Gottesdienst am 2. Advent: 9. 12. 2007 um 9.30 Uhr in Marquartstein, Erlöserkirche Lieder: 11, 1-4; 801/1; 1, 1-3; 10

Predigttext: Offenbarung 3, 7-13 7 An den Engel der Gemeinde in Philadelphia schreibe: Das sagt der Heilige, der Wahrhaftige, der den Schlüssel Davids hat, der öffnet, so dass niemand mehr schließen kann, und der zuschließt, so dass niemand mehr öffnen kann: 8 Ich kenne deine Werke. Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan und niemand kann sie zuschließen; denn du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt und hast meinen Namen nicht verleugnet. 9 Siehe, ich werde schicken einige aus der Synagoge des Satans, die sagen, sie seien Angehörige des Gottesvolkes und sind's nicht, sondern lügen; siehe, ich will sie dazu bringen, dass sie kommen sollen und zu deinen Füßen niederfallen und erkennen, dass ich dich geliebt habe. 10, Weil du mein Wort von der Geduld bewahrt hast, will auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die kommen wird über den ganzen Weltkreis, zu versuchen, die auf Erden wohnen. 11 Siehe, ich komme bald; halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme! 12 Wer überwindet, den will ich zu einer Säule im Tempel meines Gottes machen, und er soll nicht mehr hinausgehen, und ich will auf ihn schreiben den Namen meines Gottes und den Namen des neuen Jerusalem, der Stadt meines Gottes, die vom Himmel hernieder kommt von meinem Gott, und meinen Namen, den neuen. 13 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!

Liebe Gemeinde! Am ersten Konfirmandensamstag haben wir mit unseren Konfirmanden den Kirchturm bestiegen. In einem Quiz sollte herausgefunden werden, was in unsere Glocken hineingraviert ist. Einige sind hinaufgeklettert und haben entdeckt, was in der großen Glocke zu lesen ist: „Glaube“ In der Adventszeit fragen wir ganz neu: Woher kommt der Glaube? Von den Bräuchen und den Erzählungen der Eltern. Sicher auch. Aber noch viel mehr aus dem Hören, dem Hören des Evangeliums, dem echten und tieferen Hören auf das Wort der Heiligen Schrift. Unser heutiger Predigttext nimmt uns mit in eine urchristliche Gemeinde und erzählt von ihrem Glauben in der Diktatur. Im Extremfall zeigt sich, welcher

Glaube glaubwürdig ist. „Wer Ohren hat zu hören, der höre, was der Geist unserer Gemeinden sagt.“ Das Sendschreiben in Offenbarung 3 nimmt uns auf eine weite Reise des Nachdenkens mit. Ort des Geschehens ist die heutige Westtürkei. Wir befinden uns etwa 65 Jahre nach Jesu Tod und Auferweckung. In Rom herrscht ganz brutal der Kaiser Domitian. Er hat sich selbstherrlich an die Stelle Gottes gesetzt und lässt sich auch als Gott verehren. Wer dem Kaiser nicht huldigt, gilt als Atheist, als Ungläubiger und wird verfolgt. Klar, dass fast jeder im römischen Reich dem Kaiser mehr oder weniger notgedrungen sein Weihrauchkorn am kaiserlichen Altar opfert. Und so gibt fast jedermann dem Kaiser, was Gottes ist: Göttliche Verehrung. Wer es nicht tut, kommt in Lebensgefahr. Zum Beispiel Johannes, jener Bischof der Gemeinden in Kleinasien. Er wurde auf die Insel Patmos verbannt in die totale Einsamkeit. Dort hat er seine Offenbarung geschrieben. Nehmen wir einmal an, wir fahren mit einer Postkutsche des 1. Jahrhunderts auf der alten kaiserlichen Poststraße von Pergamon über Smyrna, Pergamon, Thyatira und Sardes, nach Philadelphia. Auf unserer langen Reise merken wir, dass Kleinasien das geistige Zentrum des römischen Imperiums im Osten ist. Man kommt ganz schön ins Staunen, wenn man an all den Schulen, Akademien und Bildungseinrichtungen vorbeifährt. Nicht weniger staune ich über die kaiserlichen Tempel und die reichhaltigen religiösen Denkmäler der verschiedensten östlichen Religionen. Dazu kommt das weit verzweigte Netz jüdischer Kaufleute… Schließlich kommen wir nach Philadelphia. Christen finden wir zuerst keine. Erst nach Tagen erfahren wir, dass es in dieser jungen Stadt Christen geben muss. Nachdem wir mehrmals gefragt haben, drängt sich uns der Eindruck auf, dass die Christen hier wohl im Untergrund leben. Dann bekommen wir auf merkwürdige Weise Kontakt zu einigen Christen. Sie finden Vertrauen zu uns und nehmen uns in ihre Gemeindeversammlung mit, die sie auch Kirche nennen. Alles geschieht ganz versteckt. Selbst im Gottesdienst, den wir am Sonntagmorgen miterleben, wird nicht ganz offen gesprochen. Man weiß ja nie genau, wer da ist. Ich sehe mich um und merke, wie sie die Ohren spitzen nach dem altchristlichen Motto: „Wer Ohren hat zu hören, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt.“ Welcher Geist? Welche Gemeinden? Frage ich. Die Sprache ist ganz schön verschlüsselt. Man muss Bescheid wissen. .. Im Gottesdienst wird gerade ein Brief von Bischof Johannes vorgelesen, geschrieben auf der Verbannungsinsel Patmos. Sieben solche Sendschreiben soll er insgesamt geschrieben haben, und mein Begleiter flüstert mir zu: „Sieben ist bei uns die Zahl der Vollkommenheit. Alle christlichen Gemeinden auf der ganzen Welt sind damit angesprochen.“ Dann höre ich die Worte des Briefes an die Gemeinde in Philadelphia und wundere mich. Von Christus ist da überhaupt nicht die Rede, vielmehr von einem Schlüssel Davids, der auf- und zuschließen kann.

Ich verstehe erst einmal Bahnhof. Aber dann kommt es langsam: Dieser „Schlüssel Davids“ muss wohl eine Schlüsselrolle spielen. Doch wer ist damit gemeint? Mein Begleiter muss mein dummes Gesicht bemerkt haben und so erklärt er mir leise: „Kennst du denn nicht den großen König David oder die Psalmen Davids? Die Gnaden Davids beim Propheten Jesaja. Und kennst du nicht das Matthäus – Evangelium, das nachweist, dass ER von David abstammt?“ – „Wer?“ frage ich neugierig zurück. Na, Davids Sohn, Jesus Christus, der Gekreuzigte und Erhöhte, auf dessen baldige Wiederkehr wir warten? Wir sprechen hier seinen Namen nicht so laut aus, weil das gefährlich bei uns ist. Aber ER ist der „Heilige und Wahrhaftige.“ ER ist die Schlüsselperson in unserem Glauben. ER hat uns die Tür zu Gott aufgemacht. ER hat uns den Weg zur Barmherzigkeit geöffnet. SEIN Geist bewegt uns mitten in der Kälte unserer Zeit. ER hat Behinderte nicht ausgestoßen, sondern Gemeinschaft mit ihnen gesucht. ER hat die Armen und die Schuldigen angenommen, auch uns. ER hat die Mutlosen mit Freude erfüllt und die Traurigen getröstet und einige Reiche zur Umkehr gebracht. Und jetzt kann uns keiner mehr die Tür zu Gott verschließen, auch der Kaiser in Rom nicht, der bereits elf Leute von uns hat umbringen lassen. Sie haben sich geweigert, ihm wie Gott zu opfern. Dann wurden sie zu Märtyrern, zu unseren Glaubenszeugen. Und wir glauben das eben ganz fest, dass Jesus Christus die Türe zu Gott ist und nicht der blutrünstige Tyrann in Rom. Und deshalb zählt für uns an erster Stelle das Wort des DavidSohnes und sein Geist der Liebe. Langsam verstehe ich die Worte des Sendschreibens. Es sind schon wirklich ermutigende Worte, die da allen Menschen in Bedrängnis zugesprochen werden: „Ich kenne deine Werke… denn du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt und hast meinen Namen nicht verleugnet.“ Ein hohes Lob wird da ausgesprochen, weil diese Christen dem Götzendienst des Kaisers standgehalten haben. Selbst im größten Leiden und in ihren Verfolgungen haben sie sich politisch nicht verkauft. Sogar im Sterben haben sie sich zu ihrem Herrn bekannt. Langsam begreife ich am lebendigen Beispiel von Philadelphia, dass Gottes Kraft wirklich in den Schwachen mächtig ist. Und langsam bewundere ich diese Leute in ihrer Standhaftigkeit, in ihrer Beharrlichkeit und ihrem Durchhaltevermögen, so wie ich Frauen und Männer der Bekennenden Kirche bewundere wie Dietrich Bonhoeffer oder Jochen Klepper. Von der Kraft dieses Gottesglaubens darf ich, dürfen wir uns eine Scheibe abschneiden! Aber da war dann noch von der „Synagoge des Satans“ die Rede und von so genannten Juden, die gar keine sind. Der Brief nennt sie ganz offen Lügner, weil sie gegen die Gebote Gottes gehandelt haben. Wer mag damit wohl gemeint sein? Waren es Denunzianten, die einige Christen an den Kaiser verraten haben? Ich stelle mir vor, wie sich da einer in die kleine christliche Gemeinde

eingeschmuggelt und die Christen hinter her ans Messer geliefert hat. Verraten. Wie furchtbar das sein muss!“ Eine satanische Sache! Ganz anders das Sendschreiben. Es strahlt den langen Atem der Liebe Christi aus: „Weil du mein Wort von der Geduld bewahrt hast, will auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die kommen wird über den ganzen Weltkreis, zu versuchen, die auf Erden wohnen.“ Ja, das stimmt, jede Gemeinde auf der Erde und jeder Christenmensch erlebt irgendwann Stunden der Versuchung. Das stimmt sogar über 2000 Jahre hinweg. Und Versuchung, das ist individuell Krebs, frühzeitiger oder ein unwahrscheinlich schneller Tod, Klimakatastrophe oder Hunger in der Welt, Missachtung der Menschenrechte oder Bomben im Irak, Sudan oder Gazastreifen. Die Verheißung des Bibelwortes aber will uns das Rückrat stärken: Bleibt fest im Glauben und im Evangelium! Haltet euch an die Gebote! Haltet den bösen Worten der Welt stand und betet keine Kaiser oder Präsidenten oder Bomben an! Das Überwinden setzt euerem Glauben und Tun die Krone auf! Überwinden des falschen Glaubens, wo einer sich selbst zum Gott macht. Überwinden, wo irgendwelche Stars nur noch abgöttisch angebetet werden! Überwinden, wo wir nur noch von den Helden des Fernsehens leben oder von unseren eigenen Heldentaten! Eines aber bleibt mir am Ende noch unklar: Was bedeutet das mit dem Pfeiler im Tempel Gottes? Ich frage noch einmal meinen Begleiter in Philadelphia, und der bringt mich mit einem liebevollen Lächeln auf die Spur: „Weißt du“, sagt er, „bei uns ist das eine alte griechische Sitte, dass der Oberpriester des Kaiserkultes nach Ablauf seiner Amtsperiode eine Statue mit der Angabe seines Namens im Tempelbezirk aufgestellt hat. Das wird jetzt im Schreiben unseres Bischofs Johannes auf die Christen bildlich übertragen: Die Märtyrer, verstehst du, die Blutzeugen Christiu sind die echten Säulen in unserer Gemeinde. Auf ihnen baut sich unsere Kirche auf. Ja, Jesus Christus war selbst der wichtigste Blutzeuge. Der Name Gottes ist in seinen Lebensbaum eingemeißelt genauso wie der Name auf einer Statue. Und wir werden durch Christus zu Bürgern einer neuen Weltordnung gemacht, und diese neue Weltordnung wird mit der Gerechtigkeit und der Liebe Gottes regiert. Wir bezeichnen diese neue Weltordnung mit dem Schlüsselbegriff „das neue Jerusalem“. Auf der Rückreise von Philadelphia nach Marquartstein, liebe Gemeinde, darf uns vieles im Herzen bewegen. Vielleicht das Wichtigste: Die Kraft der Schwachen, die bei Gott so viel Großes bewirken kann. Mit der Zusage dieser Kraft lerne ich in den Tagen des Advent das Glauben ganz neu. Mit jedem Ton läutet unsere große Kirchenglocke ins Achental hinein: Glauben ist das Geschenk des Findens. Jeder Tag ist wichtig und ich kann etwas Schönes oder Hilfreiches finden. An

jedem Tag kann ich Türen öffnen, Türen für meinen Nächsten, Türen voller Gottvertrauen und Lebensmut. Über Brot für die Welt zum Beispiel rufen uns schwarze Christen aus Afrika zu: Steht auf für unser Leben. 23 Prozent der Menschen sind bei uns von Aids betroffen. Helft uns mit Eurer Spende, dass die Behandlung für alle Aidskranken möglich wird. Auch kleine Beiträge können Türen öffnen. Macht hoch die Tür! Amen. Fürbitten am 2. Advent: Guter Gott, keinem anderen deiner Geschöpfe als allein uns Menschen hast du Verantwortung übertragen für die Bewahrung der Schöpfung. Hilf unserem Unglauben, damit wir diese Verantwortung annehmen, ohne lähmende Zukunftsangst und voller Hoffnung, auf dass wir die Folgen des Klimawandels in Grenzen halten können. Alle: Wir bitten dich, erhöre uns! Lass uns aus den vielen Aufrufen zum praktischen Klimaschutz die Stimme Jesu heraushören, die uns Mut macht, dir zu vertrauen, nicht anders als die Jünger, die ihm ihre Brote und Fische übergaben, alles, was sie besaßen. Alle: Wir bitten dich, erhöre uns! Mache unsere Gemeinde zu einem Ort, wo wir uns Mut machen und beistehen, die Verhaltensweisen einzuüben, die eine Begrenzung des Klimawandels von uns allen verlangt: beim klugen und vernünftigen Umgang mit Energien, in unseren Wohnungen, als Autofahrer und Urlauber, als Verbraucher, die es lernen, unsinnige, unnötige und klimaschädliche Produkte zu erkennen und auf sie zu verzichten. Alle: Wir bitten dich, erhöre uns! Erinnere unsere Kirche immer wieder an ihren Auftrag, das Lebensrecht unserer Mitmenschen in den Armutsregionen der Erde einzufordern und die Menschenrechte, zum Beispiel im südlichen Afrika, wo heute fünfeinhalb Millionen Menschen Aids haben. Täglich sterben 950 daran und täglich werden 1500 Menschen angesteckt. Alle: Wir bitten dich, erhöre uns! Und wir denken auch an unsere Verstorbenen, bitten für die Angehörigen und Freunde und an die Gestorbenen selber: Sie können nicht tiefer fallen als in deine Hand. Alle: Wir bitten dich, erhöre uns! Angesichts der lähmenden Gefahren, denen wir ins Auge blicken, danken wir dir für Jesus, der uns gewiss macht, dass uns keine Bedrohung trennen kann von deiner Liebe, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges. Amen