19. Abschnitt Urheberrecht und Verlagsrecht

19. Abschnitt Urheberrecht und Verlagsrecht Literatur: Bappert Entspricht das gesetzliche Verlagsrecht den modernen Bedürfnissen?, GRUR 1959, 582; v....
Author: Andrea Krämer
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19. Abschnitt Urheberrecht und Verlagsrecht

Literatur: Bappert Entspricht das gesetzliche Verlagsrecht den modernen Bedürfnissen?, GRUR 1959, 582; v. Becker Die angemessene Vergütung – Eine Quadratur des Kreises?, ZUM 2007, 249; Dreier/Schulze/ Urheberrechtsgesetz, 2. Aufl. 2006; Franzen/Wallenfels/Russ Preisbindungsgesetz, 5. Aufl. 2006; Leiss Verlagsgesetz, 1973; Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts, 2003; Nordemann Das neue Urhebervertragsrecht, 2002; Ory Das neue Urhebervertragsrecht, AfP 2002, 93; Rehbinder Urheberrecht, 14. Aufl. 2006; Schaub Der „Fairnessausgleich“ nach § 32a UrhG im System des Zivilrechts, ZUM 2005, 212; Schricker Verlagsrecht, 3. Aufl., 2001; ders. Urheberrecht, 3. Aufl., 2006; Ulmer Urheber- und Verlagsrecht, 3. Aufl., 1980; Wandtke/Bullinger Praxiskommentar zum Urheberrecht, 2. Aufl., 2006; Wegner/Wallenfels//Kaboth, Recht im Verlag, 2004.

A. Einleitung 1

Der Begriff „Verlagsrecht“ ist mehrdeutig. Man versteht darunter objektiv die gesetzliche Regelung des Verlagsverhältnisses als Teil des Urhebervertragsrechts, subjektiv ein urheberrechtliches Nutzungsrecht, das im Rahmen eines Verlagsvertrages regelmäßig als „Hauptrecht“ bezeichnet wird. Im engeren Sinne ist das Verlagsrecht das aus dem Urheberrecht abgeleitete ausschließliche Recht des Verlegers zur Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes.1 Im weiteren Sinne sind verlagsrechtliche Regelungen auch diejenigen, die im Verlagswesen tagtäglich von besonderer Bedeutung sind, wie etwa der im Markengesetz geregelte Titelschutz oder das Recht der Buchpreisbindung.2

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Als Teil des Urhebervertragsrechts findet das Verlagsrecht im objektiven Sinn seine Grundlagen zunächst im Urheberrecht, dort insbesondere in den §§ 31 ff. UrhG. Das Urheberrecht ist ein Teil des Privatrechts. Geschützt werden insbesondere die Urheber von Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst (§ 1 UrhG). Geschützt wird der Urheber in seinen geistigen und persönlichen Beziehungen zum Werk (§ 11 UrhG), worunter nicht nur seine materiellen, sondern auch seine ideellen Interessen zu verstehen sind. Im Vordergrund steht damit die Herrschaft des Urhebers über sein Werk als seinem geistigen Eigentum, das dem Schutz des Art. 14 GG unterliegt.3 Jedes Nutzungsrecht, auch das Verlagsrecht im subjektiven Sinn, muss in lückenloser Kette auf den Urheber zurückgehen, da diesem ein umfassendes und unveräußerliches Verwertungsrecht an seinem Werk zusteht (§§ 15 ff., 29 Abs. 1 S. 1 UrhG).

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Die entscheidende Rechtsgrundlage im Verhältnis zwischen Verlag und Urheber ist der Verlagsvertrag. Die Praxis bedient sich Musterverträgen, etwa dem Normvertrag für den Abschluss von Verlagsverträgen zwischen dem Börsenverein und dem Verband deutscher

1 Ulmer, S. 426, 441. 2 Titelschutz und Preisbindung werden hier nur am Rande behandelt; vgl. weiterführend zum Titelschutz: Wegner/Wallenfels/Kaboth 4. Kap. Rn. 10 ff.; zur Preisbindung: Franzen/Wallenfels/Russ § 1 Rn. 1 ff.; Wegner/Wallenfels/Kaboth 5. Kap., Rn. 1 ff. 3 BVerfG GRUR 1972, 481 – Kirchen- und Schulgebrauch; BVerfG GRUR 1980, 44 – Kirchenmusik; BGHZ 17, 266, 278 – Grundig-Reporter.

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Schriftsteller4 oder den Vertragsnormen für wissenschaftliche Verlagswerke.5 Ist der Verlagsvertrag lückenhaft, so kommen die Regelungen des Verlagsgesetzes zur Anwendung. Das Verlagsgesetz enthält bis auf die Vorschriften zur Insolvenz des Verlegers (§ 36 VerlG) dispositives Recht.6 Das Verlagsrecht war bis Ende des 19. Jahrhunderts landesrechtlich geregelt. Gleichzeitig mit dem Literatururhebergesetz (LUG) wurde am 19.6.1901 das Gesetz über das Verlagsrecht erlassen, das mit wenigen Änderungen noch heute in Kraft ist.

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B. Regelungsrahmen des Verlagsrechts I. Verlagsrecht und Urheberrecht 1. Urheberrecht vergeht, Verlagsrecht besteht Das Verlagsgesetz von 1901 hat alle Reformen des Urheberrechts, auch die des Urhebervertragsrechts, nicht nur unbeschadet, sondern auch – bis auf die Regelung zur Insolvenz – weitgehend unverändert überstanden. Während das Urheberrecht zunehmend als rechtspolitische Daueraufgabe betrachtet wird,7 erscheint das Verlagsgesetz seit jeher als „der wohlgeratene Sohn unter den Sorgenkindern.“8 Das Verlagsgesetz hat sich bewährt.9 Rechtsprechung und Schrifttum behandeln es wohl aus diesem Grunde als Stiefkind, während dem großen Bruder UrhG glänzende Aufmerksamkeit zukommt.

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Urheberrechtsverträge sind Verträge, die über die Einräumung von Nutzungsrechten an urheberrechtlich geschützten Werken geschlossen werden. Sie gliedern sich in die Gruppen der Wahrnehmungsverträge und der Nutzungsverträge. Im Regelfall ist das Verfügungsgeschäft in das Verpflichtungsgeschäft eingebettet: Die Einigung über die Rechtseinräumung erfolgt im Rahmen des Vertrages.10

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Ursprünglich war das Urhebervertragsrecht nur rudimentär kodifiziert: Von den einzelnen Nutzungsverträgen wurde nur für den Verlagsvertrag durch Schaffung des VerlG von 1901 ein gesetzlicher Rahmen geschaffen. Bei Erlass des UrhG von 1965 wurde in Aussicht genommen, die Neuregelung des Urheberrechts durch ein umfassendes Gesetz über das Urhebervertragsrecht zu ergänzen. Divergierende Interessen einerseits, aber auch die Vielschichtigkeit und Schwierigkeit der Materie standen einer Verwirklichung über viele Jahre im Wege. Hauptstreitpunkt war, inwieweit ein Urhebervertragsrecht den Grundsatz der Vertragsfreiheit einschränken dürfe. So wurde die Auffassung vertreten, dass beim Urhebervertrag typischerweise der Urheber der schwächere, der Verwerter der stärkere Vertragspartner sei.11 Dies rechtfertige gesetzliche Eingriffe zwar nicht in das „ob“ des Urhebervertrages, jedoch in dessen Ausgestaltung.

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4 Abgedr. in Beck-Texte im dtv, 10. Aufl. 2003, S. 80 ff. 5 Vereinbarung zwischen dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels und dem Deutschen Hochschullehrerverband, Fassung 2002, vollständig abgedr. bei Schricker Verlagsrecht, Anh. 2, 776 ff. 6 Ulmer S. 427. 7 Entschließungsantrag der FDP zum „2. Korb“, BT-Drucks. 16/5939, 52. 8 Bappert GRUR 1959, 582. 9 Schricker Verlagsrecht, Einl. Rn. 18. 10 Ulmer S. 383. 11 Ulmer S. 386; Dietz FS Schricker, 1995, S. 1, 9.

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Nach Jahre währendem und heftigem Ringen trat am 1.7.2002 das Gesetz zum Urhebervertragsrecht in Kraft, durch welches die wenigen urhebervertragsrechtlichen Regelungen des Gesetzes ergänzt und die Position des Urhebers gestärkt wurde.

2. Das Primat des Verlagsrechts 9

Im Verhältnis zwischen UrhG und VerlG gilt der Grundsatz, dass das jüngere Gesetz (UrhG von 1965) das ältere Spezialgesetz (VerlG von 1901) unangetastet lässt.12 Es gilt also das Primat des Verlagsrechts. Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ohne Einschränkungen: Zwingende Regelungen des UrhG – etwa das Recht des Urhebers auf Zahlung einer angemessenen Vergütung, § 32 UrhG – gehen allen anderen Regelungen vor.13 Sie sind vertraglich nicht einschränkbar und unterliegen auch nicht der Inhaltskontrolle gem. § 307 BGB.

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Das Urhebervertragsrecht gilt zunächst beim ersten, primären Urhebervertrag, dem Vertrag erster Stufe. Das sekundäre Urhebervertragsrecht betrifft Nutzungsverträge weiterer Stufen, also zwischen Ersterwerber und Zweiterwerber, Zweiterwerber und Dritterwerber etc. (Lizenzverträge). Grundsätzlich gelten die Vorschriften des Urhebervertragsrechts auch für die Nutzungsverträge zweiter und weiterer Stufen.14

3. Für den Verlagsvertrag wichtige Regelungen des UrhG 11

Die den Urhebervertrag und damit auch den Verlagsvertrag betreffenden Regelungen sind im UrhG bunt verstreut, man denke an die Regelungen zur Unübertragbarkeit des Urheberrechts und der Verwertungsrechte (§§ 28 ff. UrhG), zur Einräumung von Nutzungsrechten (§§ 31, 35 UrhG), zur Vergütung (§§ 32, 32a, 36 UrhG), zur Übertragung von Nutzungsrechten (§ 34 UrhG), zu Änderungen und Bearbeitungen (§§ 37 Abs. 1, 39 UrhG), zu Verträgen über künftige Werke (§ 40 UrhG), zum Rückruf wegen Nichtausübung von Nutzungsrechten (§ 41 UrhG) oder wegen gewandelter Überzeugung (§ 42 UrhG), zum Urheber in Arbeits- oder Dienstverhältnissen (§§ 43, 69b UrhG) oder zur Übertragbarkeit der Leistungsschutzrechte bei nachgelassenen Werken (§ 71 Abs. 2 UrhG). Einige ursprüngliche im VerlG enthaltene Regelungen wurden 1965 aufgehoben und ins UrhG übernommen: § 3 (Beiträge zu Sammelwerken, vgl. heute § 39 UrhG), § 13 (Änderungen surch den Verleger, vgl. heute § 39 UrhG) und § 42 (Beiträge zu periodischen Sammlungen, vgl. heute § 38 UrhG). Mit der Neuregelung des § 34 UrhG im Zuge der Urheberrechtsreform des Jahres 2002 wurde § 28 VerlG (Übertragung des Verlagsrechts) aufgehoben. 3.1 Die Einräumung von Nutzungsrechten

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§ 31 Abs. 1 bis 3 UrhG bestimmen, dass Nutzungsrechte wahlweise einfach oder ausschließlich, also „exklusiv“ oder „nicht-exklusiv“ eingeräumt werden können. Das Verlagsrecht ist jedoch per Legaldefinition das ausschließliche Recht zur Vervielfältigung und Verbreitung (§ 8 VerlG). Wird dieses – wie üblich – im Vertrag als „Verlagsrecht“ bezeichnet, so ist es per definitionem ein ausschließliches Recht, ohne dass es insoweit noch einer ausdrücklichen Regelung bedürfte. § 8 VerlG sieht daher als dispositive gesetzliche Regel die ausschließliche Einräumung des Verlagsrechts an den Verleger vor. Nur wenn das Nutzungsrecht ausdrücklich als nicht-ausschließlich bezeichnet wird oder eine Auslegung des Vertrages die Einräumung eines 12 Schricker Verlagsrecht, Einl. Rn. 19. 13 Schricker Verlagsrecht, Einl. Rn. 21. 14 Dreier/Schulze vor § 31 Rn. 27 sowie § 31 Rn. 12.

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einfachen Nutzungsrechts zwingend erscheinen lässt, ist ausnahmsweise nicht von einem ausschließlichen Recht auszugehen.15 Da § 8 VerlG dispositiv ist, können die Parteien das Verlagsrecht jedoch auch als einfaches Nutzungsrecht ausgestalten.16 Der Vertrag selbst verliert dadurch nicht seinen Charakter als Verlagsvertrag.17 Auch kann das Verlagsrecht inhaltlich aufgespalten sein (etwa hinsichtlich der Nutzungsarten Taschenbuch, Buchclubausgabe etc.). 3.2 Die Zweckübertragungslehre Die Zweckübertragungslehre besagt, dass der Urheber im Zweifel Rechte nur in dem Umfang einräumt, der für die Erreichung des Vertragszwecks erforderlich ist. Das Urheberrecht hat damit die Tendenz, soweit wie möglich beim Urheber zu verbleiben.18 Die Zweckübertragungslehre ist seit der Urheberrechtsreform 2002 in § 31 Abs. 5 UrhG nahezu umfassend kodifiziert: Geregelt sind die Bestimmung der Nutzungsarten, die Frage nach dem einfachen oder ausschließlichen Nutzungsrecht und dessen Einschränkungen sowie die Reichweite des Nutzungsrechts und des Verbotsrechts. Darüber hinaus dient die Zweckübertragungslehre in Zweifelsfällen weiterhin als Auslegungsregel bei fehlender vertraglicher Vereinbarung zwischen den Parteien19 und bei Lücken im Gesetz.

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Ist ein Vertrag über ein Werk abgeschlossen worden, ohne dass die einzelnen Nutzungsrechte explizit benannt wurden, so sind gem. § 31 Abs. 5 S.1 UrhG im Zweifelsfall nur diejenigen Rechte eingeräumt, die der Verwerter zur Verwirklichung seines konkreten Vorhabens benötigt. Das ist beim Verlagsvertrag das Recht zur Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes.

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Einige Regelungen des VerlG sind Ausformungen der Zweckübertragungslehre: § 2 Abs. 2 VerlG bestimmt, dass die Rechte an Übersetzungen, Dramatisierungen, musikalischen Bearbeitungen und Verfilmungen mangels anderweitiger vertraglicher Regelung beim Verfasser verbleiben. Wo diese spezialgesetzlichen Regelungen greifen, ist für die Anwendung der Zweckübertragungslehre kein Bedarf. Ansonsten ist die Zweckübertragungslehre auch im Verlagsrecht zwingend zu beachten. Sie hat zur Konsequenz, dass – sofern nichts anderes vereinbart ist – der Verleger lediglich eine einzige Buchauflage von nur 1.000 Exemplaren herstellen darf (§ 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 VerlG, eine nicht mehr ganz zeitgemäße Bestimmung20) und deren Verbreitung allein im deutschen Sprachraum gestattet ist. Zudem müsste der Verleger alle weiteren Rechte – wie etwa das der Übersetzung, der Verfilmung oder auch der Produktion einer Taschenbuchausgabe – im Bedarfsfall beim Verfasser nachträglich einholen (und regelmäßig gesondert vergüten!), falls diese Rechte nicht ausdrücklich im Verlagsvertrag mitübertragen wurden. Die Notwendigkeit der exakten Bestimmung der einzuräumenden Nutzungsrechte ist also auch im Verlagsrecht zwingend.

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Der Urheber soll durch die Zweckübertragungslehre vor unbedachten Rechtseinräumungen geschützt werden. Es soll ihm bei Vertragsabschluss genau vor Augen geführt werden, welche Rechte er im einzelnen überträgt. In der Praxis hat dies zur Folge, dass in von Verlagen oder Produktionsfirmen gestellten Verwertungsverträgen standardmäßig jede auch noch so fern liegende Nutzungsart aufgeführt wird, um ja keine Lücke entstehen zu lassen. Dies führt manchmal zu geradezu grotesken Ergebnissen, wenn etwa für ein Kochbuch unter anderem auch das Recht der Vertonung oder Vertanzung eingeräumt wird. Da derartig weitgehende Rechtsein-

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Loewenheim/J. B. Nordemann Handbuch der Urheberrechts, § 64 Rn. 42. Loewenheim/J. B. Nordemann Handbuch des Urheberrechts, § 64 Rn. 43. Schricker Verlagsrecht, § 8 Rn. 17, 40. Ulmer S. 364. Schricker Verlagsrecht, § 8 Rn. 5c. Wegner/Wallenfels/Kaboth 2. Kap. Rn. 51.

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räumungen nicht mehr mit dem Zweck eines Verlagsvertrages vereinbar seien, wird vertreten, diese Klauseln seien gem. § 307 BGB unwirksam.21 Dem ist entgegenzuhalten, dass der Verleger sich regelmäßig für die umfassende Verwertung des Werkes einsetzen wird und hierzu meist besser in der Lage ist als der Verfasser. Auch lässt sich im Zeitpunkt des Vertragsschlusses häufig nicht absehen, welche Verwertungen das Werk erfahren wird. Daher wäre es unbillig, wenn der Verleger um die Früchte seiner Arbeit gebracht würde, wenn er ein Buch zum Erfolg führt, der Verfasser lukrative Verwertungen dann jedoch selbst und unter Umgehung des Verlegers lizenzieren würde. Auch ist zu beachten, dass der Verfasser gem. § 42 UrhG diejenigen Nebenrechte wieder zurückrufen kann, die vom Verleger nach Ablauf von zwei Jahren noch nicht genutzt worden sind. Diese Regelung verhindert das „Hamstern“ von Nutzungsrechten durch den Verleger, so dass ein Rückgriff auf § 307 BGB weder zwingend noch geboten erscheint. 3.3 Neue Nutzungsarten 17

Eine Nutzungsart ist dann selbständig, wenn sie eine konkrete technisch und wirtschaftlich eigenständige Verwendungsform des Werkes darstellt.22 Eine Nutzungsart gilt dann als „bekannt“, wenn die Vertragsparteien sie in ihre Überlegungen miteinbeziehen konnten, ohne hierfür auf Spezialistenwissen angewiesen zu sein (vgl. 18. Abschn. Rn. 218 f.). 3.3.1 Die frühere Regelung

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Eigentlich eine logische Konsequenz aus der Zweckübertragungslehre war § 31 Abs. 4 UrhG a.F., wonach die Einräumung von solchen Nutzungsrechten unwirksam war, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch nicht bekannt gewesen sind. Klauseln wie „der Verfasser überträgt die Rechte an allen auch zukünftig entstehenden Nutzungsarten“ führten daher regelmäßig gerade nicht zur Einräumung sämtlicher Nutzungsrechte. Der Urheber sollte davor geschützt werden, dass er sich durch vorschnelle pauschale Rechtseinräumungen der Verwertungsmöglichkeiten begab, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch gar nicht in seiner Vorstellungswelt waren.

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War seit Abschluss des Verlagsvertrages eine neue Nutzungsart entstanden – dies galt etwa in Bezug auf das Internet für alle Verlagsverträge vor 1995 –, stand dem Verleger kein Nutzungsrecht hierfür zu. Der Verfasser war an einer eigenständigen Vergabe dieses Nutzungsrechts nicht gehindert. Zwar traf ihn gem. § 2 Abs. 1 VerlG die Enthaltungspflicht hinsichtlich einer eigenen Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes; ausgenommen waren, mithin die typischen Reproduktionsverfahren des Verlages und die Verbreitung der Vervielfältigungsstücke an die Leser. Insoweit war und ist von einem eigenständigen – engeren – verlagsrechtlichen Vervielfältigungs- und Verbreitungsbegriff auszugehen und nicht die weite urheberrechtliche Begrifflichkeit zugrunde zu legen.23 3.3.2 Die neue Regelung

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Im Rahmen des zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft („2. Korb“) wurde § 31 Abs. 4 UrhG mit Ablauf des 31.12.2007 gestrichen. Die Einräumung erst künftig entstehender Nutzungsrechte ist seit Inkrafttreten des Gesetzes und der Einführung der neuen §§ 31a UrhG („Verträge für unbekannte Nutzungsarten“) sowie eines § 32c UrhG („Vergütung über später bekannte Nutzungsarten“) seit 1.1.2008 möglich. Die Einräumung künftig entstehender Nutzungsrechte kann nunmehr vertraglich vereinbart wer21 Loewenheim/J. B. Nordemann Handbuch des Urheberrechts, § 64 Rn. 28 ff. 22 BGH GRUR 2005, 937, 939 – Der Zauberberg. 23 Schricker Verlagsrecht, § 1 Rn. 51, 52; § 2 Rn. 9.

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den, der Vertrag bedarf jedoch der Schriftform. Allerdings kann der Urheber die Einräumung des Nutzungsrechts widerrufen (§ 31a Abs. 1 UrhG). Das Widerrufsrecht erlischt nach Ablauf von drei Monaten nachdem der Verwerter dem Urheber eine Mitteilung über die beabsichtigte Nutzung an die letzte ihm bekannte Adresse abgeschickt hat. Auch entfällt das Widerrufsrecht, wenn sich die Parteien nach Bekanntwerden der neuen Nutzungsart auf eine angemessene Vergütung nach § 32c Abs. 1 UrhG geeinigt haben oder eine gemeinsame Vergütungsregel gem. § 36 UrhG zur Anwendung kommt (§ 31a Abs. 2 S. 1, 2 UrhG). Das Widerrufsrecht erlischt gänzlich mit dem Tod des Urhebers, kann also von den Erben nicht mehr geltend gemacht werden (§ 31a Abs. 2 S. 3 UrhG). Nach § 32c UrhG hat der Urheber Anspruch auf eine gesonderte angemessene Vergütung, wenn der Vertragspartner eine neue Art der Werknutzung aufnimmt, die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vereinbart, aber noch ungekannt war. In § 137l Abs. 1 UrhG findet sich – etwas versteckt – eine für die Praxis überaus bedeutsame Übergangsregel: Danach gilt für alle zwischen dem Inkraftreten des UrhG am 1.1.1965 und dem Inkrafttreten des „2. Korbs“ am 1.1.2008 abgeschlossenen Verlagsverträge, dass die bei Vertragsschluss unbekannten Nutzungsrechte nachträglich dem Verleger anwachsen. Dies allerdings unter der Voraussetzung, dass der Verleger seinerzeit „alle wesentlichen Nutzungsrechte“ ausschließlich sowie räumlich und zeitlich unbegrenzt erworbenen hat und der Verfasser der Nutzung nicht widerspricht. Allerdings kann der Widerspruch für bereits bekannte Nutzungsrechte nur innerhalb eines Jahres ab Inkrafttreten des „2. Korbs“ erfolgen. Im Übrigen erlischt das Widerspruchsrecht nach Ablauf von drei Monaten, nachdem der Verleger die Mitteilung über die beabsichtigte Aufnahme der neuen Art der Werknutzung an den Verfasser unter der ihm zuletzt bekannten Anschrift abgesendet hat. Durch diese Übertragungsfiktion für Rechte an neuen Nutzungsarten sollen die Verwerter in die Lage versetzt werden, die ihnen ohnehin zur Auswertung überlassenen Werke auch auf die neue Nutzungsart zu nutzen, ohne zuvor jeden einzelnen Urheber ausfindig machen zu müssen.24

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Die Verlage werden sich künftig regelmäßig die Rechte für unbekannte Nutzungsarten bereits im Verlagsvertrag einräumen lassen. Nach Bekanntwerden einer neuen Nutzungsart werden sie den Verfasser über die beabsichtigte Aufnahme der neuen Art der Nutzung informieren und eine Einigung über die Vergütung anstreben. Künftige Streitigkeiten dürften die Fragen betreffen, ob das Widerrufsrecht im Einzelfall durch Mitteilung des Verlegers an eine veraltete Adresse des Verfassers erloschen ist und ob eine bereits im Verlagsvertrag vorgesehene Vergütungsregel, sofern sie für die neue Nutzungsart angemessen ist, das Widerrufsrecht nach Bekanntwerden der neuen Nutzungsart entfallen lässt. Zu klären wird auch die Frage sein, ob ein vor Beginn der Jahresfrist erfolgter Widerspruch oder gescheiterte Vertragsverhandlungen als rechtswirksam eingelegter Widerspruch anzusehen sind.

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II. Sonstige relevante Regelungen Es gilt der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Im UrhG ist lediglich geregelt, wie über die Nutzungsrechte verfügt werden kann. Für die zugrundeliegenden Verpflichtungsgeschäfte gibt es hingegen keine speziellen Bestimmungen. So wird der Bestellvertrag regelmäßig nach dienstvertraglichen (§§ 611 ff. BGB) oder werkvertraglichen (§§ 631 ff. BGB) Regelungen behandelt. Regelmäßig werden urheberrechtliche Nutzungsverträge jedoch als Verträge sui generis eingestuft, eine Spielart hiervon ist der Verlagsvertrag, der im VerlG seine Ausgestaltung gefunden hat. 24 Begr. RegE BT-Drucks. 16/1828 zu § 137l.

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