Überflutungsflächen 1900/2000

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April 1900

Mai 1900

April 2000

Mai 2000

Juni 1900

April/Mai/Juni 1900

Juni 2000

April/Mai/Juni 2000

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Inhalt Ein Fluss wird wieder lebendig Naturraum Untere Havel Geschichte der Havel Vision und Ziel

Menschen vor Ort

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Chancen für die ehrenamtliche Tätigkeit im Naturschutz

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Hoffnung auf Havelfisch – Portrait des Fischers Schröder

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„Die Renaturierung ist gut für die ganze Region.“ – Interview Rocco Buchta

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Die Untere Havel – eine Kulturlandschaft

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Leben am Fluss

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„Naturschutz-Urgestein“ des Westhavellandes – Portrait Achim Seeger

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Weitere Informationen NABU-Projekt mit Modellcharakter

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Ihre Unterstützung für das Havelprojekt!

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Restoration project at the river Havel/English summary

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Partner

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Projektbüro/Impressum

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Liebe Leserinnen und Leser, die Havel ist eine wichtige Lebensader Ostdeutschlands und

und ihren Wert an die nachfolgenden Generationen weiter-

ein wertvoller Lebensraum für Pflanzen und Tiere. Es ist

zugeben.

notwendig, dass diese wunderbare Flusslandschaft ge-

Unsere Naturlandschaften und Feuchtgebiete bilden in

schützt und erhalten wird. Ich freue mich sehr, dass dem

Brandenburg und Sachsen-Anhalt das – auch kulturelle –

NABU die Trägerschaft für das Projekt der Renaturierung

Erbe in seiner ganzen Bandbreite. Sie sind Schatzkammern

der Unteren Havel vom Bundesministerium für Umwelt,

der natürlichen Vielfalt und Heimat für zahlreiche Tiere

Naturschutz und Reaktorsicherheit, dem Bundesamt für

und Pflanzen.

Naturschutz, den Ländern Sachsen-Anhalt und Brandenburg übertragen wurde.

Ich wünsche mir, dass mit diesem Projekt die Einzigartigkeit der Unteren Havelniederung bewahrt und wieder-

Die Untere Havelniederung ist das bedeutendste

hergestellt wird, dass das Vorhaben eine Brücke bildet zur

Feuchtgebiet im Binnenland Mitteleuropas: Sein Wasser-

Erkenntnis, dass der Mensch nicht gegen oder ohne die

speicher hat einen besonderen Wert für die gesamte Region.

Natur leben kann, und dass während und nach der

Wasser ist eine der wichtigsten und somit schützens-

Renaturierung ein positiver Effekt für die ganze Region und

wertesten Lebensgrundlagen für Mensch und Natur. An

darüber hinaus entsteht.

dieser Stelle möchte ich auch die Gelegenheit nutzen, allen Menschen zu danken und meine Anerkennung auszu-

Gute Unterhaltung beim Lesen und Entdecken der Naturschätze entlang der Unteren Havel wünscht Ihnen

sprechen, die sich für den Erhalt von Gewässern und den Naturschutz einsetzen. Diese Menschen haben es sich zur

Olaf Tschimpke

Aufgabe gemacht, die Natur zu erforschen, zu bewahren

NABU-Präsident

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„Die Havel, um es noch einmal zu sagen, ist ein aparter Fluß; (...) Das Blau ihres Wassers und ihre zahllosen Buchten (sie ist tatsächlich eine Aneinanderreihung von Seen) machen sie in ihrer Art zu einem Unikum. Das Stückchen Erde, das sie umspannt, eben unser Havelland, ist (...) die Stätte der ältesten Kultur in diesen Landen. Hier entstanden, hart am Ufer des Flusses hin, die alten Bistümer Brandenburg und Havelberg. Und wie die älteste Kultur hier geboren wurde, so auch die neueste. Von Potsdam aus wurde Preußen aufgebaut, von Sanssouci aus durchleuchtet. Die Havel darf sich einreihen in die Zahl deutscher Kulturströme.“

Ein Fluss wird wieder lebendig

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Theodor Fontane (Wanderungen durch die Mark Brandenburg)

Aus der Vogelperspektive sieht man die von Theodor Fontane hervorgehobenen Charakteristika der Havel besonders gut: Sie windet sich in unzähligen Flussschleifen, durchfließt Seen und hat zahllose Altarme und Inseln. Als kleiner Wiesenfluss entspringt sie im Gebiet der Mecklenburgischen Seenplatte, durchfließt dann bei stetigem Wachstum die Großstadt Berlin, die Länder Brandenburg und Sachsen-Anhalt und mündet schließlich in die Elbe. Für die Menschen in der Region sind die Havel, ihre Ufer, ihre Altarme und ihre Inseln Orte der Erholung, Lebensquell und Existenzgrundlage.



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Naturraum Untere Havel Die Havel Die Havel ist ein typischer Tieflandfluss. Sie hat einen 341

in die Elbe gibt es hauptsächlich weite Wiesen und Weiden,

Kilometer langen Verlauf, zuerst in südlicher, dann in west-

aber auch große Schilfröhrichte und Weidenwälder. Neben

licher und schließlich in nordwestlicher Richtung. Dabei

den nassen und feuchten Flächen findet man auch sehr

überwindet der Fluss lediglich ein Gefälle von rund 40

trockenes Terrain. Diese Standortvielfalt ist einzigartig für

Metern. Die direkte Luftlinienentfernung von der Quelle

Deutschland.

bis zur Mündung beträgt weniger als 100 Kilometer. Der mittlere jährliche Durchfluss an der Mündung beträgt ca.

Pflanzen und Tiere

110 Kubikmeter je Sekunde. Die Havel ist nach Moldau und

In dem von der Unteren Havel angebotenen Lebensraum,

Saale der drittgrößte Nebenfluss der Elbe.

der über die Ausstattung normaler Auenlandschaften weit

Von ihrer Typologie her ist sie ein Ausnahmefall in

hinausgeht, hat sich eine erstaunliche Tier- und Pflanzen-

Deutschland. Sie ist ein sandgeprägter, teilorganischer und

welt entwickelt und – wenn auch teilweise nur in Resten –

gefällearmer Fluss des Tieflandes mit jährlichem Winter-

bis heute erhalten können. Insgesamt wurden etwa 1.000

und regelmäßigem Sommerhochwasser. Die Untere Havel

bedrohte und geschützte Arten nachgewiesen. Das ist ein-

ist sehr verzweigt und mäandrierend.

zigartig in Deutschland und Mitteleuropa. Neben ihrer Funktion als Rückzugs- und Geburtsstätte bedrohter,

Das Projektgebiet

anderweitig längst verschwundener heimischer Arten hat

Das Renaturierungsgebiet ist 18.700 Hektar groß. Auf

die Untere Havelniederung eine für den gesamten europäi-

Brandenburg entfallen davon 11.100 Hektar, auf Sachsen-

schen Raum einzigartige Bedeutung als Rast- und Über-

Anhalt 7.600 Hektar. Innerhalb des Projektgebiets liegt das

winterungsraum wandernder Vogelarten.

Kerngebiet mit einer Größe von 8.900 Hektar, hier werden die ersten Maßnahmen umgesetzt.

Zwar sind viele Arten auch an der Unteren Havel sehr selten geworden, gleichwohl haben andere hier einen ihrer

Wo die Havel in die Elbe mündet, vereinigen sich die

letzten Zufluchtsorte. So findet man Rotmilan, Seeadler,

Wasserströme großer Teile Brandenburgs, Sachsens,

Fischadler, Kiebitz, Bekassine, Rotschenkel, Uferschnepfe,

Sachsen-Anhalts und Mecklenburg-Vorpommerns. Ausge-

Flussuferläufer, Uferschwalbe, Eisvogel, Großer Brachvogel

dehnte und unzerschnittene Feuchtgebiete charakterisieren

und Wachtelkönig, dazu Biber und Fischotter, die seltenen

die sehr dünn besiedelte Untere Havelniederung. Typisch

Fischarten

sind die jährlichen großflächigen Überflutungen, wobei

Flussneunauge und bei den Libellen die Asiatische

sich im Frühjahr das Elbhochwasser bis zu 50 Kilometer in

Keiljungfer. Sumpfdotterblume, Brenndolde, Lungenenzian

die Havelniederung hineinstaut. Auf den etwa 90

und Schwarze Segge stehen stellvertretend für die enorme

Kilometern Flusslauf zwischen Pritzerbe und der Mündung

Pflanzenvielfalt.

Rapfen,

Schlammpeitzger,

Meer-

und



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Geschichte der Havel Der Ausbau Die ausgeprägte natürliche Gewässerdynamik im unteren

Die erste Hochwasserschutzmaßnahme war der Bau eines

Lauf der Havel stand einer planmäßigen und intensiven

Trennungsdeiches zwischen Elbe und Havel in den Jahren

Nutzung und Bewirtschaftung entgegen. Schon frühzeitig

1770/71. Der planmäßige und durchgängige Ausbau der

wurde versucht, durch Regulierungsmaßnahmen das

Havel begann 1875. Der Fluss wurde begradigt und sein

Hochwasserrisiko zu mindern und die Nutzungsbedin-

Bett festgelegt, später dann wurde das Hauptbett verbreitert

gungen zu verbessern. Die Havel wurde eingedeicht und

und vertieft. Staustufen sollten das Wasser im Sommer

durch Laufbegradigungen, Anlage von Buhnen und Ufer-

zurückhalten. Die Eindeichung großer Teile der Havel-

deckwerken, Schleusen und Wehren in eine weitgehend

niederung in den 1970er Jahren kennzeichnete den

regulierte Wasserstraße umgewandelt. Durch Auspolde-

Abschluss der Maßnahmen.

rungen, das Abtrennen von Auengebieten durch Deiche, sowie die Anlage von Entwässerungsgräben und Kanälen

Heutige Situation

wurden immer größere Teile der fruchtbaren Auen und

Der Ausbau hatte für die Havel zum Teil schwerwiegende

Niedermoore für die landwirtschaftliche Nutzung er-

Folgen. Die Überflutungsflächen schrumpften auf etwa

schlossen.

15.000 Hektar (ein Zehntel der früheren Überflutungsfläche, siehe Grafik nach Seite 30), die Überflutungshöhen wurden halbiert und die jährliche Überflutungsdauer verkürzte sich um sechs bis acht Wochen. Diese Verkürzung ist verheerend. Insbesondere das Zooplankton als elementarer Bestandteil des aquatischen Ökosystems der Unteren Havelniederung leidet darunter. Die Fischbestände waren davon direkt betroffen, maximal ein Zehntel der ursprünglichen Populationen ist noch vorhanden. Außerdem fand der Ausbau der Havel für die Schifffahrt zu einem Zeitpunkt statt, an dem diese ihren Zenit bereits überschritten hatte. Die Frachtmengen stiegen zwar zunächst, doch die Anzahl der Schiffe und der dort beschäftigten Schiffer sank ständig. Mitte der 1990er Jahre, nach Auflösung der Zwangstransitstrecke, war die Untere Havel nur noch eine unbedeutende Wasserstraße. Auch die Meliorationsmaßnahmen – die Nutzbarmachung des Bodens für die Landwirtschaft – waren kein volkswirtschaftlicher Erfolg. Die Ertragsziele wurden nicht

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oder nur kurzzeitig erreicht. Trotz der hohen Kosten für den Erhalt des Systems haben die hiesigen Landwirtschaftsbetriebe deutliche Standortnachteile und sehen einer ungewissen Zukunft entgegen. Ein besonderes Problem ist die durch den Ausbau verursachte Strukturarmut des Flusses. Es existieren nur noch wenige Verzweigungen, der Fluss kommt im Sommer in den Stauhaltungen beinahe zum Stehen und das natürliche Ausuferungsvermögen ist eingeschränkt. Auch wird der Rückstau bei Elbe-Hochwasser behindert, was insgesamt zu geringeren Überflutungen führt. Beinahe durchgängig sind die Ufer mit Steinen verbaut, es fehlen Abbruchufer und auch Flachwasserbereiche gibt es viel zu wenig. Zudem versperren die Staustufen den Wanderfischen den Weg.



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Die enorme Artenvielfalt der Region zu erhalten, die einzigartige Auenlandschaft wiederherzustellen sowie die Lebensbedingungen in und an der Havel zu verbessern,

Vision und Ziel

sind die Ziele des Projektes. Auf rund 90 Flusskilometern soll die Havel wieder ein für sie typisches aufgespaltetes, inselreiches Flussbett bekommen, mit möglichst vielen unverbauten Ufern, die sich dynamisch verändern dürfen. Im Hauptarm würde nur noch eine kleine Fahrrinne unterhalten werden. Die künstlichen Uferverwallungen sollen weitgehend aufgelöst und die alten Flutrinnen wieder durchströmt werden, so dass das Wasser wieder schneller fließen und sich dadurch besser selbst reinigen kann. Ziel ist auch, die Wasserstände wieder natürlicher schwanken und die Auen im Frühjahr länger überfluten zu lassen. Die Stauwehre bleiben zwar bestehen, müssen aber möglichst durchgängig für wasserliebende Lebewesen sein.

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Rotmilan In Mitteleuropa gehört der Rotmilan zu den seltensten Greifvögeln. Deutschland trägt eine große Verantwortung für die Zukunft dieses Vogels, denn mehr als Durch die Renaturierungsmaßnahmen soll ein Mehr an

die Hälfte aller Rotmilane weltweit leben hier. Keine

Lebensqualität durch ein Mehr an Strukturvielfalt und

andere Vogelart brütet bei uns mit einem so hohen

nicht zuletzt eine verbesserte Selbstreinigungskraft des

Anteil ihrer Weltpopulation.

Flusses entstehen. Auf den angelandeten Sand- und Kiesbänken könnten sich dann wieder spezialisierte Vogelarten wie Flussregenpfeifer und Flussuferläufer heimisch fühlen. Aus der Elbe aufsteigende Aale, Maifische, vielleicht sogar Lachse und Störe, werden hoffentlich eines Tages wieder das Havelwasser besiedeln. In den Auwäldern könnten sich Hopfen, Wein- und Waldrebe lianenartig um Weiden, Pappeln, Eschen, Ulmen und Eichen schlingen.

Hauptziele: 1. Ökologische Verbesserung der Unteren Havelniederung zum Schutz und zur Entwicklung der charakteristischen und auetypischen Lebensgemeinschaften, Strukturen und Funktionen sowie Sicherung der

Zu seiner Nahrung zählen Mäuse und andere

Retentionspotenziale (Hochwasserrückhaltevermögen)

Kleinsäuger, Fische, Amphibien und Vögel. Rotmilane

der Havelaue in Brandenburg und Sachsen-Anhalt.

sammeln auch kranke und tote Fische von der Wasser-

2. Eine naturnahe, durch biotoplenkende Maßnahmen

oberfläche und vom Ufer auf und jagen anderen

und fließgewässerdynamische Prozesse geprägte

Greifvögeln ihre Beute ab. Mit einer Flügelspannweite

Entwicklung im Unterlauf der Havel und innerhalb

von bis zu 190 Zentimetern ist der Rotmilan eine

der Aue zur Verbesserung der Gewässerstruktur,

imposante Erscheinung. Der für diese Art typisch lang

zur Verkleinerung des Abflussprofils und für häufigere

gegabelte Schwanz, auch die rostrote Schwanzober-

und längere Ausuferungen der Havel.

seite, die rotbraune Unterseite und die großen hellen

3. Optimierung der Bindegliedfunktion im Biotop-

Felder auf den Handflügeln machen diesen Greifvogel

verbundsystem zwischen Elbe und Oder und Entwick-

unverwechselbar. Rotmilane überwintern rund um das

lung als Lebens- und Reproduktionsraum für an

Mittelmeer und kehren Anfang März zu uns zurück.

Feuchtgebiete gebundene Lebensgemeinschaften.



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Maßnahmenbeispiele

heutiger Hauptarm Flusslauf nach Altarmanschluss

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Heute

Heute

Vision

Vision

Änderung des Flusslaufs

Änderung des Havelquerschnitts

Fahrrinne 2 x 37 m

1m

2m

Havelquerschnitt, ausgebaut, Ufer befestigt und regelmäßig ausgebaggert (überhöht) Boje

Fahrrinne 1,4 x 20 m

1m

2m

Havelquerschnitt, durch Strömungsdynamik geprägt (überhöht)

Teilziele:

In der ersten Phase (2005–2008) erarbeitet das Projektbüro



naturnahe Wasserstandsschwankungen bei sich

in Abstimmung mit allen Beteiligten zunächst einen Pflege-

änderndem Wasserdurchfluss und Wandlungsfähigkeit

und Entwicklungsplan. Dieser beinhaltet: Aufgabenvergabe

der Ufer- und Flussbettstrukturen

an externe Gutachter, Fachaufsicht und Prüfung der

Erhöhung der Strukturvielfalt, der Strömungsdynamik

Zwischenberichte, Vorbereitung des Flächenerwerbs,

und des Standortmosaiks

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.

• • • •

Wiederherstellung der biologischen Durchgängigkeit

In der zweiten Projektphase (2009–2018) erfolgt die

Verbesserte Vernetzung von Fluss und Aue

Umsetzung der Maßnahmen nach den Vorgaben aus dem

Bau von drei Fischwanderhilfen

Pflege- und Entwicklungsplan. Dazu gehören:

Maßnahmen/Umsetzung Die Umsetzung und Verwirklichung der Renaturierung erfolgt in mehreren Etappen. Die Einbindung der Bevölkerung vor Ort ist dabei ein besonders wichtiger

• • • • •

die Verminderung von Unterhaltungsmaßnahmen, der Rückbau von Uferbefestigungen, der Anschluss von Altarmen, die Aktivierung von Flutrinnen sowie der Bau von Fischwanderhilfen.

Bestandteil. Denn die Renaturierung wird erst dann begonnen, wenn die Akzeptanz vor Ort vorhanden ist.

Der NABU möchte mit diesem Flussrenaturierungsprojekt

Erste Planungs- und Kommunikationsmaßnahmen

auch helfen, die Ziele der EU-Wasserrahmenrichtlinie zu

sind bereits umgesetzt. Nach langjähriger Vorarbeit startete

erreichen und die Öffentlichkeit für den Gewässerschutz zu

das Projekt im Herbst 2005 mit der Arbeitsaufnahme des

sensibilisieren. In diesem Zusammenhang sind umfangrei-

NABU-Projektbüros und der Auftaktkonferenz in Rathe-

che Aktivitäten geplant: Informationsveranstaltungen und

now. Die 13-jährige Laufzeit ist in zwei Projektphasen

Konferenzen, Reisen in das Projektgebiet, Kultur-

gegliedert.

veranstaltungen sowie sportliche Ereignisse.



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Menschen vor Ort Wer per Schiff oder Boot die Havel abwärts zur Elbe oder von der Elbe kommend in die Havel fährt, der kommt an Havelberg nicht vorbei. Dem Charme des kleinen Städtchens in idyllischer Lage zwischen Havel und Prignitzer Platte mit den liebevoll gepflegten kleinen Gassen und alten Häusern der Stadtinsel kann sich wohl niemand entziehen, der ihn einmal erlebt hat. Die 1050-Jahrfeier hat Havelberg schon hinter sich, doch seine Geschichte reicht viel weiter zurück und sie ist unmittelbar mit der Havel verbunden. Bevor Eisenbahn und moderne Straßen zur Verfügung standen, waren Flüsse wichtige Transportwege für Baumaterial und Handelsgüter. Havelberg konnte durch seine Lage gleich von zwei bedeutenden Verkehrswegen profitieren. Die Elbe erschloss die Märkte im Binnenland und gewährte über Hamburg den Zugang zum Seehandel. Die Havel ermöglichte den Handel mit Berlin. Zu dieser „Ich bin an, auf und in der Havel sowie den umliegenden

Zeit herrschte in Havelberg reger Schiffsverkehr. Bereits

Gewässern groß geworden. Wasser ist mein Element. Als um

1274 existierte in Havelberg ein Hafen.

so wichtiger empfinde ich es, dass diese einmalige Wasser-

Durch die Elbe-Erklärung von 1996 wurden wir erst-

landschaft, das Havelland, geschützt und in wichtigen Teilen

mals mit dem Vorhaben des Bundes und der mitzeichnen-

wieder in seinen ursprünglichen Zustand gebracht wird.“

den Naturschutzverbände konfrontiert. Die Untere Havel sollte streckenweise für die Schifffahrt endgültig aufgegeben und renaturiert werden. Zusammenfassend kann ich sagen, das Naturschutzprojekt Untere Havel ist in der Region gut angekommen. Auf Veranstaltungen wurden u.a. einige Vorschläge für mögliche Maßnahmen an das Projektbüro übergeben und kommunale Planungen vorgestellt, die mit Realisierung des Projektes in greifbare Nähe rücken würden. Sind Sie neugierig geworden? Kommen Sie nach

Birgit Fischer

Havelberg und schauen Sie sich alles mit eigenen Augen an.

Die achtfache Olympiasiegerin im Kanu unterstützt als Botschafterin das Havelprojekt.

Bernd Poloski Bürgermeister Havelberg

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Chancen für die ehrenamtliche Tätigkeit im Naturschutz Dort, wo sich Elbe und Havel annähern und zweimal

Im Jahr 2000 zog der Förderverein in ein über dreihundert

berühren, bei Havelberg durch den Bau der Schleuse und

Jahre altes Forsthaus in Havelberg. Das Grundstück wurde

bei Quitzöbel an der großen Wehranlage, liegt der

dem Verein durch die Stadt übertragen, was beispielhaft für

Wirkungsbereich des Fördervereins Naturschutz im Elbe-

das gegenseitige Verständnis und die sehr gute Zusammen-

Havel-Winkel e.V.

arbeit ist. Die Lage des Forsthauses bietet beste Voraus-

Seit seiner Gründung 1993 setzt sich der Verein ehren-

setzungen für die Tätigkeit und Erreichbarkeit des Vereins,

amtlich für den Erhalt, die Pflege und die Entwicklung der

so dass nun eine umfassende Ausstellung über Pflanzen und

heimatlichen Landschaft, Flora und Fauna ein. Dabei rich-

Tiere der Region aufgebaut werden konnte.

tet sich die Verantwortung auf einen umfassenden Natur-

Mittlerweile ist der Sitz des Naturschutzvereins belieb-

und Landschaftsschutz in der Region, die Umweltbildung

ter Anlaufpunkt für naturinteressierte Bürger und

und -erziehung in der Schule und bei der Erwachsenen-

Schulklassen. Der nahe Auenwald sowie die vielen um das

weiterbildung, die Erforschung der Natur sowie die

Forsthaus angeordneten Modelle praktischer Naturschutz-

Unterstützung eines verträglichen Naturtourismus im

arbeit laden besonders an Wochenenden Familien aus

Elbe-Havel-Winkel.

Havelberg und Umgebung, aber auch Nutzer des Elberad-

Erkunden und erfahren kann man all dies bei den

weges zum Verweilen.

monatlichen Führungen, Exkursionen und Untersuchungen

Mit der Auszeichnung der Havel zur Flusslandschaft

des Fördervereins. Dabei richtet sich die praktische

des Jahres 2004 und dem Start des Projektes „Renaturie-

Naturschutzarbeit auf Landschaftspflege in den Gebieten

rung der Unteren Havel“ richtet der Förderverein

Mühlenholz und Möwenwerder sowie Tonabgrabungen in

Naturschutz seine Arbeit auf die Havel betreffende Themen

Havelberg/Sandau, den Erhalt und die Vermehrung aue-

aus. Dabei sind besonders die ökologischen Zusammen-

typischer Gehölze wie Feldulme, Schwarzpappel, Stieleiche,

hänge bei der Wiederanbindung alter Nebenarme interes-

alter Obstsorten und von Wildobst im vereinseigenen

sant. Und bei der Initiierung von Weich- und Hartholzauen

Lehrpflanzgarten.

sieht der Verein eine gute Möglichkeit, seine ehrenamtliche

Beim Biotop- und Artenschutz setzten sich die Natur-

Naturschutzarbeit einzubringen. Denn, so der Geschäfts-

schützer ein für den Erhalt und die Renaturierung von

führer Rolf Paproth, „das Ziel Natur zu erhalten, zu pflegen

Kleingewässern, sie kartieren heimische Orchideen, sie

und zu entwickeln, erhält mit dem Projekt der Unteren

überwachen die Bestände des Bibers, sie unterstützen das

Havel eine neue Dimension“.

Brutgeschehen der Trauerseeschwalbe, die regelmäßige Gewässeruntersuchung sowie die Pflege des Waldnaturlehrpfades in Mühlenholz.

Klaus Heidrich Förderverein Naturschutz im Elbe-Havel-Winkel e.V.

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Die ursprüngliche Havel-Fischerei gibt es nicht mehr. Mittlerweile sind aus China eingeschleppte Wollhandkrabben die Haupteinnahmequelle von Wolfgang Schröder. Er ist einer der letzten Fischer an der Unteren Havel. Der 39-jährige Brandenburger stammt aus einer alten Fischerfamilie und geht dem Gewerbe in der vierten Generation nach. Ein inzwischen seltener Beruf an dem Fluss: In den

Hoffnung auf Havelfisch

20er Jahren des vorigen Jahrhunderts hat die Havel noch weit über 1.000 Fischerfamilien ernährt, heute sind es noch ganze 30.

Wolfgang Schröder – einer der letzten Fischer an der Havel

Wolfgang Schröder geht zu einem seiner Bassins und schnappt sich mit gezieltem Griff eine etwa 15 Zentimeter große braune Wollhandkrabbe. Die Tiere sind im

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vergangenen Jahrhundert mit dem Ballastwasser von

Der nun in Angriff genommenen Renaturierung der Havel

Schiffstransporten aus China in Elbe und Havel einge-

blickt der Fischer mit Freude und Hoffnung entgegen.

schleppt worden. Heute verkauft Fischer Schröder jährlich

„Wenn der Fluss renaturiert wird, dann fließt das Wasser

mehrere Tonnen an Händler und China-Restaurants im

nicht mehr so schnell aus der Flussniederung heraus. Die

gesamten Bundesgebiet. Die kleineren Tiere werden zu

Fische bekommen mehr zu fressen, weil sie mehr Nahrung

Fischsuppensud und Krabbenchips verarbeitet, die großen

auf den überschwemmten Wiesen finden“, so Schröder.

Krabben landen als Delikatesse auf dem Teller.

Auch werden im Fluss wieder unterschiedlich tiefe Bereiche

Viel lieber als Wollhandkrabben würde Fischer

und Sandbänke entstehen. Die Jungfische erhalten dadurch

Schröder wie seine Vorfahren frischen selbstgefangenen

mehr Unterstand und Schutz vor ihren natürlichen

Havelfisch verkaufen, doch hochwertige Speisefischarten

Feinden. Fischer Schröder hofft im Zuge der Naturschutz-

wie Hecht und Zander sind heute rar. Leben könnte er

maßnahmen auf mehr Havelfisch – und vielleicht tummeln

davon nicht. „Wir Fischer sind heute eher Fischhändler. Wir

sich ja eines Tages auch wieder Lachse in der Havel.



kaufen Fische dazu und verarbeiten sie dann“, erläutert Wolfgang Schröder. Vor allem hat auch die Havel-Fischerei unter dem Ausbau des Flusses und der Trockenlegung der Havelniederungen gelitten. Der Fischbestand reduzierte sich in den letzten Jahrzehnten dramatisch und damit verschwand die Lebensgrundlage für die zuvor zahlreichen Fischer in der Region. Trotzdem liebt Wolfgang Schröder seinen Beruf. Er fühlt sich auch der alten Tradition seiner Familie verpflichtet – seit 1704 sind die Schröders in der Branche tätig. 17 Leute hat der Betrieb vor dem Zweiten Weltkrieg beschäftigt, bereits zu DDR-Zeiten waren es nur noch vier, heute ist Wolfgang Schröder ein Einmannbetrieb. Für viele Touristen ist die idyllisch und direkt an der Havel gelegene Fischerei Schröder ein beliebtes Ausflugsziel. Viele kommen schon seit Jahren und machen Halt, um sich bei ihm mit einem leckeren Fischimbiss zu stärken. Für solche Zwecke bietet der Havelfischer auch Feinheiten der Regionalküche aus eigener Produktion. Ein Höhepunkt für Naturfans ist eine von Wolfgang Schröder geführte Tour mit dem Fischerkahn auf der Havel.

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„Die Renaturierung ist gut für die ganze Region.“

Rocco Buchta gilt als„Projektvater” der Havelrenaturierung. Er hat das Projekt in mehr als zehnjähriger Arbeit, zusammen mit engagierten Fachleuten vor Ort, entwickelt. Geboren wurde er 1965 in Rathenow. Rocco Buchta ist ver-

Interview Rocco Buchta

heiratet, hat drei Kinder und wohnt heute in Strodehne, einem kleinen Dorf an der Havel. Beruflich leitet er den Naturpark Westhavelland. Der gelernte Werkzeugmacher und dreifache Diplomingenieur ist Gründungsmitglied und Sprecher des Bundesfachausschusses (BFA) „Lebendige Flüsse“ im NABU. Seine ersten Renaturierungsmaßnahmen an der Havel – Auenwaldbegründungen, Uferrenaturierungen und die Anbindung eines ersten Altarms – plante und realisierte er bereits Mitte der 80er Jahre. Wir befragten ihn zu seiner Motivation für das Großprojekt Havel:

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Bekassine Herr Buchta, was wollen Sie für die Havel erreichen? Die Havel soll ein lebendiger Fluss werden, ein attraktiver Lebensraum für typische Pflanzen und Tiere einer Flussaue. Die Generation meiner Kinder soll wieder die Chance haben, im glasklaren Havelwasser zu baden, an Sandstränden zu sitzen und Eisvogel, Biber und Fischotter beobachten zu können. Wie ist die Idee zum Havelprojekt entstanden? Ich bin an und auf der Havel aufgewachsen. In meiner Kindheit sind wir im Frühling ständig an den überschwemmten Wiesen und in den hohen Weiden herumgestromert. Mit Vater, Großvater und einem Angelkahn bin

Mit ihren kurzen Beinen, dem langem Schnabel und ihrer

ich dann auch viel auf der Havel unterwegs gewesen.

gedrungenen Gestalt ist die Bekassine ungefähr so groß

Wunderbare Erinnerungen an ausgedehnte Angelpartien

wie eine Drossel. Ursprünglich war sie in ganz Europa zu

auf der morgendlich-nebligen Havel und unzählige Tier-

finden. Heute existieren in Deutschland und seinen west-

beobachtungen haben den Grundstein für meine Liebe zur

lichen Nachbarländern nur noch kleinere Restpopula-



tionen – eine Folge der großflächigen Vernichtung von

Havellandschaft gelegt.

Feuchtgebieten durch jahrzehntelange Entwässerungsmaßnahmen. Die Bekassine wird im Volksmund auch „Himmelsziege“ genannt, denn bei rasanten Sturzflügen gibt sie ein lautes Meckern von sich. Bekassinen sind sehr schnelle Flieger, die bei Gefahr Zacken und Haken schlagen. Ihre Nahrung suchen sie mit dem Schnabel im Schlamm und im feuchten Erdreich. Der obere Teil des Schnabels ist biegsam, so dass die Beute besser gehalten werden kann. Das Bodennest der Bekassine liegt meist gut versteckt zwischen dichtem Pflanzenwuchs. Die Jungen sind Nestflüchter, die von den Eltern bei Gefahr auch im Flug transportiert werden können. Dabei werden die Küken mit dem Schnabel an die Brust gedrückt.

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Gab es im Projektverlauf entscheidende Meilensteine? Ich fand zum Glück schnell Wegbegleiter, die selbst schon seit Jahren für die Erhaltung der Unteren Havelniederung kämpften. Mit der Wende ergaben sich für uns dann neue Möglichkeiten, da die Schifffahrt gänzlich zusammenbrach. Mit dem Verzicht auf die weitere Nutzung der Havel als Bundeswasserstraße wurde eine wichtige Weichenstellung vorgenommen. Die Unterstützung durch die Bevölkerung und die Landesregierungen von Brandenburg und Sachsen-Anhalt ist besonders wichtig für unsere Arbeit. Das Elbehochwasser 2002 brachte dann den entscheidenden Durchbruch. Auf der Grundlage von Voruntersuchungen konnten wir endlich überzeugend darlegen: Die Renaturierung ist gut für die ganze Region! Wird es auf der Havel überhaupt noch Schifffahrt geben? Ja, aber es werden nur noch Freizeit-, Fahrgast- und Hotelschiffe fahren dürfen. Die Anschlussstrecke südlich von Rathenow und das Stadtgebiet von Havelberg werden für die Güterschiffe weiterhin erreichbar sein. Was wünschen Sie sich für die Zukunft? Ich wünsche mir, dass von dem Projekt Impulse für das ganze Havelland und den Elbe-Havel-Winkel ausgehen. Das Projekt ist die größte Maßnahme zur Renaturierung eines Flusses in Europa. Unsere Erfahrungen möchten wir deshalb auch anderen zur Verfügung stellen.

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Fischotter Fischotter können bis zu 120 Zentimeter lang werden, davon entfallen alleine 30 bis 40 Zentimeter auf den kräftigen und völlig behaarten Schwanz. Das Fell des Fischotters ist einheitlich braun, Brust und Kehle sind wie die Wangen heller gefärbt. Wie alle Marder ernähren sich Fischotter recht vielseitig. Neben Fischen und Fröschen erbeuten sie auch Krebse, Insekten, Schermäuse und Wasservögel. Der Otter frisst immer das, was er am leichtesten erbeuten kann.

in Deutschland wieder langsam zu erholen. Mittlerweile kehren die ersten Tiere in verlorengegangene Lebensräume zurück. Nach wie vor stellen aber ausgebaute und begradigte Flüsse sowie von Umweltgiften belastete Beutetiere ein ernstzunehmendes Problem für die Otter dar. Zu einer bedeutsamen Todesursache ist darüber hinaus der Fahrzeugverkehr geworden, denn Otter vermeiden Gewässerabschnitte, die eng von Brücken überspannt werden, und weichen in solchen Fällen nicht selten auf benachbarte Straßen aus. Man verfolgte den Fischotter früher aufgrund seines wertvollen Felles, aber auch weil er als Fischjäger zum Nahrungs-

Je nach Qualität des Lebensraumes sind die Streifgebiete

konkurrenten des Menschen wurde. Wie der Biber galt der

erwachsener Fischotter entweder nur wenige hundert Meter

Fischotter früher zudem als „Fisch“. Somit durfte sein Fleisch

groß – unter guten Voraussetzungen – oder auch mehrere

selbst während der Fastenzeit gegessen werden. Wie häufig

Dutzend Kilometer bei ungünstigen Bedingungen. Ihre

Fischotter früher waren, belegen Zahlen aus Westfalen. Dort

Ruhephasen verbringen die vorwiegend nachtaktiven Tiere in

gab es noch vor hundert Jahren eigens angestellte Otterjäger,

Verstecken unter den Wurzeln alter Bäume in dichten Weiden-

die mit ihren Otterhunden umherzogen und für jedes erlegte

und Erlenbüschen direkt am Ufer oder aber in unterirdischen

Tier zwischen drei und zehn Mark erhielten. Mehr als 10.000

Bauen im Ufer. Da Otter sich ihre Baue ungern selber graben,

Otterfelle wurden vor dem Ersten Weltkrieg jährlich zu Pelzen

nehmen sie gerne Fuchs-, Dachs-, Bisam- oder Biberbaue in

verarbeitet. Das dichte Fell des Fischotters war ausgesprochen

Anspruch. Dort bringen die Weibchen ihre ein bis drei

wertvoll, weil es hervorragend gegen Kälte schützt. 50.000

zunächst blinden Jungen zur Welt. Seitdem die Jagd auf

Haare wachsen einem Otter je Quadratzentimeter Haut, ein

Fischotter streng verboten ist, beginnen sich die auf wenige

Mensch hat dagegen höchstens 120 Haare auf der gleichen

hundert Individuen zusammengeschmolzenen Vorkommen

Fläche.

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Die Untere Havel – eine Kulturlandschaft Das Kulturzentrum in Rathenow strahlt in neuem Glanz.

Brandenburg und anderen Orten zu einem Anstieg des

Seit zwei Jahren ist es nach langen Umbau- und Renovie-

Wasserstandes in der Landschaft, der die Entstehung groß-

rungsmaßnahmen und mit einem neuen Programm wieder

flächiger Niedermoorgebiete begünstigte.

in Betrieb genommen worden. Dahinter steckt – wie so oft

Über viele Jahrhunderte zeigte sich das Gebiet der

– das Engagement einzelner Personen. Im Besonderen ist

Unteren Havel als eine Naturlandschaft, nur wenig vom

hier Bettina Götze zu nennen, sie ist die Geschäftsführerin

Menschen geprägt und geformt, wie es auch Theodor

des Hauses. Man merkt ihr die Verbindung zur Region und

Fontane in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in sei-

zu den Menschen sofort an. Begeistert spricht sie von

nen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ be-

Johann Heinrich August Duncker, dem Begründer der

schrieb. Doch liegt es in der Natur des Menschen, sich mit

Optikindustrie in Deutschland, vom Umbau des Hauses,

bestimmten Gegebenheiten nicht abzufinden, und so

der Programmneugestaltung und der Kulturgeschichte der

begann die allumfassende Nutzbarmachung des Bodens für

Unteren Havelniederung.

die Landwirtschaft. Sümpfe und Moore wurden trocken-

Schon immer war im Havelland die Beziehung zwi-

gelegt, Flüsse reguliert, Waldstücke gerodet. Im 18. Jahr-

schen Mensch und Wasserlandschaft von großer Bedeu-

hundert wurden rund 7500 Hektar Land für den landwirt-

tung. So ist beispielsweise die älteste Erwähnung einer

schaftlichen Anbau gewonnen, 25 neue Dörfer angelegt und

Wassermühle aus dem Jahr 1173 überliefert. Wegen des zu

310 Familien, die unter anderem aus der Pfalz, Schlesien

geringen Gefälles der Havel mussten Mühlenstaue angelegt

und Holland stammten, im westlichen Havelland angesie-

werden, um Wassermühlen betreiben zu können. Dabei

delt, der bis dahin umfangreichste Eingriff des Menschen in

führten die Wassermühlen in Rathenow, Spandau,

die Landschaft. Weitere grundlegende Veränderungen des Landschaftsbildes brachte die Industrialisierung im 19. Jahrhundert, v.a. durch die Ziegelindustrie, und die bereits genannten Eingriffe im 20. Jahrhundert. Gehölze, Hecken und Wäldchen, alles Voraussetzungen auch für Artenvielfalt, verschwanden in großen Mengen. Die vom Hochwasser überspülte Fläche verringerte sich um 90 Prozent. Eine über Jahrhunderte entstandene Kulturlandschaft, reich an seltenen Pflanzen- und Tierarten, droht somit auszutrocknen.

Nostalgie und neue Herausforderungen Aus dem ehemaligen Kulturhaus ist nach über fünfjähriger Umbauzeit ein modernes Kulturzentrum geworden. Als „Kreiskulturhaus“ am 7. Oktober 1958 eröffnet, steht das

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Uferschwalbe Die Uferschwalbe ist mit einer Länge von 13 Zentimetern die kleinste Schwalbe in Europa. Sie hat einen nur leicht gegabelten und recht kurzen Schwanz, einen verhältnismäßig langen, flachen Schnabel und zarte unbefiederte Zehen. Ihre Oberseite ist erdbraun, die Unterseite weiß

Haus im Stadtzentrum von Rathenow. Das Gebäude

mit graubraunem Brustband. Die Tiere sind sehr gesellig

umgibt ein besonderer Charme, eine Mischung aus

und leben in Kolonien, die jedoch nur selten mehr als 50

Nostalgie und neuen Herausforderungen.

Brutpaare umfassen. Uferschwalben besiedeln heute über-

In der Region ist es ein wichtiges Zentrum für alle mög-

wiegend Sand- und Kiesgruben oder aber geeignete Ufer

lichen gesellschaftlichen Aktivitäten und Veranstaltungen

von Flüssen und Teichen. Einige größere Kolonien befin-

geworden. Mit dem vielfältigen Konzept des Hauses kön-

den sich auch an Steilküsten der Ostsee. Sie benötigen leh-

nen Brücken geschaffen werden. So bringt Bettina Götze

mige oder sandige Steilufer, um dort ihre Brutröhren

mit ihrer Arbeit dem Publikum die regionale Kultur und

anlegen zu können.

Natur näher. Sie stellt den Bezug von Kulturlandschaft, Mensch und Natur her – und kommt dabei auf eine ganz friedvolle Weise zu dem Schluss, dass eine Erhaltung der Natur- und somit Kulturlandschaft die wesentliche Grundlage für alle zukünftigen Entwicklungen in der Region des Westhavellandes ist. Bettina Götze hat noch viele Ideen und Wünsche für die Zukunft, für die Region, für die Natur und für die Havel. Wir sind gespannt auf weitere Entwicklungen.



Uferschwalbe fliegen oft sehr niedrig über dem Wasser und fangen dabei Insekten aus der Luft. Wie ihre Verwandten ist auch die Uferschwalbe ein Langstreckenzieher. Sie verlässt ihr Brutgebiet meist im August und kehrt Mitte April, gelegentlich schon Ende März, aus ihren afrikanischen Überwinterungsquartieren zu uns zurück.

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Auf dem Netz aus Flussarmen kann man nach Lust und Laune dem Wassersport nachgehen. Hier wird gewandert, geangelt, geschwommen – ganz nahe dem Berliner Großstadtgebiet.

Ein Leben ohne die Havel kann sich Ines Kias nicht vorstellen. Die amtierende Geschäftsführerin des Tourismusverbandes Havelland hat schon ihre Kindheit an dem Fluss verbracht. Aufgewachsen ist sie in Molkenberg an der Havel, ein Leben am Fluss von Anfang an. „Als Kind saß ich oft am Ufer und habe die dicksten Kähne die Havel raufund runterfahren sehen“, erinnert sie sich. Mit dem

Leben am Fluss

Güterverkehr auf dem Fluss ist es im Renaturierungsgebiet nun vorbei, stattdessen wird es in den kommenden Jahrzehnten mehr Überflutungsflächen und damit auch

„Ein Leben ohne Havel kann ich mir nicht vorstellen.“

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mehr Artenreichtum an der Havel geben.

Als Geschäftsführerin des Tourismusverbandes weiß Kias die Vorteile des Naturschutzgroßprojektes zu schätzen. „Eine intakte Natur ist für die Anziehungskraft und Attraktivität einer ganzen Region enorm wichtig“, berichtet die Tourismusexpertin aus Erfahrung. „Wir haben hier einiges zu bieten. So ist der Naturpark Westhavelland der größte Naturpark Brandenburgs. Unsere Störche und Graureiher sorgen nach wie vor bei vielen Gästen aus den anderen Teilen Deutschlands oder sogar aus dem Ausland für Begeisterung.“ Und wenn sie so etwas höre, werde ihr immer wieder klar, in welchem Naturparadies sie zuhause sei, betont Ines Kias. Von der Havelrenaturierung verspricht sich Ines Kias daher einen weiteren Aufschwung. „Gerade der Wassertourismus ist noch ausbaufähig“, meint die 43-jährige. In den vergangenen Jahren habe die Nachfrage nach KanuWasserwandertouren deutlich zugenommen. Besonders beliebt sind Ausflugsfahrten und Radtouren. „Die Menschen suchen als Ausgleich zum Alltagsstress in der Natur Ruhe und Entspannung“, erläutert Ines Kias. Wenn sie dann seltene Vögel oder auch Biberburgen sehen, sei das etwas ganz Besonderes. Daneben gibt es Kulturangebote

wie die Havelländischen Musikfestspiele, die Lehniner und Caputher

Sommermusiken

oder

die

„Ribbecker

Sommernacht“. Dass der Tourismus ein wichtiges Standbein der Region ist und auch ein Wirtschaftsmotor für Brandenburg sein kann, davon ist Ines Kias überzeugt, „gerade Naturparkregionen verbinden Naturschutz und Nutzung der Landschaften. Sie liefern Erholungsmöglichkeiten und bieten Menschen in der Region Arbeit“. Aber auch die Umweltbildung darf nicht zu kurz kommen. Die Menschen müssen für den Naturschutz sensibilisiert werden. Daher müsse es im Interesse aller sein, den nachhaltigen Tourismus im Land zu fördern.



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Großer Brachvogel

Eigentlich wollte Achim Seeger am Wochenende lieber Fußball spielen, doch sein Vater nahm ihn immer mit, um auf dem alten Segelboot „Windsbraut“ die Havel mit ihren

„Naturschutz-Urgestein“ des Westhavellandes

Seen zu durchschippern. Was damals wie ein ungerechter Nachteil den Spielkameraden gegenüber wirkte, stellte sich später beim Biologiestudium als unersetzbarer Vorteil heraus: denn Achim Seeger merkte, wie viel Wissen er eigentlich schon

Portrait Achim Seeger

von Kindheit an über die Havel aufgenommen hatte. Vor allem die Vögel hatten es ihm angetan und er konnte Kommilitonen und Professoren mit dem Erkennen seltener Vogelstimmen beeindrucken.

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Kiebitz Der Kiebitz ist besonders auffällig durch seine große Federhaube (Holle) auf dem Kopf. Er ist ein etwa taubengroßer, schwarz-weiß gezeichneter Vogel. Im charakteristisch schwankenden Flug sieht man die breiten, runden Flügel.

Kiebitze brüten bevorzugt in offenen und feuchten

Seeadler

Landschaften. Durch das Trockenlegen und die Kulti-

Bald hatte er den Spitznamen „Limikolen-Seeger" - Limi-

vierung von Sümpfen und Feuchtwiesen mussten sie ihre

kolen sind Watvögel, zu denen z.B. Kiebitz, Bekassine,

Lebensweise vielfach auf Äcker und intensiv genutztes

Uferschnepfe, Großer Brachvogel und Rotschenkel zählen.

Grünland umstellen. Wegen der fortschreitenden

Heute ist Achim Seeger unangefochtener Vogelexperte der

Mechanisierung der Landbewirtschaftung, des Einsatzes

Havel und arbeitet mit seinen 68 Jahren tatkräftig an der

von Pestiziden, der zunehmenden Umstellung auf früh

Bewahrung der natürlichen Gegebenheiten der Unteren

wachsendes Wintergetreide sowie früher und häufigerer

Havelniederung. Achim Seeger gehört zum Naturschutz-

Wiesenmahd schaffen es die Kiebitze kaum noch, genü-

Urgestein dieser Region. Bereits 1962 war der ausgebildete

gend Nachwuchs aufzuziehen. Kiebitzpopulationen in

Biologie- und Chemielehrer Naturschutzhelfer und seit

Deutschland sind dadurch oft schon überaltert und dro-

1965 Naturschutzbeauftragter des Kreises Rathenow. Er

hen in den nächsten Jahren gänzlich zu verschwinden,

arbeitete ehrenamtlich an ökologischen Wiesenbrüter-

wenn es nicht gelingt, wirksame Maßnahmen zum Schutz

untersuchungen und leitete die Arbeitsgruppe Limikolen

dieses eindrucksvollen Vogels umzusetzen.

bei der Zentrale für die Wasservogelforschung in der DDR.



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Achim Seeger weiß wie kein Zweiter über die Vogelwelt des

diese Konsequenz nach 1990 berufliche Folgen: Seine

Westhavellandes Bescheid. Sein Augenmerk war dabei

Berufung in die Kreisverwaltung als Amtsleiter für

immer auf die Unterschutzstellung der Unteren Havel-

Landschaftspflege und Naturschutz gab er bald freiwillig

niederung gerichtet. In den sechziger und siebziger Jahren

auf, um in anderer Anstellung effektiver für den Natur-

hat er den weiteren Niedergang des Flusses und seiner Auen

schutz im Westhavelland wirken zu können.

hautnah miterlebt. Sich gegen die Melioration großer Über-

Achim Seeger kann von all dem berichten, ebenso wie

flutungsflächen, also die Trockenlegung zur landwirtschaft-

von seinen Erfahrungen als Gründungsmitglied und

lichen Intensivierung, auszusprechen, war in der DDR zur

Vorsitzender des ersten NABU-Kreisverbandes in den neu-

Erfolglosigkeit verdammt.

en Bundesländern, als Brandenburger Landesvorsitzender

Der konsequente Einsatz für den Erhalt von Natur und

1998 bis 2002. Und das macht er auch gerne, der jetzige

Heimat, als Lebensraum auch für den Menschen, wurde

Rentner ist nach wie vor aktiv: unaufdringlich, ehrlich und

und wird nicht immer begrüßt. Für Achim Seeger brachte

mit fester Überzeugung.

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Weitere Informationen NABU-Projekt mit Modellcharakter Das Renaturierungsprojekt an der Unteren Havelniederung

Der NABU benötigt Ihre Unterstützung für das Havelprojekt!

ist europaweit das größte Projekt seiner Art und soll wegweisend für einen neuen und zeitgemäßen Umgang mit unseren Flüssen sein. Gleichzeitig werden positive gesellschaftliche und wirtschaftliche Effekte für die Region erwartet. Seit Projektstart entwickelt sich ein Wissenschafts- und Projekttourismus, der mit Impulsen für den Fremdenverkehr und damit einhergehenden Investitionswirkungen verstärkt werden soll. Mit dem Projekt wird sich die Untere Havel als „Markenzeichen“ für eine naturnahe und besuchenswerte Region entwickeln.

Schenken Sie Biber, Fischotter und Eisvogel eine natürliche und für sie lebensfreundliche Umgebung. Unterstützen Sie das Havelprojekt. Jede Hilfe zählt! Ob für den Rückbau von Uferdeckwerk oder die Anschaffung eines Bootes zur Erfassung der Pflanzen- und Tierbestände. Helfen Sie uns und der Havel mit Ihrer Spende.

Der NABU möchte Menschen dafür begeistern, sich durch

Vielen Dank!

gemeinschaftliches Handeln für die Natur einzusetzen. Wir wollen, dass auch kommende Generationen eine Erde

NABU-Spendenkonto

vorfinden, die lebenswert ist, die über eine große Vielfalt

Bank für Sozialwirtschaft Köln

an Lebensräumen und Arten, sowie über gute Luft, sauberes

BLZ 370 205 00

Wasser, gesunde Böden und ein Höchstmaß an endlichen

Konto 100 100

Ressourcen verfügt.

Stichwort: Havel

Nähere Information unter www.NABU.de

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Restoration project at the river Havel Over the next 13 years, the Naturschutzbund Deutschland

The restoration of the lower Havel is the largest project of

(NABU), together with the Federal Ministry of Environ-

its kind in Europe and will likely serve as a model for a new

ment, Nature Conservation and Nuclear Safety, and the

and innovative approach to restoring degraded lakes and

federal states of Brandenburg and Sachsen-Anhalt will join

rivers, especially in light of the European Union Water

forces to restore the lower Havel river valley. The lower

Framework Directive.

Havel river valley is the largest and most important non-

With 400,000 members, 1,500 local groups and 25,000

coastal wetlands area in Central Europe. The area suffered

volunteers, NABU is the leading non-profit and non-

serious ecological degradation especially in the 20th centu-

governmental organization for nature conservation and

ry due to stream corridor construction projects. Over the

environmental protection in Germany. The goals of NABU

past 15 years, the problem has been compounded by a water

are to:

shortage in the region, which has pushed many protected plants and animals to the brink of extinction.



of common interest in Germany

Now the Havel should once again become a natural river, full of life and offering a valuable habitat for the



Preserve biological diversity in Germany and in other parts of the world

characteristic plants and animals of a river landscape. To achieve this, previous tributaries and tide gutters of the

Ensure that conservation becomes a matter



Ensure that future generations will be able to live

river will be restored, bank stabilizations will be built back,

with clean air, water and soils and with as many

and fish migration assistance will be established. The pro-

non-renewable resources as possible

ject not only benefits nature and water protection, but also



Encourage people to become actively involved

offers opportunities for development in the entire region.

and voluntarily engaged in the conservation of

The Havel will remain open as a waterway for sports and

the environment

leisure boats and the ports of Rathenow and Havelberg will remain integrated in the waterway network. Thus, this restored river in the Havelland will become an attractive location for both residents and visitors.

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Projektbüro Kontakt NABU-Projektbüro Gewässerrandstreifenprojekt Untere Havelniederung Dorfstraße 5 14715 Havelaue, OT Parey Projektleiter: Andreas Löbe E-Mail: [email protected] www.NABU.de/unterehavel

Impressum Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU)

Das Gewässerrandstreifenprojekt wird gefördert durch das

Bundesgeschäftsstelle Berlin,

Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundes-

Invalidenstraße 112, 10115 Berlin

ministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Redaktion: Karin Flohr Fotos:

Partner

sowie durch die Länder Sachsen-Anhalt und Brandenburg.

Gerhard Bussmann, Frank Derer, Helge May, Rocco Buchta, Kreismuseum Rathenow, Naturpark Westhavelland

Infografik: Rocco Buchta, Merim Bakasova, Naturpark Westhavelland Gestaltung: art_work_buero®, Köln Druck:

Brandenburgische Universitätsdruckerei und Verlagsgesellschaft Potsdam mbH gedruckt auf Recyclingpapier Oktober 2006 Art.-Nr.: 5038

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Projekt- und Kerngebiet

Brandenburg

Neustadt Havelberg

Sandau

Strohdehne

Rhinow

Sachsen-Anhalt

Landesgrenze Kerngebiet Projektgebiet

Unter Havelniederung

Sachsen Anhalt Rathenow

Rathenow

Brandenburg

Magdeburg

Potsdam

Berlin

Premnitz