2 Sozial- und Arbeitsmarktreformen

Sozial- und Arbeitsmarktreformen 2 Sozial- und Arbeitsmarktreformen im Überblick 2 Sozial- und Arbeitsmarktreformen im Überblick Die zweite Regier...
Author: Jürgen Fiedler
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Sozial- und Arbeitsmarktreformen

2 Sozial- und Arbeitsmarktreformen im Überblick

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Sozial- und Arbeitsmarktreformen im Überblick

Die zweite Regierungsperiode der rot-grünen Bundesregierung von 2002 bis 2005 war geprägt von zum Teil einschneidenden Reformen der Sozialsysteme und des Arbeitsmarktes. Die nach den Bundestagswahlen im letzten Jahr gebildete große Koalition hat im Koalitionsvertrag vom November 2005 beschlossen, die Reformpolitik der Vorgängerregierung in wesentlichen Bereichen unter gleichen Vorzeichen, allerdings mit Modifikationen und einigen Korrekturen fortzuführen. Das Kapitel fasst die wichtigsten Änderungen der Reformpolitik der letzten Jahre, auf der die aktuellen Beschlüsse und Vorhaben der großen Koalition aufsetzen, zusammen. Die letzten Jahre stehen wie kaum eine Periode zuvor für den Umbau der Sozialsysteme und des Arbeitsmarktes. Der Rückbau des Staates, insbesondere des Wohlfahrtsstaates und spiegelbildlich hierzu die Hervorhebung der Eigenverantwortung, die aber allzu häufig in Ausgrenzung mündet, wurden offizielle Regierungspolitik.1 Die sozial- und arbeitsmarktpolitische Kehrtwende war aus Arbeitnehmersicht bislang jedoch weitgehend erfolglos. Dies wird besonders deutlich beim verfehlten Ziel einer Verringerung der Massenarbeitslosigkeit.

Ausgangspunkt: Vermittlungsskandal der Bundesanstalt für Arbeit Den äußeren Anlass des Umsteuerungsprozesses bildete der sogenannte Vermittlungsskandal, die Aufdeckung fehlerhafter Vermittlungsstatistiken bei der Bundesanstalt für Arbeit durch den Bundesrechnungshof Anfang Februar 2002. Die Bundesregierung reagierte unmittelbar Ende Februar 2002 mit einem sogenannten Zweistufenplan, dessen Ziel es war, die Bundesanstalt für Arbeit zu einem modernen Dienstleister umzubauen. In der ersten Stufe wurden mit Sofortmaßnahmen die Leitungsstrukturen der Bundesanstalt geändert, das Arbeitsvermittlungsmonopol aufgehoben und Vermittlungsgutscheine eingeführt. In weiteren Schritten sollte die Bundesanstalt zu einem Dienstleistungsunternehmen umgebaut werden, wovon wesentliche Teile inzwischen vollzogen wurden. Der Mitte der neunziger Jahre eingeleitete innere Reformprozess „Arbeitsamt 2000“ wurde von diesen Entwicklungen aufgesogen.

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Hartz-Kommission liefert Umbaukonzept Die zweite Stufe bildete die Einsetzung der Kommission „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ (Hartz-Kommission), die ein umfassendes arbeitsmarkt- und organisationspolitisches Konzept für den Umbauprozess liefern sollte. Das gerade erst in Kraft getretene Job-AQTIV-Gesetz (1. Januar 2002), das wichtige Elemente einer – an skandinavischen Vorbildern orientierten – aktivierenden, präventiv ausgerichteten Arbeitsförderung zum Inhalt hatte, konnte seine Wirkungen erst gar nicht entfalten. Obwohl bereits damals wichtige Förderinstrumente, die auch später in die Hartz-Gesetze eingeflossen sind – Eingliederungsvereinbarung, Profiling, Arbeitsvermittlung durch Dritte, Förderung älterer Arbeitnehmer, Neufassung der Lohnkostenzuschüsse u. a. – auf den Weg gebracht wurden, war die Grundphilosophie eine andere. Im Vordergrund der Aktivierung und Modernisierung stand das Fördern, neben der Vermittlung auch die Qualifizierung. Das Fordern im Sinne leistungsrechtlicher Verschärfungen hingegen spielte eine untergeordnete Rolle. Die Hartz-Kommission legte ihren Bericht im August 2002 vor. Auf der Basis des von der Kommission vorgeschlagenen Konzeptes der 13 Module sollte nicht nur die Effektivität und Effizienz der Arbeitsmarktpolitik gesteigert werden, sondern als nachhaltiges Ergebnis auch die Arbeitslosigkeit bis Ende 2005 um 2 Millionen gesenkt werden. Das Gesamtkonzept litt unter der Überschätzung der Arbeitsmarktpolitik und einer gleichzeitigen Unterschätzung der allgemeinen Wirtschaftspolitik, insbesondere der Finanz- und Geldpolitik beim Abbau der Arbeitslosigkeit. Denn die Reichweite der Arbeitsmarktpolitik, der zwar eine wichtige flankierende beschäftigungs- wie sozialpolitische Rolle zukommt, wurde, wie die spätere Entwicklung gezeigt hat und auch die Evaluierungsergebnisse bestätigen, bei weitem überschätzt.

„Fördern und Fordern“ als neue Philosophie Im Mittelpunkt der vorgeschlagenen Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik stand das Konzept des „Förderns und Forderns“, wobei das „Fordern“ und der Leistungsabbau in der späteren gesetzlichen Umsetzung des Konzeptes eine dominierendere Rolle spielte als im ursprünglichen Kommissionsbericht. Bereits im Herbst 2002 wurden die ersten beiden Gesetze für moderne Dienstleistungen – Hartz I und II – und bis Ende 2003 dann auch das dritte und das besonders umstrittene vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen auf den Weg gebracht (siehe Übersicht).2 Im Ergebnis wurden die von der Kommission vorgeschlagenen 13 Module weitgehend aufgegriffen.

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Sozial- und Arbeitsmarktreformen

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2 Sozial- und Arbeitsmarktreformen im Überblick

Chronik der Arbeitsmarkt- und Sozialreformen K Zweistufenplan der Bundesregierung (22.02.2002) K Hartz-Kommission/Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (16.08.2002) K Erstes Gesetz für moderne Dienstleistungen – Hartz I (23.12.2002) K Zweites Gesetz für moderne Dienstleistungen – Hartz II (23.12.2002) K Agenda 2010 – Regierungserklärung G. Schröder (14.03.2003) K Rürup-Kommission/Nachhaltigkeit in der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme (August 2003) K Herzog-Kommission/Soziale Sicherheit – zur Reform der sozialen Sicherungssysteme (29.09.2003) K Drittes Gesetz für moderne Dienstleistungen – Hartz III (01.10.2003) K GKV-Modernisierungsgesetz – GMG (14.11.2003) K Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt (24.12.2003) K Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen – Hartz IV (24.12.2003) K RV-Nachhaltigkeitsgesetz (21.07.2004) K Kommunales Optionsgesetz (30.07.2004) K Freibetragsneuregelungsgesetz (14.08.2004) K Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD (11.11.2005) K Bericht 2005 der Bundesregierung zur Wirksamkeit moderner Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (01.02.2006)

Im Mittelpunkt der beiden ersten Hartz-Gesetze standen die vermittlungsorientierte Zeit- oder Leiharbeit mit Hilfe von Personal-Service-Agenturen, das sogenannte Herzstück des Hartz-Konzeptes, des Weiteren Einschränkungen bei der Weiterbildung sowie Sanktionsmaßnahmen. Hinzu kamen insbesondere die Ausweitung der geringfügigen Beschäftigung (Minijobs), die unter Arbeitsminister Riester wenige Jahre zuvor noch reguliert wurde, sowie die Förderung der Kleinselbstständigkeit über Ich-AGs.

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Den Schwerpunkt des dritten Gesetzes bildete die Neustrukturierung der Bundesanstalt für Arbeit zu einem stärker an unternehmenspolitischen denn an sozialpolitischen Zielen orientierten Dienstleistungsunternehmen. Zugleich wurden zahlreiche Förderinstrumente neu gestaltet.

Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe Das vierte Gesetz umfasste die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu einer neuen Grundsicherung für Arbeitsuchende in einem neuen Sozialgesetzbuch II, die sich in ihrer Ausgestaltung im Wesentlichen an der Sozialhilfe orientierte.3 Damit verbunden war ein grundlegender Wechsel und endgültiger Abschied im System der Unterhaltssicherung von einem dem Versicherungsprinzip nachgebildeten Arbeitslosenhilfesystem zur (Armen-)Fürsorge. Im Zusammenspiel mit der Verkürzung der Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld bedeutet dieser Systembruch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer spätestens nach Auslaufen der Übergangsfristen den direkten Übergang in die Sozialfürsorge. Insbesondere ältere Arbeitnehmer, die praktisch keine Chance am Arbeitsmarkt mehr haben, sind hiervon besonders hart betroffen. Ursprünglich war geplant, diese Reform im Rahmen der Gemeindefinanzreform umzusetzen, die jedoch scheiterte. Mit Hartz IV sollte die teilweise Kommunalisierung der Arbeitslosigkeit und ihrer Kosten, die sich über zwei Jahrzehnte aufgebaut hat, korrigiert werden. Das unter großem Zeitdruck und mit politischen Kompromissen zustande gekommene Gesetz wurde unter erheblichen Schwierigkeiten für alle Beteiligten ebenso überhastet am 1. Januar 2005 umgesetzt. So bestehen einerseits erhebliche Organisationsund Steuerungsprobleme; die Förderung konzentriert sich andererseits sehr stark auf die Ein-Euro-Jobs. Im Saarland haben sich auf der Basis des Gesetzes im Stadtverband Saarbrücken und in vier Landkreisen vertraglich abgesicherte Arbeitsgemeinschaften in Trägerschaft von Kreisen und Arbeitsagenturen gebildet. Der Landkreis St. Wendel hingegen hat die alleinige Trägerschaft als sogenannte Optionskommune übernommen. Angesichts der Entwicklung der Bundesagentur zu einem „Versicherungsunternehmen“ steht zu befürchten, dass sich anstelle der alten Trennlinie nun eine neue zwischen Arbeitslosengeld-I- und Arbeitslosengeld-II-Beziehern herausbildet. Ergänzt wurden die Hartz-Gesetze um ein fünftes „Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt“, bereits Teil der Agenda 2010, in dem insbesondere die zum 1. Februar 2006 in Kraft getretene Verkürzung der Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld von älteren Arbeitslosen und der Wegfall des Kündigungsschutzes in Kleinbetrieben geregelt wurden.

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Agenda 2010 Ein Jahr nach der Kehrtwende in der Arbeitsmarktpolitik, mitten im arbeitsmarktpolitischen Reformprozess, fiel in den März 2003 als medialer Befreiungsschlag die Regierungserklärung „Agenda 2010“ des damaligen Bundeskanzlers Schröder, in der neben der Fortsetzung der Arbeitsmarktreformen vor allem der Umbau der Sozialversicherungssysteme in das Zentrum der Regierungspolitik gerückt wurde. Analog zur Hartz-Kommission wurde die Erarbeitung entsprechender Umbaukonzepte der Rürup-Kommission übertragen, die ein Jahr nach Hartz – im August 2003 – ihren Bericht vorlegte. Die Ergebnisse des Berichtes bildeten in der Folge die Grundlage einzelner Umbauschritte. Lediglich in der Krankenversicherung wurde keine abschließende Lösung gefunden. Zwei Finanzierungsmodelle, die Gesundheitsprämie von Rürup und die solidarische Bürgerversicherung von Lauterbach markieren die unterschiedlichen Konzepte. Das Rürup-Modell wurde durch die von der Opposition berufenen Herzog-Kommission aufgegriffen und in ein Kapitaldeckungsmodell eingebunden (September 2003). Neben dem Umbau des Arbeitsmarktes und der Sozialsysteme wurden in der „Agenda 2010“ eine Reihe weiterer Maßnahmen, u. a. in der Mittelstandsförderung, der Reform der Handwerksordnung, der Finanzen, der Bildung, der Forschung und der Familienförderung angestoßen.

Rentenreform: Beitragssatzstabilität hat Vorrang Im Rahmen der Agenda 2010 wurden sowohl eine große Renten- als auch Gesundheitsreform auf den Weg gebracht. In der Rentenpolitik wurde die bereits mit dem Rentenreformpaket 2001 (Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, Altersvermögensgesetz, Altersvermögensergänzungsgesetz) eingeschlagene Linie der Rentenkürzungen, der Priorität für stabile Beitragssätze (22 % in 2030) und damit des Bedeutungsverlustes der Gesetzlichen Rentenversicherung fortgesetzt. Mit der 2002 angelaufenen Förderung der privaten Altersvorsorge wurde zudem die paritätische Finanzierung in der Rentenversicherung aufgegeben. Das Rentenreformpaket 2003/2004 im Rahmen der Agenda 2010 bestand ebenfalls aus drei Teilen: den sogenannten Kurzfristmaßnahmen zur Stabilisierung des Beitragssatzes (u. a. Nullrunde 2004, vollständige Übernahme des Beitrages zur Pflegeversicherung durch die Rentner), dem Rentenversicherungsnachhaltigkeitsgesetz und dem Alterseinkünftegesetz, das den Umstieg von der vorgelagerten auf die nachgelagerte Rentenbesteuerung markiert.

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Reformen am Arbeitsmarkt seit 2002 Erstes und zweites Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt – Hartz I und Hartz II (ab 01.01.2003 bzw. später)1 Änderungen im SGB III – Arbeitsförderung: K K K K K K

flächendeckende Einrichtung von Personal-Service-Agenturen (PSA) („Herzstück“ beim Abbau der Arbeitslosigkeit) Neuausrichtung der Weiterbildungsförderung (Einführung von Bildungsgutscheinen, Leistungskürzungen) Verschärfung von Sperrzeiten, Meldepflicht und Zumutbarkeit (Beweislastumkehr, Umzug, frühzeitige Meldepflicht) (ab 01.07.2004) Fördermaßnahmen zur Beschäftigung älterer Arbeitnehmer (Fortsetzung des Job-AQTIV-Gesetzes) (Entgeltsicherung, Beitragsbonus bei Einstellung Älterer, Senkung der Altersgrenze für befristete Arbeitsverträge) sonstige Leistungskürzungen Förderung der Selbstständigkeit Arbeitsloser als Ich-AG

Änderungen im SGB IV – Gemeinsame Vorschriften: K K

Förderung von Minijobs (ab 01.03.2004) (u. a. Anhebung der Entgeltschwelle, beitragsfreier Minijob neben einer Hauptbeschäftigung, Minjobs in Privathaushalten, Minijob-Zentrale) Förderung von Midijobs in der Gleitzone ab 400 Euro bis 800 Euro (abgesenkter Arbeitnehmerbeitrag zur Sozialversicherung ersetzt das Sonderprogramm „Mainzer Modell“ (Kombilohnmodell))

Änderung im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (ab 01.01.2004): K

Gleichbehandlung von Zeitarbeitnehmern bzw. Regelungen in Tarifverträgen, Aufhebung bestehender Beschränkungen im Baubereich

Programm Kapital für Arbeit – Job-Floater (01.11.2002) K K

zinsgünstige Kredite an kleine und mittlere Unternehmen bei Einstellung Arbeitsloser und von Arbeitslosigkeit Bedrohten erweitert um den Bereich Ausbildungsplätze (01.04.2003)

Sonderprogramme des Bundes im Vorgriff auf Hartz IV K K

Sonderprogramm (Jump Plus) für Jugendliche (ab 01.07.2003) Sonderprogramm (Arbeitsgelegenheiten) für Langzeitarbeitslose (ab 01.09.2003)

Drittes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt – Hartz III (ab 01.01.2004)2 Änderungen im SGB III – Arbeitsförderung: K

K K

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Umbau der Bundesanstalt für Arbeit zu einem kundenorientierten Dienstleister (Umbenennung in Agenturen, neue Führungsstruktur, neues Konzept Kundenzentrum mit Kundendifferenzierung, Steuerung an Effektivitäts- und Effizienzzielen ausgerichtet) Neugestaltung arbeitsmarktpolitischer Instrumente (Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Eingliederungszuschüsse, Transfermaßnahmen bei Betriebsänderungen, Transferkurzarbeitergeld bei betrieblichen Restrukturierungen) Änderung im Leistungsrecht (z. T. ab 01.01.2005), (u. a. ALG und UHG werden zusammengefasst (ab 01.01.2005), ALG-Rahmenfrist auf 2 Jahre verkürzt, Nebeneinkommensfreibetrag von 165 Euro (ab 01.01.2005), Verschärfung der Sperrzeitenregelungen (ab 01.01.2005))

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Änderungen im Altersteilzeitgesetz (ab 01.07.2004)

Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt (ab 01.01.2004) Änderungen im SGB III – Arbeitsförderung (ab 01.02.2006): K K

Verkürzung der Höchstbezugsdauer beim Arbeitslosengeld auf 12 bzw. 18 Monate (ab 55 Jahren) Wegfall der Erstattungspflicht des Arbeitgebers beim Arbeitslosengeld

Änderungen im Arbeitsrecht (Kündigungsschutzgesetz, Teilzeit- und Befristungsgesetz): K K K

Wegfall des Kündigungsschutzes für neu eingestellte Arbeitnehmer in Kleinbetrieben mit 6 bis 10 Arbeitnehmern Änderung der Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen In neuen Unternehmen Ausweitung befristeter Arbeitsverträge

Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt – Hartz IV3 (ab 01.01.2004)4 Neu: SGB II – Grundsicherung für Arbeitsuchende: K K K

K K K K K

K K

K

Abschaffung der Lohnersatzleistung Arbeitslosenhilfe und Zusammenlegung mit der Fürsorgeleistung Sozialhilfe auf Sozialhilfeniveau.5 Einrichtung von Job-Centern (einheitliche Anlaufstelle für Arbeits- und Ausbildungsplatzsuchende (Bindeglied SGB II/SGB III) Grundsatz: Fördern und Fordern (§ 2, 14 SGB II) Fördern: Lebensunterhalt, Eingliederungsleistungen, Fallmanager, Eingliederungsvereinbarung, Arbeitsgelegenheiten im Sozialrechtsverhältnis (Ein-Euro-Jobs), Freibeträge bei Erwerbstätigkeit Fordern: jede Arbeit ist zumutbar, Pflicht zur Arbeit, Leistungskürzungen (Jugendliche) Organisation: geteilte Aufgabenzuständigkeit von Arbeitsagenturen und Kommunen – im Regelfall Bildung von Arbeitsgemeinschaften (ARGE) oder Alleinzuständigkeit der Kommune6 (Optionsgesetz) Unterkunft, soziale Dienstleistungen, einmalige Leistungen sind kommunale Aufgabe; Regelleistungen und Mehrbedarfe, Sozialversicherung und Eingliederungsleistungen sind Aufgabe der Arbeitsagenturen Finanzierung aus Bundesmitteln und kommunalen Mitteln (z. Z. 70,9 % der Unterkunftskosten sowie Kosten für kommunale Aufgaben) Aussteuerungsbetrag der Arbeitsagentur an den Bund für Leistungsempfänger, die vom ALG I ins ALG II wechseln Leistungen zum Lebensunterhalt7: ALG II/Sozialgeld für erwerbsfähige/nicht erwerbsfähige Hilfebedürftige (Regelleistung), angemessene Kosten für Unterkunft und Heizung, Mehrbedarfe (z. B. für Alleinerziehende), einmalige Leistungen, Sozialversicherung (Kranken-, Pflege-, Rentenversicherung), Einkommensanrechnung (orientiert am bisherigen Sozialhilferecht), Anrechnung eigenen Erwerbseinkommens (Freibeträge unter Arbeitslosenhilfe-, Sozialhilfeniveau (geringer Anreiz)) befristeter Zuschlag für Arbeitslosengeldempfänger (ALG I) beim Übergang in ALG II Eingliederungsleistungen: arbeitsmarktpolitische Instrumente (Beratung, Vermittlung, Fortbildung, Zusatzjobs u. a.), Einstiegsgeld, soziale Dienstleistungen (Kinderbetreuung, Schuldnerberatung, psychosoziale Betreuung, Suchtberatung) 58er-Regelung (analog § 428 SGB III) (bis 31.12.2007)

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Kinderzuschlag für Geringverdiener (befristet) im Bundeskindergeldgesetz Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen durch die Kommunen

Viertes Gesetz zur Änderung des SGB III u. a. Gesetze (ab 01.01.2005) K K K

Zuschuss zur Ich-AG nur mit fachkundiger Stellungnahme Vermittlungsgutschein (Wartezeit auf 6 Wochen verkürzt) Erhöhung des Vermögensfreibetrages für Minderjährige

Freibetragsregelungsgesetz (ab 01.10.2005) K

Die Freibeträge bei eigenem Erwerbseinkommen wurden für ALG-II-Bezieher neu geregelt und erhöht

Fünftes Gesetz zur Änderung des SGB III u. a. Gesetze (ab 01.01.2006) Änderungen im SGB II: K Verlängerung der 58er-Regelung (analog § 428 SGB III) bis zum 31.12.2007 Änderungen im SGB III: K einheitliche Meldefrist für Arbeitsuchende von drei Monaten K Personal-Service-Agenturen: Einrichtung nicht mehr verpflichtend für Arbeitsagenturen K Reihenfolge bei Sperrzeiten K Verlängerung von befristeten Instrumenten: Ich-AG, u. a.

Gesetz zur Änderung des SGB II u. a. Gesetze (ab 01.04.2006) Änderungen im SGB II: K Neuregelung für unter 25-Jährige: Einschränkung der Übernahme der Wohnungskosten und Absenkung des ALG II auf 80 % für Jugendliche in elterlicher Bedarfsgemeinschaft (ab 01.04.2006) K Angleichung des ALG II Ost auf Westniveau (ab 01.07.2006) K Absenkung der Beiträge zur Rentenversicherung (ab 01.01.2007)

Gesetz zur Förderung der ganzjährigen Beschäftigung (ab 01.04.2006) Änderung im SGB III: K Saison-Kurzarbeitergeld (Dezember bis März) bei witterungs- und auftragsbedingtem Arbeitsausfall (Bauwirtschaft, andere Wirtschaftszweige); Änderungen im Umlagesystem

1

Die Aufspaltung in zwei Gesetze erfolgte wegen der teilweise erforderlichen Zustimmung durch den Bundesrat (Hartz I war zustimmungspflichtig, Hartz II nicht).

2

Nicht zustimmungspflichtig.

3

Zustimmungspflichtig.

4

Teilweise auch Änderungen in SGB III.

5

Die leistungsrechtlichen Vorschriften traten zum 01.04.2005 in Kraft. Das Gesetz betrifft überwiegend, aber nicht ausschließlich Langzeitarbeitslose.

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Experimentierklausel.

7

Ausführlich: Arbeitslosengeld II, Sozialgeld, Sozialhilfe. Broschüre der Arbeitskammer des Saarlandes, Saarbrücken 2005.

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Sozial- und Arbeitsmarktreformen

2 Sozial- und Arbeitsmarktreformen im Überblick

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Der gravierendste Einschnitt in der Rentenversicherung erfolgte im Rentenversicherungsnachhaltigkeitsgesetz durch die Einführung eines sogenannten Nachhaltigkeitsfaktors. Der Faktor bildet die Relation aus der Zahl der Beitragszahler zur Zahl der Rentenbezieher. Der demografisch bedingte erwartete überproportionale Anstieg der Rentenbezieher führt so zukünftig zu einer direkten Absenkung des Nettorentenniveaus. Im Gegensatz zum ausgesetzten demografischen Faktor (unter Arbeits- und Sozialminister Norbert Blüm), der die steigende Lebenserwartung rentenmindernd berücksichtigte, wirkt der Nachhaltigkeitsfaktor weitgehend unabhängig von der Höhe der Arbeitslosigkeit. Die zuvor verständliche Rentenformel ist infolge der rentendämpfenden Eingriffe und Manipulationen inzwischen so komplex geworden, dass die Wirkungen einzelner Parameteränderungen nur noch von wenigen Experten in Gänze nachvollzogen werden können. Neben dem Nachhaltigkeitsfaktor soll zusätzlich ein Nachholfaktor in die Rentenformel eingebaut werden (große Koalition). Damit sollen „ausgesetzte“ Rentenkürzungen nach 2011 nachgeholt werden. Im Ergebnis bedeutet dies neben den Rentennullrunden von 2004 bis 2006 weitere Nullrunden in späteren Jahren. Nach Modellrechnungen sinkt das Nettostandardrentenniveau (45 Versicherungsjahre) von knapp 69 % in 2002 auf 58,5 % in 2030. Durch die nachgelagerte Besteuerung des Alterseinkünftegesetzes sinkt das Rentenniveau für die Rentenneuzugänge 2030 sogar auf 52 %. Ohne ergänzende Riester-Rente und zusätzliche private Vorsorge, vor allem auch der durch die nachgelagerte Besteuerung entstehenden Steuerminderzahlungen in den Erwerbsjahren, sowie betriebliche Renten, reicht die gesetzliche Rente in Zukunft bei weitem nicht mehr aus, den Lebensstandard auch nur annähernd zu sichern (siehe hierzu auch Kapitel „Rentenbesteuerung nach dem neuen Alterseinkünftegesetz“ im Teil II des Berichts). Die gesetzliche Rente wird nahe an die Armutsgrenze rücken und in der Höhe einen grundrentenähnlichen Charakter bekommen. Altersarmut, in den vorausgegangen Jahrzehnten vor allem rentenpolitisch weitgehend erfolgreich bekämpft, wird zukünftig wieder ein Thema werden. Wegen der öffentlichen Proteste zunächst verschoben wurde die mit der Reform 2003/2004 geplante Anhebung des Renteneintrittsalters. Sie wurde aber im Koalitionsvertrag der großen Koalition wieder aufgegriffen. Das Bundeskabinett hat Anfang Februar 2006 beschlossen, ab 2012 das Renteneintrittsalter stufenweise von 65 auf 67 Jahre anzuheben. Ein überzeugendes Konzept zur Beschäftigungsförderung älterer Arbeitnehmer hingegen steht noch aus.

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Gesundheitsmodernisierungsgesetz hat Ziel verfehlt Die Gesundheitsreform markiert den zweiten Eckpfeiler der Sozialreformen im Rahmen der Agenda 2010. Das Gesundheitsmodernisierungsgesetz von 2004 (GMG) hatte eine grundlegende Erneuerung des Gesundheitssystems zum Ziel. Im Ergebnis konnten aber weder die Ausgaben-, schon gar nicht die Einnahmenprobleme gelöst werden. Die nachhaltige Senkung des Beitragssatzes um zwei Prozentpunkte, mit der die erheblichen Leistungskürzungen und Mehrbelastungen sowie der Einstieg in den Ausstieg aus der paritätischen Finanzierung begründet wurden (Sonderbeitrag der Arbeitnehmer von 0,9 % ab Juli 2005), trat nicht ein. Die erhöhten Zuzahlungsregelungen, die Praxisgebühr und wegfallende Leistungen belasten untere Einkommensgruppen und Arbeitslosengeldempfänger überproportional. In den Regelsätzen der staatlichen Fürsorgesysteme (Arbeitslosengeld II, Sozialgeld, Sozialhilfe) werden diese Mehrbelastungen nicht gesondert berücksichtigt (siehe auch Kapitel 6). Die künftige Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung ist offen. In der aktuellen gesundheitspolitischen Diskussion stehen sich die Fortentwicklung der GKV zu einer solidarischen Bürgerversicherung und die Kopfpauschale oder Gesundheitsprämie gegenüber. Diskutiert werden auch Mischsysteme mit Elementen aus beiden Ansätzen. Es steht zu befürchten, dass sich die Verschiebung des aufzubringenden Beitragssatzanteils und der Zuzahlungen zu Lasten der Versicherten beschleunigt fortsetzen wird.

Koalitionsvertrag sieht weitere Einschnitte vor Zwischenzeitlich wurden die Hartz-Gesetze in diesem wie im letzten Jahr an zum Teil zentralen Stellen korrigiert. Der Stellenwert der Personal-ServiceAgenturen, des Herzstücks der Hartz-Reformen wurde seiner geringen Bedeutung angepasst, die Förderung der Ich-AG wurde zwecks Eindämmung der Mitnahmeeffekte eingegrenzt, die zu niedrigen Einkommensfreibeträge der Arbeitslosengeld-II-Bezieher, die einer Arbeitsaufnahme eher entgegenstanden, wurden erhöht, die Leistungen für junge Menschen unter 25 Jahren hingegen erheblich eingeschränkt. Darüber hinaus ist für den 1. August 2006 ein SGB-II-Fortentwicklungsgesetz in Vorbereitung, das u. a. zusätzliche Leistungskürzungen bei der Ablehnung von Arbeitsangeboten vorsieht. Neben den ausstehenden bereits genannten Reformen der Arbeitslosen-, Renten- und Krankenversicherung stehen auch Reformen der Unfall- und Pflegeversicherung auf der politischen Agenda der großen Koalition. Weitere sozialpolitisch bedeutsame Themen sind gesetzliche Regelungen zum

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Sozial- und Arbeitsmarktreformen

2 Sozial- und Arbeitsmarktreformen im Überblick

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2 Sozial- und Arbeitsmarktreformen im Überblick

Mindestlohn, ein Gesamtkonzept zum Kombilohn bzw. Niedriglohnsektor, die Einschränkung des Kündigungsschutzes (Verlängerung der Wartezeit auf zwei Jahre), die Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehmer. Der Beitragssatz in der Arbeitslosenversicherung soll zum 01.01.2007 um zwei Prozentpunkte auf 4,5 % sinken.

1

„Wir werden die Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von den Einzelnen fordern müssen“, so der frühere Bundeskanzler Schröder in seiner Regierungserklärung „Agenda 2010“ am 14. März 2003.

2

Für einen kompletten Überblick zu den Sozialreformen siehe: J. Steffen: Sozialpolitische Chronik. Hrsg.: Arbeitnehmerkammer Bremen, Januar 2006.

3

Der Zusammenlegung vorausgegangen sind Modellversuche „MOZART“ zur Zusammenarbeit zwischen den Arbeitsämtern und Landkreisen (u. a. im Saarpfalz-Kreis). Auf eine Evaluierung wurde aus Zeitgründen weitgehend verzichtet.

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