16 Die binokulare Versorgung

SZB Kurs für spezialisierte Augenoptiker in der Low Vision Rehabilitation 16 A 16BINOK.DOC 16 Die binokulare Versorgung 16.1 Einführung In vielen F...
Author: Chantal Keller
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SZB Kurs für spezialisierte Augenoptiker in der Low Vision Rehabilitation

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16 Die binokulare Versorgung 16.1 Einführung In vielen Fällen können sehbehinderte Personen mit einer binokularen Versorgung besser lesen und ermüden weniger. Unter Umständen ergänzen sich intakte Netzhautbereiche. Besonders wichtig ist eine binokulare Versorgung, wenn das dominierende Auge stärker sehbehindert ist. Die Frage, ob binokular versorgt werden kann, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Nicht zuletzt spielen dabei die technischen Möglichkeiten und Grenzen eine Rolle. So ist z.B. zu entscheiden, ob eine sehbehinderte Person mit einem 3x Vergrösserungsbedarf monokular mit einer einfachen Lupenbrille ausgerüstet w erden soll, oder ob der Einsatz einer binokularen Lupenbrille mit starken Konvergenzhilfeprismen, sinnvoll ist. Ev. lässt sich das Problem mit einer binokularen Fernrohrbrille lösen. Doch oft zeigt erst der praktische Versuch, welche Lösung optimal ist. Dieser Entscheid überfordert den Low Vision Trainer sowohl vom fachlichen Wissen her, als auch von den zur Verfügung stehenden Probehilfsmitteln. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir im Low Vision Koffer ganz bewusst keine binokularen Probebrillen aufgenommen haben und auch nicht aufzunehmen gedenken. So kommt es, dass die Zusammenarbeit zwischen den Fachleuten für die Low Vision-Rehabilitation, den spez. Augenoptikern und den Augenärzten in diesen Fällen besonders intensiv sein muss

16.2 Wann soll binokular versorgt werden? 16.2.1

Nystagmus Bei nur monokularer Versorgung können sich Frequenz und Amplitude des Nystagmus vergrössern. Umgekehrt kommt es beim Blick in die Nähe durch die Konvergenz oft zu einer Beruhigung der Augenstellung. Daher sollt bei Nystagmus wenn immer möglich mit einer binokularen Versorgung gearbeitet werden. Bei Skotomen mit sich überlagernden intakten Netzhautstellen.

16.2.2

Bei kleinen Skotomen, die sich nicht überlagern Hier verhilft die binokulare Versorgung für ein einigermassen intaktes funktionelles Gesichtsfeld.

16.2.3

Wenn das schwächere Auge über das bessere Kontrastsehen verfügt Auch in diesem Fall dürfte die binokulare Sehleistung besser sein als diejenige jeden Auges alleine.

16.2.4

Wenn die Augendominanz auf dem schlechteren Auge liegt Es kommt vor, dass das früher dominante Auge stärker sehbehindert geworden ist. Hier muss besonders sorgfältig abgeklärt werden. In Stresssituationen besteht die Gefahr, dass mit dem zwar dominanten aber schlechteren Auge

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geschaut wird. Ist dieses Auge dann okkludiert, wird der Klient unter Umständen angeben, nichts zu sehen. Wir haben Fälle erlebt, in denen eine Okklusion nichts geholfen hat und das dominante Auge zugekniffen werden musste. In diesen Fällen erhielt dann das Sehzentrum die Bio-Feed-back Information: "Dominantes Auge geschlossen". In diesen Fällen sollte auch dann an eine binokulare Lösung gedacht werden, wenn das dominante Auge nur eine geringe Sehleistung aufweist.

16.3 Wann soll/kann nicht binokular versorgt werden? 16.3.1

Binokulare Sehleistung geringer als die monokulare In einigen Fällen ist die binokulare Sehleistung geringer als die monokulare. Gründe dafür können sein: • Metamorphopsien (Netzhautbild wirkt verzogen) • Anisometropie (ungleiche Fehlsichtigkeit der beiden Augen) • Doppelbilder, die sich nicht überlagern lassen

16.3.2

Binokulare Versorgung technisch nicht möglich Die Grenze der binokulare Versorgung ist vielfach technisch begründet Überhöhter Nahzusatz Galilei Fernrohrlupe Kepler-Fernrohrlupe Bildschirmlesegeräte

Grenze der Versorgung 2.5x (max. 3x) 5x 8x bis ca 50x

Aus dieser Tabelle ergibt sich, dass sich für eine Versorgung mit höherer Vergrösserung Fernrohrlupen resp. Bildschirmlesegeräte aufdrängen.

16.4 Praktische Lösungen mit überhötem Nahzusatz 16.4.1

Lupenbrille nach Kammpeter und Eckert Schaut das Auge in die Nähe muss es zum Scharfsehen akkommodieren und zum Einfachsehen Konvergieren. Dies vermittelt dem Sehzentrum die Information „Sehobjekt befindet sich in der Nähe“. Das durch die Nähe vergrösserte Netzhautbild passt nicht so recht in das Schema und wird daher kortikal auf „ein vernünftiges Mass“ verkleinert. Wir sprechen von Mikropsie. Wird die Akkommodation durch entsprechende Plusgläser und die Konvergenz durch Konvergenzhilfeprismen teilweise oder ganz zu ersetzten vermitteln diese Brillengläser dem Sehzentrum die Information „Sehobjekt befindet sich in der Ferne“. Das Sehobjekt wird kortikal vergrössert (oder wenigstens nicht verkleinert). Hier handelt es sich um eine Makropsie. Mit dieser Methode kann bei geringem Vergrösserungsbedarf und intaktem Binokularsehen eine Lesefähigkeit bei relativ grossem Leseabstand erreicht werden. Beachten Sie bitte dazu das Kapitel 4.

16. Binokulare Versorgung

16.4.2

16.4.3

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Prismen bei binokulare Lupenbrillen Bei einer verkürzten Leseentfernung müssen die Augen extrem stark konvergieren. Der Konvergenzaufwand lässt sich dabei nach untenstehender Formel berechnen: cm/m = PD [cm]*1/Arbeitsabstand Bei einer PD von 60 mm und einem Arbeitsabstand von 10 cm muss jedes Auge demnach 30 cm/m konvergieren. Dies ist über nur mit Anstrengung und nur für kurze Zeit möglich. Es liegt daher auf der Hand, die Konvergenz mit Konvergenzhilfeprismen zu unterstützen. Über die Höhe dieser Konvergenzhilfe wurde schon viel diskutiert und geschrieben. Es darf dabei festgestellt werden, dass die Höhe der Prismen weniger vom Bedarf der Benutzer als vielmehr von den technischen Grenzen abhängt. Sehr bekannt ist die Formel des amerikanischen Low Vision Pioniers, die wie folgt lautet: cm/m (pro Seite) = Addition + 1.0 Diese Regel ist allerdings besonders bei den höheren Additionen zu schwach. In der Regel kann und soll bis zum technisch Möglichen gegangen werden. Untenstehend eine Tabelle Bei PD 65

Addition

Konvergenz

1.5x 2.0x 2.5x 3x

+ 6.0 + 8.0 + 10.0 + 12.0

39 cm/m 52 cm/m 65 cm/m 78 cm/m

Konvergenzhilfeprismen pro Seite 7 cm/m 4-6 cm/m 9 cm/m 12 cm/m 11 cm/m min.15 cm/m 12 cm/m Fonda Buser

Die PD spielt keine Rolle Als guter Augenoptiker wird man sich beim Anblick der verschiedenen auf dem Markt befindlichen Fertighalbbrillen Gedanken über die Zentrierung machen. Interessanterweise spielt die PD des Benutzers auf die Höhe der Konvergenzhilfe keine Rolle. Ich habe diese u.a. von Lars Hellström publizierte Tatsache erst nach längeren Überlegungen nachvollziehen können. Untenstehend eine Herleitung: Extremsituation 1: Beiden Augen schauen gemeinsam durch eine Linse der Abstand der optischen Mittelpunkte ist 0. Die Augen müssen nicht konvergieren.

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Extremsituation 2: Der Abstand der beiden Mittelpunkt ist gleich oder annähernd des Pupillenabstandes. Die beiden Augen müssen einen extrem hohen Konvergenzaufwand betreiben um Doppelbilder zu verhindern. Oben: ohne Konvergenz Unten: Mit Konvergenz Situation 3: Der Abstand der beiden Linsen ist gering, sie sind dezentriert angeordnet. Die beiden Augen müssen eine geringere Konvergenz aufbringen. Dabei spielt die PD keine Rolle, beachten Sie den parallelen Strahlenverlauf vor der Linse

16.4.4

Halbbrillen oder Bifos sind die Regel Beim Blick durch die Brillengläser in die Ferne oder den Mittelbereich kommt es zu Doppelbildern. Auch wenn diese Doppelbilder unscharf sind stören, sie doch sehr stark. Aus diesem Grund ist die Ausführung als Halb- oder Bifokalbrille die Regel.

16.4.5

Einfache Brillengläser Bei den schwächeren Vergrösserungen lassen sich mit einfachen Brillengläsern (in der Regel in Kunststoff schöne Lösungen fertigen. Bei Metallhalbbrillen kommt es gelegentlich im Bereich der Seitenstege zu Platzproblemen, die eine entsprechende Aussparung im Brillenglas erfordern. Aus diesem Grund wurde von der SZB Fachstelle Low Vision Entwicklung in Zusammenarbeit mit der Firma Optidea eine spezielle Halbbrille entwickelt, die Im Bereich der Nasenstege genügend Platz für Prismen aufweist.

16.4.6

Asphärisch Cataract Lenti für die binokulare Versorgung Asphärisch Cataract Lenti können bis zu einer Addition von etwa + 10.0 für die binokulare Versorgung eingesetzt werden. Wegen des kurzen Arbeitsabstandes ist bekanntlich die Verwendung von Konvergenzhilfeprismen angebracht. Damit die Dicke in einem gewissen Rahmen bleibt, kann die eine Hälfte der prismatischen Wirkung durch Dezentration und die andere Hälfte durch prismatischen Schliff erreicht werden. Eine genaue Zentrierung in der

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Höhe sorgt für eine tolerierbare Abbildungsqualität, welche durch die Dezentration etwas vermindert ist. 16.4.7

Lösungen der Firma Multilens

16.4.7.1 Lupenhalbbrillen mit Lenti

Die optische Korrektur ist als rundes Teil mit einem Durchmesser von etwa 35 mm gefertigt und in ein planes Tragrandglas eingesetzt. Damit kann das Problem mit den Prismen im Nasenbereich umgangen werden. 16.4.7.2 Stufenbifo nach Galli

Bei dieser Lösung wird das Trägerglas mit einer mässigen Addition und entsprechenden Prismen für die Schreibarbeit gefertigt. Das Nahteil hat eine höhere Addition und mehr Prismen und dient zum Lesen.

Stufenbifo n. Galli mit + 6.0 und 8 cm/m im „Fernteil“ und + 10.0 mit je 15^ Basis innen im Nahteil 16.4.7.3 Lupenbifos

Hier liegt die eigentliche Stärke der Firma Multilens. Dank der relativ schmalen Segmente können die Nahteile mit starken Prismen gefertigt werden.

16.5 Vorgefertigte Lösungen mit Lupenbrillen 16.5.1

Binokulare Fertighalbbrillen mit Konvergenzhilfeprismen Seit Jahrzehnten existieren unter dem Namen Fonda-Brillen solche Hilfsmittel auf dem Markt. Bei einer Neuauflage durch die Firma COIL wurde eine etwas diskretere Fassung gewählt. Leider ist die prismatische Konvergenzunterstsützung durch Prismen Basis nasal sowohl bei den ursprünglichen FondaBrillen als auch beim Nachfolgemodel von Coil eher schwach. Trotzdem spielen diese Fertighalbbrillen insbesondere bei ersten Gehversuchen eine wichtige Rolle. Auch die Firma Multilens offeriert Fertighalbbrillen. Das eine Model hat normale Brillengläser deren prismatische Stärke etwas höher ist als diejenigen der Fonda-Brillen. Beim andern Model befindet sich Nasenwerts dezentriert ein

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kleineres Segment. Diese Brille hat eine wesentlich höhere prismatische Wirkung.

16.5.2

Die binokularen Fertighalbbrillen von COIL und ihre Probleme Leider zeichnen sich die letzten Serien der höheren Vergrösserungen der binokularen COIL-Lupenbrillen durch eine sehr schlechte Abbildungsqualität aus. Zudem sind die Gläser schlecht montiert und verdrehen sich leicht. Dadurch entstehen Höhenprismen. Dies kann zu Doppelsehen und Kopfschmerzen führen. Wir kennen die Gründe für diese schlechte Qualität nicht, haben aber beim Hersteller interveniert. Diese Modelle sollten mit Vorsicht abgegeben werden.

16.6 Praktische Lösungen mit Fernrohrlupen Während die Grenze der Vergrösserung für den überhöhten Nahzusatz bei 2.5x und im Ausnahmefall bei 3x liegt, lassen sich teleskopische Systeme bis 8x binokular herstellen. 16.6.1

Galileisysteme

16.6.1.1 Keeler LVA 21 2-5x

Die Firma Keeler offeriert mit den LVA-21 Fernrohrlupensysteme, bei denen der Arbeitsabstand ab Auge gemessen bei 15 cm liegt. Die Montage erfolgt mit schrägen Klebgewinden auf Kunstoffgläser mit der Fernkorrektur. Ist die Trägerbrille gefertigt, können die Systeme mit den verschiedenen Vergrösserungen beliebig ausgetauscht werden

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16.6.1.2 Eschenbach

Mit Hilfe des oben abgebildeten Montagesets lassen sich die GalileiFernrohrlupen der Firma Eschenbach auch binokular montieren 16.6.1.3 Multilens

NKU

16.6.2

Mit dem Multilens Vidi, das 1.8x vergrössert können an Stelle der normalen Vorsatzlinsen solche mit prismatischer Wirkung aufgesteckt werden. Dadurch braucht das Auge nicht in Konvergenzstellung zu gehen

Galileisystem von Zeiss

Diese meist als Operationsbrillen verwendeten Systeme haben eine Fernrohrvergrösserung von 2x und werden in folgenden Versionen geliefert: Arbeitsabstand ab Auge Sehfeld 450 76 400 68 350 60

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300 52 Die Montage erfolgt auf mineralische Gläser mit der Fern- oder Nahkorrektur. Im letzteren Fall wird der Arbeitsabstand etwas kürzer.

16.7 Vorfefertigte Lösungen mit Galileisystemen 16.7.1

Gallileisysteme von Eschenbach Die Systeme lassen sich auf der Brücke der Trägerbrille verschieben und zusätzlich fokussieren. Folgende Vergrösserungen sind erhältlich: Eschenbach 16362 Eschenbach 16363 Eschenbach 16364

16.7.2

2.5x 3x 4x

Kopflupe Zeiss G3 Bei diesem System sind die PD, die Vorneigung und die Höhe einstellbar. Die Fernrohrvergrösserung beträgt 3x. Es werden folgende Variationen angeboten: Arbeitsabstand 400 350 300

16.7.3

Sehfeld 62 mm 52 mm 40 mm

Keplersysteme

16.7.3.1 Zeiss Prismenlupe Typ D, E und F

Basierend auf den bekannten Prismenlupen A bietet die Firma Zeiss 3 binokulare Prismenlupenbrillen mit Keplersystemen an. Typ D In Trägergläser mit der Fernkorrektur eingebaut Typ E In Trägerfassung mit beweglichem Befestigung Typ F Bewegliche Befestigung an Stirnband montiert Die technischen Daten entnehmen Sie bitte dem Produktekatalog.

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Typ D System in gelochte Trägerlinsen eingebaut

Typ F mit Stirnreifen und hochklappbarem System 16.7.3.2 Specwell 2.75x8/4x10 mit der SZB Telepons

Zwar bietet ein Hersteller die Möglichkeit, durch die schräge Montage der Monokulare diese auch binokular zu verwenden. Weil aber die beiden Instrumente nicht fest verbunden sind, dürfte eine korrekte Justierung eher im Bereich des Zufalls liegen. Die SZB TELEPONS verbindet die beiden Instrumente fest miteinander. Dank der schrägen Bohrung kann die Brücke verdreht und der Konvergenzwinkel in einem vorgegebenen Bereich zwischen Parallelstand und max. Konvergenz eingestellt und fixiert werden. Das Einjustieren der Systeme und insbesondere die Fixation in den Brillengläsern ist noch nicht ganz gelöst. Aus diesem Grund wurde das System noch nicht propagiert.

16.8 Eschenbach 2.8x9 Die Firma Eschenbach propagiert diese Lösung. Allerdings sind Keplersysteme so heikel, dass ich dieser Möglichkeit nicht vertraue.

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16.9 Bildschirmlesegeräte und Computerbildschirme Die Verwendung von Lesegeräten und Computerbildschirmen ermöglicht der Regel die binokulare Benutzung.

16.10 Binokulare Versorgung mit Lupen 16.10.1 Handlupen Folgende Faktoren beeinflussen die binokulare Verwendung von Hand- und Standlupen: • Lupenform • Abbildungsqualität • Fassungsfarbe Bei einer runden Fassung fusionieren die beiden Augen gerne auf den Rand. Dies ist bei einer Rechteckigen Fassung weniger der Fall Besonders Vorteilhaft sind helle oder sogar durchsichtige Fassungen Ausserdem wird im Interesse einer guten Abbildungsqualität der Abstand Lupe-Text klein gehalten. Damit ist auch die resultierende Vergrösserung relativ bescheiden. 16.10.2 Kopflupen Hier ist die binokulare Verwendung einfacher, da sie aus zwei Einzellinsen oder 2 Lupensegmenten bestehen.

Vergrösserung ca 1.5x