Die neue Isar Renaturierung, kulturelle Öffnung und Ideen-Fluß, Geschichtliches wie Literarisches / 1. Band

Band VI der Reihe »Nymphenspiegel« Herausgegeben von Ralf Sartori Mit ausführlichen Hintergrund-Beiträgen von Nico Döring, Walter Binder, Georg Jochum und Julia Düchs, mit Texten von Helmut Ruge und anderen sowie Interviews mit Rudolf Müller und Ilonka Erlenbach im Nymphenburg-Kapitel

Oktober 2010 © 2010 Buch&media GmbH, München Umschlaggestaltung: Kay Fretwurst, Freienbrink nach Photos von Ralf Sartori Herstellung: Books on Demand GmbH, Norderstedt issn 2191-1371 Printed in Germany · isbn 978-3-86520-381-6 Weitere Informationen zum gesamten »Nymphenspiegel«-Kulturprojekt, zu dessen Offenen Künstlertreffs, Literarischen Salons, Maleratelier- und Künstlerfesten, unter www.nymphenspiegel.de oder beim Herausgeber direkt

Inhalt Ansätze einer Zusammenführung von Natur, Technik und Kultur

10 Zu neuen Ufern 11 Zur Vorgeschichte des »Nymphenspiegels« und Weiteres zur »Isar-Trilogie« 13 Der Fluß – Befreiung, Wandel und die Rück- kehr des Utopischen  Ralf Sartori 18

Gedichte von Helmut Ruge und Ralf Sartori

Die Utopische Insel – zum historischen Wandel von Nutzung und Gestaltung der Münchner Museumsinsel 24 Die Flößerei auf der Isar 29 Die ökonomische Bedeutung der Isar für das vorindustrielle München 31 Die Verwandlung der Ströme 38 Die Verwandlung der Utopischen Insel : Von der Kohleninsel zur Museumsinsel 44 Inselutopien 49 Die Utopische Insel im Fluß der Zeit: die Frage der Renaturierung  Georg Jochum 22

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Utopien und der »Nymhenspiegel«  Ralf Sartori

55 Einheit von Form und Inhalt 55 Natur und Kultur in der »Isar- Trilogie«   Ralf Sartori 56

Gedichte von Maria Jolanda Boselli

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Die »Isar-Allianz« und ihr Anteil an der Isar-Renaturierung in München  Nico Döring (Gründer der »Isar-Allianz und ehem. Koordinator)

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Gedichte von Maria Jolanda Boselli und Helmut Ruge

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Leben im Fluß, ein Portrait über Dr. Nico Döring Ralf Sartori

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Gedicht von Sabine Bergk

66 Die Isar in München und der »Isar-Plan« 66 München als Stadt am Fluß 67 Die Regulierung der Isar 69 Das Projekt »Isar-Plan« 69 Anfänge – Visionen 70 Die 1995 gegründete Arbeitsgruppe »Isar- Plan« 71 Die ersten Umbaumaßnahmen – Überzeu- gungsarbeit und Erfolge 71 Der Planungsabschnitt III – Neue Herausfor- derungen 73 Der Abschluß des Projekts naht   Julia Düchs (Europäische Ethnologin und Volkskundlerin) 76

Gedichte von Maria Jolanda Boselli und Ralf Sartori

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Zu den Anfängen: Die Naturschutzbewegung am Ende der 80er Jahre  Nico Döring

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Gedicht von Helmut Ruge

Gründung der »Isar-Allianz« und das Ringen um Fluß-Renaturierungen am Beispiel »Mühltal«/ eine Chance auf vielen Ebenen 86 Die Chance 87 Die Restwasserstudie 87 Der erste Schritt: das Zusammenführen der »Isar-Allianz« 90 Zähes Ringen um eine Mühltal-Renaturierung 91 Die Nutzung der Flußlandschaften zur Strom- erzeugung 93 20 + X 94 Verantwortung der Nutzer für die Isar 96 Das Ergebnis 98 Nachsatz  Nico Döring 86

100 Gedicht von Gisela Wimmer

101 Interview mit Walter Binder zur Isar-Renaturierung  Walter Binder (ehem. Leiter des Referats »Gewässerentwicklung und naturnaher Wasserbau im Bayerischen Landesamt für Umwelt«, Mitglied der Planungsgruppe zur Renaturierung der Isar) und Ralf Sartori 118 Gedicht von Gisela Wimmer 119 Erzählung von Veit-Peter Walther 121 Gedichte von Sabine Bergk 122 Landschaft zwischen Schönheit und Wildwuchs Julia Düchs 127 Patriarchat und Gärten  Ralf Sartori 128 Gedichte von Ralf Sartori 129 Die Isar als kultisches Element  Maria-Jolanda Boselli 130 Gedicht von Gisela Wimmer 131 Isar umgekehrt – Münchens Abwässer einst und jetzt 131 Seuchen und Hygiene 132 Flußlandschaft im Norden Münchens 132 Isar – Wasser – Bier – von hier? 133 Isargrüne Hausfassaden im alten München D. Fuchsberger Englischer Garten, Mythos Schwabing – und zu weiteren poetischen Landschaften Des Spiegels Kern mit Nymphenburger Park und dem Botanischen Garten in München

136 Einstiger Nährboden für neue Ideen  Ralf Sartori 137 Texte von Helmut Ruge, Susanne Nazet, Susanna Bummel-Vohland, Hilde Sauer, Maria Jolanda Boselli, Ralf Sartori und Reiner Borner 150 Ein Nymphenburger Portrait Interview mit Ilonka Erlenbach 150 Nymphenburg und die Familie 151 Die »Weiße Rose« 155 Die Stiftung 162 »BISS«  Ilonka Erlenbach, Ralf Sartori 166 Gedicht von Maria Jolanda Boselli

167 Der Nymphenburger Wasserschlitten  Albrecht Vorherr (ehem. Kastellan von Schloß Nymphenburg) 169 Interview mit Rudolf Müller Rudolf Müller (Technischer Leiter des Botanischen Gartens), Ralf Sartori »Nymphenspiegel«Bereiche: Netzwerk, neue Bohème, Kulturpartner, Redaktion und Forums-Leitung

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Entwicklung und Weg der letzten Jahre Nymphenspiegel-Kultur-Forum Netzwerk – Offene Salons – Künstlerfeste – Tango-Ateliers – mit literarischen Jahrbüchern Künstler helfen Künstlern, kollegial, kostenlos und auf Gegenseitigkeit – ein Forum innerhalb des NymphenspiegelNetzwerks  Ralf Sartori

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Kontakt zu Redaktion Herausgeber und Forums-Leitung Die 17 Autor(inn)en dieser Ausgabe Mäzene, Förderer und Sponsoren Privat-Kulturpat(inn)en

Ansätze einer Zusammenführung von Natur, Technik und Kultur

Zu neuen Ufern Das »Nymphenspiegel Kultur Forum« paßt in keine Schublade, oder positiv ausgedrückt: Es stellt ein organisches Gesamtkunstwerk dar: in Form eines freien, offenen und informellen Gebildes, bestehend aus Jahrbüchern, an künstlerischer Qualität orientierten Veranstaltungen und so etwas wie einer wachsenden Bohème drum herum. Literarisch und fachlich wechselt der »Nymphenspiegel« nun schwerpunktmäßig von den Münchner Gärten als den inspirativ-künstlerischen und themengebenden Orten zur städtischen Isar, da dort bedeutende Veränderungen im Gange sind, mit nachhaltigen Auswirkungen auf Stadtplanung, urbane Kultur, philosophisch-soziologische Konzepte und vieles andere mehr. In diesem Band der »Isar-Trilogie« wird nun erstmals die ganze Geschichte der Isar-Renaturierung erzählt, ausgehend von der Umweltbewegung der 80er Jahre, aus der die »Isar-Allianz« hervorging. Diese setzte Mitte der 90er Jahre im Mühltal, südlich Münchens, im Zusammenhang mit fällig gewordenen Neu-Konzessionierungen von Wasser-Kraftwerken unter großen Widerständen seitens Politik, Verwaltungen und Betreibern, die ersten Renaturierungsmaßnahmen in jenem Abschnitt durch. Später brachten Vertreter dieser »Allianz« das Isar-Renaturierungsprojekt in München, zu dem dort bereits erste Vorüberlegungen und eine allgemein formulierte Stadtratsentscheidung bestanden hatten, nach langer Zeit des Stillstandes wieder auf die Agenda und wirkten als treibende Kraft seiner Umsetzung. Das Buch erläutert diese Maßnahmen und ihr Zustandekommen und läßt dazu ganz unterschiedliche Autor(inn)en zu Wort kommen. Es gewährt aber auch, gründlich recherchiert, den Blick hinter die Kulissen der an diesem Großprojekt beteiligten Verbände, Verwaltungen und Institutionen aus Politik und Wirtschaft bei deren Entscheidungen und Vorgehen: zumindest soweit dies im Sinne einer künftigen Zusammenarbeit aller Beteiligten – zum Wohle von Isar, Mensch und Natur – noch vertretbar erscheint. Denn eines wird in diesem Band auch deutlich: daß es sich bei allen Plänen nur um offene und dynamische Konzepte handeln kann, deren Umsetzung noch lange nicht abgeschlossen sein wird, auch wenn dies von offizieller Seite allgemein immer wieder postuliert wird. Und es zeigt auf, daß solch großangelegte 10

Flußbau-Maßnahmen in einer Stadt auch grundsätzliche städteplanerische Überlegungen mit anstoßen sowie diese weiterführend erforderlich machen: Ein »Domino-Effekt«, der noch dadurch verstärkt wird, daß die Entscheidung, einem Fluß wieder mehr Freiheit zu geben und ein höheres Maß seiner Naturhaftigkeit auch im städtischen Bereich zuzulassen, neben den verschiedensten Interessen von Freizeitgestaltung, Hochwasser- und Denkmalsschutz sowie der Ökologie, auch von grundsätzlich philosophischer und sozio-kultureller Relevanz ist. Daher werden in diesem Band, neben dem Biologen, Begründer und ehemaligen Koordinator der »Isar-Allianz«, Nico Döring und dem ehemaligen Leiter des Referats »Gewässerentwicklung und naturnaher Wasserbau im Bayerischen Landesamt für Umwelt«, Walter Binder, auch die Ethnologin Julia Düchs sowie der Geistes- und Sozialwissenschaftler Georg Jochum, der für das Deutsche Museum arbeitet, zu Wort kommen. Letzterer begreift in seinem Essay die Isar-Renaturierung auch als Zeichen und Beispiel für einen längst fälligen und sich oft noch schleppend vollziehenden Paradigmenwechsel in unserem Denken und Handeln, weg von der Bacon’schen Utopie (Francis Bacon: engl. Philosoph) grenzenloser technischer Kontrolle und Beherrschbarkeit des Lebens und der Natur, hin zu einer Utopie der Synthese und des Ausgleichs zwischen Natur, Mensch und Technik, verbunden mit der Forderung, Grenzen auch zu respektieren und freiwillig zu wahren. Diesen Paradigmenwechsel fordert er darin auch für das Deutsche Museum ein, das bisher, seiner Ansicht nach, noch zu sehr den traditionellen technischen Fortschrittskonzepten folge. Er entwirft die Vision eines Wandels der Museumsinsel. Seiner Ansicht nach sollte sich diese zu einer »Utopischen Insel« entwickeln, welche die Richtung weist hin zu einer Vermittlung zwischen der Welt der Natur und Welt der Technik. Daß aber der »Nymphenspiegel«, in dessen Reihe diese »Isar-Trilogie« erscheint, noch sehr viel mehr Aspekte zu einem Thema in sich vereint als interdisziplinär-wissenschaftliche wie auch journalistische – und welche dies sind, soll unter den nächsten Überschriften kurz dargestellt werden.

Zur Vorgeschichte des »Nymphenspiegels« und Weiteres zur »Isar-Trilogie« In diesem Band fallen die engen Grenzen der Zäune – von der Isar fortgespült: Denn er wendet sich von den Münchner Gärten nun einer relativen – bzw. scheinbaren Wild-Landschaft zu, die jedoch gerade wegen jener beiden Attribute vielleicht auch wiederum eine Art Garten darzustellen scheint. Es 11

handelt sich um die Ufer- und Flußbettlandschaften der über lange Zeit überregulierten und fast zu Tode gebändigten Isar, die nun mit jahrelangem gestalterischem Aufwand streckenweise renaturiert wurde. Insbesondere wird dabei der Blick auf deren Lauf durch München gerichtet, jedoch nicht nur. Zwar ging es im städtischen Umfeld darum, einen Einklang zwischen ›neu zu erschaffender‹ Naturhaftigkeit und verschiedenen urbanen Belangen zu erzielen, dennoch scheinen bei dieser sog. Renaturierung, auch im Innenstadtbereich, bei weitem nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft worden zu sein. Und ebenso hinsichtlich der Erschließung kultureller Nutzungsmöglichkeiten dürften noch Handlungs-Spielräume wie -Bedarf bestehen. Zu diesen beiden Anliegen an späterer Stelle mehr. Nun aber noch einmal zurück zum Begriff der Renaturierung an sich sowie zum »Nymphenspiegel«: Die Fluß- und Auen-Landschaft der Isar stellt bei aller gebotenen Relativierung dieses hier in aller Munde geführten Schlagworts, aufgrund ihrer Bindung an Wasser und Fluß – verglichen mit ausdrücklicheren Gärten –, dennoch in erhöhtem Maße ein naturhaft-dynamisches Ganzes dar, darüber hinaus auch mit durchlässigen, nach allen Seiten hin offenen Grenzen, als zumeist fließenden Übergängen in andere Landschaftsformen, städtischer, landwirtschaftlicher wie naturbelassenerer Art. Und in dieses wandelbare und facettenreiche Fluß-Umfeld projiziert sich 2010 erstmals der »Nymphenspiegel«, der sich ebenfalls von Ausgabe zu Ausgabe stetig verändert und weiterentwickelt hat. Er spiegelt von nun an diese Fluß-Landschaft wesenhaft wie auch konkret: zu einem kleinen Anteil literarisch und lyrisch, vor allem aber in Fachbeiträgen und Essays, die sich neben isar-historischen und -kulturellen Themen detailliert mit der sog. Renaturierung und deren Hintergründen befassen. Darin wird, neben den bereits vorgestellten Inhalten, auch die Frage aufgeworfen, inwieweit eine bereits vor langer Zeit verlorengegangene Wildlandschaft überhaupt unter den gegebenen Bedingungen reproduzierbar ist und inwieweit sich in diesem Zusammenhang der Begriff »Natur« fassen und definieren läßt. Denn können diese Begriffe, aus heutiger Sicht, nicht vielmehr nur etwas benennen, das wir lediglich in kulturell tradierter oder gewohnheitsmäßig vorausgesetzter Form als vage Vorstellung davon in uns tragen? Stimmen wir dieser These zu, muß dann nicht bereits der Ansatz einer Renaturierung, darüber hinaus noch unter notwendiger Einbeziehung verschiedenster städtischer Erfordernisse, als primär gartenplanerisches Vorhaben gelten? Der Philosophie von Landschaftsparks im Englischen Stil verwandt, in denen es um das künstlerische Nachempfinden und Vortäuschen der Natur in pittoresker Weise geht? Hat sich also womöglich der »Nymphenspiegel« mit seinem Ausflug in die vermeintliche Wildnatur gar 12

nicht so weit aus seiner inspirativen Bindung an die Gärten gelöst? Jedenfalls bleibt sein integrativer Ansatz unverändert bestehen, Gegensätzliches und Kontrasthaftes, wie beispielsweise die unterschiedlichen literarischen Formen – die des Gedichts, der Kurz-Prosa sowie wissenschaftlicher Fachbeiträge – zu ähnlichen oder gleichen Themenbereichen zu verbinden und miteinander, innerhalb eines neu zu gestaltenden Organismus’ Buch, in Wirkung zu setzen. Ein Gärtner verfährt mit seinen Zutaten beim Anlegen eines Gartens schließlich ähnlich. So bleibt auch dieser »Nymphenspiegel« wieder ein Buch, das, gemäß eines arabischen Sprichwortes, ein Garten ist, den man in der Tasche tragen kann. Im Unterschied zu den fachbezogenen Interview- und Essay-Texten dieses Bandes speisen sich die vorwiegend literarischen Texte hierin nun eher aus der Fülle von Analogien, die sich aus dem reichhaltigen Angebot an FlußThematiken um die Isar ergeben sowie der sie umgebenden Illusion und dem Mythos eines Wildflusses. Dabei geht es inhaltlich natürlich in hohem Maße um das Thema »Freiheit«.

Der Fluß – Befreiung, Wandel und die Rückkehr des Utopischen »Freedom’s just another word for nothing left to loose«, besetzen manche in desperadohafter Attitude gerne diesen Begriff. Wohingegen andere ihn eher konstruktiv definieren, daß »Freiheit wählen zu können bedeute«. Doch um etwas erwählen zu können, bedarf es der Fähigkeit, das Unerwählte, die verworfene Entscheidungs-Alternative, erst einmal loszulassen, sich davon zu verabschieden. Was Loslassen bedeutet, führt uns gerade der Fluß beständig vor Augen, der in keinem Moment derselbe ist. Fühlen die einen sich erst halbwegs frei, wenn sie meinen, nichts mehr zu verlieren zu haben, sind sich andere eher mit den Taoisten darüber einig, daß sich wahres Leben ohnehin erst jenseits starrer Bewertungs-Kategorien von »Gewinn« und »Verlust« ereignet und es daher von Bedeutung ist, sich im freiwilligen Loslassen zu üben, sei es von festen Erwartungen, einengenden Vorstellungen und obsoleten Konzepten, vermeintlichen Sicherheiten sowie belastenden Besitztümern etc. Die Sufis, islamische Mystiker, gebrauchen ein anderes Bild, um eine ähnliche Haltung gegenüber der Wirklichkeit auszudrücken: »in jedem Augenblick sterben und in jedem Augenblick neu geboren werden«. Darin gründen für sie Ekstase und mystisches Erleben des unent13

wegt fließenden gegenwärtigen Seins. Ein Bild, das auch Goethe zum Klingen bringt mit den Zeilen Wer’s nicht hat, dies Stirb und Werde, / Ist stets ein trüber Gast auf dieser Erde. Daß es neben den Wüsten und Gebirgen schon immer die Flüsse waren, an denen Menschen die unmittelbare mystische Schau der Wirklichkeit gesucht haben, führen uns auch indische Sadus vor Augen, von denen manche einen Großteil ihres Leben an einem Fluß verbringen, um in der Kontemplation an dessen Sein und Wesen Erleuchtung zu erfahren. Eine der schönsten Erzählungen zu diesen Themen ist gewiß Hermann Hesses »Siddharta«. Ebenso spielt in der christlichen Tradition das fließende Wasser eine zentrale Rolle als Mittel spiritueller Reinigung, Transformation und Initiation, wie es im Ritual der Taufe zum Ausdruck gelangt. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, daß es Münchner Gemeinden gibt, die mittlerweile Isar-Taufen durchführen. Mehr dazu in einem kurzen Beitrag an späterer Stelle. Und auch für gläubige Hindi haben ein Bad und das Untertauchen in einem Fluß, dem Ganges, eine ähnliche Bedeutung, wobei es ebenfalls um »Wiedergeburt« und »Befreiung« geht von irdischem Anhaften, verbunden mit wahrem Erkennen. Was haben wir uns nur angetan, indem wir uns über lange Zeit von der Zugänglichkeit und Erlebbarkeit weitläufig freier Flußlandschaften abgeschnitten – indem wir die tausend lebendigen Stimmen, den Weisheitsklang des Wasser in Betonröhren kanalisiert – und schnell durch unsere Städte hindurchgeleitet haben? Welche Auswirkungen hat so etwas auf unser Lebensgefühl, unsere Gesellschaft und Wahrnehmung von Wirklichkeit, Werten und Mentalität? Doch zurück zum Thema Freiheit: Menschen haben, mehr oder weniger, die Wahl, ob sie ihre Freiheit (wovon – oder wozu auch immer) willentlich gebrauchen, oder im Nichts und im Vakuum von Zuständen der Entscheidungslosigkeit verharren. Und nicht zuletzt ist schließlich auch Letzteres eine Art der Entscheidung, die sich allerdings nicht besonders frei anfühlen dürfte. Jeder reale Gebrauch von Freiheit, in Form einer Wahl, schließt also wiederum unweigerlich einen bewußt in Kauf genommenen Verlust an Freiheit mit ein: in jener Weise, daß jede Wahl, alles, das diese nicht beinhaltet, ausklammert. Doch nicht zu wählen, reduziert den Begriff der Freiheit auf eine rein theoretische Größe. So ist auch diese Form des Isarumbaus, dessen scheinbare Fertigstellung wir eben erleben, als Produkt vieler Interessen, Einflußnahmen und Unterlassungen, nur eine mögliche Variante, die, zumindest vorerst, alle weiteren unverwirklicht läßt. Freiheit bedeutet für den Fluß, seinen Lauf fortwährend fließend, in den 14

eigenen Zyklen von Flut und Niedrigwasser, mitzugestalten – in Reibung und Zusammenwirken mit den ihn umgebenden Landschaften. Doch ist ein Fluß erst dann frei, dies zu tun, wenn er nicht mehr in eine steinerne Rinne gesperrt ist. So wie wir das lange Zeit mit unseren Flüssen zu tun pflegten, um rücksichtslos ihre Kraft auszubeuten und aus Angst vor ihrer unberechenbaren Macht. Seit den nahezu abgeschlossenen Maßnahmen der derzeitigen Renaturierungs-Phase an der Isar erweckt diese tatsächlich den Eindruck, ihren Lauf innerhalb der Dämme viel freier wählen zu können als zuvor. Doch wie weit geht diese Freiheit wirklich, ist sie möglicherweise bloß kosmetischer – also vorgeblicher Natur? Jedenfalls wurden meist nur die sichtbaren UferVerbauungen fortgenommen und häufig durch unterirdische, sogenannte Schlafende – ersetzt, oft sogar in gleicher Uferlinie wie zuvor. Meine vielen Exkursionen an der Isar mit dem Biologen Nico Döring zeichneten jedenfalls ein deutliches Bild davon, daß der Fluß zwar ein wenig renaturiert wurde, er aber seinen Lauf noch nicht so frei verändern kann, wie es, auch unter Einbeziehung des Hochwasserschutzes und der Erfordernisse der Freizeitgestaltung möglich gewesen wäre. Zu einer wirklichen Renaturierung der Isar hätte auch ein zumindest teilweiser Rückgewinn ihrer natürlichen Dynamik gehört, innerhalb der vorgegebenen Grenzen der Hochwasser-Dämme mit gewissen Einschränkungen selbsttätig zu mäandern. Doch dessen ungeachtet: Wo immer ein Fluß fließt, ist Leben, spiegelt sich der Himmel – mit seinen ziehenden Wolken, treibt der ungebundene Wind jederzeit ein glitzerndes Funkeln über die Wellen unberechenbarer Strömungsmuster, die sich dennoch in der Stabilität einer sich stetig neu- und selbstorganisierenden Ordnung halten. Wo ein Fluß fließt, ist Leben, bilden abwechslungsreiche Zufalls-Gärten dessen Ufer, die sich an ihm und mit ihm gemeinsam wandeln im Strome des unentwegt fließenden Seins. Was haben Flüsse also mit Freiheit zu tun? Und was Freiheit mit Leben? So geheimnisvoll und groß beide Begriffe sind, einander verwandt und ineinander verschlungen, so schwer sind sie doch zu fassen! So schwer zu fassen wie ein Fluß! Wie ein Fluß, der ebenfalls nicht gefaßt werden kann, ohne zu sterben. In Staustufen, wo das dennoch geschieht, verschlammt sein Bett, das Wasser wird trübe und beginnt bald faulig zu riechen. Wie fühlt sich ein gestautes Leben an? Wie haltbar ist gestautes Glück? Und wieviel Stau erleben wir doch alle täglich! Von Rabindranath Tagore, dem bengalischen Dichter, stammen die schlichten Zeilen: »Warum verlosch die Lampe? / Ich schützte sie mit meinem Mantel, um sie vorm Sturm zu wahren, deshalb erlosch das Licht. / Warum verwelkte die Blume? / Ich drückte sie ans Herz in angster15