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Pressezentrum Dokument: 2/002 PF Sperrfrist: Freitag, 15. Juni 2001; 11:00 Uhr Programmbereich: Themenbereich 2: In Würde leben Veranstaltung: ...
Author: Berndt Gerstle
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Pressezentrum

Dokument:

2/002 PF

Sperrfrist:

Freitag, 15. Juni 2001; 11:00 Uhr

Programmbereich:

Themenbereich 2: In Würde leben

Veranstaltung:

Vortragsreihe

Referent/in:

Dr. Gustava Everding, Ärztin, Kommunikationstherapeutin, München

Ort:

Alte Oper, Großer Saal, Opernplatz 1 (Innenstadt)

„In Würde sterben“ Leben bis zuletzt begleiten Leben bewegt sich zwischen Geburt und Tod; beides sind Prozesse, die jeder Mensch, jeder von uns hier erlebt hat und erleben wird. „Nichts im Leben ist so sicher wie der Tod“ oder „Der Tod ist die Sollbruchstelle des Lebens.“ Obwohl die Geburt vor allem von Mutter und Kind mit Schmerzen verbunden ist, überwiegt beim Lebenseintritt die Freude über diesen neuen kleinen Menschen, der in seiner totalen Hilflosigkeit andere Menschen braucht, um sich sicher und geborgen, angenommen und genährt zu fühlen. Ganz anders gestalten sich die Gefühle beim Sterben, beim Tod eines Menschen. Es sind die unangenehmen Gefühle von Hilf- und Machtlosigkeit, Trauer, Wut und Schuld. Vielleicht erklärt das zu einem Teil, warum unsere Gesellschaft, warum wir Sterben, Tod und Trauer lieber aus unserem Alltag ausblenden und die Gedanken daran verbannen. Es ist der Tod der Anderen, der Unbekannten, der Fernen. Es ist der Tod der Alten, der Schwerkranken – für die kann er doch nur Erlösung sein. Dem Tod voran geht das Sterben und das ist ein Prozess, ein jeweils individuelles Geschehen eines Menschen. Wir haben verlernt mit diesem „finalen Denken“ oder besser mit diesem „vom Ende her denken“ zu leben. Nur so wiederum ist zu verstehen, warum im letzten Jahrhundert, in den Jahrzehnten der Machbarkeit, der leistungsfähigen und leistungsbereiten Medizin Sterben und Tod zu Tabu-Themen wurden, warum Ärzte ihren Patienten und ihren Angehörigen bei schweren Krebsleiden zu einem bestimmten Zeitpunkt den folgenschweren Satz sagten :“Wir können nichts mehr für Sie tun.“ Ja, warum sogar die Wahrheit über den Krankheitszustand verschleiert und verschwiegen wurde. Sterben im Krankenhaus, Sterben unter Schmerzen, hilflos angeschlossen an Maschinen, Sterben in Einsamkeit und Isolation wurden zu Schreckgespenstern. Bis die Menschen aufwachten und zunächst in England, dann in USA und Kanada und endlich auch bei uns in Europa nach anderen Wegen suchten. Sterbehilfeorganisationen propagierten den „schönen Tod“ (Euthanasie), und boten bzw. bieten den selbstgewählten Zeitpunkt des Sterbens durch aktive Sterbehilfe an. In England begann ein anderer Weg : Die Ärztin CICELY SAUNDERS begründete die moderne Hospizbewegung, die sich seit den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts weltweit entwickelte und mit der Palliativmedizin eine Alternative aufzeigte. Was nun bedeutet Hospiz, was beinhaltet Palliativmedizin, für wen, wo und wie findet Hospizbetreuung zum Ende unseres Lebens statt.? Lassen Sie mich mit Ihnen in Kürze nachvollziehen, wie Frau Dr. SAUNDERS dieses Konzept entwickelt hat, weil es entscheidende Lichter wirft auf diese Form der ganzheitlichen Betreuung Schwerstkranker und dann sterbender Menschen. Als junge Sozialarbeiterin und Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort. Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.

−2− Krankenschwester besuchte sie in einem 10-Bettensaal eines alten Londoner Krankenhauses einen krebskranken Polen während der zwei letzten Monate seines Lebens. Aufmerksames Zuhören, vorsichtiges Fragenstellen, Offenheit in einer Einheit von Herz und Verstand ermöglichten ihr, auf die Wünsche und Bedürfnisse zu achten und den Gethsemane-Weg der Begleitung mit David zu gehen. Sein Vermächtnis wurde zum 1. Fenster in der Eingangshalle des St. Christopher’s Hospice, das 1967 im Süden Londons seine Tore öffnete und zum weltweiten Modell wurde für alle nachfolgenden Einrichtungen. Im Gespräch in Zuneigung und Offenheit unterhielten sich David Tasma und Cicely Saunders über Fragen, die ihnen wichtig waren: „Welches Umfeld hätte nicht nur dazu beigetragen, seine Symptome zu lindern, sondern ihm auch genügend Zeit und Raum gegeben, um persönlich mit seinem Leben ins Reine zu kommen?“ Wie können wir diesen Menschen am Ende ihres Lebens das Gefühl geben, geborgen und sicher zu sein – sicher genug, um sich auch den unangenehmen Gefühlen zu stellen, die sie vielleicht plagen, sicher genug auch, um die Dinge hinter sich zu lassen und auch sicher genug, um das Gefühl zu haben, den Schmerz, Atemnot oder all die anderen quälenden Gefühle bewältigen zu können. Frau Saunders absolvierte noch ein Medizinstudium, um sich der Erforschung des Schmerzes widmen zu können. Die Erfahrungen und Ergebnisse aus Hospizen revolutionierten die Schmerztherapie. Genaue Schmerzanamnesen nach Art und Qualität, nach Zeit und Stärke ermöglichten die Erstellung einer Schmerzleiter, die auch weltweit von der WHO verbreitet wird. Frau Dr. Saunders prägte den Ausdruck des „totalen Schmerzes“: Physische Schmerzen sind untrennbar verbunden mit dem Leid, das aus den Gefühlen von Machtlosigkeit, des Ausgeliefertseins an das eigene Schicksal gespeist wird. So werden physische, emotionale, spirituelle und soziale Komponenten zu Bestandteilen des Schmerzes. Es bedarf eines radikalen Umdenkens in unserem hierarchischen Krankheits- bzw. Gesundheitswesen: nicht der Arzt oder die Pflegenden bestimmen , wieviel Schmerzen der Patient hat, nicht bei Bedarf werden Schmerzmittel verabreicht , sondern kontinuierlich und immer wieder neu überprüft ob ihrer Wirksamkeit, sodass der Kreislauf unterbrochen wird von Schmerz und Angst vor Schmerz. Wissenschaftliche Forschung an Hospizen hat gezeigt, dass z.B. der Gebrauch von Morphium nicht zunimmt im Laufe der Zeit, wenn kontinuierliche Gaben, auch in Selbstbestimmung und Absprache mit dem Patienten gegeben werden. Aus dem Vorhergegangenen ergibt sich schon z.T., was den Begriff der Palliativmedizin ausmacht. Das Wort erklärt sich aus dem Lateinischen: Pallium heißt der Mantel und so versteht sich dieser Zweig der Medizin, als würde ich einen Schutzmantel um diesen Menschen legen, unter dem sein Leiden an seiner Krankheit , seine Nöte, Bedürfnisse und Wünsche geborgen sind. An dieser Stelle möchte ich noch einmal Dr. Saunders zitieren: „Es bleibt die Zuversicht, dass einem fast alles genommen werden kann und man dennoch die Person bleibt, die man war, man kann sogar noch wachsen“ oder an anderer Stelle „in dieser letzten Zeit legen die Menschen alle ihre Masken ab und werden wesentlich, sodass ihre verborgene menschliche Würde ihren Ausdruck finden kann.“ „Ich schreite kaum, doch wähn ich mich schon weit. Du siehst mein Sohn, zum Raum wird hier die Zeit.“ Zitat aus Richard Wagners Parsival bevor er vom Lehrer Gurnemanz ins Mysterium des Grals geführt wird. Fast nüchtern klingen daneben die Erklärungen von Würde bzw. Menschenwürde : Würde ist ein Achtung gebietender Wert, eine Haltung, die durch das Bewusstsein vom eigenen Wert oder einer geachteten Stellung bestimmt wird. Menschenwürde ist der nach dem Grundgesetz für unantastbar erklärte Bereich, der dem Menschen als Person zusteht, diesen als Träger höchster geistig-sittlicher Werte und wegen seiner Fähigkeit zu eigenverantwortlicher Selbstbestimmung respektiert. „In Würde sterben“ – ist das nicht ein Grundbedürfnis des Menschen? Und wenn unstillbare Schmerzen, schwer zu beherrschende, belastende Symptome, Bewusstseinstrübung und Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort. Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.

−3− damit verbundene Einschränkung der eigenverantwortlichen Selbstbestimmung diese Würde beeinträchtigen, sind wir als die Begleiter und seine Angehörigen in besonderer Weise aufgerufen, ihm diese Würde zu erhalten, in dem wir immer diese besondere Person in ihm sehen. (Zitat Saunders: Sie sind wichtig,weil Sie eben Sie sind. Sie sind bis zum letzten Augenblick Ihres Lebens wichtig, und wir werden alles tun, damit Sie nicht nur in Frieden sterben, sondern auch bis zuletzt leben können.) So nimmt es nicht Wunder, dass in der Hospizarbeit vor allem Haltungen und Einstellung einzuüben sind, und dann erst die jeweiligen beruflichen Fähigkeiten zum Tragen kommen. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass niemand allein einen Sterbenden begleiten kann. Es wird ein multidisziplinäres Team gebildet aus Arzt, Pflegenden, Seelsorger, Sozialarbeiter, Physiotherapeut bzw. notwendigen anderen Therapeuten wie Atemtherapeut etc. Dieses Team bezieht Familie und Freunde mit ein, ja, auch diesen Menschen gilt unsere Aufmerksamkeit und Begleitung. Sind und bleiben sie doch die „Nächsten „ für den Menschen, der sich von ihnen und dieser Welt verabschieden muss. In der ganzen Zeit ist es auch wichtig, auf die Trauer zu achten; die Trauer des betroffenen Kranken, der sein Schicksal annehmen muss, und die Trauer der nächsten Angehörigen, die diesen Menschen verlieren werden. All das verläuft in unterschiedlichen Stärken, oft zeitlich verschoben und wird immer wieder das begleitende Team beschäftigen. Offenheit, geistige Freiheit, Einheit von Herz und Verstand, aufmerksames Zuhören, immer neues Hinterfragen , Überprüfen eigener störender Haltungen sind notwendig und diese Anforderungen zeigen deutlich, warum Praxisbegleitung bzw. Supervision unverzichtbar ist. Hier wird vor allem Standhalten und die Fähigkeit ausreichender Distanzierung einzuüben sein. „Soviel Nähe zum Patienten und seinen Angehörigen wie möglich und soviel Distanz wie nötig .“ hat eine Krankenschwester das genannt. Ich möchte hinzufügen: immer gemessen daran, wieviel Nähe oder Distanz der Betreffende zulassen bzw aushalten kann. Wahrhaftigkeit ist eine der Forderungen, die an die Begleiter gestellt wird. Das heißt nicht, immer die ganze „Wahrheit“ auszuschütten, aber sensibel auf die Fragen nach Krankheitsstand bzw. -verlauf oder dem vorhersehbaren Ende zu antworten. Hier ist die Fähigkeit der Empathie gefragt, das Hineindenken, Hinspüren in den Anderen ohne den eigenen Standort zu verlassen. Standhalten -eine der wichtigsten Haltungen in diesem Prozess, Aushalten ohne hektischen Aktionismus. Nicht das „Mitleid“ sondern Respekt soll unsere Handlungen bestimmen, und oft ist Unterlassen, Weglassen von Gedanken, Worten und Werken die Richtschnur. Hilde Domin sagt es besser in einem Gedicht : „Jeder, der geht belehrt uns ein wenig über uns selber. Kostbarster Unterricht an den Sterbebetten. ... Nur einmal sterben sie für uns, nie wieder. Was wüssten wir je ohne sie? ... Dein Tod oder meiner der nächste Unterricht: so hell, so deutlich, dass es gleich dunkel wird.“ Obwohl phantasievolles Vorrausplanen unverzichtbarer Teil eines Begleitkonzeptes ist, ist das flexible Einstellen auf neue Situationen genau so wichtig; auch hier gilt wieder das Hinhören und Fragen, denn meiner Überzeugung nach hat jeder Mensch ein geheimes Wissen um sein Sterben und seinen Tod in sich. Wenn man auf eine Reise geht, gibt es viel zu bedenken, vorzubereiten, zu ordnen. Nicht anders ist es mit unserer letzten Reise. Der Wunsch nach Lebensbilanz, sinnstiftender Erinnerung, das Bedürfnis nach Aussöhnung mit Anderen und mit den eigenen nicht erfüllten Wünschen, sowie die Fragen nach dem Ziel der Reise bzw. nach dem Glauben werden einen Menschen, dessen Schmerzen gelindert sind, zunehmend beschäftigen. Das Geheimnis des Todes rückt näher und wie haltbar ist mein Kinderglaube, wie kann dieser letzte Abschied gelingen? König David: „Herr, lass mich mein Ende wissen und die Zahl meiner Tage, dass ich das Maß meines Lebens kenne.“ All das, was ich im Vorherigen ausgeführt habe, wird oft mit einem Schlagwort ausgedrückt: Lebensqualität. Und dabei wird deutlich, wie unterschiedlich das verstanden wird, wie sie Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort. Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.

−4− sich von Mensch zu Mensch unterscheidet. Wichtig scheint mir in diesem Zusammenhang der Hinweis von Dr. Saunders :“Wir bringen nicht Tage in ihr Leben sondern Leben in ihre Tage.“ So möchte ich auch hinweisen auf den Satz, der in jeder Hospizphilosophie vorkommt aber selten in seiner Gänze gehört wird. „Sterben ist Teil des Lebens. Dieser Vorgang soll weder verkürzt noch verlängert werden.“ Eine Diskussion über aktive oder passive Sterbehilfe, über das Recht auf den eigenen Tod, über die Tötung auf Verlangen bzw. die Beihilfe zum Selbstmord möchte ich hier nicht auslösen. In den Medien war hierzu Ausführliches zu lesen, zu hören und zu sehen. Aus meinem vorher Gesagten geht hoffentlich klar hervor, die Hospizphilosophie schließt die aktive Sterbehilfe aus, sie versteht sich als „Hilfe beim Sterben „ und nicht als „Hilfe zum Sterben“. Wichtig erscheint mir in diesem Zusammenhang eine klare Definition und ein Bewusstseinswandel: Therapieabbruch ist keine Tötung, es bedeutet das Zulassen einer Entwicklung, die zum Tode führt. Es bedeutet, mit dem Patienten und seiner Familie sowie dem umsorgenden Team zu überlegen, welche Art von Therapie in dem besonderen Fall sinnvoll und nötig ist, was die Lebensqualität noch verbessern oder erhalten kann und auszuscheiden, was der Verlängerung von Leiden Vorschub leistet. Um Ihnen zu verdeutlichen, was bisher gesagt wurde , möchte ich zurückkehren zu den anfangs gestellten Fragen: Wo und wie findet Hospizbegleitung bei uns in Deutschland statt. Am Beginn der deutschen Hospizbewegung stand ein Film. Der Jesuitenpater Reinhold Iblacker drehte 1970 in London im St. Christopher’s Hospice einen Fernsehfilm „Noch 16 Tage“, der die Hospiz-Idee in ihrer konkreten Verwirklichung darstellte. Die meisten Menschen der „ersten Stunde“ haben diesen Film gesehen, er rüttelte auf und sammelte nach und nach Betroffene, die sich in der Hospizbewegung engagierten. Es dauerte, bis konkrete Umsetzungen erfolgten, es galt die angelsächsischen Vorbilder auf deutsche Verhältnisse mit einem funktionierenden Gesundheitssystem zu übertragen. 1985 gab es dann erste Initiativen, in München die Gründung des Christophorus Hospiz Vereins durch Reinhold Iblacker, in Halle an der Saale den Hausbetreuungsverein am Elisabeth-Krankenhaus durch Heinrich Pera, die Ärztin Petra Muschawek rief „Omega“ ins Leben, Dr. Becker begann mit der Bildungsarbeit der IGSL (Internationale Gesellschaft für Sterbebegleitung und Lebensbeistand). Allen voran hatte Pfarrer Türks in Aachen das Hospiz „Haus Hörn“ eröffnet, und Daniela Tausch-Flammer das Hospiz Stuttgart. Zu Beginn stand das Erforschen des Ist-Zustands, wie und wo sterben in Deutschland die meisten Menschen, die an einer unheilbaren Krankheit leiden. In den 80er-Jahren letzten Jahrhunderts starben noch 90% im Krankenhaus, obwohl der Wunsch nach einem Sterben zu Hause in krassem Gegensatz dazu stand. Erfahrungen mit unangemessenen Schmerzzuständen, Unverständnis beim Fachpersonal für die Wünsche und Bedürfnisse des Patienten und vor allem seiner Angehörigen – jeder von uns hatte etwas aus seinem Leben beizutragen. Die Wenigsten hatten das Sterben eines Familiennächsten zu Hause erlebt bzw. einen Toten gesehen. Medizinstudenten hatten in England Praktika in Hospizen absolviert, wie es dort zur Ausbildung eines Arztes gehört. Betroffene Krankenschwestern litten an der „Sterbepraxis“ in den Kliniken, aufmerksame Hausärzte fragten nach Verbesserung im Betäubungsmittelgesetz. Deutschland gehörte zu den Entwicklungsländern in der Schmerztherapie. Es wurde deutlich, dass ein Bewusstseinswandel der Gesellschaft nötig war, um „Sterben, Tod und Trauer“ aus dem Tabu zu holen. Finanzielle Hilfen gab es noch keine, Spenden, Stiftungen und unermüdliches Erbetteln für Notwendiges bestimmten die Anfangsjahre ebenso wie die mühsame Öffentlichkeitsarbeit, um diese gesellschaftliche Veränderung herbeizuführen. Auch die beiden christlichen Kirchen waren zunächst zögerlich, befürchteten sie doch eine weitere Abschiebung der Schwerstkranken und Sterbenden an „neue Orte des Sterbens“ – in Sterbekliniken, wie die Hospize zu Beginn genannt wurden. Wir versuchten immer wieder zu betonen, es geht hier Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort. Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.

−5− um „Leben bis zuletzt“, und allmählich setzte sich auch das Wort „Hospiz“ durch und der Gedanke, dass der schwerstkranke und sterbende Mensch dort betreut wird, wo er es wünscht und wo es möglich ist. Dass Sterben zu Hause möglich ist mussten wir wieder lernen, zumal es ja einem Urbedürfnis der Menschen entspricht, in vertrauter, sicherer Umgebung zu sein in diesen schweren letzten Stunden, Tagen oder Wochen. „Eine Idee setzt sich durch“ war ein weiterer Film von Reinhold Iblacker, der die Weiterentwicklung weltweit zum Thema hatte. Das Konzept der Palliativen Betreuung ist nicht an eine Einrichtung gebunden. Heute gibt es die Vielfalt von Palliativstationen an Kliniken, stationären Hospize und die Vielzahl ambulanter Hospize, „das Hospiz ohne Mauern“, wie unsere erste Hospizschwester es nannte, einige Tageshospize und Hospiz-Initiativen mit Ehrenamtlichen sowie Sitz – und Nachtwachen. Der Wunsch der meisten Menschen in vertrauter Umgebung, möglichst in den eigenen vier Wänden die letzten Monate, Wochen und Tage zu verbringen und zu sterben wird wieder möglich. Es scheint, als könnten wir die im Mittelalter gepflegte „Ars Moriendi“ – die Kunst des Sterbens wieder beleben. Durch die 1992 gegründete Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz konnte auch die langsame Überführung in unser Gesundheitssystem vorangetrieben werden, sodass mit der Zeit stationäre Hospize eine Finanzierungsgrundlage bekamen. Die Finanzierung ambulanter Hospizarbeit ist gerade im Entscheidungsstadium. Palliativstationen werden wie andere Krankenhausstationen geführt. Am Beispiel des Christophorus Hospiz Vereins in München möchte ich Ihnen nun im letzten Teil die praktische Arbeit etwas genauer erläutern, bzw. an diesem Beispiel zeigen, wie wir auf die Erfordernisse der Arbeit reagierten. Begonnen wurde – wie auch die meisten Hospizinitiativen beginnen – mit einem ehrenamtlichen Vorstand aus unterschiedlichsten Berufsgruppen, wir boten erste Abendseminare an zum Thema „Sterben, Tod und Trauer“, aus denen die ersten Ehrenamtlichen – bei uns heißen sie Hospiz-Helfer – hervorgingen, die in weiteren Schulungen lernten , Haltungen und Einstellungen zum Sterben und Tod, zu Nähe und Distanz, zu einfachen Hilfeleistungen am Krankenbett, wie sie auch Familienangehörige vollbringen, einzuüben. Eine Gemeindekrankenschwester leitete die Einsätze in Familien oder im Alten- und Pflegeheim. Zunehmendes Wachstum in Mitgliederzahl und Ausweitung der Hospizhelfer-Schulung und Öffentlichkeitsarbeit führten uns an die Grenzen der Ehrenamtlichkeit. Daneben setzte sich die Erfahrung durch, dass ohne eine gute Schmerztherapie und Symptomkontrolle eine ganzheitliche Sterbebegleitung Stückwerk blieb. Das Wissen der meisten Hausärzte und pflegenden Sozialstationen im Bereich der neuen Palliativmedizin war nicht ausreichend, um es vorsichtig zu sagen, immer noch herrschten auch in Krankenhäusern die alten „Schmerzmythen“, ganz zu schweigen von den alten Hierarchie-Vorstellungen meiner Kollegen im Arztberuf. Wir stellten eine erste Krankenschwester ein mit viel Erfahrung in der Onkologie und schickten sie zunächst für drei Monate nach Schottland, wo sie in der ambulanten Hospizarbeit geschult wurde. Dieses Hospiz konnte modellhaft zeigen, wie die Schnittstellen zwischen stationärer und ambulanter, bzw. konsiliarer Betreuung zu bewältigen sind. Diese Hospizschwester ist vor allem beratend tätig, sie setzt sich in Absprache mit den behandelnden Ärzten und den beteiligten Pflegediensten für die Einleitung und Durchführung einer adäquaten Schmerztherapie und Symptomkontrolle ein. Sie vergewissert sich durch regelmäßige Hausbesuche und Nachfragen der Wirksamkeit der eingeleiteten Maßnahmen. Sie nimmt sich Zeit, Patienten und Angehörigen angstmachende krankheitsbedingte Veränderungen zu erklären. Sie intensiviert die Betreuung bei Komplikationen, um den Betroffenen ein größeres Maß an Sicherheit zu geben. Sie leitet in der Pflege an, wenn die Betroffenen Familien ohne Pflegedienst auskommen wollen. Mittlerweile arbeiten im CHV vier Hospizschwestern und begleiten im letzten Jahr z.B. 211 Patienten und ihre Angehörigen mit 1 228 Besuchen. Sie führten 2 997 beratende Telefongespräche, und die Begleitungen dauerten von 1 Tag bis zu 3 Jahren, im Durchschnitt ca. 11 Wochen. Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort. Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.

−6− Eine wichtige Aufgabe haben auch unsere drei ambulanten Hospizsozialarbeiter – das sind Dipl. Sozialpädagogen (FH) mit Fortbildungen im Bereich palliativer und psychosozialer Beratung und Betreuung. Sie haben zwei Arbeitsbereiche: Beratung und Begleitung und die Einsatzleitung der ehrenamtlichen Hospizhelfer/-innen. Im ersten Bereich klären sie Lebensperspektiven unter besonderer Berücksichtigung der Selbsthilfekräfte, der Familiensituation und der psychischen Belastbarkeit aller Beteiligten. Sie beraten und begleiten bei besonderen Belastungen und Krisen. Im zweiten Bereich führen sie die Aufnahmegespräche der von uns geschulten Hospizhelfer, sie werten die Erfahrungen in regelmäßigen „Verlängerungsgesprächen“ aus, führen in Einzelbegleitungen ein und begleiten diese Einsätze. Sie planen, organisieren und begleiten stationäre Einsätze (Palliativstation, Pflegeheim, Pflege – und Service Centrum). Sie organisieren Fortbildungen für die Hospizhelfer und organisieren die Supervisions- bzw. Praxisbegleitungsgruppen. Es wird Zeit, Sie mit einem unverzichtbaren Teil jeder Hospizgruppe bekannt zu machen: die Hospizhelfer. Diese Ehrenamtlichen zeichnet aus, dass sie sich von Mensch zu Mensch in die Begleitung von Schwerkranken und ihren Angehörigen einbringen. Sie teilen die alltägliche Lebenswelt der Betroffenen und verdeutlichen durch ihre freiwillige Zuwendung, dass sterbende Menschen und ihre Angehörigen zu uns und unserer Gesellschaft gehören. Sie besuchen Patienten und ihre Angehörigen, entlasten und unterstützen Angehörige in der Betreuung, sie hören zu und stehen als Gesprächspartner zur Verfügung. Sie begleiten beim Spaziergang, Arztbesuch oder Einkauf, leisten praktische Hilfeleistung im Alltag, sind einfach da – offen für Wünsche und Bedürfnisse der Betroffenen. Als Vorraussetzung für diese Tätigkeit hat sich eine vorbereitende Schulung als hilfreich und notwendig erwiesen. In Grundseminaren wird die eigene Befindlichkeit zu Sterben, Tod und Trauer überprüft, die Motivation analysiert und in Vorbereitungsseminaren Haltungen und Einstellungen, wie ich sie eingangs erwähnte, eingeübt. Die Auswahl erfolgt in sorgfältigen Einzelgesprächen. Während des Vorbereitungsseminars erhalten sie einen eintägigen Pflegekurs und ein Besuchspraktikum in einem Altenheim. Sie schließen eine Vereinbarung mit der Einsatzleitung, stellen sich für 4 Stunden in der Woche zur Verfügung und unterliegen der Schweigepflicht. Neben den Hausbesuchen übernehmen sie im Einzelfall Tag oder Nachtwachen, es gibt eine regelmäßige Gruppe, die auf der Palliativstation im Harlachinger Krankenhaus eingesetzt sind. Diese Station – ich möchte hier einmal erklären, was das ist – mit 10 Betten gehört zur inneren Abteilung des Städtischen Krankenhauses und ist zu verstehen wie eine Intensivstation auf anderen Gebieten. Sie nimmt Patienten auf, denen mit den besonderen Möglichkeiten der Palliativmedizin in kritischen Situationen des Krankheitsverlaufs geholfen werden kann. Ziel ist neben der Optimierung der Schmerz und Symptomkontrolle die Verbesserung der Lebensqualität und, wenn möglich, wieder die Entlassung in die gewohnte Umgebung, d.h. wider in die ambulante Hospizbetreuung. Wichtig ist uns aber der Satz: Hospizhelfer ersetzen keine regelmäßigen Haushaltshilfen und keinen Pflegedienst. Ihr Da-Sein von Mensch zu Mensch ist kostbar, sie erfüllen den Wunsch des angsterfüllten Jesus am Abend vor seiner Auslieferung an den Kreuzestod: „Wachet und betet mit mir!“ Zur Zeit erfüllen 137 aktive Hospizhelfer diesen Dienst am Mitmenschen, sie kommen aus den unterschiedlichsten Berufen, sind zwischen 27 und 85 Jahren alt, der Anteil der Frauen ist natürlich unverhältnismäßig hoch mit 123, aber ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, auch der anderen Hälfte der Menschheit diesen Dienst am Nächsten näherzubringen. Um einem weitverbreiteten Vorurteil vorzubeugen, möchte ich noch erwähnen, dass 21% vollberufstätig sind, es gibt Lehrerinnen, Bankangestellte, Tierärztin, Krankenschwester, Buchhändlerin, Lektorin, Psychotherapeuten, Elektroingenieur, Schauspielerin, Sekretärin, Fremdsprachenkorrespondentin, Sozialpädagogin, Hausfrau, Theologiestudent, Bestatterin, Ergotherapeutin, Kohlen- und Ölhändlerin, Arzthelferin, Steuerberater, Biologin, Ärztin, Diakon ... Vielleicht ermuntert ja diese Aufzählung manchen unter Ihnen bei Ihrem ortsnahen Hospizverein einmal vorbeizuschauen Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort. Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.

−7− und die Möglichkeit des Engagements zu erfahren. Immer wieder gefragt sind auch andere freiwillige Dienste, im Büro z.B. oder in der Dokumentierung. Im Spendenbereich sind phantasievolle Zeitgenossen willkommene Mitarbeiter. Für mich bedeutet jeder Helfer einen Multiplikator, der die Hospizidee weiterträgt in sein Lebensumfeld. Ein weiterer wichtiger Bereich, der von Anfang an bestand, ist Öffentlichkeitsarbeit, Information und Fortbildung. Hier reicht das Angebot von der Vorbereitung der ehrenamtlichen Hospizhelfer über Kursangebote für Laien und Selbsthilfegruppen Betroffener und Angehöriger zu Fort- und Weiterbildung von Fachpersonal im Gesundheitsund Sozialwesen, insbesondere in der Palliativbetreuung. Zu jeder Hospizgruppe gehört die Trauerbegleitung, die Begleitung trauernder Hinterbliebener. „Den eigenen Tod, den stirbt man nur, doch mit dem Tod des Anderen muss man leben.“ (Maschka Kaleko) „Verluste sind die Hauptauslöser von Krisen.“ sagt die Psychotherapeutin Verena Kast. Auch hier gilt wieder: Es ist ein Prozess, der da abläuft bzw. durchlebt werden muss. Verschieden wie wir Menschen so verschieden verläuft dieser Prozess. Deshalb gibt es im CHV mehrere Angebote offener Trauergruppen, sowie Einzelgespräche wie auch Trauerwochenenden. Einmal im Jahr findet eine Feier zum Gedenken an die von uns begleiteten Toten des zurückliegenden Jahres statt. Sie ließ den umfassenden und tragenden Aspekt der „Gemeinschaft“ in der Trauer deutlich werden: trauernde Angehörige und Freunde, Hospizmitarbeiter und Hospizhelfer mit vielfältigen Erinnerungen an die Verstorbenen, die in einem großen, goldenen Gedenkbuch namentlich aufgezeichnet sind. Die in 10 Jahren ambulanter Palliativ-und Hospizarbeit gesammelten Erfahrungen galt es in eine Fortbildungseinrichtung zu überführen, die allen Berufsgruppen der in diesem Bereich arbeitenden Menschen offen stehen sollte, aber auch in die Ausbildung von Medizinern und Pflegenden eingebracht werden konnte. Der Gedanke einer Akademie für Palliativmedizin, Palliativpflege und Hospizarbeit war geboren, und so konnte (nach dem Vorbild der Mildred Scheel Akademie in Köln und mit Unterstützung der Krebshilfe ) im Sommer 1999 die erste Akademie in Bayern eröffnet werden. Die Ziele der Akademie sind Entwicklung und Durchführung berufsspezifischer und berufsübergreifender Fortbildungsangebote für Mediziner, Pflegende, Therapeuten, Seelsorger, Fachkräfte in der sozialen Arbeit in Palliative Care, Schulung von Multiplikatoren für die Befähigung Ehrenamtlicher in der Hospizarbeit. Wichtig scheint mir gerade zur Zeit der berufsgruppenübergreifende Dialog unter Berücksichtigung ethischer Fragestellungen zum Lebensende. Wie dies Zusammenspiel von vielen Beteiligten in der Ambulanten Hospizarbeit geschieht, dazu möchte ich ihnen gern den Bericht einer unserer Sozialpädagogen vorlesen und sie so an der Praxis dieser Arbeit teilnehmen lassen. Ambulante Hospizarbeit – ein Zusammenspiel von vielen Beteiligten Eigentlich hätte es der Beginn einer Hospizhelferbegleitung werden sollen – doch als wir uns im Krankenhaus zum vereinbarten Zeitpunkt bei der Patientin trafen, war Frau S. bereits eine halbe Stunde tot. Mit einem derart schnellen Verlauf hatte niemand gerechnet. In den Abschiedsschmerz der Angehörigen mischte sich vor allem Sorge um den von einer Demenz- und Tumorerkrankung betroffenen 73-jährigen Ehemann der Patientin. Wie würde er auf den Verlust seiner Frau reagieren? Würde er alleine in seiner Wohnung zurechtkommen? Auf dem Hintergrund dieser sehr belastenden Situation entsprachen wir der Bitte der Tochter (Frau K.), unsere Unterstützung über den Tod der Mutter hinaus zunächst noch fortzusetzen. Bereits zu deren Lebzeiten hatte sich abgezeichnet, dass an der Notwendigkeit einer Heimunterbringung von Herrn S. kein Weg vorbeiführen würde. Diese Einsicht nunmehr in die Tat umsetzen zu müssen, fiel Frau K. sichtlich schwer. Sie suchte Beratung und Rückversicherung, sowie praktische Hilfestellung bei der Heimplatzsuche. Als Sozialarbeiter stellte ich Kontakte zu den entsprechenden Fachstellen her, stand für Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort. Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.

−8− Rückfragen als Ansprechpartner zur Verfügung und ermutigte Frau K., für ihren eigenen Trauerprozess therapeutische Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Unterdessen baute die Hospizhelferin – anknüpfend an die gemeinsam erlebte Abschiedssituation in der Klinik – eine gute Beziehung zu Herrn S. auf. Durch die Regelmäßigkeit ihrer Besuche trug sie nicht unwesentlich dazu bei, den Übergang ins Heim „abzufedern“. Nach fünf Monaten ergab sich für Herrn S. die Gelegenheit, in eine gerontopsychiatrische Wohngruppe mit intensiver sozialpädagogischer Betreuung umzuziehen, wo er sich schon bald emotional sehr beheimatet fühlte. Dieser Zeitpunkt bot sich für uns als Hospizdienst an, uns zu verabschieden und uns aus der Begleitung zurückzuziehen. Ein halbes Jahr später erreichte uns jedoch die erneute Anfrage von Frau K.: die Tumorerkrankung ihres Vaters hatte sich dramatisch verschlechtert. Angesichts der laut Hausarzt sehr ungünstigen Prognose zeigte sich Frau K. tief besorgt. Sie wirkte wie aufgelöst ob des drohenden Verlustes einer zweiten nahen Bezugsperson binnen Jahresfrist. Nach einem ausführlichen Beratungsgespräch mit der Tochter regte ich den gemeinsamen Besuch mit einer Hospizschwester in der gerontopsychiatrischen Wohngruppe an. Die Mitarbeiter auf Station begegneten uns freundlich und aufgeschlossen. Sie traten in gemeinsame Überlegungen mit uns ein, auf welche Weise Herr S. und seine Angehörigen in der jetzigen Situation bestmöglich unterstützt werden könnten. Die Wiederaufnahme der Hospizhelferbegleitung von damals erschien uns sinnvoll und erwies sich glücklicherweise auch als machbar. Herr S. freute sich sehr über diesen zusätzlichen regelmäßigen Besuchskontakt. Daneben standen insbesondere die Erarbeitung einer Patientenverfügung und die Erstellung eines Notfallplans im Vordergrund. Hierzu galt es zunächst den mutmaßlichen Willen von Herrn S. zu erfassen. Der Patient selber war aufgrund seiner gesundheitlichen Verfassung nicht mehr zu einer klaren Willensäußerung in der Lage. Ein Treffen am „runden Tisch“ wurde einberufen, an dem Frau K. als nächste Angehörige und Vorsorgebevollmächtigte , der Hausarzt, die betreuenden Fachkräfte auf Station (Pflegeleiter und Sozialpädagogin) , die Hospizhelferin und die Hospizschwester teilnahmen. Bei ihrem Bemühen, die bestmögliche Versorgung von Herrn S. unter Berücksichtigung seiner Demenz- und Tumorerkrankung sicherzustellen, orientierten sich die Gesprächsteilnehmer an den erkennbaren Wertvorstellungen und derzeitigen Lebensgewohnheiten des Patienten. In einer anschließenden „kleinen Runde“ (Hausarzt, leitender Pfleger der Station und Hospizschwester) standen zu erwartende Komplikationen im Krankheitsverlauf und deren Behandlungsmöglichkeiten im Vordergrund. Die Hospizschwester führte in den folgenden Wochen zahlreiche Einzelgespräche, bevor sie in enger Kooperation mit dem Hausarzt einen medizinisch-pflegerischen Notfallplan schriftlich niederlegte, der allen Beteiligten als verbindliche Grundlage diente und Handlungssicherheit vermittelte. Das interdisziplinäre Team der gerontopsychiatrischen Wohngruppe sprach sich für einen Verbleib von Herrn S. auf der Station aus, obwohl diese konzeptionell auf einen derart hohen Grad an Pflegebedürftigkeit an sich nicht eingestellt war. Möglich wurde dieses Engagement durch ein flexibles Entgegenkommen des Heimträgers und durch die Zusicherung des fachlichen Rückhalts seitens des Hausarztes und der Hospizschwester. Frau K. fühlte sich durch ihr Eingebundensein in die Zusammenarbeit der beteiligten Fachdienste spürbar entlastet und gewann an Sicherheit und Selbstvertrauen. Seitens unseres Hospizdienstes ergab sich eine naheliegende Aufgabenverteilung: Während die Hospizhelferin mit der Kontinuität ihrer Besuche (später auch in Form von Tagwachen) den Patienten selbst begleitete, stand die Hospizschwester vorwiegend dem Personal auf Station mit fachlichem Rat als Ansprechpartnerin zur Verfügung. Als Hospizsozialarbeiter hielt ich derweil Kontakt zu Frau K., um sie in den vielen offenen Fragen ihrer eigenen Auseinandersetzung mit dem bevorstehenden Verlust ihres Vaters zu unterstützen. Herr S. baute in den folgenden Wochen immer weiter ab, konnte aber dank der fachlich fundierten und menschlich engagierten Palliativbetreuung seinen Weg bis zuletzt in Würde gehen. Er starb, wie nicht wenige sich zu sterben wünschen: ohne Schmerzen und begleitet von denjenigen, denen er und die ihm etwas bedeuteten. Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort. Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.

−9− Bevor ich mich bei Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit bedanke, möchte ich Martin Buber zitieren: „Ich habe keine Lehre. Ich zeige nur etwas. Ich zeige Wirklichkeit, ich zeige etwas an der Wirklichkeit, was nicht oder zu wenig gesehen worden ist. Ich nehme ihn, der mir zuhört, an der Hand und führe ihn zum Fenster. Ich stoße das Fenster auf und zeige hinaus. Ich habe keine Lehre, aber ich führe ein Gespräch.“ Ich danke Ihnen.

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