. Sicher ist, dass die Study Group on a European Civil Code ihre Arbeitsergebnisse in großvolumigen Bänden veröffentlichen wird, von denen die ersten bereits unter dem Titel PEL erschienen sind. Diese Principles of European Law sind also die PECL ohne C. C für Contract. Eine feine Ironie innerhalb der Arbeiten am Europäischen Vertragsrecht. An den bisherigen Veröffentlichungen mag man erkennen, was jedem Mitglied des CFR-Netzwerks ohnehin schnell einleuchten musste: Die Anmerkungen in Praktiker, die oft sehr elaborierten und durchdachten schriftlichen Stellungnahmen vor und nach den Treffen, sie konnten bisher nicht mehr sein als ein kleiner Praxistest für die bereits weitestgehend fertiggestellten Ergebnisse der Wissenschaftler. Ein Siegel der Anerkennung durch die Praxis kann es auf Basis der gewählten Verfahrens für die Arbeit der Forscher jedoch nicht geben. Folglich wurde in Wien immer wieder auf die Unterscheidung zwischen Draft bzw. Academic CFR und Political CFR hingewiesen. Ersterer wird nun veröffentlicht, wie letzterer aussieht, weiß noch niemand. Irgendwo dazwischen stehen nun die Praktiker mit ihren Beiträgen. Ob es die umfassende Toolbox, die zivilrechtliche Werkzeugkiste für den Europäischen Gesetzgeber, die aus Wissenschaft und Praxis entstanden ist, bereits am Ende der laufenden Legislaturperiode geben wird, ist vor diesem Hintergrund fraglich. Das Idee eines CFR, der als solches zwar keine Außenwirkung hat und keinen Rechtsakt darstellt, zugleich jedoch faktisch im Rahmen einer interinstitutionellen Vereinbarung den EU-Gesetzgeber binden soll, 62

AnwBl 1 / 2007

wirft vor allem eine Frage auf: Ist es vorstellbar, dass sich Rat und Parlament in einer so wichtigen Frage selbst an die Leine legen? Aber so weit muss man auch nicht gehen. Schon wenn es kurzfristig gelingen sollte, eine – anders als die PEL – ständig aktualisierte Datenbank bereitzustellen, in der der Stand der nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung abrufbar ist, dann wird dies in jedem Fall hilfreich sein bei der Konzeption von weiteren Rechtsakten. Die Schwierigkeit einer solchen Aufgabe wird den Beteiligten aber bewusst sein, handelt es sich doch um nichts weniger als eine Art „Palandt der 25 Mitgliedstaaten“. Der PEL-Entwurf der Wissenschaftler wird sich vorerst weniger in der praktischen Anwendung als in der akademischen Diskussion beweisen müssen. Dies kann gelingen, wenn an den verschiedenen Hochschulen der Mitgliedstaaten die Idee aufgegriffen wird, parallel das nationale Recht und die PEL zu lehren – und die Ergebnisse miteinander zu vergleichen. Wünschenswert wäre es, wenn dies anhand einer großen Fallsammlung geschähe, in der neben „Normalfällen“ insbesondere auch die Konstellationen enthalten sind, die Anlass für die Arbeiten am CFR waren. Dann müsste sich zeigen, wie gut die PEL wirklich sind, wie gut sich Probleme damit lösen lassen und wo und wie sie noch besser werden können. Hier wäre auch der richtige Platz für das Praktikernetzwerk der Europäischen Kommission, das sich der gleichen Fälle annehmen und über deren „richtige“ Lösung diskutieren sollte. Wenn dieser Überprüfungs- und Anpassungsprozess über einen längeren Zeitraum, der eher fünfzehn denn fünf Jahre umfassen dürfte, gelingt, dann könnte das Ergebnis eines Tages tatsächlich ein 26. Regime sein, das auch vom Gesetzgeber den Vertragsparteien als optionales Instrument, als Wahlrechtsordnung angeboten wird. Dieses Projekt ist jedoch zu groß und auch zu wichtig, um es mit übergroßer Eile voranzutreiben. Aus diesem Grunde ist der Prioritätenwechsel in der Kommission auch und gerade aus Sicht des CFR-Projektes richtig: Einen Schritt zurückgehen, um dann vielleicht zwei oder gar drei Schritte nach vorne zu kommen. An letzteren hapert es derzeit. Neue Workshops sind nicht terminiert, alles wartet auf den überfälligen zweiten Fortschrittsbericht der Kommission zum CFR, der in Anbetracht der jüngsten Entwicklungen hinter vorgehaltener Hand bereits den Titel „Stillstandsbericht“ trägt. Ob es tatsächlich weitere Schritte geben wird und in welche Richtung sie gehen, dies dürfte nun zentrales Thema der kommende Konferenz zum Europäischen Vertragsrecht sein. Sie wird am 2. und 3. März 2007 unter deutscher Ratspräsidentschaft stattfinden, ganz föderal nicht in Berlin, sondern in Stuttgart.

Dr. Jens Jeep, Hamburg

Der Autor ist Notar. Er ist Mitglied des Expertennetzwerks zum Europ ischen Vertragsrecht (CFR-net).

Fortschritt oder Stillstand?, Jeep

MN

Mitteilungen

Dokumentationszentrum

Blick ins Ausland Eine lose Serie von Kurzbeiträgen informiert über aktuelle Entwicklungen in den Anwaltschaften aus dem benachbarten Ausland. England und Wales: Legal Services Bill Der gemeinsame Ausschuss des House of Commons und des House of Lords („Joint Committee“), hat sich mit dem „Draft Legal Services Bill“ vom 24. Mai 2006, der die Vorschläge von David Clementi umsetzen soll, befasst und am 25. Juli 2006 nach Anhörung zahlreicher Experten einen Bericht zum Gesetzesentwurf veröffentlicht. (zu den sog. Clementi Reformen Kilian, AnwBl 2004, S. 389–394; RIW 2004, S. 671–673; Ahlers, AnwBl 2006, S. 382–384). Der Ausschuss bemängelt, dass der Entwurf sich in einigen Punkten von Clementis Vorschlägen entfernt habe. Insbesondere die Reformen im Bereich der Alternative Business Structures – also der (Kapital-)Beteiligung von Nichtanwälten an Anwaltskanzleien – gingen weit über Clementis Vorschläge hinaus. Die Regierung liberalisiere hier zu schnell, ohne die Konsequenzen für den Zugang zum Recht und die möglichen Interessenkonflikte zwischen Anwälten, Nichtanwälten und Anteilseignern zu bedenken. Des Weiteren wird kritisiert, dass die Reform schwerpunktmäßig nur die Verbraucherinteressen („consumer interest“) berücksichtige, während die Interessen der Allgemeinheit („public interest“) bei den Zielen der Reform keinen Platz fänden. Der Ausschuss sieht in Teilen der Reform auch eine Bedrohung der Unabhängigkeit des Anwaltsstandes: Es sei nicht erforderlich, dass der Staat in dem geplanten hohen Maße in die Regulierung der Rechtsdienstleistungen involviert sei. Vorgesehen ist, dass die Mitglieder und der Vorsitzende des Regulierers, des Legal Services Board, von einem Minister ernannt werden sollen. Der Ausschuss hebt an mehreren Stellen hervor, dass durch die angestrebte Reform keinesfalls die auch im internationalen Vergleich herausragende Qualität englischer Rechtsdienstleistungen vermindert werden dürfe. In ihrer Antwort vom 25. September 2006 verteidigte die Regierung ihren Gesetzesentwurf: Qualitative und effektive Rechtsdienstleistungen würden durch den verbraucherschützenden Entwurf gefördert. Insoweit bestehe kein Widerspruch zwischen Verbraucherinteressen und den Interessen der Öffentlichkeit. Was die Ernennung der Mitglieder des Legal Services Board durch den Minister betreffe, wolle die Regierung diese Regelung überarbeiten und die Kompetenzen des Ministers auf ein Mindestmaß beschränken. Darüber hinaus verspricht die Regierung, auch einige der Regelungen über die Alternative Business Structures zu überdenken. Auch wenn das Gesetzesvorhaben in der traditionellen Queen’s Speech vor dem Parlament am 15. November nicht ausdrücklich erwähnt worden ist, wird allgemein von einer zügigen Realisierung des Gesetzesvorhabens ausgegangen. (BD) Blick ins Ausland, Dokumentationszentrum

Belgien: Anwaltsgebühren im Testvergleich Das belgische Äquivalent der deutschen Stiftung Warentest („test achats“) hat in der Zeitschrift Budget & Droits von September/Oktober 2006 die Dienstleistungen von Rechtsanwälten untersucht. Hauptsächlich wurde die Vergütung anwaltlicher Rechtsberatung auf ihre Transparenz hin beleuchtet: In Belgien legt der Anwalt seine Vergütung frei fest, wobei er die Honorare mit „Zurückhaltung und Würde“ berechnen muss (zum belgischen Vergütungsrecht siehe Länderbericht unter www.anwaltsrecht.org). Insgesamt gelangt der Test zu dem Ergebnis, dass die Anwaltskosten nicht transparent genug seien. Anlässlich der Terminvereinbarung äußerten sich 4 % der Anwälte von selbst zu ihren Honoraren. In 23 % der Fälle blieben die Mandanten auch nach einer Nachfrage ohne Antwort. In 82 % der Fälle erhielten die Mandanten weder eine Rechnung noch eine Quittung über die bezahlte Honorarforderung. Ein Drittel der Anwälte erteilte die Beratung umsonst, während 40 % für die Beratung mehr als den Durchschnitt (26,50 E) verlangten. Die Preise für eine Beratung beliefen sich von 0 bis 160 E für eine durchschnittliche Gesprächsdauer von 25 Minuten. Gegen überhöhte Honorarforderungen muss sich der Mandant zuerst an die Anwaltskammer wenden, damit der Kammervorstand ein Mediations- oder Schiedsverfahren zur Honorarfrage durchführt oder auf eine gütliche Einigung hinwirkt. Diesbezüglich wird im Testbericht vorgeschlagen, dass der direkte Weg zum Richter ohne den Umweg über die Kammer möglich sein sollte, da die durch die Kammer bestellten Schiedsrichter nicht unabhängig seien. Auch die Rechtschutzversicherungen kommen in dem Testbericht nicht allzu gut weg: Bemängelt werden Ausnahmeklauseln, missbräuchliche Vertragsauflösungen nach dem Schadensfall durch den Versicherer und die oft nicht ausreichende Höhe der garantierten Versicherungsleistung. (BD) Schweiz: Empfehlungen zur Honorarvereinbarung Nachdem die kantonalen Anwaltsverbände im Jahr 2005 auf Druck der Schweizer Wettbewerbskommission ihre unverbindlichen Honorarempfehlungen abgeschafft haben, ist die Transparenz der Anwaltshonorare auch in der Schweiz ein Thema. Nunmehr fehlen in allen Kantonen Richtlinien für den Fall, dass das Honorar zwischen Anwalt und Mandant nicht beweisbar vereinbart wurde. Nach Ansicht der für die Beurteilung der Angemessenheit von Anwaltshonoraren zuständigen Honorarkommission des Zürcher Anwaltsverbandes ist die mangelnde Kommunikation über die Vergütung in jedem zweiten Fall die Ursache für den Gebührenstreit zwischen Anwalt und Mandant. Obwohl das Berufsrecht von den Anwälten eine Verständigung über die Grundzüge der Honorierung bereits zu Beginn des Mandats verlange, legten die meisten Vertreter des Berufsstandes in Honorarfragen eine erhöhte Zurückhaltung an den Tag. Dabei empfehle sich schon aus Beweisgründen eine schriftliche Honorarvereinbarung, da es im Streitfall dem Anwalt obliege, den Beweis für die Vereinbarung zu erbringen. (BD)

Dokumentationszentrum f r Europ isches Anwalts- und Notarrecht an der Universit t zu K ln

Das Dokumentationszentrum f r Europ isches Anwalts- und Notarrecht an der Universit t zu K ln ist eine gemeinsame Forschungseinrichtung der Universit t zu K ln, des Deutschen Anwaltvereins, der Bundesrechtsanwaltskammer und der Bundesnotarkammer. Direktor: Prof. Dr. Martin Henssler, Albertus-Magnus-Platz, 50923 K ln, Tel. 0221-4702935, Fax: 0221-4704918, www.anwaltsrecht.org.

AnwBl 1 / 2007

63

MN

Mitteilungen

Berufsrecht _______________________________________________________

Das anwaltliche Umgehungsverbot Ein berufsrechtlicher Appell zu § 12 BORA Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Hartung, Mo¨nchengladbach

Die von der Satzungsversammlung erlassene Berufsordnung enthält auch Regeln für den Umgang unter Kollegen. Dazu gehört das Verbot für den Anwalt, unmittelbar unter Umgehung des Gegenanwalts mit dessen Mandanten Kontakt aufzunehmen. Der Autor stellt die Vorschrift vor und plädiert für eine einschränkende Auslegung, soweit der Anwalt sich in eigener Sache vertritt – also sogleich Anwalt und Partei ist. Das anwaltliche Umgehungsverbot ist in § 12 BerufsO geregelt. Die Vorschrift lautet: (1) Der Rechtsanwalt darf nicht ohne Einwilligung des Rechtsanwalts eines anderen Beteiligten mit diesem unmittelbar Verbindung aufnehmen oder verhandeln. (2) Dieses Verbot gilt nicht bei Gefahr im Verzuge. Der Rechtsanwalt des anderen Beteiligten ist jedoch unverzüglich zu unterrichten; von schriftlichen Mitteilungen ist ihm eine Abschrift unverzüglich zu übersenden. In der anwaltlichen Praxis ist immer wieder festzustellen, dass dieses Verbot nicht bekannt ist oder falsch interpretiert wird. So kommt es nicht selten vor, dass ein Rechtsanwalt zu einem Gerichtstermin erscheint und seine Partei im Gespräch mit dem Gegenanwalt antrifft. Auf Befragen, was Inhalt des Gesprächs sei, erklärt der gegnerische Rechtsanwalt, dass man sich gerade über eine Beendigung des Rechtsstreits durch Abschluss eines Vergleichs unterhalte. Ist ein solches Gespräch erlaubt? Ein anderer Fall: Ein Mandant bezweifelt die Höhe des ihm von seinem Rechtsanwalt berechneten Honorars. Der von ihm zur Überprüfung der Honorarrechnung beauftragte Rechtsanwalt fordert, dass die Korrespondenz ausschließlich mit ihm geführt wird. Darf der Rechtsanwalt, dessen Honorarrechnung im Streit ist, mit seinem bisherigen Mandanten unmittelbar korrespondieren oder mit ihm über einen Vergleich über die Höhe des berechneten Honorars verhandeln? Da solche oder ähnliche Fragen zum anwaltlichen Umgehungsverbot immer wieder auftauchen, erscheint es angezeigt, den Blick der Anwaltschaft – gerade in Zeiten eines immer größer werdenden Konkurrenzdrucks – zu schärfen und sie an die sich aus dem Umgehungsverbot ergebenden Pflichten, aber auch an die Rechte zu erinnern, die in bestimmten Ausnahmefällen bestehen. Auch die Vorstände der Rechtsanwaltskammern sind angesprochen. Sie sollten Verstößen gegen das Verbot einen höheren Stellenwert beimessen.

I. Bedeutung und Normzweck Das Verbot der Umgehung des Gegenanwalts ist „ältesten Ursprungs“. Es bildet ein Fundament anwaltlicher Berufsausübung und des anwaltlichen Berufsrechts.1 Umso mehr verwundert es, dass der Gesetzgeber dieses Verbot nicht zu einer Grundpflicht im Sinne des § 43 a BRAO erhoben hat. 64

AnwBl 1 / 2007

Möglicherweise ist das darauf zurückzuführen, dass das Umgehungsverbot früher der zum „anwaltlichen Binnenraum“ gehörenden Kollegialitätspflicht zugeordnet war, die es seit den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juli 19872 nicht mehr gibt. Diese Betrachtungsweise rückte das Umgehungsverbot in den Bereich der Berufsmoral und ließ seine berufsrechtliche Bedeutung verblassen. Deshalb ist eine Rückbesinnung auf das von der Satzungsversammlung geschaffene, in § 12 BerufsO neu statuierte Umgehungsverbot dringend geboten. Wer sich zum ersten Mal mit dem Umgehungsverbot befasst, den überrascht es, dass dessen Sinn und Zweck nur sekundär auf den Schutz des umgangenen Rechtsanwalts gerichtet sind und im Vordergrund der Schutz des gegnerischen Mandanten steht. Dieser soll davor geschützt werden, dass er unter Umgehung seines Rechtsanwalts persönlich angesprochen und zur Abgabe ihn benachteiligender Erklärungen bewogen wird, die er bei vorheriger Beratung mit seinem Rechtsanwalt nicht abgegeben hätte. In der Umgehung seines Rechtsanwalts liegt eine Missachtung des dem gegnerischen Mandanten zustehenden Rechts, sich durch seinen Rechtsanwalt beraten und vertreten zu lassen.3 In gerichtlichen Verfahren kann eine Umgehung des Gegenanwalts zudem zu einer Erschwerung des Prozessbetriebs führen.4 Das ist beispielsweise der Fall, wenn der gegnerische Mandant im Termin zur mündlichen Verhandlung erklärt, aufgrund des Gesprächs mit seinem Gegenanwalt einen Vergleich schließen zu wollen, wovon sein eigener Rechtsanwalt in diesem Termin erstmalig erfährt und vom Abschluss eines Vergleichs abrät und das Gericht die Sache vertagt, um den Parteien Gelegenheit zu geben, über eine vergleichsweise Erledigung des Rechtsstreits noch einmal zu verhandeln. Das Umgehungsverbot ist deshalb auch für die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und für das Funktionieren der Anwaltschaft als Organ der Rechtspflege unerlässlich.5

II. Anwendungsbereich Das von der Satzungsversammlung gemäß § 59 b Abs. 2 Nr. 8 BRAO6 statuierte berufsrechtliche Verbot der Umgehung des Gegenanwalts entspricht inhaltlich dem früheren § 24 RichtlRA. Absatz 1 enthält den Grundsatz, Absatz 2 regelt die Ausnahme. Die Regelung ist, vom Fall des Absatzes 2 abgesehen, abschließend.7

1 2 3 4 5 6 7

Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich, § 24 Rdn. 1. BVerfGE 76, 171 = NJW 1988, 191; BVerfGE 76, 196 = NJW 1988, 193. Feuerich AnwBl 1988, 502 (508); Kleine-Cosack, § 43 Rdn. 10; zum Recht auf freie Anwaltswahl vgl. BGHZ 109, 153 (159 f.) = NJW 1990, 578. J hnke NJW 1988, 1888 (1893). AnwG Karlsruhe BRAK-Mitt. 2004, 181. Das BVerfG sieht die Ermächtigungsnorm in § 59 b Abs. 2 Nr. 1 a BRAO, vgl. BVerfG NJW 2001, 3325. AnwG Karlsruhe BRAK-Mitt. 2004, 181 (182).

Anwaltliches Umgehungsverbot, Hartung

MN

Mitteilungen

1. „Rechtsanwalt eines anderen Beteiligten“ Der Wortlaut des § 12 Abs. 1 BerufsO macht nicht deutlich genug, dass die Vorschrift eine Verbots- und keine Gebotsnorm enthält, der Gegenanwalt also grundsätzlich nicht umgangen werden darf. Auch das mit der Vorschrift verfolgte Regel-Ausnahme-Verhältnis kommt nicht klar genug zum Ausdruck. Präziser, weil das Verbot deutlich herausstellend, war die von der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf in § 19 der Düsseldorfer Regeln vorgeschlagene Formulierung.8 Sie lautete: „Der Rechtsanwalt nimmt zu einer Gegenpartei, von der er weiß, dass sie in dieser Sache von einem anderen Rechtsanwalt vertreten wird, nicht unmittelbar Verbindung auf. Er verhandelt auch nicht mit ihr, es sei denn, der andere Rechtsanwalt hat zuvor eingewilligt. Dies gilt nicht bei Gefahr im Verzuge, wenn der andere Rechtsanwalt nicht erreichbar ist. In diesem Fall wird der andere Rechtsanwalt jedoch alsbald unterrichtet.“ Nicht umgangen werden darf der „Rechtsanwalt eines anderen Beteiligten“. Das ist der für den Gegner tätige Rechtsanwalt. Handelt es sich bei dem „Rechtsanwalt eines anderen Beteiligten“ um eine Sozietät oder um einen in einer anderen Organisationsform zur gemeinsamen Berufsausübung zulässigen Zusammenschluss von Rechtsanwälten, dürfen auch die Sozien, Partner, angestellten Rechtsanwälten und freien Mitarbeiter nicht umgangen werden. Gegen das Umgehungsverbot wird aber nicht verstoßen, wenn der Rechtsanwalt Verbindung zu einem anderen zur gegnerischen Sozietät gehörenden Sozietätsmitglied aufnimmt. § 12 Abs. 1 BRAO verbietet nur die Aufnahme einer Verbindung bzw. einer Verhandlung unmittelbar mit der Gegenpartei, nicht aber mit anderen Mitgliedern einer gegnerischen Berufsausübungsgemeinschaft. Voraussetzung ist immer, dass der „Rechtsanwalt eines anderen Beteiligten“ in derselben Rechtssache tätig ist.9 Das Umgehungsverbot erstreckt sich also nur auf das Rechtsverhältnis, mit dem Rechtsanwälte im widerstreitenden Interesse befasst sind. Vertritt ein Rechtsanwalt eine Partei in einer Mietsache, darf er zu der in dieser Mietsache anwaltlich vertretenen gegnerischen Partei in einer anderen Angelegenheit, in der diese nicht anwaltlich vertreten ist, unmittelbar in Verbindung treten und mit ihr auch verhandeln.10 2. Rechtsanwalt in eigener Sache Fraglich ist, ob das Umgehungsverbot auch gilt, wenn der Rechtsanwalt in eigener Sache tätig wird. Hierzu gibt es recht unterschiedliche Meinungen. Überholt ist die von Zuck vertretene Meinung, auch in eigener Sache sei der Rechtsanwalt an das Verbot gebunden, weil er sich innerhalb und außerhalb seines Berufs der Achtung und des Vertrauens würdig zu erweisen habe, die seine Stellung erfordert.11 Prütting behandelt dieses Problem unter der Fragestellung, ob von dem Umgehungsverbot nur der berufliche Kontakt erfasst ist und ob ein privater Kontakt zulässig bleibt, und vertritt die Auffassung, dass nur der berufliche Kontakt gemeint sein könne, weil es der Satzungsversammlung für eine Regelung des privaten Kontakts an einer Ermächtigungsgrundlage fehle.12 Feuerich beschränkt das Problem auf den Fall der Nachfolge im Mandat.13 Der Nachfolger im Mandat sei kein Gegenanwalt im Sinne des § 12 BerufsO, so dass der bisher beauftragte Rechtsanwalt mit seinem früheren Mandanten unmittelbar noch über die Gründe der MandatsAnwaltliches Umgehungsverbot, Hartung

beendigung und offene Honorarforderungen sprechen dürfe. Anders sei es, wenn der Mandant einen anderen Rechtsanwalt mit der Klärung offen stehender Honorarfragen beauftrage. Der Rechtsanwalt handele dann zwar in eigener Sache, wenn er eine Honorarforderung aus einem beendeten Mandat geltend mache, aber er missachte das Mandat des Kollegen und das Recht des früheren Mandanten aus § 3 Abs. 3 BRAO, wenn er sich unmittelbar an seinen früheren Mandanten wende.14 Das alles sind Teilaspekte, die das eigentliche Problem nicht lösen. Wann immer ein Rechtsanwalt in einer eigenen Rechtssache tätig wird, ist er Partei. Die Fesseln, die ihm das Berufsrecht als Berater und Vertreter einer Partei auferlegt, gelten aber nur für eine Tätigkeit des Rechtsanwalts im Fremdinteresse, also im Interesse seiner Mandanten. In eigenen Angelegenheiten ist es gleichgültig, ob der Rechtsanwalt in eine private oder in eine aus seiner beruflichen Tätigkeit abgeleitete Auseinandersetzung, beispielsweise über die Berechtigung seiner Honorarforderung, verwickelt ist. Im Zusammenhang mit der Pflicht zur Verschwiegenheit (§ 43 a Abs. 2 BRAO) ist das für den Bereich beruflicher Tätigkeit des Rechtsanwalts sogar in § 2 Abs. 3 BerufsO ausdrücklich geregelt. Danach ist der Rechtsanwalt an die Verschwiegenheitspflicht nicht gebunden, soweit die Durchsetzung oder Abwehr von Ansprüchen aus dem Mandatsverhältnis oder die Verteidigung des Rechtsanwalts in eigener Sache die Offenbarung erfordern (§ 2 Abs. 3 BerufsO). Was für die vom Gesetzgeber in § 43 a Abs. 2 BRAO geschaffene statusbildende Grundpflicht anwaltlicher Verschwiegenheit gilt, muss aber erst recht für die von der Satzungsversammlung beschlossene bloße Ordnungsvorschrift des § 12 BerufsO gelten. Sie kann Regeln nur für einen geordneten Umgang zwischen Rechtsanwälten aufstellen, die beruflich im Fremdinteresse tätig sind. In eigenen Rechtsangelegenheiten ist der Rechtsanwalt nicht schlechter gestellt als jede andere Partei. Ebenso wie es dieser erlaubt ist, mit ihrem Gegner unmittelbar in Verbindung zu treten und zu verhandeln, steht dieses Recht in eigener Sache auch dem Rechtsanwalt zu. Besonders deutlich wird das am Beispiel einer Scheidungssache, in der auf der Gegenseite ein Rechtsanwalt in eigener Sache steht. Wenn dieser Rechtsanwalt mit seiner Ehefrau, obwohl diese anwaltlich vertreten ist, über die Folgen seiner Ehescheidung verhandeln will, wäre es geradezu grotesk, ihn an das Umgehungsverbot zu binden. Die anwaltliche Berufsordnung kann Gespräche und Verhandlungen zwischen Eheleuten über ihre familienrechtliche Probleme nicht verbieten, selbst wenn einer der Ehepartner von Beruf Rechtsanwalt und der andere anwaltlich vertreten ist. Nichts anderes gilt für alle anderen Rechtsangelegenheiten, in die ein Rechtsanwalt persönlich, privat oder beruflich, verwickelt wird.

8 Abgedruckt in AnwBl 1988, 521 ff.; dazu Hartung AnwBl 1988, 516. 9 Pr tting, in: Henssler/Prütting, § 12 BORA Rdn. 3. 10 Feuerich, in: Feuerich/Weyland, § 12 BORA Rdn. 5; Hartung, Anwaltliche Berufsordnung, 3. Aufl., § 12 BerufsO Rdn. 9. 11 Zuck, in: Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich, Kommentar zu den Grundsätzen des anwaltliche Standesrechts, 2. Aufl., 24 Rdn. 3. 12 Pr tting, in: Henssler/Prütting, § 12 BORA Rdn. 5. 13 Feuerich, in: Feuerich/Weyland, § 12 BORA Rdn. 4. 14 A. A. Zuck, in: Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich, § 24 Rdn. 3.

AnwBl 1 / 2007

65

MN

Mitteilungen

3. Aufnahme unmittelbarer Verbindung bzw. Verhandlung § 12 Abs. 1 BerufsO stellt seinem Wortlaut nach auf den Fall ab, dass der Rechtsanwalt aktiv die unmittelbare Verbindung zu seinem Gegner sucht. Das Verbot gilt aber auch dann, wenn eine anwaltlich vertretene Partei sich unter Umgehung ihres eigenen Rechtsanwalts unmittelbar an den Gegenanwalt wendet. Auch der von einer gegnerischen Partei unmittelbar angesprochene Rechtsanwalt verstößt gegen § 12 Abs. 1 BerufsO, wenn er sich auf Gespräche einlässt, solange er nicht gewiss sein kann, dass die gegnerische Partei das Mandatsverhältnis zum eigenen Rechtsanwalt gelöst hat. Dasselbe gilt, wenn die gegnerische Partei an den Rechtsanwalt schriftlich herantritt. Enthalten mündliche oder schriftliche Mitteilungen der gegnerischen Partei einseitige Willenserklärungen wie Kündigung, Anfechtung etc., werden solche einseitigen Willenserklärungen allerdings trotz Umgehung des Gegenanwalts wirksam, es sei denn, dass der Rechtsanwalt zum Empfang solcher einseitigen Willenserklärungen nicht bevollmächtigt ist (§ 180 BGB). Nicht anwendbar ist § 12 BerufsO, wenn ein Rechtsanwalt unangekündigt den Erlass eines Versäumnisurteils beantragt, selbst wenn auch die Gegenpartei anwaltlich vertreten ist. § 13 BerufsO, der ein solches Verbot enthielt, ist vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden.15 Das Umgehungsverbot erfasst auch Verhandlungen eines Rechtsanwalts mit dem vor dem Gerichtssaal wartenden Gegner, wenn dessen Rechtsanwalt noch nicht anwesend ist. Es ist immer wieder zu beobachten, dass vor dem Gerichtssaal wartende Parteien von einem der am Verfahren beteiligten Rechtsanwälte in Abwesenheit des Gegenanwalts angesprochen und in ein Gespräch über den anhängigen Rechtsstreit verwickelt werden. Auch hierin liegt ein Verstoß gegen § 12 BerufsO.

III. Ausnahmen Das Verbot des § 12 Abs. 1 BerufsO wird nicht verletzt, wenn der Rechtsanwalt, mit dessen Partei unmittelbar Verbindung aufgenommen oder verhandelt werden soll, darin einwilligt. Der Begriff der Einwilligung ist im Sinne von § 183 BGB als vorherige Zustimmung zu verstehen. Eine nachträgliche Zustimmung (Genehmigung) beseitigt den berufswidrigen Verstoß gegen § 12 BerufsO nicht. § 12 Abs. 2 BerufsO lässt neben der Einwilligung als weitere Ausnahme den Fall der Gefahr im Verzuge zu. Diese muss stets der eigenen Partei drohen. Sie besteht nicht schon deshalb, weil der gegnerische Rechtsanwalt nicht erreichbar ist. Das gilt selbst dann, wenn der eigenen Partei bei Beachtung des Umgehungsverbots wesentliche wirtschaftliche Nachteile entstehen würden. Gefahr im Verzuge ist auch anzunehmen, wenn einseitige Willenserklärungen abgegeben werden müssen und zu befürchten ist, dass der Gegenanwalt zur Empfangnahme nicht bevollmächtigt ist und deshalb die Erklärung zurückweisen wird (§ 180 BGB). Das gilt erst recht, wenn die abzugebende Willenserklärung (z. B. Kündigung, Anfechtung) fristgebunden ist und für den Fall der Zurückweisung aus Gründen fehlender Vollmacht nicht genügend Zeit bleibt, die Willenserklärung fristgerecht zu wiederholen. 66

AnwBl 1 / 2007

IV. Rechtsfolgen eines Verstoßes 1. Unverzügliche Unterrichtung § 12 Abs. 2 BerufsO verpflichtet den Rechtsanwalt, der wegen Gefahr im Verzuge gegen das Umgehungsverbot in zulässiger Weise verstößt, den Gegenanwalt unverzüglich zu unterrichten und diesem von schriftlichen Mitteilungen unverzüglich Abschriften zu übersenden. „Unverzüglich“ bedeutet ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB). Im Regelfall ist zu verlangen, dass an die gegnerische Partei gerichtete Schriftstücke zeitgleich und auf demselben Versandweg auch dem Gegenanwalt zugeleitet werden. 2. Aufsichtsmaßnahmen Eine Verletzung des § 12 Abs. 1 BerufsO ist ein besonders schwerwiegender Verstoß gegen anwaltliches Berufsrecht. Deshalb ist eine Rüge durch den Kammervorstand gemäß § 74 BRAO in der Regel kaum eine ausreichende Ahndung. Der Kammervorstand sollte vielmehr einen Verstoß gegen § 12 Abs. 1 BerufsO der Generalstaatsanwaltschaft (§ 120 BRAO) mitteilen und eine anwaltsgerichtliche Maßnahme gemäß § 113 BRAO anregen, sofern nicht im Einzelfall besondere Umstände eine mildere Beurteilung rechtfertigen. Bei einem Verstoß gegen § 12 Abs. 2 BerufsO wird eine Rüge des Kammervorstandes ausreichen. 3. Zivilrechtliche Folgen Ein Verstoß gegen das in § 12 Abs. 1 BerufsO bestimmte Verbot führt weder zur Nichtigkeit eines verbotswidrig zu Stande gekommenen Vertrags nach § 134 BGB noch ohne weitere Umstände zu seiner Nichtigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB.16 § 12 BerufsO wendet sich nicht gegen den Inhalt des unter Verstoß gegen diese Bestimmung abgeschlossenen Rechtsgeschäfts, sondern gegen die Umstände seines Abschlusses. Zweck des Verbots ist der Schutz des gegnerischen Rechtsanwalts und des gegnerischen Mandanten sowie der Schutz der Rechtsprechung vor der Belastung mit Auseinandersetzungen, die ihren Grund in Einlassungen der von ihrem Rechtsanwalt nicht beratenden Partei finden.17 4. Wettbewerbsrechtliche Folgen Eine gegen § 12 BerufsO verstoßende unmittelbare Kontaktaufnahme mit dem anwaltlich vertretenen Gegner löst keinen Unterlassungsanspruch nach § 1 UWG aus. § 12 BerufsO dient nicht dem Zweck, die Verhältnisse auf dem Markt zu regeln, auf dem die Rechtsanwälte miteinander in Wettbewerb stehen.18 Auch die §§ 823, 1004 BGB greifen nicht ein, weil der Verstoß gegen das Umgehungsverbot keinen unmittelbaren Eingriff in die Berufsausübung des umgangenen Rechtsanwalts darstellt, sonder allenfalls zu einer mittelbaren Beeinträchtigung führen könnte, die vom Schutzzweck des § 823 Abs. 1 BGB nicht erfasst wird.19

15 16 17 18

BVerfG NJW 2000, 347. BGH NJW 2003, 3692 = MDR 2004, 117 m. Anm. Kilian = AnwBl 2004, 126. BVerfG NJW 2001, 3325 (3326). OLG Köln NJW-RR 2003, 783 (Ergänzung zu BGH NJW 2001, 1089); OLG Nürnberg NJW 2005, 158 = BRAK-Mitt. 2004, 288. 19 OLG Nürnberg NJW 2005, 158 (159) = BRAK-Mitt. 2004, 288.

Anwaltliches Umgehungsverbot, Hartung

MN

Mitteilungen

V. Verfassungsmäßigkeit § 12 BerufsO greift in die Berufsausübungsfreiheit des Rechtsanwalts in verfassungsrechtlich zulässiger Weise ein (BVerfG NJW 2001, 3325). Der Eingriff ist zum Schutz der Funktionsfähigkeit der Rechtsanwaltschaft als Teil der Rechtspflege unerlässlich, erforderlich und geeignet, diesen Schutz zu verwirklichen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist gewahrt. Auch liegt kein Verstoß gegen das Bestimmtheitserfordernis vor. Die Satzungsversammlung sollte allerdings bei einer Überarbeitung der Berufsordnung ausdrücklich regeln, dass das Umgehungsverbot nicht gilt, wenn der Rechtsanwalt in eigener Sache tätig wird.

RVG-Frage des Monats _______________________________________________________

Formbedürftigkeit der Gebührenvereinbarung für anwaltliche Beratung* Rechtsanwalt und Notar Dr. Guido Toussaint, Berlin

Der Beitrag untersucht, inwieweit für die Gebührenvereinbarung nach § 34 RVG das Schriftformerfordernis des § 4 RVG eingehalten werden muss.

VI. Zusammenfassung Das in § 12 BerufsO geregelte Umgehungsverbot ist ein Grundpfeiler anwaltlicher Berufsausübung und dennoch im Bewusstsein mancher Rechtsanwälte nicht (mehr) fest verankert. Deshalb ist es angezeigt, die Anwaltschaft in Bezug auf das in § 12 BerufsO geregelte Umgehungsverbot zu sensibilisieren. Die Vorstände der Rechtsanwaltskammern sollten Verstößen gegen das Verbot einen höheren Stellenwert einräumen. Besondere Aufmerksamkeit verdient das in § 12 BerufsO nicht geregelte Problem, ob das Umgehungsverbot auch gilt, wenn der Rechtsanwalt in eigener Sache tätig wird. Insoweit erscheint eine Ergänzung des § 12 BerufsO durch die Satzungsversammlung in dem Sinne angebracht, dass das Verbot in diesem Fall ohne Ausnahme nicht gilt.

Dr. Wolfgang Hartung, M nchengladbach

Der Autor ist Rechtsanwalt. Er ist Herausgeber des Kommentars „Anwaltliche Berufsordnung“ aus dem Verlag C. H. Beck.

1. Beratungsvergütung und Schriftform Zum 1. Juli 2006 sind die bisherigen gesetzlichen Vergütungstatbestände für anwaltliche Beratungstätigkeit (RVG VV 2100-2103 a. F.) aufgehoben worden. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 RVG n. F. soll der Rechtsanwalt nunmehr für einen mündlichen oder schriftlichen Rat oder eine Auskunft, für die Ausarbeitung eines schriftlichen Gutachtens und für die Tätigkeit als Mediator auf den Abschluss einer Gebührenvereinbarung hinwirken. Wird eine solche Gebührenvereinbarung nicht abgeschlossen, richtet sich gem. § 34 Abs. 1 Satz 2 RVG n. F. der Gebührenanspruch nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts, mithin nach den §§ 612 Abs. 2, 632 Abs. 2, 316, 315 BGB (und damit – da das Fehlen einer Vereinbarung Tatbestandsvoraussetzung ist und eine „taxmäßige Vergütung“ mit der Aufhebung der gesetzlichen Vergütungstatbestände nicht mehr existiert – im Ergebnis nach der „üblichen Vergütung“ oder, nur1 wenn eine solche fehlt, nach einer Bestimmung durch den Rechtsanwalt nach billigem Ermessen). Ist der Auftraggeber Verbraucher, ist der bei Fehlen einer Vereinbarung nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu bemessende Gebührenanspruch überdies gem. § 34 Abs. 1 Satz 3 RVG n. F. für Beratung und Gutachtenerstellung auf E 250 und für eine Erstberatung auf E 190 „gedeckelt“. Diese Neuregelung ist nicht Folge einer nachträglichen Änderung des RVG, sondern war bereits von vornherein – als Art. 5 – im Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts vom 5. Mai 20042, als dessen Art. 3 das RVG verkündet worden ist, vorgesehen. Der Gesetzgeber versprach sich hiervon eine Deregulierung des Anwaltsmarktes und eine Förderung des Abschlusses von Gebührenvereinbarungen.3 In der Literatur ist rasch eine Kontroverse darüber entstanden, in welchem Verhältnis die in § 34 Abs. 1 Satz 1 RVG n. F. (ebenso wie in dem nur die Mediation regelnden § 34 Satz 1 RVG a. F.) angesprochene „Gebührenvereinbarung“ zu der Vergütungsvereinbarung i. S. d. § 4 RVG steht. Dabei geht es insbesondere um die Frage, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen die Gebührenvereinbarung für Beratungs*

Anmerkung der Redaktion: Vgl. zu dem Thema auch den Beitrag von Henke, Gelten die Formvorschriften des § 4 RVG für die Beratungsvergütung?, AnwBl 2006, 653.

1

Vgl. BGH, Urt. v. 19.12.1953 – II ZR 189/52, LM § 316 BGB Nr. 1; Urt. v. 4.4.2006 – X ZR 122/05, BGHZ 167, 139 ff. = NJW 2006, 2472 ff. (Rn. 7 ff.). BGBl. I S. 718, 847. Vgl. Begr. des Entwurfs der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP eines Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts, BT-Drs. 15/1971, S. 3, 147, 238 f.; Begr. des (gleichlautenden) Entwurfs der Bundesregierung, BT-Drs. 15/2403, S. 2; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu beiden Entwürfen, BT-Drs. 15/2487, S. 3.

2 3

Formbed rftigkeit der Geb hrenvereinbarung, Toussaint

AnwBl 1 / 2007

67

MN

Mitteilungen

tätigkeit, Gutachtenerstellung und Mediation etwa der Schriftform bedarf. Im Hinblick auf hier gesehene Unklarheiten wird vielfach die Empfehlung für die Praxis ausgesprochen, den „sichersten Weg“ zu gehen und die Gebührenvereinbarung schriftlich abzuschließen.4 2. Gebührenvereinbarung formfrei möglich Im Ergebnis kann indessen nach Wortlaut, Systematik und Zweck der §§ 34 Abs. 1, 4 Abs. 1 RVG kein Zweifel daran bestehen, dass eine Gebührenvereinbarung im Bereich der anwaltlichen Beratungs-, Gutachter- oder Mediationstätigkeit grundsätzlich formfrei wirksam ist. Unbedeutend hierfür ist freilich die in der Literatur5 gelegentlich hervorgehobene begriffliche Unterscheidung zwischen der „Vergütungsvereinbarung“ in § 4 Abs. 1 RVG und der „Gebührenvereinbarung“ in § 34 Abs. 1 RVG. Nach der Klammerdefinition in § 1 Abs. 1 Satz 1 RVG ist „Vergütung“ der Oberbegriff für „Gebühren“ und die in Teil 7 des Vergütungsverzeichnisses geregelten Auslagen. Für die anwaltliche Beratungs-, Gutachter- oder Mediationstätigkeit bedürfen nur die – nicht (mehr) im Vergütungsverzeichnis geregelten Gebühren einer Vereinbarung, während der Anspruch auf Auslagenersatz sich aus dem Gesetz, nämlich aus dem auch auf diese Tätigkeit anzuwendenden Teil 7 des Vergütungsverzeichnisses ergibt, und daher nicht unbedingt einer Vereinbarung bedarf.6 Insoweit ist es terminologisch vollkommen korrekt, wenn § 34 Abs. 1 RVG – nur – von einer „Gebührenvereinbarung“ spricht.7 Daraus folgt aber nicht, dass § 4 RVG auf diese Gebührenvereinbarung nicht anwendbar ist, weil der dort verwendete Begriff der „Vergütungsvereinbarung“ umfassender ist und gerade auch eine Vereinbarung (nur) über Gebühren einschließt. Auch wenn somit § 4 RVG auf die Vereinbarung über die Gebühren für anwaltliche Beratungs-, Gutachter- oder Mediationstätigkeit uneingeschränkt – z. B. hinsichtlich einer Herabsetzung einer unangemessen hohen vereinbarten Vergütung nach § 4 Abs. 4 RVG8 – anwendbar ist, ergibt sich aus der insoweit eindeutigen gesetzlichen Regelung gleichwohl kein gesetzlicher Formzwang für eine solche Vereinbarung. § 4 Abs. 1 RVG schreibt (wie schon § 3 Abs. 1 BRAGO) keine Schriftform für die Vergütungsvereinbarung als solche vor. Vielmehr ist nach dieser Vorschrift eine Vergütungsvereinbarung, bei der die für den Abschluss erforderliche Willenserklärung (nur) des Auftraggebers nicht schriftlich (oder in der Vollmacht bzw. im Zusammenhang mit anderen Erklärungen) abgegeben ist, nur hinsichtlich des Teils der vereinbarten Vergütung unwirksam, der die gesetzliche Vergütung überschreitet. Eine solche Überschreitung ist im Bereich der anwaltliche Beratungs-, Gutachteroder Mediationstätigkeit jedoch nicht möglich. Das ist aber nicht etwa deshalb der Fall, weil – wie gelegentlich vertreten wird9 – nunmehr die durch die Gebührenvereinbarung i. S. d. § 34 Abs. 1 Satz 1 RVG vereinbarte Vergütung die „gesetzliche Vergütung“ sei, so dass eine Überschreitung schon begrifflich ausgeschlossen sei. Eine vereinbarte Vergütung ergibt sich aus Vertrag und nicht aus Gesetz und ist daher keine „gesetzliche Vergütung“.10 Mangels entsprechender Vergütungstatbestände im Gesetz gibt es vielmehr überhaupt keine „gesetzliche Vergütung“ mehr, die überschritten werden könnte.11 Unrichtig ist auch die gelegentlich vertretene Auffassung, die „gesetzliche Vergütung“ ergebe sich durch den Verweis in § 34 Abs. 1 Satz 2 RVG auf das BGB nunmehr aus § 612 Abs. 2 BGB bzw. (für Gutachtertätigkeit) aus 68

AnwBl 1 / 2007

§ 632 Abs. 2 BGB, so dass die Überschreitung der „üblichen Vergütung“ der Schriftform bedürfe.12 Dies ist allerdings nicht etwa deshalb unrichtig, weil eine „gesetzliche Vergütung“ nur eine solche sei, die im RVG geregelt ist.13 Sie ist aber deshalb unrichtig, weil die §§ 612 Abs. 2, 632 Abs. 2 BGB keine gesetzliche Vergütung regeln, sondern eine gesetzliche Auslegungsregel für die Ermittlung der (nur nicht ausdrücklich der Höhe nach) vereinbarten Vergütung enthalten.14 Damit ist eine Gebührenvereinbarung im Bereich anwaltlicher Beratungs-, Gutachter- oder Mediationstätigkeit grundsätzlich unabhängig von der Höhe der vereinbarten Vergütung formfrei wirksam. Dies entspricht auch der gesetzgeberischen Intention. Wie bereits erwähnt wurde, wollte der Gesetzgeber durch § 34 RVG n. F. den Abschluss von Gebührenvereinbarungen gerade fördern15 und auch erleichtern16. § 4 Abs. 1 RVG verfolgt demgegenüber (wie § 3 Abs. 1 BRAGO) den Zweck, den Auftraggeber davor zu schützen, Vergütungsvereinbarungen abzuschließen, durch die er sich zu mehr verpflichtet, als ihm gesetzlich obliegt, unüberlegt, leichtfertig oder ohne sich überhaupt dessen bewusst zu werden.17 Diesem Schutzzweck entspricht es, gewisse gesetzliche „Hürden“ auf dem Weg zu einer wirksamen Vergütungsvereinbarung aufzustellen. Es wäre widersprüchlich, wenn der Gesetzgeber auf der einen Seite auf den Abschluss von Gebührenvereinbarungen hinwirken wollte, auf der anderen Seite eben diesen Abschluss aber erschweren würde. Gerade in der täglichen Beratungspraxis, bei der es heute vielfach zu nur durch moderne Kommunikationsmittel wie Telefon, Fax oder E-Mail vermittelten Kontakten zwischen Anwalt und Auftraggeber kommt, wären die von § 4 Abs. 1 RVG aufgestellten Anforderungen praktisch kaum einzuhalten. Die Forderung, auch eine Gebührenvereinbarung i. S. d. § 34 Abs. 1 Satz 1 RVG formellen Wirksam4

5 6 7

8 9 10 11

12

13 14 15 16 17

So etwa von Sell-Kanyi, in: Goebel/Gottwald, RVG, 2004, § 34 Rn. 13; Schmahl, in: Riedel/Sußbauer, RVG, 9. Aufl. 2005, § 34 Rn. 17; Teubel/Winkler, in: Mayer/Kroiß, RVG, 2. Aufl. 2006, § 34 Rn. 83; Hartung, in: Hartung/R mermann/Schons, RVG, 2. Aufl. 2006, § 34 Rn. 47; Hinne/Klees/Teubel/Winkler, Vereinbarungen mit Mandanten, 2006, Rn. 205; Streck, AnwBl. 2006, 149 ff., 149 f.; N. Schneider, NJW 2006, 1905 ff., 1907; ders., RVGreport 2006, 201 ff., 203; ders., ZAP, Fach 24, S. 981 ff., 985. Für Zwecke der Beweiserleichterung ist eine Dokumentierung der Gebührenvereinbarung sicherlich uneingeschränkt sinnvoll, doch dürfte hierfür regelmäßig etwa auch die Textform des § 126b BGB genügen. So im Zusammenhang mit der Frage der Formbedürftigkeit der Vereinbarung insbes. von Mayer, AnwBl. 2006, 160 ff., 167; ders., NJ 2006, 241 ff., 245. Vgl. N. Schneider, NJW 2006, 1905 ff., 1905; ders., RVGreport 2006, 201 ff., 202; Kilian, BB 2006, 1509 ff., 1510. Ob dies dem Gesetzgeber wirklich bewusst war, ist allerdings durchaus zweifelhaft, denn in den Begründung zum Gesetzentwurf werden die Begriffe „Vergütungsvereinbarung“ und „Gebührenvereinbarung“ gelegentlich als Synonyme gebraucht (vgl. BT-Drs. 15/1971, S. 204, 239). Ein Redaktionsversehen durch die Verwendung des Begriffs „Gebührenvereinbarung“ (anstelle von „Vergütungsvereinbarung“) vermutet Teubel/Winkler, in: Mayer/Kroiß, RVG, 2. Aufl. 2006, § 34 Rn. 76. Vgl. etwa Hartmann, Kostengesetze, 36. Aufl. 2006, § 34 RVG Rn. 27. So von Teubel/Winkler, in: Mayer/Kroiß, RVG, 2. Aufl. 2006, § 34 Rn. 82; Mayer, AnwBl. 2006, 160 ff., 167; ders., NJ 2006, 241 ff., 245. Vgl. Kilian, BB 2006, 1509 ff., 1514. So auch die h.M., vgl. Schmahl, in: Riedel/Sußbauer, RVG, 9. Aufl. 2005, § 34 Rn. 17 (zu § 34 RVG a. F.); AnwKomm-RVG-Rick, 3. Aufl. 2006, § 34 Rn. 9; Hartung, in: Hartung/R mermann/Schons, RVG, 2. Aufl. 2006, § 34 Rn. 47; Hartmann, Kostengesetze, 36. Aufl. 2006, § 34 RVG Rn. 27; Kr mer/Mauer/Kilian, Vergütungsvereinbarung und management, 2005, Rn. 630; Hinne/Klees/Teubel/Winkler, Vereinbarungen mit Mandanten, 2006, Rn. 204; Kilian, NJW 2005, 3104 ff., 3105 (Fn. 23); ders., BB 2006, 1509 ff., 1514. So Madert, in: Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/M ller-Rabe, RVG, 16. Aufl. 2004, § 34 Rn. 7; Sell-Kanyi, in: Goebel/Gottwald, RVG, 2004, § 34 Rn. 13 (jeweils zu § 34 RVG a. F.). In diesem Sinne aber N. Schneider, NJW 2006, 1905 ff., 1907; ders., RVGreport 2006, 201 ff., 203; ders., ZAP, Fach 24, S. 981 ff., 985. Vgl. nur Richardi, in: Staudinger, §§ 611-615, Neubearbeitung 2005, § 612 Rn. 34; MünchKomm-BGB-Busche, Bd. 4, 4. Aufl. 2005, § 632 Rn. 19. Vgl. o. bei Fn. 3. Vgl. insbes. BT-Drs. 15/1971, S. 239. Vgl. – zu § 3 Abs. 1 BRAGO – BGH, Urt. v. 16.9.1971 – VII ZR 312/69, BGHZ 57, 53 ff., 57.

Formbed rftigkeit der Geb hrenvereinbarung, Toussaint

MN

Mitteilungen

keitserfordernissen zu unterwerfen, würde den Willen des Gesetzgebers, den Abschluss solcher Vereinbarungen zu fördern, daher unterlaufen. 3. Schriftform und Kappungsbeträge Aus der Erkenntnis, dass eine Gebührenvereinbarung i. S. d. § 34 Abs. 1 Satz 1 RVG solchen formellen Wirksamkeitserfordernissen nicht unterliegen kann, ergibt sich freilich ein anderes, vom Gesetzgeber wohl nicht bedachtes und in der Folge unzureichend gesetzlich geregeltes Problem: Gilt die Formfreiheit auch für ein Überschreiten der in § 34 Abs. 1 Satz 3 RVG geregelten, gegenüber Verbrauchern geltenden Höchstsätze für Beratung und Gutachtenerstellung (E 250) bzw. ein erstes Beratungsgespräch (E 190)? Nach der „Konstruktion“ des § 34 Abs. 1 Satz 3 RVG ist die dort geregelte Gebührenbeschränkung – anders als die Erstberatungsgebühr nach § 20 Abs. 1 Satz 2 BRAGO – keine Begrenzung einer gesetzlichen Vergütung und damit kein Teil der Gesamtregelung der gesetzlichen Vergütung, sondern eine Begrenzung der mangels ausdrücklicher Vereinbarung durch ergänzende Auslegung des Beratungs- bzw. Gutachtenvertrags unter Heranziehung der §§ 612 Abs. 2, 632 Abs. 2 BGB zu ermittelnden vertraglichen Vergütung. Ist eine Gebührenvereinbarung formfrei wirksam, gelangt man daher gar nicht erst zur Anwendung des § 34 Abs. 1 Satz 3 RVG, so dass der Wortlaut der Norm nahe legt, die aufgeworfene Frage nach der Möglichkeit einer formlosen Abbedingung der Höchstsätze zu bejahen. Es ist aber mehr als zweifelhaft, ob dies der Intention des Gesetzgebers entspricht. Bereits unter der Geltung des § 20 Abs. 1 Satz 2 BRAGO war es – freilich unter Einhaltung der Formvorschriften des § 3 Abs. 1 BRAGO – zulässig, die Erstberatungsgebühr durch eine Vergütungsvereinbarung abzubedingen,18 so dass die sich hieraus ergebende Beschränkung der Gebührenhöhe im Ergebnis nur galt, wenn keine abweichende Vergütungsvereinbarung wirksam abgeschlossen wurde. Die Regelung in § 34 Abs. 1 Satz 3 RVG, dass die Gebührenbeschränkung nur bei Fehlen einer Gebührenvereinbarung eingreift,19 enthält daher im Grundsatz keine Änderung gegenüber der Rechtslage nach der BRAGO. Eine Änderung würde sich aber dann ergeben, wenn die Abbedingung der Höchstsätze nunmehr, anders als nach der BRAGO, formfrei möglich wäre. Dass eine solche Änderung gewollt war, ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien nicht und ist auch sonst nicht erkennbar. Dies wäre auch wenig verständlich, da beide Vorschriften – § 34 Abs. 1 Satz 3 RVG und § 4 Abs. 1 RVG – (Verbraucher-)Schutzvorschriften sind, die nur im Zusammenwirken ihr Ziel erreichen können. 18 Vgl. nur Madert, in: Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, BRAGO, 15. Aufl. 2002, § 20 Rn. 15. 19 Im ursprünglichen Entwurf des § 34 Abs. 1 Satz 3 RVG lautete der Satzeingang noch: „Wenn der Auftraggeber Verbraucher ist, “ Nach der Begründung sollte dies nur den Fall erfassen, dass eine Gebührenvereinbarung nicht abgeschlossen wurde, vgl. BT-Drs. 15/1971, S. 239. Die – apodiktische – Entwurfsfassung war insoweit jedoch missverständlich, weil ihr Wortlaut eher so zu verstehen war, dass von einem Verbraucher niemals – also auch aufgrund einer Gebührenvereinbarung – mehr als die dort genannten Höchstsätze verlangt werden können. Nur zu Klarstellung hat der Rechtsausschuss daher die Aufnahme des Verweises auf Satz 2 und damit den Fall des Fehlens einer Gebührenvereinbarung vorgeschlagen, vgl. BT-Drs. 15/2487, S. 145. 20 So im Ergebnis auch Kr mer/Mauer/Kilian, Vergütungsvereinbarung und management, 2005, Rn. 630, und wohl auch Mayer, AnwBl. 2006, 160 ff., 167; ders., NJ 2006, 241 ff., 245. Ausdrücklich a.A. Hinne/Klees/Teubel/Winkler, Vereinbarungen mit Mandanten, 2006, Rn. 205; Kilian, BB 2006, 1509 ff., 1514. 21 Vgl. o. Fn. 9. 22 So wohl Mayer, AnwBl. 2006, 160 ff., 167; ders., NJ 2006, 241 ff., 245.

Formbed rftigkeit der Geb hrenvereinbarung, Toussaint

Es spricht damit alles dafür, ungeachtet der generellen Formlosigkeit der Gebührenvereinbarung i. S. d. § 34 Abs. 1 Satz 1 RVG eine wirksame Abbedingung der nur für Verbraucher geltenden Höchstsätze des § 34 Abs. 1 Satz 3 RVG von der Einhaltung der Formvorschrift des § 4 Abs. 1 RVG abhängig zu machen.20 Fraglich ist nur, wie sich dies mit dem Gesetzeswortlaut vereinbaren lässt. Relativ einfach wäre es, wenn man annimmt, die i. S. d. § 34 Abs. 1 Satz 1 RVG vereinbarte Gebühr sei die „gesetzliche Vergütung“ i. S. d. § 4 Abs. 1 RVG,21 weil dann die Höchstsätze nach Satz 3 als Teil der Regelung dieser „gesetzlichen Vergütung“ verstanden werden könnte.22 Wie bereits ausgeführt wurde, ist die vereinbarte Gebühr indessen nicht die „gesetzliche Vergütung“ i. S. d. § 4 Abs. 1 RVG. Zum Ergebnis kann damit wohl nur eine erweiternde Auslegung des § 4 Abs. 1 RVG führen: Mit In-Kraft-Treten des § 34 Abs. 1 RVG n. F. gehören zu der nur unter Beachtung des § 4 Abs. 1 RVG abzubedingenden „gesetzliche Vergütung“ nicht nur die positiven Vergütungsregelungen, sondern auch gesetzliche Vergütungsbeschränkungen wie § 34 Abs. 1 Satz 3 RVG. Sinnvollerweise sollte aber § 4 Abs. 1 RVG bei nächster Gelegenheit klarstellend ergänzt werden (etwa: „Aus einer Vereinbarung kann eine höhere als die gesetzliche Vergütung oder eine höhere Gebühr als nach § 34 Abs. 1 Satz 3 RVG nur gefordert werden, ...“). 4. Üblichkeit, Beweislast, Bestimmungsrecht? § 34 Abs. 1 RVG n. F. enthält weitere Ungereimtheiten, die des Nachdenkens lohnen. Soweit § 34 Abs. 1 Satz 2 RVG auf die §§ 612 Abs. 2, 632 Abs. 2 BGB verweist, stellt sich etwa die Frage, wie und von wem die „Üblichkeit“ der aus dem Vertrag geschuldeten Vergütung festgestellt wird. War vielleicht – bisher – die Abrechnung nach den aufgehobenen Gebührentatbeständen in RVG VV 2100–2103 a. F. üblich? Oder sind bei der anwaltlichen Beratung Stundenhonorare üblich? Oder vielleicht Pauschalhonorare? Die Beweislast hierfür trägt derjenige, der sich auf die „Üblichkeit“ beruft. Dass § 34 Abs. 1 Satz 3 RVG (nur für Verbraucher?) § 14 Abs. 1 RVG für entsprechend anwendbar erklärt, hilft hier nicht recht weiter, weil diese Vorschrift ein Bestimmungsrecht des Rechtsanwalts (etwa nach § 316 BGB) voraussetzt, ein solches Bestimmungsrecht im Anwendungsbereich der §§ 612 Abs. 2, 632 Abs. 2 BGB jedoch gerade ausgeschlossen ist bzw. nur dann existiert, wenn es an jeglichem objektiven Anknüpfungspunkt für eine Ermittlung der vereinbarten Vergütung fehlt. Auch hier bleibt die weitere Rechtsentwicklung abzuwarten.

Dr. Guido Toussaint, Berlin

Der Autor ist Rechtsanwalt und Notar.

AnwBl 1 / 2007

69

MN

Mitteilungen

Anwaltspraxis _______________________________________________________

Die Zukunft hat begonnen Neuerungen durch das EHUG* Richter am Amtsgericht Prof. Dr. Peter Ries, Berlin

Nach langen Beratungen ist das Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister („EHUG“) endlich in Kraft getreten.1 Dieses Gesetz schafft die Voraussetzungen für den elektronisch geführten Rechtsverkehr mit dem Handelsregister und die Einführung eines Unternehmensregisters. Es bezweckt, die Eintragung eintragungspflichtiger Tatbestände zu beschleunigen und die Informationsbeschaffung und Erfüllung von Publikationspflichten zu erleichtern. Durch das EHUG werden u. a. auch Vorgaben des Europäischen Parlaments erfüllt, wonach ab dem 1. Januar 2007 Unternehmensdaten elektronisch vorliegen müssen2 und kapitalmarktrechtliche Veröffentlichungen elektronisch erfolgen3. Der Beitrag erläuertert, welche wesentlichen Änderungen umgesetzt worden sind. 1. Elektronisches Handelsregister § 8 Absatz 1 HGB-neu sieht zwingend vor, dass alle Handelsregister von den Gerichten nur noch elektronisch geführt werden. Die Begründung des Gesetzesentwurfs (S. 94) spricht ausdrücklich davon, dass sich die Registerführung bei den Gerichten „bewährt“ hat. Eine Übertragung der Registerführung auf andere Stellen, wie z. B. die IHK, ist also offenbar vom Tisch. 2. Unternehmensregister § 8 b HGB-neu führt ein zentrales elektronisches Unternehmensregister ein. In diesem Unternehmensregister werden nach § 8 b Absatz 2 HGB-neu zugänglich gemacht: 9 Alle Eintragungen des Handelsregisters, Genossenschaftsregisters und Partnerschaftsregisters (§ 8 b Abs. 2 Nr. 1 bis 3 HGB-neu) 9 Alle Bekanntmachungen der vorgenannten Register und die zu diesem Register eingereichten Dokumente (§ 8 b Abs. 2 Nr. 1 bis 3 HGB-neu) 9 Unterlagen über die Rechnungslegung nach § 325 HGB und deren Bekanntmachung (§ 8 b Abs. 2 Nr. 4 HGB-neu) 9 Gesellschaftsrechtliche Bekanntmachungen (§ 8 b Abs. 2 Nr. 5 HGB-neu, wie z. B. Auflösung und Kapitalherabsetzung bei der GmbH) 9 Bestimmte Bekanntmachungen der Insolvenzgerichte, z. B. Verfügungsbeschränkungen, Eröffnungsbeschlüsse (§ 8 b Abs. 2 Nr. 11 HGB-neu) 9 Mitteilungen im Aktionärsforum nach § 127 a AktG, z. B. Aufforderung von Aktionären an andere Aktionäre, sich einem Antrag oder einem Verlangen anzuschließen (§ 8 b Abs. 2 Nr. 6 HGB-neu) 9 Kapitalmarktrechtliche Bekanntmachungen (§ 8 b Abs. 2 Nr. 7 bis 10 HGB-neu). Die aufgezählten Daten stellen nur einen Mindestinhalt dar, der in Zukunft noch ausgeweitet werden kann. Ergänzungen sind bereits im Regierungsentwurf vom 28. Juni 2006 für das Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz („TUG“, abzurufen unter www.bmj.de“) vorgesehen. Unter „zugänglich 70

AnwBl 1 / 2007

machen“ versteht das Gesetz, dass nicht unbedingt alle Daten in das Unternehmensregister eingestellt werden müssen, sondern dass links zu den Originaldatenbeständen ausreichen, gerade bezüglich der Daten von Handels-, Genossenschafts- und Partnerschaftsregistern und Bekanntmachungen der Insolvenzgerichte. Geführt wird dieses Unternehmensregister im Auftrag des Bundesministerium der Justiz („BmJ“) durch den elektronischen Bundesanzeiger, durch den schon heute eine Vielzahl der vorgenannten Informationen bekannt gemacht wird. Nach § 9 a Absatz 1 HGB-neu soll das BmJ die Möglichkeit haben, mit Zustimmung des Bundesrats auch andere juristische Personen des Privatrechts mit der Führung des Unternehmensregisters zu beauftragen. Nach der Einführung des Unternehmensregisters stehen Interessierten zwei Wege offen, relevante Daten aus den Handels-, Genossenschafts- und Partnerschaftsregistern abzurufen, nämlich direkt über das jeweilige Register oder zentral über das Unternehmensregister, wobei das Unternehmensregister nur eine Portalfunktion (zu den einzelnen Register) übernimmt und die vorgenannten Daten nicht selbst (doppelt) vorhält. Problematisch erscheint die Einstellung von Mitteilungen im Aktionärsforum nach § 127 a AktG im Unternehmensregister. Hier handelt es sich nicht um Mitteilungen des Unternehmens sondern um Mitteilungen der Aktionäre, auf die das Unternehmen keinen Einfluss hat.4 3. Einsichtnahme in das Handels- und Unternehmensregister § 9 HGB-neu regelt die Einsichtnahme in das Handels- und Unternehmensregister und die elektronische Übermittlung von Dokumenten. Gleiches gilt über § 156 GenG und § 5 Absatz 2 PartGG auch für Genossenschaftsregister und Partnerschaftsregister. Die Einsichtnahme erfolgt jetzt in allen Bundesländern auch über das Internet. Auch die Einrichtung eines länderübergreifenden zentralen elektronischen Informations- und Kommunikationssystems wird durch § 9 Absatz 1 Satz 4 HGB-neu ermöglicht, ist aber noch Zukunftsmusik. Nach § 9 Absätze 1 und 7 HGB-neu ist die Einsichtnahme in das Handels- und Unternehmensregister und in die dort eingereichten Dokumenten jedem zu Informationszwecken gestattet. Der nach § 9 a Absatz 3 HGB a. F. noch ausdrücklich im Gesetz vorgesehene mögliche Ausschluss der Einsicht bei Missbrauchsfällen (Sabotage, Vireninfektion) ist nicht mehr vorgesehen, da ein solcher Ausschluss auch ohne ausdrückliche Aufnahme in den Gesetzestext möglich ist. Das jetzt vorgesehene weitgehende Einsichtsrecht zu „Informationszwecken“ beinhaltet die Gefahr, dass gewerblich orientierte oder kriminelle Einsichtnehmer Informationen zu Personen, insbesondere zu Vorstandsmitgliedern und Kommanditisten – die Daten der Letztgenannten werden be*

Dieser Beitrag basiert teilweise auf den Materialien eines Aufsatzes des Verfassers im Rpfleger 2006, 233 ff mit dem Titel „Elektronisches Handels- und Unternehmensregister“. Der Verfasser dankt dem Verlag Ernst und Werner Gieseking GmbH für die freundliche Zustimmung zur Verwendung der Grundlagen des vorgenannten Aufsatzes in diesem Beitrag.

1

BGBl 2006 I, 2553; Materialien hierzu: Stellungnahme des Bundesrats vom 10.02.2006 zum Regierungsentwurf BR-Drs. 942/05 mit Gegenäußerung des Bundestags hierzu, Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des Bundestags vom 27.09.2006 BT-Drs. 16/2781. Richtlinie vom 15.7.2003, 2003/58/EG, ABl. EU Nr. L 221, S, 13, „SLIM IV“. Richtlinie vom 15.12.2004, 2004/109/EG, ABl. EU Nr. L 390, S. 38. So auch die Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des DAV in NZG 2005, 587.

2 3 4

Zukunft hat begonnen, Ries

MN

Mitteilungen

kanntlich nur eingetragen aber nicht bekannt gemacht – problemlos „abfischen“.5 Nach § 9 Absatz 2 HGB-neu kann (vom Einsichtnehmenden) die elektronische Übermittlung von Papierdokumenten verlangt werden, wenn diese nicht weniger als zehn Jahre vor der Antragstellung zum Handelsregister eingereicht wurden. Dies bedeutet, dass die Gerichte Papierdokumente einscannen und dann elektronisch übermitteln müssen. Bei umfangreichen Dokumenten kann das zu einem erheblichen Arbeitsaufwand führen. Nach Nr. 5007 des Gebührenverzeichnisses der Handelsregistergebührenverordnung kostet die Übertragung von Schriftstücken in ein elektronisches Dokument je angefangene Seite 2 E, mindestens aber 25 E. § 9 Absatz 3 HGB-neu ermöglicht auf Verlangen die Beglaubigung der inhaltlichen Übereinstimmung (nicht der inhaltlichen Richtigkeit !) von Papierdokumenten und der elektronisch übermittelten Dokumente mittels qualifizierter elektronischer Signatur. § 9 Absatz 4 HGB-neu sieht vor, dass nicht nur von den Eintragungen sondern auch von den eingereichten Dokumenten entweder eine schriftliche Abschrift (falls nur in Papierform vorhanden) oder ein Ausdruck verlangt werden kann. Die schriftliche Abschrift muss dabei beglaubigt, der Ausdruck amtlich erstellt sein, es sei denn der Antragsteller verzichtet auf die Beglaubigung. Die Erteilung von sog. Zeugnissen, also von Attesten des Gerichts, wer Inhaber einer eingetragenen Firma ist bzw. ein eingetragenes Unternehmen vertritt, ist abgeschafft, da diese Informationen leicht durch (online)Einsicht in das Register beschafft werden können. Es gibt aber weiter die Möglichkeit des sog. Negativattests, also eines Attests darüber, dass eine bestimmte Eintragung nicht vorliegt. Neu geschaffen wird dabei die Möglichkeit der elektronischen Übermittlung dieses Negativattests, vgl. § 31 HRV-neu. Die Erteilung von Abschriften und Ausdrucken kostet nach §§ 89 Abs. 1 Satz 1, 73 KostO weiter für unbeglaubigte Abschriften bzw. einfache Ausdrucke je 10 E und für beglaubigte Abschriften bzw. amtliche Ausdrucke je 18 E. Die elektronische Übermittlung anstelle eines Ausdruckes kostet nach § 89 Abs. 1 Satz 1 KostO-neu 5 E für die unbeglaubigte Datei und 10 E für die beglaubigte Datei. Für den online-Abruf von Daten aus dem Register werden je Registerblatt 4,50 E, für den Abruf von Dokumenten, die zum Register eingereicht werden für jede abgerufenen Datei ebenfalls 4,50 E an Gebühren fällig (Justizverwaltungskostenordnung Anlage (Gebührenverzeichnis) Abschnitt 4 Nr. 400 und 401). Der Abruf von Daten in der Geschäftsstelle des Registergerichts ist kostenfrei. 4. Bekanntmachungen von Eintragungen Bekanntmachungen von Eintragungen im Handels-, Genossenschafts- und Partnerschaftsregister werden nach § 10 HGB-neu ab 2009 nur noch in einem elektronischen Informations- und Kommunikationssystem (zur Zeit ist das der elektronischen Bundesanzeiger) und nicht mehr wie bisher auch in mindestens einem anderen Blatt (in der Regel einer Tageszeitung) erfolgen. Nur wenn die Betroffenen es wünschen, kann auf deren Kosten ab 2009 auch eine Bekanntmachung in einem anderen Medium stattfinden. Um den Bedenken der Zeitungsverlage zur Verfügbarkeit des Internets in einigen Regionen Rechnung zu tragen, sieht Art 61 Absatz 4 EGHGB-neu vor, dass für einen Übergangszeitraum bis Ende 2008 zwingend auch die Bekanntgabe in einem Print-Medium erforderlich ist. Die Bekanntmachung Zukunft hat begonnen, Ries

im elektronischen Bundesanzeiger bleibt aber für den Eintritt der Wirkungen der Bekanntmachungen (z. B. § 15 HGB) alleine ausschlaggebend. Ob diese Subventionierung der Zeitungsverlage wirklich angebracht und unternehmensfreundlich (Kosten!) ist, bleibt angesichts der Verbreitung des Internets fraglich. 5. Offenlegung in Amtssprache der Europäischen Union § 11 HGB-neu ermöglicht die Übermittlung von Dokumenten und Registerinhalt zusätzlich in einer beliebigen Amtssprache der EU. Dies bedeutet, dass es allen im Handelsregister eingetragenen Unternehmen ermöglicht werden muss, diese Texte auf eigene Kosten freiwillig in einer anderen Amtssprache einzureichen. Rechtlich allein maßgebend (z. B. bzgl. § 15 HGB) bleibt allerdings zunächst der deutsche Text der Registereintragung; die Übersetzung der Eintragung wird von Amts wegen nicht geprüft und bekannt gemacht. Allerdings muss nach § 11 Absatz 1 S. 2 HGB-neu auf die Übersetzung in geeigneter Weise hingewiesen werden (z. B. auf der Schaltfläche am Bildschirm mit einem Flaggensymbol). Die eingereichten Übersetzungen müssen auch online zugänglich sein, § 11 Absatz 1 S. 3 HGB-neu. Eine Bekanntmachung oder eine Beglaubigung der Übersetzungen ist aber nicht vorgesehen. Bei einer Diskrepanz zwischen eingereichter deutscher Originalfassung und Übersetzung können sich Dritte nach § 11 Absatz 2 HGB-neu auf die Übersetzung berufen, es sei denn, der Eingetragene weist nach, dass dem Dritten die Originalfassung bekannt war. Diese Formulierung wirft Frage auf. Genügt es, dass dem Dritten nur die Existenz der Originalfassung bekannt war oder muss er den genauen Inhalt der Originalfassung gekannt oder sogar verstanden haben? 6. Anmeldungen und Einreichungen Die Neufassung des § 12 HGB bewirkt den Übergang auf einen vollelektronischen Rechtsverkehr mit dem Registergericht. § 12 Absatz 1 HGB-neu sieht zwingend vor, dass Anmeldungen und Anmeldevollmachten elektronisch in öffentlich beglaubigter Form einzureichen sind. Rechtsnachfolgenachweise (z. B. Erbschein, vgl. § 371 a Absatz 2 ZPO) können auch elektronisch in öffentlich beglaubigter Form eingereicht werden. Die Beglaubigung kann nach § 39 a BeurkG als einfaches elektronisches Zeugnis erfolgen. Nach Art. 61 Absatz 1 EGHGB-neu können die Landesregierungen bis Ende 2009 auch eine papierschriftliche Anmeldung zulassen. Nach aktuellen Informationen wollen die meisten Bundesländer diese Übergangsfrist aber nicht nutzen. § 12 Absatz 2 HGB-neu sieht die elektronische Einreichung von Dokumenten vor. Nach Art. 61 Absatz 1 EGHGBneu können die Landesregierungen bis Ende 2009 auch eine papierschriftliche Einreichung zulassen. Wie gerade erwähnt, werden die meisten Länder diese Übergangsfrist aber nicht nutzen. Falls die Urschrift oder eine einfache Abschrift eingereicht werden muss (z. B. § 199 HS 2 UmwG), reicht die Einreichung einer elektronischen Aufzeichnung. Muss ein notariell beurkundetes Dokument oder eine öffentlich beglaubigte Abschrift eingereicht werden, ist künftig ein mit einem einfachen elektronischen Zeugnis nach § 39 a BeurkG versehenes elektronisches Dokument zu übermitteln. 5

Vgl. auch DAV aaO, S. 587 ff.; ob der Schutz über das Verbot einer rein personenbezogenen Suchfunktion (vgl. §§ 14 Abs. 2 Nr. 5, 28 Abs. 1 Nr. 3 BDSG) ausreicht, ist zweifelhaft, da man über die (erlaubte) Suchfunktion „Firma“ an die genauen Daten der (eventuell gefährdeten) Vorstandsmitglieder kommt.

AnwBl 1 / 2007

71

MN

Mitteilungen

Dieser Medienwechsel bedeutet für die Praxis: Die Notare werden weiter Anmeldungen und andere Urkunden in Papierform herstellen. Sie werden dann diese Papierunterlagen einscannen, elektronisch beglaubigen und in elektronischer Form bei Gericht einreichen. Die Papierurkunden werden beim Notar verbleiben. Der eigentliche Medienwechsel findet bei Gericht statt. Beim Handelsregister werden in Zukunft keine Papierdokumente vorliegen, sondern nur noch elektronische Dokumente, die in einer elektronischen Akte, genannt „Registerordner“, geführt werden. Bei komplizierten und umfangreichen Umwandlungsvorgängen und Neuanmeldungen von Publikumsgesellschaften, die bislang oft mit der Einreichung mehrerer Ordner von Papier-Anmeldungen und Urkunden verbunden waren, wird zunächst viel Arbeit auf die Notare zukommen, die alles auf ihre Kosten einscannen müssen. Für die Richter und Rechtspfleger ist gerade in den vorgenannten Fällen die vernünftige Bearbeitung der Anmeldung erschwert, wenn sie u. U. Hunderte von Seiten am Bildschirm durchlesen müssen. Wünschenswert (aber u. U. nicht richtlinienkonform) wäre in diesen Fällen, weiter die Möglichkeit der Einreichung in Papierform zuzulassen oder die Kosten des Ausdrucks auf die Antragsteller zu verlagern, damit ein vernünftiges Bearbeiten des Falls (ohne Bildschirm) möglich ist. 7. Zweigniederlassungen Das Recht der selbständigen Zweigniederlassungen ist radikal vereinfacht worden. In Zukunft erfolgt die einzige Eintragung der Zweigniederlassung (und ihrer Veränderungen) nur noch beim Gericht der Hauptniederlassung bzw. des Sitzes vgl. § 13 Absatz 1 HGB-neu. Nach § 13 Absatz 2 HGB-neu darf das Gericht der Hauptniederlassung/des Sitzes die Eintragung der Zweigniederlassung nur ablehnen, wenn diese offensichtlich nicht errichtet ist. Wann dies der Fall ist, ist unklar. Reicht die postalische Nichterreichbarkeit aus, um annehmen zu können, dass die Zweigniederlassung offensichtlich nicht errichtet ist ? Jedenfalls ist anzunehmen, dass Standardanfragen des Registergerichts zur Errichtung der Zweigniederlassung bei der für den Ort der Zweigniederlassung zuständigen IHK nicht mehr zulässig sein dürften. Auf die früher im Gesetz und noch in der Regierungsbegründung vorgesehene Prüfung, ob die Firma der Zweigniederlassung sich von anderen Firmen am Ort der Zweigniederlassung genügend unterscheidet (§ 30 HGB), hat der Gesetzgeber bewusst verzichtet. Er geht bewusst das Risiko ein, dass am Ort der Zweigniederlassung mehrere Unternehmen die gleiche oder ganz ähnliche Firmen führen. §§ 13 a bis c HGB sind aufgehoben werden, da es selbstverständlich ist, dass die Organe der Kapitalgesellschaften zur Anmeldung der Zweigniederlassung verpflichtet sind, und da wegen der einzigen Eintragung beim Gericht der Hauptniederlassung/des Sitzes die Einreichung von Doppeln der Urkunden überflüssig ist. 8. Verzicht auf Zeichnungen Zeichnungen sind entbehrlich. Die Vorschriften hierzu sind entsprechend geändert oder abgeschafft worden (z. B. §§ 12, 13 d, 14, 29, 53, 108, 148 HGB-neu, §§ 37, 81, 266 AktG-neu, §§ 8, 39, 67 GmbHG-neu). Grund für den Verzicht ist zum einen, dass bei einem elektronischen Register eingescannte Unterschriften nicht hinreichend deren Echtheit gewährleisten, und zum anderen die Erwartung, dass die elektronische Unterschrift die eigenhändige Unterschrift ablösen wird. Ob letzteres in naher Zukunft wirklich der Fall sein wird, bleibt 72

AnwBl 1 / 2007

fraglich. Die erschwerte Echtheitsprüfung gilt im übrigen auch für die Einreichung elektronischer Unterschriften unter Anmeldungen und Urkunden. 9. Offenlegung von Jahresabschlüssen Nach § 325 Absatz 1 HGB-neu sind Jahresabschlüsse von Kapitalgesellschaften und GmbH & Co. KG nicht mehr beim Handelsregister, sondern nur noch beim Betreiber des elektronischen Bundesanzeigers einzureichen, und zwar unverzüglich nach seiner Vorlage an die Gesellschafter, spätestens vor Ablauf des zwölften (bei kapitalmarktorientierten Untenehmen nach § 325 Absatz 4 HGB-neu: vierten) Monats des dem Abschlussstichtag nachfolgenden Geschäftsjahrs. Dies entlastet die Registergerichte von einem erheblichen und justizfernen Verwaltungsaufwand. Die Registergerichte werden weiter kostenlos auf die Jahresabschlüsse beim elektronischen Bundesanzeiger zurückgreifen können, um z. B. bei Umwandlungsvorgängen oder Kapitalmaßnahmen die notwendigen Prüfungen vornehmen zu können. Die Einhaltung der Offenlegungspflicht ist durch Ordnungsgeldverfahren (Höhe des Ordnungsgeldes: 2.500 E bis 25.000 E), das von Amts wegen durch das Bundesamt für Justiz einzuleiten ist, durchzusetzen. Die im Regierungsentwurf noch vorgesehene Strafbewehrung durch Ordnungswidrigkeit wurde nicht umgesetzt.6 Die bislang von den Registergerichten durchzuführenden Antragsverfahren nach den derzeit geltenden §§ 335 und 335 a HGB entfallen. Der Betreiber des elektronischen Bundesanzeigers ist nach § 329 HGB-neu verpflichtet, die Nichtbefolgung der Offenlegungspflichten der überwachenden Behörde (= Bundesamt für Justiz) zu melden, damit diese durch Einleitung eines Ordnungsgeldverfahrens den Verstoß verfolgen kann. Die neuen vorgenannten Vorschriften gelten nach § 61 Absatz 5 EGHGB-neu erstmals auf Jahresabschlüsse für das nach dem 31. Dezember 2005 beginnende Geschäftsjahr. 10. Änderungen des FGG § 125 FGG sieht durch Änderung des Absatzes 2 den jederzeitigen und einfachen elektronische Austausch von Registerdaten zwischen den Registergerichten und eine länderübergreifende Zusammenarbeit bei der Registerführung vor. Ob Letzteres bei Ländern mit unterschiedlichen Systemen (Aureg, Registar) kurzfristig funktionieren wird, erscheint fraglich. Der neu geschaffene § 144 c FGG sieht vor, dass bei Eintragungen von Amts wegen, die zur Unrichtigkeit anderer Eintragungen führen, auch diese anderen Eintragungen von Amts wegen (und nicht auf Anmeldung) berichtigt werden müssen. Der Gesetzgeber denkt dabei z. B. an die Löschung von Prokuren im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (vgl. § 117 InsO) und die evtl. Änderung der gesetzlichen Vertretungsmacht bei rechtskräftiger Abweisung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Bezüglich des Erlöschens der Prokuren wird damit die Registerpraxis kodifiziert.7 Nach der Regierungsbegründung zum Entwurf des EHUG (S. 133) soll das Registergericht aber nicht die dann aktuelle Vertretungsregelung ermitteln, sondern nur die Unrichtigkeit der alten Vertretungsregelung in geeigneter Weise kennzeichnen. Gerade bezüglich der gesetzlichen Vertretungsmacht ist dies halbherzig. Warum soll z. B. bei der rechtskräftigen Abweisung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer 6 7

Kritisch zur Ordnungswidrigkeit schon DAV aaO S. 589 und Centrale Dr. Otto Schmidt GmbH in GmbHR 2005, 924. Vgl. Keidel/Krafka/Willer, Registerrecht, 6. A., Rn. 375, 412.

Zukunft hat begonnen, Ries

MN

Mitteilungen

GmbH nur das Erlöschen der Vertretungsmacht der Geschäftsführer eingetragen werden und nicht die positive Tatsache, dass jetzt die Liquidatoren (ggf. die ehemaligen Geschäftsführer als geborene Liquidatoren) gesetzlich vertreten ? 11. Änderungen der Handelsregisterverordnung Die Elektronisierung und die vorgenannten Änderungen zur Eintragung von Zweigniederlassungen machen umfangreiche Änderungen der Handelsregisterverordnung („HRV“) erforderlich: 9 Ab November 2007 gibt es neben der Registerakte (§ 8 HRV-neu), eingeteilt in Haupt- und Sonderband, auch einen „Registerordner“ (§ 9 HRV-neu), der die elektronischen Urkunden beinhaltet. In den Registerordner müssen alle ab November 2007 eingereichten elektronischen Dokumente erfasst werden. Schriftstücke, die vor dem 1. Januar 2007 eingereicht wurden, können digitalisiert werden und in den Registerordner eingestellt werden. Wenn ein Antrag auf Überführung in elektronische Dokumente vorliegt oder ein Antrag auf elektronische Übermittlung des Dokuments (§ 9 Absatz 2 HGB-neu) vorliegt, besteht ein Zwang zur Digitalisierung dieser „Alt“-Dokumente. 9 Falls Eintragungen auch in einer anderen Amtssprache der EU zugänglich gemacht wurden, muss gemäß § 15 HRV-neu bei Folgeeintragungen kenntlich gemacht werden, dass die Übersetzung nicht mehr aktuell ist. 9 § 23 HRV-neu setzt die schon jetzt überwiegende Praxis der Registergerichte um, die Stellungnahme der Industrieund Handelskammer nur noch in (seltenen) Zweifelsfällen einzuholen. Durch die Neufassung wird zudem die elektronische Kommunikation zwischen Register und Industrieund Handelskammer ermöglicht. 9 § 25 HRV-neu will Entscheidungen des Registergerichts weiter beschleunigen. So müssen Entscheidungen (Beanstandungsverfügung oder Eintragungen) „unverzüglich“ getroffen werden. Nicht erklärt wird, ob „höhere Gewalt“ z. B. in Form der Unterbesetzung der Post- und Geschäftsstellen den Fristlauf unterbricht. Man kann nur hoffen, dass genügend Personal für die Poststellen und Geschäftsstellen eingestellt werden. Denn bei den „Entscheidern“ kommt es schon heute zu keinen Zeitverzögerungen. Wie der Verantwortliche für den Entwurf des EHUG vielleicht nicht weiß, arbeiten (= entscheiden durch Verfügung oder Eintragung) Registerrichter und Registerrechtspfleger ihre Akten in 99 % der Fälle am selben Tag ab, an dem die Akte auf ihren Tischen liegt. Verzögerungen im Gericht kommen fast nur durch Unterbesetzung von Post- und Geschäftsstellen zustande. Dass die Registerrichter und Registerrechtspfleger, die sowieso schon viel Schreibarbeit selbst leisten, auch noch Aufgaben der Post- und Geschäftsstellen übernehmen, wird wohl (noch) nicht erwartet. Die Eintragung von neuen Unternehmen in das Handelsregister erfolgt schon heute sehr kurzfristig (innerhalb weniger Tage oder sogar am Tag der Anmeldung), wenn die Anmeldung fehlerfrei ist (was man leider durch Gesetz nicht verordnen kann), bei Kapitalgesellschaften die evtl. erforderliche staatliche Genehmigung vorliegt und der Kostenvorschuss gezahlt oder verbürgt ist. Wollte der Gesetzgeber hier eine weitere Beschleunigung, sollte er im GmbHG und im AktG auf die Vorlage der staatlichen Genehmigung verzichten und das Vorschusserfordernis in § 8 KostO vollständig (und nicht nur – wie durch das EHUG geregelt – in den in der Neufassung des § 8 Absatz 2 KostO genannten Fällen, z. B. Kostenverbürgung durch den Notar, drohender Schaden) abschaffen. In diese Richtung geht Zukunft hat begonnen, Ries

jetzt ein vom BMJ aktuell vorgelegter Referentenentwurf zur Modernisierung des GmbH-Rechts (MoMiG). 9 Negativatteste können nach § 31 HRV-neu in Zukunft auch in elektronischer Form übermittelt werden. 9 Eintragung im Register können in Zukunft nach § 37 HRVneu nicht mehr nur im sog. „Durchschreibeverfahren“ sondern ggf. auch elektronisch anderen Stellen (Industrie- und Handelskammer, Handwerkskammer, Landwirtschaftskammer) mitgeteilt werden. Die IHK erhält dabei Mitteilung von allen Eintragungen. 9 §§ 40 und 43 HRV über die Eintragungen im Papierregister sind gestrichen worden. §§ 40 und 43 HRV-neu enthalten deshalb die Regelungen des bisherigen §§ 61, 62 HRV zum elektronischen Register. Neu ist die Aufnahme der Postleitzahl in die Eintragung zum Ort der Zweigniederlassung zur besseren Identifizierung, §§ 40 Nr. 2 b, 43 Nr. 2 b HRV. 12. Änderungen des Umwandlungsgesetzes § 19 UmwG-neu ermöglicht die elektronische Übermittlung von Dokumenten von Registergericht zu Registergericht. Die übrigen Änderungen des UmwG dienen der Umstellung auf den elektronischen Bundesanzeiger oder folgen dem Grundsatz des Verzichts auf Zusatzbekanntmachungen. 13. Änderungen des Aktiengesetzes § 37 AktG-neu verlangt in der Neuanmeldung einer AG die Beifügung einer Liste der Mitglieder des Aufsichtsrats mit deren Namen, Vornamen, ausgeübten Berufen und Wohnorten. Diese müssen allerdings in Zukunft nicht mehr bekannt gemacht werden, da § 40 AktG gestrichen wurde. Grund hierfür ist, dass die Bekanntmachung „Spiegelbild“ der Eintragung sein soll. Die Liste kann elektronisch eingesehen werden. Auch bei Veränderungen in den Personen der Aufsichtsräte ist nach § 106 AktG eine neue Liste der Aufsichtsratsmitglieder beim Registergericht einzureichen, das dann nach § 10 HGB-neu einen Hinweis auf die Einreichung einer neuen Liste bekannt macht. 14. Änderungen des GmbH-Gesetzes § 52 GmbHG-neu nimmt die oben zitierte Liste der Aufsichtsratsmitglieder auf. § 12 Satz 3 GmbHG-neu regelt Folgendes: Sieht der Gesellschaftsvertrag vor, dass Bekanntmachungen der Gesellschaft (z. B. bei Kapitalherabsetzung, Auflösung) im „Bundesanzeiger“ erfolgen, ist eine Bekanntmachung im elektronischen Bundesanzeiger ausreichend. Damit werden die Fälle von „alten“ GmbH´s erfasst, in deren Gesellschaftsverträgen als Publikationsorgan der Papierbundesanzeiger vorgesehen ist, weil es damals den elektronischen Bundesanzeiger nicht gab. Diese Gesellschaften sollen auch von der Elektronisierung profitieren und zukünftig ihre Bekanntmachungen nur im elektronischen Bundesanzeiger vornehmen können.

Prof. Dr. Peter Ries, Berlin

Der Autor ist Professor an der Fachhochschule f r Verwaltung und Rechtspflege Berlin und Richter am Amtsgericht Charlottenburg.

AnwBl 1 / 2007

73

MN

Mitteilungen

Prozessrecht

Die Höhe von Verzugsund Prozesszinsen Die Bestimmung des richtigen Zinssatzes bei Altforderungen Rechtsanwalt Dr. Jo¨rg Risse und Rechtsanwalt Dr. Ragnar Harbst, Frankfurt am Main

Übergangsregelungen bei Verzugs- und Prozesszinsen? Zugegeben, auf den ersten Blick scheint das Thema kaum noch aktuell zu sein. Allerdings begegnen dem Anwalt in der Praxis auch heute noch häufig Forderungen, die ihren Ursprung vor In-Kraft-Treten der Schuldrechtsreform oder gar des Gesetzes zur Beschleunigung fälliger Zahlungen haben. Als bloße Nebenforderungen werden die Zinsen dabei meistens stiefmütterlich behandelt. Das gilt gleichermaßen für Anwälte und Gerichte. Gerade bei Altforderungen kann das aber teuer werden, stehen sich doch als Extreme eine Verzinsung mit 4 % fix auf der einen und 8 Prozentpunkten über dem Basiszins auf der anderen Seite gegenüber.

I. Einführung In nahezu jedem Gerichtsprozess macht der Kläger Verzugsund/oder Prozesszinsen geltend. Da der Kläger sich in aller Regel nicht die Mühe macht, einen konkreten Verzugsschaden darzulegen und zu berechnen, richtet sich die Zinshöhe allein nach den gesetzlichen Bestimmungen. In der Praxis treten bei der richtigen Bezifferung der Zinsen oft Fehler auf. Die Ursache für diese Fehler liegt neben einer mangelnden Sorgfalt bei der Prüfung von „Nebenforderungen“ darin, dass die gesetzlichen Änderungen der Zinsregelung in den Jahren 2000 – 2002 nicht ausreichend beachtet werden. Die erste Änderung erfolgte im Jahr 2000 durch das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen. Die zweite Änderung trat mit der Schuldrechtsreform zum 1. Januar 2002 in Kraft. Während es früher nur einen einheitlichen gesetzlichen Zinssatz von 4 % (5 % für Kaufleute) gab, gibt es jetzt weitere gesetzliche Zinssätze von 5 oder gar 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz. Obwohl diese Änderungen nun schon eine ganze Weile zurückliegen, kommt es in der Praxis immer wieder zu Schwierigkeiten bei der Bestimmung des anwendbaren Zinssatzes. Das gilt in verstärktem Maße für „Altforderungen“, die vor den genannten Stichtagen entstanden und fällig geworden sind, weil hier Übergangsregelungen zu beachten sind. Zudem ist das Verhältnis von Verzugs- zu Prozesszinsen unklar. Einige Zweifelsfragen sind in letzter Zeit höchstrichterlich entschieden worden. Es lohnt sich, diese Urteile zu kennen: Die fehlerhafte Anwendung der Übergangsregelungen kann erhebliche Auswirkungen auf die Zinslast haben, stehen sich als Extreme doch eine feste Verzinsung mit 4 % p.a. und eine Verzinsung mit 8 Prozentpunkten über dem Basiszins p. a. gegenüber. Im Rahmen dieses Beitrags werden folgende Fragen untersucht: (i) Welcher gesetzliche Verzugszins kann für Ansprüche geltend gemacht werden, die vor der gesetzlichen Neu74

AnwBl 1 / 2007

festsetzung der Zinshöhe fällig geworden sind, bei denen der Verzug aber bis heute andauert? (ii) Ändern sich die Ergebnisse zu den vorangestellten Fragen, wenn es sich bei der Ausgangsforderung um eine Forderung aus einem Dauerschuldverhältnis handelt, bei denen auch Altverträge ab dem 1. Januar 2003 dem neuen Schuldrecht und damit auch den neuen Zinsregelungen unterstellt wurden? (iii)Unter welchen Voraussetzungen hat der Gläubiger einen erhöhten Zinsanspruch von 8 Prozentpunkten über dem Basiszins nach § 288 Abs. 2 BGB? (iv) Kann jedenfalls ab Rechtshängigkeit über die Prozesszinsen des § 291 BGB ein höherer gesetzlicher Zinssatz verlangt werden als dies für Verzugszinsen möglich wäre? Der nachfolgende Beitrag untersucht diese Fragestellungen anhand der gängigen Fallgruppen.

II. Verzugszins für Altforderungen: Es bleibt bei 4 % p. a. Immer noch häufig sind Fälle, in denen die streitgegenständliche Forderung vor der Gesetzesänderung zum 1. Mai 2000 fällig geworden ist: Aus einem Kaufvertrag vom 1. Januar 2000 schuldet die A GmbH dem B eine Zahlung in Höhe von EUR 10.000,–. Der Anspruch wurde am 1. Februar 2000 fällig. Erst zwei Jahre später, am 1. Februar 2002, macht B den Anspruch gerichtlich geltend. Nach jahrelangen Vergleichsverhandlungen wird hier Klage erhoben, der Prozess zieht sich noch einmal einige Jahre hin. Es stellt sich dann die Frage, welcher gesetzliche Verzugszinssatz zur Anwendung kommt: Einheitlich der alte gesetzliche Zins von 4 % p. a., der neue gesetzliche Verzungszins von 5 Prozentpunkten1 über dem Basiszins oder aber ein zeitlich gestaffelter Zins mit unterschiedlichen Zinssätzen? Die Entscheidung in diesem Fall ist einfach, es liegt eine klare gesetzliche Regelung vor: Ursprünglich sah § 288 Abs. 1 BGB vor, dass eine Geldschuld während des Verzuges mit 4 % jährlich zu verzinsen ist. Die Vorschrift wurde durch das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen im Jahr 2000 geändert. Seitdem ist eine Geldschuld während des Verzuges mit einem Zins von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz verzinslich. Die zugehörige Übergangsregelung findet sich in Art. 229 § 1 Abs. 1 Satz 3 EGBGB. Danach gilt § 288 BGB Abs. 1 in dieser Fassung nur für solche Forderungen, die vor dem 1. Mai 2000 fällig wurden. Die Regelung bedeutet, dass § 288 Abs. 1 BGB in der Fassung vor dem 1. Mai 2000 uneingeschränkt und ohne zeitliche Begrenzung

1

Nicht „5 % über dem Basiszins“, wie in Schriftsätzen häufig zu lesen ist. Die Gerichte legen diese Formulierung zwar großzügig als Bezugnahme auf § 288 BGB aus (z. B. OLG Hamm NJW 2005, 2238), doch korrekt ist das nicht: 5 % über einem Basiszins von 2 % p. a. ist ein Zinssatz 2,10 p. a. und nicht 7 % p. a.; vgl. dazu Hartmann NJW 2004, 1358 ff.

Die H he von Verzugs- und Prozesszinsen, Risse/Harbst

MN

Mitteilungen

auf solche Forderungen anwendbar bleibt, die vor diesem Stichtag fällig wurden. Es kommt also nicht zu einer Rückwirkung des neuen Zinssatzes oder zu einer Staffelung in der Form, dass der neue Zinssatz ab dem 1. Mai 2000 gilt. In unserem Beispiel bleibt die Kaufpreisforderung also weiterhin mit 4 % p. a. verzinslich. Liegt ein Handelsgeschäft vor, kann der kaufmännische Zins von 5 % p. a. (§ 353 HGB) verlangt werden. Auch das In-Kraft-Treten von § 288 Abs. 2 BGB mit der Schuldrechtsreform am 1. Januar 2002 ändert nichts an der Verzinsung der Altforderung. § 288 Abs. 2 BGB sieht vor, dass bei Rechtsgeschäften, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist, der Zinssatz für Entgeltforderungen 8 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz beträgt. Die einschlägige Übergangsregelung findet sich in Art. 229 § 5 EGBGB. Diese allgemeine Überleitungsvorschrift zum Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts bestimmt, dass das alte Schuldrecht weiter auf solche Schuldverhältnisse Anwendung findet, die vor dem 1. Januar 2002 entstanden sind. Anders als bei der Überleitungsvorschrift zum Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen ist hier also nicht das Fälligkeitsdatum, sondern der Zeitpunkt der Entstehung des Schuldverhältnisses entscheidend. Ist eine Forderung vor dem 1. Januar 2002 entstanden, gilt das gleiche wie im Fall der Übergangsregelung zum Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen: Es kommt weder zu einer Rückwirkung noch zu einer Staffelung der Zinsen. Vielmehr bleibt die Altforderung durchgängig mit dem zuvor geltenden Zinssatz verzinslich. In unserem Fall bleibt die ab 1. Februar 2000 fällig gewordene Forderung daher auch nach dem 1. Januar 2002 weiter mit 5 % verzinslich.

III. Andere Bewertung bei Dauerschuldverhältnissen? Deutlich schwieriger ist die Bestimmung des Zinssatzes, wenn der Ausgangspunkt der Forderung ein Dauerschuldverhältnis ist, das vor der Gesetzesänderung abgeschlossen worden ist, die einzelnen Forderungen aber erst nach der Gesetzesänderung fällig wurden. Zwischen der A GmbH und B AG besteht seit 1998 ein Servicevertrag über die Reinigung eines Bürogebäudes. Als Entgelt war eine Zahlung von EUR 10.000,– monatlich vereinbart. Die A GmbH hat seit dem 1. Februar 2000 keine Zahlungen mehr geleistet. Die B AG macht A den Anspruch erst am 1. Februar 2004 gerichtlich geltend. Als Dauerschuldverhältnis wird ein Schuldverhältnis angesehen, während dessen Laufzeit ständig neue Leistungs-, Neben und Schutzpflichten entstehen.2 Von den gesetzlich normieren Schuldverhältnissen fallen hierunter Miete, Pacht, Leihe, Darlehen und der Dienstvertrag. Gilt in diesen Fällen für die Einzelforderungen ein unterschiedlicher Verzugszinssatz, je nach Fälligkeit, oder sollen gleichartige Forderungen aus einem Dauerschuldverhältnis auch gleich verzinst werden? 1. Klare Regelung: Bei Fälligkeit ab 1. Mai 2000 erhöhter Zinssatz Die erste zeitliche Zäsur ist der 1. Mai 2000, an dem das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen in Kraft trat. Hier ist die Rechtslage nach der Übergangsregelung in Art. 229 § 1 Abs. 1 Satz 3 EGBGB klar. Angeknüpft wird allein Die H he von Verzugs- und Prozesszinsen, Risse/Harbst

an die Fälligkeit der Forderung, nicht an den Entstehungszeitpunkt des Vertragsverhältnisses. Die monatlichen Vergütungsansprüche, die vor den 1. Mai 2000 fällig wurden, sind also weiter mit 4 % bzw. 5 % p. a. verzinslich. Diejenigen monatlichen Zahlungen, die nach dem Stichtag fällig wurden, sind mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszins p. a. verzinslich. 2. Unklage Regelung: Ab 1. Januar 2003 einheitlich höherer Zinssatz? Probleme bereitet das In-Kraft-Treten des neuen Schuldrechts am 1. Januar 2002, das für die im Beispielsfall vorliegende Entgeltforderung ja eine Verzinsung von 8 Prozentpunkten über dem Basiszins vorsieht. Die Übergangsregelung in Art. 229 § 5 EGBGB bestimmt in Satz 2, dass ab dem 1. Januar 2003 auch alte Dauerschuldverhältnisse einheitlich dem modernisierten Schuldrecht unterstehen. Das wirft die Frage auf, ob jetzt auch früher entstandene Einzelforderungen nur nach dem neuen Schuldrecht beurteilt werden und deshalb auch die in § 288 Abs. 2 BGB festgelegten erhöhten Verzugszinsen verlangt werden können. Das Gesetz beantwortet diese Frage nicht. Die Regelung enthält also keine Antwort auf die Frage, welches Recht auf bereits entstandene Altforderungen aus dem Dauerschuldverhältnis Anwendung findet. Die Erklärung für diese Regelungslücke liegt wohl darin, dass es sich bei Art. 229 § 5 EGBGB um eine allgemeine Übergangsvorschrift für die Schuldrechtsreform handelt, und nicht um eine spezielle Regelung für das intertemporale Zinsrecht. Die mangelnde Klarheit in diesem Punkt versuchen Gläubiger aus Dauerschuldverhältnissen regelmäßig für sich zu nutzen. Die B AG wird im Beispielsfall also argumentieren, dass spätestens ab dem 1. Januar 2003 sämtliche rückständigen Forderungen aus dem Dienstvertrag mit 8 Prozentpunkten über dem Basiszins zu verzinsen sind, denn ab diesem Datum soll ja einheitlich nur noch neues Schuldrecht gelten. Im Ergebnis ist die Auffassung, dass sich der Zinssatz für Altforderungen aus einem Dauerschuldverhältnis ab dem 1. Januar 2003 einheitlich nach dem neuen § 288 BGB richtet, falsch. Der Bundesgerichtshof hat in einer Entscheidung aus Anfang 2005 entschieden und festgehalten, dass es auch bei Altforderungen aus Dauerschuldverhältnissen nach dem 1. Januar 2003 bei der Verzinsung nach altem Recht bleibt.3 Entscheidendes Argument ist insoweit die Gesetzesbegründung: Ziel der Übergangsregelung war eine schonende Anpassung von Dauerschuldverhältnissen an das neue Recht. Es sollte verhindert werden, dass langlebige Dauerschuldverhältnisse auf unbestimmte Zeit weiter dem alten Schuldrecht unterworfen bleiben und es somit zu einer Perpetuierung der Parallelität neuen und alten Schuldrechts

2 3

Vgl. Gr neberg in: Palandt, 65. Auflage 2006, § 314 Rn. 2. „Das rechtfertigt es jedoch nicht, dass ein bereits vorher nach altem Recht entstandener Verzugszinsanspruch danach hinsichtlich der Zinshöhe dem neuen Recht unterliegt. Vielmehr muss es auch insoweit bei dem alten Recht bleiben.“, Urteil des BGH vom 16. März 2005, VIII ZR 35/04; vgl. auch Heinrichs in: Palandt, § 286 Rn. 2.

AnwBl 1 / 2007

75

MN

Mitteilungen

kommt. Auf der anderen Seite sollte aber auch verhindert werden, dass die Vertragsparteien solcher Dauerschuldverhältnisse „über Nacht“ durch die Gesetzesreform überrascht werden. Die einjährige Übergangszeit diente daher dem Zweck, bei den Parteien eine Anpassung ihrer vertraglichen Vereinbarungen an die neuen Regelungen zu erleichtern (Bundestagsdrucksache 14/6040, Seite 173). Es ist daher wie folgt zu differenzieren: Für Einzelforderungen im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses, für die vor dem 1. Januar 2003 Verzug eingetreten ist, gilt weiterhin die bis zu diesem Datum geltende Verzugszinsregelung. Für unser Beispiel heißt das, dass Vergütungsforderungen aus dem Dienstvertrag, mit denen die A GmbH vor dem 1. Januar 2003 in Verzug geraten ist, weiter mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz verzinslich sind.4 Eine Anhebung auf den höheren Zinssatz von 8 Prozentpunkten über dem Basiszins (§ 288 Abs. 2 BGB) ist hier nicht möglich. Es widerspräche dem Regelungsziel der Übergangsregelung, wenn die Parteien im Hinblick auf diese entstandenen und fälligen Altforderungen mit einem neuen Zinssatz überrascht würden. Erst für jene Vergütungsforderungen, mit denen die A GmbH ab dem 1. Januar 2003 in Verzug gerät, führt Art. 229 § 5 Satz 3 EGBGB i. V. m. § 288 Abs. 2 BGB zu einer Verzinsung mit 8 Prozentpunkten über dem Basiszins. 3. Zusammenfassung: Drei unterschiedliche Zinssätze möglich Für Einzelforderungen aus Dauerschuldverhältnissen gilt also folgende Staffelung: (i) Wurde die Forderung vor dem 1. Mai 2000 fällig, beträgt der Verzugszins 4 % p. a., unter Kaufleuten 5 % p. a. (ii) Wurde die Forderung nach dem 1. Mai 2000 fällig, trat der Verzug aber vor dem 1. Januar 2003 ein, beträgt der Verzugszinssatz 5 Prozentpunkte über dem Basiszins. (iii)Geht die Forderung auf ein nach dem 1. Januar 2002 begründetes Dauerschuldverhältnis zurück oder trat der Verzug erst nach dem 1. Januar 2003 ein, beträgt der Verzugszinssatz 8 Prozentpunkte über dem Basiszins, sofern es sich um Entgeltforderungen unter Kaufleuten handelt.

IV. Anwendungsbereich von § 288 Abs. 2 BGB: Nur für Entgeltforderungen Eine weitere, häufige Fehlerquelle, die nicht mit den Übergangsregelungen zusammenhängt, liegt in einem Fehlverständnis von § 288 Abs. 2 BGB. Die landläufige Meinung zu dieser Vorschrift ist, dass der Zinssatz in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz allgemein im unternehmerischen Verkehr gilt („bei Rechtsgeschäften, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist, ...“, vgl. den Wortlaut von § 288 Abs. 2 BGB). Ein Unternehmer könnte danach für alle Forderungen gegen seinen kaufmännischen Geschäftspartner Verzugszinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszins verlangen. Die Alpha GmbH hat der Beta AG mit Vertrag vom 1. Juli 2003 ein Kraftfahrzeug vermietet. Die Beta AG bringt das Fahrzeug beschädigt zurück. Die Alpha GmbH hat gegen die Beta AG daher eine Mietzinsforderung von E 2.000 und einen Schadensersatzanspruch von E 1.000. Mit der Zahlung beider Forderungen gerät die Beta AG am 1. Oktober 2003 in Verzug. 76

AnwBl 1 / 2007

Wenn in diesem Fall für die Gesamtforderung von E 3.000 einheitlich ein Zinssatz von 8 Prozentpunkten über dem Basiszins gefordert wird, wird jedoch der entscheidende Zusatz in § 288 Abs. 2 BGB übersehen: Das Tatbestandmerkmal „für Entgeltforderungen“. Dieser Begriff ist nicht einfach mit Geldforderungen gleichzusetzen. Er entstammt vielmehr aus der Zahlungsverzugsrichtlinie und ist daher ebenso auszulegen wie der gleich lautende Begriff in § 286 Abs. 3 BGB.5 Danach sind Entgeltforderungen nur solche, die auf Zahlung eines Entgelts für die Lieferung von Gütern oder die Erbringung von Dienstleistungen gerichtet sind.6 Der Gesetzgeber wollte durch den hohen Sanktionszins nur die Zahlung von vertraglichen Primäransprüchen beschleunigen, denen die im Wirtschaftsverkehr üblichen Austauschgeschäfte zugrunde liegen. Vertragliche Sekundäransprüche wie etwa Gewährleistungs- und Schadensersatzansprüche werden – auch wenn sie auf Geld gerichtet sind – nicht erfasst. Gleiches gilt für Ansprüche aus gesetzlichen Schuldverhältnissen, also etwa Bereicherungsansprüche oder deliktische Schadensersatzansprüche. Im Ausgangsfall kann die Alpha GmbH daher aus Verzug nur für den Mietzinsanspruch den erhöhten Zins von 8 Prozentpunkten über dem Basiszins verlangen.

V. Höhere Prozesszinsen, weil eigenständiger Rechtsanspruch? Schließlich stellt sich die Frage, ob ein Kläger nicht Prozesszinsen fordern kann, die wegen der anderen Anspruchsgrundlage auch höher als alternative Verzugszinsen sein können: Die Alpha GmbH macht gegen die Beta AG eine Schadensersatzforderung geltend, mit deren Zahlung die Beta AG seit dem 1. Dezember 1999 in Verzug ist. Die Klage wurde am 2. Januar 2002 eingereicht; die Alpha AG verlangt darin Prozesszinsen von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit. Nach § 291 BGB ist eine Geldschuld von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen. § 291 Satz 2 verweist auf die Regelungen des § 288 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und Abs. 3 BGB. Auch hier bietet sich für den Gläubiger wiederum die Gelegenheit, für eine Erhöhung der zu zahlenden Zinsen ab Rechtshängigkeit zu argumentieren: Anspruchsgrundlage sei hier nicht Verzug, sondern mit dem Prozessrechtsverhältnis eine Art gesetzliches Schuldverhältnis. Da dieses Schuldverhältnis erst mit Klageerhebung und damit nach In-KraftTreten des neuen Schuldrechts entstanden sei, gelte insoweit die erhöhte Zinspflicht nach dem neuen § 288 BGB.

4 5 6

Für Vergütungsforderungen, die vor dem 1. Mai 2000 fällig wurden, gilt weiterhin eine Verzinsung mit 4 % fix. Heinrichs in: Palandt, 65. Auflage 2006, § 288 Rn. 8. L wisch in: Staudinger, BGB, Bearb. 2004, § 286 Rn. 93; Ernst in: MüKo, 4. Aufl., § 286 Rn. 75; Heinrichs in: Palandt, 65. Aufl 2006, § 286 Rn. 28.

Die H he von Verzugs- und Prozesszinsen, Risse/Harbst

MN

Mitteilungen

1. Prozesszinsen sind nie höher als Verzugszinsen Ansatzpunkt für diese Argumentation ist also, dass es sich bei den Prozesszinsen um eine prozessuale Nebenforderung handelt, die von einem Verzug des Schuldners unabhängig ist; Verzugszinsen und Prozesszinsen sind ihrem Wesen nach verschieden.7 Argumentieren lässt sich hier auch mit dem allgemeinen Grundsatz, dass Änderungen des Prozessrechts auch schwebende Verfahren ergreifen, die daher nach neuem Recht zu Ende zu führen sind, auch wenn sie nach altem Recht begonnen wurden.8 Schließlich scheint der Schuldner im Hinblick auf Änderungen des Prozessrechts nicht schutzwürdig. Bei der materiellrechtlichen Verzugsfrage soll er vor einer Rückwirkung der neuen Zinsregelung geschützt werden. Die Alpha AG kann argumentieren, dass die Beta AG einen entsprechenden Schutz im Hinblick auf Prozesszinsen nicht erwarten kann. Die Stellung des Prozesszinses an der Schnittstelle zwischen materiellem und Prozessrecht führt hier also zur Verwirrung. Zu dieser praxisrelevanten Frage haben sich überraschenderweise bisher nur Verwaltungsgerichte geäußert. Sowohl das Bundesverwaltungsgericht als auch das OVG Lüneburg hatten über Fälle zu entscheiden, in denen Altforderungen nach den Stichtagen für das In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Beschleunigung fälliger Zahlungen (Bundesverwaltungsgericht) bzw. dem In-Kraft-Treten der Schuldrechtsreform (OVG Lüneburg) rechtshängig gemacht wurden. In beiden Fällen entschieden die Gerichte, dass es auch im Hinblick auf den Prozesszinssatz bei dem alten Zinssatz bleibt.9 Diese Entscheidungen überzeugen auch inhaltlich. Zwar trifft es zu, dass Prozesszinsen aus einem eigenen Rechtsgrund entstehen. Entscheidend ist hier aber nicht der Entstehungsgrund für die Prozesszinsen, sondern allein deren gesetzlich fixierte Höhe. Insoweit verweist die Regelung des § 291 BGB umfassend auf § 288 BGB. Hätte der Gesetzgeber eine unterschiedliche Behandlung von Prozesszinsen im Hinblick auf die Übergangsregelung gewollt, wäre eine gesonderte Übergangsregelung für § 291 BGB zu erwarten gewesen. Das EGBGB kennt jedoch nur die angesprochenen Übergangsregelungen für das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen und die Schuldrechtsreform, die über den Verweis in § 291 BGB auf 288 BGB deswegen auch bei Prozesszinsen gelten. Auch im Hinblick auf die Prozesszinsen bleibt es deshalb bei dem Grundsatz, dass Altforderungen selbst dann nach den vor dem 1. Mai 2000 bzw. dem 1. Januar 2002 geltenden Zinsregelungen verzinslich sind, wenn sie nach diesen Stichtagen rechtshängig werden. Die Alpha GmbH muss sich im Ausgangsfall daher mit Prozesszinsen von 4 % p. a. begnügen. 2. Hohe Prozesszinsen sind abhängig von Entgeltforderung Verbleibt schließlich noch die Frage, ob auch bei der Höhe von Prozesszinsen danach zu differenzieren ist, ob diese auf im kaufmännischen Verkehr entstandene Entgeltforderungen gemacht werden oder nur auf sonstige Forderungen unter Kaufleuten. Der Verweis in § 291 BGB ist insofern eindeutig, weil er insgesamt auf § 288 Abs. 2 BGB verweist und damit auch auf das Tatbestandsmerkmal der Entgeltforde-

7 8 9

rungen. Auch im kaufmännischen Verkehr gibt es daher nur dann Prozesszinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszins, wenn die eingeklagte Forderung eine solche Entgeltforderung ist. Im Beispielsfall hätte der Alpha GmbH daher unhängig vom Fälligkeitszeitpunkt der Ausgangsforderung immer nur ein Prozesszins von maximal 5 Prozentpunkten über dem Basiszins zugestanden.

VI. Zusammenfassung Anwälte und Richter müssen bei der Prüfung von Zinsforderungen sorgfältig arbeiten, um Fehler zu vermeiden. Es ist hilfreich, sich für die Praxis die folgenden Grundsätze zu merken: (i) Ansprüche, die vor dem 1. Mai 2000 fällig geworden sind, werden im Verzugsfall nur mit 4 % p. a. verzinst, unter Kaufleuten mit 5 % p. a. Das gilt auch, wenn der Verzug bis weit über den 1. Mai 2000 hinaus andauert. (ii) Bei Ansprüchen aus Dauerschuldverhältnissen, die vor dem 1. Januar 2002 entstanden sind, gilt der Zinssatz in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszins nur für diejenigen Einzelforderungen aus diesem Verhältnis, für die nach dem 1. Januar 2003 Verzug eingetreten ist. (iii)Auch Kaufleute können den erhöhten Verzugszinssatz von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nur verlangen, wenn der Anspruch eine Entgeltforderung gegen einen Nicht-Verbraucher betrifft. Entgeltforderungen sind dabei nur vertragliche Primäransprüche aus typischen Austauschgeschäften, nicht aber Schadensersatzforderungen oder Ansprüche aus gesetzlichen Schuldverhältnissen. (iv) Prozesszinsen sind nie höher als der Verzugszins, der für die eingeklagte Forderung verlangt werden kann. Wer diese vier Leitsätze beachtet, kann bei Zinsberechnung keine Fehler mehr machen.

Dr. J rg Risse, LL. M., Frankfurt am Main

Der Autor ist Rechtsanwalt und Partner der Soziet t Baker & McKenzie LL. P.

Dr. Ragnar Harbst, LL. M., Frankfurt am Main

Der Autor ist Rechtsanwalt und Associate in der Soziet t Baker & McKenzie LL. P.

Ernst in: MüKo, BGB, 4. Auflage 2003, § 291 Rn. 1. Vollkommer in: Zöller, ZPO, 25. Auflage 2005, Einleitung Rn. 104. Bundesverwaltungsgericht NVZ 2001, 1057, 1058/ OVG Lüneburg NVZ 2004, 153.

Die H he von Verzugs- und Prozesszinsen, Risse/Harbst

AnwBl 1 / 2007

77

MN

Mitteilungen

Soldan Institut _______________________________________________________

Witze über Anwälte als sozialwissenschaftliches Phänomen Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Ko¨ln

Witze interessieren Soziologen seit langem als sozialwissenschaftliches Phänomen. Sie verraten viel über Befindlichkeiten der Bevölkerung in Bezug auf diejenigen, die Gegenstand solcher Witze sind. So ist vor kurzem eine umfassende Untersuchung der niederländischen Soziologin Giselinde Kuipers mit dem Titel „A Sociology of the Joke“ erschienen. Selbst Sigmund Freud befasste sich in seiner Studie „Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten“ mit dem Witz als sozialpsychologischem Phänomen und sah in ihm eine Technik des Unbewussten zur Minimierung von Konflikten.1 Den amerikanischen Anwaltsforscher Marc Galanter haben Witze aus einem ganz spezifischen Blickwinkel interessiert: Witze über Rechtsanwälte. Triviale Witzsammlungen über Rechtsanwälte sind insbesondere im englischen Sprachraum weit verbreitetet, Gegenstand von Gespött und Scherzen waren Rechtsanwälte aber bereits im alten Griechenland. Galanter hat populäre Anwaltswitze in seinem Werk „Lawyer Jokes and Legal Culture* zusammengetragen, kategorisiert und analysiert, um auf diese Weise Aussagen über die Wahrnehmung des Berufsstandes durch die amerikanische Bevölkerung zu gewinnen, geleitet von der Erkenntnis des amerikanischen Kulturwissenschaftlers Alan Dundes: „No piece of folklore continues to be transmitted unless it means something“. Galanter hat mehrere Hundert Witze in neun thematische Hauptgruppen kategorisiert, die die grundlegendsten Vorbehalte gegenüber der Profession widerspiegeln: Fünf befassen sich mit den vermeintlichen Hauptsünden, derer sich Anwälte schuldig machen: Das Verdrehen des Rechts, die Gier nach eigenem Profit, das Anstacheln zu Prozessen, die Förderung von Ungerechtigkeit und das Enttäuschen entgegengebrachten Vertrauens. Vier weitere Kategorien behandeln vermeintliche charakterliche Schwächen des Anwalts und seine gesellschaftliche Reputation: Sie sind in Witzen Spießgesellen des Teufels, haben keine Moral, grundsätzlich zu verachten und überhaupt entbehrlich. Eine solche Kategorisierung mag für den Leser hilfreich sein, wissenschaftlich interessant wird sie aber vor allem, weil sie ergänzend die zeitliche Dimension berücksichtigt: Wann wurden bestimmte Kategorien von Witzen populär, wann wurden sie in eine bestimmte inhaltliche Richtung modifiziert? Erst diese zusätzliche zeitliche Dimension führt zu dem grundlegenden Ergebnis der Studie von Galanter, nämlich dass sich die Perzeption des Rechtsanwalts in den letzten 20 Jahren stark geändert hat. Während Anwaltswitze traditionell eher spöttischen oder sarkastischen Charakter hatten und in ihrer Anzahl eher begrenzt waren, haben sie *

78

Marc Galanter, Lowering the Bar – Lawyer Jokes and Legal Culture, University Of Wisconsin Press, Madison 2005, 429 S., ISBN 0-299-21350-1, 45,00 USD (hardcover), ISBN 0-299-21354-4, 26,95 USD (softcover).

AnwBl 1 / 2007

in der jüngeren Vergangenheit an Zahl erheblich zugenommen und sind zunehmend aggressiver, höhnisch, verachtend, inhaltlich gewalttätiger geworden. Besonders deutlich wird dies an dem exponentiellen Wachstum der Kategorie „Death Wish Jokes“, die sich mit der Entbehrlichkeit von Rechtsanwälten in der Gesellschaft beschäftigt. Galanter führt diesen Wandel u. a. auf die zunehmende Verrechtlichung des Lebens zurück, als deren Exponenten dem Bürger Rechtsanwälte insbesondere auch deshalb erscheinen, weil es immer mehr von ihnen gibt und sie durch Marketing für den Bürger immer präsenter werden. Er stellt diesen Befund dem Bild gegenüber, das von Rechtsanwälten in der Unterhaltungsliteratur und in Filmen gezeichnet wird, in denen sie nur selten die Rolle des Schurken und zumeist den Part des Helden übernehmen, der für Gerechtigkeit sorgt. Witze hingegen beschreiben Rechtsanwälte zumeist als eigensüchtige Zeitgenossen, die den Mandanten ausbeuten und die Gerichte an der Nase herumführen. Was sagt uns diese interessante Studie für Deutschland? Eine schwierige Frage, auf die es keine eindeutige Antwort gibt. Der Verfasser ist vor einiger Zeit von Galanter gefragt worden, warum es in Deutschland, ebenso wie in Kontinentaleuropa, kaum Anwaltswitze gibt. Der Befund ist zutreffend, selbst in England haben die dort populären Anwaltswitze bei weitem nicht die Schärfe wie in den USA. Ein Erklärungsansatz ist sicherlich, dass kodifiziertes Recht und Verfahrensprinzipien, die den Richter in das Zentrum des Verfahrens stellen, den Rechtsanwalt in den Augen eines Beobachters weniger wichtig und damit weniger verantwortlich erscheinen lassen. Mein – nicht ganz ernst gemeinter Erklärungsversuch – gegenüber Galanter war, dass es der deutsche Rechtsanwalt deshalb wohl nicht wert sei, dass man überhaupt Witze über ihn mache. Gänzlich beruhigend ist diese Erkenntnis nicht, ist der Wandel der „Witzkultur“ in den USA seit Mitte der 1980er Jahre, die hierdurch zum Ausdruck kommende feindselige Haltung nur sehr eingeschränkt mit Änderungen der dortigen rechtlichen Rahmenbedingungen zu erklären. Ein interessantes Resümee Galanters ist, dass die Sensibilität der Bevölkerung für Ungerechtigkeit zugenommen hat, weil in der modernen Gesellschaft viele einstmals als schicksalhaft hingenommene Probleme wenn nicht vermeidbar, so doch häufig in ihren Auswirkungen kontrollierbar oder lösbar sind – seien es Krankheiten, Naturereignisse oder Unfälle. Unerfreuliches hinzunehmen scheint dem Bürger heutzutage fremder zu sein als noch vor einigen Jahrzehnten. Ätzende Witze sind dann ein Ventil zur Verarbeitung solcher Enttäuschungen. Vielleicht überlebt sich das Phänomen des Anwaltswitzes aber ohnehin: Der 2005 verstorbene ehemalige US Chief Justice William Rehnquist bemerkte 1997, er habe früher seine Reden gerne mit einem Anwaltswitz begonnen – aufgegeben habe er diese Gepflogenheit, als er feststellen musste, dass Nicht-Anwälte nicht mehr bemerkt hätten, dass er Witze und keine wahren Begebenheiten erzählte. Keine schmeichelnde Perspektive. Soldan Institut: Prof. Dr. Christoph Hommerich, Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Dipl.-Soz. Heike Jackmuth Mag. rer. publ., Thomas Wolf, M.A. Hommerich und Kilian sind Vorstand des Soldan Instituts f r Anwaltmanagement e. V.. Jackmuth und Wolf sind dort wiss. Mitarbeiter.

Witze ber Anw lte als sozialwissenschaftliches Ph nomen, Soldan Institut

MN

Mitteilungen

Bu¨cherschau _______________________________________________________

Kammerrecht Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian

I. Kammern und Europa Die Erfassung der verkammerten Freiberufe durch das Europarecht wurde lange Zeit von der Diskussion über die Bedeutung der Grundfreiheiten für berufsspezifisch regulierte Berufe dominiert. Erst Mitte der 1990er Jahre führten Entscheidungen der Kommission zu der Erkenntnis, dass das europäische Wettbewerbs- und Kartellrecht eine weitere Dimension der europarechtlichen Kontrolle von Berufsrecht eröffnet. Seit 1993 kam es zu einer Kette von Entscheidungen zur Anwendbarkeit der europäischen Wettbewerbsregeln auf die Freiberufe, die ihren vorläufigen Höhepunkt in den Urteilen des EuGH in Sachen Wouters und Arduino vom Februar 2002 fanden. Wegmarken dieser Entwicklung tragen mit CNSD, COAPI, EPI und CIF ebenso kryptische wie mit Pavlov, Wouters, Arduino, Mauri, Cipolla oder Capodarte klangvolle Namen, sie stehen für Entscheidungen der Kommission und Judikate des EuGH zur Anwendbarkeit des Art. 81 EG auf das, was in Deutschland als verkammerte Berufe begriffen wird. Während die Leitentscheidungen Wouters und Arduino außerhalb Deutschlands vor allem von Kartellrechtlern wahrgenommen wurden, sorgten sie hierzulande primär bei den Berufsrechtlern für – bisweilen erhebliche – Aufregung. Vor diesem Hintergrund ist es erfreulich, dass, nachdem sich die Wogen ein wenig geglättet, die Gemüter sich ein wenig beruhigt hatten, mehrere Autoren an eine monographische Aufarbeitung des Themas gegangen sind und nunmehr fundierte, besonders tiefgründige Diskussionsbeiträge vorliegen. Nach einer bereits in der Bücherschau vorgestellten Arbeit von Eichele (AnwBl 2006, 203 f.) haben sich drei weitere Studien mit dem Generalthema „Europäisches Wettbewerbsrecht vs. Verbandsrecht“ beschäftigt. 1. Nicola Waldhorst stellt ihre Untersuchung, eine in Bochum von Burgi betreute Dissertation, unter den Titel „Die Kammern zwischen Kartell- und Verwaltungsorganisationsrecht“. Die Arbeit, die insbesondere die Stellung der BRAK und der IHKen im Europarecht analysiert, gliedert sich in drei große, jeweils rund 70seitige Hauptabschnitte. Teil 1 beleuchtet die rechtliche Dimension des Kammerwesens, zunächst auf nationaler, sodann auf europäischer Ebene. Besonderes Augenmerk gilt hier der Schilderung der Rechtssetzungsbefugnisse der Kammern, dem für das Europäische Wettbewerbsrecht besonders problematische Charakteristikum des Kammerwesens, sowie des weitgehend indifferenten Verhältnisses Europas zur funktionalen Selbstverwaltung. Der zweite Hauptteil wendet sich dann der Frage des Einflusses des europäischen Kartellrechts auf die Kammern zu. Waldhorst schildert zunächst das Verhältnis von Wettbewerbsregeln und Grundfreiheiten des EG, bevor sie die Anwendungspraxis des Art. 81 EG auf Selbstverwaltungsträger bis zu einer Kommissionsentscheidung zum Vergütungsrecht der belgischen Architekten vom Juni 2004 nachzeichnet. Der folgende Abschnitt ist den Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 81 EG gewidmet, hier analysiert Waldhorst, inwiefern Kammern die kartellAnwaltsrecht, Kilian

rechtlich maßgebliche Eigenschaft als Unternehmensvereinigung zukommt, ihr Handeln die in Art. 81 EG vorausgesetzte Zwischenstaatlichkeit besitzt und einen wettbewerbsrelevanten Beschluss im Sinne der Norm darstellt. Nach einem Abschnitt zu der in den EuGH-Entscheidungen aus 2002 maßgeblich geprägten Einschränkung des Tatbestandes des Art. 81 EG durch eine Art – die Kartellierung ausnahmsweise rechtfertigender – rule of reason überträgt die Verfasserin die abstrakt gewonnenen Ergebnisse auf die deutschen Gegebenheiten. Der EuGH lehnt die Überprüfbarkeit von autonom gesetztem Recht am Maßstab des Art. 81 EG ab, wenn der Delegierende wesentliche Grundsätze und die zu beachtenden Gemeinwohlinteressen dem Normgeber vorgibt und sich eine Letztentscheidungsbefugnis vorbehält. Mit einer verbreiteten Meinungsströmung beDie Kammern zwischen Kartell- und Verwaltungsorganisationsrecht: darjaht Waldhorst eine gestellt am Beispiel der Bundesrechtsanwaltskammer und der Industrie- und hinreichende, über Art. 12 GG Handelskammern vermittelte Bindung der Satvon Nicola Waldhorst; Baden-Baden: zungsversammlung an GemeinNomos, 2005; 262 S., kart.; (Schriften zum Wirtschaftsverwaltungs- und Verwohlinteressen und verneint gaberecht; 8); 3-8329-1698-9; 59,– E. die vom EuGH geforderte staatliche Letztentscheidungsbefugnis, da sie das Verfahren des § 191 e BRAO für nicht hinreichend kontrollintensiv hält. Zum selben Ergebnis gelangt sie hinsichtlich der Satzungsermächtigung zugunsten der IHKen, bevor sie sich in einem abschließenden Hauptteil – aufbauend auf ihr Zwischenergebnis der Möglichkeit der Verbandskontrolle durch Art. 81 EG – an die Überprüfung einzelner Satzungsnormen nach Art. 81 EG macht. Sie analysiert, ob Marktverhaltensregeln der BORA ausnahmsweise vom Kartellverbot ausgenommen sind, weil sie eine ordnungsgemäße Berufsausübung und damit ein Gemeinwohlinteresse verfolgen. Für unvereinbar mit Art. 81 EG hält sie bei dieser Prüfung u. a. § 6 Abs. 3, § 8, § 31 BORA. Die Studie weiß in diesem Teil insbesondere durch die sehr sorgfältige Analyse der einzelnen Normen des Satzungsrechts zu gefallen. Die Ergebnisse der Arbeit werden bei den Kammern auf wenig Begeisterung stoßen, die Verfasserin weiß sich aber in guter Gesellschaft der sich wohl als herrschend herauskristallisierenden Meinung in der Rechtswissenschaft. 2. Unterstützung erhält Waldhorst auch durch die Ergebnisse der von Jennifer Lenk vorgelegten Untersuchung „Die Ausnahme standesrechtlicher Werbeverbote aus dem EU-Kartellrecht“, die sich dem Generalthema auf fast 400 Seiten nähert und es mit Hilfe „standesrechtlicher“ Werbeverbote exemplifiziert. Nach einer der Klärung von Begriffen wie dem Freiberuf und dem Standesrecht dienenden Einleitung geht Lenk recht bald „in medias res“ und widmet sich auf rund 200 Seiten den zwei für die künftige deutsche Anwendungspraxis besonders problematischen Bereichen des Art. 81 EG: Dem Verständnis des Begriffs „Unternehmensvereinigung“ durch den EuGH und damit der Frage, ob und wann die Kammern Adressaten des Art. 81 EG sind, sowie der Ausklammerung von berufsrechtlichen Vorschriften aus Art. 81 EG durch eine Restriktion des Beschränkungsbegriffs. Anschaulich arbeitet Lenk bei der Untersuchung, wann eine Kammer bei der Normsetzung ausnahmsweise nicht als Unternehmensvereinigung, sondern hoheitlich handelt, die Interdependenz AnwBl 1 / 2007

79

MN

Mitteilungen

und damit die Relativität der vom EuGH definierten Kriterien heraus: Allgemeinwohlbindung, staatliche Letztentscheidungsbefugnis sowie die Zusammensetzung des Willensbildungsgremiums (diesem Kriterium wird vom EuGH aber wohl eher bloßer Indizcharakter zugebilligt). Lenk misst die BRAK (und eine Landesärztekammer) sodann an diesen Kriterien und kommt zu dem Ergebnis, dass weder eine hinreichende Vorabbindung an Die Ausnahme standesrechtlicher Gemeinwohlinteressen noch Werbeverbote aus dem EG-Kartellrecht Zugleich ein Beitrag zu der eine ausreichende staatliche Frage der Beeinflussung des EG-KarLetztentscheidungsbefugnis getellrechts durch Aspekte des Gemeinwohls geben ist. Sie belegt, dass ein von Jennifer Lenk; Baden-Baden: Noanderes Ergebnis auch dem mos, 2006; 403 S., kart.; (Heidelberger Prinzip der Selbstverwaltung widerspräche, die einen gestalterischen Spielraum sachnotwendig voraussetzt und damit Raum für den vom EuGH unerwünschten Einfluss unternehmerischer Partikularinteressen lässt. Zudem erkennt Lenk unter Zugrundelegung der Maßstäbe des EuGH Defizite bei der staatlichen Einflussnahme im Vorfeld der Beschlussfassung sowie bei den nachträglichen Kontrollbefugnissen nach § 191 e BRAO. Im sich anschließenden Kapitel erörtert die Verfasserin die vom EuGH im Verfahren Wouters entwickelte tatbestandsimmanente Ausnahme vom Kartellverbot aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls. Sie lehnt den Ansatz des EuGH ab, Allgemeinwohlinteressen auf der Tatbestandsebene zu berücksichtigen. Aufgrund des Inkrafttretens der Kartellverordnung 1/2003 kann die Diskussion von Lenk hier nicht wie zuvor häufig in der Doktrin auf einer eher formalen Ebene verbleiben (Eingriff in die Freistellungskompetenz der Kommission), sondern muss tief in die kartellrechtliche Dogmatik eintauchen. In diesen Passagen wird die Arbeit eher den Kartellrechtler ansprechen, ist der Berufsrechtler doch primär an einer Analyse interessiert, womit er in der sich an der EuGH-Rspr. orientierenden Anwendungspraxis zu rechnen hat. Die zwei abschließenden Hauptkapitel der Arbeit befassen sich mit der Freistellungsfähigkeit von Werbeverboten nach Art. 81 Abs. 1 EG und der Anwendbarkeit des Art. 86 Abs. 2 EG auf Kammersatzungen. Besonderen Reiz gewinnt die Untersuchung durch ihren dezidiert kartellrechtlichen Ansatz, sind Untersuchungen zu diesem Thema doch häufig von berufspolitischen Überlegungen überlagert oder zumindest beeinflusst. 3. Soweit bislang zwei Arbeiten besprochen worden sind, welche die EuGH-Rspr. zu Art. 81 EG wenig kammerfreundlich interpretieren, kann mit der Studie „Auswirkungen des Kartellverbots auf das Standes- und Berufsrecht der verkammerten Freien Berufe“ von Angelo Vallone ein Werk vorgestellt werden, das die bei den Kammern vorherrschende Sicht der Dinge in Sachen Arduino und Wouters teilt und deshalb dort auf größere Begeisterung stoßen dürfte. Anders als die Untersuchungen von Waldhorst und Lenk beschränkt sich die Arbeit von Vallone nicht auf die europarechtlichen Aspekte 1

2

80

der Problematik, sondern analysiert zunächst auf 150 Seiten, inwieweit das nationale Kartell- und Wettbewerbsrecht zu einer Verbandskontrolle führt. Schriften zum Wirtschaftsrecht und EuDer Verfasser äußert sich kriroparecht; 33) 3-8329-2044-7; 78,– E. tisch zu dem vom BGH seit 1991 gewählten Ansatz, dass aus hoheitlicher Tätigkeit der Kammern bei rechtswidrigem Handeln und deutlicher Überschreitung des vom Gesetz zugewiesenen Aufgabenbereichs eine kontrollfähige Tätigkeit im privaten Interesse wird. Er plädiert für eine schärfere Abgrenzung der beiden Bereiche ohne einzelfallabhängige Abweichungen. Der zweite Teil der Arbeit widmet sich sodann den europarechtlichen Fragen. Hier werden insbesondere die Leitentscheidungen des EuGH sehr anschaulich referiert, kleinschrittig aufgearbeitet und jeweils kritisch gewürdigt. Vallone kommt zu dem Ergebnis, dass die Normen des anwaltlichen Satzungsrechts der Kartellrechtskontrolle entzogen sind, weil die vom EuGH geforderte staatliche Letztentscheidungsbefugnis durch die Beteiligung des aufsichtsführenden Fachministeriums gewahrt sei. Einen interessanten abschließenden Abschnitt enthält die Arbeit schließlich in Form einer Auseinandersetzung mit den Deregulierungsbemühungen der EU-Kommission: Stichworte sind hier die vielzitierte IHS-Studie und die Kommissionsberichte zu den Freien Berufen.

II. Kammern und Fortbildung Wer sich als Rezensent in den zwischen DAV und BRAK mit großer Energie geführten und viele Ressourcen bündelnden Streit über das Vorhandensein oder Fehlen der Fortbildungskompetenz der Kammern durch Besprechung diesbezüglicher Werke einmischt, kann nur zwischen die Fronten geraten. Der Versuch sei daher erst gar nicht unternommen. Die zwei von BRAK und DAV bei renommierten Rechtswissenschaftlern in Auftrag gegebenen, nunmehr in Buchform veröffentlichten Gutachten seien somit lediglich angezeigt. Müßig der Hinweis, dass je nach berufspolitischem Standpunkt der eine Leser Michael Kloepfers „Fortbildungskompetenz der Rechtsanwaltskammern“1 überzeugender finden wird, dem anderen Leser die von Dirk Ehlers und Marc Lechleitner verfasste Studie „Die Aufgaben der Rechtsanwaltskammern“2 eher zusagen wird. Es gilt daher mit Cato: „Suum cuique“.

Dr. Matthias Kilian, K ln

Der Autor ist Rechtsanwalt und Vorstand des Soldan-Instituts f r Anwaltmanagement e.V. (Essen). Er ist erreichbar per E-Mail: [email protected].

Michael Kloepfer, Fortbildungskompetenz der Rechtsanwaltskammern, Band 15 der Schriftenreihe der Bundesrechtsanwaltskammer, Verlag C.H. Beck, München 2006, 87 S., ISBN 3-406-54636-8, 36 EUR. Dirk Ehlers / Marc Lechleitner, Die Aufgaben der Rechtsanwaltskammern, Band 2 der Schriftenreihe des Anwaltsblatts, Anwaltverlag, Bonn 206, 192 S., ISBN 3-8240-5318-7, 14,90 EUR.

AnwBl 1 / 2007

Anwaltsrecht, Kilian

MN

Haftpflichtfragen

Beweis und Beweislast im Regressprozess Rechtsanwalt Bertin Chab, Allianz Versicherungs-AG Mu¨nchen

Beweislast und Beweismöglichkeiten spielen in der täglichen forensischen Praxis eine bedeutende Rolle. Logische Folge ist, dass dies in Regressprozessen gegen Anwälte ebenso gilt, denn oftmals wird die Entscheidung umstrittener Sachverhalte nach Anwaltsfehlern in den Regressprozess verlagert. Die Kenntnis und richtige Anwendung der Beweisregeln ist zur korrekten Risikoeinschätzung von Schadenersatzansprüchen, die gegen Rechtsberater geltend gemacht werden, unerlässlich. Der Beitrag erläutert, welche Beweisregeln gelten.

I. Beweisführung im Hinblick auf die anwaltliche Pflichtverletzung 1. Auftragsumfang Die allgemeine Regel im Zivilrecht besagt, dass die jeweilige Partei diejenigen Tatsachen darzulegen und zu beweisen hat, die für sie günstig sind. Das gilt prinzipiell auch für die Frage, welchen Auftrag der Mandant erteilt hat. Bestreitet also der Anwalt den vom Mandanten behaupteten weitgehenden Auftrag und erklärt er, lediglich einen eingeschränkten Auftrag erhalten zu haben, ist es am klagenden Mandanten, den Auftragsumfang zu beweisen. Das hat nichts damit zu tun, dass der Anwalt in gewissen Randbereichen des Mandats Warnpflichten zu beachten hat, dem Mandanten also Hinweise erteilen muss, damit dieser keine Rechtsnachteile erleidet. Der Auftragsumfang selbst wird damit aber nicht erweitert und es wäre unzulässig, von den weitgehenden Beratungspflichten auf den konkreten Mandatsumfang zu schließen und damit dem Mandanten Beweiserleichterungen in diesem Bereich zuzugestehen (Borgmann/Jungk/Grams, 4. Aufl. § 42, Rd. 2). Ist das Mandat im Rahmen einer Sozietät angenommen worden, wird dies aber bestritten, haben die Anwälte die Beweislast dafür, dass ausnahmsweise ein Einzelmandat erteilt wurde und so die übrigen Sozietätsmitglieder nicht gem. § 51 a II 1 BRAO als Gesamtschuldner mithaften. 2. Pflichtverletzung Ebenso wie den Auftragsumfang muss der Mandant auch die Pflichtverletzung voll beweisen. In der Regel liegen hier nicht die Beweisschwierigkeiten. Die Fristversäumung liegt auf der Hand, ebenso der ungünstige Vertrag oder die unschlüssige Klage. Schwieriger ist die Beweislage für den Mandanten, wenn es um den Vorwurf fehlerhafter oder unvollständiger Beratung geht. Manchmal kann der Mandant Schriftstücke vorlegen, die die Fehlerhaftigkeit der Einschätzung seines Anwalts bestätigen. Was aber, wenn das nicht der Fall ist? Muss der Mandant auch eine lückenhafte oder gänzlich fehlende Beratung beweisen, scheint das auf kaum zu überwindende Schwierigkeiten zu stoßen. Wie soll ein Unterlassen bewiesen werden? Die Rechtsprechung lässt aber auch in diesem Zusammenhang keine Beweiserleichterungen gelten, sondern löst das Problem, indem dem Anwalt eine erhöhte Darlegungslast aufgebürdet wird. Dieser darf sich nicht damit begnügen, die Pflichtverletzung schlicht zu Beweis und Beweislast im Regressprozess, Chab

bestreiten oder ganz allgemein zu behaupten, er habe den Mandanten korrekt belehrt. Er hat vielmehr den Gang der Besprechungen im Einzelnen zu schildern und konkret vorzutragen, welche Belehrungen und Ratschläge er bei welcher Gelegenheit erteilt hat (grundlegend BGH, NJW 1987, 1322, st. Rspr.). Auch die Unvollständigkeit einer schriftlichen Beratung über das bestehende Prozessrisiko allein genügt nicht immer, um eine Pflichtverletzung zu beweisen. Im Fall des BGH, NJW 1985, 264 behauptete der beklagte Anwalt, dass er in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Übergabe des Schriftstücks, das nur unvollständige Belehrungen enthielt, ergänzende mündliche Erläuterungen anbrachte, so dass die Belehrung insgesamt nicht zu beanstanden gewesen sei. Der Vortrag war auch aus Sicht des BGH substantiiert genug, so dass dem Mandanten der volle Beweis für die Fehlerhaftigkeit der Beratung oblag (zur Beweislast bei einem Mitverschuldenseinwand BGH, WM 2005, 1904 mit Besprechung Grams, BRAK-Mitt. 2005, 259).

II. Beweislast in der Kausalfrage Die Beweislast für die Kausalität des Schadens spielt häufig eine entscheidende Rolle im Regressprozess gegen Anwälte. Auch hier gilt grundsätzlich: dem Mandanten obliegt die Beweislast für die haftungsbegründenden Umstände voll gem. § 286 ZPO, lediglich im Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität kommt ihm die Beweiserleichterung des § 287 ZPO zugute. Eine Beweislastumkehr wie sie etwa von Regressprozessen nach ärztlichen Kunstfehlern bei groben Pflichtverletzungen bekannt ist, wird bei Schadenersatzansprüchen gegen Rechtsberater zwar hin und wieder diskutiert, vom BGH aber abgelehnt (BGH, NJW 1994, 3295). Der Mandant ist dem Anwalt anders als der Patient dem Arzt nicht in gleicher existentieller Weise ausgeliefert. Vielmehr bestimmen in der Regel Ereignisse und Überlegungen aus der Sphäre des Mandanten den entscheidungserheblichen Sachverhalt. 1. Beweislast analog Vorprozess Fristversäumnisse sind seit jeher häufiger Ausgangspunkt späterer Regressprozesse. Wird im sogenannten Vorprozess die Klage des Mandanten schon wegen zuvor eingetretener Verjährung oder Ablauf einer Ausschlussfrist abgewiesen oder kommt es wegen der dem Anwalt zurechenbar eingetretenen Verfristung schon gar nicht mehr zur gerichtlichen Überprüfung, ist dieser Prozess im Haftpflichtprozess inzident zu führen. Das Gericht trifft im Regressprozess die Entscheidung selbstständig nach eigener Rechtsauffassung auf Basis des dortigen Parteivorbringens, es gelten prinzipiell die gleichen Beweisregeln wie im Vorprozess auch. Der Mandant muss also alles das beweisen, was er auch im Verfahren gegen den ursprünglichen Gegner hätte beweisen müssen, der Anwalt schlüpft dementsprechend in die Rolle des nicht mehr zu belangenden Prozessgegners. Das kann gewisse Nachteile für den Anwalt mit sich bringen. So muss er im inzident zu führenden Kündigungsschutzprozess nach Versäumen der Klagefrist (§ 4 KSchG) wie der Arbeitgeber darlegen, dass z. B. der Arbeitsplatz des gekündigten Mandanten weggefallen ist oder die Sozialauswahl korrekt war. Das wird er in der Regel nur dann bewerkstelligen können, wenn er die notwendigen Informationen vom vormaligen Gegner erhält. Andererseits hat der Anwalt im Regressprozess je nach KonAnwBl 1 / 2007

81

MN

Haftpflichtfragen

stellation aber auch gewisse Vorteile. So steht ihm auch die ursprüngliche Gegenpartei selbst, die im Vorprozess für die eigenen Bekundungen nicht als Zeuge auftreten konnte, nun im Haftpflichtprozess in dieser Rolle zur Verfügung. Das kann bisweilen entscheidend sein, wie folgendes Beispiel aus der Praxis zeigt: Eine Werklohnforderung wird im Vorprozess als verjährt zurückgewiesen; u. a. hatte der Auftraggeber des Mandanten eingewandt, eine höhere Barzahlung auf der Baustelle geleistet zu haben, ohne sich diese quittieren zu lassen. Im Vorprozess konnte er diese Einwendung mangels weiterer Zeugen nicht beweisen. Er wäre also damit aufgrund der non-liquet-Situation nicht durchgedrungen, der Mandant hätte die Forderung durchsetzen können. Im Haftpflichtprozess kann der Anwalt diese Partei als Zeugen benennen und kann damit die Erfüllungswirkung beweisen. 2. Anscheinsbeweise a) Vermutung für vollständige Informationserteilung Diese Anscheinsbeweisregel spielt regelmäßig dann eine Rolle, wenn dem Anwalt vorgeworfen wird, er habe im Prozess nicht vollständig vorgetragen, wodurch das Verfahren verloren wurde. Oftmals wendet der Anwalt hiergegen ein, dass er die notwendigen Informationen für einen substanziierten Vortrag vom Mandanten gar nicht erhalten hatte. Das mag zwar im Einzelfall richtig sein. Bestand aber Anlass zur weiteren Nachfrage, so obliegt es dem Anwalt, die Informationen beim Mandanten einzuholen. Hätte der Anwalt dementsprechend nachfragen müssen, wird vermutet, dass der Mandant diesen korrekt und vollständig informiert hätte. b) Vermutung beratungsgerechten Verhaltens Die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens ist zwar ebenfalls praxisrelevant, wird aber in ihrer Reichweite bisweilen überschätzt, selbst von Senaten am Oberlandesgericht, wie ein Urteil des BGH vom 21. Juli 2005 (IX ZR 49/02 mit Bespr. Chab, BRAK-Mitt 2005, 260) zeigt. Wirft der Mandant dem Anwalt vor, dass dieser ihn vor einer bestimmten Entscheidung, beispielsweise einem Vergleichsabschluss, fehlerhaft beraten hat, so gilt folgendes: Ein Schaden für den Mandanten wäre nur dann denkbar, wenn dieser sich auch entsprechend der im Nachhinein als richtig erachteten Beratung entschieden hätte. Die Beweislast dafür, dass dem tatsächlich so gewesen wäre, trägt der Mandant. Hier hilft ihm die Vermutung. Wenn der Anwalt im Regressprozess vorträgt, dass der Mandant seinem Rat ohnehin nicht gefolgt wäre, dann muss er das so überzeugend dartun, dass der Anscheinsbeweis erschüttert wird. Dieses Schema ist aber nur dann anzuwenden, wenn es in der konkreten Situation überhaupt nur eine „vernünftige“ Handlungsalternative gab. Anders ausgedrückt: hätte der Mandant auch bei korrekter Beratung noch unterschiedliche durchaus erwägenswerte Handlungsalternativen gehabt, von denen mindestens eine nicht kausal zum geltend gemachten Schaden geführt hätte, dann hat der Mandant voll zu beweisen, dass er gerade derjenigen Variante gefolgt wäre, die schließlich den Schaden auslöste.

verhängt hätte, wenn der Strafverteidiger seinerseits auf alle relevanten Umstände für die Strafzumessung hingewiesen hätte, trägt der Mandant die Beweislast nach den allgemeinen Regeln. Er kann auch nicht die seinerzeit zuständigen Richter als Zeugen dafür anbieten, dass diese bei korrekter Sachbehandlung des Anwalts anders entschieden hätten, denn die Beratung und Entscheidung des Kollegialgerichts ist als solche nicht mehr nachholbar (OLG München, BRAKMitt. 2006, 74 mit Bespr. Grams). 2. Berücksichtigung von Verfahrensregeln im Vorprozess Ein BGH-Urteil vom 16. Juni 2005 (NJW 2005, 3071 und Bespr. Jungk, BRAK-Mitt. 2005, 230) zeigt die Komplexität auf, die das Thema dieses Beitrags bisweilen mit sich bringen kann. Es ging darum, dass der beklagte Anwalt im Vorprozess ein für den Mandanten ungünstiges Sachverständigengutachten nicht ausreichend angegriffen hatte. Dies hätte er mit Hilfe eines entgegenstehenden Privatgutachtens mit Aussicht auf Erfolg tun können. Das Privatgutachten wurde aber zu spät vorgelegt. Später im Haftpflichtprozess wurden weitere Gutachten eingeholt, die wiederum zu anderen Ergebnissen führten. In einem ersten Schritt entschied der BGH die Frage, auf welchen Kenntnisstand denn nun im Haftpflichtprozess überhaupt abzustellen ist. Soweit dem mit dem Vorprozess befassten Gericht die später vorhandenen Beweismittel auch bei allseits korrektem Vorgehen keinesfalls zur Verfügung gestanden haben können, seien diese auch im Regressprozess nicht zu beachten. Es kam also ausschließlich darauf an, was im Vorprozess geschehen wäre, wenn das Privatgutachten rechtzeitig vorgelegt worden wäre. Das Berufungsgericht hätte seinerseits im Rahmen des diesem zuzubilligenden Ermessens mehrere Möglichkeiten des prozessualen Vorgehens besessen. Verschiedene hypothetische Kausalverläufe – je für sich sozusagen als gleichwertig neben den anderen zu beurteilen – hätten zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können. Der BGH entschied, dass die Unsicherheit hierüber zu Lasten des beklagten Anwalts gehen müsse, denn diese sei gerade auf dessen fehlerhaftes Handeln zurückzuführen. Der Anwalt muss also in diesem Fall beweisen, dass der Mandant bei allen prozessual möglichen Vorgehensweisen den Prozess verloren hätte. Nur dann dringt er mit dem Einwand durch, dass sich die pflichtwidrige Handlung nicht kausal auf den geltend gemachten Schaden ausgewirkt hat.

Bertin Chab, M nchen

Der Autor ist Rechtsanwalt. Er ist bei der Allianz Versicherungs-AG t tig. Der Beitrag gibt seine pers nliche Auffassung wieder.

III. Beispiele aus der neueren Rechtsprechung 1. Beweis über Entscheidungen eines Strafgerichts Hängt der Nachweis eines kausalen Schadens an der Frage, ob ein Strafgericht als Kollegialgericht eine niedrigere Strafe 82

AnwBl 1 / 2007

Beweis und Beweislast im Regressprozess, Chab

MN

Rechtsprechung

Anwaltsrecht

Zulassung zur Anwaltschaft beim BGH BRAO §223, §§164 bis 170

a) Ein Bewerber, den der Wahlausschuß für Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof dem Bundesministerium der Justiz benannt hat, kann die Wahl auch dann nicht isoliert anfechten, wenn er einen ungünstigen Platz in der zweiten Hälfte der Liste erreicht hat; er kann einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nur gegen den Bescheid des Bundesministeriums der Justiz nach § 170 Abs. 1, § 21 Abs. 1 BRAO richten (Abgrenzung zu Senatsbeschl, v, 14. Mai 1975, AnwZ 7/75, und v. 10. Mai 1978, AnwZ 11/78, beide unveröffentlicht), b) Das Bundesministerium der Justiz ist bei seiner Entscheidung nach § 170 Abs, 1 BRAO nur an den Kreis der Listenbewerber, aber weder an die Zahl der von dem Wahlausschuss für angemessen erachteten Neuzulassungen noch an eine von dem Wahlausschuss bestimmte Rangfolge der Bewerber gebunden. BGH, Beschl. v. 11.9.2006 – AnwZ 1/06

Aus den Gründen: A. Am 12. September 2004 unterrichtete der Präsident des Bundesgerichtshofs die Präsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer und der Rechtsanwaltskammer beim Bundesgerichtshof über seine Absicht, in absehbarer Zeit den Wahlausschuss für Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof einzuberufen und ihm die Neuwahl von Rechtsanwälten vorzuschlagen. Zugleich bat er um Vorschlagslisten. Hierbei bewarb sich auch der im Jahre 1964 geborene Antragsteller, der seit 1993 zur Rechtsanwaltschaft und seit 1998 bei dem Oberlandesgericht Karlsruhe zugelassen ist, um Zulassung als Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof; er wurde in die Vorschlagsliste der Bundesrechtsanwaltskammer (§ 166 Abs. 2 Nr. 1 BRAO) aufgenommen. Zur Vorbereitung der auf den 21. Juni 2006 anberaumten Wahl wurden für jeden der vorgeschlagenen Bewerber ein Erstund ein Zweitberichterstatter bestimmt, die jeden Bewerber zu einem persönlichen Gespräch einluden, ihm Gelegenheit gaben, schriftliche Arbeitsproben vorzulegen, und mit ihm eingegangene Stellungnahmen von Präsidenten der Oberlandesgerichte besprachen. Die Stellungnahmen der Berichterstatter wurden den Mitgliedern des Wahlausschusses übersandt. Diese erhielten zusätzlich eine von dem Ausschuss erbetene Aufstellung des Präsidenten des Bundesgerichtshofs über die allgemein anerkannten materiellen Kriterien für die Bewertung der fachlichen und persönlichen Eignung der Bewerber und statistische Unterlagen. Diese Unterlagen wiesen unter anderem die Entwicklung der Eingangszahlen bei den Zivilsenaten des Bundesgerichtshofs und der Geschäftswerte der bei diesen Senaten anhängigen Verfahren sowie eine Übersicht über die langjährige Entwicklung der Zahlen und der Altersstruktur der Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof aus. An der Wahl am 21. Juni 2006 wirkten neben dem Präsidenten des Bundesgerichtshofs die Vorsitzenden der zwölf Zivilsenate des Bundesgerichtshofs, die sechs Mitglieder des Präsidiums der Bundesrechtsanwaltskammer und die fünf Mitglieder des Präsidiums der Rechtsanwaltskammer beim Bundesgerichtshof mit. Der Wahlausschuss befasste sich zunächst mit dem Bedarf an Neuzulassungen (§ 168 Abs. 2 BRAO). In der Aussprache zu diesem Punkt wies der Präsident des Bundesgerichtshofs auf die deutlich gesunkenen Eingangszahlen bei den Zivilsenaten des Bundesgerichtshofs und auf den Umstand hin, dass das durchschnittliche Lebensalter der Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof mit derzeit etwas über 62 Jahren das bislang höchste sei und eine Verjüngung nahe lege. Der Ausschuss beschloss einstimmig, den Bedarf in einem Wahlgang zu ermitteln. Hierbei sollte (wie bei früheren Wahlen) die höchste Zahl als beschlossen gelten, für die sich Anwaltsrecht

eine Mehrheit fand. Stimmen für höhere Zahlen, für die sich die erforderliche Mehrheit nicht fand, sollten den niedrigeren Zahlen hinzugezählt werden. Als Ergebnis der Wahl stellte der Ausschuss einen Bedarf von sieben neuen Rechtsanwälten fest. Der Wahlausschuss beschloss sodann einstimmig, die dem Bundesjustizministerium zu benennenden 14 Bewerber (§ 168 Abs. 2 BRAO) – wie auch bei früheren Wahlen – nach einer Rangliste zu wählen, und zwar einzeln für jeden Rangplatz. In der Aussprache zu diesem Teil der Wahl wies der Präsident des Bundesgerichtshofs darauf hin, dass neben dem grundsätzlichen Prinzip der Bestenauslese auch die Gesichtspunkte einer Verjüngung der Rechtsanwaltschaft, einer Mischung von Bewerbern nach beruflichen Erfahrungsbereichen und einer Erhöhung des Anteils von Frauen berücksichtigenswert erschienen. Bei der anschließenden Wahl wurden die Beigeladenen zu 1 bis 7 auf die Rangplätze 1 bis 7, der Antragsteller auf den Rangplatz 8 und die Beigeladenen zu 8 bis 13 auf die Rangplätze 9 bis 14 gewählt. Das Wahlergebnis teilte der Präsident des Bundesgerichtshofs als Vorsitzender des Antragsgegners zu 2 (fortan: Wahlausschuss) noch am selben Tag dem Antragsgegner zu 1 (fortan: Bundesjustizministerium) mit. Am 23. Juni 2006 unterrichtete er die Bewerber über den Ausgang der Wahl. Am 27. Juni 2006 legte er dem Bundesjustizministerium die Liste der vom Wahlausschuss benannten Rechtsanwälte (im Folgenden: Bewerberliste) mit deren Bewerbungen und Bewerbungsunterlagen sowie den über sie erstellten Stellungnahmen der Berichterstatter einschließlich deren wertender Teile vor. Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung strebt der Antragsteller eine Erhöhung der Zahl der Neuzulassungen auf mindestens acht und seine Platzierung in der ersten Hälfte der Liste an, hilfsweise, den Wahlausschuss unter Aufhebung seiner Entscheidung zu einer entsprechenden neuen Entscheidung zu verpflichten. B. Der Antrag ist unzulässig, weil das Bundesjustizministerium über den Zulassungsantrag des Antragstellers noch nicht entschieden hat und diese Entscheidung durch die Zwischenentscheidungen des Wahlausschusses bei Listenbewerbern inhaltlich nicht präjudiziert wird. I. Die von dem Wahlausschuss nach § 168 Abs. 2 BRAO durch Wahl zu treffenden Entscheidungen können nach der Bundesrechtsanwaltsordnung nicht selbständig angegriffen werden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 223 Abs. 1 Satz 1 BRAO. Danach können Verwaltungsakte, die nach der Bundesrechtsanwaltsordnung ergangen sind, mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung angefochten werden, auch wenn das nicht ausdrücklich bestimmt ist. Um solche Verwaltungsakte handelt es sich bei der Bestimmung des Bedarfs und der Benennung der Bewerber durch den Wahlausschuss indessen nicht. Beide Entscheidungen führen zwar zu einer weiteren Begrenzung des Kreises der berücksichtigungsfähigen Bewerber und damit zu einer Verengung des Spielraums des Bundesjustizministeriums bei seiner Entscheidung über die Anträge der Listenbewerber auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof. Das ändert aber nichts daran, dass sie lediglich verwaltungsinterne Zwischenentscheidungen in einem gestuften Verwaltungsverfahren (BGHZ 162, 199, 204 f.) sind. Die Entscheidung über die Zulassungsanträge ist nach § 170 Anzeige

AnwBl 1 / 2007

83

MN

Rechtsprechung

Abs. 1 BRAO nicht dem Wahlausschuss, sondern allein dem Bundesjustizministerium zugewiesen. Deshalb ist es auch erst und nur das Bundesjustizministerium, das verbindlich gegenüber den Bewerbern über ihre Zufassungsanträge entscheidet. Erst seine abschließende Entscheidung ist Maßnahme der Justizverwaltung im Sinne von § 23 Abs. 1 EGGVG, die etwaige Rechte des Antragstellers beeinträchtigt, und damit ein nach § 223 Abs. 1 Satz 1 BRAO anfechtbarer Verwaltungsakt (vgl. Kleine-Cosack, BRAO. 4, Aufl., § 223 Rdn. 7 einerseits, Feuerich/Weyland, BRAO, 6. Aufl., § 223 Rdn. 6 andererseits). II. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist auch nicht in entsprechender Anwendung von § 223 Abs. 1 Satz 1 BRAO als Wahlanfechtung statthaft 1. Eine Anfechtung der Wahlentscheidungen des Wahlausschusses hat der Senat in entsprechender Anwendung von § 223 Abs. 1 Satz 1 BRAO bislang nur bei Bewerbern zugelassen, die bei der Wahl nicht die erforderliche Mehrheit für ihre Aufnahme in die dem Bundesjustizministerium vorzulegende Bewerberliste gefunden haben (Beschl, v. 14, Mai 1975, AnwZ 7/75, unveröff., Umdruck S. 5; Besohl, v. 10. Mai 1978, AnwZ 11/78, unveröff., Umdruck S. 4; Beschl. v. 23. Juni 1980. AnwZ 2/80, unveröff., Umdruck S. 3). Diesen Bewerbern kann anders der effektive Rechtsschutz nicht gewährt werden, den sie nach Art. 19 Abs. 4 GG von Verfassungs wegen beanspruchen können. Der Senat hat dies aus § 169 Abs. 2 BRAO abgeleitet, wonach dem Bundesjustizministerium die Bewerbungen und Bewerbungsunterlagen der gewählten (Listen-)Bewerber vorzulegen sind. Damit aber erfahren die Bewerber, die vom Wahlausschuss nicht benannt worden sind, keine Bescheidung ihrer Zulassungsanträge. Das Bundesjustizministerium kann diesen Anträgen nicht entsprechen, weil es nach § 164 BRAO an die Benennung durch den Wahlausschuss gebunden ist und keine Möglichkeit hat, die Bewerberliste selbst zu verändern. 2. In einer vergleichbaren Lage befinden sich Bewerber, die wie der Antragsteller einen Platz in der Bewerberliste gefunden haben, selbst dann nicht, wenn es sich hierbei um einen ungünstigen Platz in der zweiten Hälfte dieser Liste handelt. a) Ihre Bewerbungen sind nämlich, anders als die der übrigen Bewerber, nach § 169 Abs. 2 BRAO dem Bundesjustizministerium vorzulegen. Dieses ist deshalb in der Lage und nach § 21 Abs. 1, § 163 Satz 1, § 170 Abs. 1 BRAO auch verpflichtet, über die Zufassungsantrage aller Listenbewerber zu entscheiden und den erfolglosen Listenbewerber einen abschlägigen Bescheid zu erteilen (Feuerich/Weyland, aaO, § 170 Rdn. 9; Gerrit Krämer, Die Rechtsanwaltschaft beim BGH, 2004, S. 100). Dieser Bescheid kann nach § 21 Abs. 2 BRAO mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung angegriffen werden (Gerrit Krämer, aaO, S. 101), über den nach § 163 Satz 2 BRAO der Senat zu entscheiden hätte. Diesen Bescheid müssen Listenbewerber abwarten. Darin liegt auch keine sinnlose Förmelei. In seinem Bescheid hat das Bundesjustizministerium nämlich auch formelle und inhaltliche Einwände gegen die Bewerberliste des Wahlausschusses zu überprüfen und berechtigten Einwänden Rechnung zu tragen. Das ist ihm auch möglich, weil es weder an eine in der Bewerberliste bestimmte Rangfolge noch an den von dem Wahlausschuss festgelegten Bedarf gebunden oder hierdurch inhaltlich präjudiziert ist. b) An die seit jeher und auch im vorliegenden Fall bestimmte Rangfolge der Benennungen in der Bewerberliste des Wahlausschusses ist das Bundesjustizministerium nicht gebunden. Der Wahlausschuss soll dem Ministerium doppelt so viele Bewerber benennen, wie er für angemessen erachtet, damit es die Möglichkeit einer Auswahl hat. Diese Vorgabe des Gesetzes würde unterlaufen, könnte der Ausschuss das Ministerium durch eine im Gesetz zudem gar nicht vorgesehene (Schimansky, Festschrift für Odersky, 1996, S. 1083, 1085) Rangfolge präjudizieren. Eine solche Präjudizierung verschaffte den Bewer84

AnwBl 1 / 2007

bern auf der ersten Hälfte der Liste zudem im Ergebnis einen Zulassungsanspruch, den sie nach § 168 Abs. 3 BRAO aber gerade nicht haben sollen. Die rechtliche Unverbindlichkeit der Rangfolge steht deshalb außer Streit (Feuerich/Weyland, aaO, § 170 Rdn. 1; Härtung in; Henssler/Prütting, BRAO, 2. Aufl., § 170 Rdn. 3; Gerrit Krämer, aaO, S. 58; Schimansky, aaO, S. 1085). c) Das Bundesjustizministerium ist durch die von dem Wahlausschuss bestimmte Rangfolge auch nicht inhaltlich präjudiziert. Es hat eigenständig zu entscheiden, welche der vom Wahlausschuss benannten Bewerber für die Zulassung als Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof am besten geeignet sind (BGHZ 162, 199, 205). Bei seiner Entscheidung hat es zwar die von dem Ausschuss bestimmte Rangfolge der Bewerber als wesentlichen Gesichtspunkt zu berücksichtigen. Denn der Ausschuss hat sich mit der fachlichen und persönlichen Eignung der Bewerber eingehend befasst und hat hierfür aufgrund seiner Zusammensetzung besonderen Sachverstand. Zu prüfen hat das Ministerium aber – ähnlich wie der Richterwahlausschuss des Bundes (dazu: VG Schleswig, NJW 2002, 2657, 2659) – auch, ob die Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof im Fall einer Zulassung der auf die erste Hälfte der Bewerberliste gewählten Bewerber auch in ihrer Gesamtheit den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege entspricht (vgl. Senatsbeschl. v. 7. November 1983. AnwZ 21/83, NJW 1984, 1042, 1043 zur Zweiersozietät). Es hat dabei der Frage nachzugehen, ob es sachlich geboten ist, im Rahmen des auch ihm zukommenden Beurteilungsspielraums eigene Akzente zu setzen, etwa um eine stärkere Verjüngung der Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof oder eine Verstärkung ihres Frauenanteils zu erreichen. Daran ändert es nichts, dass das Bundesjustizministerium bislang mit einer einzigen Ausnahme stets der Rangfolge der Bewerber in den Bewerberlisten des Wahlausschusses gefolgt ist (Schimansky, aaO S. 1085) und nur Bewerber als Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof zugelassen hat, die einen Platz in der ersten Hälfte dieser Listen gefunden haben. Dies beruhte jeweils auf einer eigenständigen Prüfung und kann in der Sache auch nicht überraschen, weil sich der Wahlausschuss und das Ministerium an den gleichen Kriterien auszurichten haben. d) Das Bundesjustizministerium ist schließlich auch nicht an die Zahl von Rechtsanwälten gebunden, deren Zulassung der Wahlausschuss für angemessen erachtet. aa) Eine solche Bindung des Bundesjustizministeriums wird allerdings in der Literatur weitgehend angenommen (Feuerich/ Weyland, aaO, § 170 Rdn. 7; Härtung in Henssler/Prütting, aaO, § 168 Rdn. 7; Gerrit Kramer, aaO, S, 57; a. M. Tilmann. BRAK-Mitt. 1994, 118, 120). Hiervon gehen, wie die mündliche Verhandlung vor dem Senat ergeben hat, auch der Wahlausschuss und das Bundesjustizministerium selbst seit jeher aus. Diese Bindung wird aus § 168 Abs. 2 BRAO abgeleitet. Aus der Pflicht des Wahlausschusses, die doppelte Zahl von Rechtsanwälten zu benennen, die er für angemessen hält, ergebe sich zugleich auch seine alleinige Kompetenz, diese Zahl festzulegen (Härtung aaO; vgl. auch Senatsbeschl. v. 14. Mai 1975, AnwZ 7/75, unveröff., Umdruck S. 12. bb) Dem vermag der Senat nicht zu folgen. (1) Schon dem Wortlaut des § 168 Abs. 2 BRAO ist eine Bindung des Bundesjustizministeriums nicht zu entnehmen. Die Vorschrift legt lediglich fest, wie viele Rechtsanwälte der Wahlausschuss dem Ministerium zu benennen hat. Dieses darf zwar nach § 164 BRAO nur Bewerber aus der Bewerberliste des Wahlausschusses zulassen. Dem Wortlaut des Gesetzes ist indessen nicht zu entnehmen, dass das Bundesjustizministerium weder weniger noch mehr als die Hälfte der benannten Bewerber zulassen dürfte (Tilmann, BRAK-Mitt 1994, 118, 120). Auch das Bundesverfassungsgericht ist, wenn auch ohne nähere Begründung, davon ausgegangen, dass § 168 Abs. 2 BRAO eine zusätzliche Prüfung durch das Bundesjustizministerium Anwaltsrecht

MN

Rechtsprechung

eröffne (Beschl. v. 24, März 1982, 1 BvR 278/75 u. a., unveröff., Umdruck S. 4 oben). (2) Eine Beschränkung der Entscheidungskompetenz des Bundesjustizministeriums war von dem Gesetzgeber auch nicht beabsichtigt. § 168 BRAO geht auf § 182 des Regierungsentwurfs einer Bundesrechtsanwaltsordnung vom 8. Januar 1958 zurück. Darin war eine zahlenmäßige Begrenzung der Bewerberliste des Wahlausschusses nicht vorgesehen. Dieser sollte in geheimer Mehrheitswahl frei entscheiden, welche Bewerber aus den ihm vorgelegten Vorschlagslisten er dem Bundesjustizministerium benennt (BT-Drucks. III/120 S. 32, 111), Die heutige Fassung des § 168 Abs. 2 BRAO beruht auf einer Änderung, die der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens beschlossen hat. Ziel der Änderung war es, „die Anzahl der Vorschläge, die der Wahlausschuss dem Bundesminister der Justiz vorlegt, ... zu begrenzen“ (BT-Drucks, III/77S S. 9 zu § 182 BRAO-E). Bei dem Verfahren zur Begrenzung der Liste hat sich der Gesetzgeber an den Vorschriften über die Bestimmung der anwaltlichen Beisitzer für das Anwaltsgericht, den Anwaltsgerichtshof und den Senat für Anwaltssachen des Bundesgerichtshofs in den damaligen § 107 Abs. 2 und § 120 Abs. 2 BRAO-E orientiert, die sich heute in § 94 Abs. 2 Sätze 3 und 4, § 103 Abs. 2 Satz 1 und § 107 Abs. 2 Sätze 2 und 3 BRAO finden. Danach müssen die Vorschlagslisten für das Anwaltsgericht und den Anwaltsgerichtshof mindestens die Hälfte mehr als die erforderliche Zahl von Rechtsanwälten enthalten, die Vorschlagsliste für den Senat für Anwaltssachen des Bundesgerichtshofs sogar die doppelte Anzahl. Die Anzahl der erforderlichen Rechtsanwälte haben in diesen Fällen die Landesjustizverwaltungen und für den Bundesgerichtshof das Bundesministerium der Justiz zu bestimmen. Bei der Übertragung dieses Modells auf den Wahlausschuss für Rechtsanwälte ergab sich die Schwierigkeit, dass es hier an einer vorherigen Bestimmung der erforderlichen Anzahl zuzulassender Rechtsanwälte durch das Bundesjustizministerium und damit an einem Maßstab fehlte, anhand dessen die doppelte Anzahl berechnet werden kann. Diesen Maßstab sollte der Ausschuss selbst festlegen. Das bedeutet die Formulierung in § 168 Abs. 2 BRAO, dass der Ausschuss die doppelte Zahl von Rechtsanwälten benennt, die er für angemessen hält. (3) Allerdings führt die Begrenzung der Bewerberliste im Ergebnis auch zu einer Einschränkung der Entscheidungsfreiheit des Bundesjustizministeriums, das an die in der Liste benannten Rechtsanwälte gebunden ist. Das ist aber nur ein Nebeneffekt, nicht der eigentliche Zweck der Regelung, die, wie ausgeführt, nur ein Ausufern der Bewerberliste verhindern soll (BT-Drucks. III/778, aaO). Anhaltspunkte dafür, dass das Ministerium in seiner Entscheidungsfreiheit auch insoweit eingeschränkt werden sollte, dass es im Rahmen der Bewerberliste nicht mehr und nicht weniger Rechtsanwälte zulassen durfte, als der Wahlausschuss für erforderlich gehalten hat, lassen sich den Materialien und dem hieraus ersichtlichen Zweck der Regelung nicht entnehmen. Das Bundesjustizministerium darf allerdings die Zahl der Neuzulassungen im Rahmen der Bewerberliste des Wahlausschusses nicht nach Belieben festlegen. Nicht anders als der Wahlausschuss in seiner vorläufigen Entscheidung nach § 168 Abs. 2 BRAO hat es sich bei der abschließenden Festlegung der Zahl der zuzulassenden Rechtsanwälte daran zu orientieren, dass einerseits eine ausreichende Versorgung der Rechtsuchenden an revisionsanwaltlicher Beratung und Vertretung garantiert sein muss, andererseits die bei dem Bundesgerichtshof Singular zugelassenen (§ 172 BRAO) Rechtsanwälte im Hinblick auf ihre Berufsausübungsfreiheit, vor allem aber auch im Hinblick auf die mit der Singularzulassung verfolgten Interessen des Gemeinwohls ausreichende Möglichkeiten revisionsanwaltlicher Betätigung haben müssen (dazu Senat, BGHZ 152, 189, 208 f.). Deshalb wird das Bundesjustizministerium von der EinAnwaltsrecht

schätzung des Wahlausschusses über die erforderliche Anzahl von Neuzulassungen, der wegen dessen Sachnähe und hoher Kompetenz großes Gewicht zukommt, nicht ohne sachlichen Grund abweichen. Das ändert aber nichts daran, dass das Bundesjustizministerium bei der Zulassung von Rechtsanwälten bei dem Bundesgerichtshof auch in Ansehung der erforderlichen Zahl von Neuzulassungen einen Beurteilungsspielraum hat, innerhalb dessen es die heranzuziehenden Gesichtspunkte in gewissem Umfang anders gewichten kann als der Wahlausschuss. Dabei kann es im Interesse der Rechtspflege etwa auch darauf hinwirken, durch eine begrenzte Ausweitung der von dem Wahlausschuss für erforderlich gehaltenen Neuzulassungen weitere besonders qualifizierte Rechtsanwälte für die Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof zu gewinnen. 3. Das Verfahren des Bundesjustizministeriums ist so gestaltet, dass der Antragsteller seine Rechte im Fall einer Zurückweisung seines Zulassungsantrags effektiv wahrnehmen kann. Das Ministerium würde zwar, hielte es ebenfalls sieben Neuzulassungen für erforderlich, bei Ablehnung des Antragstellers durch eine gleichzeitige Bescheidung aller Zulassungsanträge das Kontingent der von ihm für erforderlich gehaltenen Zulassungen erschöpfen und damit die Chance des Antragstellers jedenfalls nachhaltig vermindern, seine Zulassung durch einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung an den Senat durchzusetzen. Das Ministerium hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat aber verbindlich zugesichert, es werde zunächst diejenigen Bewerber bescheiden, deren Zulassungsanträge zurückgewiesen werden sollen, und die vorgesehenen Zulassungen erst zwei Wochen später vornehmen, um den unterlegenen Bewerbern Gelegenheit zu geben, einstweiligen Rechtschutz zu beantragen. Das reicht zur Sicherung der Rechte des Antragstellers aus. 4. Der Antragsteller kann damit als Listenbewerber erst durch eine etwaige abschlägige Entscheidung des Bundesjustizministeriums in seinen Rechten verletzt werden. Diese muss er abwarten. Ein Bedürfnis, ihm als Listenbewerber zusätzlich die Wahlanfechtung zu eröffnen, ist, anders als bei einem Bewerber, der keine Aufnahme in die Liste gefunden hat, nicht erkennbar. Sein hierauf gerichteter Antrag ist deshalb als unzulässig zurückzuweisen. Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dr. Michael Kleine-Cosack, Freiburg/Br.

Anmerkung der Redaktion: Das aktuelle Verfahren zur Zulassung neuer Rechtsanwälte beim BGH ist von zwei Kandidaten erfolglos angefochten worden. Der eine Kandidat war auf Platz 8 der Auswahlliste gewählt worden nachdem der Wahlausschuss beim BGH nur einen Bedarf von sieben neuen BGH-Anwälten ermittelt hatte (siehe den abgedruckten Beschluss). Der zweite Kandidat war überhaupt nicht auf die Auswahlliste gewählt worden. In dem noch nicht vorliegenden Beschluss vom 5. Dezember 2006 (AnwZ 2/06) soll es nach einer BGH-Pressemitteilung heißen, dass das Wahlverfahren nicht zu beanstanden sei und der Wahlausschuss seinen Beurteilungsspielraum eingehalten habe. Damit muss nun das Bundesjustizministerium entscheiden: Es muss den erforderlichen Bedarf feststellen und aus der Liste von 14 Kandidaten auswählen. Anzeige

AnwBl 1 / 2007

85

MN

Rechtsprechung

Anwaltshaftung

Unterschrift bei normalem Fax und Computerfax ZPO § 130 Nr. 6

Eine eingescannte Unterschrift des Prozessbevollmächtigten in einem bestimmenden Schriftsatz genügt nicht den Formerfordernissen des § 130 Nr. 6 ZPO, wenn der Schriftsatz mit Hilfe eines normalen Faxgerätes und nicht unmittelbar aus dem Computer versandt wurde. BGH, Beschl. v. 10.10.2006 – XI ZB 40/05

Aus den Gründen: I. Das Landgericht hat mit Urteil vom 29. April 2005, zugestellt am 3. Mai 2005, die Vollstreckungsgegenklage der Kläger abgewiesen. Mit Schriftsatz vom 3. Juni 2005 haben sie gegen die Entscheidung Berufung eingelegt. Die per Telekopie beim Oberlandesgericht am selben Tag eingegangene Berufungsschrift ist von ihrem Prozessbevollmächtigten nicht unterschrieben worden, sondern weist eine eingescannte Unterschrift auf. Das am 7. Juni 2005 beim Berufungsgericht eingegangene Original der Rechtsmittelschrift schließt mit einem handschriftlichen Namenszug ab, der mit der eingescannten Unterschrift nicht übereinstimmt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der mit normalem Faxgerät übermittelte Schriftsatz vom 3. Juni 2005 erfülle nicht die an eine formgerechte und damit fristwahrende Einlegung der Berufung zu stellenden Anforderungen. Bestimmende Schriftsätze im Anwaltsprozess müssten von einem bei dem Rechtsmittelgericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein, weil nur mit der Unterschrift der Nachweis geführt werde, dass er die Verantwortung für den Inhalt der Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsschrift übernehme. Die in der Entscheidung des Gemeinsamen Senates vom 5. April 2000 (NJW 2000, 2340) noch für zulässig gehaltene Ersetzung der Unterschrift durch den Hinweis, dass der benannte Urheber wegen der gewählten Übertragungsform nicht unterzeichnen könne, habe der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 18. Mai 2005 (NJW 2005, 2086) für eine als Computerfax bei Gericht eingegangene Berufungsbegründung mit Rücksicht auf die Neufassung des § 130 Nr. 6, 2. Halbs. ZPO nicht mehr als ausreichend erachtet, sondern ein technisch ohne weiteres mögliches Einscannen der Unterschrift gefordert. Da er sich damit gegen eine nicht durch technische Notwendigkeiten begründete Aufgabe oder Einschränkung des Schriftformerfordernisses ausgesprochen habe, reiche eine eingescannte Unterschrift unter einem mit normalem Faxgerät übermittelten Schriftsatz zur Wirksamkeit der Berufung nicht aus. Ein von der Rechtsprechung anerkannter Ausnahmefall liege nicht vor. Das Fehlen der Unterschrift des Prozessbevollmächtigten könne zwar unschädlich sein, wenn sich aus anderen Umständen eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr dafür ergebe, dass er die Verantwortung für den Inhalt des bestimmenden Schriftsatzes übernommen habe. Hierbei könnten aber nur solche Umstände berücksichtigt werden, die spätestens bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist bekannt geworden seien. Dies sei hier schon deshalb nicht der Fall, weil das Original der Berufungsschrift erst nach Ablauf der Berufungsfrist beim Gericht eingegangen sei. Zudem bestünden Zweifel an einer durch den Prozessbevollmächtigten der Kläger autorisierten Einlegung der Berufung innerhalb der Rechtsmittelfrist, da die Unterschriften auf der Telekopie und auf dem Original nicht identisch seien. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Rechtsbeschwerde der Kläger. 86

AnwBl 1 / 2007

II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i. V. mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (BGHZ 151, 42, 43; 151, 221, 223; Senatsbeschluss vom 22. November 2005 – XI ZB 43/04, NJW-RR 2006, 284), sind nicht erfüllt. 1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) nicht erforderlich. Die von ihr aufgeworfene Frage, ob eine Unterschrift des Prozessbevollmächtigten bei einer per Telefax übermittelten Berufung zwingende Wirksamkeitsvoraussetzung ist, hat auch keine grundsätzliche Bedeutung, sondern ist seit langem höchstrichterlich geklärt. a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes müssen Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsschriften als bestimmende Schriftsätze im Anwaltsprozess grundsätzlich von einem beim Rechtsmittelgericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein (§ 520 Abs. 5, § 130 Nr. 6 ZPO), da mit der Unterschrift der Nachweis geführt wird, dass der Berufungs- oder Revisionsanwalt die Verantwortung für den Inhalt der Rechtsmittelbegründungsschrift übernimmt (siehe z. B. BGHZ 97, 283, 284 f.; BGH, Urteil vom 31. März 2003 – II ZR 192/02, NJW 2003, 2028; BGH, Beschluss vom 15. Juni 2004 – VI ZB 9/04, NJW-RR 2004, 1364; siehe ferner Senatsbeschluss vom 23. November 2004 – XI ZB 4/04, NJW-RR 2005, 435, 436 und Senatsurteil vom 10. Mai 2005 – XI ZR 128/04, NJW 2005, 2086, 2087). Dass in der Literatur (Zöller/Greger, ZPO 25. Aufl. § 130 Rdn. 21 f. m. w. Nachw.) das Unterschriftserfordernis vereinzelt nicht mehr als zeitgemäß angesehen wird, verschafft der Rechtssache entgegen der Auffassung der Kläger keine grundsätzliche Bedeutung. b) Allerdings hat die höchstrichterliche Rechtsprechung im Hinblick auf den technischen Fortschritt in einem erheblichen Umfang Ausnahmen von dem Unterschriftserfordernis zugelassen. So hat die Rechtsprechung bereits früh die Übermittlung einer Rechtsmittelschrift und anderer bestimmender Schriftsätze durch ein Telegramm oder mittels Fernschreiben für zulässig erachtet (vgl. die Nachw. bei BGHZ 144, 160, 162 ff.). Auch die Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax ist in allen Gerichtszweigen uneingeschränkt zulässig (vgl. BGHZ aaO S. 164). Für eine durch Computer-Fax übermittelte Berufungsbegründung hat der Gemeinsame Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes entschieden (BGHZ 144, 160, 164 f.), dass in Prozessen mit Vertretungszwang bestimmende Schriftstücke formwirksam durch elektronische Übertragung einer Textdatei mit eingescannter Unterschrift auf ein Faxgerät des Gerichts übermittelt werden können. Auf eine eigenhändige Unterzeichnung von Rechtsmittelbegründungsschriften ist allerdings, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, nur dann und insoweit verzichtet worden, wie technische Gegebenheiten einen solchen Verzicht erforderlich machen. Das ist hier nicht der Fall. Wird der bestimmende Schriftsatz – wie hier – mittels eines normalen Telefaxgerätes übermittelt, so kann der ausgedruckt vorliegende, per Fax zu übermittelnde Schriftsatz von dem Rechtsanwalt ohne weiteres unterschrieben werden. Mangels technischer Notwendigkeit hat der Bundesgerichtshof es daher seit jeher abgelehnt, in einem solchen Fall auf das Unterschriftserfordernis zu verzichten (BGH, Beschluss vom 11. Oktober 1989 – IV a ZB 7/89, WM 1989, 1820, 1821) oder das bloße Einscannen der Unterschrift genügen zu lassen (BGH, Beschluss vom 6. Juli 2006 – V ZR 260/05, Umdruck S. 2). Daran hält der Senat fest. c) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde verlangt die Neufassung des § 130 Nr. 6 ZPO nicht stets lediglich die Wiedergabe der Unterschrift in Kopie. Zwar fordert Halbsatz 2 dieAnwaltshaftung

MN

Rechtsprechung

ser Vorschrift für den durch einen Telefax-Dienst übermittelten bestimmenden Schriftsatz nur „die Wiedergabe der Unterschrift in Kopie“. Der weit gefasste Wortlaut erklärt sich aber ohne weiteres daraus, dass der Gesetzgeber in Anlehnung an die gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung (zur Entstehungsgeschichte der Bestimmung vgl. Senatsurteil vom 10. Mai 2005, aaO S. 2087) gewisse Ausnahmen vom Erfordernis einer eigenhändigen Unterschrift zulassen wollte. Die unterschiedliche rechtliche Behandlung beider Fälle – Übermittlung des bestimmenden Schriftsatzes per Computerfax oder aber mit Hilfe eines normalen Faxgerätes – ist entgegen der Ansicht der Kläger auch sachlich berechtigt. Anders als bei einer eigenhändigen Unterschrift ist bei einer eingescannten Unterschrift nicht gewährleistet, dass der Rechtsanwalt die Verantwortung für die Rechtsmittelbegründungsschrift übernimmt und es sich nicht lediglich um einen vom Rechtsanwalt nicht geprüften Entwurf handelt. Dass sich die Authentizität der Unterschrift in aller Regel nur zuverlässig feststellen lässt, wenn der Schriftsatz mit der eigenhändigen Unterschrift beim Gericht im Original eingeht, steht einer unterschiedlichen rechtlichen Behandlung einer per normalem Fax übermittelten eigenhändig unterzeichneten Rechtsmittelschrift und einer solchen mit lediglich eingescannter Unterschrift schon deshalb nicht entgegen, weil es nicht die Aufgabe des Unterschrifterfordernisses ist, Fälschungen zu verhindern (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 2001 – VIII ZR 58/01, NJW 2001, 2888 f.). 2. Das Berufungsgericht hat entgegen der Auffassung der Kläger auch ihr Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. mit dem Rechtsstaatsprinzip) nicht verletzt. Dieses gebietet es, den Prozessparteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BVerfGE 41, 323, 326 f.; 41, 332, 334 f.; 69, 381, 385; BVerfG NJW 2005, 814, 815; BGHZ 151, 221, 227). Das ist durch das vom Berufungsgericht für notwendig erachtete Erfordernis einer Unterschrift nicht geschehen. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger hätte, wie dargelegt, aufgrund der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes vom Erfordernis einer Unterschrift als Wirksamkeitsvoraussetzung bestimmender Schriftsätze ausgehen und dem Rechnung tragen müssen. Das wäre ihm durch eigenhändige Unterzeichnung der ausgedruckten Berufungsschrift problemlos und ebenso leicht möglich gewesen wie das Einscannen seiner Unterschrift mit Hilfe eines Computers.

Parteibestimmung bei falschem Rubrum ZPO § 519 Abs. 2

Zur Auslegung der Berufungsschrift bei falscher Bezeichnung des Berufungsklägers. BGH, Beschl. v. 10.10.2006 – XI ZB 14/06

Aus den Gründen: I. Das Landgericht hat mit Urteil vom 12. Oktober 2005, zugestellt am 25. November 2005, der Zahlungsklage der Klägerin gegen die beklagte Aktiengesellschaft, deren Vorstand der Rechtsbeschwerdeführer zu 1) ist, in vollem Umfang von 228.353,03 E zuzüglich Zinsen stattgegeben. Am 20. Dezember 2005 ist eine Berufungsschrift des seinerzeitigen Prozessbevollmächtigten der Beklagten beim Berufungsgericht eingegangen; eine Ablichtung des vollständigen Urteils des Landgerichts soll beigefügt gewesen sein. Der Text der Berufungsschrift lautet auszugsweise: Anwaltshaftung

„In Sachen U. E. , ..., Kläger und Berufungskläger, ..., gegen M.

eG, ...,

Beklagte und Berufungsbeklagte, ..., wegen Forderung, Aktenzeichen erstinstanzlich Landgericht München I, Geschäftszeichen: 29 O 1037/05 Beschwerdewert: 228.353,03 E lege ich hiermit namens des Klägers und Berufungsklägers gegen das am 12.10.2005 verkündete und am 25.11.2005 zugestellte Endurteil des Landgerichts München I, Az.: 29 O 1037/05 Berufung ein.“ Mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2005 beantragte der seinerzeitige Prozessbevollmächtigte der Beklagten „in Sachen E. U. gegen M. eG“ die Verlängerung der Berufungsbegründungfrist. Am 18. Januar 2006 bat er um Berichtigung des Rubrums dahin, dass bei der Beklagtenpartei die Parteibezeichnung „D.AG, vertreten durch den Vorstand U. E.“ laute. Zugleich legte er für diese vorsorglich nochmals Berufung ein, verbunden mit dem Antrag, gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Mit Beschluss vom 21. März 2006 hat das Berufungsgericht die Berufung des Rechtsbeschwerdeführers zu 1) als unzulässig verworfen sowie den Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und ihre Berufung als unzulässig verworfen. Die Berufung des Rechtsbeschwerdeführers zu 1) könne nicht als Berufung der Beklagten ausgelegt werden. Zwar sei zu Gunsten der Beklagten davon auszugehen, dass der Berufungsschrift eine Abschrift des angefochtenen Urteils beigelegen habe. Im Hinblick auf eine beim Berufungsgericht am 3. November 2005 eingelegte Berufung des Rechtsbeschwerdeführers zu 1), mit der er sich in einem Parallelverfahren gegen die Abweisung seiner gegen die Klägerin des vorliegenden Rechtsstreits gerichteten Vollstreckungsgegenklage durch ein Urteil des Landgerichts T. vom 6. Oktober 2005 wendete, verblieben aber Zweifel an der Person des Rechtsmittelführers, weil eine irrtümliche Wiederholung der Berufungseinlegung des Rechtsbeschwerdeführers zu 1) gegen dieses Urteil nicht ausgeschlossen werden könne. Aufgrund dessen seien die Berufung des Rechtsbeschwerdeführers zu 1) mangels Beschwer und die Berufung der Beklagten infolge Fristversäumung unzulässig. Gegen diesen Beschluss wenden sich die beiden Rechtsbeschwerdeführer. II. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet. 1. Die gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde des Klägers ist zulässig, weil zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt die Beklagte in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes aus Art. 2 Anzeige

AnwBl 1 / 2007

87

MN

Rechtsprechung

Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. Die Verfahrensgarantien des Grundgesetzes verbieten es, den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingerichteten Instanzen in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. dazu BVerfGE 74, 228, 234; BVerfG NJW 2005, 814, 815; BGHZ 151, 221, 227). Indem das Berufungsgericht zu Unrecht (dazu unter 2.) davon ausgegangen ist, dass nicht die im Verfahren vor dem Landgericht unterlegene Beklagte, sondern der durch das Urteil erster Instanz nicht beschwerte und bis dahin an dem Rechtsstreit nicht beteiligte Rechtsbeschwerdeführer zu 1) Berufungskläger sei, hat es der Beklagten den Zugang zur Berufungsinstanz ungerechtfertigt versagt. 2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. a) Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass an die eindeutige Bezeichnung des Rechtsmittelführers strenge Anforderungen zu stellen sind. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Formvorschrift des § 519 Abs. 2 ZPO (früher: § 518 Abs. 2 ZPO a. F.) nur entsprochen, wenn bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist zweifelsfrei angegeben wird, für wen und gegen wen das Rechtsmittel eingelegt werden soll (Senat, Beschluss vom 22. November 2005 – XI ZB 43/04, NJW-RR 2006, 284 m. w. Nachw.). Da mit der Berufung ein neuer Verfahrensabschnitt vor einem anderen Gericht eröffnet wird, müssen aus Gründen der Rechtssicherheit zur Erzielung eines geordneten Verfahrenablaufs die Parteien des Rechtsmittelverfahrens und insbesondere die Person des Rechtsmittelführers bei verständiger Würdigung des gesamten Vorgangs der Rechtsmitteleinlegung bis zum Ablauf der Berufungsfrist für das Berufungsgericht und den Gegner in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise erkennbar sein (BGH, Urteil vom 15. November 2001 – I ZR 74/99, BGHReport 2002, 655 m. w. Nachw.). Dabei ist die erforderliche Klarheit über den Rechtsmittelführer nicht allein aus dessen ausdrücklicher Bezeichnung zu erzielen. Sie kann vielmehr – wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat – auch im Wege der Auslegung der Berufungsschrift und der etwa sonst im Zeitpunkt des Ablaufs der Berufungsfrist vorliegenden Unterlagen gewonnen werden (Senat, Beschluss vom 22. November 2005, aaO). b) Gemessen an diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht zu Unrecht davon ausgegangen, dass die fristgerecht eingegangene Berufung nicht von der Beklagten eingelegt worden ist. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei zugrunde gelegt, dass der am 20. Dezember 2005 eingegangenen Berufungsschrift eine Abschrift des angefochtenen Urteils beigefügt war. Dann bestand aber kein Anlass zu Zweifeln, dass die Beklagte Berufungsklägerin sein sollte. Dem steht nicht entgegen, dass als solche in der Berufungsschrift der Rechtsbeschwerdeführer zu 1) bezeichnet war und zusätzlich die Parteirollen in erster Instanz vertauscht waren. Unter Berücksichtigung dessen, dass die Berufungsschrift das erstinstanzliche Urteil mit den zutreffenden Angaben des Aktenzeichens, des Verkündungsdatums und des Beschwerdewertes sowie mit derselben Kurzbezeichnung „wegen Forderung“ anführte und im beigefügten Urteil des Landgerichts die D. AG als einzige und voll verurteilte Beklagte ausgewiesen war, während der Rechtsbeschwerdeführer zu 1) – bis auf seine Stellung als Vorstand der Beklagten – an dem Rechtsstreit nicht beteiligt war, konnten für das Berufungsgericht und die Klägerin aus damaliger Sicht keine vernünftigen Zweifel daran bestehen, dass der Rechtsbeschwerdeführer zu 1) bei der Berufungseinlegung versehentlich anstelle der Beklagten als Berufungskläger benannt worden war. Dass auch der innerhalb der Berufungsfrist eingegangene Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist vom 22. Dezember 2005 die falsche Rubrumsbezeichnung enthielt, ist unschädlich, weil es sich hierbei – wie sich auch an der 88

AnwBl 1 / 2007

Beifügung der Berufungsschrift zeigt – um einen offensichtlichen Folgefehler handelt. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ergeben sich auch keine vernünftigen Zweifel an der Person des Rechtsmittelführers daraus, dass vor demselben Senat ein Rechtsmittelverfahren zwischen dem Rechtsbeschwerdeführer zu 1) als Kläger und Berufungskläger und der Klägerin des vorliegenden Rechtsstreits als Beklagter und Berufungsbeklagter anhängig war. Bis auf die – allerdings einen gewichtigen, aber eben nicht ausschlaggebenden Umstand darstellende – Parteibezeichnung wies die Berufungsschrift keinen Bezug zu diesem Verfahren auf; die dortige Berufung richtete sich gegen das Urteil eines anderen Landgerichts mit einem anderen Aktenzeichen, einem anderen Beschwerdewert und einer anderen Kurzbezeichnung des Streitgegenstands (“wegen Vollstreckungsgegenklage“ statt „wegen Forderung“). Zudem waren die Berufung bereits am 3. November 2005 eingelegt worden und anhand der Aktenlage – eigene Feststellungen hat das Berufungsgericht nicht getroffen – keine Gründe ersichtlich, weshalb der Rechtsbeschwerdeführer zu 1) seine Berufung ca. 6 Wochen später, d. h. deutlich nach Ablauf der Berufungsfrist, wiederholen sollte. c) Deshalb musste die Auslegung der am 20. Dezember 2005 fristgerecht eingegangenen Berufungsschrift zum Ergebnis führen, dass die Beklagte als Berufungsklägerin anzusehen war. Das Berufungsgericht durfte die mit Schriftsatz vom 18. Januar 2006 vorsorglich eingelegte nochmalige Berufung deshalb nicht als unzulässig verwerfen, sondern musste sie als gegenstandslos ansehen (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Mai 2000 – VI ZB 12/00, NJW-RR 2000, 1661, 1662). Daraus folgt zugleich, dass der Rechtsbeschwerdeführer zu 1) keine Berufung eingelegt hat, so dass eine solche auch nicht auf seine Kosten als unzulässig verworfen werden durfte.

Anwaltsvergu¨tung

Gebühren des Prozessanwalts in der Gerichtsmediation RVG § 24 Abs. 1 S. 2

1. Durch die Teilnahme des Prozessbevollmächtigten an der gerichtsnahen Mediation fallen grundsätzlich keine zusätzlichen Rechtsanwaltsgebühren an. 2. Begleitet der Rechtsanwalt seinen Mandanten im Rahmen der gerichtsnahen Mediation zum Mediationstermin, wird er damit nicht als neutraler Rechtsanwaltsmediator i.S. von § 34 Abs. 1 Satz 1 RVG tätig, weil er weiterhin parteilich berät. 3. Die Mitwirkung eines parteilich beratenden Rechtsanwalts im Rahmen der gerichtsnahen Mediation wird grundsätzlich vollständig durch die Gebühren abgegolten, die er im Rahmen des Gerichtsverfahrens erhält. (nicht rechtskräftig) OLG Braunschweig, Beschl. v. 7.11.2006 – 2 W 155/06

Aus den Gründen: I. Der Kläger hat mit Klageschrift vom 3.2.2003 einen Zahlungsanspruch gegenüber dem Beklagten verfolgt. Nachdem zu Beweiszwecken bereits ein Sachverständigengutachten eingeholt worden war, stimmten die Parteien der Durchführung eines Mediationsverfahrens zu. Daraufhin ersuchte das erkennende Gericht mit Beschluss vom 21.6.2006 einen am Landgericht Braunschweig tätigen Richter, das Mediationsverfahren durchzuführen. Nach Durchführung der Mediation, an der neben den Parteien deren Prozessbevollmächtigten teilnahmen, schlossen die Parteien vor dem ersuchten Richter am 22.6.2006 einen Vergleich, durch den der Rechtstreit beendet wurde. Anwaltsverg tung

MN

Rechtsprechung

Mit Schriftsatz vom 23.6.2006 stellte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten Kostenausgleichsantrag. Neben einer Prozess-, Verhandlungs-, Beweis- und Vergleichsgebühr gemäß §§ 11, 23, 31 Nr. 1, 2 und 3 BRAGO sowie der Auslagenpauschale gemäß § 26 BRAGO zzgl. Mehrwertsteuer gemäß § 25 Abs. 2 BRAGO (insgesamt 2.649,44 E) machte er zusätzlich eine Mediationsgebühr gemäß §§ 34 Abs. 1 S. 2 RVG, 612 Abs. 2 BGB in 2,5 facher Höhe des Mittelsatzes von 300 E (= 750,00 E) zzgl. nochmaliger Pauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG (= 20,00 E) und auf beide Positionen berechnete Mehrwertsteuer gemäß Nr. 7008 VV RVG (= 123,20 E) geltend. Im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 29.08.2006 hat die Rechtspflegerin die Mediationskosten, die Pauschale gemäß Nr. 7008 VV RVG und die darauf berechnete Mehrwertsteuer, mithin einen Gesamtbetrag in Höhe von insgesamt 893,20 E nicht berücksichtigt. Gegen diesen dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten gegen Empfangsbekenntnis am 7.9.2006 zugegangenen Beschluss wendet sich der Beklagte mit seinem am 13.9.2006 bei Gericht eingegangenen Rechtsmittel. Er ist der Auffassung, dass die geltend gemachten Mediationskosten zur Durchführung des Verfahrens notwendig waren und deshalb zu berücksichtigen sind. Mit Beschluss vom 18.10.2006 hat die Rechtspflegerin der Beschwerde nicht abgeholfen und diese zur weiteren Entscheidung dem Oberlandesgericht Braunschweig vorgelegt. Mit Beschluss vom 2.11.2006 hat der Einzelrichter gemäß § 568 Nr. 2 ZPO die Sache dem Beschwerdegericht als Kollegialgericht übertragen. II. Das gemäß § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO zulässige und als sofortige Beschwerde anzusehende Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg. Der Beklagte kann nicht für die Mitwirkung seines Rechtsanwalts bei der am 22.6.2006 durchgeführten Mediation über die bereits gemäß §§ 11, 23, 31 Nr. 1, 2 und 3 BRAGO berücksichtigten vier Rechtsanwaltsgebühren (Prozess-, Verhandlungs-, Beweis- und Vergleichsgebühr) hinaus zusätzliche Gebühren verlangen. Zutreffend hat die Rechtspflegerin beim Landgericht die insoweit geltend gemachten Kosten in Höhe von 893,20 E bei der Kostenfestsetzung nicht berücksichtigt, weil der Beklagte dem von ihm beauftragten Rechtsanwalt derartige Gebühren nicht schuldet und diese deshalb nicht notwendig i. S. des § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO sind. 1. Entgegen der dem Kostenfestsetzungsantrag zugrundeliegenden Rechtsauffassung kann der Prozessbevollmächtigte des Beklagten einen solchen Gebührenanspruch nicht aus § 34 Abs. 1 Satz 2 RVG ableiten. a) Zum einen finden die Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) auf die vorliegende Entscheidung gemäß § 60 Abs. 1 S. 1 RVG keine Anwendung, weil der Auftrag zur Rechtsverteidigung in dieser Sache vor dem Inkrafttreten des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) erteilt worden ist. Das RVG ist zum 1.7.2004 in Kraft getreten und bestimmt, dass sich die Vergütung nach bisherigen Recht, mithin nach den Vorschriften der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) richtet, sofern der unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit vor dem 1.7.2004 erfolgt ist. Da die Klagerwiderungsschrift vom 17.3.2003 datiert, der unbedingte Verteidigungsauftrag des Beklagten an seinen Prozessbevollmächtigten hierzu zuvor erteilt worden sein muss, verbleibt es bei der Anwendung der alten Rechtslage gemäß den Bestimmungen der BRAGO. b) Zum anderen wäre ein solcher Gebührenanspruch nach den Bestimmungen des RVG, mithin nach neuer aktueller Rechtslage, ebenfalls nicht entstanden. Der vom Beklagten beauftragte Rechtsanwalt ist vorliegend nämlich nicht als Mediator tätig geworden. Ein Mediator ist ein Vermittler im Auftrage beider bzw. aller Parteien. Er soll im Anwaltsverg tung

Rahmen eines außergerichtlichen Beratungsverfahrens die Parteien dahingehend unterstützen, eine für sie passende rechtsverbindliche Vereinbarung über einen Rechtsstreit auszuarbeiten. Ausweislich des Beschlusses des Landgerichts Braunschweig vom 21.6.2006 ist das Mediationsverfahren im Wege der gerichtsnahen Mediation durch den von der Kammer ersuchten Richter gemäß §§ 278 Abs. 5 Satz 1, 362 ZPO analog durchgeführt worden. Mediator des Verfahrens war mithin ein beauftragter Richter und nicht der Prozessbevollmächtigte des Beklagten. Letzterer ist auch nicht im Auftrage der beiden Parteien als neutraler Anwaltsmediator tätig geworden, sondern hat den Beklagten in seiner Funktion als von diesem beauftragten Rechtsbeistand zum Mediationstermin begleitet und parteilich beraten. Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 RVG kann ein Rechtsanwalt aber nur dann Gebühren für ein Mediationsverfahren verlangen, wenn er selbst als neutraler Rechtsanwaltsmediator tätig wird. 2. Die Mitwirkung eines parteilich beratenden Rechtsanwalts im Rahmen der gerichtsnahen Mediation wird hingegen grundsätzlich vollständig durch die Gebühren abgegolten, die er im Rahmen des Gerichtsverfahrens erhält (so auch die bisherige Lit.: Spindler, Abschlussbericht zum Forschungsprojekt „Gerichtsnahe Madiation in Niedersachsen“ – von Sept. 2006, Seite 59 ff./Rdnr. 139 ff.; Hergenröther, AGS 2006, 361, 363; Caspary, FPR 2005, 393, 396; Huther, ZKM 2004, 250 unter Hinweis auf die Sicht der Bayerischen Justiz und Monßen, ZKM 2006, 85). Durch die gerichtsnahe Mediation fallen grundsätzlich nicht mehr Anwaltskosten an, als wenn die Parteien sich entschließen, dass streitige Verfahren vor dem erkennenden Gericht durch Vergleich zu beenden (so auch OVG Mecklenburg-Vorpommern, Entsch. v. 6.6.2006 – 1 O 51/06 – zitiert bei Juris Rdnr. 7). Ein Termin im Rahmen eines gerichtsnahen Mediationsverfahrens mit dem Ziel einer gütlichen Einigung vor dem Mediationsrichter unterscheidet sich zunächst in Bezug auf die Tätigkeit des den Mandanten begleitenden Rechtsanwalts nicht von einem Gütetermin gemäß § 278 Abs. 2 ZPO, der mit dem Ziel der gütlichen Einigung anberaumt worden ist und an dem die Beteiligten mit ihren Prozessbevollmächtigten mitwirken. Auch in einem gerichtsnahen Mediationsverfahren nimmt der Rechtsanwalt ausschließlich als parteilich beratender Anwalt teil. Doch auch wenn das Mediationsverfahren tatsächlich in das Gerichtsverfahren eingebunden ist, ist es nicht Teil desselben, weil die Mediation z. B. aufgrund des sie prägenden Freiwilligkeitsprinzips ausschließlich eigenen Regeln außerhalb der Zivilprozessordnung folgt. Hieraus ergibt sich, dass es sich bei der Wahrnehmung des Mediationstermins durch den Rechtsanwalt gebührenrechtlich stets um eine außergerichtliche Tätigkeit handelt. Gemäß den Gebührenvorschriften der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) ist eine solche Tätigkeit aber nicht zusätzlich vergütungsfähig. § 37 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO bestimmt hierzu, dass außergerichtliche Vergleichsverhandlungen neben einem anhängigen gerichtlichen Verfahren mit der Gebühr gemäß § 31 BRAGO abgegolten sind. Eine zusätzliche Gebühr steht dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten für die Wahrnehmung des Mediationstermins deshalb nicht zu. An diesem Vergütungsprinzip hat im Übrigen auch das neue Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) nichts geändert. Aus den Vorbemerkungen des Absatzes 3 zu Teil 3 VV RVG, wonach der Rechtsanwalt die Terminsgebühr nicht nur für die Wahrnehmung gerichtlicher Termine, sondern auch für die Mitwirkung bei auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen ohne Beteiligung des Gerichts erhält, ergibt sich nur, dass seine außergerichtliche Tätigkeit parallel zu einem anhängigen Gerichtsverfahren gebührenrechtlich nunmehr der Tätigkeit im streitigen Verfahren vor Gericht gleichgestellt ist. Anders als nach der alten RechtsAnwBl 1 / 2007

89

MN

Rechtsprechung

lage gemäß den Bestimmungen der BRAGO kann danach der Rechtsanwalt, sofern die Mediation bereits vor der mündlichen Verhandlung eingeleitet worden ist, die Terminsgebühr gemäß Nr. 3104 VV RVG verlangen. Diese wird danach – anders als nach den Bestimmungen der BRAGO – auch ohne mündliche Verhandlung vor dem erkennenden Gericht allein durch die Teilnahme des parteilich beratenden Rechtsanwalts im Mediationstermin ausgelöst (so auch OLG Hamm, Beschluss v. 29.12.2005 – 23 W 246/05 – NJW 2006, 2499 und bei Juris). Damit hat der Gesetzgeber eines seiner Ziele zur Reform der Rechtsanwaltsvergütung umgesetzt, außergerichtliche einvernehmliche Streitbeilegungen durch die Abschaffung von Gebührennachteilen für die daran beteiligten Rechtsanwälte zu fördern (BT-Drucks. 15/1971, S. 2). Die Vertretung einer Partei im Mediationstermin und im laufenden Rechtsstreit vor dem erkennenden Gericht führt aber nicht dazu, dass die Terminsgebühr aus Nr. 3104 VV RVG zweimal anfällt. Gemäß § 19 Abs. 1 S. 1 RVG i. V. m. Nr. 3104 Abs. 2 VV RVG erfolgt eine Anrechnung (Römermann, in Hartung/ Römermann, RVG, VV Teil 3 Rn. 65) mit der Folge, dass zusätzliche bzw. höhere Gebühren nur dann entstehen, wenn im Rahmen der Mediation Verhandlungen auch über bei Gericht nicht anhängige, nicht zum Streitgegenstand gehörende Ansprüche geführt worden sind. Diese außergerichtliche Tätigkeit konnte der Rechtsanwalt aber auch nach den Bestimmungen der BRAGO neben den Gebühren nach §§ 31 ff. BRAGO gestützt auf § 118 BRAGO gemäß dem Wert der nicht bei Gericht anhängigen Ansprüche berechnen (Enders, JurBüro 1998, 337, 338), weil es sich dann gebührenrechtlich zugleich um zwei verschiedene Angelegenheiten handelte. Da im Rahmen des am 22.6.2006 durchgeführten Mediationsverfahrens nicht mehr als die bei Gericht anhängigen Ansprüche verhandelt worden sind, ist auch kein zusätzlicher Gebührenanspruch nach § 118 BRAGO entstanden. Vielmehr ist die Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten des Beklagten durch die von der Rechtspflegerin bereits berücksichtigten vier Rechtsanwaltsgebühren vollständig vergütet. 3. Die Kostenentscheidung bzgl. der Beschwerde folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Beschwerdewert bestimmt sich gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG nach dem Interesse des Beklagten an der Abänderung der Entscheidung. Die Rechtsbeschwerde war zuzulassen, weil die Frage der Vergütung des parteilich beratenden Rechtsanwalts im gerichtsnahen Mediationsverfahren grundsätzliche Bedeutung hat. Mitgeteilt vom 2. Zivilsenat des OLG Braunschweig

Mittelgebühr im OWi-Verfahren RVG § 14; RVG VV Nr. 5100, 5103, 5109 f.

Verkehrsordnungswidrigkeiten sind nicht generell als unterduchschnittlich zu bewerten. Bei der Einholung eines Sachverständigengutachtens durch das Gericht rechtfertigen Umfang und Schwierigkeit die Mittelgebühr. (Leitsatz der Redaktion) AG München, Urt. v. 26.10.200 – 191 C 33490/05

Aus den Gründen: Die Klage ist zulässig, im Hauptantrag (Zahlungsantrag) unbegründet, im Hilfsantrag (Freistellungsantrag) begründet. Mangels tatsächlicher Bezahlung der Rechnungssumme an den Rechtsanwalt besteht gegenüber der Beklagten als Rechtsschutzversicherung aus rechtlichen Gründen nur ein Freistellungsanspruch, kein Zahlungsanspruch (vgl. Kommentar Prölss/Martin, VVG, 27. Auflage, § 5 ARB 94, Rn. 13). Die von 90

AnwBl 1 / 2007

Klägerseite angeführte Entscheidung BGH NJW 2004, 1863 ff., ändert an dieser Beurteilung nichts, da es vorliegend nicht um einen Schadensersatzanspruch, sondern um einen Anspruch aus Versicherungsvertrag geht. Die Ausführungen des Beklagtenvertreters im Schriftsatz vom 27.9.2005 hierzu sind zutreffend. Hingegen ist der mit dem Hilfsantrag vom 20.10.3005 verfolgte Freistellungsanspruch gemäß den §§ 21 Abs. 1 und Abs. 4 i. V. mit 24 Abs. 1 a, 2 und 3 ARB 94 begründet. Die vom anwaltlichen Vertreter im Rahmen des Bußgeldverfahrens 810/04/0029939/4 wegen Geschwindigkeitsüberschreitung vom 30.7.2001 vorgenommene Gebührenbestimmung entspricht billigem Ermessen. Die Anforderungen gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 KVG an die Billigkeit der Gebührenbestimmung sind gewahrt. Gemäß dieser Vorschrift hat sich, die Bestimmung an allen Umständen des Einzelfalles, insbesondere Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, Bedeutung der Angelegenheit sowie den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Auftraggebers zu orientieren. 1. Im Rahmen der Prüfung des Vorliegens dar Voraussetzungen von § 14 RVG im konkret vorliegenden Fall ist zunächst festzustellen, dass sich die Parteien um die Erstattung der Differenz zwischen der vom klägerischen Rechtanwalt angesetzten Mittelgebühr in den Nummern 5100, 5103, 5105 und 5110 VV RVG und den von der Beklagten als angemessen erachteten und bereits erstatteten Gebühren unterhalb der Mittelgebühr streiten. 2. Grundsätzlich soll die Mittelgebühr, welche sich rechnerisch durch Addition von Mindestgebühr und Höchstgebühr und anschließendem Dividieren durch 2 ergibt, in allen „Normalfällen“ gelten. Ein „Normalfall“ in diesem Sinne liegt vor, wenn die nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG zu berücksichtigenden Umstände durchschnittlicher Art sind, also übliche Bedeutung der Angelegenheit, durchschnittlicher Umfang und durchschnittliche Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie wirtschaftliche Verhältnisse des Auftraggebers, die dem Durchschnitt der Bevölkerung entsprechen. Gleichzeitig ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Mittelgebühr nicht grundsätzlich als konkrete Gebühr angenommen, werden darf. Es sind vielmehr in jedem Einzelfall alle konkret erhöhenden und vermindernden Umstände zu ermitteln (vgl. Gerold/ Schmidt. RVG, 17. Auflage, § 14 Rn. 10). 4. Jedoch hält die Ansetzung der Mittelgebühr in den fraglichen Gebührennummern 5100, 5103, 5109 und 5110 VV RVG einer vollumfänglichen gerichtlichen Überprüfung aller relevanter Gesichtspunkte und Umstände des Einzelfalles sehr wohl stand. Dies aus folgenden Gründen: a) Die Ausführungen des Beklagtenvertreters zu einem seitlichen Aufwand (Kriterium „Umfang der anwaltlichen Tätigkeit“) von lediglich „ca. 5 Minuten“ (Ziffer 5100 VV RVG) sind nicht nachvollziehbar. Es mag sein, dass die Lektüre eines Anhörungsbogens im Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren zeitlich wenig aufwendig ist. Gleichzeitig darf jedoch das Erfordernis und die Durchführung einer Erörterung der Sach- und Rechtslage zwischen Versicherungsnehmer und Rechtsanwalt nicht unberücksichtigt bleiben. Das weitere anwaltliche Tätigwerden (Akteneinsicht, Einspruch etc.) setzt schon denknotwendig ein diesbezügliches Mandantengespräch voraus, welches nicht ernsthaft mit einer Dauer von 5 Minuten angesetzt werden kann. Ohne die erforderlichen Mandanteninformationen kann eine zielgerichtete Tätigkeit des Anwalts von vornherein nicht entfaltet werden. Der Umstand, dass es sich „nur“ um einen Geschwindigkeitsverstoß mit regelmäßig geringem Gesprächsbedarf handele, führt zu keiner anderen Beurteilung. Dies gilt gerade Anwaltsverg tung

MN

Rechtsprechung

auch in Bezug auf Nr. 5100 VV RVG. Es sind nämlich zahlreiche Fallkonstellationen denkbar, in welchen die Informationsgewinnung grundsätzlich unproblematischer ist als bei Verstößen gegen Geschwindigkeitsbegrenzungen (bspw. Halten im Halteverbot, Verstoß gegen Gurtpflicht). Es ist zur Abschätzung der Sanktionen eine Mehrzahl an Parametern (Voreintragungen im Verkehrszentralregister, Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung etc.) zu berücksichtigen. Der zumindest durchschnittliche zeitliche Aufwand bei der Informationsgewinnung besteht auch in Relation zu anderen, nicht im Verkehrsrecht angesiedelten Ordnungswidrigkeiten. Nur beispielhaft sei hier auf einfacher gelagerte Ordnungswidrigkeiten, wie Verstößen gegen das Meldegesetz oder offenkundige Verstöße gegen das Lebensmittelgesetz hingewiesen. Angesichts einer Ermittlungsakte von 26 Seiten liegt auch hinsichtlich von Gebührenziffer 5103 VV RVG ein für die Bearbeitung eines Ordnungswidrigkeitsfalles zumindest durchschnittlicher Arbeitsumfang infolge Aktenstudiums vor. Es gibt durchaus viele Ermittlungsvorgänge von geringerem Aktenumfang. Dies ist dem Gericht nicht zuletzt aufgrund eigener jahrelanger Tätigkeit bei der Staatsanwaltschaft bekannt. Ordnungswidrigkeiten stellen nun mal in der absoluten Mehrzahl, selbstverständlich mit Ausnahmen, ein „Massengeschäft“ mit beschränktem Aktenumfang dar. Innerhalb dieser Vergleichsgruppe sind 25 Seiten nicht unterdurchschnittlich. Eine andere Einschätzung verkenne die Realitäten der Ermittlungstätigkeit von Verwaltungsbebörden. Die Art des Inhalts ist insoweit nicht entscheidend, da sich die Aktenpassagen für einen erst nach Durchsicht und Kenntnisnahme des gesamten Akteninhalts erschließt. Auch hinsichtlich von gerichtlicher Verfahrens- (Nr. 5109 VV RVG) und Terminsgebühr (Nr. 5110 VV RVG) geht das Gericht von einem zumindest durchschnittlichen Arbeitsumfang aus. Zwar wirkt der Umstand der Anreise vom Kanzleisitz zum Amtsgericht Potsdam nicht gebührenerhöhend. Er wirkt jedoch auch nicht gebührenmindernd, sondern ist neutral. Die Erörterung der Erforderlichkeit eines Sachverständigengutachtens und dessen Durchführung ist jedoch gerade nicht der Mehrzahl der Ordnungswidrigkeitenvorgänge immanent und damit nicht unterdurchschnittlich. b) Bei Beurteilung der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ist zunächst zugunsten der von Beklagtenseite vertretenen Rechtsansicht zu berücksichtigen, dass die Fachanwaltseigenschaft des anwaltlichen Vertreters des Versicherungsnehmers nicht gebührenerhöhend wirkt. Gleichzeitig ist jedoch festzustellen, dass der Verfahrensgang des Ordnungswidrigkeitenverfahrens mit Einholung eines Sachverständigengutachtens seitens des Gerichts deutlich zeigt, dass die verhandelte Verkehrssituation – im tatsächlichen Bereich von Anfang an, im rechtlichen Bereich infolge der Zustellungsproblematik zumindest im Laufe des Verfahrens – mit Problemstellungen behaftet war. Die Erholung eines Sachverständigengutachtens durch das Gericht, und nicht nur ein entsprechender Antrag seitens des Verteidigers, verdeutliche, dass es sich von allen denkbaren Ordnungswidrigkeitenkonstellationen (im Verkehrsbereich und auch sonst) tatsächlich gerade nicht um einen problemlosen, und damit unterdurchschnittlichen Fall handelte. Dass es dieses Sachverständigengutachtens aufgrund der später offenbar entscheidenden Zustellungsproblematik möglicherweise zur Rechtsverteidigung gar nicht bedurfte, ändert daran nichts. Da das befasste Gericht selbst die Gutachtenserholung veranlasste, musste sich die fehlende Entscheidungsrelevanz für einen nach dem anwaltlichen „Gebot des sichersten Weges“ handelnden Vertreter nicht aufdrängen. c) Bei Bewertung der Bedeutung der Angelegenheit ist zwar zunächst zutreffend, dass auch nach Auffassung des Gerichts die bloße drohende Eintragung von Punkten in das Verkehrszentralregister ohne konkrete Gefahr der Entziehung der FahrAnwaltsverg tung

erlaubnis bzw. eines Fahrverbotes nicht ausreicht, um eine durchschnittliche Bedeutung anzunehmen. Etwas anderes ergibt sich jedoch im vorliegenden Fall deshalb, weil der Kläger als Architekt auf individuelle Mobilität durch Beibehaltung der Fahrerlaubnis in seiner beruflichen Existenz angewiesen ist (bspw. bei Baustellenbesuchen). Demzufolge ist es für den Kläger in wirtschaftlicher Hinsicht sehr wohl zumindest mittelfristig von relevanter Bedeutung (Vergleichsgruppe: alle Kraftfahrzeugführer, damit auch solche, die nur Privatfahrten vornehmen). ob die Voraussetzungen für eine konkrete Gefährdung der Fahrerlaubnis in der nahen Zukunft durch aktuellen Punkteeintrag geschaffen werden oder nicht. Der Hinweis darauf, dass der Kläger diese Gefahr durch ordnungsgemäßes Fahrverhalten selbst vermeiden könnte, ist zwar grundsätzlich zutreffend, verkennt jedoch, dass sich bei erhöhter Fahrleistung auch die Gefahr von (fahrlässigen) Überschreitungen tatsächlich erhöht. Es ist mehr Zeit für Unachtsamkeiten. d) Hinsichtlich der Einkommensverhältnisse des Klägers als Auftraggeber ist festzustellen, dass ein Einkommen als fest angestellter Architekt regelmäßig als zumindest durchschnittlich zu bewerten ist. Diese Einschätzung ist unabhängig davon, ob es tatsächlich 4. 000,— brutto sind oder nicht (streitig). Der Hinweis auf mögliche Steuerabzüge und Unterhaltsleistungen verkennt, dass die Anforderungen an die diesbezüglichen Informationspflichten des Versicherungsnehmers und dessen anwaltlichen Vertreters nicht überspannt werden dürfen. Es ist keine detaillierte Einnahmen- und Ausgabenaufstellung erforderlich, wie beispielsweise bei einer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Rahmen eines Prozesskostenhilfebewilligungsverfahrens. Der Beruf des Architekten wird, verglichen mit allen Einkommensgruppen, grundsätzlich zumindest als durchschnittlich bezahlter Beruf angesehen. Bei Berücksichtigung aller vorgenannter Umstände sowie sämtlicher darüber hinausgehender, von Beklagtenseite vorgetragener, aber vom Gericht nicht als entscheidungserheblich angesehener Gesichtspunkte, ergibt sich, dass der Ansatz der Mittelgebühr gerechtfertigt ist. Die Entscheidung zeigt, wie wichtig es ist, bei der Abrechnung gegenüber dem Rechtschutzversicherer zu den Kriterien des § 19 RVG vorzutragen. Mitgeteilt von Rechtsanwalt Gregor Samimi, Berlin

Einigungsgebühr bei Unter- und Hauptbevollmächtigten VV RVG Nr. 1000; Abs. 2 der Anmerkung zu Nr. 1000

Die Einigungsgebühr entsteht sowohl beim unter- als auch beim hauptbevollmächtigten Rechtsanwalt, wenn der mit Untervollmacht handelnde Rechtsanwalt im Termin einen Vergleich mit Widerrufsvorbehalt schließt. (Leitsatz der Redaktion) AG Berlin-Mitte, Beschl. v. 15.5.2006-15 C 284/05

Aus den Gründen: Die Einigungsgebühr ist sowohl bei den Unterbevollmächtigten wie bei den Hauptbevollmächtigten entstanden. Eine Mitwirkung bei den Vertragsverhandlungen reicht aus (vgl. Abs. 2 der Anmerkung zu Nummer 1000 VV RVG). Da Verhandlungen im Gerichtstermin durch die Unterbevollmächtigten geführt worden sind, ist bei den Unterbevollmächtigten eine Einigungsgebühr entstanden. Da eine Einigungsgebühr ebenso zustande kommt, wenn der Rechtsanwalt den Einigungs- oder Vergleichsvorschlag prüft und begutachtet und die eigene Partei AnwBl 1 / 2007

91

MN

Rechtsprechung

berät, ist die Einigungsgebühr auch bei den Hauptbevollmächtigten entstanden. Da der Vergleich widerruflich geschlossen wurde, war auch eine Beratung durch den Hauptbevollmächtigten noch notwendig. Mitgeteilt von Rechtsanwalt Georg Kuthe, Hagen

Rechtsberatungsgesetz

Unzulässige Testamentsberatung durch eine Bank RBerG Art. 1 § 1, Art. 1 § 5 Nr. 1; UWG §§ 3, 4 Nr. 11, § 8 Abs. 1 Satz 1

1. Eine Bank verstößt gegen das Rechtsberatungsgesetz, wenn ein juristischer Mitarbeiter der Bank die Kunden über Fragen der Testamentserrichtung berät sowie für sie Testamentsentwürfe und (im Hinblick auf den Erbfall) eine Stiftungssatzung erstellt und überarbeitet. 2. Sollte das Unterlassungsgebot durch eine nachträgliche Gesetzesänderung (wie zum Beispiel möglicherweise das Rechtsdienstleistungsgesetz) wegfallen, muss dies im Wege der Vollstrekkungsabwehrklage gem. § 767 ZPO geltend gemacht werden. (Leitsatz der Redaktion) (nicht rechtskräftig) OLG Karlsruhe, Urt. v. 9.11.2006 – 4 U 174/05

Sachverhalt: I. Die Klägerin – eine Rechtsanwaltskammer – nimmt die Beklagte – eine deutsche Großbank – wegen unlauteren Wettbewerbs in Form eines Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz (RBerG) auf Unterlassung in Anspruch. Eine Kundin der Beklagten hatte ein Unternehmen veräußert und wollte einen Teil ihres Vermögens auf ihren Sohn übertragen. Auf Anregung eines Mitarbeiters der Filiale der Beklagten wurde vereinbart, dass der Mitarbeiter der Zentrale der Beklagten, Herr X., ein Jurist, mit ihr die Verwaltung ihres Vermögens für den Fall ihres Todes oder des Vorversterbens ihres Sohnes besprechen solle. Auf der Grundlage dieses Gesprächs erstellte Herr X. je einen Entwurf für ein Testament und eine Stiftungssatzung. Anschließend leitete er die beiden Entwürfe an einen Rechtsanwalt zur Prüfung weiter. Nach erfolgter Prüfung übersandte der Rechtsanwalt die Entwürfe mit Schreiben vom 11.7.2003 an die Kundin. Am 8.9.2004 fand nochmals ein Gespräch zwischen Herrn X. und der Kundin statt. Auf ihren Wunsch hin arbeitete er Barvermächtnisse in den Testamentsentwurf ein und modifizierte die Stiftungssatzung dahingehend, dass die Zwecke der Stiftung möglichst im Raum F., verwirklicht werden sollen, und übersandte ihr die beiden Entwürfe mit Schreiben vom 16.9.2004. Entsprechend dem Antrag der Klägerin verurteilte das Landgericht Freiburg die Beklagte unter anderen unter Androhung von Ordnungsmitteln, es zu unterlassen, auf dem Gebiet des Erbrechts beratend und/oder rechtsbesorgend für Dritte tätig zu werden, indem sie diese in Fragen von deren Testamentserrichtung inhaltlich berät, Testamentsentwürfe erstellt und/ oder überarbeitet sowie Satzungen für Stiftungen erstellt, die Dritte im Zusammenhang mit ihren letztwilligen Verfügungen errichten wollen. Aus den Gründen: II. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber in der Sache nicht begründet. 1. Zutreffend hat das Landgericht einen Unterlassungsanspruch der Klägerin gem. § 8 Abs. 1 Satz 1, §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i. V. m. Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 RBerG bejaht. 92

AnwBl 1 / 2007

a) Nach § 4 Nr. 11 UWG handelt derjenige unlauter im Sinne des § 3 UWG, der einer gesetzlichen Bestimmung zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Zu den Vorschriften, die im Interesse der Marktteilnehmer, insbesondere der Verbraucher, auch das Verhalten von Unternehmen bestimmen, zählt Art. 1 § 1 RBerG (vgl. etwa BGH GRUR 2005, 353, 354 – Testamentsvollstreckung durch Banken –; BGH GRUR 2005,-604, 605 – Fördermittelberatung –). b) Entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH GRUR 1997, 914, 915 – Die Besten II –; BGH GRUR 2003, 886 – Erbenermittler –) ist die klagende Rechtsanwaltskammer gem. § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG klagebefugt, da sie ein wettbewerbswidriges Verhalten der Beklagten im Verhältnis zu ihren Mitgliedern geltend macht. c) Die Beklagte hat gegen Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG verstoßen. Nach Art. 1 § 1 RBerG darf die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten, einschließlich der Rechtsberatung geschäftsmäßig nur von Personen betrieben werden, denen dazu von der zuständigen Behörde die Erlaubnis erteilt worden ist. i) Über eine solche Erlaubnis verfügte die Beklagte unstreitig nicht. Von der Erlaubnispflicht ist eine juristische Person, die wie die beklagte Bank Rechtsangelegenheiten für ihre Kunden erledigen will, auch dann nicht befreit, wenn sie hierfür einen Volljuristen beschäftigt (vgl. 3 der Verordnung zur Ausführung des Rechtsberatungsgesetzes vom 13.12.1935), Vertragspartner des Kunden wird nämlich nicht der Angestellte, sondern die Bank. Während ein selbständiger Rechtsanwalt den Mandanten unabhängig berät, verfolgt der Angestellte einer Bank deren Interessen, beispielsweise bei einer erbrechtlichen Beratung, dass die Bank in dem zu errichtenden Testament zur Testamentsvollstrecker^ ernannt werden will. Deshalb wird die Erlaubnis nach Art. 1 § 1 RBerG einer juristischen Person auch nur in Ausnahmefällen erteilt (§ 10 der Verordnung zur Ausführung des Rechtsberatungsgesetzes vom 13.12.1935). ii) Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich bei den ihr im Urteil des Landgerichts untersagten Tätigkeiten, nämlich der Beratung über inhaltliche Fragen der Testamentserrichtung, der Erstellung und Überarbeitung von Testamentsentwürfen und der Erstellung von Satzungen für Stiftungen in Hinblick auf den Erbfall nicht um die Wahrnehmung wirtschaftlicher Belange, sondern um Rechtsbesorgungen im Sinne des Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG. Eine nach Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG erlaubnispflichtige Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten liegt vor, wenn eine geschäftsmäßige Tätigkeit darauf gerichtet oder geeignet ist, konkrete fremde Rechte zu verwirklichen oder konkrete fremde Rechtsverhältnisse zu gestalten. Zur Abgrenzung erlaubnisfreier Geschäftsbesorgung von erlaubnispflichtiger Rechtsbesorgung ist angesichts dessen, dass heutzutage nahezu alle Lebensbereiche rechtlich durchdrungen sind und daher eine wirtschaftliche Betätigung kaum ohne rechtsgeschäftliches Handeln möglich ist oder ohne rechtliche Wirkung bleibt, auf den Kern und Schwerpunkt der Tätigkeit abzustellen. Erforderlich ist eine abwägende Beurteilung des beanstandeten Verhaltens danach, ob es sich bei ihm um Rechtsbesorgung oder um eine Tätigkeit handelt, die ohne Beeinträchtigung ihrer Qualität oder der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege auch von anderen Dienstleistern erfüllt werden kann, in diesem Zusammenhang ist insbesondere von Bedeutung, ob der Auftraggeber im Rahmen der Geschäftsbesorgung eine besondere rechtliche Prüfung des Inhalt des Geschäfts oder der mit diesem verbundenen Risiken wünscht oder zumindest erkennbar erwartet. Die dementsprechende Erwartung richtet sich im Zweifel nach der Person und der Qualifikation des Geschäftsbesorgers, nach den verkehrstypischen Gepflogenheiten und nach den objektiven Maßstäben des jeweiligen Geschäfts. Eine nach dem Rechtsberatungsgesetz erlaubnispflichtige Rechtsbesorgung liegt vor, Rechtsberatungsgesetz

MN

Rechtsprechung

wenn die ordnungsgemäße Erfüllung der Tätigkeit eine umfassende Beratung auf mindestens einem Teilgebiet des Rechts auf der Grundlage von Kenntnissen und Fertigkeiten erfordert, die durch ein Studium oder durch langjährige Berufserfahrung vermittelt werden. Dem stehen solche Tätigkeiten wirtschaftlicher Art gegenüber, bei denen eine besondere rechtliche Prüfung weder verkehrsüblich noch im Einzelfall offensichtlich geboten noch vom Auftraggeber ausdrücklich gewünscht ist, sondern die notwendige rechtliche Betätigung in für die angesprochenen Verkehrskreise so geläufigen Bahnen verläuft, dass sie nicht mehr als ein Handeln auf dem Gebiet des Rechts empfunden wird (vgl. BGH GRUR 2003, 886 – Erbenermittler –; BGH GRUR 2005, 353 – Testamentsvollstreckung durch Banken –; Hefermehl/Köhler/Bornkamm–Köhler, Wettbewerbsrecht, 24. Aufl. 2006, § 4 UWG Rdnr. 11.64 mit weiteren Nachweisen). Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs ist festzustellen, dass der Schwerpunkt der der Beklagten vom Landgericht untersagten Tätigkeiten auf rechtlichem Gebiet liegt. Die inhaltliche Beratung in Fragen der Testamentserrichtung und Erstellung und Überarbeitung von Entwürfen von Testamenten und damit in Zusammenhang stehender Stiftungssatzungen dienen der rechtlichen Umsetzung des Willens des Erblassers. Dies ist kein wirtschaftlicher Vorgang, sondern Rechtsgestaltung. Jemand, der solche Dienstleistungen in Anspruch nimmt, sucht den Dienstleister nicht wegen der Frage auf, wem er was zuwenden will, sondern vielmehr wegen dessen rechtlichen Sachverstands. Der Mandant will erreichen, dass seine Vorstellungen, was mit dem Erbe geschehen soll, in rechtlich funktionierender Weise umgesetzt werden. Angesichts der Kompliziertheit der gesetzlichen Regelungen zum Erbrecht und der Vielfalt testamentarischer Gestaltungsmöglichkeiten je nach den zu ermittelnden Zielvorstellungen des Erblassers werden dabei hohe Anforderungen an die juristische Qualifikation des Dienstleisters gestellt. Nicht umsonst bestimmt das Gesetz in § 2231 BGB, dass ein ordentliches Testament, sofern es der Erblasser nicht selbst abfasst, vor dem Notar zu errichten ist. iii) Tatsächlich ist die Beklagte durch ihren Angestellten X. in der beanstandeten Weise auf dem Gebiet des Erbrechts beratend und rechtsbesorgend für eine Dritte tätig geworden. Unstreitig hat Herr X. zunächst den Willen der Kundin, was mit ihrem Nachlass geschehen soll, ermittelt und auf dieser Grundlage einen Testamentsentwurf nebst Satzung einer nach ihrem Ableben zu errichtenden Stiftung gefertigt. Zu einem späteren Zeitpunkt hat er die Entwürfe mit der Kundin besprochen und daraufhin den Testamentsentwurf überarbeitet – so seine eigenen Worte im Schreiben vom 16.9.2004 –, indem er Barvermächtnisse eingefügt hat. Diese rechtsberatenden bzw. rechtsbesorgenden Tätigkeiten der Beklagten werden nicht dadurch, dass Herr X. die Entwürfe von Testament und Stiftungssatzung einem Rechtsanwalt zur Prüfung übermittelte, zu einer Rechtsberatung bzw. Rechtsbesorgung dieses Rechtsanwalts. Beratung und Erstellung bzw. Überarbeitung der Entwürfe einerseits und rechtliche Prüfung andererseits sind zwei unterschiedliche Dienstleistungen, die auch in rechtlich jeweils eigenständigen Vertragsverhältnissen erbracht wurden. Vertragspartner der Kundin war die Beklagte, wohingegen der Rechtsanwalt nicht im Auftrag der Kundin, sondern der Beklagten tätig wurde. Die Beklagte ist auch nicht etwa mit einem Angestellten des Rechtsanwalts zu vergleichen, der für diesen lediglich Vorarbeiten ausführt. Indem Herr X. den Willen der Kundin ermittelte und auf dieser Grundlage einen Testamentsentwurf nebst Stiftungssatzung fertigte, determinierte er die vorzunehmende Rechtsgestaltung. Die nachfolgende rechtliche Prüfung konnte demgegenüber nur einer Fehlerkontrolle dienen. Denn der Rechtsanwalt musste sich auf die Angaben von Rechtsberatungsgesetz

Herrn X. zu den persönlichen Verhältnissen, den Zielen und Gestaltungswünschen der Kundin verlassen. Er hatte keinen persönlichen Kontakt zu der Kundin. iv) Die Geschäftsmäßigkeit der Rechtsbesorgung, wie sie Art. 1 § 1 Nr. 1 RBerG voraussetzt – ist bei einer Bank stets zu vermuten (§ 344 Abs. 1 HGB; anders z. B. bei der Rechtsberatung in Einzelfällen durch einen pensionierten Richter, BVerfG NJW 2004, 2662). Die Geschäftsfähigkeit des Handelns der Beklagten ist im vorliegenden Fall aber auch unstreitig; sie beruft sich mit Nachdruck auf Art. 12 Abs. 1 GG. d) Die von der Beklagten erbrachten Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Testamentserrichtung ihrer Kundin waren nicht gem. Art. 1 § 5 Nr. 1 RBerG zulässig. Nach Art. 1 § 5 Nr. 1 RBerG greifen die Vorschriften des Rechtsberatungsgesetzes nicht ein, wenn ein kaufmännisches oder sonstiges gewerbliches Unternehmen für seine Kunden rechtliche Angelegenheiten erledigt, die mit einem Geschäft des Gewerbebetriebes in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Diese Regelung soll sicherstellen, dass Berufe, die ohne gleichzeitige Rechtsberatung nicht ausgeübt werden können, nicht am Rechtsberatungsgesetz scheitern. Sie setzt nicht voraus, dass die berufliche Tätigkeit ohne die Rechtsberatung schlechthin unmöglich wäre, sondern gilt auch dann, wenn sie sonst nicht sachgemäß erledigt werden könnte (vgl. BGH GRUR 2003, 886, 888 – Erbenermittler – mit weiteren Nachweisen). Die erbrechtliche Beratung und die Errichtung und Überarbeitung von Entwürfen für Testamente und für damit in Zusammenhang stehende Stiftungssatzungen haben mit Bankgeschäften jedoch nichts zu tun. Letztere sind in § 1 des Gesetzes über das Kreditwesen definiert. Sie beinhalten Einlagengeschäfte, Zahlungsverkehrsgeschäfte, Kreditgeschäfte und Wertpapiergeschäfte. Die beanstandeten Tätigkeiten der Beklagten lassen sich nicht hierunter subsumieren. Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass sie ihren Kunden – erlaubterweise (vgl. BGH GRUR 2005, 353 – Testamentsvollstreckung durch Banken) – Testamentsvollstreckungen anbietet. Denn weder die erbrechtliche Beratung, noch die Erstellung oder Überarbeitung von Testamentsentwürfen und damit in Zusammenhang stehender Stiftungssatzungen sind mit der Testamentsvollstreckung einhergehende Nebenleistungen. Um die Testamentsvollstreckung sachgerecht durchzuführen, bedarf es keiner Beteiligung des Testamentsvollstreckers bei der Errichtung des Testaments. Das Interesse einer Bank, auf diese Weise Kunden für eine Testamentsvollstreckung zu akquirieren, ist nicht von Art. 1 § 5 Nr. 1 RBerG geschützt. e) Der Verstoß der Beklagten gegen das Rechtsberatungsgesetz ist geeignet, den Wettbewerb nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen, § 3 UWG. Bei Verstößen gegen Art. 1 § 1 RBerG ist im Hinblick darauf, dass der darin geregelte Erlaubnisvorbehalt für rechtsbesorgende Tätigkeiten nicht nur berufsständischen Interessen, sondern auch dem allgemeinen Interesse an einer zuverlässigen Rechtspflege dient, die Erheblichkeit im Sinne des § 3 UWG grundsätzlich zu bejahen (vgl. BGH GRUR 2004, 253 – Rechtsberatung durch Automobilclub –). Dürfte die Beklagte als Bank an Testamentserrichtungen mitwirken, dürfte sie – anders als ein Rechtsanwalt, der dem Standesrecht untersteht – dafür werben. Sie könnte, wie im vorliegenden Fall geschehen, ihre Kunden gezielt auf ein solches Leistungsangebot ansprechen. Sie würde bei der Beauftragung von Rechtsanwälten, die ihre Entwürfe prüfen, die Auswahl treffen. Darüber hinaus besteht im Hinblick auf die wirtschaftliche Bedeutung eine erhebliche Nachahmungsgefahr. Die Beklagte hat insoweit in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass die Bankenbranche das Ergebnis des vorliegenden Verfahrens mit Interesse verfolge. Dies alles ist geeignet, zu AnwBl 1 / 2007

93

MN

Rechtsprechung

nicht unerheblichen Wettbewerbsverzerrungen im Verhältnis zu Mitbewerbern – u. a. den Mitgliedern der Klägerin – zu führen. f) Aufgrund des bereits geschehenen Verstoßes wird die gem. § 8 Abs. 1 Satz 2 UWG erforderliche Wiederholungsgefahr vermutet (vgl. z. B. Hefermehl/Köhler/Bornkamm–Bornkamm, aaO, § 8 UWG Rdnr. 1.33 mit Nachweisen zur Rechtsprechung). Der Senat ist aber auch davon überzeugt, dass es ohne die Unterlassungsklage nicht bei dem streitgegenständlichen Einzelfall geblieben wäre, sondern dass die Beklagte auch künftig Kunden auf ihr Testament ansprechen und, wie im vorliegenden Fall geschehen, verfahren wollte. Das folgt, auch wenn die Beklagte darauf hingewiesen hat, dass ihre Rechtsausführungen nur der Rechtsverteidigung dienen, aus ihrem Argument, ihr sonstiges Geschäft erfordere diese Art von Rechtsberatung bzw. -besorgung. Dementsprechend fühlt sie sich durch das Unterlassungsgebot schwerwiegend in ihrem Grundrecht auf Berufsfreiheit gem. Art. 12 Abs. 1 GG verletzt und hat die Zulassung der Revision beantragt, da die Sache eine übergeordnete Bedeutung habe. g) Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, der Beklagten die im Tenor des angefochtenen Urteils umschriebenen Mitwirkungshandlungen bei der Testamentserrichtung zu untersagen. i) In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass der Erlaubnisvorbehalt für die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten gem. Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 RBerG verfassungsgemäß ist (vgl. zuletzt BVerfG NJW 2002, 3531 und NJW 2004, 2662 mit weiteren Nachweisen). ii) Der Schutzzweck des Rechtsberatungsgesetzes, im Interesse der Allgemeinheit für eine zuverlässige Rechtspflege zu sorgen, gebietet das gegenüber der Beklagten ausgesprochene Verbot. Als Bank betreibt die Beklagte ein Gewerbe und nimmt ihre eigenen Interessen wahr. Ein von ihr beauftragter Rechtsanwalt vertritt ebenfalls ihre Interessen. Der Kunde hat teilweise andere Interessen, die mit den Interessen der Bank in Konflikt geraten können. Beispielsweise hat die Bank ein Interesse an der entgeltlichen Übernahme von Testamentsvollstreckungen; für den Kunden stellt sich hingegen die Frage, ob in seinem Fall eine Testamentsvollstreckung überhaupt notwendig ist und ob er die Bank zur Testamentsvollstreckerin ernennen soll. Um hier eine sachgerechte, unabhängige und Interessenkollisionen vermeidende Rechtsbesorgung zu gewährleisten, ist es erforderlich, dass diese durch einen vom Kunden beauftragten Rechtsanwalt erfolgt, für den – anders als für die Bank – das Standesrecht und die Gebührenordnung gelten und der ein Organ der Rechtspflege ist. iii) Das Verbot belastet die Beklagte auch nicht unverhältnismäßig. Anders als zum Beispiel bei der Fördermittelberatung (vgl. BGH GRUR 2005, 604), bei der wirtschaftliche und rechtliche Fragen untrennbar ineinandergreifen, werden die Bankgeschäfte der Beklagten durch das Verbot, bei der Testamentserrichtung mitzuwirken, nicht im mindesten tangiert. iv) Eine andere Betrachtung ist schließlich nicht dadurch geboten, dass ein Regierungsentwurf für ein neues Rechtsdienstleistungsgesetz vorliegt, das das Rechtsberatungsgesetz ersetzen soll (Bundesratsdrucksache 623/06). Der Rechtsstreit ist auf der Grundlage des geltenden Rechts zu entscheiden. Entgegen der Meinung der Beklagten lässt sich aus dem Regierungsentwurf auch kein Vorstellungswandel ableiten, der zu einer geänderten Auslegung der Generalklausel des § 3 UWG führt. Denn es ist derzeit noch ungewiß, ob, wann und mit welchem Inhalt das Rechtsdienstleistungsgesetz in Kraft treten wird. Bislang befindet es sich noch in der Diskussion, deren Ausgang der Senat nicht zu prognostizieren und deshalb der Gesetzesauslegung auch nicht zugrundezulegen vermag. 94

AnwBl 1 / 2007

h) Der Unterlassungsanspruch der Klägerin war bei Klageerhebung noch nicht verjährt. Die sechsmonatige Verjährungsfrist des § 11 Abs. 1 UWG beginnt gem. § 11 Abs. 2 Nr. 2 UWG, wenn der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Hinsichtlich der Kenntniserlangung kommt es entgegen der Auffassung der Beklagten auf die Kenntnis der Beklagten und nicht auf die ihres Mitglieds Rechtsanwalt Dr. J. an. Denn Gläubigerin des Unterlassungsanspruchs ist die Klägerin. Sie macht nicht Ansprüche ihrer Mitglieder, sondern einen eigenen Anspruch geltend, wie sich aus § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG ergibt. Die Kenntnis ihres Mitglieds ist ihr auch nicht zuzurechnen. Insoweit gelten die allgemeinen Grundsätze (vgl. z. B. Hefermehl/Köhler/Bornkamm–Köhler, aaO, § 11 Rdnr. 1.27 mit weiteren Nachweisen). Nach dem Rechtsgedanken des § 166 BGB kommt es bei Körperschaften des öffentlichen Rechts wie der Klägerin auf die Kenntnis des nach der innerbetrieblichen Organisation zuständigen Bediensteten an (vgl. BGHZ 134, 343). Hingegen ist nicht jedes beliebige Mitglied einer Körperschaft des öffentlichen Rechts als deren Wissensvertreter anzusehen. 2. Es besteht kein Grund, das Unterlassungsgebot – wie von der Beklagten beantragt, zeitlich bis zum Inkrafttreten des Rechtsdienstleistungsgesetzes zu beschränken. Abgesehen davon, dass ungewiss ist, ob und wenn ja mit welchem Inhalt das Rechtsdienstleistungsgesetz in Kraft treten wird, besteht naturgemäß bei jedem Unterlassungsurteil die Möglichkeit, dass das Unterlassungsgebot durch eine nachträgliche Gesetzesänderung obsolet wird. Notfalls muss dies im Wege der Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 ZPO geltend gemacht werden (vgl. z. B. Zöller–Herget, Zivilprozessordnung, 25. Aufl. 2005, § 767 Rdnr. 12 Stichwort „Gesetzesänderung“ mit Nachweisen zur Rechtsprechung). 3. Der Anspruch auf Zahlung von Abmahnkosten ergibt sich aus § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG. Die Beklagte hat die vom Landgericht der Klägerin zugesprochenen 150 E der Höhe nach nicht beanstandet. III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit wurde gem. §§ 708 Nr. 10, 711, 709 Satz 2 ZPO angeordnet. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO (vgl. BGH NJW 2003, 65) liegen nicht vor.

Prozesskostenhilfe

Bezugspunkt der Aussicht auf Erfolg § 114 Satz 1 ZPO

Für die hinreichende Aussicht auf Erfolg bei der Gewährung von Prozesskostenhilfe kommt es auf den voraussichtlichen Erfolg in der Sache selbst und nicht auf einen davon losgelösten Erfolg des Rechtsmittels an. BGH, Beschl. v. 12.10.2006 – IX ZB 107/05

Aus den Gründen: Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat im Ergebnis keine Aussicht auf Erfolg (§ 114 Satz 1 ZPO). 1. Bei der Prüfung der Erfolgsaussicht ist, wie sich aus Wortlaut und Zweck des § 114 Satz 1 ZPO ergibt, entscheidend auf den voraussichtlichen Erfolg in der Sache selbst und nicht auf einen davon losgelösten Erfolg des Rechtsmittels zu sehen. Prozesskostenhilfe ist deshalb dem Rechtsmittelführer nicht immer schon dann zu bewilligen, wenn die angefochtene Entscheidung forProzesskostenhilfe

MN

Rechtsprechung

mell keinen Bestand haben kann, das materielle Ergebnis sich nach einer Zurückverweisung jedoch voraussichtlich nicht ändern wird. Der Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten weitgehend gleichen Zugang zu Gericht wie dem Bemittelten zu gewähren, gebietet lediglich, ihn einem solchen Bemittelten gleichzustellen, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt. Eine vernünftig denkende Prozesspartei wird dann, wenn sie ihr Ziel aller Voraussicht nach nicht erreichen kann, einen Verfahrensfehler nicht zum Anlass nehmen, Kosten der Rechtsmittelinstanz sowie weitere Verfahrenskosten entstehen zu lassen, die sie im Ergebnis doch selbst tragen muss (vgl. BGH, Beschl. v. 14. Dezember 1993 – VI ZR 235/92, NJW 1994, 1160). 2. Der Beschluss über die Abweisung des Insolvenzantrags des weiteren Beteiligten mangels Masse (§ 26 InsO) hat aller Voraussicht nach Bestand. a) Der weitere Beteiligte (fortan: Finanzamt) hat seinem Insolvenzantrag zwar nur eine Aufstellung der rückständigen Steuerforderungen beigefügt, nicht, wie die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs es verlangt, seine Angaben durch Vorlage der Steuerbescheide glaubhaft gemacht (vgl. zuletzt BGH, Beschl. v. 13. Juni 2006 – IX ZB 214/05, WM 2006, 1629, 1630). Wie sich aus den bei den Akten befindlichen Entscheidungen des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 1. Juli 2004 (8 K 367/02) und vom 26. August 2004 (15 V 216/04) sowie den eigenen Angaben des Schuldners ergibt, liegen den Steuerforderungen jedoch ganz überwiegend rechtskräftige Festsetzungen zugrunde, die zuvor Gegenstand zahlreicher Klageverfahren gewesen waren. Der Schuldner meint lediglich, wegen seiner persönlichen Situation Anspruch auf Erlass aller Rückstände zu haben. Damit sind die Voraussetzungen der §§ 163, 227 AO jedoch offensichtlich nicht erfüllt. Die vom Schuldner ohne Darlegung von Einzelheiten behauptete Niederschlagung (§ 261 AO) stellt regelmäßig nur eine verwaltungsinterne Maßnahme dar, die kein subjektives Recht des Vollstreckungsschuldners auf zeitweiliges oder dauerhaftes Absehen von Vollstreckungsmaßnahmen begründet (BFH, Beschl. v. 5. August 1998 – IV B 129/97, n. v.; Beschl. v. 27. November 2003 – VII B 279/03, n. v.). b) Den Wert der Immobilien des Schuldners hat der vorläufige Insolvenzverwalter im Wege der Inaugenscheinnahme schätzen lassen. Der Schuldner hält die so ermittelten Beträge für zu gering. Selbst wenn man seine eigenen Angaben zugrunde legt, liegen die tatsächlichen Voraussetzungen des Insolvenzgrundes der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) jedoch vor.

Prozessrecht

Pflichten des Gerichts bei richterlichen Hinweisen ZPO §§ 139 Abs. 4, 156 Abs. 2 Nr. 1

a) Gemäß § 139 Abs. 4 ZPO sind Hinweise grundsätzlich so frühzeitig vor der mündlichen Verhandlung zu erteilen, dass die Partei Gelegenheit hat, ihre Prozessführung darauf einzurichten. b) Erteilt das Gericht entgegen § 139 Abs. 4 ZPO den Hinweis erst in der mündlichen Verhandlung, muss es der betroffenen Partei genügend Gelegenheit zur Reaktion hierauf geben. Kann eine sofortige Äußerung nach den konkreten Umständen nicht erwartet werden, darf die mündliche Verhandlung nicht ohne weiteres geschlossen werden. Vielmehr muss das Gericht die mündliche Verhandlung dann vertagen, soweit dies im Einzelfall sachgerecht erscheint, ins schriftliche Verfahren übergehen oder gemäß § 139 Abs. 5 i. V. m. § 296 a ZPO einen Schriftsatznachlass gewähren. KProzessrecht

c) Unterlässt das Gericht die derart gebotenen prozessualen Reaktionen und erkennt es sodann aus einem nicht nachgelassenen Schriftsatz, dass die betroffene Partei sich in der mündlichen Verhandlung nicht ausreichend hat erklären können, ist es gemäß § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung verpflichtet. BGH, Beschl. v. 18.9.2006 – II ZR 10/05

Aus den Gründen: I. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird zurückgewiesen, weil keiner der im Gesetz (§ 543 Abs. 2 ZPO) vorgesehenen Gründe vorliegt, nach denen der Senat die Revision zulassen darf. Die Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer weitergehenden Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz ZPO abgesehen. II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten ist begründet, da das Berufungsgericht den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 GG) dadurch in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (§ 544 Abs. 7 ZPO), dass es deren Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung unter Verstoß gegen § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zurückgewiesen und damit entscheidungserheblichen Vortrag im Schriftsatz vom 1. November 2004 nicht zur Kenntnis genommen hat. 1. Das Berufungsgericht war zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung verpflichtet, weil es den von ihm zutreffend nach § 139 Abs. 2 ZPO für erforderlich gehaltenen, nach dem gesamten Prozessverlauf für die Parteien überraschenden Hinweis zu spät, nämlich erst in der mündlichen Verhandlung erteilt hat; da sich die Beklagte hierdurch überfahren sah, hätte das Berufungsgericht von sich aus den Rechtsstreit vertagen, zumindest aber auf den entsprechenden Antrag der Beklagten die mündliche Verhandlung wiedereröffnen müssen, nachdem diese die Gelegenheit hatte, die Relevanz des Hinweises zu prüfen und ihren Vortrag darauf einzurichten. a) Das Gericht muss – in Erfüllung seiner prozessualen Fürsorgepflicht – gemäß § 139 Abs. 4 ZPO Hinweise auf seiner Ansicht nach entscheidungserhebliche Umstände, die die betroffene Partei erkennbar für unerheblich gehalten hat, grundsätzlich so frühzeitig vor der mündlichen Verhandlung erteilen, dass die Partei die Gelegenheit hat, ihre Prozessführung darauf einzurichten und schon für die anstehende mündliche Verhandlung ihren Vortrag zu ergänzen und die danach erforderlichen Beweise anzutreten. Erteilt es den Hinweis entgegen § 139 Abs. 4 ZPO erst in der mündlichen Verhandlung, muss es der betroffenen Partei genügend Gelegenheit zur Reaktion hierauf geben. Kann eine sofortige Äußerung nach den konkreten Umständen und den Anforderungen des § 282 Abs. 1 ZPO nicht erwartet werden, darf die mündliche Verhandlung nicht ohne weiteres geschlossen werden (Sen.Urt. v. 8. Februar 1999 – II ZR 261/97, WM 1999, 1379, 1380 f.). Vielmehr muss das Gericht die mündliche Verhandlung dann vertagen, ins schriftliche Verfahren übergehen, soweit dies im Einzelfall sachgerecht erscheint, oder – auf Antrag der betreffenden Partei – gemäß § 139 Abs. 5 i. V. m. § 296 a ZPO eine Frist bestimmen, innerhalb derer die Partei die Stellungnahme in einem Schriftsatz nachbringen kann (Senat aaO). Unterlässt das Gericht die derart gebotenen prozessualen Reaktionen und erkennt es sodann aus dem nicht nachgelassenen Schriftsatz der betroffenen Partei, dass diese sich offensichtlich in der mündlichen Verhandlung nicht ausreichend hat erklären können, ist es gemäß § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zur Wiedereröffnung der mündliche Verhandlung verpflichtet. b) Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht verletzt und deshalb unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG den Vortrag der Beklagten in deren nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 1. November 2004 nicht zur Kenntnis genommen, in dem die Beklagte näher dargelegt hat, dass und aus welchen Gründen AnwBl 1 / 2007

95

MN

Rechtsprechung

die Klägerin entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht berechtigt war, die Gesellschaftsverträge fristlos zu kündigen. Angesichts des Prozessverlaufs war das Berufungsgericht hier gemäß § 139 Abs. 4 ZPO verpflichtet, den Hinweis, dass seiner Ansicht nach die Frage entscheidungserheblich war, ob die Gesellschaftsverträge zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Klägerin vom 12. Dezember 2000 oder erst durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 21. Dezember 2000 beendet worden sind, bereits frühzeitig vor der mündlichen Verhandlung zu erteilen. Beide Parteien haben schon in der ersten Instanz im Rahmen der Vielzahl der zwischen ihnen streitigen Fragen und des dadurch bedingten umfänglichen Prozessstoffes der Wirksamkeit der jeweiligen Kündigung nur untergeordnete Bedeutung beigemessen. Nachdem das Landgericht angesichts des tatsächlichen Verhaltens der Parteien ab Mitte Dezember 2000 die Frage, welche der Kündigungen berechtigt war, ausdrücklich für nicht entscheidungserheblich gehalten hatte, waren die Parteien in ihrer Bewertung dieser Frage noch bestärkt worden, was dazu geführt hat, dass dieser Punkt in der wiederum äußerst umfänglichen schriftsätzlichen Auseinandersetzung in der Berufungsinstanz bei beiden Parteien überhaupt keine Rolle mehr gespielt hat. Dem Berufungsgericht musste sich angesichts dieser konkreten Prozesssituation aufdrängen, dass sein vom landgerichtlichen Urteil abweichender Rechtsstandpunkt zur Entscheidungserheblichkeit der Kündigungen für die Parteien überraschend war. Dem hätte es durch einen frühzeitigen Hinweis Rechnung tragen müssen, um den Parteien Gelegenheit zu geben, die Auswirkungen des Hinweises auf die Entscheidung des Rechtsstreits zu prüfen und sodann ergänzend vorzutragen. Unterließ es in dieser Situation den an sich gebotenen frühzeitigen Hinweis vor der mündlichen Verhandlung und erteilte ihn statt dessen erst in der mündlichen Verhandlung, konnte es bei dem umfangreichen Prozessstoff nicht erwarten, dass die Parteien die rechtlichen Konsequenzen des Hinweises sofort in vollem Umfang überblicken und entsprechend prozessual angemessen zur Wahrung ihrer Rechte reagieren konnten. Im Hinblick hierauf drängte es sich für das Berufungsgericht auf, dieser Prozesssituation dadurch Rechnung zu tragen, dass es die mündliche Verhandlung vertagte. Es stellte einen Verstoß gegen Art. 103 GG dar, wenn es in dieser Situation die mündliche Verhandlung schloss, den Antrag der Beklagten auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ablehnte und damit den in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz der Beklagten gehaltenen ergänzenden Vortrag zur Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung der Klägerin nicht mehr zur Kenntnis nahm. 2. a) In der wiedereröffneten mündlichen Verhandlung wird das Berufungsgericht nach gegebenenfalls noch ergänztem Vortrag der Parteien die Frage erneut zu prüfen haben, ob die Klägerin am 12. Dezember 2000 die Gesellschaftsverträge fristlos kündigen durfte. Sollte es abermals zu der Überzeugung gelangen, dass der Klägerin wegen Verzuges der Beklagten mit der erforderlichen Mitteilung zur Auflagenhöhe und zu den Verteilungsplänen ein Kündigungsgrund zur Seite stand, hat das Berufungsgericht in die bisher versäumte Gesamtabwägung einzutreten, die alle beiderseitigen Verhaltensweisen einbeziehen muss (s. zuletzt Sen.Urt. v. 21. November 2005 – II ZR 367/03, ZIP 2006, 127 ff. m. w. Nachw.). Dabei ist nicht nur das Vorgehen der Klägerin bis zum 31. Juli 2000 ergänzend heranzuziehen, nach den bisherigen Feststellungen ist vielmehr davon auszugehen, dass sich auch die Klägerin im Vorfeld ihrer Kündigung vom 12. Dezember 2000 in gravierender Weise gesellschaftswidrig verhalten hat. Sie hat es nämlich unter Verstoß gegen § 1 Abs. 5 lit. e) ATB- und GS-Vertrag unterlassen, der Beklagten einen Monat im Voraus die Änderungen in ihren Gesellschaftsverhältnissen mitzuteilen und ihr damit die Möglichkeit zu eröffnen, wegen vollständigen Wechsels der Gesellschafter der Klägerin die Verträge ohne Abfindungs96

AnwBl 1 / 2007

verpflichtung zu kündigen. Stattdessen hat sie zugewartet und den Verkauf ihrer Geschäftsanteile an die jetzige Gesellschafterin erst am Tag nach Ausspruch ihrer eigenen fristlosen Kündigung durch eine Pressemitteilung verlautbart. b) Für das weitere Verfahren weist der Senat ferner darauf hin, dass ein etwa wegen berechtigter Kündigung der Klägerin zustehendes Abfindungsguthaben – wie das Landgericht und das Oberlandesgericht entgegen der Ansicht der Beklagten zutreffend angenommen haben – nach der Ertragswertmethode zu berechnen sein wird. Von seinem dem Erlass des Grundurteils zugrunde liegenden Rechtsstandpunkt aus hat das Berufungsgericht deswegen mit Recht angenommen, dass eine hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Klägerin eine Abfindung in irgendeiner Höhe zusteht. 3. Wegen der Abhängigkeit des Erfolgs des noch im Streit befindlichen Widerklageantrags zu 1 der Beklagten von dem Schicksal des Grundurteils war auch die kassatorische Entscheidung zur Widerklage, die das Berufungsgericht von seinem Rechtsstandpunkt aus zutreffend getroffen hat, aufzuheben. Führt die wiedereröffnete Berufungsverhandlung zur Feststellung der Unbegründetheit der Klage, kann das Berufungsgericht über die zwischen den Parteien nach Grund und Höhe unstreitige Widerklageforderung selbst entscheiden und das unzulässige Teilurteil des Landgerichts durch eine eigene Sachentscheidung ersetzen.

Fotonachweis Seiten I, IV, VI, XXXVI, XXXVI, 5, 8, 13, 16, 21, 22, 27, 28, 29, 31, 36, 40, 62, 67, 69, 73, 77, 80, 82: privat; Seiten 23, 25, 26, 30, 31, 37, 38, 39: Burkhardt/Berlin; Seite 33: DAV.

Impressum Herausgeber: Deutscher Anwaltverein e.V., Littenstr. 11, 10179 Berlin (Mitte), Tel. 0 30 / 72 61 52 - 0, Fax: 0 30 / 72 61 52 - 191, [email protected]. Redaktion: Dr. Nicolas L hrig (Leitung, v. i. S. d. P.), Udo Henke und Philipp Wendt, Rechtsanw lte, Anschrift des Herausgebers. Verlag: Deutscher Anwaltverlag und Institut der Anwaltschaft GmbH, Wachsbleiche 7, 53111 Bonn, Tel. 02 28 / 9 19 11 - 0, Fax: 02 28 / 9 19 11 - 23; [email protected], Konto: Sparkasse Bonn Kto.-Nr. 17 532 458, BLZ 380 500 00. Anzeigen: ad sales & services, Ingrid A. Oestreich (v. i. S. d. P.), Pikartenkamp 14, 22587 Hamburg, Tel. 0 40 / 8 66 28 - 467, Fax: 0 40 / 8 66 28 - 468, [email protected]. Technische Herstellung: Hans Soldan GmbH, Bocholder Str. 259, 45356 Essen, Tel. 02 01 / 8612 - 281, Fax: 02 01 / 86 12 - 241; [email protected]. Erscheinungsweise: Monatlich zum Monatsanfang, bei einem Doppelheft f r August/September. Bezugspreis: J hrlich 132,– E (inkl. MwSt.) zzgl. Versandkosten, Einzelpreis 13,– E (inkl. MwSt.). F r Mitglieder des Deutschen Anwaltvereins ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten. Bestellungen: ber jede Buchhandlung und beim Verlag; Abbestellungen m ssen einen Monat vor Ablauf des Kalenderjahres beim Verlag vorliegen. Zuschriften: F r die Redaktion bestimmte Zuschriften sind nur an die Adresse des Herausgebers zu richten. Honorare werden nur bei ausdr cklicher Vereinbarung gezahlt. Copyright: Alle Urheber-, Nutzungs- und Verlagsrechte sind vorbehalten. Das gilt auch f r Bearbeitungen von gerichtlichen Entscheidungen und Leits tzen. Der Rechtsschutz gilt auch gegen ber Datenbanken oder hnlichen Einrichtungen. Sie bed rfen zur Auswertung ausdr cklich der Einwilligung des Herausgebers. ISSN 0171-722.

w

KProzessrecht

MN

B cher & Internet

AGB-Recht AGB-Recht: Kommentar zu den §§ 305 – 310 BGB und zum Unterlassungsklagengesetz

bearb. von Peter Ulmer, HorstDiether Hensen, Guido Christensen, Andreas Fuchs und Harry Schmidt; 10., neu bearb. Aufl.; K ln: O. Schmidt, 2006; XXIII, 1968 S., geb.; 3-504-45108-4; 149,– E.

Der hier zu rezensierende Kommentar bedarf keiner Vorstellung: Durch 9 Auflagen hindurch stellte der Ulmer/ Brandner/Hensen einen der großen Spezialkommentare zum AGBG dar. Daran hat sich in der 10. Auflage materiell nichts geändert, nur dass wegen der, wie es im Vorwort mit deutlich spürbarer Skepsis heißt, „von der damaligen Justizministerin rigoros betriebenen Schuldrechtsreform“ und der damit verbundenen Integration des Rechts der AGB ins BGB das „Layout“ des Kommentars anzupassen war und nunmehr nicht eine Kommentierung zu einem Gesetz vorliegt, sondern zu einem Abschnitt des BGB, nämlich dem materiellen Teil in den §§ 305 bis 310 BGB, und dem formellen Teil, nämlich den Vorschriften des UKlaG. Die ebenfalls im Vorwort ausgedrückte Hoffnung, der Kommentar möge den Benutzern „eine nützliche Hilfe“ sein, ist, um das vorwegzunehmen, in jeder nur wünschenswerten Weise in Erfüllung gegangen. Eine weitere Änderung bringt die 10. Auflage gegenüber den vorangehenden: Aus dem Autorenkreis ist Brandner ausgeschieden, Christensen, Richter am Amtsgericht, und Fuchs, Universitätsprofessor, sind hinzugestoßen. Damit bleibt der Kommentar ebenfalls seiner bisherigen Linie treu, das AGB-Recht aus den verschiedenen Blickwinkeln der Praxis und der Wissenschaft zu betrachten – und hat den teilweise vollzogenen „Generationswechsel“ bestens gemeistert. Die Handhabung des Kommentars (auch in der schnelllebigen Anwaltskanzlei) wird in dieser Auflage wieder dadurch erleichtert, dass den einzelnen Paragraphen, wo dies vom Umfang der Kommentierung her sinnvoll erschien, nicht nur eine ausführliche Gliederung vorangestellt wird, sondern auch ein ebensolches Kapitelstichwortverzeichnis (das dann wiederum flankiert wird durch ein recht detailliertes GesamtXXII

AnwBl 1 / 2007

stichwortverzeichnis). Das noch in der 9. Auflage enthaltene Verzeichnis der BGH-Parallelfundstellen ist zugunsten des Kommentierungstextes weggefallen; ein Verlust, der angesichts umfangreicher online-Datenbanken durchaus zu verschmerzen ist. Was die Sachaussagen anbelangt, kann dem Kommentar nach wie vor Prägnanz und Tiefgang insgesamt bescheinigt werden – wobei bisweilen auch klare Worte gefunden werden, wenn der Klauselmissbrauch das herausfordert. Der Anwalt, der sich im Tagesgeschäft mit der Frage der Wirksamkeit von AGB zu beschäftigen hat, wird mit besonderem Interesse den „Klauselanhang“ zur Kenntnis nehmen. Gegenüber der Vorauflage wurde der Umfang nicht unerheblich erhöht, wobei die Übersicht gestrafft wurde. Auch hier begegnet allenthalben Detailreichtum ohne Überfrachtung. Insgesamt kann der Kommentar dem Anwalt als Hilfsmittel bei der Bewältigung von Streitfällen aus dem AGB-Sektor ebenso uneingeschränkt empfohlen werden wie dem Anwalt, der selbst AGB zu gestalten oder zu überprüfen hat. Die Entscheidung des Verlags und der Verfasser, den Kommentar trotz geänderten gesetzlichen Umfeldes in der bewährten Form weiterzuführen, ist uneingeschränkt zu begrüßen. Rechtsanwalt Prof. Dr. Hubert Schmidt, Koblenz

AGB-Recht in der anwaltlichen Praxis von Gerhard Ring, Thomas Klingelh fer und J rgen Niebling; Bonn: Dt. Anwaltverl., 2006; 430 S., kart.; (Anwaltspraxis); 978-3-8240-0795-0; 59,– E.

Für Anwälte sind AGB’s bekannt als anspruchsvolle Rechtsmaterie, die Fallstricke in Hülle und Fülle bietet. Für Unternehmen sind sie unerlässlich, für Verbraucher bieten sie häufig Anlass zu Rechtsstreitigkeiten. Das Praxisbuch bietet Hilfe bei der Gestaltung neuer AGB sowie bei der Prüfung alter, auch vor der Schuldrechtsreform, geschlossenen Verträge. Der Band enthält zehn Muster-AGB sowie ein umfassendes AGB-Glossar.

Arbeitsrecht Europ isches Arbeitsrecht

von Maximilian Fuchs und Franz Marhold; 2., vollst. berarb. und erw. Aufl.; Wien [u. a.]: Springer, 2006; XVI, 338 S., geb.; 978-3-211-32655-8; 68,– E.

Globalisierung, Mobilität, Flexibilität – der europäische Gesetzgeber hat auf die veränderten Anforderungen reagiert und wurde auf zahlreichen Feldern des Arbeitsrechts tätig. Der Band fasst aktuelle Änderungen im Europäischen Arbeitsrecht zusammen und bietet so einen verlässlichen Ratgeber und eine nützliche Arbeitshilfe. Eingearbeitet sind 76 neue Entscheidungen des EuGH, die seit der Vorauflage ergangen sind. Arbeitsrechtkommentar

hrsg. von Martin Henssler, Heinz Josef Willemsen und HeinzJ rgen Kalb; 2. Aufl.; K ln: O. Schmidt, 2006; XXI, 3211 S., geb.; 978-3-504-42658-3; 149,– E.

Das Werk (Stand Anfang 2006), das Kommentierungen zu allen wichtigen arbeitsrechtlichen Normen enthält, versteht sich als ein Arbeitsinstrument. Übersichten, Checklisten, Musterformulierungen und Beispiele tragen zum besseren Verständnis des Arbeitsrechts und zur Erleichterung bei der praktischen Umsetzung bei. Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht

hrsg. von Thomas Dieterich, Rudi M ller-Gl ge, Ulrich Preis und G nter Schaub; 7., neu bearb. Aufl.; M nchen: C. H. Beck, 2007; XLII, 2843 S., geb.; (Beck’sche Kurz-Kommentare; 51); 3-406-55160-2; 160,– E.

Der Kommentar erläutert die mehr als 40 wichtigsten Gesetze des Arbeitsrechts praxisgerecht in einem Band. Die 7. Auflage enthält eine Kommentierung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes und informiert über dessen Auswirkungen. Das Werk ist auch in einer Ausgabe mit einer CD-ROM zum Preis von 230,– E erhältlich.

MN

B cher & Internet

Gesellschaftsrecht

Anwaltspraxis Die Besteuerung von Rechtsanw lten und Anwaltsgesellschaften

Partnerschaftsgesellschaftsgesetz: PartGG

bearbeitet von Wienand Meilicke, Friedrich Graf von Westphalen, J rgen Hoffmann, Tobias Lenz und Reinmar Wolff; 2. Aufl.; M nchen: C. H. Beck, 2006; XV, 334 S., geb.; (Beck’sche Kurzkommentare; 49); 978-3-406-52614-5; 38,– E.

Die neue Auflage des 1995 erstmals erschienenen Werks bringt ein erschöpfende und übersichtliche Aktualisierung in durchweg neu gefasster Darstellung. Immerhin waren elf Jahre Praxis und Literatur mit der seinerzeit neuen Gesellschaftsform zu bearbeiten und auch einschneidende gesetzliche Neuerungen (z. B. Haftungsprivileg, Aufnahme der Partnerschaft in die Kataloge der formwechselfähigen Rechtsträger des Umwandlungsgesetzes) zu analysieren. Das Buch ist ein trefflicher und in den Einzelfragen zuverlässiger Wegweiser für alle, die eine Partnerschaft wollen, in ihr arbeiten und sie ggf. auch wieder verlassen oder auflösen. Außerdem bereichert die Darstellung die stürmische gesellschaftsrechliche Diskussion, die nicht selten durch Versuche gekennzeichnet ist, die Gesellschaftsformen selbst und deren typusbildende Eigenheiten fröhlich zu vermischen, durch eine klare Positionsbestimmung. So ist seit der Entscheidung des BGH zur Rechtsfähigkeit der BGB-Gesellschaft und die daran geknüpfte akzessorische Haftung der Sozien analog § 128 HGB die Haftungsverfassung für die Sozietät etwas durcheinander geraten. Den neuen Erkenntnissen steht auch noch kein passendes Versicherungskonzept gegenüber. Um den Dilemma zu begegnen, ist eine intensivere Auseinandersetzung mit der freiberuflich konzipierten Haftungsnorm des § 8 Abs. 2 Part GG geboten. Das ist auf der Grundlage der vorzüglichen Kommentierung leicht möglich. Diese klare Positionsbestimmung ist für die Freien Berufe unerlässlich, wenn deren Spezifika nicht bei aller begrüßenswerten Dienstleistungsdynamik vollständig im allgemeinen Recht versinken sollen. Für diese sowohl freiberufliche wie gesellschaftsrechtliche Grundfrage liefert das Werk, vor allem in Überblick und Durchführung der Kommentierung der §§ 1 und 8 viel nachdenkenswerten Stoff. Im Ganzen: die Neuauflage liefert nicht nur vorzügliches Handwerkszeug für die Entscheidungen des Alltags, sondern hilft ebenso bei kreativer Gestaltung der Zukunft. Rechtsanwalt Dr. Peter Hamacher, Ko¨ln

XXIV

AnwBl 1 / 2007

von Helmut K gler, Thomas Block und Peter Pauly; 2. Aufl.; Bonn: Dt. Anwaltverl., 2005; 331 S., kart.; (Anwaltspraxis); 3-8240-0569-7; 44,– E.

Die Autoren (alle Steuerberater) geben Anwälten Tipps, wie sie sich bietende steuerrechtliche Möglichkeiten ausschöpfen und unnötige Steuerbelastungen vermeiden können. Zielgruppe sind u. a. Inhaber von Einzelpraxen und Mitglieder von Sozietäten. Soziet tsrecht: Handbuch f r rechts-, steuer- und wirtschaftsberatende Gesellschaften bearb. von Stefan Kraus (u. a.); 2. Aufl.; M nchen: C. H. Beck, 2006; XXXVIII, 594 S., geb.; 978-3-406-54048-6; 69,– E.

Das Handbuch bietet den schnellen und kompakten Zugriff auf gesellschafts-, steuer- und berufsrechtliche Fragen der rechts-, wirtschafts- und steuerberatenden Sozietäten. Vor- und Nachteile der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, der Partnerschaftsgesellschaft sowie der GmbH werden dargestellt.

Festschrift Festschrift f r Karl Peter Mail nder zum 70. Geburtstag am 23. Oktober 2006

hrsg. von Karlmann Geiss, Klaus-A. Gerstenmaier, Rolf M. Winkler und Peter Mail nder; Berlin: De Gruyter Recht, 2006; XIV, 653 S., geb.; 978-3-89949-316-0; Subskriptions-Preis bis 31.1.2007 178,– E, danach 218,– E.

Mit dieser Festschrift wird ein Rechtsanwalt geehrt. Deshalb schreiben auch viele Rechtsanwälte in dieser Festschrift und viele Beiträge sind praxisnah. Die Beiträge spiegeln das breite Spektrum seiner wissenschaftlichen Interessen und Neigungen wider und gliedern sich in die Bereiche Bank- und Kapitalmarktrecht, Deutsches und Europäisches Wettbewerbsrecht, Unternehmensund Wirtschaftsrecht, Rundfunk- und Medienrecht sowie anwaltliches und akademisches Berufsrecht. In diesen Bereichen hat Karl Peter Mailänder der Weiterentwicklung des Rechts Anstoß und Anregung gegeben.

Wirtschafts- und Steuerrecht Die englische Limited in der Praxis: Einschließlich Ldt. & Co. KG, mit Formularteil von Clemens Just; 2., neu bearb. und erw. Aufl.; M nchen: C. H. Beck, 2006; XXIV, 147 S., kart.; 978-3-406-55536-7; 32,– E.

Das mit praktischen Hinweisen gespickte Buch bietet auch Anwälten, die mit dem englischen Recht bislang wenig oder gar nicht vertraut sind, einen raschen und problemorientierten Einstieg in die Materie. Verknüpfungen zum deutschen Gesellschafts- und Registerrecht werden hergestellt. Handbuch des internationalen GmbH-Rechts

hrsg. von Rembert S ß und Thomas Wachter; Angelbachtal: Zerb, 2006; XXXI, 1974 S., geb. inkl. CD-ROM; 978-3-935079-31-0; 148,– E.

Das Handbuch stellt praxisorientiert die Grundlagen des internationalen Gesellschaftsrechts dar. Unter Einbeziehung der für die Praxis bedeutsamen angrenzenden Rechtsgebiete zeigt es Gestaltungsmöglichkeiten und Handlungsfelder auf. Den Schwerpunkt des Handbuchs liefern 35 Länderberichte zum nationalen GmbH-Recht in den meisten Ländern Europas und den wichtigsten Ländern in Übersee. Die CD-ROM enthält ergänzende Informationen und Materialien. Die Steuerfahndung

von Michael Streck und Rainer Spatscheck; 4., neu bearb. Aufl.; K ln: O. Schmidt, 2006; L, 413 S., kart.; (Beratungsb cher f r Berater; 1); 978-3-504-62317-3; 69,80 E.

Wenn die Steuerfahndung vor der Tür steht, braucht man dringend das Knowhow eines Beraters, der weiß, was zu tun ist. Das Buch aus der Reihe der Beratungsbücher für Berater (Rechtsschutz und Gestaltung im Unternehmensrecht, Steuerrecht und Steuerstrafrecht) vermittelt praxisnah das Gesamtwissen um die Grundlagen, Regeln und Vorgehensweisen in einem Fahndungsverfahren.

MN

B cher & Internet

Europarecht Europ ische Methodenlehre: Grundfragen der Methoden des Europ ischen Privatrechts

hrsg. von Karl Riesenhuber; Berlin: De Gruyter Recht, 2006; XVII, 503 S., geb.; (Schriften zum Europ ischen und internationalen Privat-, Bank- und Wirtschaftsrecht; 2); 978-3-89949-248-4; 118,– E.

Methodenfragen des Europäischen Rechts stellen sich in der Praxis, Wissenschaft und Ausbildung immer öfter. Jeder Praktiker kann auch in alltäglichen Fällen mit Fragen der Europäischen Methodenlehre konfrontiert werden. Der Tagungsband bietet eine systematische Gesamtdarstellung zur Europäischen Methodenlehre. Neben Grundlagen werden allgemeine Fragen der Methodenlehre exemplarisch vertieft, dies gilt für einzelne Rechtsgebiete sowie am Beispiel der Judikatur von EuGH und BGH.

EU- und EG-Vertrag: Kommentar zu dem Vertrag ber die Europ ische Union und zu dem Vertrag zur Gr ndung der Europ ischen Gemeinschaft hrsg. von Carl Otto Lenz und Klaus-Dieter Borchardt; 4. Aufl.; K ln: Bundesanzeiger Verl.Ges., 2006; XXIII, 2653 S., geb., CD-Rom; 978-3-89817-506-7; 198,– E.

Der Standardkommentar bietet eine aktuelle Übersicht über das geltende EURecht für Praktiker. Auch wenn das Projekt der Europäischen Verfassung derzeit auf Eis liegt, werden Querverbindungen zum Text der Verfassung in den einzelnen Kommentierungen hergestellt. Der Schwerpunkt des Kommentars liegt auf der Rechtsprechung des EuGH und des EuG, welche für die Auslegung und Weiterentwicklung des Unionsrechts von erheblicher Bedeutung ist. Auf der beiliegenden CD-Rom befinden sich u. a. weiterführende Sekundärrechtstexte.

Europarecht: Handbuch f r die deutsche Rechtspraxis

hrsg. von Reiner Schulze und Manfred Zuleeg; Baden-Baden: Nomos, 2006; 1994 S., geb.; 3-8329-1334-3; 148,– E.

Der zunehmende Einfluss des europäischen Rechts stellt die juristische Praxis vor neue Probleme. Auch erfahrene Praktiker sind häufig mit Inhalt und Form der europäischen Rechtsakte und Rechtsprechung wenig vertraut. Vorrangiges Anliegen dieses Handbuchs ist es, der Praxis eine Orientierungshilfe zu bieten. Ausgehend von den Fragen und Sachbereichen, die den Praktiker mit Auswirkungen des Europarechts konfrontieren, werden Schwerpunkte und Strukturen des Einflusses europäischer Rechtsvorschriften und Entscheidungen auf die Rechtsanwendung, juristische Beratungstätigkeit und Vertragsgestaltung behandelt.

MN

B cher & Internet

efam.de Hessische Familienrichter haben den Herausgeberverein von Richterinnen und Richtern des Oberlandesgerichtes Frankfurt am Main gegründet, der eine interessante Internetseite unterhält. Damit will sich die Richterschaft insbesondere gegenseitig bei ihrer Tätigkeit unterstützen, bezieht jedoch dabei auch die Anwaltschaft ein. Rechtsprechung der Familiensenate ist unter „RechtSpr“ und dann „F-Senate“ zu finden. Zu den Entscheidungen werden jeweils Stichworte, Normenketten und ein Orientierungssatz angezeigt. Der Volltext ist ebenfalls abrufbar. Die Rubrik „Tabellen“ bietet u. a. die Unterhaltsgrundsätze des OLG Frankfurt sowie die Bremer Tabelle zum Vorsorgeunterhalt. Unter „Rechnen“ gibt es verschiedene Berechnungshilfen. Familienrecht-Ratgeber.de Einen Einblick in das Familienrecht gibt diese Internetseite der conjus GmbH. Bearbeiter ist Hans-Otto Burschel, Direktor des Amtsgerichts Bad Salzungen. Die Informationen richten sich überwiegend an den juristischen Laien, sind durch ihre Gliederung und den Umfang aber auch für Juristen brauchbar, die sich noch nicht näher mit dem Familienrecht beschäftigt haben, interessant. bmev.de/ Der Bundesverband Mediation e. V. stellt sich auf dieser Internetseite vor. Er informiert über Mediation in den verschiedenen Bereichen von Familie und Partnerschaft bis zum Täter-OpferAusgleich. Eines der Kapitel zur Mediation ist „Mediation und Recht“. Hier führen Links zum Grünbuch der EU über alternative Verfahren zur Streitbeilegung im Zivil- und Handelsrecht. Ebenfalls von hier verlinkt sind Stellungnahmen dazu. bmwa.de/ Der Bundesverband Mediation in Wirtschaft und Arbeitswelt e. V. befasst sich insbesondere mit der Wirtschaftsmediation und stellt diese im Internet vor. Bei den Downloads gibt

XXVIII

AnwBl 1 / 2007

es u. a. Artikel über Mediation, ein kurzes Muster für eine Mediationsvereinbarung und die Verfahrensordnung des BMWA. bafm-mediation.de Auf familienrechtliche Streitigkeiten konzentriert sich die Bundes-Arbeitsgemeinschaft für Familien-Mediation. Für diejenigen, die sich beruflich interessieren, gibt es bei „Ausbildung“ weiterführende Links zu Ausbildungsinstituten. Im Bereich „International“ wird u. a. über Mediation zur Konfliktlösung bei internationalen Kindschaftskonflikten berichtet. Im „Archiv“ sind ein paar Artikel und Entscheidungen, u. a. zur Berufsbezeichnung Mediator und zur steuerlichen Absetzbarkeit der Mediationskosten.

Familien- und Erbrecht Internationales Familienrecht von Marianne Andrae; 2. Aufl.; Baden-Baden: Nomos, 2006; 540 S., kart.; (NomosPraxis); 3-8329-1361-0; 69,– E.

Das Buch bietet eine schnelle und gründliche Orientierung über die spezifischen Rechtsfragen und Rechtsgrundlagen des internationalen Familienund Familienverfahrensrechts. Die praxisnahe Darstellung geht jeweils vom konkreten familienrechtlichen Sachproblem aus und ermöglicht so das rasche Nachschlagen der gerade benötigten Informationen. Eherecht in Europa

Bmfsfj.de/ Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend stellt neben vielen anderen Gesetzen von A wie Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz über das Unterhaltsvorschussgesetz bis zum Zivildienstvertrauensmanngesetz online. Teilweise gibt es dazu weiterführende Informationen, wie z. B. zum Schwangerschaftskonfliktgesetz. Damit unterscheidet sich diese Internetseite in einzelnen Bereichen von den bekannten reinen Gesetzessammlungen, in denen ausschließlich der Gesetzestext veröffentlicht wird. mediation.anwaltverein.de Einen Überblick zu den Möglichkeiten der Mediation in verschiedenen Rechtsgebieten gibt auch die Arbeitsgemeinschaft Mediation im Deutschen Anwaltverein. Mediation kann auch eine Aufgabe für Anwälte sein.

F r das Anwaltsblatt im Internet: Rechtsanw ltin

Isa von Koeller

Sie erreichen die Autorin ber anwaltsblatt@ anwaltverein.de.

hrsg. von Rembert S ß und Gerhard Ring; Angelbachtal: Zerb, 2006; XI, 1413 S., geb.; 978-3-935079-30-3; 118,– E.

Das Handbuch enthält auf die anwaltliche und notarielle Tätigkeit bezogene Berichte zum Eherecht in den für die Praxis wichtigsten europäischen Staaten. Der Schwerpunkt liegt auf den Ehewirkungen und Scheidungsfolgen, einschließlich der vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten sowie Hinweisen auf die nichteheliche Lebensgemeinschaft und die gleichgeschlechtliche Partnerschaft. Familienrecht nach Anspruchsgrundlagen: samt Verfahren in Familien-, Kindschafts- und Betreuungssachen

von Kurt Schellhammer; 4., neu bearb. Aufl.; Heidelberg: C. F. M ller, 2006; LXII, 797 S., geb.; 978-3-8114-5159-9; 82,– E.

Der Arbeitsweise des Praktikers entsprechend behandelt das Buch das Familienrecht nach dem System von Anspruchsgrundlage, Gegennorm und Beweislast. Praktische Beispiele aus der Rechtsprechung des BGH sowie Bilder und Übersichten veranschaulichen die Darstellung und unterstützen den Anwalt bei der täglichen Falllösung.

MN

Schlusspl doyer Warum sind Sie Anwalt geworden?

Mitglieder Service

Weil der Anwaltsberuf der Phantasie keine Grenzen setzt.

DAV-Haus Littenstr. 11, 10179 Berlin

Schon einmal berlegt, die Zulassung zur ckzugeben?

Ja, allerdings unter der aufschiebenden Bedingung, dass mir ein wohlgesonnener gegnerischer Kollege später einmal dazu raten sollte. Ihr gr ßter Erfolg als Anwalt?

Wenn ein Mandant nach verlorenem Prozess meine Erläuterungen zu einem richtigen Urteil auch noch dankbar anerkennt. Ihr Stundensatz?

Realiter keinen; Wünsche sind nicht veröffentlichungsfähig. Stellt sich den Fragen des Anwaltsblatts: Rechtsanwalt beim BGH Prof. Dr. Dr. Norbert Gross aus Karlsruhe ist Mitglied des Vorstands des Deutschen Anwaltvereins und Ehrenvorsitzender des Vereins der beim BGH zugelassenen Rechtsanwälte. Seit 1969 ist er Rechtsanwalt (zunächst beim Land-, ab 1974 beim Oberlandesgericht und seit 1995 ausschließlich als Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe tätig). Er ist Mitglied im DAV, weil er diesen starken Verband für den „Anwalt der Anwälte“ hält.

Ihr Traummandat?

Wenn der Mandant nach gewonnenem Prozess meine Erläuterungen auch zu einem falschen Urteil noch aufmerksam entgegennimmt. Sonst: Das Aufspüren der entscheidenden Verjährungseinrede beim ersten Griff nach der Akte. Was sollen Ihnen Ihre Kollegen einmal nicht nachsagen?

Zu flach, zu phantasielos, zu beidseitig, zu wenig standfest. Welches Lob w nschen Sie sich von einem Mandanten?

Nicht flach, nicht phantasielos, nicht beid-, sondern konsequent einseitig, standfest.

XXXII

AnwBl 1 / 2007

Deutscher Anwaltverein Tel.: 0 30/ 72 61 52 - 0, Fax: - 1 90 [email protected], www.anwaltverein.de Redaktion Anwaltsblatt Tel.: 0 30/ 72 61 52 - 1 41, Fax: - 1 91 [email protected] www.anwaltsblatt.de Deutsche Anwaltakademie Tel.: 0 30/ 72 61 53 - 0, Fax: - 1 11 [email protected] www.anwaltakademie.de Deutsche Anwaltadresse Tel.: 0 30/ 72 61 53 - 1 70, - 1 71, Fax: - 1 77 [email protected] DAV-Anwaltausbildung Tel.: 0 30/ 72 61 52 - 1 88, Fax: - 1 63 [email protected] www.dav-anwaltausbildung.de Arbeitsgemeinschaften im DAV Infos unter Tel.: 0 30/ 72 61 52 - 0, Fax: - 190 DAV B ro Br ssel Tel.: + 32 (2) 2 80 28 - 12, Fax: - 13 [email protected], www.anwaltverein.de/bruessel Deutscher Anwaltverlag Wachsbleiche 7, 53111 Bonn Tel.: 02 28/ 9 19 11 - 0, Fax: - 23 [email protected], www.anwaltverlag.de

Sonderkonditionen f r Mitglieder

Der DAV hat f r seine Mitglieder zahlreiche Kooperationen abgeschlossen, die den Mitgliedern der rtlichen Anwaltvereine geldwerte Vorteile bringen. Ob beim Mobilfunk, dem Festnetz, bei Autovermietung oder Hotels, der NJW oder bei juris, zahlreiche Verg nstigungen finden sich unter www.anwaltverein.de/vorteile/index.html.

Suggest Documents