14 bei Prof. Dr. Moritz Brinkmann. Fall 3 in vino veritas

Dr. Oliver Mörsdorf Institut für Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung Arbeitsgemeinschaft zur Vorlesung Sachenrecht im WS 2013/14 bei ...
Author: Anke Kneller
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Dr. Oliver Mörsdorf

Institut für Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung

Arbeitsgemeinschaft zur Vorlesung Sachenrecht im WS 2013/14 bei Prof. Dr. Moritz Brinkmann Fall 3 – in vino veritas

Schlossbesitzer und Moselwinzer Graf von und zum Wohl (G) hat Absatzprobleme. Da trifft es sich gut, dass am 15. November 2012 der Weinhändler Winfried Weinstein (W) auf dem Schloss des G aufkreuzt und sich bereiterklärt, folgende Partien aufzukaufen: •

80 Kisten Spätlese zum Preis von 10 EURO pro. Fl.



50 Flaschen Beerenauslese zum Preis von 50 EURO pro Fl.

Da die Geschäfte bei W ebenfalls nicht gut laufen, wird vereinbart, dass W den Kaufpreis erst drei Monate nach Lieferung bezahlen soll, wenn das Weihnachtsgeschäft wieder Geld in die Kassen gespült hat. Gleichzeitig wird die in derartigen Fällen branchenübliche Vereinbarung getroffen, dass die beiden Partien Wein bis zur jeweiligen Kaufpreiszahlung im Eigentum des G verbleiben sollen. Am 20. November 2012 wird der Wein vereinbarungsgemäß ins Lager des W geliefert.

Einige Wochen später nehmen die Dinge jedoch eine überraschende Wendung. Nachdem ein bekannter Weinjournalist nach einer durchzechten Nacht auf dem Schloss des G die Weine des G über den grünen Klee gelobt hat, kommt der Absatz des G in Fahrt, so dass er schon nach kurzer Zeit ausverkauft ist. Dies ist für G umso bedauerlicher, als gerade jetzt ein Lebensmittelhändler (L) so viel wie möglich von der besonders gepriesenen Spätlese zum Preis von 20 EURO pro Flasche (!) aufkaufen möchte. G zögert nicht lange und bietet W 80 Kisten an, was dieser annimmt. Wegen der Lieferung vereinbaren G und L, dass sich L den Wein im Lager des W abholen soll, bei dem G den Wein nach eigener Behauptung gegen Entgelt eingelagert hat. Als Angestellte des L den Wein bei W abholen wollen, zeigt sich 1

dieser jedoch erstaunt und verweigert die Herausgabe mit dem wahrheitsgemäßen Hinweis, dass er zwischenzeitlich den Kaufpreis für diese Partie der Weinlieferung an G gezahlt habe.

In der Folgezeit gerät auch W in Zahlungsschwierigkeiten. Glücklicherweise gewährt seine Hausbank B ihm einen Überbrückungskredit. Zur Sicherheit überträgt W der B das Anwartschaftsrecht an den von G erworbenen 50 Flaschen Beerenauslese, bedingt sich jedoch aus, den Wein weiterhin bei sich zu lagern. Doch schon wenige Tage später lässt Ulrich Ungeduld (U), ein Gläubiger des W, den gesamten Lagerbestand des W durch den Gerichtsvollzieher pfänden. B, deren Zweigstellenleiter inzwischen von den steigenden Preisen der Weine des W gehört hat, bezahlt darauf für W den noch bei G offen stehenden Kaufpreis für die 50 Flaschen Beerenauslese.

Frage 1: Kann L von W Herausgabe der 80 Kisten Spätlese verlangen, wenn W den Kaufpreis für diese Lieferung zwischenzeitlich an G bezahlt hat?

Frage 2: Kann B gegen die Pfändung der 50 Flaschen Beerenauslese vorgehen?

Anhang:

§ 771 ZPO Drittwiderspruchsklage (1) Behauptet ein Dritter, dass ihm an dem Gegenstand der Zwangsvollstreckung ein die Veräußerung hinderndes Recht zustehe, so ist der Widerspruch gegen die Zwangsvollstreckung im Wege der Klage bei dem Gericht geltend zu machen, in dessen Bezirk die Zwangsvollstreckung erfolgt. (2) ... (3) ...

§ 803 ZPO Pfändung Die Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen erfolgt durch Pfändung

§ 804 ZPO Pfändungspfandrecht (1) Durch die Pfändung erwirbt der Gläubiger ein Pfändungspfandrecht. ...

§ 808 ZPO Pfändung beim Schuldner (1) Die Pfändung der im Gewahrsam des Schuldners befindlichen körperlichen Sachen wird dadurch bewirkt, dass der Gerichtsvollzieher sie in Besitz nimmt. (2)...

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Lösungsskizze

A. Frage 1: Anspruch L gegen W auf Herausgabe der 80 Kisten Spätlese gem. § 985 I. Besitz des W (+) II. Eigentum des L (-) 1. Ursprünglicher Eigentümer G 2. Eigentumserwerb G-L durch Eigentumsübertragung gemäß § 929 S. 1, 931 (-) a) Zunächst Eigentumserwerb des L (+), aa) Einigung (+) bb) Übergabe /Übergabesurrogat (+) cc) Berechtigung des G (+) b) Verlust des Eigentums an W durch Zahlung des Kaufpreises W-G gem. §§ 158, 161 Abs. 1 S. 1 (+) aa) Voraussetzungen: des § 161 Abs. 1 S. 1 (+) bb) Kein gutgläubig „lastenfreier“ Erwerb durch L gem. §§ 161 Abs. 3, 934 (+) (1) Gutgläubigkeit des L (+) (2) Aber: Eingreifen der Ausnahmeregelung § 936 Abs. 3 (unmittelbar, wenn § 936 I zwischengeschaltet wurde (s.o.), sonst analog) (+) III. Ergebnis Frage 1: Anspruch L gegen W auf Herausgabe des Weins aus § 985 (-) B. Frage 2: Vorliegen der Voraussetzungen für eine Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) des B gegen U wegen der Pfändung der 50 Flaschen Beerenauslese I. Eigentumserwerb der B (+) 1. Erwerb des Anwartschaftsrechts (wesensgleiches Minus zum Vollrecht) gem. 930 (+) 2. Eintritt der Bedingung (+) II. Erwerb lastenfreien Eigentums durch B? III. Ergebnis

Lösung: A. Frage 1: Anspruch L gegen W auf Herausgabe der 80 Kisten Spätlese gem. § 985 I. Besitz des W (+) II. Eigentum des L (-) 1. Ursprünglicher Eigentümer G 2. Eigentumserwerb G-L durch Eigentumsübertragung gemäß § 929 S. 1, 931 (-) a) Zunächst Eigentumserwerb des L (+), aa) Einigung (+) 3

bb) Übergabe /Übergabesurrogat (+) Übergabe (-) aber Übergabesurrogat gem. § 931 (+), da G dem L seinen (verhaltenen) Herausgabeanspruch gegen W aus dem Vorbehaltsverkauf (§§ 449 Abs. 2, 346) abgetreten hat. cc) Berechtigung des G (+) Zum Zeitpunkt der Übereignung an L war G (noch!) Eigentümer des Weins. Die vorherige bedingte Übereignung des Weins von G an W steht dem nicht entgegen, da W zunächst mangels vollständiger Kaufpreiszahlung (=aufschiebende Bedingung gem. § 158) noch nicht Eigentümer geworden ist. Zwar hat W mit der bedingten Übereignung G-W ein Anwartschaftsrecht an dem Wein erlangt. Aus § 161 („insoweit“) ergibt sich jedoch, dass das Anwartschaftsrecht des Erwerbers bis zum Eintritt der Bedingung keinen Einfluss auf die zwischenzeitliche Verfügungsbefugnis des Eigentümers hat. b) Verlust des Eigentums an W durch Zahlung des Kaufpreises W-G gem. §§ 158, 161 Abs. 1 S. 1 (+) L könnte sein Eigentum jedoch durch die Kaufpreiszahlung W-G an W verloren haben, da damit die aufschiebende Bedingung (§ 158) für die Eigentumsübertragung G-W eingetreten ist. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob einem solchen nachträglichen Eigentumserwerb des W nicht die Tatsache entgegensteht, dass zwischenzeitlich nicht mehr G, sondern L Berechtigter ist. Dies wäre jedoch dann nicht der Fall, wenn der Eigentumserwerb des W durch § 161 Abs. 1 S. 1 geschützt wäre. Beachte: Nach § 161 Abs. 1 S. 1 sind als Folge der bedingten Verfügung über ein Recht (etwa das Eigentum) weitere Verfügungen des Rechtsinhabers während der Schwebezeit mit dem Eintritt der Bedingung insoweit unwirksam, als diese weiteren Verfügungen die von der Bedingung abhängige Wirkung vereiteln (absolute Unwirksamkeit der Zweitverfügung). Für die Eigentumsübertragung unter Eigentumsvorbehalt bedeutet dies: Der Zweiterwerber kann zwar von dem (Noch-)Eigentümer auch während der Schwebezeit vorübergehend(!) Eigentum erwerben. Mit dem Eintritt der Bedingung im Verhältnis Eigentümer/Ersterwerber springt das Eigentum jedoch auf den Ersterwerber über. Die Vorschrift des § 161 ist damit der eigentliche Kern des Anwartschaftsrechts beim bedingten Erwerb beweglichen Sachen. Das Eigentum des ursprünglichen Eigentümers an der unter Eigentumsvorbehalt veräußerten Sache ist letztlich mit dieser Anwartschaft (besser: der Wirkung des § 161) wie mit einem beschränkt dinglichen Recht „belastet“. Auch der Zweiterwerber kann folglich grundsätzlich nur das insoweit belastete Eigentum erwerben, was seinen Eigentumserwerb letztlich hindert. aa) Voraussetzungen: des § 161 Abs. 1 S. 1 (+) bb) Kein gutgläubig „lastenfreier“ Erwerb durch L gem. §§ 161 Abs. 3, 934 (+) Beachte: § 161 Abs. 3 erklärt zugunsten des Zweiterwerbers die Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten für anwendbar, d.h. bei Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 932 ff. auf Seiten des Zweiterwerbers (guter Glaube an das Nichtbestehen eines Anwartschaftsrechts) kann dieser Eigentum erwerben. Streitig, aber ohne Auswirkung auf das Ergebnis, ist lediglich, ob §§ 932-934 unmittelbar Anwendung finden, oder ob § 936

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(gutgläubiger „lastenfreier“ Erwerb) zwischengeschaltet werden muss (zum Streitstand vgl. Döring, NJW 1996, 1445). Unabhängig von der Beantwortung der vorgenannten Frage kommt für einen gutgläubigen „lastenfreien“ Zweiterwerb von Vorbehaltsgut unter den Erwerbstatbeständen (§§ 932-934) regelmäßig nur § 934 (Abtretung des Herausgabeanspruchs) in Betracht, da die Sache dem Ersterwerber üblicherweise zuvor vom Eigentümer übergeben wird. Nach ganz h.M. ist der Eigentümer dabei aufgrund des zwischen ihm und dem Ersterwerber bestehenden Besitzmittlungsverhältnisses (§ 449 Abs. 2) als mittelbarer Eigenbesitzer anzusehen, so dass ein gutgläubiger Zweiterwerb vom Nichtberechtigten nach § 934 1. Alt. bereits dann möglich ist, wenn der Zweiterwerber zum Zeitpunkt der Abtretung gutgläubig ist. (1) Gutgläubigkeit des L (+) Beachte den von § 932 („entsprechende Anwendung“) abweichenden Bezugspunkt des guten Glaubens: Nichtbestehen eines Anwartschaftsrechts statt Eigentum (2) Aber: Eingreifen der Ausnahmeregelung § 936 Abs. 3 (unmittelbar, wenn § 936 I zwischengeschaltet wurde (s.o.), sonst analog) (+) (a) Fall des § 931, hier (+), da L das Eigentum durch Abtretung des Herausgabeanspruchs des G gegen W erlangt hat; (b) „Dritter Besitzer“, gegen den sich der abgetretene Herausgabeanspruch richtet, ist zugleich Inhaber des Rechts, dessen Erlöschen nach § 936 I in Rede steht. (hier (+), da dem W als Besitzer des Weins zum Zeitpunkt der Zweitveräußerung durch G auch das Anwartschaftsrecht an dem Wein zustand. Beachte: Damit scheidet ein gutgläubiger „lastenfreier“ Zweiterwerb einer unter Eigentumsvorbehalt veräußerten Sache in der Standardkonstellation (Übergabe der Sache an Ersterwerber) aus. III. Ergebnis Frage 1: Anspruch L gegen W auf Herausgabe des Weins aus § 985 (-) B. Frage 2: Vorliegen der Voraussetzungen für eine Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) des B gegen U wegen der Pfändung der 50 Flaschen Beerenauslese Dazu müsste der B als „Dritter“ i.S.d. Vorschrift ein die Veräußerung (= Verwertung) hinderndes Recht (Interventionsrecht) an dem Wein zustehen. In Frage kommt hier nur das lastenfreie Eigentum an dem Wein. Beachte: Bei § 771 ZPO, auf dessen Einzelheiten im Rahmen einer zivilprozessrechtlichen Lehrveranstaltung näher einzugehen sein wird, handelt es sich um eine materiell-rechtliche Gestaltungsklage im Rahmen der Zwangsvollstreckung. Mit dieser Klage kann sich der Inhaber von Rechten (Eigentum ans Sachen, Forderungen) dagegen wehren, dass im Rahmen der Zwangsvollstreckung gegen eine andere Person (Vollstreckungsschuldner) in die genannten Rechte vollstreckt wird. Hauptanwendungsfall ist die Pfändung von beweglichen Sachen, die sich im Gewahrsam des Vollstreckungsschuldners befinden, jedoch im Eigentum einer anderen Person (des „Dritten“) stehen. Das Interventionsrecht des § 771 ZPO spiegelt damit letztlich nur den Inhalt des Eigentums als des dinglichen Vollrechts an der gepfändeten Sache wider. Das Eigentum beinhaltet neben dem Recht zum Besitz der Sache (gesichert durch den Herausgabeanspruch des Eigentümers 5

gegen den Besitzer aus § 985) nämlich auch das Recht zur Veräußerung (=Verwertung) der Sache. Grundsätzlich kann ein Nichtberechtigter daher die Sache nicht veräußern und damit für sich verwerten (Ausnahme: gutgläubiger Erwerb gem. §§ 932 ff. als Ausprägung des Verkehrschutzes, dann aber § 816 Abs. 1 gegen den Nichtberechtigten zugunsten des Eigentümers). Soll die Sache nun aber nicht durch den Besitzer selbst, sondern zur Befriedigung eines seiner Gläubiger verwertet werden (Pfändung), steht dem Eigentümer gegen dieses Vorgehen die Drittwiderspruchsklage des § 771 ZPO zur Verfügung. Letztlich setzt eine Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO damit ebenso wie der Herausgabeanspruch aus § 985 das (lastenfreie) Eigentum des Anspruchsinhabers voraus. Aus diesem Grunde ist die Vorschrift (trotz ihrer Verortung in der ZPO!) ein beliebter „Aufhänger“ in sachenrechtlichen Klausuren, in denen das Eigentum an beweglichen Sachen bzw. deren Belastung mit Pfandrechten/Pfändungspfandrechten zu prüfen ist.

I. Eigentumserwerb der B (+) Ein Eigentumserwerb der B ist zu bejahen, wenn B von W ein Anwartschaftsrecht an dem Wein erworben hat und die zugrunde liegende Bedingung nach § 158 eingetreten ist. 1. Erwerb des Anwartschaftsrechts (wesensgleiches Minus zum Vollrecht) gem. 930 (+) W und B haben sich darüber geeinigt, dass B das Anwartschaftsrecht des W an dem Wein zur Sicherung der Darlehensforderung der B gegen W erwerben sollte. An Stelle der Übergabe wurde zwischen W und B ein Besitzmittlungsverhältnis i.S.d. § 868 vereinbart (Sicherungsabrede). Da W das Anwartschaftsrecht an dem Wein zuvor rechtswirksam von G erworben hatte (s.o.), war W zu dessen Übertragung auch berechtigt. 2. Eintritt der Bedingung (+) Mit der Zahlung des Kaufpreises aus dem Kaufvertrag G-W durch B ist die dem Anwartschaftsrecht an dem Wein zugrunde liegende Bedingung eingetreten.

II. Erwerb lastenfreien Eigentums durch B? Fraglich ist aber, ob B mit dem Eintritt der Bedingung lastenfreies Eigentum erworben hat, oder ob zwischenzeitlich durch die Pfändung bei W ein wirksames Pfändungspfandrecht (§ 804 ZPO) zugunsten des U entstanden ist. Dies hängt davon ab, ob sich der Eigentumserwerb der B mit dem Eintritt der Bedingung direkt zwischen dem ursprünglichen Eigentümer G und B vollzieht (dann kein wirksames Pfändungspfandrecht, da ein solches nach h.M. nur an Sachen des Schuldners entstehen kann), oder ob der Eigentumserwerb der B – zumindest für eine juristische Sekunde – über den zwischenzeitlich Anwartschaftsberechtigten W erfolgte (dann wirksames Pfändungspfandrecht des U, welches dem Erwerb lastenfreien Eigentums durch B und damit der Klage aus § 771 ZPO entgegensteht). Nach ganz h.M erwirbt der Anwartschaftsberechtigte das Eigentum unmittelbar und nicht nach Durchgangserwerb seines Vorgängers, vgl. BGHZ 20, 88; 28, 16, 22. III. Ergebnis Die Voraussetzungen für eine Drittwiderspruchsklage der B gegen U liegen vor. 6

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