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8 ObA 77/15d IM NAMEN DER REPUBLIK 2 8 ObA 77/15d Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den V...
Author: Maja Koenig
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8 ObA 77/15d

IM NAMEN DER REPUBLIK

2

8 ObA 77/15d

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling

als

Vorsitzenden ,

die

Hofrätin

Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Dr. Brenn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Sabine Duminger und Mag. Ernst Bassler in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M ***** P*****, vertreten durch Gerlach Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei A ***** A***** AG, *****, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen 21.039,69 EUR sA, über die Revision

der

beklagten

Partei

gegen

das

Urteil

des

Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. Juli 2015, GZ 7 Ra 45/15m-22, mit dem das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeitsund

Sozialgericht

vom

19. Februar 2015,

GZ 27 Cga 97/13z-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt: Der Revision wird nicht Folge gegeben. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei

binnen

209,94 EUR

14 Tagen USt)

die

mit

1.259,64 EUR

bestimmten

Kosten

(darin der

Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Der Kläger war bei der Beklagten von Mai 1992 bis

30. 6. 2012

als

Flugkapitän

beschäftigt.

Auf

das

Dienstverhältnis waren der „Kollektivvertrag für das BordPersonal der Austrian Airlines und Lauda-Air“ (KV-Bord) samt Garantieerklärung, der mit 31. 3. 2015 befristete ZusatzKV „Einsparungspaket“ sowie der Zusatz-KV 2 „KV-Alt“ anzuwenden. Am

15. 2. 2012

kündigte

der

zuständige

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Fachverband

der

Vertragspartner

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Wirtschaftskammer

des

KV-Bord

auf

Österreich

als

Arbeitgeberseite

ein

Schreiben an die Gewerkschaft vida als Vertreterin auf Arbeitnehmerseite den Kollektivvertrag für das Bordpersonal der

Austrian

Airlines

und

Lauda

Air

(…)

sowie

alle

Zusatzkollektivverträge, Anhänge und Zusatzprotokolle „zum nächst möglichen Termin“. Die Gewerkschaft vida erklärte daraufhin am 20. 3. 2012, sie fasse das Kündigungsschreiben als Angebot des Kollektivvertragspartners auf, den Zusatz-KV „Einsparungspaket“ vor Ablauf seiner Befristung sofort zu beenden, und nehme dieses Angebot an. Das unstrittig

Dienstverhältnis

durch

gemäß

des

Klägers

§ 3 Abs 5 AVRAG

endete

privilegierte

Dienstnehmerkündigung. Die Beklagte bezahlte dem Kläger die Abfertigung (alt) auf Basis jenes reduzierten Gehalts, das sich

aus

den

Bestimmungen

„Einsparungspaket“

aufgrund

eines

des

Zusatz-KV

Gehaltsverzichts

des

fliegenden Personals ergeben hatte. Gegenstand der Klage ist der Anspruch auf die Differenz

zu

jenem

Abfertigungsbetrag,

der

sich

ohne

Berücksichtigung der kollektivvertraglichen Entgeltreduktion ergeben würde. Der Kläger vertritt den Standpunkt, der Zusatz-KV „Einsparungspaket“ (in der Folge nur: Zusatz-KV) wahre in seinem Punkt 4. bei „objektiv betriebsbedingter Kündigung“

den

Anspruch

auf

ungekürzten

Bemessungsgrundlage.

Abfertigung In

eventu

nach

der

stützte

er

seinen Anspruch darauf, dass die Geltung des Zusatz-KV am 20. 3. 2012 einvernehmlich von den Kollektivvertragsparteien beendet worden und der Gehaltsverzicht daher nicht mehr wirksam gewesen sei. Die

Beklagte

bestritt

ein

vorzeitiges

Außerkrafttreten des Zusatz-KV. Die Selbstkündigung des Klägers sei dessen subjektive Entscheidung gewesen und keiner „objektiv betriebsbedingten Dienstgeberkündigung“ im

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Sinne des Zusatz-KV gleichzuhalten. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren (mit Ausnahme

eines

unbekämpft

abgewiesenen

Zinsenmehrbegehrens) statt. Es kam zu dem Ergebnis, dass der

Zusatz-KV

„Einsparungspaket“

Kollektivvertragsparteien

von

im

den

festgestellten

Korrespondenzwege einvernehmlich vorzeitig beendet worden sei.

Davon

abgesehen

Dienstnehmerkündigung Betriebsübergangs

wäre

nach

unter

§ 3

den

eine Abs 5

Begriff

privilegierte AVRAG

einer

wegen

„objektiv

betriebsbedingten Kündigung“ im Sinne des Punkt 4. des Zusatz-KV einzuordnen. Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Beklagten keine Folge. Es

widersprach

zwar

der

Auffassung

des

Erstgerichts, dass es zu einer vorzeitigen Aufhebung des Zusatz-KV

„Einsparungspaket“

durch

Konsens

der

Kollektivvertragsparteien gekommen sei, billigte aber dessen Rechtsausführungen über die Auslegung des Punkt 4. des Zusatz-KV. Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision

für

zulässig,

weil

Kollektivvertragsbestimmung

die

von

Auslegung

über

den

einer

Anlassfall

hinausreichender Bedeutung sei. Die Revision der beklagten Partei strebt die Abänderung

der

klagsabweisenden

Entscheidungen Sinn

an.

der

Der

Vorinstanzen Kläger

hat

im eine

Revisionsbeantwortung erstattet. Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig. Zwar steht der Zusatz-KV „Einsparungspaket“ (nunmehr schon wegen Fristablaufs) nicht mehr in Kraft, es ist aber nicht ausgeschlossen, dass vom Anlassfall abgesehen noch Ansprüche anderer ehemaliger Dienstnehmer

der

Beklagten

strittig

sind,

für

deren

Beurteilung seine Auslegung von Bedeutung ist. Auch zum

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Verständnis des § 3 Abs 5 AVRAG erscheint im gegebenen Zusammenhang

im

Interesse

der

Rechtssicherheit

und

Rechtsfortentwicklung eine Klarstellung geboten. Die Revision ist jedoch nicht berechtigt. 1. Nach Arbeitnehmer,

§ 3

wenn

Abs 5

durch

den

nach

anzuwendenden

Kollektivvertrag

Betriebsübergang

anzuwendenden

Arbeitsbedingungen

AVRAG

kann

ein

Betriebsübergang

oder

die

nach

Betriebsvereinbarungen

wesentlich

verschlechtert

werden,

innerhalb eines Monats ab dem Zeitpunkt, ab dem er die Verschlechterung

erkannte

oder

erkennen

musste,

das

Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen oder der kollektivvertraglichen Kündigungsfristen und -termine lösen. Dem Arbeitnehmer „stehen die zum Zeitpunkt einer solchen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gebührenden Ansprüche wie bei einer Arbeitgeberkündigung “ zu. Welche

Ansprüche

Arbeitgeberkündigung

gebührt

dem

Kläger

hätten,

ist

bei

einer

aufgrund

der

geltenden gesetzlichen, kollektiv- und einzelvertraglichen Bestimmungen zu prüfen (vgl auch EUGH C-396/07, Juuri Rz 25, 26). Das vorliegende Verfahren beschränkt sich auf die Frage,

welche

Abfertigung

dem

Kläger

bei

(fiktiver)

Arbeitgeberkündigung gebührt hätte. 2. Bemessungsgrundlage für die Abfertigung nach § 23 Abs 1 AngG

ist

das

für

den

letzten

Monat

des

Dienstverhältnisses gebührende Entgelt. In dieser Höhe wurde der Anspruch des Klägers auch unstrittig von der Beklagten erfüllt. Der Anspruch des Klägers auf Anwendung einer höheren Bemessungsgrundlage kann sich daher ausschließlich auf

den

Punkt 4.

des

Zusatz-KV

stützen,

der

lautet:

„Abfertigungszahlungen aufgrund objektiv betriebsbedingter Dienstgeberkündigungen sowie Zahlungen aus Dienstjubiläen erfolgen von jener Bemessungsgrundlage, die gegolten hätte,

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wenn kein Einsparungspaket vereinbart worden wäre .“ Die

in

erster

Instanz

strittige,

vom

Berufungsgericht aber mit zutreffender Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO) bejahte Geltung des Zusatz-KV bei Beendigung des klägerischen Dienstverhältnisses wird von der Revision nicht in Frage gestellt. 3. Entscheidend ist im vorliegenden Fall daher die Auslegung Begriffs

des

im

der

Punkt 4.

Zusatz-KV

„objektiv

gebrauchten

betriebsbedingten“

Dienstgeberkündigung. Die Vorinstanzen haben diesen Begriff dahin verstanden, dass die Gründe einer solchen Kündigung ganz allgemein der betrieblichen Sphäre zuzurechnen sind, im Gegensatz zu einer „personenbedingten“ Kündigung, deren Gründe in der Sphäre des Arbeitnehmers, insbesondere seinen persönlichen Eigenschaften oder Verhaltensweisen, liegen. 4. Die Revision führt demgegenüber aus, der Begriff der „betriebsbedingten Kündigung“ im Sinne des Zusatz-KV sei als „allgemeiner Fachausdruck“ zu verstehen, wenngleich

er

aus

arbeitsverfassungsrechtlichen

dem

Bereich

Kündigungsanfechtung

der nach

§ 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG entlehnt erscheine. Tatsächlich meine

der

Zusatz-KV

Kündigungen

mit

ausschließlich

„objektiv solche,

betriebsbedingten“ die

wegen

eines

beabsichtigten Stellenabbaus ausgesprochen würden. Dieser Fall liege nicht vor, da die Beklagte an der Beendigung des Dienstverhältnisses des Klägers überhaupt kein Interesse gehabt habe. Diese Argumente der Revisionswerberin können im Ergebnis aber nicht überzeugen. 5. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Kollektivvertragsparteien

eine

vernünftige,

zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und

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wirtschaftlichen mehreren

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Interessen

an

sich

herbeiführen in

Auslegungsmöglichkeiten

ist

wollten.

Betracht daher,

wenn

Bei

kommenden alle

anderen

Auslegungsgrundsätze versagen, jener der Vorzug zu geben, die diesen Anforderungen am meisten entspricht (RIS-Justiz RS0008828). Die von der Beklagten angestrebte Einschränkung der Geltung des Punkt 4. Abs 3 Zusatz-KV auf Fälle eines Personalabbaus

hätte

zur

Konsequenz,

dass

solche

Kündigungen gegenüber anderen – ebenfalls nicht in der Person

des

kündigungen kündigungen)

Arbeitnehmers (zB

begründeten – Dienstgeber-

Austauschkündigungen,

bezüglich

der

Änderungs-

Beendigungsansprüche

privilegiert wären. Welchen rechtfertigenden Zweck eine solche unterschiedliche Behandlung verfolgen könnte, lässt sich nicht erschließen. Überhaupt

kann

den

Kollektivvertragsparteien

nicht zugesonnen werden, dass sie mit dem im Zusatz-KV vereinbarten

temporären

Gehaltsverzicht

langjähriger

Mitarbeiter gleichzeitig deren Kündigung für den Dienstgeber infolge

geringerer

Abfertigungslast

finanziell

attraktiver

machen wollten. Die Regelung des Punkt 4. Abs 3 Zusatz-KV sollte

offenkundig

diese

unerwünschte

Konsequenz

verhindern. 6. Der

Wortsinn

der

strittigen

Formulierung

enthält keinen Anhaltspunkt für die von der Beklagten angestrebte einschränkende Interpretation, und zwar gerade dann nicht, wenn der Begriff „betriebsbedingt“ im Sinne der Revisionswerberin als „allgemeiner“ verstanden werden soll. Bei einem offenen Begriffsverständnis könnten – wovon das Berufungsgericht ausgegangen ist – alle vorstellbaren Gründe für die Kündigung eines Dienstverhältnisses entweder unter „betriebsbedingte“ werden.

oder

„personenbedingte“

eingeordnet

8

7. Nach

dem

Begriffsverständnis

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arbeitsverfassungsrechtlichen

bezieht

sich

eine

„objektiv

betriebsbedingte“ Kündigung auf betriebsbezogene Umstände oder Vorgänge, die nichts mit der Person des Gekündigten zu tun haben (Karl, Sozial ungerechtfertigte Kündigung 122; Wolligger in ZellKomm² § 105 ArbVG Rz 213). Es handelt sich

allgemein

um

organisatorische

Belange,

voraussetzen, Entscheidung

wirtschaftliche,

sondern des

die

der

auch

freien

Dienstgebers

rentabilitätserhöhende

technische keine

oder

Notlage

unternehmerischen

überlassen

sind,

wie

Rationalisierungsmaßnahmen,

Betriebseinschränkungen

oder

Betriebsstilllegungen

(Wolligger aaO Rz 214 mwN; 8 ObA 1/02h). Unter dieses allgemeine Begriffsschema fällt aber auch

ein

durch

Unternehmensfusion

herbeigeführter

Betriebsübergang. Dass diesem in der Anfechtungspraxis tatsächlich keine Rolle zukommen kann, weil eine wegen Betriebsübergangs

ausgesprochene

Kündigung

nicht

anfechtbar, sondern unwirksam wäre, steht der ausschließlich zur

Auslegung

des

Kollektivvertrags

erforderlichen,

abstrakten Einordnung als „objektiv betriebsbedingt“ nicht entgegen. 8. Persönliche sind

im

Verfahren

Kündigungsmotive

nicht

hervorgekommen.

des

Klägers

Soweit

die

Beklagte seine Kündigung deswegen als „in der Person bedingt“

ansehen

möchte,

weil

nur

er

selbst

das

Dienstverhältnis beenden habe wollen, vermengt sie den Entschluss des Klägers zur Ausübung des Gestaltungsrechts mit den für diese Entscheidung maßgeblichen Gründen. 9. Zusammenfassend

ist

für

die

Höhe

des

Abfertigungsanspruchs nach § 3 Abs 5 AVRAG zu ermitteln, was gelten würde, wenn die Beklagte den Kläger wegen des bevorstehenden Betriebsübergangs gekündigt hätte. Eine derartige Kündigung wäre ungeachtet des

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Art 4 Abs 1 der BetriebsübergangsRL nicht unmöglich, weil das Kündigungsverbot nur relativ wirkt (ua Binder, AVRAG² § 3 Rz 93 mwN). Lässt der Arbeitnehmer eine an sich unwirksame Kündigung gegen sich gelten, dann folgen daraus Beendigungsansprüche, die nach Gesetz und Kollektivvertrag zu bestimmen sind. Eine

iSd

§ 3

Abs 5

AVRAG

privilegierte

Dienstnehmerkündigung beruht als wirtschaftliche, technische bzw

organisatorische

Maßnahme

auf

„objektiv

betriebsbedingten“ Gründen iSd Punkt 4. Abs 3 Zusatz-KV, sodass für den Abfertigungsanspruch des Klägers jene höhere Bemessungsgrundlage heranzuziehen ist, die ohne den im „Einsparungspaket“ vereinbarten befristeten Gehaltsverzicht gegolten hätte. Die Revision ist daher nicht berechtigt. Die

Entscheidung

über

die

Kosten

Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Oberster Gerichtshof, Wien, am 24. Mai 2016 Dr. S p e n l i n g Für die Richtigkeit der Ausfertigung die Leiterin der Geschäftsabteilung:

des