1. Leben unter der Macht Gottes

1. Leben unter der Macht Gottes Es gibt Tage in unserem Leben, die uns nicht gefallen. Das liegt nicht etwa daran, dass sich schwerwiegende und notvo...
Author: Jörn Vogt
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1. Leben unter der Macht Gottes

Es gibt Tage in unserem Leben, die uns nicht gefallen. Das liegt nicht etwa daran, dass sich schwerwiegende und notvolle Dinge ereignen oder wir von Hiobsbotschaften heimgesucht werden, sondern an dem gleichförmigen Ablauf des Tages, in dem keine Spannung liegt. Vielleicht sind wir auch müde und abgekämpft. Wir explodieren sehr schnell, das kleinste Missgeschick der Kinder regt uns auf; und kommt abends der Mann abgeschafft nach Hause, dann wird auch er noch in unsere schlechte Laune mit hineingezogen. Ich kenne solche Zeiten, und im Nachhinein schäme ich mich ihrer. Gerade die Tage, die hinter mir liegen, waren alles andere als schön und fruchtbringend für mich. Unsere Kinder hatten Ferien. Wir haben fünf, mit allem, was dazugehört: laute Musik, viele Freunde, kleine Streitereien und ständig neue Pläne. Das Wort „Mutti, Mutti“ konnte ich gar nicht mehr hören. Mir war alles zu viel, ich ärgerte mich über jede Kleinigkeit, brüllte die Kinder an und tat meine Arbeit nur widerwillig. In einer stillen Stunde wurde mir klar: So kann das nicht weitergehen. Ich versuchte, mich freizumachen von allem, was an mir zerrte und riss, und 7

ließ meine Gedanken hinwandern zu Gott. Von dort erhoffte ich mir neuen Auftrieb. Es ist sehr heilsam und nötig, ab und zu an den Nullpunkt zu kommen, wo alles Bauen auf eigene Kraft und Energie zunichte wird, und sich auf das zu besinnen, was wesentlich, heilbringend und aufbauend ist. Ich wollte mir ganz bewusst Gottes Handeln an mir vor Augen führen und mich freuen lernen an dem, was Gott für mich getan hat und noch an mir tut. Ich war selbst überrascht, wie die Beschäftigung mit Gottes Macht in meinem Leben mich herausriss aus aller Trübsinnigkeit und Schwermut, wie ich wieder tief durchatmen konnte, plötzlich weiten Raum um mich verspürte und nicht mehr von all den hundert Kleinigkeiten untergebuttert wurde. Ich fing wieder an, selbst zu leben und wurde nicht nur gelebt. Ich begann mich zu freuen, und die schlechte Laune war wie verflogen. Mein Blick war nicht mehr auf die viel zu hohe Telefonrechnung, auf die zertrümmerte Fensterscheibe gerichtet, in die unser Fünfjähriger einen Stein geworfen hatte, oder auf die herumliegenden Schuhe, Mützen und Taschen, sondern auf Gottes Wirken. Mich störte nicht mehr der hereingeschleppte Schnee, der sich auf dem Parkett zu schmutzigen Wasserpfützen verwandelte, und das sonst laute Schallplattengeplärr der Jungen erreichte mein Ohr nicht mehr. Ich hörte auf eine andere Melodie, auf das neue 8

Lied, das mir Gott in mein Herz gegeben hatte. Ich wurde von großem Staunen erfüllt. Wie es dazu kam, möchte ich an einigen Punkten deutlich machen.

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2. Von Christus ergriffen

Gottes Macht zeigt sich in meinem Leben darin, dass er einen Anfang mit mir wagte und mich hineinzog in seine Gemeinschaft. Wenn ich an meine Kindheitstage denke, dann waren sie alles andere als schön. Umsiedlung in einem großen Treck von Bessarabien am Schwarzen Meer, jahrelanges Lagerleben mit Hunger und Isolierung von der Außenwelt, auf engstem Raum zusammengedrängt. Dann Neuansiedlung in Polen und Flucht 1945 vor den Russen. Bei 20 Grad Kälte flüchteten wir auf offenen Pferdewagen in Eis und Schnee. In dieser Zeit ernährten wir uns von getrockneten Semmeln und Milch, die wir mit großer Mühe abends aus 20-Liter-Kannen mit einem Löffel abkratzten, weil sie hart gefroren war. Jeder kam einmal an die Reihe und musste kräftig schaben. Die Flucht endete damit, dass wir über viele Jahre hinweg in äußerster Armut und in Heimatlosigkeit leben mussten. Ich litt sehr darunter, und die Frage nach dem Sinn des Lebens brach mit aller Gewalt in mir auf. In dieser kummervollen Zeit wurde ich von Christen zu einer Freizeit eingeladen. Begeistert ging ich dorthin, bedeutete doch diese Tagung für mich eine 10

willkommene Abwechslung und Unterbrechung meines öden Daseins. Ich hatte mir vorgestellt, dass wir mit anderen jungen Leuten Wanderungen unternähmen, Spiele machen, Probleme diskutieren und Kontakte knüpfen würden. Und nun war ich in einen Kreis junger Menschen geraten, die sich fast den ganzen Tag über nur mit der Bibel beschäftigten. Ich dachte, das kann doch nicht wahr sein, dass junge Männer und Mädchen fast ausschließlich die Bibel lesen und sich damit auseinander setzen. Das ist doch etwas für alte Leute, aber nicht für junges Volk! Ich wäre am liebsten nach dem dritten Tag abgereist, wenn ich nicht bei einer so liebenswürdigen, freundlichen Witwe untergebracht worden wäre. Als sie bemerkte, dass ich gar kein Nachthemd besaß, steckte sie mich in ein Unterhemd ihres im Krieg gefallenen Mannes, das mir bis weit über die Knie reichte. Vor dem Schlafengehen kochte sie immer noch ein Glas Tee und stellte mir leckere Weihnachtsplätzchen hin. Zum Frühstück holte sie aus der Speisekammer rote Wurst und Schinken. Für mich waren dies köstliche Delikatessen. Ich war sehr unglücklich in jenen Tagen, bis ich entdeckte, dass diese jungen Menschen etwas hatten, was mir fehlte, die Geborgenheit in Gott. In mir brach ein Sehnen nach Gott auf. Als dann 11

einmal das Lied mit dem Refrain gesungen wurde: „Es ist das Kreuz auf Golgatha, Heimat für Heimatlose“, da zog es mich mit aller Macht zu Gott. Es war eine entscheidende Stunde meines Lebens, als ein Prediger mir im Sprechzimmer das Wort aus Hosea 2,21mit auf den Weg gab: „Ich will mich mit dir verloben in Ewigkeit; ich will mich mit dir verloben in Gerechtigkeit und Gericht, in Gnade und Barmherzigkeit. Ja, im Glauben will ich mich mit dir verloben, und du wirst den Herrn erkennen.“ Am Bild der Ehe machte er mir deutlich, dass Gott an meinem Leben so interessiert ist, dass er einen Bund mit mir eingeht, der von seiner Seite aus nie gebrochen wird. Auch wenn ich untreu werde, bleibt Gott treu und bringt mich an sein Ziel. Dieses Wort ist in all den Jahren mit mir gegangen. Das war der Beginn von Gottes machtvollem Eingreifen in mein kümmerliches Dasein. Plötzlich war ich nicht mehr das arme, elende, leidende Flüchtlingsmädchen, obwohl ich in die alten Verhältnisse wieder zurückging, sondern Gottes Kind, das sich von ihm geliebt wusste und das an der höchsten Stelle akzeptiert und angenommen war. Ich kann gar nicht mehr sagen, wie glücklich ich war, als ich plötzlich Gottes Adel an mir trug und nicht mehr unter dem Makel eines Zigeunerlebens zu leiden hatte. Mitten in aller Not und Zerrüttung hatte ich Gottes Hand ergriffen, der wie ein 12

Fels in der Brandung stand, und hatte zu seiner Herrlichkeit Zuflucht genommen. Im Kreuz des Herrn Jesu war jetzt mein Zuhause, und ich konnte froh und dankbar mit in das Lied einstimmen: „Es ist das Kreuz auf Golgatha, Heimat für Heimatlose.“ Das war für mich der Beginn von Gottes Macht. Seitdem ist das Kreuz Christi für mich der schönste Ort, da Gott seine Liebe zu mir offenbar gemacht und seinen Sohn Jesus geopfert hat.

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3. Wozu Hebräisch gut sein kann

Aus diesem Erleben folgte für mich, dass ich fortan im Dienst für Gott stehen wollte. Nach dem Abitur studierte ich Theologie. Für mich war klar, dass ich einmal nicht heiraten würde. All die Prädikate, die meine Freundinnen für sich in Anspruch nehmen konnten, waren mir versagt. Ich war nicht schön. Manchmal kam ich mir vor wie ein hässliches Entlein. Mein Gesicht war über und über mit roten Pickeln besät, mein Kopf schien viel zu schwer für meinen zarten Körperbau zu sein, und in stillen Stunden litt ich darunter. Nie würde ein junger Mann einen Blick auf mich werfen, also stürzte ich mich auf mein Studium und lernte zunächst Hebräisch und Griechisch. Ich hatte die Sache der Ehe an Gott abgegeben und war trotz schweren Herzens mit seiner Führung einverstanden, ganz gleich, wie meine Zukunft aussehen würde. Zu dieser Entscheidung bewog mich auch das Wort: „Ziehet nicht am fremden Joch mit den Ungläubigen“ (2. Korinther 6,11). Die gläubigen jungen Männer waren in den 50er bis 60er Jahren sehr rar in unseren Jugendbünden. Und da die Schönen im Vorteil waren, rechnete ich mir keine Chance einer Heirat aus. 14

Ich erinnere mich noch, als wäre es heute gewesen. Es war ein schöner, sonniger Tag im Mai. Vor der Universität stand eine große alte Linde, um ihren Stamm war eine runde Bank gebaut. Auf ihr hatte ich es mir bequem gemacht und versuchte, einige Verse aus dem Buch Josua vom Hebräischen ins Deutsche zu übersetzen. Es war eine mühevolle Plagerei. Die Sätze wollten sich einfach nicht aneinander reihen lassen. Neben mir saß ein junger Mann, den ich schon einmal im Studentenbibelkreis kennen gelernt hatte. Er schien mich beobachtet zu haben, denn plötzlich sprach er mich an: „Na, haben Sie Schwierigkeiten mit dem hebräischen Text? Kann ich Ihnen vielleicht helfen?“ Für diesen jungen Mann aus einem höheren Semester war das Kapitel aus Josua keine Schwierigkeit. Er übersetzte mir die Verse fließend herunter und fügte noch hinzu: „Sollten Sie wieder einmal mit einem Abschnitt nicht zurande kommen, ich helfe Ihnen gerne.“ Dieses Angebot nahm ich natürlich mit Freuden an. So traf ich mich regelmäßig mit diesem jungen Theologen in den Räumen der Studentenmission und übersetzte mit ihm Hebräisch. Ich wurde regelrecht in Hebräisch getrimmt, jeden Tag war ein anderes Kapitel an der Reihe. Mir war das nur recht, denn ich wollte in einem Semester die Prüfung ablegen. 15

Am 25. Juli war der Termin für die schriftliche Arbeit. Am Tag davor sollte noch einmal das Wichtigste wiederholt werden. Aber daraus wurde nichts. Ich saß dem Theologiestudenten gegenüber und fiel aus allen Wolken, als er zaghaft die Frage über die Lippen brachte: „Ich habe den Eindruck, Fräulein Hannemann, Gott hat uns beide zusammengeführt. Wollen Sie nicht meine Frau werden?“ In unseren Ehering ließen wir später das Datum „24.7.1955“ eingravieren, und das Wort, das wir uns von Gott für unseren Lebensweg erbeten hatten: „Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen und der Bund meines Friedens nicht hinfallen“ (Jesaja 54,10). Auch in Bezug auf meine Ehe erlebte ich Gottes machtvolle Führung. Er wusste, mein Mann und ich sind ein ungleiches Paar, aber doch eine wunderbare Ergänzung. Die Liebe Jesu Christi ist das Band, das uns miteinander verbindet. Dass ich am nächsten Tag, ganz zum Erstaunen der anderen Examenskandidaten, fröhlich und unbekümmert zur Prüfung erschien, brauche ich sicher nicht zu erwähnen. Ich wusste ja, falls ich durch das Examen fallen würde, ist es nicht so schlimm, ich heiratete sowieso. Aber ich habe es dann doch noch ganz gut geschafft. Als wir dann heirateten, verließ ich die Universität und wurde von der Studentin zur Hausfrau 16

umfunktioniert. Aber die Liebe zur Theologie ist mir geblieben, und bis heute vertiefe ich mich gerne in die theologische Literatur.

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