2. Grundbegriffe organisch-chemischer Reaktionen

44

Reaktionen mit Substanzen mit kovalenten Bindungen Ein wichtiger Schritt bei Reaktionen ist die Bildung und Auflösung von kovalenten Bindungen. Heterolytische Bindungsspaltung

Homolytische Bindungsspaltung

Br Br

Energie

H

2 Br•

O

OH

H

HO-

H2O

H+ H+

ein positives Ion = KATION ein negatives Ion = ANION

hoch-reaktive RADIKALE à ein ungepaartes Elektron Bei heterolytischen Bindungsspaltung bilden sich Ionen: KATION = positives Ion, Elektronendefizit, A + ANION = negatives Ion, Elektronenüberschuß, B-

ELEKTROPHIL = Ion oder Molekül mit einer Elektronenlücke (elektroneliebend, sucht Elektronen) δO δ+ C

OC+

O N+ O

H+

Br+

NUCLEOPHIL= Ion oder Molekül mit einer Elektronen-Überschuß (sucht Kern), d.h. mindenstens ein freies Elektronenpaar. δO δ+ C

OC+

OH

OR

C C

45

EXKURS: Säure und Basen

46

Was sind Säuren und Basen? Definition nach Brønsted Eine Säure ist ein Protonen-Donor, eine Base ein Protonen-Akzeptor! Die Tendenz ein Proton abzuspalten (Säure) bzw. aufzunehmen (Base) bezeichnet man als Säure- bzw. Basenstärke. Die Säure gibt ein Proton (= H+) ab und das Proton wird dann von einer Base aufgenommen, d.h. es handelt sich um eine Protonentransferreaktion. Die Protonenaufnahme bzw. –abgabe sind reversibel = Säure-Base-Gleichgewicht. HA Säure A- korrespondierende Base B Base

HA + B

A- + HB+

HB+ korrespondierende Säure Je stärker eine Säure ist, desto schwächer ist die korrespondierende Base ! zB HCl à starke Säure, Cl- à schwache Base

Beispiel:

HCl NH3 + H+

H+ + ClNH4+

AMPHOLYTE sind Verbindungen, die H+ sowohl abgeben bzw. aufnehmen können.

H2O + H2O

H3O+ + OH-

Autoprotolyse des Wassers

47

Autoprotolyse des Wassers

H2O + H2O

H3O+ + OH-

Autoprotolyse des Wassers

KW = K [ H 2O][ H 2O] = [ H 3O+ ][OH − ] = 1⋅ 10 −14 mol 2 /l 2

[H 3O+ ] = [OH − ] = 1⋅ 10−14 mol 2l −2 = 1⋅ 10−7 mol /l pH + pOH = 14

H O ][OH ] [ K= 3

+



[H 2O][H 2O]

mol [H 2O] = const = 55.4 l

à Reines Wasser reagiert neutral, d.h. weder sauer noch basisch. pH–Wert: pH = - log [H3O+] pOH–Wert: pOH = - log [OH-] NEUTRALE LÖSUNG: pH = 7 , pOH =7 SAURE LÖSUNG: pH < 7, pOH > 7 BASISCHE (ALKALISCHE) LÖSUNG: pH > 7, pOH < 7 Hautneutral (zB in Hautcremen), physiologischer pH der Haut = 5.5 Blut pH 7.4; Magensaft pH 1.4; Wein pH 3-4; Regen (saurer Regen à zB schwefelige Säure H2SO3) pH 5.6

48

Massenwirkungsgesetz für Säure- und Basereaktionen

A- + H3O+

HA + H2O H O ][ A ] [ K= 3

+

OH ][ BH ] [ K=





[ HA][H 2O]

K a = K [ H 2O]

+

[ B][H 2O]

H O ][ A ] [ =

pK a = −log(K a )

BH+ + OH-

B + H2O

3

+



[HA]

[H 2O] = const = 55.4

K b = K [ H 2O]

OH ][ BH ] [ =

pK b = −log(K b )



+

[ B]

mol l

Ka = Säuredissoziationskonstante à je größer Ka, desto stärker ist die Säure: z.B. Essigsäure Ka=10 -4.76 und HCl Ka = 10 +6 à pKa (Essigsäure) = 4.76, pKa (HCl) = -6 Kb = Basendissoziationkonstante à je größer Kb, desto stärker ist die Base: z.B. HSO 4- Kb=10 -17 und OH- Kb=10 +1.76 à pKb (HSO4-) = 17, pKb (OH-) = -1.76

49

Starke Säuren / Starke Basen Starke Säuren: pKa à Gleichgewicht liegt auf rechter Seite, d.h. Säure reagiert fast vollständig mit H2O. z.B. Salzsäure (HCl): 0.1 M Lösung = 0.1 mol/l à [H3O +] = 10 -1 mol/l à pH = - log [H3O +] = - (-1) = 1, pH = 1

HCl + H2O

H3O+ + Cl-

Starke Basen: pKb à Gleichgewicht liegt auf rechter Seite. z.B. Natronlauge (NaOH): 0.1 M Lösung = 0.1 mol/l = [OH-] = 10 -1 mol/l à pOH = - log [OH-] = - (-1) = 1 mit pOH + pH = 14 à pH = 14 – pOH à pH = 13

NaOH

Na+ + OH-

Weitere starke Säuren: Schwefelsäure H2SO 4: pKa = -3, Ka = ? Salzsäure HCl: pKa = -6, Ka = ? Perchlorsäure HClO 4: pKa = -10, Ka = ? Weitere starke/mittelstarke Basen: Hydroxid-Ion OH-: pKb = -1.76 Ammoniak NH3: pKb = 4.75

50

Schwache Säuren Für schwache Säuren gilt: à Gleichgewicht liegt in der Mitte, d.h. Säure reagiert nicht vollständig mit H2O, es kommt zur unvollständigen Protolyse.

HA + H2O

A- + H3O+

[H 3O+ ] = [A − ] = x [HA] = [HA]0 − x

[H O ][ A ] K= 3

+



mit

[ HA][H 2O]

K a = K[H 2O] =

[ H O ][ A ] = 3

+



[HA]

x 2 = K a [HA]0 2⋅ log(x) = log(K a ) + log[HA]0

x⋅ x x ≈ [HA] 0 − x [HA] 0 2

[HA]0 = Anfangskonzentration der schwachen Säure näherungsweise gilt für schwache Säuren: x Cl

Z-Isomer Cl > CH2CH3 Br > CH3

EINIGE WICHTIGE ORDNUNGSZAHLEN: Wasserstoff H OZ = 1, Kohlenstoff C OZ = 6, Brom Br OZ = 35, Chlor Cl OZ = 17, Fluor F OZ = 9, Iod I OZ = 53, Sauerstoff O OZ = 8, Stickstoff N OZ = 7 Übungs-Beispiele:

Br

OH

I

Br HO H 3C

NH 2

64

Chiralität Defintion CHIRALITÄT Ist eine Verbindung assymmetrisch aufgebaut und zwar so, dass durch Spiegelung ihrer Struktur an einer Ebene oder einem Inversionszentrum eine Struktur entsteht, die mit der ursprünglichen Struktur durch Verschieben und Drehen im Raum nicht zur Deckung gebracht werden kann, dann ist die Verbindung chiral1. Spiegelebene

Spiegelebene

H H HO

O

O

OH

D-Glycerinaldehyd

HO

H H OH

L-Glycerinaldehyd

Es gilt: ①Verbindungen mit gleicher Summenformel und gleicher Konstitution aber unterschiedlicher räumlicher Anordnung werden Stereoisomere genannt. ②Verbindungen, die sich wie Bild und Spiegelbild verhalten, werden Enantiomere (optische Antipoden) genannt. ③Verbindungen mit gleicher Summernformel und Konstitution, die sich wie NICHT Bild und Spiegelbild verhalten, werden Diastereomere genannt. ④Enantiomere besitzen nahezu gleiche (isotrope) chemische und physikalische Eigenschaften, sie unterscheiden sich in ihren biologischen (pharmakologischen, medizinischen) Eigenschaften und sie weisen entgegengesetzte optische Aktivität auf.

1

griechisch cheir 'Hand'

65

Optische Aktivität Lösungen von optisch aktiven Verbindungen, z.B. D-Glycerinaldehyd, drehen die Schwingungsebene von linear polarisierten Licht (= Lichtstrahlen schwingen in einer Ebene). Beim Durchtritt durch eine Lösung der optisch aktiven Verbindung wird die Schwingungsebene um einen bestimmten Winkel α gedreht. Der Drehsinn wird so definiert, dass eine Drehung der Schwingung im Uhrzeigersinn ein positives Vorzeichen gibt, dagegen ein negatives Vorzeichen. Ein Enantiomerenpaar, also Bild und Spiegelbild, zeigen gleiche Drehung, aber in entgegengesetzte Richtungen. z.B. (+)-Glycerinaldehyd und (-)-Glycerinaldehyd.

O

H

HO

O

O HO

O

O

O

H H OH

H H OH

O HO

H H OH

HO

H OH

H H OH

HO

H

O HO

H H OH

optisch aktive Lösung = HO

HO

H OH

H H OH

66

Enantiomere und Diastereomere

Es gilt: 1.

Zwei Stereoisomere können nicht gleichzeitig enantiomer und diastereomer zueinander sein, und

2.

von einem bestimmtenMolekül existieren immer nur zwei Enantiomere, mehrere Diastereomere sind möglich.

Diastereomere (z.B. E/Z-Isomerie) unterscheiden sich in chemischen und physikalischen Eigenschaften. Enantiomere (Bild und Spiegelbild) haben die gleichen physikalischen und chemischen Eigenschaften, sie unterscheiden sich durch ihre Wechselwirkung mit linear polarisiertenLicht (optische Aktivität). Racemat: 1/1 Mischung von Bild und Spiegelbild, optisch inaktiv, da linear polarisiertes Licht zu gleichen Teil links und rechts gedreht wird. O

H

HO

O

O HO

O HO

H

O HO

H OH O

HO

H H OH

O HO

HO

H OH

H H OH

O HO

H

H

H OH

H HO

H

H

H OH

H HO

H

H

H OH

H HO

H

H

H OH

H HO

Racemat

O

H OH

H

O OH

O

H HO

O OH

H HO

O

H OH

OH

O

H HO H

O

OH

H HO

OH

O OH

67

Stereochemische Schreibweisen und Nomenklatur 1.

Keilschreibweise (durchgezogener Keil ragt aus Blattebene hinaus, gestrichelter Keil zeigthinter Blattebene)

HO H O

Identifizieren von asymmetrischen Kohlenstoffzentren = Chiralitätszentren: - C-Atom von vier (konstitutionell) verschiedenen Resten umgeben ist. - dies wird häufig durch einen Stern * hervorgehoben.

* *

OH H OH

Weinsäure 2. Fischer-Projektion (v.a. in Zuckerchemie) alle Bindungen werden als normale Linien dargestellt, die nur senkrecht oder waagrecht verlaufen dürfen. Per Definition zeigen alle waagrechten Linien auf den Betrachter zu und alle senkrechten Linien vom Betrachter weg.

O Cl

H *

H CH 3

H

O

H

O

O

H

H Cl H 3C

H 3C

H

H

CH 3

*

Cl

Cl

2-Chlorpropanal Weg zur FISCHER PROJEKTION: Weinsäure 180 ° Rotation (um C-C Bindung)

90 ° Rotation (gegen UZS)

68

Stereochemische Schreibweisen und Nomenklatur 1.

Keilschreibweise (durchgezogener Keil ragt aus Blattebene hinaus, gestrichelter Keil zeigthinter Blattebene)

HO H O

Identifizieren von asymmetrischen Kohlenstoffzentren = Chiralitätszentren: - C-Atom von vier (konstitutionell) verschiedenen Resten umgeben ist. - dies wird häufig durch einen Stern * hervorgehoben.

* *

OH H OH

2. Fischer-Projektion (v.a. in Zuckerchemie) alle Bindungen werden als normale Linien dargestellt, die nur senkrecht oder waagrecht verlaufen dürfen. Per Definition zeigen alle waagrechten Linien auf den Betrachter zu und alle senkrechten Linien vom Betrachter weg.

O Cl

H *

H CH 3

H

O

H

O

O

H

H Cl H 3C

H 3C

H

H

CH 3

*

Cl

Cl

2-Chlorpropanal Weg zur FISCHER PROJEKTION: 180 ° Rotation (um C-C Bindung)

90 ° Rotation (gegen UZS)

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R,S- Nomenklatur der absoluten Konfiguration Zur Bestimmung der absoluten Konfiguration bedient man sich der Regeln von Cahn, Ingold und Prelog (CIP-Regeln). A.

Identifizieren von asymmetrisch substituierten C-Atomen (= C-Atome mit 4 unterschiedlichen Substituenten).

B.

Die direkt an das asymmetrische C-Atom gebundenen Atome werden nach fallender Ordnungszahl (OZ) angeordnet: (a) Atom mit höhere OZ hat die höhere Priorität. (b) Bei gleichwertigen Atomen, wird die Prioritätsreihenfolge ermittelt, indem weiter entfernt stehende Atome betrachtet werden. (c) Mehrfachbindungen zählen als mehrere Einfachbindungen.

C.

Man betrachtet nun das Molekül in der Weise, dass der Substituent mit der niedrigsten Priorität nach hinten zeigt. Entspricht die Reihenfolge der restlichen drei Substituenten nach fallender Priorität gereiht einer Drehung im Uhrzeigersinn ist das Zentrum R konfiguriert, bei Drehsinn gegen Uhrzeiger S konfiguriert.

O Asymmetrisches C-Atom (4 unterschiedliche Substituenten)

(a)

Cl

(b)

H

H (d) CH 3 (c)

H (b) O (d) H

H 3C

Cl

(a)

(c)

Blickrichtung

Blickrichtung

O Cl

1 = erste Substituentensphäre 2 = zweite Substituentensphäre 3 = dritte Substituentensphäre

(a)

(b) H

CH 3 (c)

IM Uhrzeigersinn: R

H (b) O H 3C (c)

Cl

(a)

GEGEN Uhrzeigersinn: S

70

Beispiele

Cl H 3C

H

O

Cl

OH

HO

HO

H

HO

CH 3

HO

OH H OH

HO H O OH H OH

H H N

HO Adrenalin

71

Bestimmung der absoluten Konfiguration mit der Fischer Projektion Wir wissen bereits: Fischer-Projektion alle Bindungen werden als normale Linien dargestellt, die nur senkrecht oder waagrecht verlaufen dürfen. Per Definition zeigen alle waagrechten Linien auf den Betrachter zu und alle senkrechten Linien vom Betrachter weg.

(1)

(2) Substituent mit Priorität d weist zu Betrachter hin à Regel des doppelten Austausches anwenden

(R)-2-Hydroxypropansäure (D-Milchsäure)

(S)-2-Amino-3-hydroxypropansäure (L-Serin)

72

Verbindungen mit mehreren Chiralitätszentren Beispiel: Zucker Erythrose und Threose 2 konstitutionell ungleiche asymmetrische C-Atome 2 2 = 4 Stereoisomere

D-Erythrose (1) Konfiguration

2R,3R

L-Erythrose (2)

D-Threose (3)

2S,3S

2S,3R

L-Threose (4) 2R,3S

enantiomer diastereomer

diastereomer enantiomer

diastereomer 73

Verbindungen mit mehreren Chiralitätszentren Beispiel: Weinsäure 2 konstitutionell gleiche asymmetrische C-Atome 2 2 -1 = 3 Stereoisomere

Interne Symmetrieebene

Konfiguration

D-Weinsäure (1)

L-Weinsäure (2)

2S,3S

2R,3R

DL-Weinsäure (meso-Form) (3) = (4) R,S

enantiomer

diastereomer

diastereomer 74

O

O

HO

Zitronengeruch

Orangengeruch

O HN

N

N O

Limonen

OH NH2

antiarthritisch

NH

O

krampfauslösend

Penicillamin

extrem toxisch

OH O

narkotisch

O

H N

HO

N H

H N

N H

HO

Barbiturat

OH

tuberculostatisch

Erblindung

Ethambutol

O

N O

NH2

HS

O

O

O

SH

O

N N H

extrem teratogen

O O

N H

O

OH

O

Schlafmittel

Thalidomid, Contergan

N H

N H

J O

HO

J

OH

Contraceptivum

ß-Blocker

J

O

Propanolol

J O

OH

HO

NH2

H2 N

O

O

J

J

OH

J

Schilddrüsenhormon

J

Antihypocholestericum

75 Thyroxin